Im Sog der Nacht - Fredrik Skagen - E-Book

Im Sog der Nacht E-Book

Fredrik Skagen

4,9

  • Herausgeber: SAGA Egmont
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

"Fredrik Skagen ist ein skandinavischer John le Carré." - Dagbladet. "Es ist lange her, dass es einen besseren Thriller zu lesen gab." - ArbeiderbladetDrei junge Leute, die keine Perspektive in ihrem Leben sehen, finden sich zusammen: Frank, seine Freundin Lisa und deren Nachbar Roger. Gemeinsam planen sie den perfekten Bankraub. Das Geld soll ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen. Doch der makellose Plan schlägt fehl. Denn am Tag des Überfalls sind außer dem Filialleiter auch seine Ehefrau und seine Tocher in der Bank zugegen. Frank wird nervös und schlägt die Frau nieder. Einen Tag später erliegt sie ihren Verletzungen. Frank, Lisa und Roger müssen fliehen. Unaufhaltsam zieht sich das Netz um die drei Flüchtigen zusammen. Der Traum vom sorgenlosen Leben hat sich in einem Albtraum verwandelt. Doch noch wollen sie nicht aufgeben.REZENSION"Als nervenaufreibendes Kammerspiel inszeniert Fredrik Skagen seinen Psychothriller ... Herausgekommen ist eine ungemein lesenswerter und ungewöhnlicher Kriminalroman mit einem fulminanten Showdown." -Ulrich Deurer"Ich kann das Buch sehr empfehlen und wundere mich, weshalb es nur so wenig Leser hier auf lovelybooks.de hat." - Killerprincess, Lovelybooks.deAUTORENPORTRÄTFredrik Skagen, 1936 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Spannungsautoren Skandinaviens. Seine Romanen und Kinderbücher wurden vielfach preisgekrönt. ---KURZBESCHREIBUNGEs sollte der perfekte Banküberfall werden. Doch als Frank, Lisa und Roger durch den Hintereingang der Trondheimer Bank stürmen, schlägt ihr Plan fehl. Mit einem Mord auf dem Gewissen beginnt für die drei eine hektische Flucht. Es gelingt ihnen kaum, ihre Spuren zu verwischen. Unaufhaltsam dreht sich die Spirale der Gewalt, und bald gibt es kein Zurück mehr. DAS BUCHFrank, Lisa und Roger haben den perfekten Bankraub geplant. Doch unvorhergesehene Dinge geschehen bei der Durchführung und ein Mensch muss sterben. Fredrik Skagens faszinierender Thriller Im Sog der Nacht zeigt drei junge Menschen in auswegloser Situation. Ihr Traum vom besseren Leben endet in einer Orgie der Gewalt.Vom Leben enttäuscht, illusionslos und abgebrannt will sich der junge Roger in seiner Wohnung das Leben nehmen. Doch in letzter Sekunde greift das Schicksal in Gestalt von Frank und Lisa ein, die dem Lebensmüden die Waffe wegnehmen. Schon bald darauf wird Roger von dem Pärchen überzeugt, bei einem "todsicheren" Coup einzusteigen. Ziel ist die örtliche Filiale einer Bank, alle Abläufe dort sind ausgekundschaftet, ein Fluchtauto wurde geklaut und die Fluchtroute festgelegt. Doch mit der Anwesenheit der Familie des Filialleiters hat Frank, der Kopf der Gruppe, nicht gerechnet. Im Affekt schlägt er die couragierte Ehefrau mit einem Gewehr nieder, die kurz darauf ihren Verletzungen erliegt. Die überstürzte Flucht des Trios endet zunächst in einer Ferienhütte, die Lisas Schwester gehört. Auch hier erhalten sie unerwarteten Besuch, verstricken sich in Widersprüche und können sich wiederum nur mit brutaler Gewalt helfen. Die Fehler häufen sich und die ohnehin labile Harmonie der Gruppe beginnt zu bröckeln.-

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Fred­rik Ska­gen

Im Sog der Nacht

 

 

Saga

Wir sterben, weil wir die Kräftenicht mehr tragen können, die uns tragen.

Stein Mehren

1

Dienstag, 31. Januar 1995

Gegen drei Uhr nachmittags fegten die ersten eiskalten Windböen über die Stadt. Ein silbergrauer Toyota Corolla hielt vor dem Britannia Hotel in der Dronningens gate. Der Mann, der aus dem Wagen stieg, verließ diesen eigentlich nie, ohne abzuschließen, doch jetzt wollte er sich nur einiger Briefe entledigen. Rasch überquerte er die Straße und eilte auf das Hauptpostamt zu. Dort warf er die Umschläge in den in die Wand eingelassenen Schlitz, machte auf dem Absatz kehrt und lief zu seinem Auto zurück. Die Wetternachrichten kündigten einen Sturm an, und er freute sich darauf, pünktlich zum Essen zu Hause zu sein.

Die Vorfreude erstarb augenblicklich, als er bemerkte, dass sein Wagen verschwunden war. Er war sich nicht sicher, ob er ihn mit laufendem Motor abgestellt hatte, musste sich jedoch verärgert eingestehen, dass der Schlüssel im Zündschloss stecken geblieben war. Die unangenehme Erkenntnis, dass jemand die günstige Gelegenheit genutzt hatte, sein geliebtes Auto zu stehlen, sowie die Angst, durch diesen unverzeihlichen Fehler seinen Versicherungsschutz eingebüßt zu haben, erzeugte ein merkwürdig taubes Gefühl in seinem Körper. Er warf verzweifelte Blicke in beide Richtungen, obwohl es sich um eine Einbahnstraße handelte. Eine Frau mit Kinderwagen meinte, es könne sich um das Auto gehandelt haben, das unter Missachtung der roten Ampel in die Søndre gate abgebogen war, wollte sich aber nicht festlegen. Den Fahrer habe sie nicht erkennen können.

