Hurenball - David Gray - E-Book

Hurenball E-Book

David Gray

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Beschreibung

Der zweite Band der Krimi-Reihe Mordkommission Leipzig von David Gray. Wem kannst du noch trauen, wenn du keinem mehr trauen darfst? Hurenball – Das blutige Ende eines Flirts. In Leipzig wird die grausam ermordete Leiche des Callgirls Sophia gefunden. Erst wenige Stunden vor ihrem Tod hatte sie Moko-Kommissar Hubertus Knabe kontaktiert, doch der hatte ihren Hilferuf übersehen. Von Schuldgefühlen geplagt, setzt er alles daran, den Mörder zu überführen. Obwohl er bei den Ermittlungen auf dunkle Geheimnisse und zwielichtige Gestalten stößt, hat jeder Befragte ein lupenreines Alibi. Ausgerechnet in der düsteren Bikerszene der Stadt wendet sich das Blatt. Wusste Sophia zu viel über die kriminellen Geschäfte der Biker und musste deshalb sterben? Band 2 der Moko Leipzig: Hurenball Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme. Band 1: Rampensau von Marcus Hünnebeck Band 3: Straßenköter von Stefan B. Meyer Band 4: Mitgift von Kirsten Wendt

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Table of Contents

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Über das Buch

Impressum

1

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Moko Leipzig

David Gray

 

 

Hurenball

 

 

 

 

Mordkommission Leipzig Band 2

 

 

 

 

 

 

 

Kriminalroman

TitelseiteÜber den AutorÜber das BuchImpressum

12 34 567 8 91011

Moko Leipzig

Über den Autor

 

David Gray, geboren 1973 in Leipzig, schreibt auch als Ulf Torreck. Er hat nach dem Abbruch eines Jurastudiums in Leipzig eine Ausbildung zum Drehbuchautor absolviert und anschließend als Script Doctor sowie als Filmkritiker für verschiedene Lokalzeitungen gearbeitet. In diese Zeit fielen längere Auslandsaufenthalte in Frankreich, Irland, Großbritannien und Nepal.

Unter dem Pseudonym David Gray veröffentlichte er ab Mai 2011 mehrere Romane und eine Shortstoryanthologie.

 

Über das Buch

 

Wem kannst du noch trauen, wenn du keinem mehr trauen darfst?

Hurenball - Das blutige Ende eines Flirts.

In Leipzig wird die grausam ermordete Leiche des Callgirls Sophia gefunden. Erst wenige Stunden vor ihrem Tod hatte sie Moko-Kommissar Hubertus Knabe kontaktiert, doch der hatte ihren Hilferuf übersehen.

Von Schuldgefühlen geplagt, setzt er alles daran, den Mörder zu überführen. Obwohl er bei den Ermittlungen auf dunkle Geheimnisse und zwielichtige Gestalten stößt, hat jeder Befragte ein lupenreines Alibi.

Ausgerechnet in der düsteren Bikerszene der Stadt wendet sich das Blatt. Wusste Sophia zu viel über die kriminellen Geschäfte der Biker und musste deshalb sterben?

 

Band 2 der Moko Leipzig: ›Hurenball‹

 

Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme.

Band 1: ›Rampensau‹ von Marcus Hünnebeck

 

Band 3: ›Straßenköter‹ von Stefan B. Meyer

 

Band 4: ›Mitgift‹ von Kirsten Wendt

 

Impressum

Hurenball - Mordkommission Leipzig Band 2

© 2018 David Gray

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage, April 2018

 

Covergestaltung: Daniel Morawek und David Gray

unter Verwendung von einem Bild von Agentur Dreamstime

 

 

 

Lektorat: Elia van Scirouvsky

Korrektorat: Kirsten Wendt

 

 

 

Herausgeber:

David Gray

c/o Ulf Torreck

Parkstr. 21

04420 Markranstädt

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren zulässig.

 

Alle in diesem Roman geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

1

 

 

 

 

 

Der alte Mann schob seine faltigen Hände hinter die glatte Metzgerschürze und wartete darauf, dass man ihm eine Zigarette ansteckte und zwischen die dünnen Lippen schob.

