Im Schatten des Schneekindes - Ulrike Paula - E-Book

Im Schatten des Schneekindes E-Book

Ulrike Paula

0,0

Beschreibung

Eine fesselnde Reise dreier Frauen und deren Schicksale. Über vier Jahrzehnte, von den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bis in die 80er Jahre. Sie sind verzweifelt, doch von einer unstillbaren Entschlossenheit getrieben. Sie sind abhängig, aber bereit, alles zu riskieren - sogar ihr eigenes Selbst. Trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege haben sie eines gemeinsam.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 154

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Ariane 1980

Hildegard 1945

Helga 1945 – 1966

Ariane 1983

1. Teil

Ariane

1980

1.

Im Café waberte Rauch und überlagerte den Kaffeeduft.

Die Tische waren bis auf einen besetzt. Ariane bat ihre Freundin, dort Platz zu nehmen.

Maria schüttelte den Kopf.

„Zu voll hier. Lass uns woanders hingehen.“

„Bei dem Schneegestöber draußen? Alle flüchten ins Warme. Außerdem haben wir genug Zeit in Kaufhäusern und Buchhandlungen verbracht.“

Maria gab nach. Sie zogen ihre Jacken aus und hängten sie über die Stuhllehnen und bestellten Kaffee. Überwiegend waren hier nur Paare. Einige Kinder sprangen herum, also auch Familien.

Die Eingangstür öffnete sich und frische Schneeluft wehte bis zu ihnen. Ein Mann betrat das Café und blickte sich suchend um, kam zu ihnen und fragte, ob er sich dazu setzen dürfe. Die beiden Freundinnen sahen sich an. Schließlich nickten sie übereinstimmend. Der Mann ging zur Garderobe, klopfte den Schnee vom Mantel ab und nahm danach Platz. Er war groß, ungefähr Mitte 20, hatte schwarze Haare und blaue Augen.

„Das ist selten“, dachte Ariane und beobachtete ihn verstohlen. Seine Hände waren gepflegt und sein Hemd sah teuer aus. Als sie einen Blick auf Maria warf, sah sie ein amüsiertes Zucken ihrer Mundwinkel. Sie hatte einen Freund und interessierte sich nicht für andere Männer.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Wagner. Johannes Wagner. Wenn Sie wollen, spendiere ich Ihnen ein Glas Sekt.“

„Um diese Tageszeit?“ Ariane sah ihn an. Er erwiderte ihren Blick und lächelte.

„Natürlich nur, wenn Sie wollen. Dies war der einzige freie Platz in der Stadt. Ich bin schon eine ganze Weile unterwegs.“

Sie stimmten schließlich zu. Als die Bedienung die Sektkelche auf dem Tisch platzierte, stießen sie an und die Mädchen stellten sich selbst auch vor. Nach einer längeren Gesprächspause kamen sie ins Plaudern. Johannes erzählte, schon länger hier in der Stadt zu sein, aber ungefähr zwei Autostunden entfernt zu wohnen.

Maria fragte: „Warum sind Sie hier?“

„Ich bin Immobilienmakler und sehe mir hier einige Wohnungen an. Und Sie, was machen Sie?“

Maria plapperte drauf los. Dass sie ihr Abitur gemacht haben und sie selbst bereits ein Lehramtsstudium begonnen hatte.

Johannes blickte zu Ariane. „Und Sie?“

Sie stotterte: „Ich weiß noch nicht, in welche Richtung ich gehen möchte.“

Er blickte sie aufmerksam an und Ariane spürte die Hitze in ihren Wangen. Sie entschuldigte sich, um auf die Toilette zu gehen. Sie wusch ihr Gesicht und blickte in den Spiegel. Ihre Haare waren nass geworden und noch dunkler als sonst. Sie trocknete sie ab. Dieser Mann war ihr zu aufdringlich. Er hatte aber etwas an sich, was sie anzog. Sie blieb länger als nötig. Als sie zurückkam, war er verschwunden.

