Ilias. Odyssee - Homer - E-Book
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Homer

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Beschreibung

"Ilias" und "Odyssee" sind die meistgelesenen Epen der Weltliteratur. Das Homer-Bild der deutschen Leser prägte v. a. Johann Heinrich Voß mit seinen eingängigen und bildhaften Übersetzungen. Zeit seines Lebens hat er sich damit beschäftigt und seine Übertragungen dabei zum Teil stark überarbeitet. In späteren Auflagen näherte er sich dem griechischen Original wieder stärker an als in seinen Erstfassungen. Diesem jahrzehntelangen Ringen um den besten »deutschen Homer« wird in dieser Ausgabe Rechnung getragen, sie beruht auf der letzten zu Voß' Lebzeiten erschienenen Fassung. In einer Einleitung und zwei Nachworten befasst sich die Altphilologin Melanie Möller mit den Anfängen der abendländischen Literatur, mit Homers Sprache, den Besonderheiten der Übersetzung und nicht zuletzt der Frage, ob es Homer überhaupt gegeben hat.

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Seitenzahl: 1403

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Homer

IliasOdyssee

Aus dem Griechischen übersetzt von Johann Heinrich Voß
Mit Einführung und Werkübersicht von Melanie Möller

Reclam

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildungen: André Bonamy (1880–1943), The Holbarn Archive/Bridgeman Images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962096-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-030085-5

www.reclam.de

Inhalt

Zur Einführung

Die Homerische Frage

Historische Hintergründe

Die homerische Sprache in Original und Übersetzung

Johann Heinrich Voß als Übersetzer der homerischen Epen

Band 1: Ilias

Erster Gesang

Zweiter Gesang

Dritter Gesang

Vierter Gesang

Fünfter Gesang

Sechster Gesang

Siebenter Gesang

Achter Gesang

Neunter Gesang

Zehnter Gesang

Elfter Gesang

Zwölfter Gesang

Dreizehnter Gesang

Vierzehnter Gesang

Fünfzehnter Gesang

Sechzehnter Gesang

Siebzehnter Gesang

Achtzehnter Gesang

Neunzehnter Gesang

Zwanzigster Gesang

Einundzwanzigster Gesang

Zweiundzwanzigster Gesang

Dreiundzwanzigster Gesang

Vierundzwanzigster Gesang

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Die Ilias – Themen und Handlung

Band 2: Odysee

Erster Gesang

Zweiter Gesang

Dritter Gesang

Vierter Gesang

Fünfter Gesang

Sechster Gesang

Siebenter Gesang

Achter Gesang

Neunter Gesang

Zehnter Gesang

Elfter Gesang

Zwölfter Gesang

Dreizehnter Gesang

Vierzehnter Gesang

Fünfzehnter Gesang

Sechzehnter Gesang

Siebzehnter Gesang

Achtzehnter Gesang

Neunzehnter Gesang

Zwanzigster Gesang

Einundzwanzigster Gesang

Zweiundzwanzigster Gesang

Dreiundzwanzigster Gesang

Vierundzwanzigster Gesang

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Die Odyssee – Themen und Handlung

Zur Einführung

Die Anfänge der griechischen Literatur: »Homer« und die »fahrenden Sänger«

Ilias und Odyssee sind die meistgelesenen Epen der Weltliteratur. Doch wer ist ihr Autor? Homer? Was seine Existenz betrifft, so stellen sich leider weitaus mehr Fragen, als Antworten gegeben werden können. Schon die zeitliche Verortung verbleibt im Vagen, wenn sie auch mit einiger Plausibilität irgendwann zwischen 750 und 650 v. Chr. anzusetzen ist. Der Sänger-Kontrahent Hesiod, Verfasser der Theogonie und der Werke und Tage, wird mit der Wende vom 8. ins 7. Jahrhundert v. Chr. assoziiert, und für einen Teil der Forschung ergibt sich daraus zugleich der terminus ante quem für Homer – das bedeutet: Die (erste) schriftliche Fassung der Ilias muss vorher entstanden sein. In den meisten Homer-Viten werden einige mögliche Herkunftsorte für ihn angeführt: Am häufigsten werden im Ringen der sprichwörtlichen sieben Städte Chios auf der gleichnamigen Ägäisinsel und Smyrna in Mäonien (Lydien in der heutigen Türkei) genannt. Über Homers Lebensumstände und sein Aussehen wissen wir nichts, was nicht spekulativ aus dem Kontext der Werke bezogen wäre. Und selbst der Name ist umstritten.

Ob der Autor der beiden Epen zu der in der Zeit populären Zunft der ›fahrenden Sänger‹ gehörte, ist ebenfalls unsicher; fest steht immerhin, dass Sänger durch die Lande zogen, die Ilias und Odyssee zum Besten gaben. Für diese kursierten verschiedene Namen: neben ›Rhapsoden‹ auch ›Aoiden‹ oder konkret ›Homeriden‹. Diese Bezeichnungen erfassen den Sänger als professionellen Rezitator, wie er für die Präsentation der griechischen Epik von ca. 1600 bis 800 v. Chr. üblich war. Vor der Verbreitung der Schrift um 800 v. Chr. mussten die Gesänge extemporiert, das heißt aus dem Gedächtnis wiedergegeben, improvisiert werden, was immer neue Kompositionen hervorbrachte. Im Übergang zur Schriftkultur wurden die bewährten oralen Techniken mit den neuen schriftbasierten kombiniert: eine kreative Schnittstelle – an welcher ›Homer‹ anzusiedeln ist.

Als gesichert kann außerdem gelten, dass Musik das Leben im alten Griechenland wesentlich bestimmte; auch die Wortkunst ist ohne sie nicht denkbar und war in der Regel an einen konkreten musikalisch untermalten Aufführungsrahmen gebunden. Gesang und Rezitation standen in hohem Ansehen, wie die beiden Epen verbürgen (so etwa Odyssee 13, 28: »auch sang in der Schar der göttliche Sänger, / Welchen das Volk hoch ehrte, Demodokos«; vgl. auch Odyssee 17, 385). Erste Aoiden gab es womöglich in den frühmykenischen Burgen. Ihre Wanderung und damit die Erweiterung ihres Wirkkreises dürfte um 1100 v. Chr. eingesetzt haben, also rund hundert Jahre nach dem vermuteten historischen Datum der Ereignisse um Troja (wenn man die wissenschaftliche Rekonstruktion der mythischen Welt so weit treiben möchte). Die Sänger bedurften beachtlicher Qualifikationen, fachlicher wie sozialer Art: Die in Homers Epen gebotenen Beispiele des Demodokos (im achten Buch der Odyssee) und des Phemios (im ersten und 22. Buch der Odyssee) zeigen Meister ihrer Zunft, die den generationenübergreifenden Stoff so gut beherrschten, dass sie gleichsam ›auf Zuruf‹ loslegen konnten. Auch mit den gesellschaftlichen Hintergründen und Erwartungen ihres Publikums bzw. ihrer (meist adligen) Auftraggeber waren sie vertraut. Vor allem aber mussten sie musikalisch sein. Gestützt auf die Vermutung, dass Homer selbst Sänger, Dichter und ›Instrumentalist‹ in Personalunion war, wird man davon ausgehen dürfen, dass mindestens zwei der Voraussetzungen von einem fahrenden Sänger zu erfüllen waren.

Ihre Kunstfertigkeit mussten die Sänger auch in Wettbewerben unter Beweis stellen; die homerischen Epen selbst waren fester Bestandteil sogenannter Rhapsoden-Agone bzw. -Aufführungen, die vor allem bei Festen und Gelagen stattfanden oder in Spiele oder Leichenzüge integriert waren. Homer zu rezitieren war eine Institution zum Beispiel an den Panathenaien, die alle vier Jahre zu Athen stattfanden. Neben Homers Epen gehörten etwa auch die beißenden Jamben des Archilochos von Paros (7. Jahrhundert v. Chr.) ins Arsenal der Rhapsoden. Hinzu kamen andere Götter- und Heldenlieder. So wurden diese Sänger zu bedeutenden Vermittlern des kulturellen Erbes.

Die Homerische Frage

Das Phänomen Homer hat bereits den antiken Literaturforschern Rätsel aufgegeben. In den Zweifeln an seiner Person liegen die Wurzeln der später so titulierten ›Homerischen Frage‹, der philologischen Frage also nach der Autorschaft von Ilias und Odyssee. Sie impliziert die Entschlüsselung der Werkgenese sowie der Identität ihres oder ihrer Verfasser bzw. aller am Entstehungsprozess beteiligten Instanzen. Bis heute gibt es keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen. Einen ersten Meilenstein in der kritischen Homer-Forschung setzte die hellenistische Philologie: Der Homer-Exeget Zenodot vollzog im 3. Jahrhundert v. Chr. die Einteilung der Epen in je 24 Bücher (bzw. ›Gesänge‹), Aristophanes von Byzanz und Aristarch von Samothrake nahmen in ihren kritischen Untersuchungen der Texte Streichungen vor; allerdings hat keiner von ihnen nachweislich die Verfasserschaft Homers infrage gestellt. Doch entwickelte sich bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert die streitbare Schule der sogenannten Chorizonten (dt. ›Unterscheider‹) um Xenon und Hellanikos, die an einen einzelnen Verfasser, schon gar beider Epen, nicht glauben wollte. Seitdem hat man die Homerische Frage hitzig diskutiert.

Den größten Abdruck hat ohne Zweifel der Auftritt Friedrich August Wolfs auf der philologischen Bühne hinterlassen. Er, der sinnbildlich ›reißende Wolf‹, gilt als Urvater der ›Analysten‹, derjenigen also, die an den homerischen Werken mehr als ein Paar unschuldiger Hände am Werke sehen. Zu dieser Annahme haben ihn die zahlreichen Widersprüche veranlasst, die der Text und seine Deutung sowie die divergenten Erkenntnisse der Homer-Philologie zutage gefördert hatten: Diese legte er ausführlich in seinen Prolegomena ad Homerum (1795) dar.

