Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Amelie, eine Gestaltwandlerin, lebt als Adlige im Schatten ihrer Mutter, Baronin Miletta Lubilon. Anstatt eines sorglosen Lebens fristet sie ihr Dasein als Bedienstete des eigenen Hauses. Daneben führt sie ein unfreiwilliges Doppelleben als Diebin, die auf Geheiß ihrer Mutter Adlige bestiehlt. Doch als sie einen der mächtigsten Drachenherzöge bestehlen soll, ändert sich alles. In der Schule für Bedienstete in einem benachbarten Adelshaus erfährt Amelie unter strenger Beobachtung neue, tiefe Verbindungen, die lebensverändernde Mächte mit sich bringen. Zwischen Geheimnissen und Intrigen muss sie sich von den Ketten ihrer Vergangenheit befreien – und sich fragen, wieso sie sich in der Gegenwart von zwei furchteinflößenden Drachen sicherer fühlt, als jemals zuvor in ihrem Leben. Ein ergreifendes Abenteuer voller Magie, Verrat und unerwarteten Wendungen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 605
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dieses Buch ist in turbulenten Zeiten entstanden und hat seinen Abschluss in einem Lebensabschnitt gefunden, der viel Neues für mich bereit hält. Das bedeutet, die Veröffentlichung bildet einen symbolischen Neustart für mich, wie er auch in dieser Geschichte zu finden ist.
Nicht alle, die mich bei dem Schaffensprozess begleitet haben, sind nun noch an meiner Seite. Dennoch sind sie Teil davon und für ihren Einfluss bin ich dankbar, hat es dieses Buch schließlich zu dem gemacht, was es nun ist.
Noch dankbarer bin ich den Menschen, die weiterhin an meiner Seite sind und ihren Anteil zu diesem Werk beigetragen haben. Sie haben mitgefiebert, nachgefragt und begeistert auf den Moment gewartet, dass sie diese Zeilen endlich lesen können
Den Menschen, die neu in mein Leben getreten sind, bin ich dankbar für das Leuchten, mit dem sie meine Gefühlswelt bereichert haben.
Vielen Dank für die Unterstützung, die mir von vielen in verschiedenen Formen entgegen gebracht wurde und für jede Minute und Sekunde, in der man mir zugehört hat, die gelesen und kritisiert wurde und auch für jedes Fünkchen Begeisterung, das mich bestärkt hat, wenn ich mal doch nicht so sicher war.
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
EPILOG
Ich drücke mich näher an die Wand, ehe ich einen weiteren Schritt seitwärts gehe, um hinter die Ecke zu schauen. Ich spüre einen leichten Schlag auf der Schulter und drehe mich zu der Person in der Dunkelheit hinter mir.
»Mach dich einfach klein und schaue von unten«, zischt sie genervt. Ich schließe kurz die Augen, ehe ich leise antworte. »Meine magischen Kräfte sind begrenzt und ich weiß nicht, wie oft ich mich noch verwandeln muss.«
Ich wende mich wieder um und schaue um die Ecke. Der steinerne Gang ist leer. Er wird nur durch zwei Fackeln erhellt. Ich schleiche geduckt weiter. Ein Schatten neben mir lässt mich aufschauen. Meine Mutter stolziert in ihrem dunklen Umhang an mir vorbei, ihre hohen Absätze klackern auf dem Boden und das Geräusch hallt in dem kahlen Gang wider. Ich balle leicht die Fäuste und versuche mich zu beruhigen. Als sie sich zu mir umdreht, schwingt der Stoff um sie herum und ihr blasses Gesicht schaut mich unter der Kapuze amüsiert an. Ihre dunkelroten Lippen haben sich zu einem Lächeln verzogen und ihre grünen Augen blitzen.
Ich richte mich auf und folge ihr, als sie sich wieder abwendet und weitergeht. Die Fackeln werfen unsere Schatten nach vorne, nachdem wir an ihnen vorbeigekommen sind.
Ich schaue mich um, doch das einzig Lebendige hier scheinen die Spinnen in ihren Netzen zu sein. Abgesehen von unseren Geräuschen herrscht Stille, aber ich lausche dennoch unruhig weiter, während ich die Umgebung beobachte. Niemand scheint sich in dem Gang hier aufzuhalten.
Die Schritte meiner Mutter kommen zum Stehen und ich schaue nach vorne. Vor uns ist eine schwere Holztür. Sie ist so breit und hoch wie der gesamte Gang, riesige Metallscharniere halten die dicken Bretter zusammen.
Meine Mutter schnippt mit den Fingern und deutet auf das große Schloss. Sie zieht mich unsanft nach vorne. Ich stolpere fast und muss mich an dem rauen Holz abfangen, um nicht zu fallen. Ich unterdrücke den Drang, mich wütend zu ihr umzudrehen. Es würde nichts bringen oder meine Situation gar verschlimmern. Ich schließe die Augen, um mich besser konzentrieren zu können. Kurz darauf spüre ich das bekannte Kribbeln auf meinem Körper, als das Fell durch die Haut sprießt und meine Knochen zusammenschrumpfen, um sich neu zu arrangieren.
In meinem neuen Körper wackele ich kurz mit meiner Nase, ehe ich meine kleinen Krallen nutze, um die Tür flink hinaufzuklettern. Am Schloss angekommen, schiebe ich mich durch die riesige Öffnung und schaue mich um. Das Metall ist abgenutzt vom häufigen Gebrauch. Das Schloss ist entweder sehr alt oder der Gang wird öfter benutzt, als angenommen. Schnell durchschaue ich den Mechanismus und positioniere meine kleinen Pfoten, ehe ich mit aller Kraft, die dieser winzige Körper aufbieten kann, drücke. Mit einem Ächzen rutsche ich vorne ab und stoße mir den Kopf.
»Beeil dich! Was dauert da so lange?«, ertönt ihre Stimme draußen. Ich höre sie kaum, während ich den Schwindel bekämpfe. Zähneknirschend positioniere ich mich wieder und drücke erneut mit ganzer Kraft zu. Dieses Mal ertönt das erlösende Klicken. Erleichtert atme ich aus, als sich plötzlich alles bewegt und ich beinahe aus dem Schlüsselloch falle. Ich halte mich fest und schaue hinaus. Meine Mutter schreitet bereits weiter. Ich springe aus dem Loch und noch im Flug verwandele ich mich in meinen normalen Körper zurück. Mein Umhang wirbelt etwas Staub auf, als er um mich herumschwingt. Ich komme auf den Füßen auf und laufe zu ihr.
Dieser Gang ist ebenfalls dunkel und nur mit wenigen Fackeln beleuchtet. Nach einer Weile, in der nur unsere Schritte zu hören sind, kommen wir an eine Kreuzung. Meine Mutter schaut die Gänge entlang und legt nachdenklich den Kopf schief.
»Wir sollten uns aufteilen«, sagt sie schließlich.
»Ich dachte, du hast dir die Karte angesehen!« Frustriert wende ich mich ihr zu, doch sie zuckt nur mit den Schultern, ehe sie in den hellsten Gang nach rechts deutet. »Du gehst dort entlang!«
Entgeistert schaue ich sie wieder an. »Offensichtlich werden dort Wachen sein!«
»Amelie, geh oder du wirst es bereuen. Solltest du jemandem begegnen, beseitige sie.«
Ich werfe ihr einen letzten Blick zu, spüre aber bereits den dumpfen Druck unter meiner Haut, der mich zwingt, zu gehorchen. Langsam gehe ich den hell erleuchteten Gang entlang. Das Geräusch von Stimmen lässt mich innehalten. Doch sie sind noch etwas entfernt, daher schleiche ich leise weiter. Ich komme an einen steinernen Eingang. Es klingt, als kämen die Stimmen von dort.
Ich presse meine Kiefer aufeinander. Was habe ich erwartet? Dass ich ausnahmsweise mal Glück habe? Wohl kaum. Ich schließe die Augen und suche nach einer Idee. Langsam breitet sich das brennende Gefühl weiter unter meiner Haut aus. Nervös überlege ich, was ich tun soll.
Endlich habe ich einen Einfall und ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Hoffentlich klappt es. Ich lasse sämtliche Luft aus meinen Lungen entweichen und warte. Der Drang, einzuatmen erfüllt mich, doch je länger ich ihn unterdrücke, desto leichter fällt es mir, die Gestalt anzunehmen. Nach weiteren Sekunden spüre ich sie, eine Trockenheit, die meinen Körper ausdörrt, bevor ich zu Sand zerfalle. Eine plötzliche Leichtigkeit erfüllt mich, ein schwacher Windhauch fährt durch mich hindurch und ich werde aufgewühlt, nur um mich zu einer neuen Erscheinung zusammenzusetzen.
Ich habe keine Augen mehr, nehme meine Umgebung aber in ihrer Gesamtheit wahr. Verblüfft versuche ich mich zu orientieren.
