"Ich gewinne jeden Krieg!" - Michael C. Sedan - E-Book

"Ich gewinne jeden Krieg!" E-Book

Michael C. Sedan

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Beschreibung

Die bildhübsche Unternehmertochter Caro und ihr Ehemann Michael erleben eine traumhafte, unbeschwerte Zeit, genießen ihr Familienglück und jeder Wunsch geht in Erfüllung. »Das bleibt auch so! Wenn ihr immer das macht, was man von euch erwartet!« Mit der Zeit jedoch lernt Michael die dunklen Seiten des prächtigen goldenen Käfigs kennen. Trotz miesen Intrigen und Wortbrüchen wird er zum Geschäftsführer des Familienunternehmens ernannt und gleichzeitig in einen erbarmungslosen und menschenunwürdigen Krieg getrieben.

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Dieses Buch ist allen Menschen gewidmet, welche schwere

Schicksalsschläge erlebten, erleben oder nicht überlebt haben,

welche durch Unmenschen entfacht wurden.

+ + +

Dieses Buch ist allen Kindern gewidmet, welchen die Familie

grundlos und unmenschlich zerstört wurde.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Candle-light oder das beste Frühstück?

Kapitel 2: Generation of the Future!

Kapitel 3: Alkohol, Girls & Eisenlöffel

Kapitel 4: Traumzeiten!

Kapitel 5: Die 2. Generation

Kapitel 6: Schwarz weiß rot

Kapitel 7: Die 3. Generation oder die zweite 2.?

Kapitel 8: Die erste Betriebslüge

Kapitel 9: Wir sind glücklich!

Kapitel 10: Das ist deine Firma!

Kapitel 11: Die erste Thera - Olympiade

Kapitel 12: Ehrenmänner!

Kapitel 13: Traumhaus&Abenteuer

Kapitel 14: Das Leben in der Mittelgeneration

Kapitel 15: Vorwärts Kameraden! Wir müssen zurück.

Kapitel 16: »Hoffentlich bleiben sie dir im Halse stecken!«

Kapitel 17

Kapitel 18: Tsychoterror - zerstört garantiert!

Kapitel 19: »Uns geht es gut!«

Kapitel 20: Stürmische Zeiten

Kapitel 21: Der größte Erfolg

Kapitel 22: Die mahnende Christel

Kapitel 23: Die Geschäftsführer und die Kriegs-Führerin

Kapitel 24: Es war eine sehr schöne Zeit!

Kapitel 25: Neue Zeit, neues Denken

Kapitel 26: Unser Leben ist ein Fest!

Kapitel 27: Das Böse schleicht umher.

Kapitel 28: So lange sie bei mir ist!

Kapitel 29: Der Totale Tsychoterror

Kapitel 30: Das Attentat vom 17. Juni

Kapitel 1 Candle-light oder das beste Frühstück?

Schon von weitem strahlten ihre langen, blonden Haare. Ihre schlanken Beine steckten in einer schwarzen, hautengen Jeans. Ihr Blick war unnachahmlich frech. In einer kurzen, beigen Daunenjacke drehte sie an einem Lippenpflegeständer. Pflegestifte für Kinder, für Skifahrer, für Girls – ich glaube, für Senioren war auch einer dabei. »Welcher ist denn der Beste?«, fragte ich sie und bewegte den Ständer in die andere Richtung. Ihre himmelblauen Augen schauten mich zum ersten Mal an. Ich war wie gelähmt. Ein unschuldiger Wimpernschlag erwiderte meinen Blick. Sie lächelte kurz und ging weiter. Warum hatte ich ihr auch nur so eine bescheuerte Frage gestellt? Verlegen blätterte ich in dem Flyer, der oben auf dem Ständer mit »Gewinnen Sie eine Reise nach Sylt!« lockte. Darin stand: »Im Namen des Millennium-Lippengirls sagen wir Danke für die Treue ...«

Ich legte ihn wieder an seinen Platz und stellte mich an der Kasse gleich hinter sie in die Schlange. ›Sprich sie nochmal an!‹, sagte mir mein Unterbewusstsein, aber ich fand keine passenden Worte. Die Ware auf meinem Arm verteilte ich bewusst hastig auf dem Kassenband. Sie bemerkte mich, wandte sich mir aber nicht zu.

Wer ist dieses Mädel? Wo wohnt sie? Nachdem sie bezahlt hatte, sah ich, wie sie auf dem Parkplatz in einen schwarzen Jeep Wrangler einstieg.

Dieses Mädchen ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie fuhr einen Geländewagen und sah verdammt gut aus. Sonst wusste ich nichts von ihr. Jedes Wochenende versuchte ich, ihr wieder über den Weg zu laufen: Am Lippenstiftständer, an der Fleischtheke oder auf einer der zahlreichen Wochenendpartys, auf denen ich sie schon habe tanzen sehen.

Ich fuhr mit meinen Freunden auf den Parkplatz der Stadthalle, wo Freitag eine Beachparty stattfand. In der zweiten Reihe stand hinten links ein schwarzer Jeep. Ich konnte es kaum erwarten, die weiblichen Gäste nach ihr abzusuchen. Aber die Frau vom Lippenpflegeständer konnte ich nirgends entdecken. Auf einen Bierdeckel schrieb ich meine Handynummer mit dem Vermerk »Möchte dich gern kennenlernen!« Ich war einer der Ersten, welche ein Handy besaßen und so klemmte ich diese Botschaft hinter den Scheibenwischer des Jeeps mit dem Kennzeichen OSK A 110. Tagelang klingelte das Handy nicht – so sehr ich auch auf das Display starrte.

An einem Samstagnachmittag ging ich durch die Bahnhofstraße, in zerrissener Bluejeans, mit einem weißen T-Shirt, darüber meine schwarze Motorrad-Lederjacke. Es war meine Lieblingsjacke. Ein junges Mädel sprach mich an: »Wo bekommt man so eine Jacke?«

»Im Geschäft!«, gab ich frech zurück.

Das hübsche Mädel und ihre Freundin kicherten. Sie gingen weiter. Technobässe lösten das Lachen der beiden ab und ein offenes Cabrio fuhr an mir vorbei. Und da saß sie plötzlich! Cool, mit Sonnenbrille, hockte sie hinten auf der Rückenlehne in der Mitte. Ihr Bauchnabel-Piercing glitzerte im Sonnenlicht. Es strahlte hell hervor. Ihr weißes, bauchfreies Top und der braungebrannte, trainierte Body schossen mit Partyklängen und gut gelaunten Mitfahrern an mir vorbei. Meine Augen verfolgten die wehenden langen, blonden Haare. Nach ein paar Sekunden war alles wieder ruhig, ihre Haare und die fünf Party-People waren an der Ampel rechts abgebogen.

»Das war’s dann wohl!«, murmelte ich enttäuscht vor mich hin. ›Drei coole, gestylte Typen rasen mit zwei Super-Puppen durch die Stadt und was machte ich?!‹ Meine Laune war am Boden, meine Hoffnung gestorben.

Die Bässe waren wieder zu hören. Die Ampel der Straße, in der ich mich befand, stand auf Grün. Wenn sie umspringt, wird die Querstraße grün bekommen. Dann fahren sie vielleicht noch einmal durch diese Straße. »Lass dich nicht hängen!«, versuchte ich, mich zu motivieren.

Nach ein paar Schritten sah ich, wie das schneeweiße Cabrio wieder in meine Richtung fuhr. Ich stellte mich zwischen die parkenden Autos an den Straßenrand und tat, als wolle ich die Straße überqueren.

Kein Blick! Keine noch so kleine Reaktion wurde mir gegönnt. Nicht mal einer der drei Kerle schaute mich an. Sie lachten, alberten herum und rauschten an mir vorbei. Ich kannte die Typen. Sie waren immer in ihrer Nähe, auf Partys, im Cabrio - und wer weiß wo sonst noch. Der Schwarzhaarige war bestimmt ihr Freund. ›Die wird mich nie anrufen‹, gestand ich mir frustriert ein.

Zurück auf meinem schmalen Single-Bett in meiner bescheidenen Zweizimmerwohnung ging mir das Bauchfrei-Girl wieder durch den Kopf. Mit dem Schwarzhaarigen und dem Langen hatte ich sie schon öfters gesehen. ›Vielleicht sind sie nur befreundet‹, versuchte ich mir einzureden. ›Die haben noch nie geknutscht und Händchenhalten habe ich die beiden auch noch nie gesehen.‹

Plötzlich fiel es mir wieder ein. Mein Körper sprang vor Freude aus dem Bett. Der Lange hatte Karneval mit einer anderen geknutscht! Und die saß mit im Wagen. Die saß auf dem Beifahrersitz. Und der Lange saß hinter ihr! Zwar neben der Blonden, aber hinter der, die er geküsst hatte. Mein Herz hämmerte aufgeregt in meiner Brust und meine Gefühle fuhren Achterbahn! Was machte dieses Mädel bloß mit mir?

Eigentlich war Sarah Schlüter seit Monaten meine Nummer Eins gewesen. Ein supersüßes Mädel vom Gestüt Hof Martin. Der Gutshof war drei Orte von meinem Heimatort entfernt. Ich hatte ihr zwei Mal geschrieben, sie einmal besucht. So richtig überspringen wollte der Funke allerdings nicht. Sie zögerte. Ich zögerte. Und seit der Begegnung mit dem Mädchen am Lippenstiftständer war alles anders! Sarah lag nur noch auf Platz zwei.