Der unglückliche und wütende Autobesitzer verständigte die Polizei binnen zwei Minuten, doch es brauchte natürlich seine Zeit, bis die Hüter der Gesetze sich ernsthaft um die Auffindung des Wagens bemühten – zu spät, denn zu diesem Zeitpunkt hatte Roger, ein Zwanzigjähriger, die Søndre gate bereits hinter sich gelassen und war in westliche Richtung weitergefahren, bis er eine Garage in der Sandgata erreichte, in der Frank, dreißig Jahre alt, schon auf ihn wartete. Frank begann sofort damit, die Nummernschilder abzuschrauben und durch andere zu ersetzen. Er benötigte fünf Minuten, um VE 56362 gegen VE 89755 auszutauschen. Das war im Grunde alles, was erforderlich war, um sich eventueller polizeilicher Ermittlungen zu entziehen. In Trondheim wimmelte es nur so von silbergrauen Fahrzeugen desselben Fabrikats.

Roger fühlte sich obenauf, als er Franks anerkennenden Blick wahrnahm. Er hatte den ersten Teil des Jobs mühelos erledigt, zweifelte allerdings nicht daran, dass Frank ihn ebenso gut bewältigt hätte; bestimmt hatte sein neuer Freund erst einmal prüfen wollen, wozu er taugte. Er hatte die Prüfung bestanden, und das gab ihm die Sicherheit, die er brauchte. Roger wäre nie in den Sinn gekommen, dass sich Frank für den Fall eines Scheiterns bewusst außerhalb der Gefahrenzone aufgehalten hatte. Für Roger war Frank ganz klar der Chef, der das Spiel beherrschte.

»Ausgezeichnet. Er hat dich doch nicht gesehen?«

»Nein, nein, ich war um die Ecke, bevor er sich umdrehen konnte.«

»Wie heißt der Typ? Doch wohl kein Promi.«

Roger öffnete das Handschuhfach und sah sich den Fahrzeugschein an. »Anders Krogness.«

»Sicher ein gesetzestreuer Tölpel mit Frau und Kindern. Adresse?«

Roger wusste, warum Frank fragte. Vielleicht wohnte der Halter des Wagens ja zufällig ganz in der Nähe der Bankfiliale, der sie einen Besuch abstatten wollten, und Frank war keineswegs bereit, ein Risiko einzugehen.

»7052 Jakobsli.«

»Ausgezeichnet.« Sein Lieblingswort.

Sie selbst wollten in die entgegengesetzte Richtung. Am Vormittag hatte Frank ihm klar gemacht, wie wichtig es war, auch mit dem Unerwarteten zu rechnen. Sollte alles glatt gehen, durfte nichts dem Zufall überlassen werden. Oft scheiterten brauchbare Vorhaben an ihrer fehlerhaften Planung. Bittere Erfahrung habe ihn gelehrt, dass man aktiv werden musste, solange man noch Ressourcen besaß und bevor Hirn und Geldbeutel leer waren. Hatte Frank gesagt.

Roger stand bereits unter Hochspannung. Die ganze Geschichte war einfach unglaublich. In nicht einmal einer Woche hatte sich sein Lebensgefühl vollkommen gewandelt. Vor sechs Tagen war kaum noch Leben in ihm gewesen. Da hatte er nur noch sterben, sich selbst auslöschen wollen, um sich von den quälenden Gedanken zu befreien, die ihm das Hirn zermarterten. Die ganze Welt schien aus den Fugen geraten und Gott ebenso fern zu sein wie die Frau, die sich seine Mutter nannte. Willentlich hatte er sich ins Dunkel gleiten lassen. Niemand konnte ihm einreden, dass es Mut erfordere, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Es erforderte größeren Mut, sich weiterhin ans Leben zu klammern. Sein Dasein war unerträglich geworden und sein früher Tod schien unausweichlich. In der erbärmlichsten aller erbärmlichen Wohnungen hatte er die Musikkassette abgespielt, die ihm am meisten bedeutete, und die er – wegen Heidi – am meisten hasste, ließ seinen Tränen freien Lauf und schüttete den Inhalt der Flasche in sich hinein. Wie in Trance ging er zu der Hölle, die ihn umgab, auf Distanz. Er hatte die Patrone in die Kammer geschoben, einige Worte zu Papier gebracht, ohne zu wissen, an wen sie sich richteten, und die Musik nach und nach immer weiter aufgedreht. Dann ließ er sich in den Sessel sinken, die Flasche im Schoß, die Waffe zwischen den Knien, und gab sich dem betäubenden Heavy Metal hin. Wenn er spürte, dass die Zeit reif war, wenn er aufhörte zu zittern und Dumpfheit und Gleichgültigkeit die Oberhand gewannen, musste er sich nur noch den Lauf in den Mund schieben. Ein leichter Druck mit dem Zeigefinger – mehr war nicht nötig, um die hauchdünne Grenze zwischen Leben und Tod zu überschreiten. Das Blutbad, das er damit anrichten würde, ging ihn nichts mehr an. Vor weniger als einem Jahr hatte Jøran gezeigt, wie einfach es war; er hatte sicher keine Zeit gehabt, Schmerz zu empfinden, als er sich das Licht ausblies. Roger hatte Jøran gefunden.

Rache? Auch das. Wenn sie später nach Gründen suchten, würden sie vielleicht begreifen, dass sie es waren, die sein Leben zerstört hatten, und an dieser Erkenntnis eine Weile zu knabbern haben, Heidi inklusive. Doch vor allem konnte er selbst dieses Leben nicht länger ertragen. Jøran hatte ihm den Weg gewiesen.

Genau in dem Moment, als er den Mund öffnete und darauf gefasst war, den metallenen Lauf der abgesägten Waffe an Lippen und Zähnen zu spüren, hatte das Schicksal eingegriffen. Wie sollte man das sonst nennen? Von Gott konnte keine Rede sein, denn sein Lebensretter, das war ihm sofort klar gewesen, hatte mit einem Engel nichts gemein.