Mit Wolfs Namen vor allem wird in der Folge die Homerische Frage verbunden, die sich die Klärung der Epen-Genese auf die Fahnen geschrieben hat. Daraus ist rasch ein kleiner Fragenkatalog geworden – der hier rasch durchgeblättert werden soll: Steht hinter den Epen überhaupt ein Autor im herkömmlichen Sinne? Wenn ja, stammen beide Epen von ein und demselben? Wenn nein, stammt jeweils ein Epos von Anfang bis Ende von einem Autor? Wenn ja, handelt es sich um einen eigenständig arbeitenden, ›originellen‹ Dichter oder um einen bloßen Sammler und Redakteur? Oder beides? Und inwieweit hat er die eigenen Texte rezitiert? Dieser Fragenkatalog lässt sich noch beträchtlich erweitern bzw. weiter ausdifferenzieren. Aber die Tendenzen scheinen doch klar, und sie gehen auf die von Wolf konkretisierten beiden Entstehungsvarianten zurück: Zum einen wäre denkbar, dass ein ursprünglich mündlich überlieferter Kern irgendwann (wahrscheinlich unter Peisistratos, der im 6. Jahrhundert v. Chr. über Athen herrschte) schriftlich fixiert und dann immer wieder ergänzt und erweitert wurde, bis in hellenistischer Zeit die uns heute vorliegende Version entstand – was die Grammatik des Texts nahelegt. Dabei wird nochmal unterschieden zwischen der sogenannten ›Liedertheorie‹, die von aneinandergereihten Einzelgesängen ausgeht (Karl Lachmann), und der ›Erweiterungstheorie‹, die an einem originalen Kernstück festhält, welches im Lauf der Zeit angereichert worden wäre. Hier setzte in den 1880er Jahren auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff an, der vier Bearbeiter vermutete und versuchte, schichtweise eine ›Ur-Ilias‹ freizulegen. Die zweite Entstehungsvariante folgt der sogenannten ›Kompilationstheorie‹, der zufolge ein Dichter mehrere in sich homogene Einzelerzählungen zu einem Ganzen vereinigt hat.

In diesen verschiedenen Hypothesen spiegelt sich der grundlegende Konflikt: Den Analysten (zu denen Wolf gehörte), welche die Ilias für von Rhapsoden vorgetragene, veränderliche Liedsammlungen halten, stehen die Unitarier gegenüber, die, mal mehr, mal weniger emphatisch, an der Einheit des Autors festhalten. Zwischen den Stühlen sitzen diejenigen, die beide Epen, die Ilias und die wohl rund fünfzig Jahre später entstandene Odyssee, verschiedenen, aber in sich homogenen Verfassern zuweisen. Nicht von ungefähr fällt die Phase der radikalen oder gemäßigten Zerlegung mit der Zeit der Aufklärung zusammen. Die unitarische Seite, die gerade Homer zum ultimativen Genie verklärte, erhielt starken Aufwind durch den romantischen Geniekult. Hier war es vor allem Johann Joachim Winckelmann, der Homer im 18. Jahrhundert zum unhintergehbaren Maßstab erhob. In jüngerer Zeit hat sich mit der ›Neoanalyse‹ ein Kompromiss herausgebildet, der die ordnende Hand eines Dichters erkennt, welcher verschiedene mythologische, folkloristische Traditionen kombiniert habe. Und was, wenn die ›Vermittler‹ wie der Homer-Übersetzer Wolfgang Schadewaldt richtig lägen? Wenn am Anfang – oder in der Mitte oder am Ende – eines oder beider Werke ein einzelner Autor gearbeitet hätte, zu dem sich dann mehrere Bearbeiter gesellt hätten? In der Summe bleibt ein großes Redaktionsprojekt, das mündliche Überlieferung und künstlerische Einzeltalente miteinander verbindet.

Wichtige Einsichten in Geschichte und Eigenart der mündlichen Überlieferung verdanken wir der sogenannten Oral-Poetry-Forschung um den US-amerikanischen Philologen Milman Parry, der hier im 20. Jahrhundert neue Akzente setzen konnte. Erste Vorstöße in diese Richtung hatte im 19. Jahrhundert unter anderen bereits Gottfried Hermann gewagt, indem er auf wuchernde mündliche Elemente in der Textstruktur wie die Formelhaftigkeit vieler Verse oder Versteile und der zahlreichen Epitheta ornantia (›schmückenden Beiwörter‹) verwies (Beispiele: »der treffende Apoll«, »der erfindungsreiche Odysseus«, »die sinnige Penelope«, »die schöngelockte Kalypso«). In seiner Studie L’Epithète traditionnelle dans Homère unterfütterte Parry die Formelhaftigkeitsthese statistisch und leitete daraus ein ›Gesetz der epischen Ökonomie‹ ab: Die Zahl der Beiwörter musste überschaubar bleiben, um eine Überlastung des Gedächtnisses zu vermeiden. Hinzu kamen Befunde der Feldforschung über die serbokroatische Epik: Zum einen wurde nachgewiesen, dass eine einigermaßen konsistente Stofftradition maximal über drei Generationen stabil bleibt; zum anderen wurden die Bedingungen eruiert, unter denen die fahrenden Barden ihre Gesänge präsentierten und die sie zu diversen Umstrukturierungen zwangen, wodurch auch Fehler entstanden.

Mit der zunehmenden Digitalisierung der Philologie entstehen weitere Möglichkeiten, zwar nicht der vollständigen Abbildung der Vortragsproblematik, jedoch der Rekonstruktion der textuellen wie performativen Situation. Für die homerischen Epen ergab sich aus all dem jedenfalls die Hypothese, dass beide lange Zeit nur mündlich und ab der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. in Schriftform weitergegeben wurden, möglicherweise von eben jenem Homer, der den Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit mit seinem guten Namen markiert. Mit der Einführung des Alphabets und der Entstehung der Schriftkultur um 800 v. Chr. (die Funde eines Tongefäßes und eines Gefäßfragments mit Inschrift – der Dipylon-Kanne in Athen und des Nestor-Bechers in Pithekoussai [Ischia] – belegen dies) sind auch diese traditionellen Gesänge verschriftlicht worden, die etliche zeitgenössische Reflexe enthalten. Wolfgang Rösler problematisiert die eigentümliche Zwischenstellung der homerischen Epen, indem er sie, auch in kritischer Auseinandersetzung mit Friedrich Kittlers Geburt des Vokalalphabets aus dem Geist der Poesie, als logische Folge der zunehmenden Literalität einer Bildungsgesellschaft interpretiert (Rösler 2006).

Global betrachtet, haben die vielschichtigen Arbeiten der Analysten für großes Aufsehen gesorgt. Im deutschen Kulturraum scheinen die Stimmen der Unitarier etwas vernehmlicher. Zu stark wirkt das romantische Bild vom sakrosankten Verfasser nach, zu gerne hält man an einem geschlossenen Autorideal fest. Auch die radikalsten Analysen haben nicht verhindert, dass der Name ›Homer‹ von den meisten mit einer Autorpersönlichkeit assoziiert wird. Hier geraten wir in die komplexen Fahrwasser der Theorie und Geschichte von Autorschaft. Die Schockwirkung im Falle Homers hat Johann Wolfgang Goethe auf den Punkt gebracht (in den Tag- und Jahresheften 1821, S. 935): »Die gebildete Menschheit war im Tiefsten aufgeregt, und wenn sie schon die Gründe des höchst bedeutenden Gegners nicht zu entkräftigen vermochte, so konnte sie doch den alten Sinn und Trieb, sich hier nur eine Quelle zu denken, woher so viel Köstliches entsprungen, nicht ganz bei sich auslöschen.« Dieser nüchterne Befund spiegelt allerdings einen Effekt, der sich für jede postulierte Autorschaft feststellen ließe. Das Problem der Ungleichzeitigkeit von Autor und Text tritt gerade in dieser vom Staub der Jahrhunderte bedeckten Unschärfe so deutlich zutage wie selten. Homer als vielleicht einer der ältesten europäischen Schreiber hat genauso wenig eine Existenz, die seinem Schreiben voranginge oder es überstiege, wie ein moderner Autor: Der Autor ist, nun mit Michel Foucault gesprochen, nicht mehr und nicht weniger als eine Funktionsstelle des Textes: Auch dafür steht »Homer« oder eben »P« (so Martin West). Name wie Buchstabe können zugleich als Code für eine vielstimmige kulturelle Praxis gelesen werden.

Historische Hintergründe

Blicken wir vor diesem Problemhorizont noch einmal zurück auf die gewaltige Zeitspanne, die alle Rekonstruktionsversuche von ›Homer‹ und seiner Zeit zu gewärtigen haben. Geht man mit einer Vielzahl der Homer-Forscher von der Historizität des Trojanischen Kriegs aus, so lässt sich dieser mit einer gewissen Plausibilität als Reflex auf die Überwindung der mykenischen Palastzeit um 1200 v. Chr. deuten. In der Folge trat ein umfassender gesellschaftlicher Wandel ein, der sich bis in die Zeit Homers, also wohl bis in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. vollzog und noch bis ins 7. fortdauerte. Für diese Zeit können wir ein großes Bevölkerungswachstum annehmen, das von der Einführung des Fernhandels bei den Griechen begünstigt wurde. Auch lässt sich für die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. eine starke Siedlungsbewegung nachweisen; als eine der ersten Gründungen gilt Pithekoussai (um 770 v. Chr.) im Golf von Neapel – auf der Insel Ischia. Andere siedelten sich in Kleinasien oder auf dem Gebiet des heutigen Spanien und Frankreich an. Doch zur Zeit Homers war die Migrationsphase der Griechen nach Westkleinasien weitgehend abgeschlossen (Milet bestand aus immerhin ca. neunzig Kolonien, so lesen wir in Plinius’ Naturgeschichte 5, 112). Die Kolonienbildung war vor allem vom prestigereichen Adel betrieben worden (das dokumentieren auch die deutlichen Hinweise auf den eigenen Reichtum in den Epen, die, so althistorische Deutungen, auf die mangelnde Stabilität der darin abgebildeten Gesellschaften verwiesen). Von Kolonisation im engeren Sinne einer ›zentralen‹ politischen Steuerung kann man allerdings nicht sprechen (Grethlein 2017, S. 132 f.). Vielmehr war die Homerische Gesellschaft, wenn man so will, eine Einwanderungsgesellschaft, auch weil es sich um eine society in transition handelte (Raaflaub 1998), ein buntes Amalgam aus diversen europäischen und orientalischen Elementen, Traditionen und Werten.

