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Mit einer Novalis-Biographie von Ludwig Tieck. Mit einer Nachbemerkung des Herausgebers. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. »Hast auch du/ Ein menschliches Herz/ Dunkle Nacht?/ Was hältst du/ Unter deinem Mantel/ Das mir unsichtbar kräftig/ An die Seele geht?« – Die ›Hymnen an die Nacht‹ schrieb Novalis, nachdem seine Verlobte und sein Bruder im Abstand von nur wenigen Wochen gestorben waren. Doch trotz dieses doppelten Schicksalsschlags stimmt Novalis in seinen Hymnen kein Lamento an, sondern schöpft aus der Erfahrung des Todes und der Nacht einen neuen poetischen Ton, der die Romantik mitbegründete und in seiner Radikalität bis heute trägt.
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Seitenzahl: 72
Novalis
Hymnen an die Nacht
Herausgegeben von Hans Jürgen Balmes
Fischer e-books
Mit einer Novalis-Biographie von Ludwig Tieck.
Mit einer Nachbemerkung des Herausgebers.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
[In der Fassung der Handschrift]
Welcher Lebendige,
Sinnbegabte,
Liebt nicht vor allen
Wundererscheinungen
Des verbreiteten Raums um ihn
Das allerfreuliche Licht –
Mit seinen Strahlen und Wogen
Seinen Farben,
Seiner milden Allgegenwart
Im Tage.
Wie des Lebens
Innerste Seele
Atmet es die Riesenwelt
Der rastlosen Gestirne
Die in seinem blauen Meere schwimmen,
Atmet es der funkelnde Stein,
Die ruhige Pflanze
Und der Tiere
Vielgestaltete,
Immerbewegte Kraft –
Atmen es vielfarbige
Wolken u[nd] Lüfte
Und vor allen
Die herrlichen Fremdlinge
Mit den sinnvollen Augen
Dem schwebenden Gange
Und dem tönenden Munde.
Wie ein König
Der irdischen Natur
Ruft es jede Kraft
Zu zahllosen Verwandlungen
Und seine Gegenwart allein
Offenbart die Wunderherrlichkeit
Des irdischen Reichs.
Abwärts wend ich mich
Zu der heiligen, unaussprechlichen
Geheimnisvollen Nacht –
Fernab liegt die Welt,
Wie versenkt in eine tiefe Gruft
Wie wüst und einsam
Ihre Stelle!
Tiefe Wehmut
Weht in den Saiten der Brust
Fernen der Erinnerung
Wünsche der Jugend
Der Kindheit Träume
Des ganzen, langen Lebens
Kurze Freuden
Und vergebliche Hoffnungen
Kommen in grauen Kleidern
Wie Abendnebel
Nach der Sonne,
Untergang.
Fernab liegt die Welt
Mit ihren bunten Genüssen.
In andern Räumen
Schlug das Licht auf
Die lustigen Gezelte.
Sollt es nie wiederkommen
Zu seinen treuen Kindern,
Seinen Gärten
In sein herrliches Haus?
Doch was quillt
So kühl u[nd] erquicklich
So ahndungsvoll
Unterm Herzen
Und verschluckt
Der Wehmut weiche Luft,
Hast auch du
Ein menschliches Herz
Dunkle Macht?
Was hältst du
Unter deinem Mantel
Das mir unsichtbar kräftig
An die Seele geht?
Du scheinst nur furchtbar –
Köstlicher Balsam
Träuft aus deiner Hand
Aus dem Bündel Mohn
In süßer Trunkenheit
Entfaltest du die schweren Flügel des Gemüts.
Und schenkst uns Freuden
Dunkel und unaussprechlich
Heimlich, wie du selbst, bist
Freuden, die uns
Einen Himmel ahnden lassen.
Wie arm und kindisch
Dünkt mir das Licht,
Mit seinen bunten Dingen
Wie erfreulich und gesegnet
Des Tages Abschied.
Also nur darum
Weil die Nacht dir
Abwendig macht die Dienenden
Säetest du
In des Raums Weiten
Die leuchtenden Kugeln
Zu verkünden deine Allmacht
Deine Wiederkehr
In den Zeiten deiner Entfernung
Himmlischer als jene blitzenden Sterne
In jenen Weiten
Dünken uns die unendlichen Augen
Die die Nacht
In uns geöffnet.