„Zum Glück ist der weg. Er war mir nicht ganz geheuer.

Was kümmert mich sein Beruf? Und wieso interessiert er sich dafür, was wir machen?“

„Er war sehr angetan von dir Ariane, soviel ist sicher. Ich fand ihn sehr charmant. Er hat übrigens die gesamte Rechnung bezahlt.“

„Bist du verrückt?“

„Nein, er sagte, wir würden ja noch nichts verdienen. Er scheint ja selbst ganz schön Kohle zu machen, so wie er angezogen war.“

Mit diesen Worten verließen sie das Café.

2.

In der Straßenbahn bekam Ariane keinen Sitzplatz. Der Schnee, der draußen mittlerweile sanft herunter rieselte, war hier zum schmutzigen Matsch geworden. Die Bahn rumpelte oder bremste mit lautem Klingeln. Ein älterer Herr, der auch keinen Platz ergattern konnte, stürzte fast beim nächsten Bremsen und stützte sich auf ihrer Schulter ab. Er entschuldigte sich.

„Nichts passiert“, sagte Ariane.

Bei der nächsten Station stieg sie aus. Sie lief zu dem weiß gestrichenen Einfamilienhaus mit kleinem Garten und klingelte.

„Trete ja die Füße ab“, ermahnte sie ihre Mutter. „Und klopfe vorher deine Jacke ab. Du trägst alles ins Haus.“

Sie tat wie geheißen und ging ins Wohnzimmer. Ihr Vater war am Fenster. Wie so oft stand er da, ohne sich zu bewegen und starrte nach draußen. Das machte Ariane manchmal Angst. Er blickte zu ihr und fragte: „Na, wie war es?“

„Gut. Wir waren in verschiedenen Läden einkaufen und in Buchhandlungen.“

„Was hast du denn gefunden?“

Da Ariane wusste, dass er sich nicht für Klamotten interessierte, holte sie die zwei Bücher, die sie gekauft hatte, aus der Tasche.

„Gruppenbild mit Dame von Böll.“

„Kennst du das noch nicht?“

„Nein, aber das andere hatten wir schon als Schullektüre.

Draußen vor der Tür von Wolfgang Borchert. Es ist für dich, Papa.“

„Das handelt doch vom Krieg! Den hab ich selber mitgemacht. Brauch ich nicht zu lesen.“

„Ach Papa“. Ariane seufzte und ging in die Küche.

„Warst du beim Friseur, Mama?“ Ihre Mutter strich verlegen über ihre Dauerwellen. „Schön, dass es dir auffällt.“

„Und du, hast du dir was Schönes gekauft?“

Ariane packte den gelben Pullover und die Jeans aus.

„Der Pullover passt gut zu deinen dunklen Haaren. Aber die Hose, ist die nicht zu kurz für deine Größe und unten zu eng?“

„Das ist eine Karottenhose. Die trägt man jetzt so.“

„Hmm. Wenn du meinst.“

Ihre Mutter hatte ihre übliche geblümte Küchenschürze angezogen und deckte den Tisch. Als sie damit fertig war, rief sie ihren Mann zum Essen. Es gab Heringssalat mit Kartoffeln, was Ariane schon immer gehasst hatte. Sie aß es widerwillig. Den Satz: „Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, wird gegessen, was auf den Tisch kommt“, wollte sie vermeiden.

„Wie gefällt Maria das Studium?“, fragte ihr Vater.

„Ich glaube ganz gut.“

„Und hast du dir was überlegt?“

„Du willst ja nicht, dass ich Germanistik studiere“, sagte sie.

„Wo willst du später da unterkommen? In einer Buchhandlung, wo keiner Interesse an einer Beratung hat?“

Ihre Mutter schaltete sich ein.

