Hochzeit mal drei - Abby-Ann Fuchs - E-Book

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Abby-Ann Fuchs

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Beschreibung

Bereits als junge Mädchen haben die Drillingsschwestern Anne, Julia und Sophie einander geschworen, später einmal entweder eine prächtige Dreifachhochzeit abzuhalten oder überhaupt nicht zu heiraten.

Endlich erhält auch Julia als Letzte unter ihnen einen Heiratsantrag. Die geplante Feierlichkeit rückt in greifbare Nähe.

Doch dann ...!

Covergestaltung: Vivien Stennulat, KreaTiVi-Production

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Abby-Ann Fuchs

Hochzeit mal drei

Liebesroman

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

ZUM BUCH

Bereits als junge Mädchen haben die Drillingsschwestern Anne, Julia und Sophie einander geschworen, später einmal entweder eine prächtige Dreifachhochzeit abzuhalten oder überhaupt nicht zu heiraten.

Endlich erhält auch Julia als Letzte unter ihnen einen Heiratsantrag. Die geplante Feierlichkeit rückt in greifbare Nähe.

Doch dann ...!

 

Covergestaltung: Vivien Stennulat, KreaTiVi-Production

 

 

 

 

EINS

Es ist schwülheiß, fast nicht zum Aushalten. Das leichte Sommerkleid, mehr ein Hauch von Nichts, klebt bereits hier und da an meiner Haut. Die frisch gewaschenen Haare sind verschwitzt. Die Stirn glänzt. Jede Bewegung ist zu viel. Selbst das Denken fällt schwer. Vierunddreißig Grad im Schatten. Eine Hitzewelle seit fünf Tagen, kein Wölkchen, kein Lüftchen in Sicht. Ich sehne mich nach einem Urlaub im Gefrierschrank. Leider ist der bis oben hin gefüllt.

Zu allem Überdruss benimmt sich mein Freund sehr komisch. Er stottert und stammelt. Er sucht nach Worten. Er bricht jeden zweiten Satz ab. Das hat er noch nie getan. Sonst ist Lukas die Ruhe in Person. Das sieht mir nach einem drohenden Hitzschlag aus, obwohl er mit einer zu einer Röhre geformten Zeitung herumfuchtelt und einen beachtlichen Luftstrom erzeugt.

»Warte! Ich hole dir ein feuchtkaltes Handtuch«, rufe ich. »Leg dich auf die Couch, die Füße nach oben.«

Trotz Hitze und Mattigkeit eile ich in Richtung Badezimmer.

Will in Richtung Badezimmer eilen, aber Lukas ist mit zwei Sprüngen hinter mir, hält mich zurück.

»Wo willst du denn hin? So höre mir doch mal zu!«

»Hinlegen! Füße hoch!«, befehle ich und schiebe Lukas in Richtung Couch.

Möchte ihn in Richtung Couch schieben, denn er sinkt vor mir auf die Knie.

O nein – ein Schwächeanfall! Vielleicht sogar das Herz? Was soll ich tun? Ich greife Lukas unter die Achseln, um ihn aufzurichten und auf die Couch zu wuchten.

»Es wird gleich alles wieder gut«, tröste ich ihn. »Du kommst wieder auf die Beine. Versprochen.«

Vielleicht ist er nur dehydriert, was bei der Hitze kein Wunder wäre, und es ist nichts Schlimmes. Erst mal auf die Couch also und dann eine Flasche Mineralwasser geholt. Eine große. Anderthalb Liter. Und wehe, die trinkt er nicht aus. Danach sehen wir weiter.

Ja, so wird’s gemacht. Es wird alles wieder gut. Ich atme auf. Und seufze kurz darauf frustriert. Mann, ist dieser Mann schwer. Es kommt mir sogar vor, als würde er sich meiner Hilfe widersetzen. Auf die kleinste Unterstützung von ihm, wieder auf die Beine zu kommen, warte ich jedenfalls vergebens.

Vielleicht sollte ich ihn ganz zu Boden gleiten lassen? Kalt ist der jedenfalls nicht, sodass keine Unterkühlung droht.

Ich will ihn sanft der Länge nach auf den Teppich drücken. Lukas jedoch schüttelt unwillig meine Hände ab. Er blickt zu mir auf und sagt, stockend, aber laut und deutlich:

»Willst du – meine – Frau werden, Julia?«

Hä?