Weiter sehn sie
Als die blässesten
Jener zahllosen Heere
Unbedürftig des Lichts
Durchschaun sie die Tiefen
Eines liebenden Gemüts,
Was einen höhern Raum
Mit unsäglicher Wollust füllt.
Preis der Weltkönigin,
Der hohen Verkündigerin
Heiliger Welt,
Der Pflegerin
Seliger Liebe
Du kommst, Geliebte –
Die Nacht, ist da –
Entzückt ist meine Seele –
Vorüber ist der irdische Tag
Und du bist wieder Mein.
Ich schaue dir ins tiefe dunkle Auge,
Sehe nichts als Lieb u[nd] Seligkeit.
Wir sinken auf der Nacht Altar
Aufs weiche Lager –
Die Hülle fällt
Und angezündet von dem warmen Druck
Entglüht des süßen Opfers
Reine Glut.
Muss immer der Morgen wiederkommen?
Endet nie des Irdischen Gewalt?
Unselige Geschäftigkeit verzehrt
den himmlischen Anflug der Nacht?
Wird nie der Liebe geheimes Opfer
Ewig brennen?
Zugemessen ward
Dem Lichte Seine Zeit
Und dem Wachen –
Aber zeitlos ist der Nacht Herrschaft,
Ewig ist die Dauer des Schlafs.
Heiliger Schlaf!
Beglücke zu selten nicht
Der Nacht Geweihte –
In diesem irdischen Tagwerk.
Nur die Toren verkennen dich
Und wissen von keinem Schlafe
Als den Schatten
Den du mitleidig auf uns wirfst
In jener Dämmrung
Der wahrhaften Nacht.
Sie fühlen dich nicht
In der goldnen Flut der Trauben
In des Mandelbaums
Wunderöl
Und dem braunen Safte des Mohns.
Sie wissen nicht
Dass du es bist
Der des zarten Mädchens
Busen umschwebt
Und zum Himmel den Schoß macht –
Ahnden nicht
Dass aus alten Geschichten
Du himmelöffnend entgegentrittst
Und den Schlüssel trägst
Zu den Wohnungen der Seligen,
Unendlicher Geheimnisse
Schweigender Bote.
Einst, da ich bittre Tränen vergoss –
Da in Schmerz aufgelöst meine Hoffnung zerrann
und ich einsam stand an dem dürren Hügel, der in engen
dunkeln Raum die Gestalt meines Lebens begrub, Einsam,
wie noch kein Einsamer war, von unsäglicher Angst ge-
trieben, Kraftlos, nur ein Gedanken des Elends noch, –
Wie ich da nach Hülfe umherschaute, Vorwärts nicht könnte
und rückwärts nicht – und am fliehenden, verlöschten Leben
mit unendlicher Sehnsucht hing – da kam aus blauen Fernen,
Von den Höhen meiner alten Seligkeit ein Dämmrungs Schauer –
Und mit einemmale riss das Band der Geburt, des
Lichtes Fessel – Hin floh die irdische Herrlichkeit und
meine Trauer mit ihr. Zusammen floss die Wehmut
in eine neue unergründliche Welt – Du Nachtbegei-
sterung, Schlummer des Himmels kamst über mich.
Die Gegend hob sich sacht empor – über der Gegend
schwebte mein entbundner neugeborner Geist. Zur Staubwolke
wurde der Hügel und durch die Wolke sah ich die
verklärten Züge der Geliebten – In Ihren Augen
ruhte die Ewigkeit – ich fasste ihre Hände und die
Tränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches
Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne,
wie Ungewitter – An ihrem Halse weint ich dem
neuen Leben entzückende Tränen. Das war der
Erste Traum in dir. Er zog vorüber aber sein Abglanz
blieb der ewige unerschütterliche Glaube an den
Nachthimmel und seine Sonne, die Geliebte.
4. Sehnsucht nach dem Tode. Er saugt an mir. 5. Xstus. Er hebt den Stein v[om] Grabe.
Nun weiß ich wenn der letzte Morgen sein wird – wenn
das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht, wenn
der Schlummer ewig und nur Ein unerschöpflicher Traum sein
wird. Himmlische Müdigkeit verlässt mich nun nicht wieder.