»Was war das?«, höre ich eine männliche Stimme. Schnell mache ich einen Satz nach vorne und stehe, oder schwebe im Türrahmen. Vor mir sind sechs Männer von ihren Stühlen aufgesprungen. Ich sehe sie nicht, spüre jedoch ihre Verwirrung. Mit einer Bewegung meines Arms, die einem Winken ähnelt, verteilt sich Sand im Raum und die Männer reiben sich ihre Augen, ehe sie zu Boden fallen. Schnarchen hallt im Raum wider und erleichtert nehme ich meine ursprüngliche Gestalt an. Die Männer liegen in ihren Rüstungen neben den Tischen und schlafen. Zufrieden drehe ich mich um und verschwinde mit wehendem Umhang aus dem Raum, ehe ich weiter durch den Gang eile. Meine Stoffschuhe machen keine Geräusche auf den dreckigen Steinen. Ich würde diese Ausflüge genießen, wenn sie nicht so gefährlich wären. Es ist eigentlich schön, dem Alltag zu entfliehen, aber der Nervenkitzel macht mich ganz unruhig.
Ich bemerke die Ruhe, die im Gang herrscht und werfe einen Blick zurück. Es ist niemand zu sehen. Als ich wieder nach vorne sehe, laufe ich geradewegs in einen runden Raum, aus dem mehrere Flure abgehen. Verwirrt bleibe ich stehen und frage mich, welcher Weg der richtige ist. Insgesamt gibt es neun dunkle Gänge inklusive dem, aus dem ich gekommen bin. Zwischen ihnen hängen Fackeln an den gräulichen Steinen. Unterhalb einiger Mauern sind große Löcher mit Gittern davor, wo es vermutlich zu den Wasserkanälen geht. Wo soll ich nun lang gehen? Nachdenklich schaue ich an die hohe Decke. Dort hängt ein gusseiserner Kronleuchter, er ist voller kleiner brennender Kerzen. Wer die wohl angezündet hat? Ich drehe mich einmal im Kreis und wähle seufzend einen Gang links von mir aus, es macht ja doch keinen Unterschied. Plötzlich sind aus eben diesem Schritte zu hören. Ich halte inne und warte, die Luft bereits angehalten, um mich auf eine weitere Verwandlung vorzubereiten. Allzu oft kann ich meine Gestalt nicht mehr wechseln und der Sandmann hat mehr Energie gekostet, als ich gedacht hatte. Das hätte ich mir eigentlich denken können, weil Fabelwesen immer mehr Energie benötigen. Immerhin musste ich die Wachen so nicht umbringen. Ich schüttele den Kopf, um meine wandernden Gedanken wieder zu fokussieren. Ich erkenne den Schrittrhythmus. Entspannt richte ich mich auf und warte auf meine Mutter, die aus den Schatten hervorkommt.
»Hier sind wir richtig. Scheinbar haben beide Wege hierhergeführt. Irgendwo hier ist die Tür zu seinem Schlafgemach.«
»Seinem?« Verwirrt runzele ich die Stirn und schaue mich erneut in dem Rondell um. »In wessen Anwesen sind wir hier?«
Sie schüttelt missbilligend den Kopf und beginnt, die Steinwände abzusuchen. Ich beobachte sie, bis sie mich gestikulierend auffordert, es ihr gleich zu tun.
Ich gehe langsam zu einer großen Wand und betrachte die Steine. Was genau suche ich hier eigentlich?, frage ich mich, als ein Brüllen den Raum erbeben lässt. Erschrocken weiche ich zurück.
Meine Mutter zischt leise. »Er ist früher zurück als gedacht, mach dich bereit, Amelie.«
»Worauf genau soll ich mich bitte vorbereiten?« Nervös schaue ich mich um auf der Suche nach dem Ursprung des Geräusches. Mein Herz rast. Ich bin mir sehr sicher, dass dieses Brüllen nichts Gutes zu bedeuten hat. Eine Erschütterung von der Decke lässt den gesamten Raum erbeben und Steinchen rieseln von der Decke. Ich verliere vor Schreck das Gleichgewicht und stürze. Ich schaffe es, mich mit meinen Händen abzufangen, doch ein kleiner Brocken landet auf meinem Kopf. Stöhnend streiche ich mir über die bereits entstehende Beule und kneife die Augen zusammen. Weiteres Geröll fällt von der Decke und ich schlinge meine Arme schützend um meinen Kopf, doch dann wird es plötzlich still. Nach wenigen Sekunden atme ich erleichtert auf und öffne die Augen. Mein Gesicht liegt vor einem der Wasserschächte, aber dahinter brennt Licht …?
Ich blinzele mehrmals, doch tatsächlich liegt dort ein riesiger, grüner Teppich und ich erkenne Bettpfosten. Plötzlich erscheinen vor mir zwei menschliche Füße. Schwarze Schuppen bedecken einige Stellen und ich unterdrücke entsetzt ein Fluchen. Es gibt nur wenige Lebewesen, die Schuppen haben und nur ein Geschöpf hat schwarze Schuppen. Sie hat mich ernsthaft in den Unterschlupf des zweitmächtigsten Drachen des ganzen Landes gezerrt. Geschockt schaue ich auf seine Füße und wage es nicht, mich zu regen. Wenn er mich bemerkt, bin ich so gutß wie tot. Ist sie komplett wahnsinnig?
Meine Mutter hat inzwischen wieder begonnen die Wände abzusuchen. Ich schaue langsam zu ihr auf, als sie etwas gefunden zu haben scheint. Mit einem finsteren Lächeln bereitet sie einen Zauber vor.
Entgeistert wandert mein Blick wieder zu dem erleuchteten Raum. Die Füße halten inne, es ist ihm sicher nicht entgangen, dass etwas vor sich geht.
Plötzlich sind aus mehreren Gängen laute Schritte zu hören. Sie kommen schnell näher. Das ist Irrsinn, wir werden beide sterben!
Die lauten Rufe der Wachen lösen mich aus der Starre. Die Kälte des Bodens wird mir wieder bewusst, doch während ich noch einen Blick auf die schuppigen Füße vor mir werfe, spüre ich in mir eine befremdliche, jedoch wohlige Wärme. Vielleicht ist es der Schock, doch der Gedanke, dass der Besitzer dieser Füße sterben könnte, lässt das warme Gefühl in meinen Adern gefrieren. Ich kann es mir nicht erklären, doch für einen kurzen Augenblick verschwindet meine Angst vor meinem unausweichlichen Schicksal. Sobald der Moment vorbei ist, wird mir aber wieder bewusst, dass ich noch immer auf dem Boden liege, während sich die Wachen nähern. »Bleibt weg von der Tür, ihr Zauber ist mächtig«, flüstere ich warnend, ehe ich aufspringe und meine Energie kanalisiere. Mit dem nächsten Wimpernschlag zieht sich mein Körper in die Länge. Fell sprießt wieder hervor und ich schaue hinunter auf die Wachen. Hinter mir murmelt meine Mutter leise vor sich hin.
»Ein Bär! Attacke!« Rufe hallen um mich herum. Mit einem Schlag wehre ich den Ersten ab, doch der Nächste hat bereits sein Schwert geschwungen und schneidet tief durch meinen Oberarm. Gleißender Schmerz breitet sich von dort aus. Ich brülle schmerzerfüllt, ehe ich ihn wegschubse und das Schwert herausgerissen wird. Bluttropfen fallen zwischen mir und den Wachen auf den Boden und mit meiner feinen Nase nehme ich den metallischen Geruch wahr. Mein Arm fühlt sich an, als würde er brennen, doch ich muss mich konzentrieren. Mit einem dumpfen Grollen blocke ich die nächsten Attacken ab, bemüht, meine Gegner nicht versehentlich zu töten, doch schon bald stechen mich diverse Speere. Jedes schmerzhafte Eindringen der kleinen Spitzen kostet mich Kraft. Hinter mir ertönt ein Klicken und dann schabt Stein auf Stein. Meine Mutter lacht triumphierend und lässt ihren Zauber los.
Ich widerstehe dem Drang, mich umzudrehen und halte einen weiteren Angreifer auf.
Erschöpft und schmerzerfüllt richte ich mich weiter auf, aber wem mache ich etwas vor? Die Wachen dienen einem Drachen, wieso sollten sie Angst vor einem Bären haben? Sie schrecken nicht zurück. Hinter mir ist ebenfalls ein Kampf entfacht, es kracht und ich höre Holz splittern. Dann explodiert ein Zauber und Rauch umhüllt mich.
Ich gehe ein paar Schritte zurück, um Abstand zu den Wachen zu gewinnen, als eine Hand mich an der Schulter berührt. Mein Umfeld schimmert, bevor ich mich auflöse.
Als ich meine Augen öffne, stehe ich wieder in unserem alten Anwesen auf dem dunklen Teppich. Meine Gestalt schrumpft zusammen, als mich sämtliche Energie verlässt und ich verwandele mich zusammengekauert zurück. Dunkelrotes Blut läuft aus der Wunde in meinem Arm und tropft auf den Boden. Ich presse ächzend meine Hand darauf, während meine Mutter eine Holzschachtel auf den Tisch stellt. Mit blitzenden Augen wendet sie sich dann mir zu.
»Du bist unfassbar nutzlos«, faucht sie und holt aus. Ihr Schlag schleudert mich auf die Seite und mein Kopf kommt unsanft auf dem Fußboden auf. Stöhnend halte ich mir die brennende Wange.