Lukas’ fragend erhobener Kopf und ein offenes rotes Samtschächtelchen in seiner rechten Hand mit einem silbern schimmernden Ring drin sagen mir endlich, was Sache ist. Aus der zusammengerollten Zeitung zaubert Lukas eine ebenso rote Rose hervor. Eine echte und noch nicht mal angewelkt. Taufrisch.

»Julia. Möchtest du mich heiraten?«, fragt er noch mal.

Ich brauche keinen Satz neue Ohren. Er hat es wirklich gesagt. Zum zweiten Mal jetzt. Es stimmt, ich habe mich nicht verhört. Meine Knie zittern, meine Beine werden schwach. Ich sinke ebenfalls zu Boden. In Augenhöhe sitzen wir uns gegenüber. Keine halbe Armlänge ist Platz zwischen uns.

»Was denn nun?«, drängt Lukas. »Ja oder nein?«

»Ja«, flüstere ich, überwältigt vor Ergriffenheit. Diesen Augenblick darf ich nie vergessen. Der ist für die Ewigkeit bestimmt.

»Ja dann ...« Mit glückseligem Lächeln streift Lukas mir den Verlobungsring über den ersten Knöchel meines linken Ringfingers.

Ich halte den Finger gestreckt und warte ergeben auf den unweigerlich kommenden Schmerz, wenn das Ringlein auf Knöchelchen Numero Zwei trifft. Doch da kommt kein Schmerz, kein Stocken und Schieben. Problemlos rutscht das versilberte Schmuckstück über die kritische, etwas dickere Stelle hinweg. Er passt wie angegossen. Wackelt nicht, drückt nicht.

Wann hat Lukas mir denn meinen Fingerdurchmesser gemessen?, frage ich mich erstaunt. Im Schlaf, oder was? Reiner Zufall kann es jedenfalls nicht sein.

So ein Strolch. Immer für eine Überraschung gut, mein Lukas. Ich weiß das. Doch vielleicht hat er lediglich bei Anne oder Sophie Maß genommen. Das wäre eine Möglichkeit. Obwohl nur dreieiige Drillinge und nicht zum Verwechseln ähnlich wie eineiige, sind wir gleich gebaut. Das heißt, wir sind schlank und groß, mit langen dunkelblonden Haaren. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wir sind nicht eitel.

Aber mit diesem Heiratsantrag jetzt schon hätte ich im Leben nicht gerechnet. Mitten aus dem Nichts heraus, einfach so. In einem Jahr, auf jeden Fall. Sophie und Anne sind schon lange verlobt und warten nur darauf. Aber gedrängt hat keine der beiden Lukas oder auch nur eine Andeutung gemacht, das kann ich mir nicht vorstellen. Von mir aus auch schon in einem halben Jahr, von heute an gerechnet. Das hätte ich zur Not akzeptiert und wäre nicht überrascht gewesen. Aber jetzt schon, nach kaum sieben Monaten gelegentlichen Zusammenseins, den paar Stunden pro Woche und den wenigen gemeinsamen Wochenenden, die wir zusammen hatten ... Also nee. Auf Ideen kommt dieser Mann.

Dieser Mann sieht mich derweil abwartend an. Wahrscheinlich hofft er auf irgendeine Reaktion von mir. Sicher hat er erwartet, dass ich ihm vor Rührung um den Hals falle und ihn abknutsche oder wenigstens in Ohnmacht falle oder so.

Ich reiße mich zusammen und hauche ein überwältigtes, aber in seinen Ohren sicherlich banal klingendes »Oh«. Mehr fällt mir im Moment wirklich nicht ein. Ich fühle selber, dass es der Situation unangemessen ist. Ich sollte euphorisch reagieren, vor Freude heulen oder wenigstens schluchzen, aber ich kann nicht. Ich bin wie in Watte gepackt.