Dass Frank, den er nie zuvor gesehen hatte, ins Zimmer stürmte und ihm das Gewehr aus der Hand riss, geschah aus dem einfachen Grund, weil dieser in der Nachbarwohnung mit seiner Freundin Lisa, fünfundzwanzig war sie, gevögelt hatte und danach wegen der dröhnenden Musik nicht einschlafen konnte.

»Ich glaube, du hast es wirklich ernst gemeint«, sagte Frank am Morgen, nachdem Roger wieder einigermaßen bei Sinnen war und sie ihn dazu überredet hatten, dem Leben eine neue Chance zu geben.

Sie hatten ihn zum Reden gebracht, und er hatte sich ihnen anvertraut. Zunächst widerstrebend und stammelnd, dann zunehmend flüssiger und mit hasserfüllter Stimme. Lisa hatte verständnisvoll genickt, während Frank ihn rauchend gemustert hatte. Beide waren entrüstet gewesen, vor allem Lisa. Immer wenn sich seine Augen erneut mit Tränen füllten, hatte sie ihm den Kopf gestreichelt, und Frank hatte es geschehen lassen, obwohl ihm Sentimentalitäten zuwider waren. Hinterher fühlte sich Roger vollkommen leer, aber auch erleichtert. Es tat unglaublich gut, zwei Menschen, die bereit waren, ihm zuzuhören, sein Herz auszuschütten und sein ganzes Elend vor ihnen auszubreiten. Alles Peinliche und Peinigende konnte er endlich loswerden. Nie im Leben hätte er sich Heidi mit derselben Schonungslosigkeit ausliefern können. Ihr gegenüber hatte er stets versucht, den Anschein von Selbstsicherheit und Selbstrespekt aufrechtzuerhalten. Dennoch hatte sie ihn rausgeschmissen, und diese unerwartete Demütigung hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Nach drei Tagen in seiner jämmerlichen neuen Bude in der Sandgata war er am Ende gewesen.

Lisa hatte ihn zu trösten versucht: »Du wolltest dich nicht wirklich töten. Das war nur ein Hilferuf. Du hast die Musik so laut aufgedreht, damit jemand auf dich aufmerksam wird.«

Dieses Gewäsch kannte er von neunmalklugen Psychologen aus Büchern und Zeitungen. Natürlich hatte er sich umbringen wollen! Genau wie Jøran war er so weit unten gewesen, dass er nur noch den Wunsch verspürt hatte, seinem Elend ein Ende zu setzen. Doch er widersprach Lisa nicht; sie meinte es ja nur gut mit ihm. Und alles in allem verstand sie ihn besser als die meisten anderen. Kein Zweifel, dass auch sie und Frank einiges durchgemacht hatten, wenngleich Frank die innere Stärke zu haben schien, alles zu verdrängen, was sein Selbstwertgefühl beeinträchtigen könnte:

»Es gibt nur einen Weg, Roger! Wieder aufzustehen und es noch mal zu versuchen.«

»Denkst du, das hätte ich nicht getan? Aber ich bin so fertig gemacht worden, dass ich am Ende keine Kraft mehr hatte. Hast du verloren, dann hast du verloren!«

»Okay. Aber ein Gewehr kannst du immer auch in die andere Richtung halten. Nenn es meinetwegen Schicksal, aber auf genau so eine Knarre habe ich noch gewartet. Außerdem werde ich dafür sorgen, dass du eine anständige Bezahlung bekommst.«

»Die ist unverkäuflich.«

Frank brach in schallendes Gelächter aus. »Du verstehst mich völlig falsch, ich suche einen Assistenten! Mit zwei Knarren können wir den Bruch machen, den Lisa und ich schon geplant haben.«

»Ich habe noch nie ...«

»Aber ich! Hab sogar dafür gesessen. Doch diesmal werde ich keinen Fehler machen. Schicksal, mein Junge. Schicksal!«

Seine Nachbarn hatten ihm, beide auf ihre Weise, ein wenig Selbstvertrauen zurückgegeben. Das musste doch irgendeinen Sinn haben. In größter Not war Frank erschienen und hatte ihm Hoffnung auf bessere Zeiten gemacht. Man musste sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, war sein Credo.

Und damit hatten sie bereits angefangen!

Der enge Hinterhof kam ihm nicht weniger deprimierend als seine Wohnung vor. Die meisten Holzhäuser in der Sandgata, die zur Straße hin eine zusammenhängende Fassade bildeten, waren jüngst renoviert worden, nur die verwahrloste Bruchbude des Hausbesitzers T. Olsen blieb eine Schande für das gesamte Viertel. Während der Eigentümer noch halbwegs standesgemäß im ersten Stock mit Seeblick wohnte, lagen die beiden anderen Wohnungen in dem Flügel, der sich entlang des Hinterhofs erstreckte. Sie verfügten zwar über separate Eingänge, dafür aber weder über eine Aussicht noch nennenswertes Tageslicht. Die bräunlich gelben Farbreste, die sich an der Fassade befanden, ließen Roger an getrocknete Tierexkremente denken. Dazu passte der Geruch im Inneren des Gebäudes: muffig, schimmelig und verfault. Vielleicht drangen die Abwässer der Kanalisation ins Erdreich und waren für den ekelhaften Gestank verantwortlich, über den auch die günstige Miete nicht hinwegtrösten konnte. Doch jetzt wollten sie von hier verschwinden, sie alle drei. Ein neues Dasein lockte. Wenn, besser gesagt falls sie jemals zurückkehrten, dann nur, um ein paar Gegenstände mitgehen zu lassen und Olsen Bescheid zu geben, dass er sich neue Mieter suchen konnte.

Lisa verstaute einige Taschen mit Proviant und Klamotten im Kofferraum. Dann nahm sie mit der Adidastasche, in der sich drei schwarze Jogginganzüge befanden, auf dem Rücksitz Platz. Als Roger den Wagen aus der Einfahrt rollen ließ, saß Frank sichtlich entspannt neben ihm.

