Hiob - Joseph Roth - E-Book

Hiob E-Book

Joseph Roth

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

«Hiob», die Geschichte der ostjüdischen Familie Singer, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg beginnt und ins amerikanische Exil führt, ist Joseph Roths berühmtester Roman. Die Bühnenfassung von Koen Tachelet wurde im April 2008 in Johan Simons' Regie an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Anschließend war die Inszenierung, «eine der berührendsten seit sehr langer Zeit» (Der Standard), auch bei den Wiener Festwochen zu sehen. «Dieser Abend ist selbst ein großes Wunder … Zu rühmen ist dabei zuerst einmal die Fassung von Koen Tachelet, der den Rhythmus und den poetischen Bilderreichtum Roths bewahrt hat, indem er den Erzählstrom auf die Lippen der Figuren umgeleitet hat.» (Süddeutsche Zeitung)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 63

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Joseph Roth

Hiob

Bühnenfassung von Koen Tachelet

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Über Joseph Roth

Joseph Roth, geboren 1894 in Brody, Ostgalizien, Österreich-Ungarn, arbeitete als Journalist in Wien und Berlin und bereiste in den 1920er Jahren für die Frankfurter Zeitung als Reisekorrespondent Europa. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus emigrierte er nach Frankreich, unternahm aber weiterhin längere Reisen unter anderem nach Österreich und in die Niederlande, wo auch seine letzten Texte publiziert wurden. 1939 starb er in Paris an den Folgen einer Lungenentzündung. Zu seinen wichtigsten Werken gehören «Hotel Savoy» (Berlin, 1924), «Hiob. Roman eines einfachen Mannes» (Berlin, 1930), «Radetzkymarsch» (Berlin, 1932), «Die Legende vom heiligen Trinker» (Amsterdam, 1939).

Erster TeilRussland

1. Menuchim

Menuchim bekommt einen Anfall

DOKTOR

Was hat er denn?

DEBORAH

Gliederzucken. Es kommt vom Wachsen. Das kriegt jedes Kind.

DOKTOR

Was sind die Symptome?

DEBORAH

Er schneidet Grimassen. Er stöhnt wie ein Tier. Er atmet in jagender Hast und keucht auf eine noch nie dagewesene Art. Seine Beine sind leblos, aber seine Arme zappeln und zucken. Sein Mund stammelt lächerliche Laute.

DOKTOR

Was tust du, wenn er einen Anfall bekommt?

DEBORAH

Ich schüttle ihn ordentlich, bis sein Gesicht bläulich wird. Der Atem vergeht ihm beinahe. Dann erholt er sich langsam wieder …

JONAS

Er ist nicht normal.

DEBORAH

… und dann gebe ich ihm die Brust.

SCHEMARJAH

Es ist zum Lachen.

MIRJAM

Er gleicht einem Tier.

DOKTOR

Er wird ein Epileptiker.

Es ist Leben in seinen Augen. Ich kann ihn vielleicht gesund machen. Er muss ins Krankenhaus.

DEBORAH

Das können wir nicht bezahlen.

DOKTOR

Mach dir darüber keine Sorgen.

MENDEL

Kein Doktor kann ihn gesund machen, wenn Gott es nicht will.

DEBORAH

Es kostet uns nichts. Man wird ihn umsonst gesund machen!

MENDEL

Soll ich seine Seele verkaufen, nur weil seine Heilung umsonst sein kann? Soll er unter nichtjüdischen Kindern aufwachsen? Kein heiliges Wort hören? Milch und Fleisch essen und in Butter gebratene Hühner?

DEBORAH

Man wird ihn gesund machen!

MENDEL

Man wird nicht gesund gemacht in fremden Spitälern.

DEBORAH

Wo denn sonst?

MENDEL

Der Allmächtige wird entscheiden, ob Menuchim wieder gesund und kein Epileptiker wird. Gepriesen sei Gott, dass unsere anderen Kinder gesund sind.

DEBORAH

Schweig über die Kinder. Sie sind gesund, weil er krank ist. Ich hasse ihr Geschrei, ihre roten Wangen, ihre geraden Gliedmaßen. Ihre Gesundheit ist der Feind seiner Krankheit. Wir müssen etwas tun. Warum tust du nichts?

MENDEL

Ich bin kein Doktor und nicht reich. Ich bin ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Jude.

DEBORAH

Du bist ein Schwächling. Ich weiß, was ich zu tun habe. Ich fahre zum Rabbi nach Kluczýsk.

MENDEL

Was erwartest du dir davon?

DEBORAH

Heilung für Menuchim.

MENDEL

Weißt du, was dich in Kluczýsk erwarten wird? Kranke, Krumme, Lahme, Wahnsinnige, Idioten, Herzpatienten, Zuckerkranke, Leute, die Krebs im Körper haben, deren Augen mit Trachom verseucht sind, Frauen mit unfruchtbarem Schoß, Mütter mit missgestalteten Kindern, Männer, denen Militärdienst droht, Deserteure, die um eine glückliche Flucht bitten, Menschen, die die Ärzte aufgegeben haben, die von der Menschheit verstoßen sind, von der irdischen Gerechtigkeit misshandelt, Bekümmerte und Sehnsüchtige, Verhungerte und Satte, Betrüger und Ehrliche, alle, alle, alle hoffen sie – alle stehen sie vor dem Haus des Rabbis und warten. Sie hoffen alle auf ein Wunder.