»Mein Zauber hätte ihn aus dem Weg geräumt, aber wegen dir Nichtsnutz musste ich noch zwei weitere Zauber verwenden! Ich habe gehört, wie du ihn gewarnt hast. Wie kannst du mich nur so hintergehen?«
Im Augenwinkel sehe ich die ausholende Bewegung ihres Beines. Ich kann mich nicht bewegen und auch nicht auf ihren wütenden Tritt in den Bauch vorbereiten. Hätte ich etwas gegessen, hätte er mich vermutlich zum Erbrechen gebracht, aber so kann ich mich nur verkrampft zusammenrollen, ehe sie mich an den Haaren wieder hochzieht. Sie reißt mir einige Haare aus, doch das schmerzhafte Prickeln meiner Kopfhaut ist nicht ansatzweise so schlimm, wie das, was mir nun bevorsteht.
»Jämmerlich«, flüstert sie, ehe sie eine Hand über meine Brust hält und tief einatmet. Ich kreische vor Schmerz, als sie mir meine Magie nimmt. Das quälende Ziehen überdeckt jedes andere Leid und fühlt sich an, als würde sie mein Körperinneres Tropfen für Tropfen durch die Haut nach außen zwingen. Es gibt keinen vergleichbaren Schmerz, es ist als würde sie sich meine gesamte Lebensenergie einverleiben wollen und nichts übriglassen. Mein ganzer Körper scheint in Flammen zu stehen, die alles in mir vernichten.
Meine Stimme versiegt, als sie endlich fertig ist und ich fühle mich ausgetrocknet, leer. Mir ist eiskalt und der Magiefluss, der vorher noch durch mich strömte, ist nun nur noch ein Rinnsal. Sie lässt meine Haare los und ich falle zu Boden. Nach so vielen Malen sollte ich mich eigentlich schon daran gewöhnt haben, doch es fühlt sich von Mal zu Mal schrecklicher an. Ich blinzle, als mein Sichtfeld verschwimmt und immer kleiner wird. Am Rande bemerke ich, wie sie nach jemanden ruft, doch ich werde ohnmächtig, ehe ich sehen kann, wer den Raum betritt.
Das Erste, was ich spüre, sind stechende Kopfschmerzen. Dann bemerke ich die Schmerzen meines restlichen Körpers. Es fühlt sich an, als würde ein Pferd auf meinem Brustkorb sitzen. Ich atme angestrengt die feuchtkalte Luft ein bevor ich langsam die Augen aufschlage. Sonnenstrahlen scheinen durch das kleine Fenster und erhellen meine Zelle im Turm. Ein leises Tropfen ist aus einer Ecke zu hören und ich lasse meinen Blick zur alten Decke schweifen. Zwischen dem Holz und den Steinen sind kleine Risse zu sehen, in denen sich Wasser gesammelt hat. Es muss in den letzten Stunden geregnet haben. Langsam und ächzend richte ich mich auf und schaue hinunter. Ich greife das Stroh unter mir fest in der Hand, es ist schon ganz vollgesogen. Ich stehe auf und nehme in der gleichen Bewegung das Laken und die dünne Decke mit, um sie über die Leine in meinem Zimmer zu werfen. Da sie schon so alt ist, hängt sie ziemlich durch. Ich hebe das graue Kleid, das auf dem Boden liegt, auf und lege meinen Umhang ab, um ihn in dem verwitterten Holzschrank in der Ecke zu verstauen. Ich ziehe auch das warme schwarze Kleid aus, um es dazu zu hängen. Ich bräuchte eigentlich ein neues, es ist ganz löchrig und blutig. Seufzend schüttele ich den Kopf. Zumindest waschen und nähen sollte ich es. Ich werde kein neues bekommen. Bevor ich die Tür des Schranks schließe, fällt mein Blick auf die wenigen Bücher, die ich besitze. Ich habe sie dort hineingelegt, um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen, dennoch sind die Seiten vergilbt und aufgequollen. Ich drehe mich zu meinem zerbrochenen Spiegel und betrachte meine Erscheinung. Mein weißblondes Haar hängt in dreckigen Strähnen von meinem Kopf herunter. Die blasse Haut ist an einigen Stellen blutverkrustet und dunkle Flecken zeichnen sich an den Armen ab. Mein Bauch ist nicht mehr so dunkel, tut aber noch weh, als ich ihn vorsichtig abtaste. Ich presse meine Kiefer aufeinander, weil ich meinen Ellenbogen nicht richtig bewegen kann. Ungelenk schaue mir die Wunde an meinem Arm näher an, doch sie scheint nicht entzündet zu sein. Wo die kleinen Stichverletzungen waren, ist nur noch Schorf zu sehen. Die Haut darunter ist bereits verheilt. Ich reibe das verkrustete Blut ab, so gut ich kann. Mein Körper heilte schon immer schneller als der, gewöhnlicher Menschen. Ich weiß nicht, wie lange ich hier lag, aber ich kann wohl froh sein, das ursprüngliche Ausmaß der Verletzungen verschlafen zu haben. Meine Mutter scheint mir immer etwas magische Kraft für die Heilung zu lassen, damit sie mich weiter zu diesen irrsinnigen Diebstählen mitnehmen kann.
Ein Bild von schwarzen Schuppen auf heller Haut schießt mir in den Kopf. Ich kann es noch immer nicht fassen. Ob es ihm gut geht?
Aufgebracht streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht. Hoffentlich geht es ihm nicht gut! Sollte er je nach uns suchen, wird er uns finden und ich glaube nicht, dass meine Mutter ihre Tat zugeben wird. Sie wird wie jedes Mal behaupten, ich sei eigenmächtig geflohen und dort eingebrochen. Schnaubend ziehe ich mir das klamme, graue Kleid an und stelle mich näher an den Spiegel um meine Haare zusammenzuflechten. Meine blauen Augen blitzen aufgebracht aus meinem etwas eingefallenen Gesicht. Ich rubbele etwas Dreck von meiner Nase ehe ich mich zur Tür wende. Mit einem letzten Blick in den kargen Raum steige ich die Treppen hinab bis in den Vorratsraum im Keller. Ich nehme etwas Gemüse und werfe es in eine hölzerne Transportkiste. Die Griffe sind mittlerweile abgerissen, aber es ist dennoch besser, als das ganze Gemüse im Rock zu tragen. Meine Verletzungen erschweren das Tragen etwas, doch ich bringe die Kochutensilien so schnell es geht in die Küche. Dort herrscht bereits geschäftiges Treiben. Die anderen Dienstmädchen betrachten mich verächtlich. Sie deuten auf mich und wedeln mit ihren Händen vor der Nase, ehe sie leise gackern. Ich ignoriere sie und gehe zum Waschbereich. Dort schrubbe ich den Dreck von den Möhren und der Rübe und schäle anschließend die Kartoffeln. Danach schneide ich alles in kleine Würfel und bringe es zu unserer Köchin Elise. Sie schaut gerade in den großen Topf und rührt um. Ihre Schürze bedeckt ihren langen, schmalen Körper, ihre blonden Locken hat sie zu einem engen Zopf zusammengebunden. Ihre Bewegungen sind routiniert. Obwohl sie nur unwesentlich älter ist als ich, strahlt sie eine zurückhaltende Überlegenheit aus. Dadurch wirkt sie sehr reif für ihr Alter. Sie ist zuständig für die Einteilung der Bediensteten hier. Sie macht es erst seit einigen Monaten, aber durch ihr bestimmtes Auftreten gehorchen ihr alle.
Ich lege das Essen neben ihr ab. »Wurde auch Zeit«, brummt sie unzufrieden und zwinkert mir mit strahlend blauen Augen unbemerkt zu, als ich den Kopf hebe. »Bitte entschuldige die Verzögerung.«
Sie schnaubt abfällig. »Vier Tage sind keine Verzögerung mehr. Du bist heute für die Zimmer der Bediensteten zuständig und nach oben gehst du erst wieder, wenn du dich gewaschen hast.«
Mit einem letzten ernsten Blick nimmt sie das geschnittene Gemüse und kippt es in den Topf. Langsam nickend wende ich mich ab. Wir führen dieses Gespräch immer nach einem Auftrag. Zu Beginn hat sie meine Situation schnell verstanden und eine Möglichkeit gefunden, mir mit strengen Aussagen heimlich zu helfen.
Vier Tage ohne Bewusstsein sind lang, aber nicht unüblich. Dass sie mich unten eingeteilt hat, bedeutet, dass wir Gäste erwarten. Ihre Bemerkung, dass ich mich waschen soll ist ein Hinweis, dass es wohl relativ hoher Besuch sein wird. Möglicherweise ein Baron? Als Witwe eines Barons hat meine Mutter den Titel Baronin übertragen bekommen. Sie wäre dem Besuch gleichgestellt und somit in der Lage, weitere Untersuchungen fürs Erste zu unterbinden.
Hoffentlich ist es kein Herzog, das wäre das denkbar schlechteste Szenario. Den Herzogstitel können ausschließlich Drachen erhalten. Sie sind den Baronen übergeordnet und stehen dem König sehr nahe.