»Fahr du«, hatte er gesagt. »Ich muss ein paar Monate ohne meinen Lappen auskommen, und wer weiß, ob wir nicht in eine Kontrolle geraten.«

Allein die Tatsache, dass sie sich von dem Gebäude entfernten, empfand Roger als Befreiung. Sie hatten sich die letzten Tage im Schutz der Wohnungen aufgehalten, und niemand hatte nach ihnen gefragt. Lisa hatte die nötigen Einkäufe erledigt, während Frank das Gerücht in Umlauf gesetzt hatte, sie befänden sich in Oslo. Dorthin waren sie am Sonntagabend vorgeblich abgereist. Der stocktaube Olsen ahnte nicht, dass sich seine Mieter immer noch in ihrer Wohnung aufhielten. Solange sie pünktlich bezahlten, war ihm das auch vollkommen gleichgültig. Frank hatte einen Kumpel in Torshov, der ihnen gegebenenfalls ein Alibi verschaffen konnte. Aber das würde nicht notwendig werden. Diesmal war alles so perfekt geplant, dass die Bullen keine Spuren finden konnten. Und falls doch, dann würden sie in die falsche Richtung weisen. Dafür hatte Frank gesorgt.

»Ah, was für ein Sturm!«, rief er aus und deutete über den Fjord, als sie bei Skansen über die Eisenbahnbrücke fuhren. Sie erblickten einen Frachter, der durch die hohen Wellen schlingerte.«

»Hilft der uns weiter?«

»Ja, der kommt wie gerufen.«

Roger fuhr den Osloveien hinunter, der aus der Stadt herausführte. Sie passierten die Eisenbahnreparaturwerkstatt in Marienborg und fuhren am Fluss namens Nidelv entlang. Er fühlte sich in der Form seines Lebens. Einen solchen Höhenflug hätte er nach dem dunkelsten Kapitel seines Daseins nicht für möglich gehalten. Noch vor wenigen Wochen hätte er die Beteiligung an einem so wahnwitzigen Vorhaben wie einem Banküberfall strikt verweigert. Doch jetzt fand er nichts Außergewöhnliches mehr daran. Natürlich hatte er sich eine Weile geziert, aber nachdem ihm Lisa, die im Grunde ganz normal und Vertrauen erweckend aussah, klar gemacht hatte, wie leicht es war, eine Bankfiliale auszurauben, hatte er Blut geleckt. Sie hatte ihn darüber aufgeklärt, wie wenige es waren, die sich erwischen ließen – »Profis kommen immer durch« –, hatte ihn mit ihren klaren, hungrigen Augen fixiert und ihm erläutert, dass Franks Plan mit neunzigprozentiger Sicherheit gelingen würde. »Die restlichen zehn Prozent riskiere ich eben, und das solltest du auch tun. Was haben wir schon zu verlieren!« Er hatte genickt und eingesehen, wie Recht sie hatte. Und als Frank daraufhin eine Skizze zu Papier brachte und die Vorgehensweise erläuterte, begriff Roger, dass dies seine große Chance war. Hatte er davon nicht immer geträumt, es allen zu zeigen und sich ein für alle Mal auf die Sonnenseite des Lebens zu schlagen?

Zwar bebte er innerlich, aber das taten die anderen sicherlich auch. Vor gespannter Erwartung natürlich, nicht vor Angst.

»Nein, nicht die E6, wir nehmen die alte Landstraße Richtung Heimdal«, sagte Frank, als Roger abbiegen wollte.

Vor ein paar Tagen hatte es heftig geschneit, zum ersten Mal in diesem Winter. Aber das Auto hatte gute Reifen und Roger keine Probleme, die kurvige Straße bergauf zu fahren, obwohl er mit dem Wagen nicht vertraut war. Das ziemlich neue und gut ausgestattete Fahrzeug fuhr wie von allein. Er hatte seinen Führerschein beim Militär gemacht, bevor ihn ein Arzt wegen gewisser »psychischer Auffälligkeiten« für nicht fahrtauglich erklärte. Hätten seine verhassten Vorgesetzten nur gewusst, was für einen Gefallen sie ihm damit taten!

Frank fingerte an einem kleinen Radio herum, das in seinem Schoß lag. Er hatte es in Schweden mitgehen lassen und behauptete, es könne, im Gegensatz zum Autoradio, auch Polizeifunk empfangen. Auf diese Weise würden sie erfahren, wie viel Arbeit die Bullen darauf verwendeten, den Corolla aufzuspüren. Hin und wieder hörten sie schwer verständliche Anweisungen, und Roger begriff, dass Frank nicht gelogen hatte. Dass der Empfang so schlecht war, lag sicher an dem hügeligen Gelände.

Sie brauchten zwölf Minuten bis zum Bahnhof von Heimdal. Dank Rogers schneller Arbeit bei der Beschaffung des Wagens waren sie eine halbe Stunde früher dran als geplant, doch Frank meinte, es sei in jedem Fall richtig gewesen, sofort loszufahren, falls Olsen doch früher nach Hause käme und bemerkte, dass seine Mieter erst heute nach Oslo aufbrachen. Die Bankfiliale schloss um 16 Uhr. Erst danach wollten sie zuschlagen. Dieser Überfall sollte aus dem Hinterhalt stattfinden und dem Personal keine Gelegenheit bieten, den Alarm auszulösen. Zumindest nicht, bevor die Bankräuber die Filiale wieder verlassen hatten. Frank hatte zugegeben, dass er rein zufällig auf die Idee gekommen war. Im Herbst, bevor er zu Lisa gezogen war, hatte er sich in Heimdal eine Wohnung gemietet, die dem Hintereingang der Bank gegenüberlag. Ihm war aufgefallen, dass die Bankangestellten die Filiale nach Geschäftsschluss immer in einer bestimmten Reihenfolge verließen. Ob dies geplant oder ein Zufall war, spielte keine Rolle. Die drei weiblichen Angestellten gingen zuerst, manchmal nacheinander, manchmal gemeinsam, und verschwanden zu Fuß oder auf ihren Fahrrädern. Es dauerte immer ein paar Minuten, bis der Filialleiter ihnen folgte und in seinen alten Audi stieg. Vermutlich benötigte er die Zeit unter anderem, um die Geldkassetten im Safe unterzubringen.