Etwas enttäuscht gibt Lukas sich mit diesem »Oh«/ zufrieden. Er steckt das leere Schächtelchen in die linke Hosentasche und zaubert aus der rechten ein identisches Schächtelchen hervor. Als er es mit immer noch zitternden Fingern öffnet, glitzert darin ein Silberring, der meinem wie ein Zwilling gleicht, sieht man mal davon ab, dass er um etliche Millimeter größer ist, denn mein nunmehriger Verlobter ist ein kräftiger Straßenbauer und besitzt im Gegensatz zu mir fast schon Pranken. Lukas streckt mir Schächtelchen samt linkem Ringfinger entgegen.

»Du darfst schon mal üben, Julia ... für den Ehering später. Und natürlich sind deiner und meiner dann aus Gold und wenn du immer schön folgst sogar mit kleinen Edelsteinen drauf.«

Meine Hände zittern ebenso sehr wie seine, aber irgendwie schaffe ich es.

Ungläubig starre ich auf meinen Verlobungsring.

»Aber wir kennen uns doch kaum sieben Monate«, entfährt es mir.

»Was soll das denn heißen, Schatz?«, lacht Lukas mich an. »Willst du jetzt einen Rückzieher machen?«

»Nein. Aber ...«

Er küsst mich so überaus behutsam, als bestünde ich aus Seidenpapier.

»Nichts aber. Ich weiß seit Monaten, dass du die einzige Frau bist, die ich will. Und ich möchte dich nicht nur zwei-, dreimal die Woche besuchen und danach wieder in meine trostlose, einsame Wohnung trotten. Nein, ich möchte mit dir zusammenleben, dich immer bei mir haben. Neben dir einschlafen und neben dir aufwachen. Mit dir frühstücken und mittagessen und ... na ja, eben alles.«

Hilflos blickt er mich an.

»Reicht das?«

Ja, das reicht. Mein Herz schmilzt dahin. Schön hat er das gesagt. Wenn ich ihm nicht eben schon mein Ja geschenkt hätte, spätestens jetzt würde ich es tun.

»Ich liebe dich«, flüstere ich.

»Ich weiß.«

Oh, jetzt spielt er wieder den Coolen. Eigentlich hatte ich ein »Ich liebe dich auch« erwartet. Trotzdem lächle ich in mich hinein. Natürlich wollte er mich damit aus der Fassung bringen. Pure Absicht. Trotz unserer verhältnismäßig kurzen erlebten Zweisamkeit kenne ich ihn inzwischen ganz gut. Wir necken uns ziemlich oft, streiten sogar manchmal, versöhnen uns aber immer rasch wieder. Und genau das macht unsere Beziehung so abwechslungsreich und schön, dass ich mir sicher bin, sie wird ein ganzes Leben lang halten. Eine Scheidung kommt für mich nicht infrage. Wenn ich schon heirate, dann für immer. Meine Schwestern denken genauso.

»Nach nur sieben Monaten einen Heiratsantrag. Mannomann, du machst ja Sachen«, necke ich ihn meinerseits.

Er nickt. In seinen Augen blitzt der Schalk. Unsere Lippen treffen sich. Wir küssen uns heiß und inniglich. Dennoch machen wir keine Liebe. Durch Hitze und Schwüle sind unsere Körper viel zu ausgelaugt dafür. Das erinnert mich an Flüssigkeitsmangel und reichliches Trinken.

»Ich hole uns eine Flasche Sekt«, rufe ich. »Ein Heiratsantrag, das muss gefeiert werden.«

Ich springe auf und stürme in die Küche, greife in den Kühlschrank. Und richtig, da steht noch eine, übriggeblieben von der letzten Fete. Wenig später bin ich mit ihr in der Hand bei Lukas zurück und halte sie ihm hin.

»Aufmachen, Herr Gatte in spe. Ich hole zwei Gläser.«

Lukas macht sich über den Verschluss her. Ich öffne eine Schranktür, hebe die Arme und stocke.

»Nein«, rufe ich ihm zu. »Lass sie zu. Du musst gleich fahren. Alkohol bei der Hitze, und wenn es auch nur ein-zwei Gläschen sind, das geht nicht gut aus.«

»Wieso muss ich noch fahren, Schatz?«, lacht er mich an. »Ich wüsste nicht wohin.« Trotzdem lässt er die Finger folgsam vom Verschluss.