Was heißt das für die Topographie der homerischen Epen? Während Ithaka noch nicht vom Klimawandel verrückt oder gar von der Landkarte getilgt wurde, lässt sich der Streit um die historische Lage Trojas nicht schlichten – was auch nicht nötig ist: Es ist nicht unabdingbar für die Lektüre zu wissen, ob Troja an der kleinasiatischen Küste lag, ob in Kilikien oder anderswo. Aber es ist verlockend, und das nicht zuletzt wegen der spekulativen Aura dieses Wissens. Betrachtet man die populären Hypothesen zur historischen Verortung Trojas vergleichend, lässt sich kaum mehr als der Grad der Spekulativität gegeneinander abwägen. Noch heute hat der Sensationsfund des angeblichen Priamos-Schatzes durch Heinrich Schliemann, der zur Identifikation des anatolischen Hügels Hisarlık (oder Wiluša) mit Troja führte, einige Anhänger (vgl. dazu Rüstem 2002, Latacz 2010, Weber 2006); das ungünstige Höhenprofil von Hisarlık ist nur ein Grund für die vielen Zweifel, die zu alternativen Lokalisierungsversuchen oder zur Abstandnahme von jeglichen Rekonstruktionsbemühungen führten (so schon deutlich Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff mit Blick auf Schliemann). Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Troja an den Dardanellen lag und in mykenischer Zeit gute Handelsbeziehungen zum Hethiterreich unterhielt. Außerdem wird in der Ilias die Nähe der Trojaner zu Phrygien betont. Darüber hinaus aber überlagern einander zu viele Schichten, als dass ihre Sezierung in dem Befund eines unwiderruflich verbürgten Troja gipfeln könnte. Auch jede Analyse der wirtschaftlichen und politischen Hintergründe hätte sich an den drei im Text fassbaren Zeitstufen – der mythischen, der erzählhistorischen und der abfassungsgeschichtlichen – abzuarbeiten.

Die homerische Sprache in Original und Übersetzung

Ob wir die Ilias nun mit Richard Janko (als »oral dictated text«) und Joachim Latacz (als schriftlich fixierte Fassung) auf die Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. datieren oder, etwas weniger populär, mit Gregory Nagy in die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr.: Wir befinden uns in der Anfangsphase der Schriftlichkeit, eine etablierte ›Textualität‹ gab es noch nicht (so Joachim Latacz). Schrift als solche existierte bereits seit längerer Zeit, aber das Alphabet war neu: Zuvor hatten die Griechen nicht die sumerische Keilschrift benutzt, sondern, seit ca. 1500 v. Chr., die minoische Schrift; dabei unterscheidet man die ältere Linear A von der jüngeren Linear B, die wiederum als Vorläuferin des klassischen Griechisch gilt und um 1200 v. Chr. für gute 400 Jahre verloren ging. Mit der Zunahme des Handels erfolgte die Übernahme der phönizischen Konsonantenschrift durch Händler, wohl im Raum der Levante (den Ländern am östlichen Mittelmeer). Die Mischung der Sprachen untereinander und mit der Alphabetschrift erwies sich als äußerst konstruktiv. Die daraus entstandene epische Kunstsprache sucht ihresgleichen. Homers Texte sind im ionischen Dialekt verfasst, wiewohl auch der äolische und vereinzelt der dorische Dialekt eingeflossen sind. Es ist davon auszugehen, dass dieses kunstsprachliche Idiom keinen Widerhall in der Wirklichkeit hatte, also weder gesprochen noch auch regulär als Schriftsprache benutzt wurde. Doch war es geradezu prädestiniert für die Sänger, die alten Stoffe in einem neuen Sprachgewand zu präsentieren.

In der Übergangsphase von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit ist Homer mit seinen epischen Großereignissen anzusiedeln; auch daher erklären sich die vielen rhythmischen Formeln – wie zum Beispiel für den Tagesanbruch: »Aber sobald nun Eos mit Rosenfingern emporstrahlt« –, die die Sänger bei ihren improvisierten Darbietungen unterstützten. Gewisse Vokabeln und Wendungen sowie metrische Auffälligkeiten der homerischen Epen deuten auf ein wesentlich älteres Sprachstadium, was sich wiederum durch die Annahme einer ›indoeuropäischen‹ dichterischen Tradition erklären lässt. Besondere Aufmerksamkeit haben von jeher die zahlreichen Wiederholungen von Einzelwörtern, Wortverbindungen oder sogar ganzen Versen erregt. Diese haben die Bezeichnung ›Formelsprache‹ für die homerischen Epen begünstigt: Vor allem sah man hierin ein Indiz für ihre charakteristische Mündlichkeit. Experten der homerischen Sprache reden indes weniger gerne allgemein von ›Formeln‹ als vielmehr präziser von ›Iterata‹ (dt. ›Wiederholungen‹). Bemerkenswert ist ihre Flexibilität; diese ist schon dadurch begründet, dass sie als Nomina gebeugt, als Verben konjugiert und entsprechend erweitert bzw. ›umgebaut‹ werden können, was die metrische Anpassung einschließt. Man hat sich ans Zählen gemacht, wiewohl die Grenze auch der Bestimmung dessen, was als Iteratum zu gelten hat, dynamisch bleiben muss; so kommt man auf eine Zahl irgendwo zwischen 10 032 und 19 286 für die gesammelten Wortverbindungen, die sich in ihrer Spezifik auf die beiden homerischen Epen verteilen und nochmals von anderen zeitgenössischen Werken wie denen Hesiods abgrenzen lassen. Bei den meisten Iterata indes handelt es sich nur um ein- oder zweimalige Wiederholungen.

In beiden Epen ist die narrative Organisation mit ihrem beeindruckend konzentrierten Zeitverlauf von außerordentlicher Relevanz. Gut 15 700 Hexameter sind auf die 24 Bücher oder ›Gesänge‹ der Ilias verteilt, 12 100 auf die ebenfalls 24 Bücher der Odyssee: Die Sammlung der verschiedenen Gedichtfassungen soll der athenische Tyrann Peisistratos im 6. Jahrhundert v. Chr. besorgt haben. Als Versmaß ist der Hexameter, der, wie der Name schon sagt, aus sechs Metren besteht, seitdem verbindlich für das Heldenepos (vgl. dazu S. 20–22).

Was die homerischen Epen selbst angeht, so hatten Ausgaben, Zusammenfassungen, Um- oder Nachdichtungen von Ilias und Odyssee schon bald nach ihrer Entstehung Hochkonjunktur. Ihre Übertragung in andere Sprachen stellt von jeher eine besondere Herausforderung dar. Viele haben sich daran versucht, doch nur manchen ist die Übersetzung in einer Weise gelungen, die auch die ästhetische Fremdheit bewahren konnte. Aus unterschiedlichen Gründen polarisiert haben mit Blick auf den deutschen Sprachraum unter anderen die Versionen von Rudolf Alexander Schröder, Roland Hampe oder, nicht zuletzt, Wolfgang Schadewaldt, der allerdings das Wagnis einging, aus den Versen Prosa zu machen, um – nach seiner Vorstellung – möglichst nah am Sinn des Texts zu bleiben. Das versetzt die Hörer freilich in eine ganz andere Stimmung, fernab des gleichförmigen Rhythmus, der den Eintritt in die fremde Welt auch formal begleitet (und – mehr als das – dabei gerade durch diese Gleichförmigkeit eine spezifische Art von Vertrautheit schafft). Anders machte es Voß.

Johann Heinrich Voß als Übersetzer der homerischen Epen

Johann Heinrich Voß (1751–1826) hielt die Sperrigkeit der künstlichen Sprache dezidiert auch im Metrum fest. Das hat ihm nicht nur Freunde eingebracht; andererseits wusste er einige zeitgenössische Berühmtheiten wie Goethe oder Johann Heinrich Wilhelm Tischbein d. J. zu begeistern, Letzteren so sehr, dass dieser ihn sogar porträtierte. Voß wurde also auf seine Weise zur Projektionsfläche für viele Antikebegeisterte der Goethezeit. Diese Begeisterung hallt bis in die Moderne nach; sie ist als ein Effekt des Staunens, ja Befremdens zu bewerten, den Voß’ Verse immer noch oder jetzt erst recht auslösen.

Johann Heinreich Voß, portraitiert von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein 1818.

Voß hatte indes die Übersetzung der Odyssee der Ilias vorausgeschickt: Während die Abenteuer des Königs von Ithaka bereits 1781 auf den Markt kamen, eroberte das gut fünfzig Jahre ältere Heldenepos rund um den Untergang Trojas erst mehr als zehn Jahre später, anno 1793, die Öffentlichkeit. Publiziert wurden die Früchte seiner Arbeit zunächst im Selbstverlag, was seinerzeit keineswegs außergewöhnlich war. Doch der Start geriet, wie bereits Goethe vermerkte, holprig: Auch breite Selbstbewerbung half nicht recht weiter, so dass Wieland Voß schließlich zu einem veritablen Preisnachlass überreden konnte: Endlich stellte sich der ersehnte Erfolg ein, und so konnten Homers Werke im besagten Jahr 1793 in vier Bänden erscheinen, inklusive einer bereits überarbeiteten Version der zuvor veröffentlichten Odyssee.