Die äußeren Bedingungen waren Frank zufolge ganz ausgezeichnet. Um 16 Uhr war es immer noch hell, doch dank der vorspringenden Fassade war der Hinterausgang von den Fenstern, die sich auf der anderen Seite des Platzes befanden, nicht zu sehen. Unter diesem Vorsprung konnten sie sogar unbemerkt den Corolla parken. Als Kunde der Bank – zwei der weiblichen Angestellten kannten ihn persönlich – hatte Frank auch den Schalterraum unter die Lupe genommen. Er wusste, wo sich die Videokameras befanden und hatte durch eine offene Tür gesehen, dass der Safe in die Wand eines Hinterzimmers eingelassen war.

Roger lenkte den Wagen an der Bank vorbei und ließ sich von Frank in eine Seitenstraße dirigieren, die ihnen Gelegenheit gab, einen Blick über den offenen Platz zu werfen.

»Schau genau hin, aber halt nicht an!«

Einige Autos parkten am Straßenrand, doch es waren keine Menschen zu sehen. Weil Frank zuvor eine Skizze des Bankgebäudes gezeichnet hatte, erkannte Roger sofort den Vorsprung in der Fassade, ohne das Tempo nennenswert drosseln zu müssen. Er erhaschte sogar einen Blick auf den Audi des Filialleiters.

»Okay, wir fahren ein bisschen spazieren und rauchen erst mal eine.«

Sie parkten auf dem Weg nach Byneset hinter einem Stapel aufgeschichteter Holzstämme. Dort öffnete Lisa die Adidastasche, in der sich die schwarzen Jogginganzüge befanden. Später sollte sie mit Geldbündeln gefüllt werden. Sie stiegen aus, zogen sich um und sahen danach aus wie drei durchtrainierte junge Sportler. Die Buchstaben auf ihren Rücken wiesen darauf hin, dass sie einem bekannten Osloer Sportverein angehörten. Das passte zwar nicht unbedingt zu den Zigaretten, die sie sich drehten und anzündeten, doch es waren ohnehin keine Leute in ihrer Nähe.

»Nervös, Roger?«

Franks Stimme klang ein wenig angespannter als zuvor.

»Ein bisschen.«

»Denk dran: Entschlossenes Auftreten und Osloer Dialekt! Wir machen eine Probe.« Frank pikste Roger mit dem Zeigefinger in die Brust. »Du zuerst.«

»Was soll ich sagen?«

»Hände hoch!«

»Hände hoch!«, wiederholte Roger.

»Herrgott, du hörst dich an wie ein kleiner Junge, der um Süßigkeiten bittet.«

»Hände hoch, ihr Wichser, sonst schieß ich euch die Eier weg!«, rief Lisa.

»Siehst du, Roger? So muss sich das anhören.«

Sie lachten alle drei, und Roger spürte, wie sie sich entspannten. Er wollte gar nichts sagen, wenn es so weit war. Das konnten die beiden anderen erledigen. Ein Windstoß veranlasste sie, wieder Zuflucht im Wagen zu suchen. Die Bank würde bald schließen, doch Frank wollte nicht, dass sie früher dort auftauchten als unbedingt nötig.

»Die Gewehre«, sagte er, während er seine Zigarette ausdrückte. »Wo hast du die Gewehre, Lisa?«

»Das fragst du mich?«, kam es nervös vom Rücksitz.

Roger zuckte zusammen. Ohne Waffen konnten sie alles vergessen. Erst als er in Franks grinsendes Gesicht blickte, begriff er, dass er sie zum Narren hielt.

»War nur ein Test. Was würdet ihr ohne mich machen? Du müsstest dich doch zumindest erinnern, dass ich die Knarren in den Kofferraum gelegt habe, Roger.«

Jetzt erinnerte er sich daran. Offensichtlich hatte er für Franks Humor mehr übrig als Lisa.

»Lass den Quatsch!«, sagte sie scharf.

Eine Weile saßen sie schweigend da, während Frank den Polizeifunk abhörte. Inzwischen hatte jemand den Diebstahl eines Toyota Corolla XLi gemeldet, doch ansonsten schien sich die Polizei hauptsächlich um die Verkehrsüberwachung zu kümmern. Selbst ohne heftigen Niederschlag gab es offenbar Probleme durch Schneeverwehungen auf den Fahrbahnen. Frank erzählte einen lausigen Witz, und Roger begriff, dass sein neuer Freund nur eines im Sinn hatte – ihnen die Nervosität zu nehmen. Vielleicht wollte er auch bloß sich selbst beruhigen. Lisa hatte Roger gestern Abend zugeflüstert, dass ihr Freund ziemlichen Schiss vor dem Überfall habe, auch wenn er nach außen hin so gelassen tat. Was allerdings nur von Vorteil sei, meinte sie, denn das würde ihn davon abhalten, unnötige Risiken einzugehen. Jeder einzelne Schritt sei wohl überlegt.

»Los geht’s!«, sagte Frank.

Roger drehte den Zündschlüssel und enthielt sich weiterer Kommentare.

2

Im Übereifer würgte er den Motor ab. Er fürchtete, Frank würde ihn zurechtweisen, doch dieser schwieg. Fünf Minuten später sahen sie die Rückseite des Bankgebäudes, auf der es nur ein Fenster gab. Als Roger auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes – nur wenige Meter von Franks früherer Wohnung entfernt – anhielt und den Motor abstellte, zeigte die Uhr am Armaturenbrett genau 16 Uhr. Es hatte bereits zu dämmern begonnen, doch was ihnen in erster Linie zugute kam, war der Wind. Die wenigen Passanten, die sich auf der Straße aufhielten, waren vollauf damit beschäftigt, sich durch das Schneegestöber zu kämpfen, und achteten nicht auf parkende Autos.

Alle drei fassten das Ziel ihres Vorhabens ins Auge.