Sein Name war Wolf Niedert, und er war knapp achtundsiebzig. Vor drei Stunden hatte er ganz allein mit Hilfe eines Bolzenschussgeräts und einer Sammlung scharfer Messer eine Sau getötet und ausgenommen. Dass er sich seine Kippe nicht selbst ansteckte, lag daran, dass er fettige Finger hatte, aber das Fett nicht an seiner Kippe ertrug, weswegen Hubertus’ Bruder Marius seine Gummihandschuhe auszog, eine F6-Schachtel öffnete und dem alten Mann seine Kippe ansteckte, die er ihm dann zwischen die Lippen schob.

»Danke, Junge!«, sagte der Alte und entließ einen Schwall Zigarettenrauch, der sich mit dem dichten Dampf in dem niedrigen Schlachthaus mischte.

Hubertus nahm sich selbst eine Zigarette und zündete sie an. Auch er trug eine Gummischürze über seiner alten Jeans und dem karierten Hemd, das er heute Morgen gegen vier Uhr von seinem Bruder geborgt hatte. Er mochte diese Schlachtfeste, die zwei Mal im Jahr auf dem Hof seiner Eltern stattfanden und ihn an seine Kindheit hier draußen in dem winzigen Dorf vor den Toren Leipzigs erinnerten.

Was er an den Schlachtfesten nicht so sehr mochte, war der alte Mann mit der Kippe im Mund. Früher hatte der ihm Furcht eingeflößt. Jetzt regte dessen Überheblichkeit ihn auf. Obwohl er dennoch immer zugeben würde, dass Niederts Bratwürste und die Leberwurst, die hinter ihnen gerade in Büchsen abgefüllt wurde, Weltklasseformat hatten.

»Noch n Klaren, Wolf?«, fragte Hubertus’ Vater, aber schenkte dabei bereits vier Gläser voll, die er dann wortlos herumreichte. Wer in dieser Familie bei einem Schlachtfest den obligatorischen Schnaps verweigerte, hatte ein echtes Problem. Andererseits hatte Hubertus aber heute Morgen bereits vier Mal genau diese Problemlage vermieden und spürte inzwischen leichte Auswirkungen des Alkohols. Ich muss demnächst mal einen Kaffee nachfüllen, dachte er, während er den Korn kippte.

Die Knabes waren angesehen im Dorf. Jedenfalls in dem Teil, der vom ursprünglichen Dorf noch übrig war, seitdem sich zwei Reihenhaussiedlungen wie eine Zange um den alten Ortskern gelegt hatten, als ob die Architekten geplant hätten, diesen umzingeln und abwürgen zu wollen.

Inzwischen gab es im Ort deutlich mehr Fremde, die stolz auf ihre Doppelgaragen und die kurz gehaltenen Rasenstücke vorm Haus waren, als Ureinwohner. Jedes Jahr, bevor die Knabes den Mist ihrer dreihundert Kühe und fünfzehn Schweine aus dem Güllesilo hinaus auf die umliegenden Felder fuhren, tauchten mindestens zwei Polizeistreifen auf, die von irgendeinem Neudörfler gerufen worden waren, weil sie der entsetzliche Gestank auf die Barrikaden trieb. Dass die Streifen vom Revier Grünau jedes Jahr doch wieder ausrückten, um den Beschwerden der Neudörfler zu folgen, entsprach ihrer Art von Humor. Die wussten, dass Hubertus bei der Moko arbeitete und von dem Hof stammte.

Jedes Mal bekamen die Knabes zwar am Ende recht, doch der Kleinkrieg fand einfach kein Ende. Denn so oft, wie die Häuser in den beiden Siedlungen die Besitzer wechselten, tauchte jedes Jahr irgendein neues Arschloch auf, das es zwar für sein Geburtsrecht hielt, sich fette Steaks im Aldi-Markt zu kaufen, aber es nicht ertragen konnte, dass zu deren Produktion nun mal ein paar Zentner stinkender Mist und Gülle gehörten.