Es schlossen sich reichhaltige Bearbeitungen für Neuauflagen an. Der Erfolg gründet nicht zuletzt auf der Künstlichkeit der Übersetzungstechnik, die derjenigen der Sprache und des fernen mythischen Geschehens aufs Beste entspricht. So sah es auch Goethe in einem Brief an Friedrich Schiller vom 6. Mai 1797 und in seinen Noten zum Divan: »Der nie genug zu schätzende Voß konnte das Publikum zuerst nicht befriedigen, bis man sich nach und nach in die neue Art hineinhörte, hineinbequemte« (in der Ausgabe von 2016 auf S. 523). In jedem Fall bedarf die Voß-Übersetzung, die ihre Prägung durch den Stil Klopstocks und Bürgers nicht verhehlen kann, größter Konzentration der Lesenden, sie ist also auch eine große Schule der Aufmerksamkeit. Davon ist bereits die 1776 angefertigte Übertragung von Thomas Blackwells Introduction to the Classical World gekennzeichnet, die Voß unter dem Titel Untersuchung über Homers Leben und Schriften veröffentlichte. Doch bezieht der unabhängige Geist Voß, der auch andere antike Autoren wie Hesiod, Theokrit, Bion, Moschos, Vergil, Ovid, Horaz, Tibull und Properz übersetzt hat, in Fragen der Künstlichkeit der homerischen Sprache eindeutig eine Gegenposition zu der auch von Blackwell propagierten These der ›Natürlichkeit‹ Homers, die in Winckelmanns Originalgenie-Phantasien gipfelte; nicht zuletzt deshalb fokussierte er die sprachlich-metrischen Regeln, die Homers Texte im griechischen Original offenbaren, war er doch davon überzeugt, dass in Homers Texten »bis zur höchsten Teuschung der Natürlichkeit, ausschaffende Kunst« herrschte (Johann Heinrich Voß, Über den Virgilischen Landgedichts Ton und Auslegung, Altona 1791 – in der Ausgabe von 2010 auf S. 119). Um diese adäquat in die – hier deutsche – Fremdsprache übertragen zu können, bedürfe es gar der bis an die Selbstverleugnung grenzenden Zurückdrängung des eigenen Stils (siehe zum Beispiel Ilias 22, 91–94: »doch nicht war Hektors Geist zu bewegen; / Nein, er erharrt’ Achilleus’, des Ungeheuren, Herannahn. / So wie ein Drach’ im Gebirge den Mann erharrt an der Felskluft, / Statt des giftigen Krauts, und erfüllt von heftigem Zorne«; weitere Beispiele: Ilias 4, 524–527; 10, 333–335; 14, 170–171; 22, 90–92; Odyssee 6, 135–139). Davon zeugen allerdings bereits die jeweiligen Auftaktverse der beiden Epen (hier beispielhaft mit metrischem Schema):

 

Ilias:

Odyssee:

Mit den zunehmenden Überarbeitungen affiliierte sich Voß auch immer mehr den feinen Eigenheiten der homerischen Sprache, die er bisweilen geradezu exzessiv nachzuahmen versuchte, bis in Wortfolge, Periodenbau und Klangfiguren hinein (siehe zum Beispiel Ilias 2, 216–219: »Der hässlichste Mann vor Ilios war er gekommen: / Schielend war er, und lahm am anderen Fuß; und die Schultern / Höckerig, gegen die Brust ihm geengt; und oben erhub sich / Spitz sein Haupt, auf der Scheitel mit dünnlicher Wolle besäet«; weitere Beispiele: Ilias 12, 462–465; 20, 302–304; Odyssee 9, 288–293; 20, 18–24). Der an sich vernunftgeleitete Aufklärer Voß, der romantischen Kühnheiten wie Friedrich Creuzers Mythologie dezidiert mit einer Antisymbolik entgegentrat, wird in seinem Verhältnis zur Originalsprache bisweilen seinerseits mystisch (siehe zum Beispiel Ilias 24, 22–23: »Ihn nun sahn mit Erbarmen die seligen Götter des Himmels, / Und sie geboten Entwendung dem spähenden Argoswürger.«; weitere Beispiele: Ilias 11, 24–28; 19, 23–26; 23, 19–23): Voß selbst empfand das als eine Art Läuterungsprozess, der eine bisweilen harsche Umbildung der deutschen Sprache zeitigt. Auch bei den Regeln des Hexameters wurden nun kaum noch Kompromisse geschlossen, was bedeutet, dass er das Deutsche dem griechischen Versmaß regelrecht unterjochte (Ilias 22, 395–398: »Sprach’s, und schändlichen Frevel ersann er dem göttlichen Hektor. / Beiden Füßen nunmehr durchbohret’ er hinten die Sehnen / Zwischen Knöchel und Fers und durchzog sie mit Riemen von Stierhaut, / Band am Sessel sie fest und ließ nachschleppen die Scheitel«; weitere Beispiele: Ilias 5, 311–318; 24, 477–487; Odyssee 4, 716–719; 19, 392–472). Das rief zunehmend kritische Stimmen unter den Rezensenten auf den Plan, die sich von dieser Gewalt irritiert zeigten, erst recht, soweit die Kritiker Anhänger der ›Naturgeniethese‹ waren. Es gebreche, so der einhellige Tenor, den Versen aus Voß’ Feder an der homerischen Leichtigkeit (zu den Kritikern zählten auch Wieland und A. W. Schlegel, die wortwörtlich »Unlust« bei der Lektüre empfanden) – eine Schimäre, der zumal Voß gerade nicht auf den Leim gegangen ist, wenn er es in Sachen Lesbarkeit auch immer wieder einmal übertrieb. Er folgte seinem Credo mit zunehmender Konsequenz, und schon allein das war so mutig wie brillant.

Literatur

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan [1819/1827]. Mit allen Noten und Abhandlungen. Berlin 2016. (Berliner Ausgabe.)

– 1821. Tag- und Jahreshefte. Berliner Ausgabe. Poetische Werke. Band 16. Berlin 1964, S. 315.

Grethlein, Jonas: Die Odyssee. Homer und die Kunst des Erzählens. München 2017.

Latacz, Joachim: Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels. München 62010.

Parry, Milman: L’Épithète Traditionnelle dans Homère: Essai sur un problème de style Homérique. Paris 1928.

Raaflaub, Kurt: Democracy 2500? Questions and Challenges. Dubuque 1998.

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Band 1: Ilias

ILIAS

Erster Gesang

Den Priester Chryses zu rächen, dem Agamemnon die Tochter vorenthielt, sendet Apollon den Achaiern eine tödliche Krankheit. Agamemnon zankt mit Achilleus, weil er durch Kalchas die Befreiung der Chryseïs fodern1 ließ, und nimmt ihm sein Ehrengeschenk, des Brises Tochter. Dem zürnenden Achilleus verspricht Thetis Hilfe. Entsendung der Chryseis, und Versöhnung Apollons. Der Thetis gewährt Zeus so lange Sieg für die Troer, bis ihr Sohn Genugtuung erhalte. Unwille der Hera gegen Zeus. Hephaistos besänftigt beide.

 

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,

Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,

Und viel’ tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs2

Sendete, aber sie selber zum Raub ausstreckte den Hunden,

Und dem Gevögel umher: So ward Zeus’ Wille vollendet:

Seit dem Tag, als einst durch bitteren Zank sich entzweiten

Atreus’ Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.

Wer der Unsterblichen reizte sie auf zu feindlichem Hader?

Letos Sohn und des Zeus. Denn der, dem Könige zürnend,

Sandte verderbliche Pest durch das Heer; und es sanken die Völker:

Drum, weil ihm den Chryses beleidiget, seinen Priester,11

Atreus’ Sohn. Denn er kam zu den rüstigen Schiffen Achaias,

Freizukaufen die Tochter, und bracht’ unendliche Lösung,

Tragend den Lorbeerschmuck des treffenden Phoibos Apollon

Über dem goldenen Stab; und er flehete allen Achaiern,

Aber zumeist den Atreiden, den zweien Heerfürsten der Völker:

»Atreus’ Söhn’, und ihr andern, ihr hellumschienten Achaier,

Euch verleihe die Macht der Unsterblichen auf dem Olympos,

Priamos’ Stadt zu vertilgen, und wohl nach Hause zu kehren;

Doch mir gebet die Tochter zurück, und empfangt die Lösung,20

Ehrfurchtsvoll vor Zeus’ ferntreffendem Sohn Apollon.«

Jetzo gebot beifallend das sämtliche Heer der Achaier,

Jenen Priester zu scheun, und die köstliche Lösung zu nehmen.

Aber nicht Agamemnon, des Atreus Sohne, gefiel es;

Nein, er entsandt’ ihn mit Schmach, und in heftiger Rede gebot er:

»Dass ich nimmer, o Greis, bei den räumigen Schiffen dich treffe,

Weder anitzt hier zaudernd, noch wiederkehrend in Zukunft!

Kaum sonst möchte dir helfen der Stab, und der Lorbeer des Gottes!

Jene lös’ ich dir nie, bis einst das Alter ihr nahet,

Wann sie in unserem Haus in Argos, fern von der Heimat,30

Mir als Weberin dient, und meines Bettes Genossin!

Gehe denn, reize mich nicht; dass wohlbehalten du heimkehrst!«

Jener sprach’s; doch Chryses erschrak, und gehorchte der Rede.

Schweigend ging er zum Strande des weit aufrauschenden Meeres;

Und wie er einsam jetzt hinwandelte, flehte der Alte

Viel zum Herrscher Apollon, dem Sohn der lockigen Leto:

»Höre mich, Gott, der du Chrysa mit silbernen Bogen umwandelst,

Samt der heiligen Killa, und Tenedos mächtig beherrschest,

Smintheus! Hab’ ich dir einst den gefälligen Tempel gedecket,

Oder hab ich dir je von erlesenen Farren3 und Ziegen40

Fette Schenkel verbrannt; so gewähre mir dieses Verlangen:

Meine Tränen vergilt mit deinem Geschoss den Achaiern!«

Also flehet’ er laut; ihn hörete Phoibos Apollon;

Und von den Höhn des Olympos enteilet’ er, zürnendes Herzens,

Er auf der Schulter den Bogen und wohlverschlossenen Köcher.

Laut erschollen die Pfeil an der Schulter des zürnenden Gottes,

Als er einher sich schwang; er wandelte, düsterer Nacht gleich;

Setzte sich drauf von den Schiffen entfernt, und schnellte den Pfeil ab;

Graunvoll aber erklang das Getön des silbernen Bogens.