»Da kommt schon die erste Schlampe.«

Eine stämmige Frau tauchte unter dem Vorsprung auf und drückte sich eng an der Wand entlang, bis sie die Ecke des Gebäudes erreichte, an der sie ein Windstoß erfasste und sofort auf die Straße trieb.

»Da kommen die beiden anderen.«

Die Frauen zogen ihre Mäntel eng um sich und gingen auf einen kleinen Fiat neueren Datums zu.

»Da schau her, Frau Berg hat wohl eine Gehaltserhöhung bekommen. Hoffentlich wird die nicht rückgängig gemacht, wenn wir hier fertig sind.«

Roger beobachtete die beiden Frauen, die im Wagen Platz genommen hatten. Sie fummelten eine Ewigkeit an den Sicherheitsgurten herum, bevor endlich die Scheinwerfer aufflammten.

»Jetzt, Frank?«

»Wart, bis sie weg sind. So eilig haben wir’s auch wieder nicht.«

Roger startete den Wagen und ließ ihn auf den kleinen Parkplatz rollen, der sich neben der Bank befand. Der alte Audi war nicht das einzige Auto, das dort parkte, was zu dieser Tageszeit nicht verwunderlich war. Er hatte die Kurve zwar richtig berechnet, jedoch Schwierigkeiten mit dem Zurücksetzen und musste umständlich rangieren, um schließlich so nah an der Wand zu stehen, wie Frank es von ihm verlangte. Als die hintere Stoßstange ungefähr einen halben Meter von der Tür entfernt war, stellte er den Motor ab und entriegelte von innen den Kofferraumdeckel. Frank strich sich mit dem Finger über die Lippen. Er und Roger stiegen aus, schlossen die Türen so leise wie möglich und eilten zum Heck des Wagens. Nachdem Frank den Kofferraumdeckel geöffnet hatte, konnten sie beinahe aufrecht stehen, ohne vom Parkplatz aus gesehen zu werden. Und wenn der Filialleiter uns bereits durch das Fenster beobachtet hat?, dachte Roger. Im Kofferraum lagen die Wollmasken neben den schwarzen Handschuhen und den Waffen. Sie zogen sich die Masken über den Kopf. Lisa hatte die Öffnungen so weit verengt, dass nur noch die Augen sichtbar waren. Sie saß immer noch im Wagen, weil hinter diesem gar nicht genug Platz für alle war, wenn der Filialleiter nach draußen trat, um die Tür abzuschließen. Sie waren darauf angewiesen, dass er durch diese Tür kommen würde, denn eine andere Gelegenheit, ins Haus einzudringen, hatten sie nicht. Jetzt blieb ihnen nur eines zu tun: abzuwarten, bis der Filialleiter seine Aufräumarbeiten beendet hatte und endlich geruhte, nach Hause zu fahren. Frank hatte gesagt, dies dauere in der Regel nur fünf Minuten, doch für Roger schien die Zeit stillzustehen. Was ist, wenn der Filialleiter heute Überstunden macht?, ging es ihm durch den Kopf. Bisher war alles gut gegangen, doch jetzt spürte er, wie sein Puls in die Höhe schnellte. Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Eigentlich wäre ich schon tot. Er konnte immer noch Nein sagen, das Gewehr wegwerfen und sich aus dem Staub machen. Sich von Frank und seinem wahnwitzigen Vorhaben distanzieren. Ein neues und besseres Leben beginnen. Aber wie nur? Hatte er denn schon vergessen, dass er Frank die Möglichkeit auf ein besseres Leben verdankte? Sie standen auf verschiedenen Seiten des Wagens und schauten sich in die Augen. Der Mann, den er anblickte, sah mit seiner schwarzen Kleidung und dem Gewehr in der Hand ziemlich bedrohlich aus. Vermutlich so wie er selbst: vermummt, gefährlich und Furcht einflößend – fast wie im Film. Der einzige Unterschied zwischen ihnen war, dass Frank zehn Zentimeter größer war als er und ein doppelläufiges Gewehr hatte. Seine Hand krampfte sich um den Schaft der eigenen Waffe, und je härter er zupackte, desto heftiger schlug sein Herz. Wann kam der verdammte Geschäftsführer endlich heraus?

Dann hörten sie ein Geräusch. Ein Geräusch, das lauter war als das Pfeifen des Windes und nicht aus dem Inneren der Bank, sondern vom Platz her kam.

Herrgott, die Operation verlief alles andere als nach Plan. Auch Frank war auf das Brummen des Motors aufmerksam geworden. Roger überließ es ihm, der Ursache auf den Grund zu gehen, und sah Frank durch den Spalt zwischen Auto und Hauswand spähen. Lisa hatte vom Rücksitz aus die beste Sicht. Sie selbst war wegen des geöffneten Kofferraumdeckels nicht zu sehen, hatte aber zweifellos die Tür einen Spalt breit geöffnet, denn er hörte sie etwas flüstern. Frank nickte und stellte sich wieder an seinen alten Platz gegenüber von Roger. Er schüttelte schwach den Kopf, um zu signalisieren, dass keine Gefahr im Verzug war. Das Auto hatte ein anderes Ziel als die Bank.

Im nächsten Augenblick hörte er ein weiteres Geräusch, und diesmal kam es von innen. Wie gebannt starrte er auf die sich senkende Türklinke. Es war so weit. Jetzt war es für einen Rückzug zu spät. Nun würde sich zeigen, wozu er taugte. Der perfekte Überfall. Ausgerechnet in diesem Moment begann er so sehr zu zittern, dass er fast das Gewehr hätte fallen lassen.

Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück, um die aufschwingende Tür nicht gegen den Kopf zu bekommen. Es war Frank, der auf der richtigen Seite stand. Er, der sah, wie die Tür sich immer weiter öffnete. Er, der die Initiative ergreifen musste.

»Hände hoch!«, rief er erwartungsgemäß. Roger tat es ihm nach, darauf vorbereitet, einem verschreckten Mann mit ängstlichem Blick zu begegnen. Doch zu seiner Überraschung erschien in der Türöffnung ein kleines Mädchen mit marineblauem Anorak, das kaum älter als sieben, acht Jahre sein konnte. Das unnatürlich braune Gesicht wirkte mehr verwundert als ängstlich.