Das Wochenende stand wieder vor der Tür und das bedeutete: Party-Alarm! Und yes, da war sie wieder! Ich erblickte sie durch die Menschenmenge. Die Stimmung auf der Party kam immer mehr in Fahrt und »mein Girl« bewegte sich im kurzen, glizernden Kleidchen leicht und grazil zur Musik. Die vielen Metallic-Plättchen an dem Stoff reflektierten die bunten Scheinwerfer. Die knallige orange Farbe des knappen Kleidungsstücks betonte ihre sportlichen Kurven. Sie war gut gelaunt. Der sichtbare Teil ihres trainierten Bodys – die Arme, der Rücken und die langen Beine – waren schön gebräunt und schimmerten wie Gold in dem hellen Partylicht. Sie trug graue, hohe Stiefeletten, welche ebenfalls übersät von den funkelnden Metallplättchen waren. Ein Typ ging auf sie zu und ich schaltete sofort in den Angriffs-Modus um. Offensives Handeln war jetzt gefragt. Drauf los, egal wie! In dem Moment kam Regina auf mich zu. Regina war vor Jahren mit mir in der gleichen Tanzschule gewesen. Selbstbewusst kam sie Schritt für Schritt näher und kam schließlich mit einem Weizenbier in der rechten Hand vor mir zum Stehen. »Du studierst doch Bautechnik an der Fachschule in Oberstdorf, oder? In der Heimatstadt des Vaters von der ganz alten Schneiderin! Die ganz alte Schneiderin ist meine Oma, wusstest du das?«

Die besagte Schneiderin war über 100 Jahre alt und hatte alle vier Söhne überlebt. Doch was interessierte mich jetzt diese Alte?

Ich interessiere mich für die blutjunge, bildhübsche Maus dahinten!

Regina wartete auf eine Antwort. Sie stand vor mir und schaute mir in die Augen. Ich blickte in ihre Augen, dann auf das Weizenbier. Dann schaute ich sie wieder an. Im Anschluss machte ich, was ich noch nie gemacht hatte. Ich ging an ihr vorbei.

›Mädchen, ich habe jetzt einfach keine Zeit für deine Oma.‹ Ohne ihr eine Antwort zu geben und ohne ein weiteres Wort ging ich an ihr vorbei und ließ sie stehen.

Langsam steuerte mein Körper auf meinen Schwarm zu. Was sollte ich ihr sagen? Mein Herz raste. Der Heimatort vom Vater meiner Oma – was für eine blöde Anmache!

Nach ein paar Schritten stand ich direkt vor »meinem Girl«.

Sie unterhielt sich mit jemandem. Die beiden standen ein paar Meter auseinander und es schien, als wolle der Typ weitergehen.

»Was habt ihr für ein Kennzeichen?«, fragte ich plötzlich in die Runde. Die Partymaus nahm meine Worte und meinen Körper nicht wahr. Wie blöd ist denn die Anmache? Oh Gott, wie peinlich! Da plappere ich einfach dazwischen. So wird das nie was! Verlegen zogen meine Blicke umher. Regina stand an der gleichen Stelle mit ihrem Weizen in der Hand. Na, hätte ich besser auch mal eins genommen!

Der sportliche Typ ging endlich weiter und meine Nummer Eins steuerte die Cocktailbar an. Sie kam dicht an mir vorbei. »Du hast doch das Nummernschild OSK - A 110, oder?«

»Was? Wie?«, fragte sie verdutzt.

›Lauf weg! Du bist so ein Penner! Wie kannst du nur so einen Mist fragen!‹ Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken.

Wie ferngesteuert öffnete sich meinen Mund erneut: »Du hast doch OSK – A 110 als Kennzeichen, oder?«

»Nein wir haben OSK - X 678.«, antwortete sie und fing einen kurzen Moment später laut an zu lachen.

»Was hast du?«, fragte ich, leicht rot anlaufend. »Ich habe einen Lachflash!« Was für eine süße Maus! Wie sie das sagte!

Jedes Wort von ihr ließ mein Herz höher schlagen. »Und warum?«

Sie lachte weiter! »Weil es zufällig genau den gleichen Geländewagen im Oberstaufenwaldkreis gibt?«, fragte ich dunkelrot anlaufend. ›Hättest du nicht mit diesem dämlichen Nummernschild angefangen. Die ganze Nummerngeschichte ist eine dumme Nummer. So eine Stelze steht doch nicht auf solche blöden Nummernschilder-Nummern.‹ Regina schaute uns zu.

›Hoffentlich kommt die jetzt nicht. Warum lacht die sich denn so schrott? Oh Mann! Das läuft sowas von schief hier!‹

»Nein, deshalb nicht! Oder doch, deshalb auch! Aber wer lässt sich ans Nummernschild Oskar schreiben?« Sie lachte nochmals laut auf.

OSK-A, »Oska«, Oskar! Wir lachten zusammen über dieses witzige Wortspielchen. Sie strahlte mich an. Dann ging sie.

Ihren Namen wusste ich immer noch nicht. Tobias, der mich und meinen Flirtversuch gesehen hatte und sich zu mir gesellte, kannte sie. »Die war in meiner Klasse. Sie heißt Caroline Schmidt.«

»Weiß du auch, wo die wohnt?«

»Die Adresse und Telefonnummer steht in der Schülerzeitung.«

»Schmidt!« Ertönte eine freundliche Frauenstimme am anderen Hörer. »Ja, hier ist Michael Schneider. Ich möchte gern die Caroline sprechen.«

»Ja, einen Moment bitte. Caroline? Caroline! Telefon!« Es dauerte eine Weile. »Ja?« Klang es am anderen Ende ganz zart, schüchtern und leise. »Hallo! Hier ist Michael. Kennst du mich noch?«

»Welcher Michael?« Wie enttäuschend das klang. Ich versuchte, als gut gelaunter Typ rüber zu kommen. »Der mit dem Nummernschild, der Oskar!« Leise und nüchtern kam zurück:

»Ach der.«

»Und wie geht es dir?«

»Geht so.«

»Bist du nächste Woche auf der Strand-Party?«

»Weiß nicht!«

»Caroline!« Ertönte es im Hintergrund.

»Ich muss auflegen.«

»Dann mach’s mal gut!«

»Okay! Tschau!«

Ein paar Tage später rief ich sie noch einmal an.

»... wie geht’s dir?«

»Geht so!«

»Sollen wir uns mal treffen?«

»Ich weiß nicht ...«

Wir saßen vor dem Konferenzraum. Zum Ende der Ausbildung zum staatlich geprüften Denkmalpfleger standen Abschlussgespräche mit dem leitenden Dozenten Herrn Jeschke an. Herr Jeschke sollte ursprünglich nur für ein paar Wochen aushelfen. Aus den paar Wochen wurden jedoch zwei Jahre. Er begleitete uns die ganze Studienzeit. Er kam aus dem psychologischen Bereich, war für die Ausbildereignung überqualifiziert. Er hatte was auf dem Kasten und konnte sehr gut erklären. Jeschke schulte uns hochkarätig im Bereich Menschenführung.

»Ich glaub’ der Schneider ist verliebt!«, schmunzelte mein Kollege Hubertus. »Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich ihn.

»Nur so! Irgendwie hab’ ich das im Gefühl. Du bist so anders!«

»Da ist jemand. Wir haben uns auf einer Party kennengelernt.

Ich habe sie ein paar Mal angerufen. Aber sie antwortet immer nur »meinste?« oder »ich weiß nicht«.

Hubertus unterbrach mich: »Dann musst du die mal zu einem Candle-Light-Dinner einladen. Dann schmilzt jede Frau dahin!«

Er lachte! Wir lachten! Wenn Hubertus lachte, lachten alle!

»Herr Schneider, bitte!« Herr Jeschke lugte aus der Tür.

»Bitte Herr Schneider, nehmen sie Platz.« Ich setzte mich. »So!

Nun ist ihre Zeit in Oberstdorf bald zu Ende. Ihre Noten können sich sehen lassen. Wir kennen uns nun über zwei Jahre. Die Abschlussgespräche haben immer einen besonderen Hintergrund.

Neben den Empfehlungen für die zukünftige Berufslaufbahn haben wir als begleitende Lehrkräfte eine zusätzliche Aufgabe: Wir schauen nach Talenten ...«

Was hatte der denn vor?

»Wir dürfen jedes Jahr aus einem Jahrgang zwei Stipendien vom Land vergeben. Herr Schneider, ich würde sie gerne vorschlagen. Sie haben die Gabe, Menschen zu beobachten und deren Handeln sachlich und fachlich einzuordnen. Das können nur sehr wenige Menschen. Könnten sie sich vorstellen, ein psychologisches oder ein pädagogisches Studium anzutreten?«

Das kam überraschend! »Ich war jetzt zehn Jahre in der Schule und fünf Jahre in der Ausbildung. Ich möchte jetzt endlich praktisch arbeiten.«

»Sie können ja nach dem Studium praktisch arbeiten!«

»Ich meine immer, zu viel Theorie ist nicht gut für die Psyche. Die Theorie sollte man besser dem lieben Gott überlassen.«

»Wie meinen sie das?«

»Na ja, die ganzen Psychologen und Psychiater haben ja irgendwie alle Einen am Helm.« Er grinste mich an.

Lag es an Caroline Schmidt, dass ich wieder in meine Heimat wollte?

›Das ist nun schon das zweite Mal, dass dir ein Stipendium angeboten wurde.‹ Ein Studium an einer süddeutschen Universität wäre für mich das Tor in die ganze Welt.

»Sie können es sich ja noch mal überlegen. Ich fand die Zeit auf jeden Fall sehr schön mit ihnen. Ich habe es ihnen ja schon öfters gesagt: Sie waren eine Bereicherung für meinen Studiengang. Verzeihen sie noch einmal, dass ich immer ihre Beobachtungen vorgelesen habe. Die waren wirklich brillant! Darf ich die in anderen Kursen auch mal vorlesen?«

»Kein Problem, Herr Jeschke, das können sie gerne machen.«

Er stand auf. Wir reichten uns die Hände. »Alles Gute für ihre Zukunft!«

»Vielen Dank! Ihnen ebenfalls alles Gute!« Später erfuhr Hubertus, dass Herr Jeschke Professor, Doktor, Doktor war.