Nachdenklich gehe ich in die Putzkammer und hole den Eimer, um ihn draußen am Brunnen zu befüllen. Es stehen zwei ordentlich gekleidete Dienstmädchen dort, sie helfen vermutlich beim anstehenden Empfang. Langsam gehe ich hinüber. Als sie mich sehen, lachen sie abschätzig. »Da ist unser kleines Stinkerchen wieder. Wir haben dich lange nicht gesehen«, grinst die eine. Ich weiche ihrem Blick aus. Mitunter verlieren sie die Lust, wenn sie keine Reaktion hervorrufen können.
»Hoffentlich lässt die Baronin sie bald wieder waschen. Sie riecht wirklich übel.« Ich versuche, nicht das Gesicht zu verziehen. Das letzte Mal, als meine Mutter veranlasst hat, dass ich gewaschen werden, wurde mir beim Schlafen eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt. Ich komme am Brunnen an und zum Glück gehen die beiden lachend von dannen. Sie sind noch nicht so lange hier, deshalb trauen sie sich noch nicht so viel wie andere. Genervt ziehe ich mir Wasser hoch und kippe es in meinen Eimer.
Ich muss es positiv sehen, immerhin arbeite ich nur im Anwesen und muss nicht zum Markt. In der Vergangenheit wurde ich für die ganzen Diebstähle angeklagt und schuldig gesprochen. Ich habe sie zwar nicht willentlich begangen, aber das konnte ich wegen des Fluchs, mit dem mich meine Mutter belegt hat, nicht sagen. Entlastet hat sie mich auch nicht. Es scheint sie nicht zu stören, dass alle schlecht über die verbrecherische Tochter der Baronin Miletta Lubilon sprechen. Viele wundern sich, dass sie mich noch nicht rausgeworfen hat und sind entsetzt, dass ich trotz mehrerer Verurteilungen immer noch weitere Verbrechen begehe. Hätte ich eine Wahl, würde ich es nicht tun. Himmel, ich hätte nicht einmal angefangen, in die Adelshäuser einzudringen und wertvolle Gegenstände zu stehlen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Einbrüche ich bereits begangen habe. Die Strafen wurden immer härter. Nach der ersten Verurteilung mit zehn Peitschenhieben dachte ich, es könne nichts Schlimmeres mehr passieren. Doch dann haben sie mir meine Magie genommen. Das erste Mal war das Grausamste. Als auch das nichts brachte und von der ersten Strafe nicht einmal Narben zurückblieben, erhöhten sie die Zahl systematisch. Doch immer wieder verheilte alles. Ohne die Narben bin ich nicht eindeutig als Verbrecherin zu erkennen. Deshalb wurde es mir verboten, dass Dorf zu betreten, sollte es nicht unabdingbar sein. Nicht, dass ich vorhatte, jemals wieder dorthin zu gehen. Der Verlust meines Titels als Baroness ist da noch mein geringstes Problem.
Seufzend hebe ich den Eimer an und trage ihn zurück ins Schloss. Ich ignoriere das Stechen in meinem Ellenbogen, morgen ist es sicher weg. Ich frage mich noch immer, wer heute eintrifft. Vielleicht ist es auch der Auftraggeber, wegen dem wir in das Schloss des Drachen eingedrungen sind. Dann habe ich vorerst keine Verurteilung zu befürchten.
Ich versuche mich so leise wie möglich im Anwesen zu bewegen, je weniger ich auffalle, desto weniger Probleme gibt es für mich.
Ich beginne in Elises Zimmer, deshalb stelle ich das Wasser dort ab und gehe zur Putzkammer, um die restlichen Utensilien zu holen. Ich schließe die Tür hinter mir und gehe zu ihrem kleinen Schreibtisch. Dankbar nehme ich das Brot und die Schüssel mit kalter Suppe heraus. Das Brot ist trocken, vermutlich hat sie es schon gestern für mich bereit gestellt. Meistens brauche ich lediglich drei Tage, um mich von einem Auftrag zu erholen.
Ich setze mich vor die Tür und esse schnell. Ich merke erst jetzt, wie ausgehungert ich bin. Die Suppe schmeckt auch kalt noch fantastisch, wie gewöhnlich, aber selbst, wenn nicht, hätte ich es vor Hunger kaum bemerkt. Ich lecke mir die Lippen, ehe ich das Geschirr zurück auf den Schreibtisch stelle und mit der Arbeit beginne.
Der Himmel färbt sich bereits langsam in bunten Farben. Sehnsüchtig werfe ich einen Blick durchs Fenster, ehe ich weiterlaufe. Es ist schon ewig her, dass ich einen Sonnenuntergang betrachten durfte.
Erschöpft wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Wir haben eindeutig zu viele Bedienstete. Ich eile von der Putzkammer hoch zu meinem Zimmer. Dort breite ich das Laken auf dem Boden aus und lege das Stroh hinein. Nachdem fast alles drin ist, hebe ich es wie einen Sack an und schwinge es über meine Schulter. Schnell laufe ich die Treppen hinunter und bringe das Stroh zum Misthaufen hinter den Ställen. Der Weg ist lang, weil das Gelände so weitläufig ist und ich einen Umweg gehe, um im Schatten der Mauern zu bleiben. Nach einigen Jahren kenne ich die üblichen Wege der Bediensteten und versuche, sie zu meiden. Ich halte den Blick gesenkt und bemerke Gras, das zwischen den Steinen wächst. Hoffentlich hat es noch niemand gemerkt. Ich hatte geplant, es erst im Frühjahr wieder auszuzupfen. Nun werde ich es schnellstmöglich erledigen müssen.
Am Misthaufen angekommen, schüttele ich das Laken hastig aus, ehe ich zur Scheune weitereile. Meistens wechsele ich das Stroh nachts, da begegne ich weniger Leuten, doch wenn wir heute Abend noch Gäste erwarten, wird überall geschäftiges Treiben sein. Ich fülle mein Laken wieder mit Stroh, gerade genug, dass der Boden nicht zu hart ist, aber nicht so viel, dass es zu schwer ist zu tragen.
»Was tust du da?«, eine harsche Stimme lässt mich aufschrecken. Angespannt drehe ich mich zu unserem Stallburschen Grett um.
»Ich hole Stroh«, entgegne ich.
»Wofür?«, fragt er hämisch grinsend. Ich verkneife mir ein Seufzen, er weiß genau, wofür ich es brauche, doch der belustigte Schimmer in seinen Augen sagt mir, dass ich wohl nicht um eine Antwort herumkomme.
»Um darauf zu schlafen«, sage ich daher leise.
»Ist das nicht zu viel? Du weißt, dass wir für die Pferde ausreichend brauchen, damit sie es in ihren Boxen bequem haben.« Noch immer ist sein Gesicht gemein verzogen.
Ich schüttele nur den Kopf und will mich wieder zum Gehen wenden. Er packt mich jedoch grob am Arm und wirbelt mich herum. Ich pralle gegen die Wand. Vor Schreck verliere ich mein Laken und es fällt in den Dreck.
»Sieh, was du angerichtet hast«, ruft er, während er mich erneut gegen die Steine schubst. Ich halte meinen Oberarm, der von seinem Griff gequetscht wurde.
»Tut mir leid«, presse ich zwischen den Zähnen hervor.
»Das glaube ich dir nicht.« Er schaut mir in die Augen, ich entgegne seinem Blick. Unzufrieden packt er mich wieder und schüttelt mich, sodass ich mir den Kopf stoße. Ich schlucke den Schmerzlaut runter, was ihn nur noch wütender zu machen scheint. Er ballt die Hand zur Faust und schlägt mir in den Bauch. Keuchend falle ich auf die Knie, doch er zieht mich an meinem Arm wieder hoch. Hinter uns ertönen Schritte. »Was ist hier los?«, ruft eine Wache. Mein Bauch beginnt schmerzhaft zu Pochen. Das hat mir gerade noch gefehlt.
»Oh, nichts. Alles in Ordnung, Brent«, ruft Grett nach hinten.
»Gut, es soll alles sauber sein, unser Gast trifft bald ein«, ertönt die Stimme erneut, ehe sich die Schritte wieder entfernen.
»Räum das weg, nächstes Mal nimmst du besser weniger Stroh«, murmelt Grett und lässt mich los. Er mustert mich ein letztes Mal von oben bis unten. »Lass dich besser nicht blicken. Du hast Brent gehört, für Dreck ist hier heute kein Platz.« Er verschwindet in die Dunkelheit. Seine Worte prallen an mir ab. Es ist nichts, was ich bisher nicht gehört habe. Niedergeschlagen klaube ich das Stroh wieder zusammen und hebe das Laken erneut an. Ein ziehender Schmerz im Bauch zwingt mich jedoch wieder in die Knie. Ich hole tief Luft, beiße die Zähne zusammen und richte mich langsam wieder auf. Schwer atmend trage ich das Stroh den Turm hoch. Es wäre einfacher, wenn ich unten bei den Bediensteten schlafen würde, doch ich soll so wenig wie möglich mit den anderen zu tun haben.
Sobald ich in meinem Zimmer bin, lasse ich das Laken in der Ecke fallen und lehne mich erschöpft gegen die Wand. Beim Ausatmen wirbelt eine Haarsträhne vor meinem Gesicht; ich betrachte sie, bis ich wieder zu Atem komme.