»Papa, da will jemand mit dir sprechen!«, rief es.

Frank drehte sich zu Roger und fauchte: »Hol Lisa!«

Roger gehorchte verwirrt, öffnete die Tür zum Rücksitz und rief: »Komm raus, der Filialleiter hat offenbar seine Tochter dabei!«

Lisa zog sich augenblicklich ihre Maske über den Kopf, griff sich die Adidastasche und sprang aus dem Wagen. Als sie den schmalen Gang betraten, sahen sie, dass Frank sein Gewehr auf das Kind richtete. Ein korpulenter Mann mit halb zugeknöpftem Mantel tauchte in der Türöffnung auf. Auch sein Gesicht war braun gebrannt – Vater und Tochter kamen offensichtlich direkt aus dem Urlaub.

»Hände hoch!«

Der Filialleiter kam der Aufforderung nur zögerlich nach, als könne er nicht glauben, dass so etwas in seiner Bank möglich war. »Wenn dies ein Scherz sein soll ...«

»Du kannst Gift darauf nehmen, dass dies ein Überfall ist!«, schrie Frank.

Erst jetzt bekam das Mädchen wirklich Angst. Sie drückte sich an den Vater und starrte ihn mit großen Augen flehentlich an.

»Geh zu Mama«, sagte der Filialleiter. »Ich kümmere mich um die Herrschaften.«

Die Mutter ist auch da, dachte Roger erschrocken. Frank hatte ihnen versichert, dass der Mann allein sein würde. Stattdessen schien sich der Überfall zu einer grotesken Familienangelegenheit zu entwickeln. Am liebsten hätte er sich klammheimlich verdrückt, doch Lisa hatte die Hintertür schon geschlossen. Sie flüsterte ihm ins Ohr:

»Lauf hinter ihr her und pass auf, dass die Mutter nicht die Bullen anruft.«

Doch Frank hatte sich bereits an ihre Fersen geheftet, woraufhin Roger seine Waffe auf den Filialleiter richtete. Der hatte offenbar den Ernst der Lage erkannt und streckte die Hände über den Kopf. Die Bräune war aus seinem Gesicht gewichen. Roger fühlte sich obenauf. Der Typ war ein Waschlappen, ein verdammter Kapitalist, der einen Denkzettel verdiente. Er machte eine Geste mit dem abgesägten Lauf, und der Mann gehorchte auf der Stelle, bewegte sich mit vorsichtigen Seitenschritten in das angrenzende Büro, dessen Fenster auf den Platz hinausging. Wie leicht alles war!

Die Mutter, ebenfalls mit sonnengebräuntem Gesicht und einem moosgrünen Mantel, drückte sich an einen Aktenschrank und hatte ihre Armen beschützend um das Mädchen geschlungen.

»Sind noch mehr von euch hier?«, knurrte Frank.

Der Filialleiter schüttelte den Kopf.

»Also rück das Geld raus. Jede einzelne Krone.«

»In der Kasse sind keine großen ...«

»Ich scheiß auf das Kleingeld. Ich meine den Safe!«

»Tu, was er sagt, Jens.« Das resolute Kommando kam von der Frau.

»Ja, tu, was Mama dir sagt, Jens. Und wenn du versuchst, den Alarm auszulösen, dann knallt’s!«

Als der Mann gehorsam nickte, begriff Roger, dass ihnen der Zufall in die Hände spielte. In Gegenwart von Frau und Kind würde der Filialleiter gar nicht erst versuchen, den Helden zu spielen. Von nun an waren Vater, Mutter und Kind hilflose Marionetten, die an den Fäden der Puppenspieler hingen. Frank und er konnten sie nach Belieben tanzen lassen.

»Der Safe ist im Raum nebenan.«

»Weiß ich, also los!«

Frank stieß ihm sein Gewehr in den Rücken. Der Filialleiter stolperte auf den Gang hinaus. Lisa folgte ihm mit der Tasche. Roger stellte sich neben das Fenster. Dank seiner zwei Komplizen hatte er den leichtesten Job. Eigentlich hatte Lisa am Fenster stehen und den Parkplatz kontrollieren sollen. In regelmäßigen Abständen warf er einen Blick nach draußen, behielt aber in erster Linie Mutter und Tochter im Auge. Sein Zeigefinger lag am Abzug, doch er zielte nicht auf sie. Die Mutter stand stocksteif da und starrte ihn an. Ihre Haare wirkten ebenso sonnengebleicht wie die ihrer Tochter, doch ihre Augen waren dunkel und hasserfüllt. Er vermutete, dass ihr Herz vor Angst raste. Sein eigenes Herz pochte ebenfalls ziemlich rasch. Würde sie später in der Lage sein, eine genaue Beschreibung des bedrohlichen Manns mit dem Gewehr abzugeben? Nein, die Maskierung war so perfekt, dass sich jeder darunter hätte verbergen können. Zwei blaue Augen in den Schlitzen verrieten so gut wie nichts.

Draußen rollte ein Ford Sierra vom Parkplatz. Ein Windstoß fegte den Schnee beiseite, der darunter gelegen hatte. Er hörte Franks Kommando aus dem Nebenzimmer. Niemand wäre darauf gekommen, dass Frank aus Trondheim stammte, so perfekt imitierte er den Osloer Dialekt. Das Mädchen begann zu weinen.