„Sie braucht doch nicht zu studieren. Werde doch Erzieherin oder Krankenschwester. Vielleicht sogar Kinderkrankenschwester. Du magst doch Babys gerne.“

„Wenn sie schon das Abitur hat, soll sie auch studieren. Ich wäre so gerne auf die höhere Schule gegangen, aber wir hatten kein Geld dazu.“

„Ich kann es nicht mehr hören, Papa! Lebe doch endlich in der Gegenwart“, sagte Ariane. „An was denkst du eigentlich immer, wenn du aus dem Fenster siehst?“

Dann legte sie sich in ihrem Zimmer aufs Bett und durchblätterte - wie so oft - die Broschüre Studienberatung. Sie dachte über den Vorschlag ihrer Mutter nach. Sie hatte genug von der Büffelei. Mathe hatte sie nur mit Ach und Krach und vielen Nachhilfestunden geschafft. Irgendwie hatte sie sogar Angst vor Zahlen. Manchmal war sie nicht mal in der Lage, beim Einkaufen das richtige Kleingeld zu geben.

Deutsch und Biologie waren ihre Lieblingsfächer gewesen. Deutsch deswegen, weil sie Bücher liebte und sie die Sprache faszinierte. An Biologie hatte ihr gefallen, zu lernen, wie alles Leben seinen Anfang genommen hatte. Schon als Kind hatte sie Mappen angelegt mit selbstgefertigten Zeichnungen vom menschlichen Körper, von Säugetieren und Fischen. Hatte Pflanzen eingeklebt und im Wald Blätter gesammelt.

Beim ersten Vorschlag Germanistik studieren zu wollen, war Vater regelrecht explodiert und hatte geschrien, so etwas unterstütze er nicht. Schließlich legte sie die Broschüre weg und holte den Böll heraus.

3.

Einige Tage später rief Maria an. Sie wolle nochmal in die Stadt, um sich einen Wintermantel zu kaufen

„Schon wieder einkaufen?“ Sie hatte keine Lust.

„Es wird nicht lange dauern, versprochen.“

Schließlich stimmte Ariane zu. Sie hatte momentan eh nichts zu tun.

Sie trafen sich am Brunnen, der ein Eheleben darstellen sollte.

„Ich werde niemals heiraten“, verkündete Maria und zeigte auf den Ausschnitt mit der dicken Frau, die eine Torte verschlang, und dann auf die skelettartigen Alten, wo die Frau dabei war, ihren Mann zu erwürgen.

Ariane lachte. „So wirst du aber auch keine Kinder bekommen.“

„Erstens braucht man dazu nicht heiraten und außerdem kosten Kinder 'ne Menge Geld und nerven nur 'rum.“

„Und dann willst du Lehrerin werden?“

„Eben deswegen. Ich halte ein paar Unterrichtsstunden und bin sie danach wieder los.“

Schließlich durchforsteten sie einige Läden, um einen passenden Mantel zu finden. Maria hatte immer irgendetwas auszusetzen und kaufte schließlich einen, der billig und nicht gerade wintertauglich schien. Ariane fand ihn auch zu lang.

„Bist du sicher?“, fragte Ariane zweifelnd.

„Ja, der passt schon.“ Maria seufzte und sagte: „Jetzt würde ich mich gern entspannen. Was hältst du von dem Café, in dem wir neulich waren?“

„Wie du meinst“, gab Ariane nach und sie gingen dorthin.

Als sie sich nach einem Platz umsahen, winkte ihnen Johannes Wagner zu. Ariane konnte es nicht fassen. Das konnte unmöglich ein Zufall sein.

„Lass uns hier verschwinden. Ich will ihn nicht sehen. Und überhaupt, warum hast du uns gerade hierher gelotst?“

„Komm, wir setzen uns zu ihm. Ist doch nicht schlimm.

Vielleicht hat er hier wieder beruflich zu tun.“

Ariane gab widerstrebend nach und sie steuerten seinen Tisch an.

„Schön, Sie wiederzusehen!“ Er gab ihnen die Hand. Sie bestellten Kaffee und Wasser.

„Keinen Sekt diesmal?“, fragte er und schmunzelte.