»Mensch Hubsi, was macht das organisierte Erbrechen in der großen, bösen Stadt?«, fragte Marius und grinste dabei den alten Niedert an. Marius wusste ziemlich genau, was das organisierte Verbrechen in Leipzig machte, weil er nämlich eifriger Bild-Zeitungsleser war und deren Reporter seit einiger Zeit jede kleine Prügelei zu einer Auseinandersetzung zwischen gegnerischen Bikergangs hochjubelten. Selbst die zwischen dem zwölfjährigen Gymnasialschüler und den beiden Realschulmädchen, die er an einer Bushaltestelle in der Innenstadt zu beklauen versucht hatte. Da lautete die betreffende Schlagzeile: »Der Gangsternachwuchs übt!«

»Das Verbrechen gewinnt. Immer. Was denn sonst, Marius?«, entgegnete Hubertus, zog an seiner Zigarette und wünschte sich, dass er seinem jüngeren Bruder, genauso wie früher, einfach eine Ohrfeige verpassen könnte.

Seine Mutter trat herein. Sie war im Vorraum zusammen mit Marius’ Frau Antje damit beschäftigt, Fleisch zu schneiden und in Pakete zu packen, die dann eingefroren werden sollten.

»Dein Handy hat so komisch vibriert und ist vom Tisch gefallen ...«, sagte sie und reichte ihm sein fast ladenneues iPhone. Hubertus hatte es gestern Abend aufgeladen, dann seine Nachrichten gecheckt, es ausgeschaltet und mit hierher genommen. Hatte er es denn danach wieder scharf gemacht? Hubertus konnte sich nicht daran erinnern. Doch als er es heute Morgen irgendwann auf dem Tisch im Vorraum ablegte, wirkte es noch so clean und schnieke, als sei es gerade vom Band in China gelaufen. Aber jetzt zierte es eine Spiderapp und war von einem dicken Fettfilm umhüllt. Hubertus fürchtete, dass es seinen Geist aufgegeben hätte.

»Legste es eben das nächste Mal nicht so dicht an den Tischrand, wenn das Ding sich bewegt ...«, kommentierte seine Mutter Hubertus’ saure Blicke. Mit ihrem Kopftuch, den Gummistiefeln und der Schürze sah sie aus wie eine dieser russischen Matrjoschkapuppen.

Hubertus wischte das Handy ab so gut es ging, um den Schaden beurteilen zu können. Immerhin funktionierte es noch. Und die Spiderapp ließ sich bestimmt auch reparieren, stellte er erleichtert fest.

Er hatte sechs Nachrichten und drei verpasste Anrufe. Vier der Nachrichten kamen von Sophia Brökel. Sophia war eine der attraktivsten Frauen, die er kannte. Er öffnete die SMS und las. Sophia bat darin um seine Hilfe. Sie tat es mit wenigen Worten, aber dafür mit jeweils ungefähr einem Dutzend Ausrufezeichen und einer vollen Zeile mit Scary Emojis. Die Nachricht war über zehn Stunden alt.

Wenn Sophia nicht eine der teuersten Escorts der Stadt gewesen wäre, hätte er sie längst zu einem Date zu überreden versucht. Aber Polizist und Hure, das ging nie länger als für eine kurze Affäre gut. Und sie beide wussten das. Weswegen es zwischen ihnen trotz eines heftigen Knisterns nie zu mehr gekommen war, als dass sie immer mal wieder ein paar Drinks zusammen genommen hatten. Und oft war da sogar Sophias Freundin und Kollegin Madeleine dabei gewesen. Für echte Dates hatte es bei ihnen also nie gereicht. Sophia hatte ihm auch nie irgendwelche Insiderinformation zukommen lassen und Hubertus war zu clever gewesen, sie je darum zu bitten. Doch immer, wenn sie sich irgendwo mal über den Weg liefen, war da wieder dieses verdammte Kribbeln in seinem Bauch gewesen.

»Ihr kommt doch alleine zurecht, oder?«, sagte er, band seine Schürze los, warf die Zigarette in den Ascher und verließ das Schlachthaus, um über den unter kaltem Nebel liegenden Hof zum Haus zu gehen und sich umzuziehen. Keiner stellte ihm Fragen. Keiner hielt ihn auf. Alle wussten, welche Art von Job er hatte, und dass der von einem Profi wie Hubertus eben zuweilen deutlich mehr verlangte, als nur die üblichen Bürostunden einzuhalten.

Es dauerte keine fünf Minuten bis Hubertus sich in der Lederkombi auf seine schwarze Triumph schwang und durchs Hoftor rollte.