»Du bist doch mit dem Auto da?«

»Aber natürlich«, lacht er wiederum. »Ich trotte zwar hin und wieder ganz gerne mal ein Stück durch die Gegend, aber fünf Kilometer bei der Hitze nicht. Das Auto steht draußen bereit. Aber weshalb soll ich fahren? Und warum?«

»Weshalb, fragst du? Himmel, du hast mir eben einen Heiratsantrag gemacht! Das müssen Sophie und Anne erfahren, und zwar sofort. Vielleicht ziehen wir nun schon Anfang nächsten Jahres unsere geplante Drillingshochzeit durch. Begreifst du das?«

Lukas nickt zwar, blickt dabei aber auffordernd zu meinem Smartphone auf dem Beistelltisch links neben uns.

Ich hole tief Luft und seufze laut.

»Gut. Also weiter im Text. Ich möchte die überraschten Mienen meiner Schwestern in echt sehen. Ein kleines Abbild ihrer Köpfe auf dem Minibildschirm des Smartphons ist mir zu wenig. Das reicht nicht aus. Außerdem möchte ich von ihnen umfasst und vor Freude im Kreis im Zimmer herumgewirbelt werden. Begreifst du das auch?«

»Äh ...« Gespielt nachdenklich schaut er mich an. Dann sagt er: »Ja, selbstverständlich tue ich das«, schüttelt jedoch unübersehbar den Kopf dabei.

»Witzbold!«

Ich schnappe mir die Sektflasche und bringe sie zurück in den Kühlschrank.

»Bei andrer Gelegenheit mal«, murmle ich ihr zu. »Ich vergesse dich nicht. Versprochen.« Schließlich steht ja meine Verlobungsfeier mit Lukas noch aus, aus der heute leider nichts wird.

Dann gehe ich ins Bad, mache mich frisch und ziehe mich um. Das neue Kleid ist ebenso dünn, luftig und kurz wie das alte. Ein paar Sandalen noch, Handtasche, fertig.

Lukas sieht mich wohlwollend an. Vor allem meine langen, nackten Beine haben es ihm angetan.

»Abfahrbereit, Julia?«

»Abfahrbereit.«

»Dann hinein in Sonnenglut und schmelzenden Asphalt«, ruft er und geht voraus. »Stellen wir uns Feinstaub, Hitze und Smog. Wohin zuerst? Zu Sophie, ja? Das ist der kürzere Weg.«

»Ja. Ist gut so«, sage ich abwesend, denn ich bin in Gedanken schon bei der geplanten Überraschung. Wie bringe ich Anne und Sophie die frohe Botschaft so bei, dass sie die Mäuler am weitesten vor Staunen aufsperren? Egal, mir wird unterwegs schon was Passendes einfallen. Es ist ein ziemliches Stück Wegs, auch mit dem Auto, da bleibt genug Bedenkzeit.

Im Treppenhaus wird es mit jeder Etage tiefer angenehmer und kühler. Am liebsten möchte ich hier bleiben und Lukas bitten, unsere Matratzen und Bettlaken herunter ins Treppenhaus zu holen oder noch besser in den Keller. Draußen jedoch – puh! Da schlägt uns Backofenglut entgegen. Nichts wie ins Auto und den Fahrtwind genossen. Da gilt es, keine Sekunde zu verlieren. Ich eile zum Parkplatz vor unserem Haus.

Mein superkluger Gatte in spe hat seinen Wagen in der glühenden Sonne geparkt, fernab von den schattenspendenden Bäumen am Rand. Noch bevor er losfährt und ein kühlender Luftzug durch das geöffnete Seitenfenster mich streift, bricht mir der Schweiß aus allen Poren. Nach wenigen Sekunden schon klebe ich am schwarzen Lederbezug des Rücksitzes fest. Sobald wir bei Sophie sind, muss ich schleunigst in ihr Bad, mich frisch machen. Ein Ersatzkleid hätte ich besser auch mitgenommen. Das hier kann man bestimmt jetzt schon auswringen. Hochsommer sind ja so was von peinlich. Ich seufze vor innerer Qual.

»Was ist nun schon wieder?«, fragt Lukas.

»Nichts«, maule ich. »Fahr einfach weiter.«

Etwa eine Stunde Fahrzeit, dann müssten wir da sein. Sofern wir unterwegs nicht an doch irgendwo geschmolzenem Asphalt festkleben.