Nach einigen Sekunden richte ich mich wieder auf und gehe mit schleppenden Schritten die Treppen runter. Während ich mich frage, ob es wirklich für den Rest meines Lebens so weitergehen soll, bemerke ich, dass die Fackeln im Gang noch leuchten. Das bedeutet, jemand ist noch unten. Für mich lassen sie das Licht nicht an. Einige weitere Treppen später komme ich in der Waschküche an. Tatsächlich ist noch ein junges Mädchen dort, dass gerade Wasser in die große Wanne füllt. Sie hebt den Kopf, als ich eintrete. »Wurde auch Zeit. Du bist mir übrigens etwas schuldig. Hättest du nicht so lange für unsere Zimmer gebraucht, wäre noch genug Zeit gewesen, das Wasser selber zu holen.« Sie verdreht genervt die Augen und drückt mir den leeren Eimer grob in den Arm. Mein Bauch beginnt wieder schmerzhaft im Rhythmus meines Herzschlags zu ziehen. Ich seufze leise, als ihre Schritte leiser werden. Ich höre, wie sie die Fackeln löscht, die nach oben führen und schaue missmutig auf den riesigen Stapel Wäsche. Niemand hat sich in den letzten Tagen zuständig gefühlt, sie zu waschen. Seufzend greife ich nach den ersten Kleidungsstücken und tauche sie ins Wasser. Die Arbeit ist mit meinen Verletzungen noch anstrengender als sowieso schon. Jedoch muss ich mich beeilen, um heute Nacht ausreichend Schlaf zu bekommen, damit meine Wunden weiter heilen können.
Schwer atmend wringe ich das letzte Laken aus und hänge es über eine der Wäscheleinen. Es ist kaum genug Platz für alles. Die schweren Kleider meiner Mutter habe ich daher noch nicht gewaschen. Sie brauchen viel Pflege, dafür habe ich heute keine Kraft und auch die Wäscheleinen sind zu voll, als dass ich dort noch so viel Stoff unterbringen könnte. Zum Glück kommt sie nicht hier herunter. Bekäme sie das mit, würde mir wohl eine ordentliche Strafe drohen. Mit wackeligen Knien steige ich die dunkle Treppe hoch. Ich stütze mich zweimal an der Wand ab, um zu Atem zu kommen, bis ich endlich mein Zimmer erreiche. Dort angekommen lasse ich mich an einer der feuchten Mauern zu Boden sinken und lege meine Stirn auf den Knien ab.
Ich frage mich, ob ich es schaffe, mich unbemerkt zu waschen. Es wäre wohl sinnvoller, wenn ich mich so früh wie möglich schlafen lege. Morgen wird ebenfalls ein anstrengender Tag werden. Ich gähne leise, als ich durch das kleine Fenster Hufgetrappel und das Heranrollen einer Kutsche höre. Unser Gast ist spät. Aber das ist gut.
Ächzend stehe ich wieder auf und schleiche aus dem Zimmer. Ich kenne mich im Anwesen aus und weiß, welche Flure öfter und welche beinahe nie benutzt werden. Um ihren Schikanen zu entgehen, habe ich gelernt, mich vor den anderen Bewohnern zu verbergen. Wenn ich durch die vergessenen Gänge streife, kann ich mich zumindest etwas entspannen. Ich habe vor einigen Jahren einen Geheimgang entdeckt, der an beinahe allen Zimmern vorbeiführt und direkt gegenüber meiner Zimmertür beginnt. So konnte ich mitunter Informationen aufschnappen. Wir haben jedoch selten Gäste und es ist schwer, die Wahrheit von Gerüchten zu unterscheiden. Die Neugier treibt mich dennoch immer wieder durch das Schloss.
Mit einem letzten Blick auf die Treppe nach unten schiebe ich das Bild eines stolzen Reiters zur Seite und öffne den Durchgang zu einem dunklen Flur. Das Bild ist bereits alt und verblichen. Es hängt wohl nur noch, weil außer mir kaum einer hier hochkommt und deshalb niemand weiß, dass es existiert. Ich trete in den Tunnel und schiebe das Bild zurück an seinen Platz. Vorsichtig hocke ich mich hin und taste auf dem staubigen Boden nach meinem Kerzenhalter. Schnell stoßen meine Fingerspitzen gegen das kühle Metall. Die Streichhölzer liegen direkt daneben. Das leise Ratschen hallt im Gang wider und die Flamme taucht den Gang kurz in helles Licht, ehe sie wieder kleiner wird. Schnell zünde ich die Kerze an und lasse das Streichholz erlöschen. Ich stecke mein Finger in den kleinen Henkel des Kerzenhalters und folge meinen früheren Fußspuren im Staub. Spinnweben hängen von der Decke und kleine Krabbeltiere verkriechen sich in den Ritzen, sobald das Licht auf sie trifft. Der Weg führt leicht bergab und ich verziehe das Gesicht, als ich meine blauen Flecken mit jedem Schritt spüre. Nach kurzer Zeit erreiche ich die Wand, hinter der sich der Salon befindet. Ich stelle die Kerze auf dem Boden ab und suche nach einem schwachen Lichtschein in der Wand. Schnell finde ich ihn und schaue zufrieden durch das kleine Loch in der Wand. Der Raum ist hell erleuchtet, doch von hier kann ich nichts sehen. Die Stimmen sind so kaum zu hören. Unzufrieden wende ich den Kopf und presse mein Ohr vor das Loch. Der raue Stein ist kühl auf meiner Haut.
»Wie kann ich Ihnen weiterhelfen, Baron?«, fragt meine Mutter gerade, als sie den Raum betritt. Mir stockt der Atem. Also tatsächlich ein anderer Baron.
»Es wurde ein Diebstahl angezeigt«, erklärt eine weiche, männliche Stimme zögernd. Ich erkenne sie, das ist Baron Erhard Morand. Was möchte er hier? Mir war nicht bekannt, dass er Geschäfte mit meiner Mutter führt. Ich kenne zwar keinen ihrer Geschäftspartner persönlich, kann mir aber auch nicht vorstellen, dass es jemand so hoch angesehenes ist. Ich weiß von einigen Dienstmädchen, dass sie auf seinem Anwesen ausgebildet wurden. Er ist für die einzige Schule in unserem Land verantwortlich. Dass der König ihn mit dieser Aufgabe betraut hat, spricht für ihn. Er würde seinen Ruf doch nicht wegen zwielichtiger Geschäfte mit meiner Mutter riskieren.
»Wie schockierend! Tee?«, höre ich meine Mutter kurz bevor ein leises Plätschern zu hören ist. Sie wirkt nicht sonderlich betroffen.
»Vielen Dank. Ja, schlimmer noch ist jedoch, wer bestohlen wurde. Herzog Briam der Mächtige.«
Meine Mutter atmet erschrocken ein. »Wer würde einen der hohen Drachen bestehlen? Seid Ihr hier, um mich zu warnen, Baron?«, fragt sie unschuldig. Ich rolle mit den Augen, ihre Affektiertheit ist nicht zu überhören.
»Genau genommen wurden bei dem Diebstahl Beobachtungen gemeldet, die darauf hinweisen, dass ein Gestaltwandler beteiligt war«, seine Stimme klingt besorgt. Er scheint es ihr tatsächlich nicht anzumerken. Aber wer hat das jemals getan?
»Wollt Ihr damit etwas andeuten?«, braust meine Mutter auf. Ich zucke zusammen, als ihre schrille Stimme durch das kleine Loch dringt.
»Nun, Ihre Tochter ist die einzige bekannte Gestaltwandlerin im Königreich …«
»Ja, aber ihr wurden doch die Kräfte aufgrund ihrer vorangegangenen Taten entzogen«, entgegnet meine Mutter verwirrt. Ich unterdrücke ein Schnauben.
»Durchaus, durchaus. Ich frage mich nur, ob sie Kontakte haben könnte, die in der Lage sind, diese wieder freizusetzen? Bei ihrer kriminellen Vergangenheit ist das nicht auszuschließen.«
Ich blinzele und atme tief ein, um mein rasendes Herz zu beruhigen. Die Antwort ist ja, aber sie wird ihm wohl kaum sagen, dass sie dieser Kontakt ist.
»Da könntet Ihr Recht haben, Baron. Ich versuche, sie unter strenger Beobachtung zu halten, wenn sie jedoch Hilfe von außen bekommt, dann entzieht sich das meiner Kontrolle«, erklärt meine Mutter bekümmert. Ich habe schon viele dieser Gespräche gehört und die Folgen waren nicht ein einziges Mal angenehm für mich. Geschlagen schließe ich die Augen.
»Natürlich, natürlich. Offenbar waren die bisherigen Versuche einer Bekehrung erfolglos«, murmelt der Baron bedauernd.
»Es scheint beinahe so. Ich bin schockiert, zu welchen Taten mein eigen Fleisch und Blut fähig ist«, schluchzt meine Mutter. Ich erkenne ihr Schauspiel, doch den Baron scheint sie damit zu überzeugen.
»Na na, Madam. Das Böse findet immer einen Weg«, tröstet er sie. Ach, was er nicht sagt.
»Offenbar. Was wird nun mit ihr passieren?« Ihre Stimme stockt, vermutlich laufen ihr auch Tränen über das Gesicht.