 

 

 

 

 

 

2

 

 

 

 

 

Die schmale Straße, die durchs Dorf in Richtung Leipzig führte, war feucht und glatt. Außerdem waberte Nebel zwischen den Alleebäumen und auf den Feldern. Der Frühling ließ dieses Jahr wirklich auf sich warten.

Obwohl er nervös war, hielt Hubertus sich nahezu an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Was ihn nur noch nervöser machte. Er war sich sicher, dass Sophia keine Spielchen mit ihm trieb. Ihr Hilferuf war ernst gemeint gewesen. Und er lag inzwischen schon fast elf Stunden zurück.

Aber da vorn stand ein Streifenwagen. Vor dem Streifenwagen stand Schutzpolizeikommissar Henner Baumann und wackelte mit seiner Polizeikelle. Es war eine von den neueren Modellen, denn sie leuchtete deutlich sichtbar durch den Nebel, der hier draußen außerhalb des Dorfes allerdings weniger dicht war.

Hubertus bremste die Triumph ab und öffnete das Visier seines Helms. »Moin, ich hab’s eilig!«, sagte er und klappte das Visier wieder herunter. Baumann hatte gesehen, wer er war, und musste sich denken können, dass er ausgerechnet an einem Sonntagmorgen nicht zum Spaß so früh hier draußen unterwegs sein konnte.

Baumann stellte sich vor die Triumph und hinderte Hubertus daran weiterzufahren. Scheiße, dieses Arschloch muss ja vor lauter Langeweile hier draußen sein letztes bisschen Verstand verloren haben, dachte Hubertus genervt. Doch er schob sein Visier wieder hoch und sah Baumann wütend an.

»Henner! Ich hab’s eilig. Ich bin im Dienst!«, sagte er, stellte aber den Motor seiner Maschine ab.

»Du bist trotzdem zu schnell gefahren. Und Kollegen müssen sich genauso an die Regeln halten wie alle anderen. Wenn ich dich schon mal rausgefischt habe, kannste auch gleich ins Röhrchen blasen!«

»Wo doch bei euch heute Schlachtfest ist und das ja wohl nie ohne Klare und Bier abgeht ...«, sagte Henners Kollegin und trat hinter dem Schupokommissar hervor, um sich neben ihm aufzubauen. Sie schob dabei ihre Dienstmütze etwas zurück, sodass Hubertus sie erkannte. Corinna König, dachte er überrascht, was machte die denn hier? Sie stammte aus dem Dorf und war schon als kleines Mädchen immer mal wieder zwischen Knabes Kühen und Schweinen im Stall herumgekrochen und hatte heimlich seinen Bruder Marius angehimmelt. Dass sie zur Polizei gegangen war, hatte er gar nicht gewusst.

»Das Schlachtfest findet im Dorf statt. Aber ich fahre gerade aus dem Dorf heraus, Corinna. Weil ich nämlich einen dienstlichen Termin in Leipzig habe. An dem du mich gerade hinderst!«, sagte Hubertus, mit jedem Wort ein wenig lauter werdend.

Er erreichte damit jedoch das glatte Gegenteil dessen, was er gehofft hatte, denn Corinna zupfte ungerührt ein Röhrchen aus ihrer Tasche und hielt es Hubertus demonstrativ entgegen.

»Wir blasen jetzt in das Röhrchen, Herr Kriminalkommissar! Und dazu steigen wir von unserem Fahrzeug ab und sichern das am Fahrbahnrand!«

Mit locker vier Kurzen und etwa ebenso vielen Bierchen im Blutkreislauf war das jetzt der Moment, an dem Hubertus sich wohl für länger von seinem Führerschein verabschieden durfte. Und außerdem mit einem Disziplinarverfahren und mindestens vier Tagen Drogensensibilisierungsseminar zu rechnen hatte. Ganz zu schweigen von Maik Kellers bescheuerten ruhrpottgestählten Säuferwitzen, die er danach zweifellos auf Jahre hinaus zu ertragen haben würde.

»Wie du schon richtig erkannt hast, bin ich Kommissar, aber du bloß ne Obermeisterin. Und da ich außerdem im Dienst bin, kriegst du von mir zwar ein Bienchen für Fleiß, aber ansonsten ne rote Karte. Kapiert?«, sagte Hubertus, klappte das Visier herunter und ließ den Motor seiner Triumph wieder anspringen.