Nur Maultier’ erlegt’ er zuerst, und hurtige Hunde:50

Doch nun gegen sie selbst das herbe Geschoss hinwendend,

Traf er; und rastlos brannten die Totenfeuer in Menge.

Schon neun Tage durchflogen das Heer die Geschosse des Gottes.

Drauf am zehnten berief des Volks Versammlung Achilleus:

Dem in die Seel es legte die lilienarmige Hera;

Denn sie fühlete Schmerz, die Danaer sterben zu sehen.

Als sie nunmehr sich versammelt, und voll die Versammlung gedrängt war;

Trat hervor und begann der mutige Renner Achilleus:

»Atreus’ Sohn, nun denk’ ich, wir ziehn den vorigen Irrweg

Wieder nach Hause zurück, wenn etwa dem Tod wir entrinnen;60

Weil ja zugleich der Krieg und die Pest hinrafft die Achaier.

Aber wohlan, fragt einen der Opferer, oder der Seher,

Oder der Traumweissager; auch Träume ja kommen von Zeus her;

Dass er melde, warum so eifere Phoibos Apollon:

Ob ja versäumte Gelübd’ ihn erzürneten, ob Hekatomben4:

Wenn vielleicht der Lämmer Gedüft und erlesener Ziegen

Er zum Opfer begehrt, uns abzuwenden das Unheil.«

Also redete jener, und setzte sich. Wieder erhub sich

Kalchas der Testoride, der weiseste Vogelschauer,

Der erkannte, was ist, was sein wird, oder zuvor war,70

Der gen Ilios auch der Danaer Schiffe geleitet,

Durch wahrsagenden Geist, des ihn würdigte Phoibos Apollon:

Dieser begann wohlmeinend, und redete vor der Versammlung:

»Peleus’ Sohn, du gebiet’st mir, o Göttlicher, auszudeuten

Diesen Zorn des Apollon, des fernhintreffenden Herrschers.

Gern will ich’s ansagen: Du merk’, und schwöre mir heilig,

Dass du gewiss willfährig mit Wort und Händen mir helfest.

Denn leicht, ahnet mir, zürnet ein Mann, der mächtigen Ansehns

Argos’ Völker beherrscht, und dem die Achaier gehorchen.

Stärker ja ist ein König, der zürnt dem geringeren Manne.80

Wenn auch solcher die Galle den selbigen Tag noch zurückhält;

Dennoch hegt er beständig den heimlichen Groll in dem Busen,

Bis er ihn endlich gekühlt. Du denke denn, ob du mich schützest?«

Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:

»Sei getrost, und erkläre den Götterbescheid, den du wahrnahmst.

Denn bei Apollon fürwahr, Zeus’ Lieblinge, welchem du, Kalchas,

Flehst, wann Götterbescheide dem Danaervolk du enthüllest:

Keiner, so lang ich leb’, und das Licht auf Erden noch schaue,

Soll bei den räumigen Schiffen mit kränkender Hand dich berühren,

Aller Achaier umher! Und nenntest du selbst Agamemnon,90

Der nun mächtig zu sein vor allem Volke sich rühmet!«

Jetzo begann er getrost, und sprach, der untadlige Seher:

»Nicht ja versäumte Gelübd’ erzürnten ihn, noch Hekatomben;

Sondern er zürnt um den Priester, den also entehrt’ Agamemnon,

Nicht die Tochter befreit’, und nicht annahm die Erlösung:

Darum gab uns Jammer der Treffende, gibt ihn hinfort auch.

Nicht zieht jener zuvor die schreckliche Hand vom Verderben,

Bis man dem liebenden Vater das freudig blickende Mägdlein

Hingibt, frei, ohn’ Entgelt, und mit heiliger Sühnhekatombe

Heim gen Chrysa sie führt. Dann möchten wir Gnade gewinnen.«100

Also redete jener, und setzte sich. Wieder erhub sich

Jetzo der Held, Atreus’ weitherrschender Sohn Agamemnon,

Zürnend vor Schmerz; ihm schwoll sein finsteres Herz von der Galle

Schwarz umströmt; und den Augen entfunkelte strahlendes Feuer.

Gegen den Kalchas zuerst mit drohendem Blicke begann er:

»Unglücksseher, der nie ein gedeihliches Wort mir geredet!

Immerdar nur Böses, erfreut dein Herz, zu verkünden!

Gutes hast du noch nimmer gesagt mir, oder vollendet!

Jetzt auch meldest du hier als Götterbescheid den Achaiern,

Darum habe dem Volk der Treffende Wehe bereitet,110

Weil ich für Chryses’ Tochter die köstliche Gabe der Lösung

Anzunehmen verwarf. Denn traun! weit lieber behielt’ ich

Solche daheim; da ich mehr als Klytaimnestra sie achte,

Meiner Jugend Vermählte: Denn nicht ist jene geringer,

Weder an Bildung und Wuchs, noch an Geist und künstlicher Arbeit.

Dennoch geb’ ich sie willig zurück, ist solches ja besser.

Lieber mög’ ich das Volk errettet schaun, denn verderbend.

Gleich nur ein Ehrengeschenk mir gefertiget, dass ich allein nicht

Ungeehrt in dem Volk hier sei; nie wäre das schicklich!

Denn das seht ihr alle, dass weg mein Ehrengeschenk geht.«120

Ihm antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:

»Atreus’ Sohn, Ruhmvoller, du Habbegierigster aller,

Was denn verlangst du zum Ehrengeschenk von den edlen Achaiern?

Nirgends wissen wir doch des Gemeinsamen vieles verwahret:

Sondern was wir aus Städten erbeuteten, alles geteilt ward’s;

Auch nicht ziemt es dem Volke, das Einzele wieder zu sammeln.

Aber entlass’ du jetzo dem Gotte sie; und wir Achaier

Wollen sie dreifach ersetzen und vierfach, wenn uns einmal Zeus

Gönnen wird, der Troer befestigte Stadt zu verwüsten.«

Gegen ihn rief antwortend der Völkerfürst Agamemnon:130

»Nicht also, wie tapfer du seist, gottgleicher Achilleus,

Sinn’ auf Trug! Nie wirst du mich schlau umgehn, noch bereden!

Willst du, indes dir bleibt das Geschenk, dass ich selber umsonst hier

Sitze, des meinen beraubt? Und gebietest mir, frei sie zu geben?

Wohl denn, wofern mir ein andres verleihn die edlen Achaier,

Meinem Sinn es erlesend, das mir ein voller Ersatz sei!

Aber verleihn sie es nicht; dann komm’ ich selber, und nehm’ es,

Deines vielleicht, auch des Aias Geschenk wohl, oder Odysseus’,

Führ’ ich hinweg; und zürnen vielleicht wird, welchem ich nahe!

Doch von solcherlei Dingen ist Zeit zu reden auch künftig.140

Auf nun, ein schwärzliches Schiff zieht schnell in die heilige Salzflut;

Sammelt hinein vollzählig die Ruderer; bringt auch Apollons

Hekatomb’; und sie selbst, des Chryses rosige Tochter,

Führet hinein; und Gebieter des Schiffs sei der Könige einer:

Aias, oder der Held Idomeneus, oder Odysseus,

Oder auch du, Peleide, du Schrecklichster unter den Männern!

Dass du den Treffenden uns durch heilige Opfer besänftigst.«

Finster schaut’ und begann der mutige Renner Achilleus:

»Ha, du in Unverschämtheit Gehülleter, sinnend auf Vorteil!

Wie doch gehorcht dir willig noch einer im Heer der Achaier,150

Einen Gang dir zu gehn, und kühn mit dem Feinde zu kämpfen?

Nicht ja wegen der Troer, der Lanzenkundigen, kam ich

Mit hierher in den Streit; gar nichts sind jene mir schuldig.

Denn nie haben sie mir die Rosse geraubt, noch die Rinder;

Nie auch haben in Phthia, dem scholligen Männergefilde,

Meine Frucht sie verletzt; indem viel Raumes uns sondert,

Waldbeschattete Berg’, und des Meers weitrauschende Wogen.

Dir, schamlosester Mann, dir folgten wir, dass du dich freutest;

Nur Menelaos zu rächen, und dich, Schandbarer, an Trojas

Kriegrischem Volk! Des achtest du nichts, noch kümmert dich solches!160

Selbst nun drohest du mir mein Ehrengeschenk zu entreißen,

Welches mit Schweiß ich errungen, und mir verehrt die Achaier!

Hab’ ich doch nie ein Geschenk, wie das deinige, wann die Achaier

Eine bevölkerte Stadt des troischen Volkes verwüstet;

Sondern die schwerste Last des tobenden Schlachtengetümmels

Trag’ ich mit meinem Arm: Doch kommt zur Teilung es endlich,

Dein ist das größte Geschenk; und ich, mit wenigem fröhlich,

Kehre heim zu den Schiffen, nachdem ich erschlafft von dem Streite.

Doch nun geh ich gen Phthia! Denn weit zuträglicher ist es,

Heim mit den Schiffen zu gehn, den gebogenen! Schwerlich auch wirst du,170

Weil du allhier mich entehrst, noch Schätz’ und Güter dir häufen!«

Ihm antwortete drauf der Herrscher des Volks Agamemnon:

»Fliehe nur, wenn’s dein Herz dir gebeut! Nie werd’ ich fürwahr dich

Anflehn, meinethalb zu verziehn! Mir bleiben noch andre,

Ehre mir zu erwerben; zumal Zeus’ waltende Vorsicht!

Siehe, verhasst mir bist du vor allen beseligten Herrschern!

Immer hast du den Zank nur geliebt, und den Kampf und Befehdung!

Wenn du ein Stärkerer bist, ein Gott hat dir solches verliehen!