›Mmh! Deswegen hatte er bei meiner frechen Antwort gegrinst!‹

Gut gelaunt fuhr ich mit der Straßenbahn zu meiner Wohnung. ›Einmal versuche ich es noch. Wenn sie dann immer noch so träge ist, gebe ich auf. Dann wird sie wohl nichts von dir wollen.‹

»Hallo Caroline, wie geht es dir?«

»Ganz gut.«

»Darf ich dich mal besuchen kommen?«

»Geht nicht, bin in Tüddern.«

»Wo ist denn Tüddern?«

»An der holländischen Grenze.«

»Ah, okay! Sehen wir uns am Wochenende?«

»Vielleicht«

Beim Packen der ersten Kartons für den Auszug ging mir diese Caroline nicht aus dem Kopf. ›Vielleicht heißt nicht ja, aber auch nicht nein. In diesem »vielleicht« ist jede Menge Hoffnung. Sie hätte schließlich auch nein sagen können. Sie hätte ja auch sagen können: »Ich mag dich nicht« oder: »Du bist nicht mein Typ!« Hat sie aber nicht.‹

Das Handy klingelte. Ich rannte zum Küchentisch und schaute erwartungsvoll auf das Display: »Private Nummer«. ›Lass es schellen. Lass sie zappeln, nicht sofort dran gehen.‹ Nach fünf mal schellen verstummte es wieder. »Mist! Wärst du doch dran gegangen! Oh Mann!« Mit voller Wucht klatschte ich das Fachbuch »Psychologie im Handwerk« auf den Fußboden.

Es schellte noch einmal. »Ja!«

»Ach, da habe ich ja doch die richtige Nummer von dir. Ich wusste es nicht mehr genau, ob es deine oder die von Matthias war. Der hat ja jetzt auch so ein modernes Dingen. Du kommst ja Freitag rauf. Ich wollte dir nur sagen, dass am Samstag die Beerdigung ist, von Thomas und des Sohnes vom Bürgermeister.«

»Das weiß ich schon. Tobias hat mich schon informiert ...«

Wie gerne hört man die Stimme seiner Mutter! Die Stimme der eventuellen Mutter meiner eventuellen Kinder wäre mir lieber gewesen! Vor mich hin grinsend packten meine Hände weiter Bücher in die Kartons.

Zuhause angekommen eilte ich direkt zum Telefon und hörte den Anrufbeantworter ab. »Keine neuen Nachrichten!« Woher sollte sie meine Festnetznummer haben? ›Komm! Noch einen letzten Versuch.‹ Es war 16 Uhr. »Was machst du heute Nachmittag?«

»Wir fahren noch in die Zeil, Schuhe kaufen!«

»Na dann! Vielleicht sehen wir uns ja am Wochenende! Viel Spaß beim Einkaufen.« Ich legte auf! Einkaufen! In Deutschlands beliebtester Einkaufstraße? Um die Uhrzeit? Nee! Iss klar! Vergiss sie einfach! Mann, war ich geladen!

Es war am letzten Tag in Oberstdorf. Die Umzugskartons standen gepackt im Wohnzimmer. Um diese Frau war ich bereit zu kämpfen. Diese langweilige Frau am Hörer war nicht die flippige Maus aus der Disko! Aus dem Handy ertönte bis jetzt eine sympathische Stimme, einsilbig bis uninteressiert.

»Ich weiß nicht.«

»Meinst du?«

»Mal schau’n.«

»Vielleicht!«

Das war nicht die attraktive Caroline Schmidt mit dem frechen Blick. ›Vielleicht telefoniert sie nicht gern‹, entschuldigte ich ihr Verhalten in meinen Gedanken. Sie einmal ohne Telefon, ohne Party-Stimmung zu treffen, war mein Plan für ein klares Nein oder Ja. Ich rief sie ein allerletztes Mal an. Die schwierigste Hürde musste genommen werden, vor der die meisten Singles verweilen: eine nette, direkte, persönliche Einladung zu einem Date. Ich atmete einmal tief durch, stand auf und ging ein paar Schritte durch meine Bude. Ich strich verlegen mit dem Zeigefinger entlang der Arbeitsfläche in der Küche. Meine Fingerspitze umkreiste die rechte Herdplatte. »Darf ich dich zu einem Eis einladen?« Meine Augenlider fuhren runter, mein Puls schoss in die Höhe. Meine Ohren vernahmen ein leises und zartes: »Meinste?« Als überzeugter Optimist stufte ich diese schwächste Art einer Zusage als ein klares »Ja, ich will!« ein.

Ich stand auf einem Stein. Ein majestätisch wirkender Treppenstein aus Grauwacke. ›Sieht ein bisschen wie ein Grabstein aus.‹ Ich zog an der Glocke neben der Tür. Ich stand vor ihrer Tür. Nein! Vor der Haustür ihrer Eltern, nervös und verliebt.

Es war ein warmer Hochsommertag. Ein älterer Herr schaute über die Hecke. »Ich glaube, die sind nicht da!«, rief er zu mir rüber.

»Aber da ist ein Föhn zu hören!«, gab ich zurück. ›Was quatscht der mich denn jetzt an?‹ Mein verliebtes Herz schlug schnell. Wir waren zu unserem ersten Date verabredet. Endlich hatte es mit einer Verabredung geklappt, mein schwarzer BMW Combi stand blitzblank auf dem herrschaftlichen Vorplatz.

Zitternd zog meine Hand ein zweites Mal den edlen Glockenstrick. ›Was sage ich denn gleich?‹ Nervös tappten meine Schuhe auf dem Stein. ›Nun mach doch mal einer auf!‹ Sekunden schienen mir wie Ewigkeiten. »Mein Treppenstein, der ist so fein, der lässt keine bösen Leute rein!« Meine Phantasie ging mit mir durch! ›Vielleicht hat die überhaupt kein Bock auf dich!‹, schoss es mir durch den Kopf. Die Angst davor, einfach stehen gelassen zu werden stieg. Die Verlegenheit war kaum auszuhalten. Ich wollte in der Erde versinken! Sollte dieser Treppenstein tatsächlich mein Grabstein werden?

Das Fenster über der Tür öffnete sich. Caroline schaute zu mir herunter. »Ich bin sofort unten!« Ihre langen, strohblonden Haare wehten im Wind. Ich nahm ihren bezaubernden Duft wahr.

›Ist das eine süße Maus!‹

Die edle Eichentür ging auf. Wir waren beide verlegen. Keine Umarmung, keine Berührung! »Mmh, kannst du die Schuhe ausziehen? Du sollst erstmal reinkommen!«

»Na klar, mache ich.«

»Wow! Was ist das?« Mein erster Fuß schwebte über die Türschwelle und traute sich gar nicht, auf diesem edlen Boden aufzutreten. Zuerst mein Fuß, dann spiegelte sich mein ganzer Körper in dem hochpolierten, schwarzen Marmor. Wir schritten durch den zwei Geschosse hohen Eingangsbereich. Eine imposante Holztreppe schlängelte sich rechts an der Wand entlang und endete im Obergeschoss mit einer großzügigen Empore. Die massiven Geländepfeiler waren mit aufwendiger Schnitzkunst verziert, die senkrechten Stäbe passend hierzu gedrechselt. Ein prunkvoll gestalteter Geländerlauf krönte dieses Meisterwerk der Schreinerkunst. Unter der Treppe war eine Nische. Auf einem Marmorsockel stand eine Kinderwiege aus scheinbar uraltem Eichenholz. Auf einem weißen, buntbestickten Tuch saßen vier Püppchen, drei mit langen, eine mit kurzen, stoppeligen Haaren.

Auf jeder der Püppchen schien ein kleiner, in den rustikalen Landhausputz eingelassener Strahler. An der Wand hinter der Wiege hingen schwarzweiße Bilder aus längst vergangenen Tagen.

Das Größte, über der Wiege hängend, zeigte drei junge Frauen bei der Handarbeit.

Durch eine zweiflügelige Eichentür betraten wir das Wohnzimmer. Es strahlte eine herzliche Gemütlichkeit aus. Die vier großen Rundbogenfenster an der Südseite ließen viel Licht in den Raum. Auf den schwarzen Fensterbänken standen rote Töpfe aus Ton. In diesen waren verschiedene Blumen: hohe, kleine, immergrüne und blühende. Es war schön anzusehen. Der ganze Raum war geschmackvoll eingerichtet. Er lud ein zum Verweilen, zum Entspannen. Die längste Raumseite bestand nur aus Büchern.

In einem massiven Regal aus gebeiztem Eichenholz standen unzählige Werke, meist Romane, aber auch Fachliteratur verschiedenster Gattungen.

Am Ende des Bücherregales war eine kleine Leseecke eingerichtet. Eine stilvolle Leselampe aus Edelstahl stand neben einem kleinen Tischchen und einem modern gestalteten, dunkelroten Ohrensessel. In diesem saß Carolines Mutter. Eine attraktive Frau im besten Alter. Sie sah deutlich jünger aus, als die vermutlich war – die Augen mit einem dunkelblauen Lidschatten aufgehübscht. Dazu ein aufwendig genähtes, quietschgrünes Kleid. Sie kam ein paar Schritte auf mich zu und reichte mir die Hand: »Schmidt!« Mit einem festen Händedruck begrüßten wir uns: »Guten Tag, Frau Schmidt! Ich freue mich, Sie kennen zu lernen!« Sie schaute mir prüfend in die Augen ... und lächelte freundlich.