„Nein. Und auch keine Einladung“, entgegnete Ariane pikiert.

„Ist ja gut.“ Er lachte.

Ihre Freundin erzählte von ihrer Suche nach einem Mantel. Ariane blieb einsilbig. Inzwischen war sie überzeugt, dass diese Begegnung kein Zufall war. Zornig sah sie Maria an.

Johannes bekam es wohl mit und bemerkte: „Warum so ungemütlich, Ariane? Sie haben ein so schönes Gesicht, dem ein Lächeln viel besser steht.“

Er rückte näher zu ihr und sah sie aufmerksam an. Sie schloss kurz ihre Augen. Als sie diese wieder öffnete, blickten beide sie erwartungsvoll an.

„Also gut“, gab Maria zu „ich bekenne mich schuldig. Als du neulich auf der Toilette warst, hat mich Johannes.“ Er unterbrach sie und sagte: „Hannes bitte!“ „also Hannes, um ein weiteres Treffen gebeten. Ist das denn so schlimm?“

Ihre Freundin blickte sie mit treuherzigen Augen an.

„Wenn du so schaust, kann ich dir einfach nichts übelnehmen“, gab Ariane seufzend nach.

Nun war die Stimmung entspannt und sie unterhielten sich lebhaft. Nachdem sie bei der Bedienung bezahlt hatten, berührte Hannes ganz leicht mit seinem kleinen Finger den ihrigen. Das gefiel ihr, weil es zart und nicht aufdringlich war.

„Was haltet ihr von dem Vorschlag, uns wiederzusehen? In zwei Wochen bin ich wieder in der Stadt.“

„Ja, wir können in die Blaue Bar in der Altstadt gehen“, schlug Maria vor.

Ariane zögerte. „Ich weiß nicht.“

„Ach komm schon, Ariane. Sei nicht so unentschlossen!“

Weil sie zu dritt dort sein würden, stimmte sie schließlich zu.

Als sie sich beim Abschied die Hand gaben und Hannes kurz an ihren Rücken fasste, prickelte die Stelle, die er berührt hatte.

4.

Zuhause angekommen, rief sie ihr Vater ins Wohnzimmer. Aufs Schlimmste gefasst, ging sie zu ihm.

„Schau mal, ich meine es nicht böse. Auf der Abiturfeier bin ich sehr stolz auf dich gewesen. Pfeif' auf die Mathenote. Du hast dich durchgekämpft und ich hoffe nur, dass es nicht umsonst gewesen war.“

„Ich verstehe dich, Papa. Aber alles was mich interessiert, verteufelst du. Dabei hast du mir selbst viele Bücher gegeben und mich zum Lesen gebracht. Dadurch auch die Liebe zur Sprache.“

„Ich möchte doch nur, dass du nach dem Studium eine Arbeit findest.

Sie schwieg und ihr Vater redete weiter.

„Sicher denke ich oft an den Krieg. Ich habe viel erlebt, wovon du nichts weißt.“

Ariane sagte gepresst: „Ich will davon nichts hören. Die Bilder und Filme, die ich gesehen habe, sind schrecklich genug.“

Ihr Vater wollte zur Tür gehen. Plötzlich drehte er sich um und nahm sie in die Arme. „Ist gut, mein Schatz. Ich werde immer zu dir halten, egal wie du dich entscheidest.“

Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter, sog seinen Geruch ein, den sie schon als Kind geliebt hatte, und seufzte.

„Oh, Papa.“

Dann trennten sie sich und ihre Mutter, die im Flur wohl alles mitangehört hatte, flüsterte:

„Er liebt dich, auch wenn er manchmal so herrschsüchtig ist.“

Sie nickte und lief die Treppe hoch in ihr Zimmer. Dort blickte sie auf das Regal mit den vielen Klassikern: Von Victor Hugo Die Elenden, Gustav Freitags Soll und Haben, Thomas Manns Buddenbrooks und etliche andere, die Vater ihr geschenkt hatte. Modernere Werke, von Berthold Brecht und Ernest Hemingway, hatte sie sich selbst gekauft. Sie legte sich aufs Bett und blickte auf den Spruch über ihren Kopf, den sie auf die Holzlatte der Dachschräge mit Kugelschreiber geschrieben hatte: Ich liebe Bücher, ich liebe Jesus und ich liebe meinen Vater. Wen aber liebe ich am meisten?