Schiffe denn heim, du selbst mit den Deinigen, dass du in Ruhe

Myrmidonen gebietest! Denn du bist nichts mir geachtet;180

Nichts auch gilt mir dein Grollen! Vielmehr noch droh’ ich dir also:

Weil mir Chryses’ Tochter hinwegnimmt Phoibos Apollon,

Werd’ ich mit eigenem Schiffe sie zwar und eigenen Männern

Senden; allein ich hole die rosige Tochter des Brises

Selbst mir aus deinem Gezelt, dein Ehrengeschenk: Dass du lernest,

Wie viel höher ich sei als du, und ein anderer zage,

Gleich sich mir zu wähnen, und so zu trotzen ins Antlitz!«

Jener sprach’s; da entbrannte der Peleion’, und das Herz ihm

Unter der zottigen Brust ratschlagete, wankenden Sinnes:

Ob er, das schneidende Schwert alsbald von der Hüfte sich reißend,

Trennen sie sollt’ auseinander, und niederhaun den Atreiden;191

Oder stillen den Zorn, und die mutige Seele beherrschen.

Als er solches erwog in des Herzens Geist und Empfindung,

Und er das mächtige Schwert schon auszog; kam Athenaia

Himmelab; denn sie sandte die lilienarmige Hera,

Die für beide zugleich in liebender Seele besorgt war.

Hinter ihn trat sie, und fasste das bräunliche Haar des Peleiden,

Ihm allein sich enthüllend; der andern schaute sie keiner.

Staunend zuckte der Held, und wandte sich: Plötzlich erkannt er

Pallas Athenes Gestalt, und fürchterlich strahlt’ ihm ihr Auge.200

Und er begann zu jener, und sprach die geflügelten Worte:

»Warum doch, Zeus’ Tochter, des Aigiserschütternden, kamst du?

Etwa den Frevel zu schaun von Atreus’ Sohn Agamemnon?

Aber ich sage dir an, was auch wahrscheinlich geschehn wird:

Sein unbändiger Stolz möcht’ einst noch das Leben ihn kosten!«

Drauf antwortete Zeus’ blauäugige Tochter Athene:

»Sieh, ich kam, dir den Zorn zu besänftigen, wenn du gehorchtest,

Himmelab; denn mich sandte die lilienarmige Hera,

Die für beide zugleich in liebender Seele besorgt ist.

Aber wohlan, lass’ fahren den Streit, und zücke das Schwert nicht.

Magst du mit Worten ihn doch beleidigen, wie es dir einfällt.211

Denn ich sage dir an, und das wird wahrlich vollendet:

Einst wird dir noch dreimal so herrliche Gabe geboten,

Wegen der heutigen Schmach. Drum fasse dich nun, und gehorch uns.«

Ihr antwortete drauf der mutige Renner Achilleus:

»Euer Wort, o Göttin, geziemet es, wohl zu bewahren,

Welche Wut auch im Herzen sich hebt: Denn solches ist besser.

Wer dem Gebot der Götter gehorcht, den hören sie wieder.«

Sprach’s, und am silbernen Heft hemmt’ er die gewaltige Rechte,

Stieß in die Scheide zurück das mächtige Schwert, und verwarf nicht220

Athenes Gebot. Sie wandelte drauf zum Olympos,

In den Palast des donnernden Zeus, zu den anderen Göttern.

Doch der Peleide begann mit erbitterten Worten von neuem

Gegen des Atreus Sohn; und noch nicht ruht’ er vom Zorne:

»Trunkenbold, mit dem Blicke des Hunds, und dem Mute des Hirsches!

Niemals weder zur Schlacht mit dem sämtlichen Volk dich zu rüsten,

Noch zum Hinterhalte zu gehn mit den Edeln Achaias,

Hast du im Herzen gewagt! Das scheinen dir Schrecken des Todes!

Zwar behaglicher ist es, im weiten Heer der Achaier

Ihm das Geschenk zu entwenden, wer dir entgegen nur redet!230

Volkverschlingender König! Denn nichtigen Menschen gebeutst du!

Oder du hättest, Atreide, das letzte Mal heute gefrevelt!

Aber ich sage dir an, und mit heiligem Eide beschwör’ ich’s!

Wahrlich bei diesem Zepter, das niemals Blätter und Zweige

Wieder zeugt, nachdem es den Stumpf im Gebirge verlassen;

Nie mehr sprosst es empor, denn ringsum schälte das Erz ihm

Laub und Rinde hinweg; und edele Söhne Achaias

Tragen es jetzt in der Hand, die Richtenden, welchen Kronion

Seine Gesetze vertraut: Dies sei dir die große Beteurung!

Wahrlich vermisst wird Achilleus hinfort von den Söhnen Achaias

Allzumal; dann suchst du umsonst, wie sehr du dich härmest,241

Rettung, wenn sie in Scharen, vom männermordenden Hektor

Niedergestürzt, hinsterben; und tief in der Seele zernagt dich

Zürnender Gram, dass den besten der Danaer nicht du geehret!«

Also sprach der Peleid’, und warf auf die Erde das Zepter,

Hell mit goldenen Buckeln geschmückt; dann setzt’ er sich nieder.

Gegen ihn stand der Atreid’, und wütete. Jetzo erhub sich

Nestor mit holdem Gespräch, der tönende Redner von Pylos,

Dem von der Zung’ ein Laut wie des Honiges Süße daherfloss,

Diesem waren schon zwei der redenden Menschengeschlechter250

Abgewelkt, die vordem ihm zugleich aufwuchsen und lebten,

Dort in der heiligen Pylos; und jetzt das dritte beherrscht’ er.

Dieser begann wohlmeinend, und redete vor der Versammlung:

»Wehe, wie großes Leid dem achaiischen Lande herannaht!

Traun, wohl freun wird sich Priamos des, und Priamos’ Söhne,

Auch das Volk der Troer wird hoch frohlocken im Herzen,

Wenn sie das alles gehört, wie ihr durch Zank euch ereifert,

Ihr die ersten Achaier im Rat, und die ersten im Kampfe.

Aber gehorcht! Ihr beide ja seid viel jünger denn ich bin!

Denn schon vormals pflog ich mit stärkeren Männern Gemeinschaft,

Als ihr seid; und dennoch verachteten jene mich nimmer!261

Solcherlei Männer ja sah ich noch nie, und sehe sie schwerlich,

Wie Peirithoos war, und der völkerweidende Dryas,

Kaineus auch, und der Held Exadios, auch Polyphemos,

Oder wie Aigeus’ Sohn, der götterähnliche Theseus.

Traun, das waren die Stärksten der lebenden Erdebewohner,

Waren selbst die Stärksten, und kämpfeten wider die Stärksten,

Wider die Bergkentauren, und übeten grause Vertilgung.

Seht, und jenen war ich ein Kriegsgenoss, der aus Pylos

Kam, aus entlegenem Lande der Welt; denn sie riefen mich selber;

Und ich kämpfte das Meinige mit. Doch jene vermöchte271

Keiner, so viel’ nun leben des Menschengeschlechts, zu bekämpfen.

Dennoch hörten sie Rat von mir, und gehorchten dem Worte.

Aber gehorcht auch ihr; denn Rat zu hören ist besser.

Weder du, wie mächtig du seist, nimm jenem das Mägdlein;

Sondern lass’, was ihm einmal zum Dank verliehn die Achaier:

Noch auch du, o Peleid’, erhebe dich wider den König

So voll Trotz; denn es ward nie gleicher Ehre ja teilhaft

Ein bezepterter König, den Zeus mit Ruhme verherrlicht.

Wenn du ein Stärkerer bist, und Sohn der göttlichen Mutter;280

Er ist mächtiger doch, weil mehrerem Volk er gebietet.

Atreus’ Sohn, du bezähme den Mut dir; selber ja fleh’ ich

Abzulassen vom Zorn auf Achilleus, welcher die große

Schutzwehr ist den Achaiern gesamt im verderbenden Kriege.«

Gegen ihn rief antwortend der Völkerfürst Agamemnon:

»Wahrlich, o Greis, du hast wohlziemende Worte geredet.

Aber der Mann will immer den anderen allen zuvor sein;

Allen auch will er gebieten im Heer, und alle beherrschen,

Allen Gesetz’ austeilen, die niemand, mein’ ich, erkennet!

Wenn sie ja Lanzenkund’ ihm verliehn, die ewigen Götter;290

Stellen sie darum ihm frei, auch Schmähungen auszurufen?«

Ihm in die Red’ einfallend, begann der edle Achilleus:

»O fürwahr ja ein Feiger und Nichtiger müsst’ ich genannt sein,

Wenn ich in allem mich dir demütigte, was du nur aussprichst!

Andern gebeutst du solches nach Willkür; aber nur mir nicht

Winke Befehl; ich möchte hinfort dir wenig gehorchen!

Eines verkünd’ ich dir noch, und du bewahr’ es im Herzen:

Niemals heb ich die Arme zum Streit auf, wegen des Mägdleins,

Weder mit dir, noch andern; ihr gabt, und nehmet sie wieder.

Aber so viel mir sonst bei dem dunkelen Schiffe sich findet,300

Davon nimmst du mir schwerlich das Mindeste, wider mein Wollen.

Ha wohlan, du versuch es! Damit sie alle mit ansehn,

Wie alsbald an der Lanze dein schwarzes Blut mir herabtrieft!«

Als so beid’ einander mit feindlichen Worten befehdet,

Standen sie auf, und trennten den Rat bei den Schiffen Achaias.

Peleus’ Sohn, zu den Zelten gewandt und schwebenden Schiffen,

Wandelte, samt Menoitios’ Sohn und seinen Genossen.

Doch der Atreid’ hieß ziehen ein hurtiges Schiff in die Meerflut;

Wählete zwanzig hinein der Ruderer; bracht auch Apollons

Hekatomb’; und darauf des Chryses rosige Tochter310

Führt’ er hinein; und Gebieter des Schiffs war der weise Odysseus.

Eingestiegen nunmehr durchsteuerten sie flüssige Pfade.

Drauf hieß Atreus’ Sohn sich entsündigen alle Achaier:

Und sie entsündigten sich, und warfen ins Meer die Befleckung,

Opferten dann für Apollon vollkommene Sühnhekatomben,

Mutiger Stier’ und Ziegen, am Strand der verödeten Salzflut;

Und hoch wallte der Duft in wirbelndem Rauche gen Himmel.