Weit und mühsam war der Weg zum heiligen Grabe und das
Kreuz war schwer. Wessen Mund einmal die kristallene
Woge netzte, die gemeinen Sinnen unsichtbar, quillt
in des Hügels dunkeln Schoße, an dessen Fuß die irdische
Flut bricht, wer oben stand auf diesem Grenzgebürge der Welt und
hinüber sah, in das neue Land, in der Nacht Wohnsitz,
Wahrlich der kehrt nicht in das Treiben der Welt zurück,
in das Land, wo das Licht regiert und
ewige Unruh haust. Oben baut er sich Hütten
Hütten des Friedens, sehnt sich und liebt, schaut hinüber,
bis die willkommenste aller Stunden hinunter ihn
In den Brunnen der Quelle zieht. Alles Irdische
schwimmt obenauf und wird von
der Höhe hinabgespült, aber was Heilig ward durch
Der Liebe Berührung rinnt aufgelößt in verborg-
nen Gängen auf das jenseitige Gebiet, wo es, wie
Wolken sich Mit entschlummerten Lieben mischt.
Noch weckst du,
Muntres Licht,
Den Müden zur Arbeit –
Flößest fröhliches Leben mir ein.
Aber du lockst mich
Von der Erinnerung
Moosigen Denkmal nicht.
Gern will ich
Die fleißigen Hände rühren
Überall umschauen
Wo du mich brauchst,
Rühmen deines Glanzes
Volle Pracht
Unverdrossen verfolgen
Den schönen Zusammenhang
Deines künstlichen Werks
Gern betrachten
Den sinnvollen Gang
Deiner gewaltigen
Leuchtenden Uhr,
Ergründen der Kräfte
Ebenmaß
Und die Regeln
Des Wunderspiels
Unzähliger Räume
Und ihrer Zeiten.
Aber getreu der Nacht
Bleibt mein geheimes Herz
Und ihrer Tochter
Der schaffenden Liebe.
Kannst du mir zeigen
Ein ewigtreues Herz?
Hat deine Sonne
Freundliche Augen
Die mich erkennen?
Fassen deine Sterne
Meine verlangende Hand?
Geben mir wieder
Den zärtlichen Druck?
Hast du mit Farben
Und leichten Umriss
Sie geschmückt?
Oder war Sie es
Die Deinem Schmuck
Höhere, liebere Bedeutung gab?
Welche Wollust,
Welchen Genuss
Bietet dein Leben
Die aufwögen
Des Todes Entzückungen.
Trägt nicht alles
Was uns begeistert
Die Farbe der Nacht –
Sie trägt dich mütterlich
Und ihr verdankst du
All deine Herrlichkeit.
Du verflögst
In dir selbst
In endlosen Raum
Zergingst du,
Wenn sie dich nicht hielte –
Dich nicht bände
Dass du warm würdest
Und flammend
Die Welt zeugtest.
Wahrlich ich war eh du warst,
Mit meinem Geschlecht
Schickte die Mutter mich
Zu bewohnen deine Welt
Und zu heiligen sie
Mit Liebe.
Zu geben
Menschlichen Sinn
Deinen Schöpfungen.
Noch reiften sie nicht
Diese göttlichen Gedanken.
Noch sind der Spuren
Unsrer Gegenwart
Wenig.
Einst zeigt deine Uhr
Das Ende der Zeit
Wenn du wirst,
Wie unser Einer
Und voll Sehnsucht
Auslöschest u[nd] stirbst.
In mir fühl ich
Der Geschäftigkeit Ende
Himmlische Freiheit,
Selige Rückkehr.
In wilden Schmerzen
Erkenn ich deine Entfernung
Von unsrer Heimat
Deinen Widerstand
Gegen den alten,
Herrlichen Himmel.
Umsonst ist deine Wut
Dein Toben.
Unverbrennlich
Steht das Kreuz,
Eine Siegesfahne
Unsres Geschlechts.
Hinüber wall ich
Und jede Pein
Wird einst ein Stachel
Der Wollust sein.
Noch wenig Zeiten
So bin ich los
Und liege trunken
Der Lieb im Schoß.
Unendliches Leben
Kommt über mich
Ich sehe von oben
Herunter auf Dich.
An jenem Hügel
Verlischt dein Glanz
Ein Schatten bringet
Den kühlen Kranz
O! sauge Geliebter
Gewaltig mich an,
Dass ich bald ewig
Entschlummern kann.