Baumann blieb eine kleine Ewigkeit genau da stehen, wo er stand: Nämlich vor Hubertus’ Vorderrad. Schließlich legte er jedoch den Zeigefinger an den Mützenschirm, schob Corinna beiseite und gab den Weg frei.

Mehr Glück als Verstand, hätte seine Mutter dazu gesagt, dachte Hubertus, während er den Motor aufdrehte und davonraste. Die kleine Digitalanzeige an seinem Motorrad zeigte an, dass es 6 Uhr 32 war.

 

 

 

 

 

 

3

 

 

 

 

 

Sophias Wohnung befand sich in bester Innenstadtlage am Beginn der Lampestraße, in Rufweite des Bundesverwaltungsgerichts und Polizeipräsidiums. Unter Polizisten, Justizangestellten, Kriminellen und Reportern war die Lampestraße als Anwaltsstrich bekannt, denn nirgendwo sonst in der Stadt drängten sich an einem Ort so viele Notare und Kanzleien umeinander wie hier.

Hubertus erinnerte sich, dass Sophia ihm in einer Hotelbar mal lächelnd gesagt hatte, dass sich die überteuerte Miete, die sie dort für ihre knapp einhundert Quadratmeterbude zahlte, schon deswegen lohnte, weil es so für den größten Teil ihrer Klienten nur ein paar Schritte von deren Büros bis in ihr Schlafzimmer waren.

Hubertus wusste, dass etwas nicht in Ordnung sein konnte, weil schon die Tür zum Haus nur angelehnt war, und als er durchs Treppenhaus mit all dem Stuck und der Jugendstilbemalung zu Sophias Wohnung im zweiten Stock hinaufstieg, verlor er jede Hoffnung darauf, dass das, was immer er dort vorfinden würde, diesen beschissenen Sonntagmorgen doch noch besser machen könnte.

Sophias Wohnungstür war ebenfalls nur angelehnt.

Die Einrichtung der Wohnung war eine Mischung aus Ikea und Erbstücken, die Sophia auf Flohmärkten und in Antiquitätengeschäften zusammengekauft haben musste. Ein paar alte Ölschinken, Marke: Röhrender Hirsch vor Winterlandschaft, hingen an den Wänden, wurden aber durch geschmackvoll ausgewählte Bilder von jungen Künstlern der Leipziger Künstlerschmiede HGB, die nur ein paar hundert Meter von hier entfernt lag, ironisch gebrochen.

Das Wohnzimmer kannte er, dort hatte er mit Sophia irgendwann im Sommer mal einen Cocktail getrunken, bevor beiden klar wurde, dass es aus verschiedenen, ziemlich nahe liegenden Gründen nicht klug wäre, von Cocktails im Wohnzimmer bei Witzen über Anwälte und Polizisten zu sexuellem Zweikampf ins Schlafzimmer überzuwechseln. Er erinnerte sich, was sie damals zum Abschied gesagt hatte: »Irgendwann hör ich mit der Hurerei auf und kauf mir ein hübsches Haus irgendwo vor der Stadt. Dann ruf ich dich an und wir holen das nach ...«

Was sie mit »das« gemeint hatte war offensichtlich gewesen. Selbst ohne dass sie dabei einen längeren Blick auf die Tür gegenüber geworfen hätte, hinter der ihr Schlafzimmer lag.

»Scheiße!«, sagte Hubertus jetzt leise zu sich selbst, steckte die Hände in die engen Taschen seiner Lederkombi und fürchtete sich mehr als je zuvor, das Schlafzimmer zu betreten, weil er inzwischen weder im Wohnzimmer, noch der Küche oder dem Bad eine Spur von Sophia gefunden hatte.

Das Bett hatte vier kräftige Pfosten und einen Himmel mit einer Art Girlande daran. Sophia lag auf einem Läufer, der aussah wie ein nasses, ungeschorenes Schaffell und trug einen schwarzen kurzen Morgenmantel aus dünner Seide. Solche Dinger waren beliebt. Denn er kannte mindestens drei andere Frauen, die ganz ähnliche Teile besaßen.