So war alles im Heere beschäftiget. Doch Agamemnon

Ließ nicht ruhn, was zankend zuvor er gedroht dem Achilleus;

Nein, zu Talthybios schnell und Euryhates redet’ er jetzo,320

Die Herold’ ihm waren und rasch aufwartende Diener:

»Gehet hin zum Gezelte des Peleiaden Achilleus;

Nehmt an der Hand, und bringt des Brises rosige Tochter.

Wenn er sie nicht ausgäbe, so möcht’ ich selber sie nehmen,

Hin mit mehreren kommend, was ihm noch schrecklicher sein wird!«

Jener sprach’s, und entließ sie, die drohenden Worte befehlend.

Ungern gingen sie beid’ am Strand der verödeten Salzflut,

Bis sie die Zelt’ und Schiffe der Myrmidonen erreichten.

Ihn nun fanden sie dort am Gezelt’ und dunkelen Schiffe

Sitzend; und traun, nicht wurde des Anblicks fröhlich Achilleus.330

Beide, bestürzt vor Scheu und Ehrfurcht gegen den König,

Standen, und wageten nichts ihm zu kündigen, oder zu fragen.

Aber er selbst vernahm es in seinem Geist, und begann so:

»Freude mit euch, Herold’, ihr Boten Zeus’ und der Männer!

Nahet euch! Ihr nicht traget die Schuld mir; nein Agamemnon,

Der euch beide gesandt, um Brises’ rosige Tochter.

Auf denn, führe heraus das Mägdelein, edler Patroklos,

Und lass’ jene sie nehmen. Doch sein mir Zeugen sie selber,

So vor seligen Göttern, wie auch vor sterblichen Menschen,

Und vor dem Könige dort, dem Wüterich: Wenn man hinfort noch

Meiner Hilfe bedarf, dem schmählichen Jammer zu steuern341

Jenes Volks ...! Ha, wahrlich er tobt in verderblichem Wahnsinn,

Und nicht weiß er zu schauen im Geist vorwärts und auch rückwärts,

Dass bei den Schiffen er sichre das streitende Heer der Achaier!«

Jener sprach’s; da gehorchte dem Freund sein trauter Patroklos,

Führt’ aus dem Zelt, und gab des Brises rosige Tochter

Jenen dahin; und sie kehrten zurück zu den Schiffen Achaias.

Ungern ging mit ihnen das Mägdelein. Aber Achilleus

Weint’, und setzte sich schnell, abwärts von den Freunden gesondert,

Am grauwogenden Strand, und schaut’ in die dunkele Meerflut.350

Flehend zur trautesten Mutter mit Heftigkeit, streckt’ er die Händ’ aus:

»Mutter, dieweil du mich nur für wenige Tage gebarest,

Sollte mir Ehre jedoch der Olympier jetzo verleihen,

Der hochdonnernde Zeus! Doch gar nicht ehrt er mich jetzo!

Ha, der von Atreus’ Stamm weitherrschende Held Agamemnon

Hat mich entehrt; denn er hält mein Geschenk, das er selber geraubet!«

Also sprach er betränt; da hört’ ihn die treffliche Mutter,

Wo in dem Salzschaum, gleich wie sie saß bei dem grauen Erzeuger.

Eilendes Schwungs entstieg sie der finsteren Flut, wie ein Nebel;

Und nun setzte sie nahe sich hin vor den Tränenbenetzten,360

Streichelt’ ihn sanft mit der Hand, und redete, also beginnend:

»Kind, was weinest du doch? Was rührt dein Herz mit Betrübnis?

Rede heraus, nichts hehlend; damit wir es beide wissen.«

Drauf schwerseufzend begann der mutige Renner Achilleus:

»Mutter, du weißt das alles; was soll ich’s dir noch erzählen?

Theben belagerten wir, Eëtions heilige Feste,

Und wir verwüsteten sie, und führeten alles von dannen.

Hierin teilten sich redlich die tapferen Söhne Achaias,

Und man erkor dem Atreiden des Chryses rosige Tochter.

Chryses darauf, der Priester des treffenden Phoibos Apollon,370

Kam zu den rüstigen Schiffen der erzumschirmten Achaier,

Freizukaufen die Tochter, und bracht’ unendliche Lösung,

Tragend den Lorbeerschmuck des treffenden Phoibos Apollon

Über dem goldenen Stab; und er flehete allen Achaiern,

Aber zumeist den Atreiden, den zwein Heerfürsten der Völker.

Jetzo gebot beifallend das sämtliche Heer der Achaier,

Jenen Priester zu scheun, und die köstliche Lösung zu nehmen.

Aber nicht Agamemnon, des Atreus Sohne, gefiel es;

Nein, er entsandt ihn mit Schmach, und in heftiger Rede gebot er.

Zürnend vernahm es der Greis, und entwandelte. Aber Apollon380

Hörte des Flehenden Ruf; denn sehr war jener geliebt ihm.

Und nun sendet’ er Todesgeschoss; und die Völker Achaias

Starben in Scharen dahin, da rings die Geschosse des Gottes

Flogen im weiten Heere der Danaer. Siehe da weissagt’

Uns ein kundiger Seher den heiligen Rat des Apollon.

Eilend befahl ich selber zuerst, den Gott zu versöhnen.

Aber der Atreion ereiferte: Schnell sich erhebend,

Sprach er ein drohendes Wort, das nun der Vollendung genaht ist.

Jene geleiten im Schiff frohblickende Söhne Achaias

Heim nach Chrysa zurück, auch bringen sie gaben dem Herrscher.

Doch mir nahmen nur eben die Herold’ aus dem Gezelte391

Brises’ Tochter hinweg, das Ehrengeschenk der Achaier.

O wenn du es vermagst, so hilf dem tapferen Sohne!

Steig empor zum Olympos, und flehe dem Zeus, wenn du jemals

Ihm mit Worten das Herz erfreuetest, oder mit Taten.

Denn ich habe dich oft in des Vaters Hause gehöret,

Wann du erzähltest mit Ruhm, wie den schwarzumwölkten Kronion

Du allein von den Göttern geschirmt vor schmählicher Kränkung,

Als vordem ihn zu binden die andern Olympier drohten,

Hera mit Poseidon zugleich und Pallas Athene.400

Doch du kamst, o Göttin, und lösetest ihn aus den Banden,

Schnell zum hohen Olympos den Hundertarmigen rufend,

Den Briareos nennen die Himmlischen, aber Aigaion

Jeglicher Mensch; denn er raget an Kraft vor dem eigenen Vater.

Der nun trat zu Kronion, und setzte sich, freudiges Trotzes.

Drob erschraken die Götter, und scheueten, jenen zu fesseln.

Mahn’ ihn des, und setze dich neben ihn, fasse die Knie auch,

Ob ihm gefalle vielleicht, Beistand zu gewähren den Troern,

Aber zurückzudrängen zum Lager und Meer die Achaier,

Niedergehaun, bis sie alle sich sättigen ihres Gebieters,410

Und er auch selbst, Atreus’ weitherrschender Sohn Agamemnon,

Kenne die Schuld, da den besten der Danaer nicht er geehret!«

Aber Thetis darauf antwortete, Tränen vergießend:

»Wehe mir! Dass ich, mein Kind, dich erzog, unselig Geborner!

Möchtest du hier bei den Schiffen doch frei von Tränen und Kränkung

Sitzen; dieweil dein Verhängnis so kurz nur währet, so gar kurz!

Aber zugleich frühwelkend und unglückselig vor allen

Wurdest du! Ja, dich gebar ich dem Jammergeschick im Palaste!

Dies dem Donnerer Zeus zu verkündigen, ob er mich höre,

Geh’ ich selber hinauf zum schneebedeckten Olympos.420

Du indes an des Meers schnell wandelnden Schiffen dich setzend,

Zürne dem Danaervolk, und des Kriegs enthalte dich gänzlich.

Zeus ging gestern zum Mahl der unsträflichen Aithiopen

An des Okeanos Flut; und die Himmlischen folgten ihm alle.

Aber am zwölften Tag, dann kehret er heim zum Olympos.

Hierauf steig’ ich empor zum ehernen Hause Kronions,

Und umfass ihm die Knie; und ihn zu bewegen erwart’ ich.«

Als sie solches geredet, enteilte sie. Jener allein nun

Zürnt’ im Geist, und gedachte des schöngegürteten Weibes,

Das man mit Trotz und Gewalt ihm hinwegnahm. Aber Odysseus

Kam und brachte gen Chrysa die heilige Sühnhekatombe.431

Als sie nunmehr in des Ports tiefgründige Räume gekommen,

Zogen die Segel sie ein, und legten ins schwärzliche Schiff sie;

Lehnten darauf zum Behälter den Mast, an den Tauen ihn senkend,

Eilig hinab, und schoben das Schiff mit Rudern zur Anfuhrt;

Aus dann warfen sie Anker, und knüpfeten Seile dem Strand an.

Aus nun stiegen sie selbst am Wogenschlage des Meeres,

Aus auch lud man das Opfer dem treffenden Phoibos Apollon;

Aus auch stieg Chryseïs vom meerdurchwallenden Schiffe.

Sie nun führte sogleich zum Altar der weise Odysseus,440

Gab in des Vaters Hände sie hin, und redete also:

»Chryses, mich sandte daher der Völkerfürst Agamemnon,

Dass ich die Tochter dir brächt’, und die Sühnhekatombe dem Phoibos

Opferte für die Achaier, den Zorn zu versöhnen des Herrschers,

Der nun Argos’ Volke so schmerzliches Wehe verhängt hat.«

Sprach’s, und gab in die Hände sie ihm; und freudig empfing er

Sein holdseliges Kind. Schnell ordneten jene des Gottes

Herrliche Sühnhekatomb um den schöngebaueten Altar;

Wuschen die Hände sodann, und nahmen sich heilige Gerste.

Laut nun betete Chryses empor, mit erhubenen Händen:450

»Höre mich, Gott, der du Chrysa mit silbernem Bogen umwandelst,

Samt der heiligen Killa, und Tenedos mächtig beherrschest!