»... endlich bringt unsere Caroline mal einen Freund mit nach Hause! Da hab ich ja schon lange drauf gewartet. Unsere Caroline kann sich schon sehen lassen!« Sie musterte mich. »Du hattest doch vor ein paar Tagen schon angerufen.« Sie schaute strahlend ihre Tochter an. »Habt ihr euch denn schon mal getroffen?«

»Mama! Du nervst!« Frau Schmidt lachte. »Warum? Trefft euch doch ruhig mal. Geht mal ins Kino oder ins Schwimmbad.« Ich fand ihre Mutter vom ersten Augenblick an sympathisch. Sie hatte etwas Liebes, etwas Fürsorgliches! Frau Schmidt ging zum Fenster und schaute in den Garten. Das glatte, lange, brünette Haar bedeckte ihren Rücken. Ein Moment der Stille füllte den Raum.

›Für Anfang fünfzig sieht die aber noch verdammt gut aus!‹ Mir kam der saloppe Satz unseres Berufsschullehrers in den Kopf.

»Jungs, wenn ihr auf die Jagd geht, schaut euch die Schwiegermütter an. So sehen in 20 Jahren eure Frauen aus!«

Gute Laune machte sich breit.

Zu Ostern im Jahre 2000 fuhren wir mit ihrer jüngsten Schwester Marion und ihrer Cousine zum Schwimmen. Die zwei merkten, dass es zwischen uns funkte. Sie kicherten öfters auf dem Hinweg auf der Rückbank. Im Schwimmbad hatten wir Zeit für einander.

Die beiden Kleinen beschäftigten sich selbst. Wir turtelten rum, wie es sich für ein angehendes Liebespaar gehört. Wir umarmten uns. Wir gaben uns erste zärtliche Küsse. Wir schwammen wieder in das Hauptbecken, um die Kleinen im Auge zu haben. Ihr sportlicher Körper war ungemein schön anzusehen. Sie schwamm vor mir her. Jeder Schwimmzug wurde genossen. Die trainierten Arme, die geformten Rückenkonturen, das konnte sich sehen lassen! Von weiten konnten wir die beiden Mädels beobachten.

Caro drehte sich um und hielt sich am Beckenrand fest. Wie schön sie war! Die nassen Haare, der freche Blick, das hübsche, unschuldige Gesicht! Ich genoss jede Sekunde.

Nach einer Weile fragte ich sie: »Was macht dein Vater beruflich?« Caroline druckste verlegen rum. ›Shit, da habe ich wohl das falsche Thema angerissen – nicht das der arbeitslos ist‹.

»Wenn er in der Baubranche tätig ist, kenne ich ihn vielleicht.«

»Mein Vater, der ... wir haben eine eigene Firma.«

Es war ihr fast peinlich, das zu erzählen. Sie war bescheiden und zurückhaltend. Diese Mischung aus liebem Mädchen und aktiver Frau gefiel mir. Und sie war eine Powerfrau! Ich hatte mich nicht getäuscht. Ihre Schüchternheit vor unserem ersten Date hatte sie mit der Zeit komplett abgelegt. Sie war meine Traumfrau!

Unsere Zeit begann! Jede freie Minute verbrachten wir zwei gemeinsam. Wir tanzten ab. Wir feierten ab, unbeschwert und frei.

»Zeig mal deinen Ausweis.«

»Nicht schon wieder!«

»Warte ich hole ihn.« Ich rannte zurück zum Auto und holte Carolines Ausweis. Sie trug nie etwas bei sich, wenn sie auf Party ging. Eine Handtasche fand sie uncool. Mit den langen glatten Haaren und der sehr schlanken Figur sah sie deutlich jünger aus.

Sie war 20. Ihr Alter mussten wir den Securities am Eingang des Öfteren mit dem Vorzeigen des Persos beweisen.

An einem Frühlingsmorgen zauberte ich uns ein Schlemmerfrühstück. Ich fuhr zum Bäcker und holte beim besten Metzger der Stadt frischen Aufschnitt. Samstags war immer Markt auf dem Rathausplatz. Hier kaufte ich biologisch angebaute Tomaten. Aus dem Garten meiner Eltern pflückte ich tiefrote Erdbeeren. Diese verarbeitete mein Cocktailmixer zu einem leckeren Erdbeermilchshake – nach streng geheimer Rezeptur.

Ich setzte Kaffee auf. An der Wand hing noch der Filterhalter meiner Oma. Meine Kaffeeecke war an der gleichen Stelle wie bei ihr, auf dem alten Linde-Kühlschrank, links in der zusammengestückelten, weißen, schlichtgehaltenen Küchenzeile.

Erst kam der 25 Jahre alte Kühlschrank, dann das Spülbecken mit Abtropffläche, darunter die Geschirrschublade mit silberner, waagerechter Griffleiste. Unter der Spüle standen die »bunten Töpfe«. Meine Mutter besaß ein »langweiliges« Edelstahl-Topfset.

Meine Oma hatte »bunte Töpfe«. So nannten wir Enkelkinder diese. Jeder Topf war anders. Sie waren schwarz, weiß, bemalt, sie waren schwer, sie waren unverwüstlich. Sie hatten schwarze, weiße oder rote Deckel. Daneben stand der Elektroherd mit vier Platten – das modernste und neueste Stück der Zeile. Meine Oma hatte ihn nur noch ein, zwei Jahre benutzt. Sie hatte immer die Drehknöpfe verwechselt. »Michael, du musst mir das Mal auf einen Zettel schreiben. Hol mal die Bleifeder aus der guten Stube.« Oma hatte immer komische Wörter benutzt. Am Tag drauf: »Guck dir noch mal deinen Zettel an!« Ich schaute. »Ist doch alles richtig!«

»Und hinten links?«

»Ja, das ist doch die Platte. Dreh mal an dem Schalter!«

»Michael! Links schreibt man mit ka, nicht mit ge. Das heißt nicht lings.« Sie wiederholte den Satz mehrmals und zog das g in die Länge. Dabei zog sie den Unterkiefer seitlich runter und sackte leicht zusammen. Wir amüsierten uns, wir lachten ausgelassen.

Niemals wieder hatte ich links mit ge geschrieben.

Zuletzt kam der Nähschrank. In dem Nähkorb, welchen ihre Tochter, Tante Josi, ihr zu Weihnachten schenkte, lag immer die lange silberne Schere. Mit der wollte sie mir mal mein Hühnerauge abschneiden! Sie hatte die Schere schon angesetzt!

Ich zog den Fuß aber rechtzeitig weg!

Der Nähschrank war ähnlich aufgebaut wie der Schrank unter der Spüle. Die Silberleiste war anders, der nach hinten versetzte graue Streifen dunkler. In der Schublade lagen der jahrzehntealte, schwarze Kochlöffel und andere Küchengeräte. Keiner konnte so gut Milchsuppe kochen wie meine Oma.

Die Oberschränke waren ebenfalls zeitlos weiß gehalten mit silberner Griffleiste. Diese waren ähnlich wie die an dem Spülschrank, noch ähnlicher wie die am Nähschrank.

In der Zeit, als die Wohnung vermietet war, verschenkte meine Mutter den Kühlschrank an ihre Freundin, welche eine Pension betrieb. Er war ein Stromfresser. Die Tür des Eisfaches fehlte schon zu Lebzeiten meiner Oma.

Ich liebte die Stunden in der Küche mit ihr, mit dem Kaffeesahnekännchen, das sie eigentlich immer vergaß aufzudecken. »Michel, hol mir doch bitte noch das Sahnekännecken. Herr nei! Irgendwas vergesse ich aber auch immer!« Sie lachte über sich selber!

Ich holte mir diesen Kult-Kühlschrank wieder. Die Freundin meiner Mutter half mir bei den Treppenstufen ihres Kellers. »Eure Oma war auch dein ein und alles!«

Ich setzte mich auf die Bank am Fenster. Dort hatte damals der grüne Sessel gestanden, in dem Großmutter jeden Mittag im Sitzen ihr kleines Mittagsschläfchen hielt. Öfters musste sie mich bitten, nach oben zu gehen. »Ich muss erstmal ein bisschen ruhen.

Geh mal hoch. Gleich zur Kaffeezeit kommst du wieder runter.«

Ich verweilte ein wenig in der Vergangenheit, genoss den Moment, genoss die glückliche Zeit, bestaunte meinen lieblich gedeckten Tisch. Das rot, grau, blau gesprenkelte Porzellan war adrett angeordnet. Ein Messer lag jeweils auf den Tellern, ein Kaffeelöffelchen auf jeder Untertasse. Alle Frühstücksgaben waren nett auf Tellerchen oder Gläschen hergerichtet. Nur die Kaffeesahne war in der Dose. Das Sahnekännchen meiner Oma gab es nicht mehr. Es war ebenfalls ein Geschenk ihrer Tochter zu Weihnachten gewesen. Bevor sie das Kaffeekänneken bekam, stellte sie die Dose auch immer auf den Tisch. Es musste Sahne der Marke Glücksklee sein! Das war ganz wichtig! Wehe meine Mutter brachte beim wöchentlichen Großeinkauf eine andere Sorte mit.

Die Mitte des Tisches war mit dunkelroten Rosenblättern locker ausgelegt. Das Teelicht im Stövchen flackerte beruhigend vor sich hin. Es duftete nach frischen Brötchen, Erdbeeren und Kaffee. Die letzten Siedeverzüge verpufften aus der Maschine. Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch den Buchenwald über dem Dorf auf den Tisch. Ein Frühlingslicht, ein besonderes Licht! Es war ein besonderer Tag!

Der alte Linde-Kühlschrank sprang an. Er summte vor sich hin. Ein vertrautes Geräusch aus längst vergangenen Tagen, aus einer schönen Kinderzeit!