»Ich hatte überlegt, ob sie an dem Ausbildungsprogramm auf meinem Anwesen teilnehmen sollte. Ich denke, das wäre eine neue Möglichkeit, da sie auf übliche Strafen ungelehrig reagieren zu scheint. Wir würden sie so aus ihrem kriminellen Umfeld herausbekommen. Das ist der Grund, weshalb ich auch heute hier bin. Normalerweise würde sich der Herzog persönlich um diese Angelegenheit kümmern, jedoch residiert er derzeit bei mir und ich wurde angehalten, Eure Tochter zur Befragung zu mir zu holen.« Mir wird eiskalt. Er soll mich abholen und zu dem Drachen bringen, den ich bestohlen habe. Meine Hoffnung, hier lebendig rauszukommen, war vorher schon gering. Jetzt bin ich mir sicher, dass das mein Ende ist. Ich hatte nicht einen einzigen Tag in Freiheit und das, obwohl ich nicht verantwortlich bin. Das ist nicht gerecht.
»Was für eine hervorragende Idee. Vielen Dank für Ihr großzügiges Angebot, Baron! Hoffentlich kann der Herzog den Täter enttarnen, auch wenn es möglicherweise meine eigene Tochter ist.« Sie schnieft laut, doch in ihrer Stimme hört man sie lächeln. Sie muss doch wissen, dass er mich entlarven wird? Wieso schickt sie mich dahin? Entsetzt schließe ich die Augen. Sie hat nichts zu befürchten. Sollte ich sie beschuldigen, tötet der Fluch mich. Nicht, dass mir jemand glauben würde.
»Ich werde sie morgen Abend abholen lassen, reicht das für Eure Vorbereitungen?«, fragt der Baron förmlich, scheinbar erleichtert, wie schnell sie eingewilligt hat.
»Selbstverständlich, sie wird fertig sein«, sagt meine Mutter zu. Ich schaue hilflos an die Decke. Tränen steigen mir in die Augen, doch ich blinzele sie schnell weg. Enttäuschung, dass sie mich einfach wegschickt, macht sich in mir breit. Aber überraschen tut es mich nicht. Ich habe keine Wahl.
Sie verabschieden sich voneinander und ich gehe geplättet den Gang zurück. Am Bild angekommen, puste ich die Kerze aus und lausche, doch so spät in der Nacht ist meist kaum noch jemand wach. Es herrscht Stille und vorsichtig schiebe ich das Bild beiseite, um in mein Zimmer zurück zu schleichen.
Ich verteile das Stroh, sodass ich gemütlich darauf liegen kann, breite das Laken darüber aus und decke mich zu. Nachdenklich schaue ich an die Decke und frage mich, wie lange ich nicht in diesem Zimmer schlafen werde. Ob ich es vermissen werde? Vermutlich nicht. Ein leises Klopfen lässt mich zusammenfahren, doch ich richte mich langsam auf und schaue erwartungsvoll zur Tür. Nur eine Person respektiert mich genug, um mir die Geste des Anklopfens zu schenken. Elises Kopf erscheint in dem Spalt. Als sie sieht, dass ich noch wach bin, schlüpft sie ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
»Hallo«, flüstert sie und kommt langsam auf mich zu.
»Hallo«, wispere ich zurück und stehe langsam auf, als sie vor mir steht.
»Ich habe dich vermisst«, murmelt sie. Ich lächele zu ihr hoch, sie ist fast einen Kopf größer als ich. Ihre warme Hand berührt meine Wange. »Wie geht es dir?«
»Gut«, antworte ich knapp. Sie schüttelt den Kopf, ehe sie sich zu mir herunterbeugt und ihre weichen, rosigen Lippen auf meine drückt. Ich schließe die Augen und genieße die zarte Berührung. Den Bediensteten ist es untersagt, freundlich zu mir zu sein, was ihre nächtlichen Besuche sehr gefährlich macht. Ich weiß nicht, wieso sie das Risiko immer wieder auf sich nimmt, doch ich genieße die kurzen Momente. Sie ist die Einzige, die mir so etwas wie Wärme entgegenbringt und ich klammere mich an die wenigen liebevollen Momente in meinem Leben.
Sie zieht mich näher zu sich und ihre Körperwärme vertreibt etwas von der Kälte in mir. Langsam fährt ihre Zunge über meine Unterlippe, als sie sich wieder zurückzieht. Sie lächelt leicht als ich die Augen wieder öffne und zieht mich zu meinem Schlafplatz. Wir setzen uns nebeneinander und legen das Laken über uns. Ich lehne meinen Kopf an ihre Schulter während ihre Finger Kreise über mein Bein ziehen.
»Die Schatulle wurde bereits abgeholt«, sagt Elise schließlich nach einer Weile Schweigen.
»Die, die wir gestohlen haben?«, erstaunt hebe ich meinen Kopf, um sie anzusehen.
»Es war das Wappen eines Drachen …«
»Wir haben vom zweitstärksten gestohlen.« Ich seufze schwer.
»Was?!«, flüstert sie erschrocken.
Ich nicke. »Wir kriegen ernste Probleme, wenn wir uns in die Machenschaften von Drachen einmischen …« Ich stocke. Eigentlich habe nur ich ein Problem. Ich verziehe das Gesicht.
»Hast du noch mehr herausfinden können?«, fragt sie leise.
»Ich werde morgen fortgeschickt zur Befragung«, murmele ich bedrückt.
»Woher weißt du das?«
Ich zucke jedoch nur mit den Schultern. Sie schaut mich noch einen Moment an, ehe sie ihren Arm um mich legt. »Mach dir keine Sorgen, Süße.« Ihre Worte bringen mir keinen Trost, dennoch nicke ich. Langsam beugt sie sich über mich und küsst meinen Hals. Ich schließe die Augen und lasse mich von ihr nach unten drücken. Als ihre Hand über meine Arme gleitet, zucke ich zusammen.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt sie.
Ich lächele verkrampft. »Einige der Wunden waren ziemlich tief. Es ist noch nicht alles verheilt«, sage ich leise. »Lass mich mal sehen«, bittet sie und zieht mir das Kleid über den Kopf aus.
Entsetzt wandert ihr Blick über meinen Körper. »Amelie, du kannst doch nicht so schwer verletzt arbeiten«, tadelt sie mich.
Ich schnaube leise.
»Vielleicht solltest du mit deiner Mutter sprechen. Sie hat sicher Verständnis«, schlägt sie hoffnungsvoll vor.
Ich schaue sie ungläubig an. Sie scheint es wirklich ernst zu meinen. »Ich glaube nicht. Ich bin müde.« Schuld breitet sich in mir aus, dass ich mich ihr gegenüber so abweisend verhalte. Aber nichts von dem, was sie sagt, vermag die kalte Angst, die sich in mir breit macht, zu vertreiben. Gleichzeitig wandern meine Gedanken immer wieder zu einem ganz bestimmten Paar Füße und leichte Nervosität macht sich in mir breit. Ich merke, dass ich nicht nur Angst vor einer potentiellen Begegnung mit dem schwarzen Drachen empfinde und das beunruhigt mich mehr, als das Treffen selbst.
Sie legt sich neben mich und ich lasse mich verwirrt in ihre Arme ziehen. Mit ihrem warmen Körper an mich gedrückt und meiner Erschöpfung schlafe ich schnell ein.
Das Licht der Sonne weckt mich. Unwillig öffne ich die Augen und richte mich auf. Elise ist gegangen, nachdem ich eingeschlafen bin, wie immer. Ich greife nach meinem Kleid und ziehe es wieder an. Ich fühle mich heute Morgen bereits besser. Zumindest kann ich mich wieder ohne Beschwerden bewegen.
Langsam steige ich die Stufen herab und gehe in Richtung des Lagerraums, als ich von einem der oberen Dienstmädchen abgefangen werde, ihr Name ist Nadja. Ich kenne sie, weil sie beinahe alles für meine Mutter regelt und deshalb oft in ihrer Nähe ist. Ihr dunkles Kleid streicht um ihre Beine, als sie sich mir in den Weg stellt. Ihre braunen kurzen Haare umrahmen ihr feines Gesicht. Mit einem abschätzenden Blick in den braunen Augen betrachtet sie mich von oben bis unten. Ich warte, bis sie das Wort ergreift.
»Die Herrin erwartet dich in ihren Gemächern«, sagt sie schließlich. Ich nicke als Zeichen, dass ich verstanden habe. »Komm mit.«
Sie geht voraus und ich folge ihr die kargen Treppen hinauf zu den Fluren, die mit Teppichen ausgelegt sind. Nach mehreren Minuten kommen wir an der großen Flügeltür an, hinter der das Schlafzimmer meiner Mutter liegt. Nadja klopft an und öffnet die Tür für mich. Als ich an ihr vorbeigehe, stolpere ich. Unsanft lande ich in der Tür auf dem Boden. Ein Kichern neben mir lässt mich aufschauen. Das Gesicht zu einem fiesen Grinsen verzogen, zieht sie ihr Bein zurück und wendet sie sich ab.
Schritte aus dem Raum lassen mich den Blick nach vorne richten. Im Kerzenschein kommt meine Mutter auf mich zu, in ihrem beinahe durchsichtigen, grünen Nachthemd.