Egal. Es wird schon nichts passieren. Die Straßen sind frei. Es gibt keinen Stau. Der Asphalt vor uns ist zwar etwas klebrig, aber hält noch einigermaßen der Sonnenglut stand. Lediglich das Hitzeflimmern stört.

Lukas hat mir in aller Form einen Heiratsantrag gemacht, wenn auch in einer umständlichen, stockenden und stotternden Art. Ich bin die glücklichste Frau heute auf diesem Planeten, und ich denke, das bleibt für immer so.

 

ZWEI

Die Landschaft saust an uns vorüber. Der Ausblick voraus sowie nach links und rechts ist phänomenal und der Fahrtwind herrlich frisch. Hoffentlich hole ich mir keine Erkältung durch die Zugluft. Ein steifer Nacken ist nicht schön. Eine Bindehautentzündung auch nicht. Aber das ist mir im Moment egal. Die Erinnerung an Lukas’ Antrag überstrahlt jede Sorge, jedes Bedenken. Und außerdem – was sollen denn all die heißen Bräute sagen, die in ihren eigenen oder den Cabrios ihrer Verehrer überall im Lande mit offenem Verdeck dahinsausen? Also hab dich nicht so, Julia, weise ich mich an. Diesen Tag kann nichts toppen. Du bist verlobt.

Ich lehne mich an Lukas, soweit es der Gurt hergibt, und genieße die Fahrt.

Eine Stunde kann mitunter ganz schön lang werden. Jedenfalls wenn man wie ich gerade nichts weiter zu tun hat. Nur auf die Landschaft starren, wird allmählich öde, und die Minuten schleichen dahin.

Einmal mehr schaue ich ungeduldig auf die Uhr. In einer halben Stunde müssten wir bei Sophie sein. Gerade mal die halbe Zeit geschafft! Dann durchzuckt mich ein jäher Schreck. Hatte Sophie Anfang dieser Woche nicht Frühschicht. Und danach die obligatorischen drei freien Tage? Wann genau waren die? Ich rechne nach.

»Halt an!«, schreie ich bestürzt.

»Das geht mitten im Verkehr schlecht, verehrte werdende Braut«, brummt Lukas.

Er tritt nach wie vor aufs Gas und fährt geradeaus, mustert mich aber mit einem argwöhnischen Seitenblick.

»Warum übrigens?«

»Weil Sophie heute Spätschicht hat«, rufe ich. »Du weißt doch: rollende Woche. Vier Frühschichten – drei Tage frei – vier Spätschichten – drei Tage frei – vier Nachtschichten – drei Tage frei – und dann wieder alles von vorn. Deshalb. Wir müssen erst zu Anne. Oder willst du fast sieben Stunden auf der Treppe vor Sophies Wohnung auf sie warten? Vor halb elf heute Abend ist sie nicht daheim.«

»Na toll«, brummt Lukas. »Komische Idee von deinem Schwesterherz, sonntags zu arbeiten und dann noch bis in die Nacht hinein. Na ja, wer’s braucht. Also die ganze Strecke wieder retour. Schade um die Zeit und ums Benzin.«

Er mustert mich noch einmal und spitzt anschließend schelmisch die Lippen.

»Ganz schön durcheinander, Liebes. Was ist dir denn heute so überaus Ungewöhnliches passiert, dass es mit dem Denken nicht mehr so richtig klappt?«

»Hähä«, mache ich. Mehr fällt mir auch dazu nicht ein. Sonst bin ich schlagfertiger. So ein Fehler hätte mir eigentlich nicht passieren dürfen. Wie peinlich. Und Lukas feixt auch noch in sich hinein. Ich sehe es deutlich durch einen Seitenblick, den zur Abwechslung jetzt einmal ich ihm zuwerfe. Mann, bin ich frustriert.

Immerhin biegt Lukas gehorsam bei der nächsten Gelegenheit links ab.