DEBORAH

Dann bin ich am richtigen Ort.

Rabbi!

2. Die Vorhersage

DEBORAH

Rabbi, wird Menuchim gesund werden?

RABBI

Menuchim, Mendels Sohn, wird gesund werden. Der Schmerz wird ihn weise machen, die Hässlichkeit gütig, die Bitternis milde und die Krankheit stark. Seine Augen werden weit sein und tief, seine Ohren hell und voll Widerhall. Sein Mund wird schweigen, aber wenn er die Lippen auftun wird, werden sie Gutes verkünden. Hab keine Furcht und geh nach Hause.

DEBORAH

Aber wann, wann, wann wird er gesund werden?

RABBI

Frag mich nicht weiter, ich weiß nichts mehr. Verlasse deinen Sohn nicht, auch wenn er dir eine große Last ist, gib ihn nicht weg, er kommt aus dir, wie ein gesundes Kind auch.

3. Gottes Wink mit dem Finger

DEBORAH

Menuchim wird gesund werden, aber es wird lang dauern. Der Rabbi hat es vorhergesagt.

MENDEL

Du glaubst an den Rabbi, weil er Menuchim heilen könnte. Ich glaube nicht an Wunder im Bereich der Augen. Ich brauche niemand zwischen Gott und mir selbst.

DEBORAH

Wo sind die Kinder?

Jonas! Schemarjah, Mirjam!

Kinder, ihr müsst Menuchim spazieren führen. Der heilige Mann hat gesagt, er wird gesund.

SCHEMARJAH

Unsere Freunde spotten, wenn er bei uns ist.

JONAS

Er kann nicht laufen. Kann nicht mal stehen.

DEBORAH

Wenn er müde wird, werdet ihr ihn tragen. Lasst ihn, Gott behüte, nicht fallen. Tut ihm kein Weh.

JONAS

Er bringt Unglück.

SCHEMARJAH

Er ist ein Unglück.

MIRJAM

Legen wir ihn in eine Ecke.

JONAS

Ja, da kann er mit Hundekot und Pferdeäpfeln spielen, er isst es auf. Es sind seine Freunde.

Jonas, Mirjam und Schemarjah schmieren Menuchim mit Kot ein und stoßen seinen Kopf in einen mit Wasser gefüllten Eimer.

JONAS

Er ist abscheulich. Ich hasse ihn.

MIRJAM

Ist er tot?

JONAS

Ich glaub schon.

Menuchim bekommt einen Anfall.

MIRJAM

Er lebt noch.

SCHEMARJAH

Warum ist er nicht tot?

JONAS

Vielleicht stirbt er später.

SCHEMARJAH

Warum stirbt er nicht? Ich habe Angst. Gott winkt uns mit dem Finger.

MIRJAM

Er stirbt nicht. Er ist behindert, aber er stirbt nicht.

Mendel findet den mit Kot beschmierten Menuchim.

MENDEL

Menuchim, was haben sie mit dir gemacht?

Mendel packt seine beiden Söhne. Mirjam flüchtet zur Mutter. Mendel kneift seine Söhne in die Ohren. Sie heulen auf. Er schnallt den Hosengürtel ab, schwingt ihn durch die Luft und trifft die Rücken seiner Söhne. Deborah schreit. Mendel hört nur sein eigenes Getöse. Er fühlt nicht mehr, wo er hinschlägt, schwingt den Gürtel und trifft Wände, Tisch und Bänke. Endlich schlägt die Wanduhr drei, die Schüler kommen herein, und Mendel, die Aufregung noch in der Kehle, hört auf zu schlagen.

4. Ein einfacher Lehrer

MENDEL

Mendel Singer. Jude. Fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich. Blasses Gesicht, Vollbart, große, träge, schwarze Augen. Auf dem Kopf sitzt eine Mütze aus schwarzem Seidenrips. Der Körper steckt im halblangen jüdischen Kaftan. Mein Haus besteht nur aus einer geräumigen Küche. Ich bin Lehrer. Ich vermittle den Kindern aus Zuchnow die Kenntnis der Bibel. Zwanzig Kopeken bezahlt jeder dafür. Damit muss ich eine Frau und vier Kinder kleiden und ernähren.

DEBORAH

Zwanzig Kopeken. Wie sollen wir davon leben?

MENDEL

Ich bin nur ein einfacher Lehrer.

DEBORAH

Das Leben verteuert sich von Jahr zu Jahr. Die Ernten werden karger, die Eier verderben, die Karotten werden kleiner …

MENDEL

Du schielst zu oft nach dem Besitz der Wohlhabenden.

DEBORAH

… die Kartoffeln erfrieren, die Suppen werden wässrig, die Karpfen schmal und die Hechte kurz, die Enten mager, die Gänse hart, die Hühner ein Nichts …

MENDEL

Du bist besessen von dem, was andere haben.

DEBORAH

… und das Wetter wird immer schlechter.

5. Menuchim spricht

MENUCHIM

Mama.

DEBORAH

Menuchim kann sprechen!

MENUCHIM

Mama.

DEBORAH