Die Sonne scheint draußen, doch sie hat die Vorhänge zugezogen und Kerzen angezündet. Es lässt den dunkel eingerichteten Raum noch finsterer erscheinen. Alles ist schwarz oder dunkelgrün, von den Laken auf ihrem riesigen Bett bis zu den Tischdecken, auf denen sich Essen türmt. Ich unterdrücke ein Schnauben. Ihre dunklen langen Haare umschmeicheln ihren Körper und schwingen leicht mit jedem Schritt. Sie sieht umwerfend aus und ist sich dessen bewusst. Vor mir bleibt sie stehen und schaut wütend auf mich herab. Ich will mich aufrappeln, als mich etwas Hartes im Gesicht trifft und zur Seite wirft. Ich sehe noch, wie sie ihren Fuß wieder auf dem Boden absetzt, als sie schon wieder auf mich zukommt und meinen Oberarm packt. »Ich habe keine Zeit für deine Albernheiten«, murmelt sie und zieht mich weiter in ihr Zimmer hinein. Ich versuche hinter ihr her zu rutschen, doch sie ignoriert meine schwachen Versuche unbarmherzig. Die Tür wird hinter uns geschlossen und ich falle erneut auf den Boden, als sie mich endlich loslässt. Erleichtert atme ich tief durch und versuche, den drückenden Schmerz in meinem Arm zu ignorieren. Mein ganzer Körper kribbelt unangenehm. Ungelenk rappele mich auf und sehe noch, wie sie sich grazil vor den Spiegel setzt und nach der Bürste greift.
»Ich hatte gestern Besuch«, beginnt sie, während sie sich eingehend betrachtet.
»Tatsächlich?«, frage ich.
Langsam bürstet sie sich die Haare. Ich spüre ihren Blick im Spiegel auf mir und versuche, überrascht zu wirken.
»Baron Morand war hier. Scheinbar wurdest du erkannt.«
Ich nicke nur.
»Das wäre nicht passiert, wenn du die Wachen einfach getötet hättest. Ich bin deine Fehler Leid. Ich habe zugesagt, dass er sich um deine ungebührlichen Ausschweifungen kümmern darf.«
»Hast du ihm auch gesagt, dass du mich dazu zwingst?«, rutscht es mir heraus.
Sie lacht leise und schaut mich im Spiegel vielsagend an. »Du wirst gehorchen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.«
Sie legt die Bürste weg und steht auf, um sich mir zuzudrehen. »Der Baron hat etwas in seinem Besitz, das ich brauche.«
Fassungslos schaue ich sie an. Nicht nur, dass ich – mal wieder – für ihre Sünden bestraft werde, nun soll ich – schon wieder – jemanden bestehlen. Schlimmer noch, der Drache, bei dem wir den letzten Einbruch begangen haben, wird anwesend sein und ich stehe bereits unter Verdacht. Ich bezweifle ernsthaft, dass ich überhaupt handlungsfähig sein werde.
»Ich hoffe für dich, dass du dich dieses Mal etwas mehr anstrengst.«
»Wirst du mir meine Kräfte geben?«, frage ich. Ich kann die Hoffnung in mir nicht unterdrücken, das wäre meine einzige Chance um das zu überleben. Vielleicht kann ich sogar fliehen? Doch ihr lautes Lachen zerquetscht meinen Hoffnungsschimmer sofort.
»Natürlich nicht. Das ist deine Gelegenheit, mir deinen Nutzen zu beweisen. In seinen Gemächern befindet sich ein Schmuckkästchen. Darin sind rote … Edelsteine. Ich werde merken, wenn du sie in deinem Besitz hast und dich dann hierher beschwören.«
Ich nicke geschlagen. »Was, wenn ich es nicht schaffe?«
Sie dreht sich auf ihrem Stuhl herum und mustert mich von oben bis unten. »Das würdest du bereuen.«
»Bin ich dir wirklich so egal?«, frage ich, ehe ich die Worte zurückhalten kann.
Sie lacht auf und schüttelt den Kopf. »Natürlich. Was denkst du, wer du bist?«
Schockiert erhebe ich die Stimme. »Deine Tochter?!«
Sie hält kurz inne. »Achja. Da war ja was. Du solltest mir dankbar sein, ohne mich wärst du schließlich gar nicht am Leben. Zur Abwechslung könntest du dich mir mal erkenntlich zeigen.« Sie nickt kurz und dreht sich wieder zu ihrem Spiegel. Lächelnd streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Erledige deine Arbeiten, heute Abend wirst du abgeholt.«
Verbittert wende ich mich ab und gehe zur Tür. Die Hand auf dem Griff schaue ich noch ein letztes Mal zurück und betrachte sie, während sie mit ihren beinahe weißen Händen durch ihr langes Haar fährt. Ich präge mir das Bild gut ein. Der brennende Hass, der sich in mir ausbreitet, wird mir vielleicht helfen. Ich drücke den Griff herunter und verlasse ihr Schlafzimmer.
Ich folge den dunklen Gängen zurück in die Waschküche, um meine Arbeit wieder aufzunehmen. Ich muss die getrockneten Sachen zusammenlegen und sortieren und auch noch die restlichen Kleider waschen.
Ich komme gerade in mein Zimmer zurück und lehne mich kurz an die kalte Steinwand, um etwas zu verschnaufen, als bereits ein lautes Klopfen an der Zimmertür ertönt. Seufzend richte ich mich auf und blicke auf meine Schuhe. Ich hätte mich gerne auf die Reise vorbereitet, doch wie hätte ich das tun sollen? Mein Umhang, der für Aufträge ist, ist zwar wärmer als mein graues Kleid, aber vermutlich würde man mich auf der Stelle umbringen, sollte ich in diesem aus meinem Zimmer treten. Ich hatte kaum Gelegenheit, mich von Elise zu verabschieden. Wir haben uns lediglich in der Küche einen kurzen Blick zugeworfen. Zumindest konnte ich mich in der Waschküche noch etwas sauber machen.
Eine Wache kommt in mein Zimmer und mustert mich. Hinter ihm steht ein Dienstmädchen, das ihm vermutlich den Weg gezeigt hat. »Komm mit«, sagt er schließlich mit kratziger Stimme. Entmutigt folge ihm die Treppen runter in den Hof. Es ist später Nachmittag und dämmert bereits. Kleine Wolken bilden sich beim Ausatmen vor unseren Gesichtern. Ich bin froh, dass ich Schuhe anhabe und folge ihm über den Platz zu einer Kutsche. Zwei Pferde sind davor gespannt. Hinter dem Kutscher ist ein Käfig befestigt, für einen Gefangenentransport. Die Wache öffnet die Tür und deutet hinein.
Schicksalsergeben nutze ich die kleine Stufe und hebe mich auf den Holzboden. Mit einer Umdrehung des Schlüssels verschließt er die Tür hinter mir. Das leise Klacken des Schlosses hat etwas Endgültiges.
Ich setze mich an die Gitterstäbe und wickele meine Arme um die Beine, um so viel Körperwärme wie möglich zu halten. Die Wache steigt zum Kutschführer und nickt. Auf dessen Kommando setzen sich die Pferde in Bewegung und ich betrachte die verschwindenden Umrisse des Anwesens.
Während der Reise betrachte ich die Umgebung. Wir fahren auf einem Weg im Wald und langsam wird es immer dunkler. Die Nacht, die über uns hereinbricht, ist klar und deshalb ist es auch so kalt. Die Bäume ragen dunkel über uns auf. Anfangs habe ich sie noch gezählt, doch nun schaue ich nur stumpf zu, wie sie vorbeiziehen. Als wir schließlich aus dem Wald rauskommen, rauscht ein kalter Wind durch die Gitterstäbe und umspielt den Saum meines Kleides. Ich presse die Lippen aufeinander, um ein Zittern zu unterdrücken. Wie weit der Weg wohl sein wird? Da ich selten draußen war, kenne ich die Umgebung schlecht. Doch allzu weit kann es nicht sein, wenn der Baron gestern Abend bei uns zu Besuch war. Höchstens ein halber Tagesritt. Ich umschlinge meine Beine noch fester bei dem Gedanken, möglicherweise die ganze Nacht unterwegs zu sein. Es ist still und das einzige Geräusch ist das Hufgetrappel der Pferde. Die Wache und der Kutscher unterhalten sich nicht. Die Schritte der Pferde haben eine einschläfernde Wirkung auf mich, doch ich versuche, wach zu bleiben und mich nicht der Kälte hinzugeben. Was mich wohl erwartet? Einige unserer Dienstmädchen waren dort zur Ausbildung, aber sie erzählen meist nichts darüber, zumindest mir nicht. Ich habe keine Informationen, aber vielleicht ist das auch besser so. Ich hauche in meine stechenden Hände, damit sie nicht taub werden und blicke erschöpft in die Dunkelheit.