Wenn du bereits vormals mich höretest, wann ich dich anrief,

Und mir Ehre verliehst, und furchtbar schlugst die Achaier;

Auf, auch nun von neuem gewähre mir dieses Verlangen:

Gib dem Danaervolke der schmählichen Plage Genesung!«

Also flehet’ er laut; ihn hörete Phoibos Apollon.

Aber nachdem sie gefleht, und heilige Gerste gestreuet;

Beugten zurück sie die Häls’, und schlachteten, zogen die Häut’ ab,

Schnitten die Schenkel heraus, und umwickelten solche mit Fette460

Zwiefach umher, und bedeckten sie dann mit Stücken der Glieder.

Jetzo verbrannt’ es auf Scheiten der Greis, und dunkelen Weines

Sprengt’ er darauf; ihn umstanden die Jünglinge, haltend den Fünfzack.

Als sie die Schenkel verbrannt, und die Eingeweide gekostet;

Jetzt auch das Übrige schnitten sie klein, und steckten’s an Spieße,

Brieten sodann vorsichtig, und zogen es alles herunter.

Aber nachdem sie ruhten vom Werk, und das Mahl sich bereitet;

Schmausten sie, und nicht mangelt’ ihr Herz des gemeinsamen Mahles.

Aber nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war;

Füllten die Jünglinge schnell die Krüge zum Rand mit Getränke,470

Wandten von neuem sich rechts, und verteileten allen die Becher.

Jene den ganzen Tag versöhnten den Gott mit Gesange,

Schön anstimmend den Paian5, die blühenden Männer Achaias,

Preisend des Treffenden Macht; und er hörete freudigen Herzens.

Als die Sonne nunmehr absank, und das Dunkel heraufzog;

Legten sich jene zur Ruh’ an den haltenden Seilen des Schiffes.

Als die dämmernde Eos mit Rosenfingern emporstieg;

Jetzo schifften sie heim zum weiten Heer der Achaier.

Günstigen Hauch sandt’ ihnen der treffende Phoibos Apollon;

Und sie erhuben den Mast, und spannten die schimmernden Segel.480

Schwellender Wind nun saust’ in des Segels Mitt’, und umher scholl

Laut die purpurne Wog’ um den Kiel des entgleitenden Schiffes;

Und es durchlief die Gewässer, den Weg in Eile vollendend.

Als sie nunmehr hinkamen zum weiten Heer der Achaier;

Zogen das schwärzliche Schiff sie empor an die Feste des Landes,

Hoch auf den kiesigen Sand, und breiteten drunter Gebälk hin;

Selbst dann eileten sie, durch Gezelt’ und Schiffe zerstreuet.

Er dort zürnte, gesetzt an des Meers schnellwandelnden Schiffen,

Peleus’ göttlicher Sohn, der mutige Renner Achilleus:

Niemals mehr in den Rat, den männerehrenden, ging er;490

Niemals mehr in die Schlacht. Doch Gram zernagte das Herz ihm,

Dass er blieb; er verlangte nur Kriegsausruf und Getümmel.

Als nunmehr die zwölfte der Morgenröten emporstieg;

Kehreten heim zum Olympos die ewigwaltenden Götter

Alle zugleich; Zeus führte. Doch Thetis vergaß das Geheiß nicht

Ihres Sohns; nein, schleunig enttaucht dem Gewoge des Meeres,

Stieg sie in nebliger Frühe zum Himmel empor und Olympos;

Fand nun den waltenden Zeus abwärts von den anderen sitzend,

Auf der erhabensten Kuppe des vielgezackten Olympos.

Und sie setzte sich nahe vor ihn, mit der Linken umschlang sie500

Seine Knie, und berührt’ ihn unter dem Kinn mit der Rechten;

Flehend zugleich begann sie zum herrschenden Zeus Kronion:

»Vater Zeus, wenn ich je mit Worten dir, oder mit Taten,

Frommt’ in der Götter Schar; so gewähre mir dieses Verlangen;

Ehre mir meinen Sohn, der frühhinwelkend vor andern

Sterblichen ward! Doch hat ihn der Völkerfürst Agamemnon

Jetzo entehrt; denn er hält sein Geschenk, das er selber geraubet!

Aber o du gib Ehr’ ihm, Olympier, Ordner der Welt, Zeus!

Stärke die Troer so lange mit Siegskraft, bis die Achaier

Meinen Sohn mir geehrt, und hoch mit Ehre verherrlicht!«510

Jene sprach’s; nichts sagte darauf der Wolkenversammler;

Lange saß er und schwieg. Doch Thetis schmiegte sich fest ihm

An die umschlungenen Knie, und redete wieder von neuem:

»Ohne Falsch verheiße mir jetzt, und winke Gewährung;

Oder verweigere mir’s – nichts scheuest du! – dass ich es wisse,

Ganz sei ich vor allen die ungeehrteste Göttin!«

Unmutsvoll nun begann der Herrscher im Donnergewölk Zeus:

»Heillos, traun, ist solches, dass Zank mit Hera und Feindschaft

Du mir erregst, wann jene durch schmähende Worte mich aufreizt.

Zanket sie doch schon so im Kreis der unsterblichen Götter520

Stets mit mir, und saget, ich helf’ im Streite den Troern.

Eile denn du jetzt wieder hinweg, dass nicht dich bemerke

Hera; doch mir sei Sorge des Übrigen, bis ich vollendet.

Aber wohlan, mit dem Haupte dir wink’ ich es, dass du vertrauest.

Solches ist ja meiner Verheißungen unter den Göttern

Heiligstes Pfand; denn nie ist wandelbar, oder betrüglich,

Noch unvollendet das Wort, das mit winkendem Haupt ich gewähret.«

Also sprach, und winkte mit schwärzlichen Brauen Kronion;

Und die ambrosischen Locken des Königes wallten ihm vorwärts

Von dem unsterblichen Haupt; es erbebten die Höhn des Olympos.

So ratschlageten beid’, und trennten sich. Siehe, die Göttin531

Fuhr in die Tiefe des Meers vom glanzerhellten Olympos;

Zeus dann in seinen Palast. Die Unsterblichen standen empor ihm

Alle vom Sitz, dem Vater entgegenzugehn; und nicht einer

Harrte des Kommenden dort, entgegen ihm traten sie alle.

Er nun nahte dem Thron, und setzte sich. Aber nicht achtlos

Hatt’ es Hera bemerkt, wie geheim ratschlagte mit jenem

Nereus’ Tochter des Greises, die silberfüßige Thetis.

Schnell mit kränkender Rede zu Zeus Kronion begann sie:

»Welcher Gott hat wieder mit dir, o du Schlauer, geratschlagt?540

Immer war es dir Freude, von mir hinweg dich entfernend,

Heimlich ersonnenen Rat zu genehmigen! Hast du doch niemals

Mir auch ein Wort willfährig verkündiget, was du gedenkest!«

Ihr antwortete drauf der Menschen und Ewigen Vater:

»Hera, nur nicht alles getraue dir, was ich beschließe,

Einzusehn; schwer würde dir das, und seist du mir Gattin!

Zwar was dir zu hören vergönnt ist, keiner hinfort soll’s

Früher erkennen denn du, der Unsterblichen oder der Menschen.

Doch was mir von den Göttern entfernt zu beschließen genehm ist,

Solches darfst du mir nicht auskundigen, oder erforschen.«550

Ihm antwortete drauf die hoheitblickende Hera:

»Welch ein Wort, Kronion, du Schrecklicher, hast du geredet!

Nie doch hab ich zuvor mich erkundiget, oder geforschet;

Sondern ganz in Ruhe beschließest du, was dir genehm ist.

Doch nun sorg’ ich, im Herzen geängstiget, dass dich beschwatze

Nereus’ Tochter des Greises, die silberfüßige Thetis.

Denn in der Dämmerung saß sie bei dir, und umschlang dir die Knie.

Ihr dann winkend, vermut’ ich, gelobtest du, dass du Achilleus

Ehren willst, und Verderben der Danaer viel’ an den Schiffen.«

Gegen sie rief antwortend der Herrscher im Donnergewölk Zeus:

»Immer, du Wunderbare, vermutest du; spähest mich immer!561

Doch nicht schafft dein Tun dir das Mindeste; sondern entfernter

Wirst du im Herzen mir stets: was dir noch schrecklicher sein wird!

Wenn auch jenes geschieht, so wird mir’s also gelieben!

Sitze denn ruhig und schweig’, und gehorche du meinem Gebote!

Kaum wohl schützten dich sonst die Unsterblichen all im Olympos,

Trät’ ich hinan, ausstreckend zu dir die unnahbaren Hände!«

Also Zeus; da erschrak die hoheitblickende Hera;

Schweigend saß sie nunmehr, und bezwang die Stürme des Herzens;

Doch rings traurten im Saale die göttlichen Uranionen.570

Jetzo begann Hephaistos, der Kunstberühmte, zu reden,

Seiner Mutter zu Gunst, der lilienarmigen Hera:

»Heillos, traun, wird solches zuletzt noch, und unerträglich,

Wenn ihr um Sterbliche nun euch so unwillig ereifert,

Und zu Tumult aufreizet die Himmlischen! Nichts ja genießt man

Mehr von der Freude des Mahls; denn es wird je länger, je ärger!

Jetzt ermahn’ ich die Mutter, wiewohl sie selber Verstand hat,

Unserem Vater zu nahn mit Gefälligkeit, dass er hinfort nicht

Schelte, der Vater Zeus, und uns hier störe das Gastmahl.

Denn sobald er es wollte, der Donnergott des Olympos,580

Schmettert’ er uns von den Thronen; denn weit der gewaltigste ist er.

Aber wohlan, du wollest mit freundlichen Worten ihm schmeicheln;

Bald wird wieder zu Huld der Olympier uns versöhnt sein.«

Jener sprach’s, und erhub sich, und nahm den doppelten Becher,

Reicht’ in die Hand der Mutter ihn dar, und redete also:

»Duld’, o teuere Mutter, und fasse dich, herzlich betrübt zwar!