»Das war das beste Frühstück, was ich je hatte!«, schwärmte Caro. Sie saß auf der Bank, genau an der Stelle, wo meine geliebte Oma gesessen, wo sie den Staufenkurier gelesen, wo sie ihr Mittagsschläfchen gehalten hatte.

Wir frühstückten bis halb zwei. Dann musste Caroline wieder nach Hause, ihrer Mutter im Haushalt helfen. Abends bekam ich einen Anruf: »Ich kann heute Abend nicht mitkommen. Morgen kommt Mamas Freundin. Ich muss ihr einen Kuchen backen. Das ist ihr eben eingefallen. Eigentlich wollte sie einen beim Konditor kaufen. Aber nein – jetzt muss ich ihr einen backen. Ich kann ja morgen Mittag mal zu dir kommen.«

Kapitel 2 Generation of the Future!

Am nächsten Wochenende schwebten wir wieder durch die Partyhallen. »Heute Nacht schläfst du bei mir!«, flüsterte ich ihr auf der Tanzfläche ins Ohr. »Meinste?« Einfach machen! ›Überhör ihre Skepsis. Sie ist halt ein bisschen schüchtern.‹ Gegen drei Uhr fielen wir ins Bett. Gegen fünf fiel ich wieder aus dem Bett. ›Ah!

Sie hat vergessen, ihren Wecker auszustellen.‹ Mein Arm legte sich wieder um ihren Bauch. Nach fünf Minuten dröhnte das Teil erneut. »Oh man, kannst du das Mistdingen mal ausstellen?«

»Ich muss los!«, sagte sie. »Wohin musst du denn?«

»Nach Hause!«

»Wir haben Samstag!«

»Ja, aber ich darf nicht bei dir schlafen.«

»Sagt wer?«

»Mama!«

Samstag Morgen, 11 Uhr, mein Telefon schellte. »Hi! Na?«, sagte sie sanft. »Hallo! Bist gut nach Hause gekommen?«

»Ja, bin ich. Ich komme gleich wieder zu dir. Mama ist ausgeflippt, weil ich die Wäsche nicht gebügelt habe. Das muss ich erst machen. Aber dann komme ich wieder zu dir.«

›Die wird aber sehr streng erzogen!‹ Caroline war über 20!

Aber irgendwie gefiel mir das. Es hatte Stil. Es war ein Zeichen sehr guter Erziehung, eines guten Elternhauses.

Am ersten Wochenende im Juni war Schützenfest im Dorf, in dem Caroline wohnte. In der Stadthalle war Techno-Party. Frau Bertha Schmidt bot mir an, in ihrem Hause zu übernachten, »Ich habe das Gästebett frisch bezogen und frische Handtücher habe ich auch ins Gästebad gelegt.« Caro und ich schauten uns verschmitzt an. Wir standen am Fenster in der noblen Küche des Hauses. Mit dem hochmodernen Kaffee-Automaten zauberte sie jedem von uns ein warmes Getränk nach Wunsch. In hohen Schuhen und einem dunkelblauen Kleid werkelte die attraktive Dame geschickt mit ihren gepflegten Fingern. Ihr Haar war hochgesteckt, die Lippen zierte ein dunkelroter Lippenstift.

»Der Michael schläft aber auf meinem Zimmer.« Energisch gab die Mutter zurück: »Das macht der natürlich nicht! Der schläft im Gästezimmer! Untersteht euch! Was sagst du denn dazu, Michael?«

»Ich bin bei Ihnen zu Gast, Frau Schmidt ...« Ehe ich weiterreden konnte, packte mich Caro bei der Hand. Sie zog mich hinter sich her. Wir gingen in das Gästezimmer. Im Handumdrehen formte sie die Couch zu einem Doppelbett. Anschließend holte sie ihre Bettdecke. »Wir schlafen zusammen im Gästezimmer!«

Caroline grinste mich frech an. »Aber erstmal machen wir Party!«

Sie gab mir einen Kuss auf die Wange.

Hierzu hatten wir uns entsprechend gekleidet und gestylt.

Umso mehr wunderte es mich, dass Caroline unbedingt erst auf das Schützenfest wollte. In der Dorfhalle herrschte eine ausgelassene Stimmung. Meine Partymaus stolzierte in hohen Heels vor mir her. Die vielen Blicke auf meine schicke Lady machten mich stolz. »Das ist meine Caro!« Die Schuhe mit den hauchdünnen Absätzen gingen auf einen attraktiven Mann zu. Er trug einen grauen Anzug. Dieser Herr hatte eine besondere Ausstrahlung. Der Blick, die breiten Schultern, der ganze Auftritt hatte was. Selbst der strenge Seitenscheitel seiner pechschwarzen Haare wirkte eher attraktiv statt spießig, ebenso die grauen Ansätze an den Seiten. Was hat die Frau vor? Neben dem Herrn kam ich mir vor wie ein Schuljunge. ›Wie soll ich denn mit dem mithalten?‹ Caroline schaute ihn an. Caroline schaute mich an, mit dem gleichen strahlenden Blick. ›Die wird doch wohl nicht!‹

»Heute ham se alle Spaß!« Er lachte laut auf. Wir drei lachten zusammen. Der Satz wird uns viele Jahre begleiten. Wir setzten ihn als Insider ein, wenn wir oder wir mit anderen Spaß hatten. Und wir hatten oft Spaß! Viele schöne Jahre lang!

Er lächelte mir freundlich zu. »Ich bin der Ludwig, der Papa von der Caroline. Ich habe schon viel von dir gehört!« Herr Schmidt reichte mir die Hand. Meine Caro beobachtete den kräftigen Handschlag. Sie strahlte vor Glück!

Auf der Tanzfläche bebten unsere Körper. Im Viervierteltakt schwebten wir durch die Halle. Caro bewegte sich sexy zu den Bässen und elektronischen Klängen. Das bunte Lichtspiel verzauberte sie zu einer Techno-Queen. Das war ihre Welt! Der DJ verfeinerte seinen Mix nach Caros Bewegungen. Drei Scheinwerfer brachten sie für eine Zeit in den Mittelpunkt der Partygemeinde. Ihre Verehrer fuhren zur Höchstformen auf.

Manche hüpften unsanft. Auf einen Typ wurde ich neidisch. Der hatte es drauf. Doch die Dance-Queen hatte nur Augen für mich, auch wenn ich mich einige Meter von ihr wegbewegte. Dies bleib nicht unbemerkt. Eine weitere, sich wenig bewegende Clique stellte sich in unsere »elektrisierte Blicktrasse«. Caro checkte ihre braungebrannten Bodys in edlen Marken-Outfits von Kopf bis Fuß. Dadurch wurden sie noch cooler, noch steifer. Der Eine setzte sich eine Sonnenbrille auf. Er streifte sich mit der Hand durch das nasse, angeklatschte Haar. Langsam bewegte sie sich rhythmisch auf die steifen Dreamboys zu. Ihre himmelblauen »Scheinwerfer«

schwenkten von einem zum anderen. Sie wurden verlegen.

›Schade, dass ihr so braun seit. Das rote Anlaufen sieht man ja gar nicht!‹ Herzhaft begann ich zu lachen. Ich stimmte mich auf Caros Rhythmus ein. Ich schloss die Augen. Ich legte meine Hände in die Luft. Der DJ war Weltklasse! Die Halle bebte! Dicht hinter mir tanzte ein Body. Eine Hand legte sich auf meine Schulter, die andere an meine Hüfte. Ein heißer Atem hauchte mir ins Ohr. Wir tanzten. »Hey! Was bis du denn für ein cooler Typ?« Wir lachten.

Wir tanzten. Wir feierten. Wir feierten die ganze Nacht.

»Die nehmen immer die großen Tassen!« Am anderen Morgen deckte Ludwig den Frühstückstisch. Für den Kaffee stellte er für jeden einen Pott neben den Teller. Ludwig Schmidt suchte nach Löffelchen. Sein sonst streng geformtes Haar lag noch kreuz und quer. Caro saß auf der Bank. Das war ihr Lieblingsstart in den Tag: im Jogger auf der Küchenbank am Fenster sitzen. Sie sprang auf und nahm fünf kleine Löffel aus der Schublade neben der Spülmaschine. Diese legte sie auf den Tisch. Ihr Vater verteilte sie in die Kaffeepötte.

Die Küchentür öffnete sich. »Was soll das denn? Wer hat denn die großen Becher aufgedeckt? Also wirklich! So etwas kann ich ja nicht haben. Das Auge isst mit. Ein Tisch muss ordentlich gedeckt sein, da lege ich großen Wert drauf!« Frau Schmidt war nicht auf dem Schützenfest gewesen. Sie hatte ihren Mann um Nulluhrdreißig abgeholt. Frisch gestylt, im schicken Business-Kostüm und Designer-Heels wurde der rustikale Frühstückstisch im Nu in eine feine Tafel verwandelt.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie macht es genau wie Josi! Diese Leidenschaft zum Detail, diese Ordnung, dieser Hang zu guter Manier gefiel mir, vereinte die beiden. War dies eine Seelenwanderung zwischen den beiden? Eine Fügung meines Schicksals durch eine Übermacht? Hat hier unsere Burga ihre Hand im Spiel? »Ich passe auf dich auf, wenn ich im Himmel bin!«, sagte sie immer zu mir. »Mit dem lieben Gott, im Namen der Gottesmutter und des Heiligen Geistes.« Meine Oma war sehr gläubig gewesen. Meine Oma sprach manchmal etwas seltsam. Sie erlebte noch die Kaiserzeit.

Diese liebliche Tischordnung war bei allen drei Frauen gleich: bei meiner Oma, bei Frau Schmidt, bei meiner Lieblingstante in Görlitz.

»Die musst du kennenlernen!«, schwärmte ich Caroline vor.