Das Hufgetrappel klingt plötzlich anders und der Wagen ruckelt leicht. Die Gitterstäbe drücken mir unangenehm in den Rücken und vertreiben die zähe Müdigkeit. Wie lange wir wohl schon unterwegs sind? Ich hebe meinen Kopf und kann tatsächlich in der Ferne Lichter ausmachen. Ist das unser Ziel? Falls ja, sind wir bald da. Mein Magen zieht sich zusammen, doch ich ignoriere ihn und schaue in Fahrtrichtung. Im Dunkeln erkenne ich weitere Lichter. Je näher wir kommen, desto besser kann ich die Umrisse eines riesigen Gebäudes ausmachen. Es ist ein gigantisches Anwesen, in der dreifachen Größe meines Zuhauses. Ich erinnere mich an das Schloss des Drachens, in das wir eingedrungen sind. Es war etwas kleiner als das Anwesen vor uns. Aber wenn hier eine Ausbildungsstätte ist, muss es mehr Leute beherbergen als nur einen Drachen und seine Leibgarde. Staunend schaue ich zu, wie das Tor geöffnet wird, um uns einzulassen. Es ist höher als ein Haus und genau so breit. Nachdem wir hindurch sind, schlägt es donnernd hinter uns zu. Es klingt wie ein unausweichlicher Schicksalsschlag und sofort habe ich einen sauren Geschmack im Mund. Ich schüttele den Kopf. Das ist nicht das Ende, sage ich mir. Falls doch, ist es vielleicht auch besser so.
Ich wende mich entschieden vom Tor ab und betrachte den riesigen Platz. Er ist umrandet von einer Mauer so hoch wie die höchsten Bäume. Wachen stehen oben und schauen aufmerksam in die Gegend. Der Hofplatz ist so sauber, als wäre es verboten, dass hier auch nur ein Sandkorn liegt. In mehreren Metern Entfernung beginnt der Eingangsbereich des großen Hauptgebäudes. Steinerne Treppen weisen den Weg zu einer großen Tür, vor der jemand wartet. Im Licht der Fackeln sehe ich, dass es nicht der Baron ist. Dafür ist der Mann zu schmal. Rechts neben den Eingangstreppen steht ein weiteres großes Gebäude. Es sieht ziemlich neu aus, ist jedoch schlicht und nichtssagend. Auf der anderen Seite des Einganges geht es zu den Stallungen. Das hölzerne Konstrukt wirkt groß genug, über zwanzig Pferde zu halten. Man sieht sie kaum, doch im Dunkeln eilen geschäftige Menschen umher, die alle eine Aufgabe zu haben scheinen. Sie bewegen sich in den Schatten und ich bemerke sie nur, weil ich es selbst immer genauso tue. Es gibt nur ein paar Büsche in großen steinernen Pflanzringen und keine weitere Dekoration. Es wirkt insgesamt kalt und leblos, als würde dieser Ort sämtliches Leben aufsaugen und vernichten. Ich runzele die Stirn. Vermutlich geht nur meine Fantasie mit mir durch.
Die Kutsche hält an und ehe ich weitere Eindrücke sammeln kann, wird meine Käfigtür aufgeschlossen und ich werde unsanft herausgezerrt. Ich unterdrücke einen Laut der Überraschung. Geräusche kosten nur Energie und solange ich nicht weiß, was mir bevorsteht, sollte ich sie nicht verschwenden. Außerdem erregen sie nur unangenehme Aufmerksamkeit und die versuche ich um jeden Preis zu vermeiden. Mir werden Ketten um die Handgelenke gelegt. Noch während ich verblüfft auf meine Hände hinunterschaue, werde ich an ihnen weitergezogen. Ich strauchele, schaffe es jedoch, mich zu fangen und schnell hinterher zu eilen. Mit einem weiteren Ruck stolpere ich ihnen hinterher, die Treppen hoch zu der wartenden Gestalt. Er trägt feine, dunkelrote Kleidung und einen gefütterten Ledermantel. Er mustert mich mit seinen dunklen Augen und durch die Schatten wirkt es, als wären sie nur zwei schwarze Höhlen. Seine braunen Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. Als ich vor ihn gezerrt und zum Stehen gebracht werde, schaue ich dem schlanken, hohen Mann hinauf ins Gesicht.
Die Wachen neben mir strecken ihre Brust raus. »Hauptmann Korol«, begrüßen sie ihn gleichzeitig. Er ignoriert sie und begegnet meinem Blick wütend. Urplötzlich spüre ich einen brennenden Schmerz auf meiner Wange, als mein Kopf durch seine Rückhand zur Seite geschleudert wird. Dank der Wachen falle ich zumindest nicht zu Boden, doch ich merke, wie sich Blut in meinem Mund sammelt. »Schaut der Schmutz zu denen hoch, die auf ihm gehen?«, fragt er mit dunkler Stimme, die mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagt. Ich antworte nicht, da ich sonst das Blut ausspucken müsste. Ich bezweifle, dass er das begrüßen würde. Im Übrigen wüsste ich auch keine Antwort darauf. Seine behandschuhte Hand greift mich unsanft am Kinn und hebt meinen Kopf. Ich begegne seinem kalten Blick aus glühend roten Augen. Ein leichter Geruch nach Schwefel umgibt ihn. Vermutlich ein Hexenmeister. Großartig. Ganz großartig. »Tut er nicht. Also senke gefälligst auch deinen Blick.«
Er lässt mich los und ich blinzele. Hat er mich gerade Schmutz genannt? Ich glaube schon. Ich sollte nicht überrascht sein. Wieso sollten sie mich hier anders behandeln als Zuhause? Ich hoffe nur, dass ich nicht zu viel Zeit in seiner Gegenwart verbringen muss. Er scheint keine Skrupel zu haben mir wehzutun und von den Wachen widerspricht ihm auch niemand.
»Hauptmann, wo sollen wir sie unterbringen?«
»Im Verlies. Ich werde unsere verehrten Gäste über ihre Ankunft informieren.« Mit diesen Worten dreht er sich um und geht ins Schloss hinein. Die Wachen machen auf dem Absatz kehrt und setzen sich in Bewegung. Eilig versuche ich, Schritt zu halten. Wir gehen die Treppen hinunter und biegen links ab. Eine kleine, dreckige aber stabile Tür, die ich zuvor nicht gesehen habe, weil sie im Schatten liegt, scheint unser Ziel zu sein.
Einer der Wachen schließt sie auf und der andere schiebt mich hindurch. Fauliger Geruch schlägt mir entgegen und es ist stockfinster. Unsicher bleibe ich stehen, werde jedoch weiter vorangetrieben. Ich schaffe es irgendwie, das Gleichgewicht zu halten und gehe vorwärts. Je tiefer wir kommen, desto modriger wird die Luft. Wenn ich hier falle und mich verletze, werde ich mich vermutlich mit irgendeiner Krankheit infizieren. Ich schlucke, mein Turm hat mir eindeutig besser gefallen. Am Ende des Ganges brennt eine Fackel. Ich atme erleichtert auf, als ich den Lichtschimmer bemerke. Als wir uns nähern, sehe ich acht nebeneinanderliegende Zellentüren. Am Ende sitzt ein riesiger Kerl an einem Holztisch. Vor ihm liegt eine große Zweihandaxt, die er scheinbar gerade geschärft hat. Nun liegt seine Aufmerksamkeit jedoch auf dem Inhalt der dampfenden Schale vor ihm, den er mit einem scheinbar selbstgeschnitzten Holzlöffel in sich reinschaufelt. Große Felllappen auf seinem Oberkörper scheinen als eine Art Weste zu fungieren, ansonsten ist dieser bis auf den ledernen Armschutz unbedeckt. Vermutlich, weil nichts anderes auf seinen gigantischen Körper passt. Ist er ein Halbriese? Eine braune Hose geht ihm bis zu den Knien. Er hat Lederschuhe an, wie ich, mit dem Unterschied, dass seine Füße so lang sind wie meine Arme. Er bemerkt uns schließlich und schaut mich neugierig an.
»Neues Spielzeug?«, fragt er. Seine Stimme klingt grollend und abgehakt.
Ich höre das klirrende Kettenhemd der Wache neben mir, als er den Kopf schüttelt. »Nur Verwahrung bis feststeht, wie weiter mit ihr verfahren werden soll.«
Der Riese nickt langsam, als er mich weiter mustert. Ich fühle mich unter seinem braunen Blick wie ein Insekt. Er stampft auf uns zu und packt mich an der Taille. Mit geringem Aufwand schmeißt er mich über seine Schulter wie einen Sack Kartoffeln und trägt mich zu einer der Zellen. Mir bleibt vom Schwung die Luft weg. Er reißt die Zellentür auf, pflückt mich von seiner Körper und stellt mich in die Zelle. Mit einem letzten Blick unter seinen buschigen Brauen auf mich verschließt er die Zellentür mit einem großen Schlüssel. Ich höre die verklingenden Schritte der Wachen im Gang, als er plötzlich zu brummen anfängt. »Nie in Ruhe essen. Immer dies, dann das«, schimpft er leise vor sich hin. Leise hole ich Luft und schaue mich in der Zelle um. In der Ecke ist eine kleine Liege, auf der ich zusammengerollt liegen könnte. Sonst gibt es nichts, nur Staub und Spinnweben. Es ist zumindest etwas wärmer als draußen auf der Kutsche, doch die Luft ist schlecht. Falls es hier überhaupt ein Fenster gibt, bringt es nichts. Ich setze mich auf die Liege und lehne den Kopf an die Wand. Ehe ich mich versehe, nicke ich ein.