»Fällt dir übrigens reichlich früh ein«, gibt er noch eins drauf. Und ergänzt, als wüsste ich das alles nicht selber:

»Jetzt müssen wir die ganze Strecke zurück. Sophie wohnt nordöstlich von uns, Anne hingegen südwestlich. Warum eigentlich?«

»Nun, weil ... Ich habe an alles Mögliche gedacht«, antworte ich zerknirscht, »also an Sophies überraschtes Gesicht, wenn sie von deinem Antrag hört, aber nicht an –«

»Nein, mit meiner Frage meinte ich nicht, warum es dir so spät eingefallen ist«, unterbricht Lukas mich mitten im Wort. »Ich wollte vielmehr wissen, warum ihr so weit auseinander wohnt, das heißt, überhaupt getrennt voneinander lebt. Ich habe als Junge mal im Fernsehen einen Bericht über eineiige Zwillingsschwestern gesehen. Die sahen absolut gleich aus, hatten die gleichen Sachen an, die gleiche Frisur, hatten den gleichen Beruf und gleiche Interessen, haben doch tatsächlich eineiige männliche Zwillinge geheiratet, die ebenfalls absolut gleich aussahen, die gleichen Sachen und die gleiche Frisur trugen, und haben mit diesen zusammen im selben Haus gewohnt und – jetzt kommt’s – die Wohnungen der beiden Paare waren absolut identisch eingerichtet. Alle Möbel waren gleich, der ganze Zierrat war gleich, alles stand am gleichen Platz, die eine mit ihrem Mann im Erdgeschoss, die andere im Obergeschoss.

Dann gab es noch einen Fall, wo man zwei eineiige Zwillingsmädchen als Babys getrennt hatte, sie wussten jahrzehntelang nichts voneinander, die eine lebte in Deutschland, die andere in einem anderen Land, welches, weiß ich nicht mehr, und erst als sie Mitte dreißig oder vierzig waren, erfuhren sie voneinander, und was stellte sich heraus: Sie sahen absolut identisch aus, hatten die gleichen Frisuren, besaßen den gleichen Geschmack und die gleichen Interessen, hatten den gleichen Beruf gewählt und im gleichen Jahr und Monat geheiratet sowie später im gleichen Jahr und Monat jeweils ein Kind bekommen, und diese beiden Kinder waren sogar vom selben Geschlecht, wenn ich mich recht erinnere, ich weiß aber nicht mehr, ob Jungs oder Mädchen.

Ich verstehe nicht, weshalb Anne, Sophie und du so verschiedene Interessen und andere Berufe habt, obwohl ihr doch in ständigem Kontakt zueinander steht und sogar zusammen aufgewachsen seid.«

»Weil wir eben keine eineiigen Drillinge sind, sondern dreieiige«, erkläre ich gereizt. »Wir sind keine Abziehbilder voreinander, sondern eigenständige Wesen mit eigenen Ansichten, Wünschen und Träumen. Und eine jede von uns kann verdammt noch mal wohnen, wo sie will, und arbeiten, was sie will. Du hast uns nicht das Geringste vorzuschreiben. Anne, Sophie und ich können tun und lassen, mögen und hassen, was und wen wir wollen, und brauchen deine Erlaubnis dazu nicht!«

»Julia, Liebes, so hatte ich das doch nicht gemeint«, sagt Lukas hastig. »Ich wollte lediglich wissen, warum –«

»Fahr einfach weiter und halt den Mund, ja!«, fauche ich ihn an.

Ich spüre selber, dass ich ungerecht bin und überreagiere. Aber ich kann nicht anders, zu viel stürzte heute auf mich ein. Das heißt, im Grunde genommen nur eine Sache: meine baldige Heirat. Damit muss man erst mal umgehen können. Ich bin wohl doch nicht so reif, wie ich glaubte. Diese Erkenntnis macht mich noch grantiger, als ich im Augenblick ohnehin bin.

Und dann gibt es noch den wahren Grund für meinen Wutausbruch, der ganz hinten in meinem Bewusstsein für eine Hundertstelsekunde aufblitzt und den ich flugs verdränge.

Ich sehne mich nämlich tatsächlich danach, mit Anne und Sophie so eng wie eineiige Drillinge verbunden zu sein. Ich möchte die gleichen Interessen mit ihnen haben und all meine Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte mit ihnen teilen. Ich träume davon, sie immer an meiner Seite zu haben, mit ihnen unter einem Dach zu leben. Und jetzt wohnen Anne, Sophie und ich zwar im selben Bundesland, aber Autostunden voneinander entfernt.