Nicht, weil das eine attraktive, moderne Frau war, sondern weil Josi, eigentlich Josefine meine zweite Seele war. Diese Frau lernten alle meine Freundinen kennen. Man liebt sie oder man hasst sie! Die Frau, die es mit Josi konnte, die konnte es mit mir.

Caro betrat zum ersten Mal die polierten Steingutplatten der hochmodernen Penthouse-Wohnung von Thomas und Josephine.

Wie auf einem Catwalk wandelnd kam Josi auf uns zu, immer gestylt, immer stilvoll gekleidet. Von Weiten schaute sie auf Caro.

Ihr Blick verriet: Wow! Ein sehr hübsches Mädel! Eine Prise Neid, Caro war jung und hübsch, zerstreute im Raum. Auf den letzten Schritten zeigte ihr scharfer Blick Gelassenheit. Josi war erfolgreich und hübsch. Später am Telefon sagte sie zu mir: »Da hast du dir aber eine verdammt feine Stelze geangelt!« In Zahlen ausgedrückt: Note sehr gut mit Auszeichnung!

»Draußen habe ich gedeckt. Geht schon mal auf die Dachterrasse. Der Michael kennt sich hier bestens aus. Fühl dich wie daheim, Caro.«

Man hatte von der Terrasse aus einen sagenhaften Blick auf Görlitz. Der mächtige weiße Frauenturm ragte aus den alten Gemäuern heraus. »Da gehen wir Sonntagmorgen hin.« Josi schmunzelte: »Caroline, da müssen alle mit hin! Alle Damen, die Michael mitgebracht hat, müssen da mit hin. Das ist Pflichtprogramm. Weiß du noch Klara?«

»Oh ja!«

»Die hat gestreikt. Der war es zu weit! Die hat sich einfach an die Neiße gesetzt und gewartet, bis Michael wiederkam.« Wir amüsierten uns! »Außer Maria! Die ist mit dir immer da hingegangen.«

»Ja stimmt! Die war nicht kleinzukriegen, auch beim Shoppen nicht. Mit der war ich am liebsten hier.« Klara und Maria waren meine Cousinen. »Sonntags Morgen geht es immer zum Dicken. So nennen die Görlitzer den Turm.«

»Okay.«

»Ist was anderes wie Oberhof, oder?«

»Oh ja!«

Der rechteckige Teakholztisch war liebevoll gedeckt. Josi kam mit dem Kuchen. »Von dem Dicken aus hat man eine wunderbare Aussicht auf die Altstadt und das Neißetal. Michael ist da schon als kleiner Junge gern hochgegangen. »Von da kann man in alle Himmelsrichtungen gleichzeitig sehen!«, hat er als Kind gesagt. Man sieht von da oben die vier Türme der Altstadt. Ich hab’ ihn dann gefragt, wie man die Himmelsrichtungen erkennen könne. Er sagte dann: »Na an den zwei Türmen, die zusammenstehen. Da ist doch die Mitte. Die Mitte ist immer richtig!« Wir lachten. »In Schmeltrin gibt es vier Frauentürme. In die kamen im Mittelalter alle emanzipierten Frauen.«

»Die Josi war auch schon öfters im Frauenturm!«, hörte man Thomas mit verstellter Stimme aus der Küche rufen. »Pass auf, dass du nicht gleich in einen Turm kommst!«, fauchte Josi frech zurück. »Wo bleibst du? Wir warten schon auf dich!« Mit der Stimme von Pumuckl ertönte es zurück: »Oh, die hoch eminente Josi wird gleich wieder ihr Klagelied im Frauenturm erklingen lassen!« Wir lachten aus vollem Herzen. »Bist du blöd!«, scherzte Josi.

Er kam auf die Terrasse, ging auf Caro zu. »Ah, da ist er ja!«, rief ich freudig. Caro stand auf. »Hallo, ich bin der Thomas! Hab’ schon viel von dir gehört!«

»Caroline«, Caro lächelte schüchtern. Beim Händeschütteln zuckten seine Oberarmmuskeln. Die einbalsamierte Haut glänzte in der Sonne. Im ärmellosen Shirt und knapper schwarzer Shorts kam sein braungebrannter, durchtrainierter Körper zur Geltung.

Josi beobachtete ihren Mann. Ihr attraktiver Gemahl und eine hübsche blonde junge Frau reichten sich die Hände. Carolines Auftritt wirkte wie ein Shooting für ein Modemagazin mit dem Motto: »for ever young!«

Josefine und Thomas achteten sehr auf ihre Figuren. Sie ernährten sich gesund, aßen viel Obst und Gemüse.

Samstagnachmittag gab es einen frischgebackenen Kuchen. Das war die große Ausnahme. Josi verteilte die Kuchenstücke auf die Teller. »Das brauch ich einfach! Wir schaffen beide in der Woche und dann will ich es mir am Wochenende auch mal gut gehen lassen!« Diese Angewohnheit des Kaffeetrinkens am Samstagnachmittag kannte sie aus ihrem Elternhaus. Ihre Mutter, meine Oma, legte da sehr großen Wert drauf. »Bei uns zuhause gab es jeden Sonntag einen Kuchen, selbst nach dem Krieg. Meine Mutter konnte aus einem Eimer Kartoffelschalen ein Dreigänge-Menü zaubern. Sonntags haben wir keine Zeit, da sind wir im Studio. Wir wollen fit bleiben.«

»Was macht denn de’ Rilkes Hennes?«, fragte Thomas mich.

»Der hat letzte Woche den Rasenmäher angemacht und einfach laufen lassen, weil ihm der Kaffeeklatsch in der Nachbarschaft zu laut war!« Alle am Tisch lachten.

Wir lachten, wir erzählten. »... Wie war das noch mal mit dem »der Vati macht es mit der Kati?««, fragte Josi mich, schon leicht grinsend. Mit großen Augen schaute mich Caro an. »Vati mit Kati und Mammi mit Manni« wieder erklang ein fröhliches Lachen unter der Görlitzer Nachmittagssonne. »Das mit Kati und Manni scheint wohl die neue Seuche zu werden. Für Kinder sind Vater und Mutter immer noch am besten. Und das wird auch immer so bleiben!« Ich kam in Fahrt. »Die Vogelkinder in den Hecken sind besser geschützt als unsere Kinder in Deutschland!

Bei den Vögeln ist das klar. Die brauchen Ruhe. Die sollen behütet aufwachsen. Da gibt es extra Gesetze drüber. Wann die Hecke geschnitten werden darf und noch viele andere Extras. Und unsere eigenen Kinder? Die Eltern trennen sich. Ich äffte eine hochemanzipierte Frau nach »Oh! Ich muss mich verwirklichen.

Mein Psychologe sagte, ich solle meinen eigenen Weg gehen.«

Was denkt denn das Kind, wenn es auf der anderen Straßenseite Vati mit Kati sieht?« Man stimmte mit einem gemeinschaftlichen, nachdenklichen, schweigenden Nicken zu.

Ich liebte diese gemütlichen, aber auch tiefsinnigen Stunden.

Wir sprachen über die Oberhofer Originale, Rilkes Hennes, Greitgers Seppi, Schulten Treschen und viele andere, teils schon verstorben. Unzählige oberstaufenwälder Geschichten und Dönekes kamen auf den Tisch. Wir unterhielten uns über Gesundheit und Ernährung.

Und – ja und wir unterhielten uns über Politik und Psychologie, besonders meine Tante und ich. Wir vertieften unser gemeinsames Denken. Die Verbindung war ihre Mutter, meine Großmutter. Meine Großmutter hat mich geprägt, wie keine andere Frau in meinem Leben. Josi und ich waren eine Seele. »...

aufschreiben müsste man »Vati mit Kati, Mammi mit Manni«!«

»Ja mach das doch mal! Schreib das Mal auf! Einer muss den Menschen endlich mal wieder den Spiegel vorhalten!«

Was waren das für schöne Stunden in Görlitz! Mit Wehmut fuhr ich am Sonntagnachmittag wieder nach Hause. Nach einigen Kilometern auf der A4 Richtung Westen verdrängte die Vorfreude auf das nächste Mal die leichte Trauer des Abschieds. »Hier fahren wir noch oft hin, nach Josi, nach Thomas, zum Dicken, zum Sommerfestival, zum Weihnachtsmarkt. Wir werden noch schöne Kaffeestunden auf der Terrasse erleben.«

Caro und ich liebten das lange Frühstücken und Kaffeetrinken. Wir gingen gern in den Wald. Mit dem Motorrad fuhren wir ab und zu durch die Gegend. Zum Shoppen fuhr Caro am liebsten nach Frankfurt. Mit unseren Freunden feierten wir gern bis spät in die Nacht.

Der Wäscheberg wurde immer größer. Caros flinke Hände immer schneller. Wenn sie freitags nach Hause kam, erledigte sie ihre auferlegten »Hausaufgaben« und fuhr zu mir. Samstags morgens nach dem Frühstück schaute sie dann bei ihren Eltern vorbei. Die Besuche wurden mit der Zeit immer kürzer. Das gefiel Bertha nicht. Es gab oft Stress zwischen Tochter und Mutter.

»Mama ist total ausgerastet, weil ich ihr keine Bananen geholt habe!«

Bertha diktierte Caro auf, sonntags einen Kuchen zu backen.

»Das kannst du doch wohl machen! Ich habe so viel für dich getan.« Dadurch saßen wir sonntags Nachmittag öfters bei Schmidts zum Kaffee. Mir gefiel es. ›Frau Schmidt hat ja schon ihren Kopf!‹, dachte ich immer. Ich naschte von dem Kuchen.

›Caro aber auch!‹ Ich schaute Frau Schmidt unschuldig an und genoss den köstlichen Kuchen.