Sophias Augen waren zwar geschlossen, dafür hatte sie ihren Mund unnatürlich weit aufgerissen und ihre Hände zu Fäusten verkrallt. Es war übel genug, sich mit Gewaltopfern befassen zu müssen, die einem fremd waren. Doch Hubertus hatte sich immer vor dem Moment gefürchtet, in dem er die Leiche von irgendwem fand, den er gekannt hatte. Seine Furcht davor war angebracht gewesen, das stand fest. Denn Sophia hier in einer Lache bereits allmählich antrocknenden Blutes liegen zu sehen, machte ihn zornig und nahm ihm jegliche professionelle Distanz. Immerhin war er sicher, dass sie bereits tot gewesen war, als er auf dem Hof ihren Hilferuf gelesen hatte. So schnell trocknete Blut in einem Raum, der so kühl war wie dieser, nämlich nicht an. Und angesichts von Sophias Verletzungen und der Menge an Blut, die ausgetreten war, bestand keinerlei vernünftige Hoffnung auf irgendein Wunder mehr. Sie war tot. Sie war ermordet worden. Das war Fakt. Was außerdem Fakt war: Dass ihr Mörder oder ihre Mörderin nahezu blind vor Zorn und Hass gewesen sein musste, anders waren ihre so zahlreichen Verletzungen nicht zu erklären.

Hubertus spürte einen Brechreiz, wandte sich ab und lief aus dem Schlafzimmer hinaus zum Korridor, wo er sich an der Wand entlang auf den Boden gleiten ließ und dort ein paar Minuten schweigend saß, bis er endlich sein ramponiertes Handy aus der Jacke zog und den Anruf bei Starke machte.

Die volle halbe Stunde, die es dauerte, bis Maik Keller und Starke eintrafen, rührte er sich nicht mehr von der Stelle.

»Du siehst aber fertig aus ...«, sagte Nadja, die nur zwei Minuten nach Starke eintraf und aussah, als hätte man sie gerade vom Opernball weggeholt, weil sie ein langes rotes Kleid und High Heels trug.

Maik Keller zog sie von Hubertus weg, bevor der irgendetwas erwidern konnte. Die beiden flüsterten eine Minute zusammen, bis Starke aus dem Schlafzimmer trat und dabei weiße Latexhandschuhe aus seiner Jeansjacke fummelte und überstreifte.

»Maik, mach der Spurensicherung Dampf!«, befahl er. Dann wies er auf Hubertus. »Steh auf! Geh raus an die frische Luft. Rauch eine. Komm zurück, sobald du wieder klarer im Kopf bist.«

»Mir geht’s gut«, antwortete Hubertus und stand auf.

 

 

 

 

 

 

4

 

 

 

 

 

Die folgende Stunde funktionierte Hubertus einfach nur. Er war eine Maschine, sein Hirn war auf die Abläufe an einem Tatort und bei ersten Zeugenbefragungen gedrillt und mit der hübschen, vertrauenerweckenden Nadja an seiner Seite machten die Leute gern ihre Türen für sie auf. Zog er mit Maik Keller oder gar dem Boss Starke zu solchen Befragungen los, mussten sie schon hin und wieder bestimmter werden, um überhaupt angehört zu werden. Obwohl die Kriminalitätsrate stetig sank, waren die Menschen in den letzten Jahren immer misstrauischer geworden. Starke behauptete, die Medien seien schuld, weil überall in Fernsehen und den Zeitungen von Killern, Krieg und Mord berichtet wurde.

Was aber ihre heutigen Befragungen so frustrierend machte, war, dass sich in den Häusern hier meist Büros befanden, die jetzt am Wochenende nicht besetzt waren. Sodass sie die Hoffnung auf Tatzeugen eigentlich aufgeben konnten. Von den zwanzig Türen, an denen sie geklingelt hatten, öffneten sich nur ganze sechs, und obwohl sie eingelassen und angehört wurden, hatte keiner der Leute irgendetwas gesehen oder gehört.