Das mit Jesus lag am damaligen Konfirmationsunterricht, in dem sie ihre religiöse Phase gehabt hatte.

5.

Als Ariane zwei Wochen später Maria anrief, um mit ihr zur Verabredung zu kommen, sagte die ab.

„Ich bin erkältet und brauche ein heißes Bad. Tut mir leid, Ariane.“

Was sollte sie machen? Sie hatte keine Telefonnummer von Hannes, um diesem abzusagen. Also ging sie zum vereinbarten Zeitpunkt zur Bar. Als sie ankam, stand Hannes schon vor der Tür. Er sah verfroren aus und hatte die Hände in den Taschen. Er trug weder Mütze noch Schal und seine Füße steckten in normalen Straßenschuhen.

„Du bist viel zu dünn angezogen“, sagte sie gleich zu Beginn. Sie selbst war warm eingepackt und trug sogar Handschuhe.

Er grinste. „Ich weiß, ich wollte eben ganz schnell bei dir sein.“

Er kam einen Schritt näher und blickte sie an.

Sofort bekam sie Herzklopfen und schlug die Augen nieder. Sie öffneten die Tür und betraten die Bar. Sie sollte Südseeflair verbreiten und war mit Palmen, Bambusstauden und Stühlen aus Bast eingerichtet. Der Kellner wies ihnen den reservierten Platz zu.

Ariane bestellte ein Wasser und Pina Colada. Hannes einen Blue-Curacao-Cocktail.

„Toll hier. Dass ich das noch nie besucht und immer nur von außen gesehen habe“, schwärmte sie. Sie blickte ihn an und überlegte, ob er bewusst dieses Getränk passend zu der Farbe seiner Augen gewählt hatte.

Er fragte nach ihrer Wohnung. Sie erzählte von ihrem Elternhaus und er, dass er im Hotel ein Zimmer gebucht habe. Sie tranken noch Sekt und bedingt durch den Alkohol, lachte sie viel und erzählte auch von Maria, die sie schon oft in peinliche Situationen gebracht hatte.

„Manchmal spricht sie wildfremde Leute an, fragt, was sie in der Stadt machen und empfiehlt ihnen Sehenswürdigkeiten. Wir gehen oft zusammen einkaufen. Wenn ich ihr nicht gleich etwas bringe, geht sie halb nackt aus der Kabine und holt sich selbst etwas.“

„Sie ist sehr spontan“, bestätigte Hannes.

Danach bezahlten sie, diesmal getrennt. Draußen schneite es wieder. Hannes bot an, sie nach Hause zu fahren, sein Wagen wäre allerdings am Hotel. Sie stimmte zu, weil die Straßenbahn um diese Zeit nur noch selten fuhr. Einträchtig liefen sie nebeneinander her und durchquerten die Altstadt in der Einkaufsmeile, wo Ariane interessiert in die Schaufenster blickte.

„Kaufst du hier deine Klamotten?“, fragte Hannes amüsiert.

„Natürlich“, antwortete sie und stolzierte hoch erhobenen Hauptes weiter.

Dann kamen sie zur großen Kirche und blickten in die Höhe des gotischen Gebäudes.

Hannes bog Richtung Hauptbahnhof ab.

„Welches Hotel ist es denn?“

„Das Grand Hotel.“

„Nicht dein Ernst. Ich wusste gar nicht, dass du so eine gute Partie bist.“

„Das war ein Spaß. Du hättest dein Gesicht sehen müssen“, prustete er los.

Ariane schwieg beleidigt.