Nach dem Kaffee fuhr Caro wieder nach Tüddern. Bertha fiel der Abschied immer schwer. Bedröppelt stand sie jedes Mal auf dem Treppenstein vor dem Haus und schaute ihr gedankenverloren nach. Ludwig kam dazu, immer in seiner Yachtkleidung, mal für Sommer-, mal für Wintertage.

»Caroline, brauchst du noch Geld?«

»Nein, ich habe noch was.« Sie ging noch einmal ins Haus und holte ihre Jacke. Ludwig steckte ihr 50 Mark in die Tasche. »Da hast du noch ein bisschen.« Er schaute sie liebevoll an. Dann stieg er in seinen Firmenwagen und fuhr eilig davon. Caro fuhr nach Tüddern, neuerdings immer öfters mit mir. Ich fuhr sie zum Bahnhof und immer öfters direkt zum Internat.

Kapitel 3 Alkohol, Girls & Eisenlöffel

»Heute Abend saufen wir einen!« Caroline stand den Freitag drauf im Bad und stylte sich für die Party. Das hörte sich aus ihrem Mund harmlos an. Mir schmeckte weder Bier, Wein, noch sonst irgendein alkoholisches Getränk. Bertha sagte nicht »unsere Caro säuft«, sondern »unsere Caroline trinkt ja doch mal gerne ein Bier.« Ich wusste bereits, dass es oft nicht bei einem Bier und dass es oft nicht bei einer normalen Zigarette blieb. Aber Bertha musste ja nicht alles wissen! Wir gingen in die Kneipe, in der wir uns vorher meistens trafen. Ich sagte wie selbstverständlich: »Willi – zwei Bier!« Der Wirt, der mir seit Jahren Apfelschorle ausschenkte, lachte sich auf seine unverwechselbare Art ins Fäustchen: »Du trinks Bier? Also nee! Also sowas ...« Er kicherte vor sich hin, schüttelte den Kopf, zapfte meisterhaft zwei frische Pils und grinste. »Also sowas! Dass ich das noch erleben darf. Der Michel trinkt Bier.« Willi kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Unsere Clique hatte Spaß auf der Kirmes. Wie war die Freude groß im ganzen Oberstaufenwalde, als ich angetrunken im festlich geschmückten Festzelt stand. Ein guter Freund haute mir auf die Schulter. »Na siehst, es schmeckt doch gut, oder?« Worauf ich »nüchtern« antwortete: »Es schmeckt immer noch nicht, aber es wirkt!« Alle, die um uns rum standen, lachten aus voller Brust. Ich nahm meine Caro in den Arm: »Du bist echt ein süßer Oski!«, strahlte ich sie an! Genauso wie bei unserer ersten Begegnung!

»Dann bist du aber auch ein Oski!« Wir waren seit dem Tag die Oskis!

Tabus wurden gebrochen. Man riss sich heraus aus alten Verbindungen und floh in die grenzenlose Freiheit. Unsere Partnerschaft gab uns Halt. Wir stärkten uns gegenseitig. Caro löste meine verkrampfte Haltung zum Alkohol. Ich stärkte ihr Selbstvertrauen. Sie riss sich los von ihrer Mutter, Sie begann ihr Leben zu leben. Wir begannen, unser Leben zu leben.

Die erste neu erlernte Nachspeise, welche mir die angehende Köchin eines Sonntags präsentierte, war ein warmer Apfelstrudel mit Mandeln. Wir saßen in Berthas Luxusküche. Es duftete nach Kaffee, frischem Strudel und einer ganz leichten Note Knoblauch.

Die verweilte wohl noch vom Mittagstisch im Raum. Die Tafel wurde adrett zusammengestellt – die großen Tassen wurden direkt weggelassen – und die meisterlich erstellte Süßspeise fand seinen Platz auf dem Tisch neben der frisch geschlagenen Sahne. Wir aßen und tranken. Beim ersten Biss dachte ich: ›Der Strudel schmeckt leicht nach Knoblauch.‹ Ich aß weiter, ohne mir etwas anmerken zu lassen. ›Das bildest du dir nur ein! Das hat man schon mal - Geschmacksnervenfieber!‹

Oder vielleicht lag es daran, dass ich verliebt war? Auf der Fahrt zum Bahnhof stellte sich dann heraus, dass noch mehr Menschen verliebt waren. »Hat dir der Pfälzer Apfelstrudel denn geschmeckt?«, fragte Caroline. Irritiert, weil die Frage erst im Auto kam, antwortete ich: »Doch, war gut!« Ich überlegte kurz.

»Na ja, war nicht ganz so gut!« Ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. »Ich hatte erst gedacht, dass im Strudel Knoblauch ist!« Wir beide lachten. »Wieso?«, fragte sie kichernd.

»Als ich zum ersten Mal reinbiss, hatte ich so einen Nachgeschmack von Knoblauch.«.

»Ja – ich war ein bisschen verwirrt. «

Da war es – diese unverstellte, aber dennoch freche Art die ich an dieser Frau so liebte – einfach unbeschreiblich: »Ich war verwirrt!« Sie hatte tatsächlich Knoblauchgewürz in den Apfelstrudel gestreut. Die Gewürzdose Knoblauch hatte die gleiche Farbe wie die Gewürzdose Zimt. „Ich war verwirrt!“

Bei Oma Klara gab es dänische Plätzchen aus der Dose. Caroline hatte eine Oma! Wie gerne hätte ich in den Jahren eine Oma gehabt!

»Ich war jeden Tag bei meiner Oma. Wir sind zusammen spazieren gegangen. Waren viel im Garten, haben gebacken oder gekocht. Mann! Die Frau konnte kochen!« Meine Großmutter war für mich das Größte. Sie war ein gutmütiger Mensch. Leider starb sie, als ich im siebten Schuljahr war. Ich trauerte lange hinter ihr her. Seitdem hatten alle alten Frauen einen Stein bei mir im Brett.

Das gefiel Bertha.

»Unsere Mutter ist gestürzt. Sie ist von einem Stuhl gefallen, beim Wäsche aufhängen.« Bertha lachte leicht abwertend. »Die meint auch immer noch, sie wäre fünfzig! Caro, fahrt doch mal zu ihr ins Krankenhaus.« Caro schaute auf den Tisch. »Ja, können wir machen. Also ich wäre dabei«, antwortete ich für uns beide. »Ihr könnt auch das Auto vom Ludwig nehmen, dann spart ihr den Sprit.«

Caros Schritte wurden immer langsamer im Krankenhausflur.

»Ah, da ist es ja!« Wir standen vor der breiten Tür. Caro machte keinerlei Anstalten, die Tür zu öffnen. Eine Krankenschwester kam uns zuvor. Die Tür öffnete sich. »So Frau Meyer, ihr Tee mit einem Schuss Honig.«

»Haben sie den Tee auch aufgeschüttet?«

»Ja das haben wir! Wir haben den Tee ordnungsgemäß aufgeschüttet, wie es sich gehört, genau so, wie sie es uns aufgetragen haben.«

»Den Honig erst nach dem Ziehen mit einem Holzlöffel untergerührt?«

»Na klar, Frau Meyer.«

»Weh nicht! Ich schmecke das sofort! Wehe sie haben einen Eisenlöffel genommen.« Die geduldige, freundliche Schwester schaute uns verschmitzt an. »Frau Meyer! Das würden wir niemals wagen! Schauen sie mal, sie haben Besuch.« Frau Meyer schaute aus dem Fenster. »Besuch? Ah, unser Bertha, sonst kommt ja doch keiner. Und selbst die kommt selten. Da hat man sieben Kinder in die Welt gesetzt und im Alter ist man doch alleine!«

Sie saß im Bett mit blauen Flecken im Gesicht. Sie saß im Krankenbett mit ihren 96 Jahren, mit ihrem gebrochenen Oberarm und wetterte vor sich hin. Die Krankenschwester verließ den Raum. Wir gingen zum Bett. Caro gab ihr die Hand. Sie schauten sich nicht an. Es fiel kein Wort. Ich reichte Frau Meyer die Hand.

Sie strahlte mich an! »Das ist aber schön, dass ihr mich besuchen kommt!«

Die alte Frau Meyer rückte sich zurecht, um den Tee trinken zu können. Wir stellten uns vor das Bett, Caro links, ich rechts.

Frau Meyer erzählte vor sich hin: »Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet, habe zwei Kriege erlebt. Ich habe noch die stolze Kaiserzeit erlebt!« Klara Meyer strahlte! Für einen kurzen Moment strahlte und träumte sie. Die alte Frau schaute zu mir hoch. »Macht euch ein schönes Leben!« Wieder lächelte sie freudestrahlend! Im nächsten Moment war ihr Gesicht wie versteinert. »Mein Mann kam zurück aus dem Krieg in einem Rollstuhl. Nichts war mehr übrig von meinem stolzen Ehemann.«

Die alte Frau schaute auf die Bettdecke und strich mit ihrer faltigen, knochigen Hand drüber. »Wäsche, Wäsche, diese ganze Wäsche! Und Handarbeit habe ich gemacht. Im Winter viele Blumengefäße für unsere Gärtnerei getöpfert.« Unsicher griff sie zu der Tasse, hielt sich diese vor die Nase und inhalierte den aufsteigenden Teedampf. »Doch wieder Eisenlöffel!« Sie seufzte kurz mit einem lauten Atem auf. Sie schaute mich an und lächelte.

»Unsere Jungs haben es alle zu was gebracht. Unser Gisbert ist Bankdirektor. Unser Theo hat die Gärtnerei übernommen. Norbert hat das Schuhgeschäft, unser Franz die Versicherungsagentur. Aus denen ist alle was geworden.« Die alte Dame setzte aus. Sie schwieg und blickte ins Leere. Es war ruhig im Zimmer. Von draußen hörte man den Vogelgesang aus dem Park. Im Flur klimperte der Kaffeewagen an Frau Meyers Zimmertür vorbei.