Ich arbeite schon fast drei Jahre daran, mich von Anne und Sophie abzunabeln, mein eigenes Leben zu leben und all meine Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte nach einem gemeinsamen Leben mit ihnen rigoros auszumerzen, aber richtig gelungen ist es mir doch nicht, sonst würde ich nicht so reagieren. Lukas hat, ohne es zu wollen oder auch nur zu ahnen, meinen wunden Punkt getroffen, und das verzeihe ich ihm nicht so leicht. Nicht einmal heute, an diesem besonderen Tag.

Himmel, wie gerne möchte ich mit Anne und Sophie unter einem Dach leben. In einem riesengroßen Haus, auf einem riesengroßen Grundstück. Ich, Lukas, Anne und Sophie samt ihren Verlobten Daniel und Fridolin und natürlich nicht zu vergessen meine und Annes und Sophies dereinstige Kinderschar. Eine richtige Großfamilie halt, die alles zusammen macht, gemeinsam in den Urlaub fährt und so.

Als Kinder und sogar noch als Jugendliche waren wir unzertrennlich. Wir spielten die gleichen Spiele. Wir lasen die gleichen Bücher. Wir hörten die gleiche Musik. Alles gemeinsam, versteht sich. Wir besaßen zwar jede ab dem achten Lebensjahr ein eigenes Kinderzimmer, hockten aber stets nur in einem davon beieinander. Nur schlafen taten wir getrennt, weil unsere Eltern es so wollten, die damals noch lebten. Wir gingen gemeinsam ins Kino. Wir gingen gemeinsam ins Schwimmbad. Wir gingen gemeinsam tanzen. Keine von uns dreien unternahm etwas ohne die beiden anderen. Und dann wollte auf einmal die eine diesen Beruf lernen und die andere jenen. Der eine Ausbildungsort war da und der andere dort. Mit den Arbeitsplätzen war es dasselbe. Und so hat es uns halt auseinandergerissen. Wie gerne würde ich das rückgängig machen. Aber so, wie es derzeit ausschaut, kann ich mir das wohl abschminken. Das Leben hat anscheinend anderes mit uns Drillingsschwestern vor. Man bekommt nicht immer das, was man will. Vor allem dann nicht, wenn man wie ich nicht sagt, was man will, weil man Angst hat, wegen seiner Vorstellungen belächelt, ausgelacht oder abgewiesen zu werden.

Eine Viertelstunde vergeht. Ich schaue die ganze Zeit über demonstrativ von Lukas weg, beobachte ihn aber hin und wieder heimlich aus dem Augenwinkel. Er hat die Lippen zusammengekniffen und schweigt. Und dabei hat der Tag so schön angefangen.

Nachdenklich lasse ich unseren Streit Revue passieren. Irgendwie tut mir Lukas leid. Aber einlenken werde ich trotzdem nicht. Habe ich mit dem Mist angefangen oder er? Na also! Die gleichen Interessen und Berufe! Haha. Wie denn? Soll ich etwa wie Sophie rollende Woche machen? Schönen Dank auch. Ich brauche weder Einschlaf- noch Durchschlafprobleme noch drohende Depressionen, weil sich Bekannte und Freunde von einem abwenden, da man tagsüber oft keine Zeit mehr für sie hat und stattdessen schlafen muss. Und das bloß wegen ein paar freien Tagen mehr im Monat und ein bisschen mehr Geld im Portmonee. Und oft sonnabends und sonntags bis in die Nacht hinein oder sogar die Nacht durch arbeiten müssen, das kommt für mich auch nicht infrage. Wenn schon, dann hört Sophie bitteschön mit ihrer rollenden Woche auf und zieht zu mir in die Nähe – nur damit das klar ist. Natürlich wird sie es kaum tun. Und ich werde sie niemals darum bitten. Zwischenschwesterliche Beziehungen sind schon kompliziert.

Die Fahrt in eisigem Schweigen geht weiter. Sind wir denn immer noch nicht da? Diesen Tag, einen Sonntag auch noch, hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Ich fühle mich schlecht, wie seit langem nicht mehr.

 

DREI

Anne und ihr Verlobter Daniel leben in einem hässlichen Wohnklotz mitten in der Stadt, Hochhaus genannt. Dritter Eingang von links, achtzehnte Etage. Ich hoffe inständig, der Fahrstuhl ist nicht kaputt. Das würde gerade noch fehlen.