In Sophias Wohnung waren die Spurensicherer in ihren weißen Ganzkörperkondomen gerade voll im Schwung. Hubertus trat in die Küche, die bereits freigegeben sein musste, denn Starke und Keller standen darin herum, hatten ein Fenster geöffnet und schauten sich Fotos aus Sophias Schlafzimmer auf ihren Smartphones an. Sie hatten Sophias Schränke geöffnet und dabei ihr Sexspielzeug gefunden. Da war neben bunten Dildos und Dessous auch einiges an SM-Zeugs dabei, das er Sophia nicht zugetraut hätte. Auf Hubertus hatte sie immer wie eine Frau gewirkt, die geradlinigen lockeren Sex mochte.

Starke schaute auf, wischte die Bilder weg und schob sein Handy in die Hosentasche.

»Da seid ihr ja ...«, sagte er.

»Hm«, antwortete Nadja.

»Gab nichts, Chef. Ist kein Palermo. Aber sind halt rundum hauptsächlich nur Büros, und da ist am Sonntag keiner da. Die reine Zeitverschwendung, dass wir überhaupt losgezogen sind und gefragt haben«, knurrte Hubertus und lehnte sich gegen Sophias schicke Kochinsel.

»Sie zählen zwar bei der Gerichtsmedizin noch mal nach. Aber bisher sind sie sicher, dass sie achtzehn Stichwunden hat. Oberkörper, Bauch, zwei an den Schenkeln und vier an Händen und Armen. Aber die sind relativ oberflächlich. Abwehrverletzungen, ihr wisst schon. Die Einstiche im Oberkörper haben Kraft erfordert und wirken eher fahrig, also nicht wirklich gezielt. Es könnte zwar auch eine Frau gewesen sein. Ich schlage vor, dass wir uns nach einem männlichen Täter umschauen. Liegt auch nahe bei ihrem Job. Frauen wird sie ja wohl nicht bedient haben, oder?«, erklärte Maik Keller.

Nadja wirkte erschrocken. Hubertus war nicht sicher worüber, ob über Kellers eher flapsige Erläuterungen oder darüber, dass Sophia derart viele Verletzungen aufwies. Hubertus wollte plötzlich nur noch hier heraus und sich irgendwo verkriechen, bis er wirklich begriffen hatte, was passiert war.

»Deutet auf Beziehungstat hin. Wut, Zorn, Enttäuschung und Eifersucht«, verkündete Nadja auffallend leise.

»Ja«, antwortete Hubertus.

Starke nickte, dann tauschte er einen längeren Blick mit Nadja aus und legte Sophias iPhone auf die Kücheninsel. Es war entsperrt und irgendwer hatte die Kontaktliste geöffnet. Sophia hatte die Kontakte nicht nach Namen sortiert, sondern ihnen Zifferncodes zugeteilt. Eine Vorsichtsmaßnahme, um ihre Klienten zu schützen. Was sie allerdings nicht verhindern konnte, war, dass die Vorwahlen und Telefonnummern trotzdem zuzuordnen waren. Und einem der verschlüsselten Kontakte war die Nummer von Hubertus’ Bruder Marius zugeordnet.

Starke wartete ab, bis er sicher war, dass Hubertus dies verarbeitet hatte. Dann sagte er: »Wir müssen ihn befragen. Das ist dir klar. Willst du dabei sein, oder lieber nicht?«

Wollte Hubertus das? Er war sich nicht sicher. Marius war verheiratet und er hatte zwei kleine Kinder. Verdammt, dachte Hubertus. Dann kam ihm eine Idee. Er schob Keller, der sich an Sophias Kühlschrank gelehnt hatte, beiseite und öffnete den. Der Kühlschrank war riesig. Fast zwei Meter hoch und einen vollen Meter breit. Hubertus riss eines der Fächer nach dem anderen auf, bis er in einem tatsächlich auf einige in Plastikbeutel verpackte Würste stieß.

»Seht ihr? Sie hat bei ihm hausschlachtene Wurst gekauft. Unsere Wurst ist legendär. Und ich habe ihr, glaube ich, irgendwann mal davon erzählt, dass Marius die Wurst auch verkauft. Schwarz natürlich. Aber von der Steuerfahndung sind wir ja nicht. Also lassen wir ihn einfach hier heraus, was?«

Nadja griff nach einer der Wurstbüchsen aus dem Kühlschrank, drehte sie einen Moment hin und her. »Also, das ist erst mal nur ein Indiz mehr dafür, dass dein Bruder und das Opfer sich gekannt haben.«