Plötzlich zog er sie zu sich heran und küsste sie. Noch nie zuvor hatte sie jemand so geküsst. Sie hörte ein Summen im Ohr, ihre Beine gaben nach und sie hielt sich an seinen Schultern fest.

„Gehen wir zu dir oder zu mir?“, schlug er augenzwinkernd vor.

„Bist du verrückt, ich kenne dich doch gar nicht!“

„Dazu hast du jetzt die Gelegenheit.“ Er drückte sie an sich. Jetzt schmiegte sie ihre Wange an seinen Hals und flüsterte: „Zu dir.“

„Was wird morgen sein?“, dachte sie. Werde ich es bereuen?“

„Na, dann komm!“

„Ich muss aber meinen Eltern Bescheid geben, sie machen sich sonst Sorgen.“

„Das kannst du vom Hotel aus tun, das schlicht und einfach Stadthotel heißt.“

Im Zimmer, das eher nüchtern eingerichtet war, zogen sie ihre Mäntel aus. Ariane rief ihre Eltern an und erklärte bei Maria zu übernachten. Hannes grinste. „Bist aber keine brave Tochter.“

Mit einmal kam ihr alles unwirklich vor. Sie bekam Angst bei jemandem zu übernachten, den sie nicht mal kannte. Er drehte die Heizung auf und sie verlangte Wasser, um Zeit zu gewinnen. Noch konnte sie gehen. Er ging ins Badezimmer. Verstohlen blickte sie sich um. An den kahlen Wänden war ein Druck von einem Straßencafé von

Van Gogh.

„Gefällt dir Van Gogh?“, fragte er.

„Das schon, aber nicht die berühmten Sonnenblumen.“

Langsam trank sie das Wasser und vermied es, ihn anzusehen.

„Was ist los?“, fragte er.

„Ich glaube, es ist besser, du fährst mich nach Hause.“

„Ariane, ich will dich zu nichts zwingen.“ Dann kam er näher. Und auch Ariane drängte es zu ihm. Sie zeigte es aber nicht und rückte von ihm ab. Sie war hin- und hergerissen. Ihr Verstand sagte Stopp, ihr Gefühl wollte ihn. Sie zögerte und sagte plötzlich: „Ich habe nichts dabei, um mich frisch zu machen.“

„Das macht nichts“, flüsterte er. „Ich will dich so, wie du bist.“ Das schwemmte ihre letzten Bedenken fort und sie ließ sich von ihm ausziehen. Zwischendurch hielt er inne und betrachtete sie. „Du bist so schön.“ Er strich über ihren ganzen Körper, verweilte bei ihren Brüsten und dem Gesicht. Sie versank in seine Augen und legte ihre Wange in seine Hand wie in eine Schale.

„Komm zu mir“, flüsterte sie. Er zog sich aus und legte sich zu ihr. Streichelte sie sanft, bis sie sich unter seinen Händen wand und bereit für ihn war.

6.

Am nächsten Morgen frühstückten sie im Speisesaal.

„Ich hätte dir lieber ein fürstliches Frühstück beschert.“

„Das macht doch nichts“, beruhigte sie ihn. “Wann musst du denn los?“

„Gleich nach dem Frühstück. Ich hab noch einiges heute vorzubereiten für die Wohnungen, die ich morgen verkaufen will.“

Ihr war, als würde sie von einer Schaukel fallen und unsanft auf den Boden geworfen.

„Morgen habe ich ganz früh einen Termin zur Wohnungsbesichtigung.“

Ariane fiel es schwer, ihm zu glauben.

„Und wann kommst du wieder?“

„Sobald wie möglich.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“

Sie gingen noch einmal kurz ins Zimmer. Er packte seinen Koffer und Ariane zog ihren Mantel an. Sie war den Tränen nahe und hatte Angst, dass es nur ein One-Night-Stand war. Sein Wagen stand vor dem Hotel und er wollte sie nach Hause bringen. Sie lehnte ab. Dann tauschten sie ihre Telefonnummern aus.

7.