Die alte Frau griff zur Tasse. »Meine Männer haben alle was erreicht.« Nach einem Nippen an der Tasse verdrehte sie die Augen. »Eisen, Eisen! Diese jungen Weiber können auch gar nichts!«

Diese jungen Weiber! Den Umgang mit dem lieben Alkohol in Bezug auf Flirtverhalten musste ich erst erlernen. Meine Prüfung zum staatlichen Baudenkmalpfleger hatte ich bestanden. Es gab eine große Entlassungsfeier. Wir saßen abends in froher Runde. Es floss reichlich Wein. Der begleitende Dozent zeigte sich äußerste spendabel. Ein Mädel aus meiner Gruppe hatte es auf mich abgesehen. Sie war attraktiv. Sie war sportlich. Sie nahm sich, was ihr gefiel. Mit ihren feuerroten, wilden Haaren, ihrer knappen Jeans-Hotpants, klobigen Schnürschuhen, einem ärmellosen Shirt und neonorangen breiten Hosenträgern zog sie auf den Baustellengerüsten manchen Blick auf sich! Für mich gab es aber nur noch Caro. Es war nach Mitternacht. »Dich nehme ich mit auf mein Zimmer«. Generell war ich eine treue Seele. Ein netter Flirt war okay, bis dahin und nicht weiter. Der liebe Alkohol machte diese feste Grenze ziemlich offen. Jenny nutzte die Gelegenheit.

Wir unterhielten uns, zogen uns bis auf die Unterwäsche aus.

Meine Jeans behielt ich an. Immer schwerer viel es uns, voneinander zu lassen. Wir küssten uns nicht. Meine Finger massierten ihr gefühlvoll den Rücken. »Oh ist das schön! Mach bitte weiter. Hast du das gelernt?« Mein Gewissen schaffte es, mich immer wieder zu bremsen. Das knisternd begonnene Abenteuer verlor seinen Zauber.

Am nächsten Tag fuhren wir ab. Man schaute uns an. Es sprach sich rum wie ein Lauffeuer, dass wir gemeinsam in Jennys Zimmer verschwanden. Jeder wird sich ausgemalt haben, was diese attraktive Frau mit mir in den Stunden angestellt hat. Es war ein besonders heißer Flirt. Eine Nacht mit Jenny! Da träumten viele von! Ein Teil der Kollegen blickte immer wieder neidisch rüber. Jeder wollte sie haben. Unser platonisches Abenteuer behielt ich für mich. Zwei Typen machten ihr schon länger schöne Augen. Sie prahlten: »Die knack ich!«

»Das ist für mich ein Kinderspiel!« Sie gingen ins Fitness-Studio. Jenny schaute ein letztes Mal in meine Augen. Das Erlebte steigerte meine Attraktivität gegenüber dieser besonderen Frau ins Unermessliche. Ihr Blick zeigte es mir! Sie bekam immer, was sie wollte. Ich war der, welcher ihrer Schönheit widerstand.

Es war eine besondere Stimmung.

Ich fuhr nach Münchhausen und beichtete Caro von meinen Ausschweif unter vielen Tränen. Auch sie begann zu weinen. Sie schwieg. Wir fuhren zu meiner Wohnung. Sie nahm ein paar Sachen von sich mit. Dann brachte ich sie nach Hause.

»Das war’s! Mit Hilfe des Alkohols habe ich es zerstört!« Ich war niedergeschlagen. Einen Tag später rief ich Caro an, entschuldigte mich ein zweites Mal bei ihr. Ich bin ja nicht fremdgegangen. Jenny wollte mich verführen. Ich hatte mich trotz des hohen Alkoholpegels beherrscht. Ich bat um eine zweite Chance. »Mach das nie mehr wieder! Dann ist es ein für alle Mal aus!«

Gemeinsam erlebten wir einen unbeschwerten Sommer. Wir lagen viel am Kaisersee, tanzten ab oder fuhren mit dem Motorrad quer durch die Republik und flogen 10 Tage nach Sizilien.

Caro wohnte noch ein paar Monate in Tüddern. Caro war nicht gern dort! Sie wollte lieber nach Köln.

Oft besuchte ich sie, auch in der Woche in Tüddern. Ich rief sie abends an und kam öfters spontan zu ihr runter und schlief bei ihr. Es war eng im Einzelbett. Die Nächte dort waren generell etwas kurz. Um halb fünf in der Früh schellte der Wecker. ›Die müssen ja früh aufstehen!‹, dachte ich mir, während ich mich noch einmal auf die andere Seite wälzte. Die Liegefläche des Bettes war nicht in Waage, sondern ein wenig nach vorne geneigt, so dass man immer das Gefühl hatte, rausfallen zu können. Aber was war das? Caro machte den Wecker aus und kam wieder ins Bett. ›Ach so eine ist das, ein ganz besonders wildes Kätzchen!‹, dachte ich mir schmunzelnd, ohne mich zu bewegen. Aber sie bewegte sich auch nicht und schlief wieder ein. Eine halbe Stunde später ging das Radio an. Caroline stand erneut auf und machte das Licht und das Heizöfchen an, welches ab und zu einen netten Hintergrundbass zu den Songs im Radio lieferte. Caro – was machte meine Caroline? Sie kam wieder ins Bett. Nach ein paar Minuten bis maximal einer Viertelstunde stand sie dann wieder auf und blieb in der Vertikalen. Der Wasserkocher, der Teewasser erhitzen musste, störte die Tüdderner Morgenruh und bildete mit dem Radio und dem Heizöfchen eine besondere Atmosphäre, an die ich mich als Morgenmuffel erst gewöhnen musste. Das war nötig, denn dieses Ritual wurde jeden Morgen in gleicher Weise „zelebriert“.

Caro ging dann mit ihren Freundinnen frühstücken.

Anschließend brachte sie mir zwei Brötchen und etwas Wurst mit.

Ich machte mir mit dem Wasserkocher einen Kaffee und ließ mir die Brötchen schmecken. Die BRAVO-Tasse bescherte mir bei jedem Besuch verbrannte Lippe und Zunge. Der Kaffee wollte in dieser Tasse einfach nicht kalt werden.

Lag es an der heißen Tasse oder lag es eher daran, dass ich auf heißen Kohlen saß? Auf die letzte Minute fuhr ich los.

Am meisten gefiel mir, wenn ich spontan abends zu ihr fuhr und sie oben aus dem Fenster mit einem süßen Blick zu mir herunterschaute – wie an dem Tag, als ich sie zuhause das erste Mal besucht hatte.

Zuckersüß war die Begegnung in der letzten Woche ihres Aufenthaltes in dem gemütlichen Städtchen. Der Haupteingang war geöffnet. Ich ging hoch zu ihrem Zimmer. Als ich die Tür öffnete, saß sie am Fenster in zerrissener Blue-Jeans, bauchfreiem, schneeweißen Top und wilder Mähne. Ihre himmelblauen Augen schauten mich kurz frech an. Dann folgten sie wieder der Klinge des Gemüseschälers in ihren Händen. »Was machst du da?«, fragte ich sie. »Ich esse Möhr’n!«

Das war meine Caro! Ein Original! Ein bildhübsches Girl!

Auf den ersten Blick wirkte sie unnahbar, fast schon arrogant. Und dann süß, fast kindlich: »Ich esse Möhr’n!« Kein anderer Typ kam ihr so nah wie ich. Unsere Liebe, unser Vertrauen wurde immer stärker.

Bertha gab endlich auf, sie ließ uns in Ruhe. Sie freute sich, dass ihre Tochter glücklich war! Caro und ich gingen einen gemeinsamen Weg. Sonntags abends gingen wir oft mit Caros Eltern und Marion essen. Ich kam in viele heimische Restaurants.

Und davon gab es etliche in der Ferienregion Oberstaufenwald.

Wenn Bertha zum Kaffee einlud, sagte ich eher zu als Caro. Dies schien Bertha zu gefallen.

Kapitel 4 Traumzeiten!

Sonntagmittag saßen wir Schneides alle am Tisch – wie jeden Sonntag. Das war meinen Eltern wichtig. Obwohl mein Bruder bereits eine feste Freundin hatte, mit der er zusammenwohnte, saß er noch oft mit am Tisch.

»Das Haus vom Bicht kann man kaufen!«, warf ich schüchtern in den Gesprächsraum. »Von mir aus! Soll kaufen, wer will!«, äußerte mein Vater gelassen. »Das Haus ist im Top-Zustand und in der besten Lage von Oberhof.« Meine Mutter und mein Bruder schwiegen. »Dann musst du es kaufen.«, gab mein Vater zur Antwort. Meine Mutter lachte. Mein Bruder schwieg weiter.

»Sollen wir es nicht zu dritt kaufen? Matthias, du und ich. Als Mietobjekt.«

»Da hast du lange was von! Ich sollte wohl für andere Leute bauen!«, antwortete mein Vater.

Ein Haus kaufen. Mit Ende 20 bekam ich das Bedürfnis, eine Immobilie zu erwerben. Es reizte mich eher, ein Haus zu kaufen und umzubauen, als ein neues Gebäude auf einer grünen Wiese zu errichten.

Am Montagnachmittag drauf besserte ich den Fachwerkgiebel an der Garage meiner »amtierenden«

Schwiegereltern aus. Beim Abspachteln der Fachwerkfelder bemerkte ich im Augenwinkel einen alten Mann auf der Straße. Er schaute mir zu. Er schwieg – die ganze Zeit. Mir kam es vor, als würde er meine Fingerspitzen beeinflussen. Meine Augen musterten ihn kurz beim Reinigen des Pinsels. ›Was will der Ötzi denn von mir?‹