Lukas und ich haben immer noch kein Wort gewechselt. Er geht an meiner Seite zur Eingangstür, aber mehr wie ein Fremder. Niemand, der uns so sähe, würde uns für ein Paar halten. Und dabei würde ich ihn so gerne in die Arme nehmen und küssen. Die letzte Viertelstunde Fahrt hat meine Wut auf ihn merklich gedämpft. Aber das erste Wort sage ich trotzdem nicht. Das Leben ist schon kompliziert. Julia Wippert spielt die gekränkte Leberwurst. Aber ich kann nicht raus aus meiner Haut. So bin ich halt. Da muss ich durch und Lukas auch. Niemand ist perfekt. Nicht einmal eine Julia Wippert.

Wir sind da. Ich orientiere mich auf der beleuchteten Klingelplatte nach Annes und Daniels Namensschild und drücke viermal hintereinander wild drauflos.

»Hallo, Julia. Hallo, Lukas«, dringt es zirka fünfzehn Sekunden später aus dem Lautsprecher, während zeitgleich der Türöffner summt. »Kommt rein, wenn ihr schon mal da seid.«

Annes Stimme klingt mürrisch und ihre Worte wenig begeistert. Was ist da wieder los? Haben neuerdings auch sie und Daniel Streit? Sonst herrschte doch steter Sonnenschein zwischen ihnen. Ich verstehe gar nichts mehr. Lukas schaut ebenfalls verwirrt drein. Na ja, wir werden gleich erfahren, was los ist, wenn wir erst einmal oben sind. Und hoffentlich ist der Fahrstuhl wirklich nicht kaputt. Am liebsten würde ich mich zu Boden werfen und ein Flehgebet nach dem anderen ausstoßen, dass er intakt ist, und das, obwohl ich überhaupt nicht gläubig bin. 18. Etage? Was ist den beiden bloß eingefallen, sich so weit droben eine Bleibe zu suchen. Ideen haben manche Leute, also wirklich. Das könnte mir nicht passieren.

Das alles schießt mir in den wenigen Sekunden durch den Kopf, während derer ich mich von der Klingelplatte abwende. Diese ist Teil einer Video-Türgegensprechanlage mit kleinem Farbmonitor am oberen Rand des abnehmbaren Hörers in Annes Flur. Anne konnte uns auf diesem vor dem Eingang stehen sehen und ersparte mir dadurch, den Mund aufmachen zu müssen.

Ich drücke die Tür auf und trete ein. Lukas folgt mir auf dem Fuße, ebenfalls noch eisern schweigend.

Mal sehen, wer länger durchhält, denke ich.

Der Fahrstuhl steht bereit. Ich öffne ihn per Knopfdruck und schiebe mich vor Lukas in die Kabine. Wäre er außer Betrieb, würde ich auf jeden Fall Lukas den Vortritt die vielen Treppen hinauf geben. Dass er mir nach dem Streit auch noch unter den allzu kurzen Rock gucken könnte – also nicht mit mir.

Ich drücke auf »18. Etage«, und die Tür schließt sich. Glück gehabt. Sieht ganz danach aus, als sei er nicht kaputt. Ich atme auf. Andererseits kann er natürlich unterwegs noch irgendwo steckenbleiben. Wenn ich etwas nicht über den Weg traue, dann Fahrstühlen. Passiert ist mir mit denen zwar noch nichts. Aber in den Fernsehfilmen sieht man ja so allerhand.

Oben angekommen, treten wir auf den Gang vor Annes Wohnungstür hinaus. Diese ist noch fest geschlossen. Nicht der kleinste Spalt lädt uns ein. Im Spion jedoch erkenne ich deutlich Annes spähendes Auge.

Ich drücke auf die Wohnungsklingel und rufe:

»Mach endlich auf, Herrgott. Wir sind’s. Das weißt du doch. Du hast uns doch draußen stehen sehen.«

Ein Schloss knackt, zweimal wird der Schlüssel herumgedreht, wir hören es deutlich. Das Schaben eines schweren Riegels folgt.

Lukas und ich sehen uns an. Was ist das denn nun wieder?