»Wird er uns erschießen, Mama?«

»Hab keine Angst, Merete, er will uns nichts tun. Bleib ganz ruhig, dann geht alles gut.«

»Du hast gesagt, dass wir nach Hause fahren!«

»Bald, Merete, bald.« Die Mutter hob den Kopf und schaute Roger flehentlich an. »Kann sie nicht solange draußen warten?«

Fast musste er lachen. Was bildete sich diese Frau nur ein? Glaubte sie etwa, alles sei nur ein Scherz? Er antwortete nicht, schüttelte aber entschieden den Kopf. Verlieh seiner Ablehnung Nachdruck, indem er die Waffe ein wenig hob. Die Frau zog das Mädchen enger an sich und strich ihr über den Kopf. Dennoch redete sie weiter. Ihre Stimme zitterte nicht einmal:

»Warum tun Sie so etwas? Wissen Sie nicht, was für einen Schaden Sie bei einem kleinen Kind anrichten können?«

Als das nichts nutzte, versuchte sie es anders:

»Ich bin sicher, dass Sie noch jung sind. Das ganze Leben liegt vor Ihnen. Warum zerstören Sie Ihre Möglichkeiten? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass die meisten Bankräuber geschnappt werden und im Gefängnis landen.«

Die Frau in dem grünen Mantel war offenbar mutiger als ihr Mann. Oder sie begriff nicht, wie gefährlich ihr Verhalten in dieser Situation war. Höchste Zeit, sich Respekt zu verschaffen.

»Wenn Sie Ihr Gewehr weglegen, wird man das zu Ihren Gunsten auslegen«, argumentierte sie.

Da verlor Roger die Geduld und schrie sie an: »Halt die Schnauze, du alte Schlampe!«

Das wirkte. Die Frau zuckte zusammen und presste die Lippen aufeinander. Verstand offensichtlich, dass ihr weitere Argumente nichts einbrachten. Schweigend streichelte sie ihrer Tochter den Kopf. Erneut warf Roger einen Blick aus dem Fenster. Der Wind schien sich fast gelegt zu haben. Es war auch ein wenig dunkler geworden. Nur ein wenig, aber es führte doch dazu, dass die Straßenlaternen angeschaltet wurden. Ihm war nicht wohl in seiner Haut. Lieber wäre er im Nebenzimmer gewesen, in dem etwas geschah, in dem der Filialleiter inzwischen hoffentlich den Safe geöffnet hatte. Er musste darauf vertrauen, dass Frank und Lisa gute Arbeit leisteten. Wie groß würde ihre Beute sein? Eine halbe Million? Eine ganze? Vielleicht noch mehr? Vielleicht genug, um ...

Er zuckte zusammen.

Ein unheilschwangeres Geräusch kam näher und gellte in seinen Ohren, das schlimmste aller Geräusche, das, vor dem er am meisten Angst gehabt hatte. Eine Sirene. In seinen Träumen hatte er sie gehört. Die Sirene eines Polizeiautos. Rasch wurde sie lauter, dröhnte in seinem Kopf und trieb ihm kalten Schweiß auf die Stirn. Die Bullen kamen. Der verdammte Filialleiter musste unbemerkt den Alarm ausgelöst haben.

Lisa erschien in der Türöffnung.

»Siehst du was?«

»Nein.«

Als ginge ihnen in diesem Moment derselbe Gedanke durch den Kopf, wandten beide ihre Köpfe ruckartig zur Frau des Filialleiters um. Diese schien nicht minder erschrocken, und Roger begriff, warum. Sie hatte gedacht, dass die Bankräuber sie in Ruhe lassen und sich aus dem Staub machen würden, sobald sie die Beute verstaut hatten. Jetzt rechnete sie offenbar mit einem möglichen Geiseldrama mit den schlimmsten Folgen für ihre kleine Familie.

Während Lisa sich ans Fenster stellte, um hinauszusehen, war Roger wie gelähmt und konnte seinen Blick nicht von Mutter und Tochter wenden. Eigentlich wollte ich gar nicht mitmachen. Er krümmte die Zehen zusammen, während das Geräusch zu einem ohrenbetäubenden Crescendo anschwoll.

3

Als das Heulen schwächer wurde und einen völlig anderen Charakter annahm, wurde Roger beinahe übel vor Erleichterung. Das nannte man Dopplereffekt, so viel wusste er. Der Einsatzwagen war an der Vorderseite der Bank vorbeigefahren und entfernte sich. Dass ihm der Schweiß nicht in die Augen lief lag daran, dass er von dem Stoff über der Stirn aufgesaugt wurde. Das Mädchen hatte aufgehört zu weinen. Es glotzte Lisa an, die sich zu Roger umdrehte und ihm einen freundschaftlichen Stoß gab. Aus Erleichterung, glaubte er. Roger schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte, und spürte die Feuchtigkeit seiner Handflächen in den Handschuhen. Und als er von einem Bein auf das andere trat, bemerkte er, wie weich seine Knie geworden waren. Er verfluchte denjenigen, der die Polizei oder einen Krankenwagen verständigt hatte. Beim nächsten Schreck würde er vor Angst umkommen.

Lisa lief aus dem Zimmer, war aber im nächsten Moment zurück und winkte die Geiseln mit der Hand zu sich. »Schnell jetzt!«

Die Frau legte dem Kind den Arm um die Schultern und führte es zur Tür. Sie folgten Lisa auf den Flur und in das Nebenzimmer hinein. Roger, der hinter ihnen herging, blieb in der Türöffnung stehen. Der Anblick, der sich ihm bot, war keineswegs überraschend. In dem spärlich eingerichteten Raum war nur sehr wenig Platz. Die hellgrünen Wände hatten keine Fenster. Die Tür des Tresors stand offen. Der untersetzte Filialleiter hatte seinen Mantel über den einzigen Stuhl des Raumes gelegt. Er stand kerzengerade da und ließ die Hände schlaff herunterhängen, als müsse er sich von schwerer Arbeit erholen. Frank hatte sicher nur zugeschaut, während der Mann die Geldbündel aus dem Safe geholt hatte. Dem Filialleiter huschte ein Lächeln übers Gesicht, als er sah, dass Frau und Tochter unversehrt waren. Sie stellten sich neben ihn. Frank nahm die Tasche und trug sie auf den Gang hinaus. Sie schien nicht mehr leer zu sein.

»Schieß, wenn sie Schwierigkeiten machen!«, sagte er zu Roger.

Zusammen mit Lisa trat er auf den Gang hinaus. Roger rechnete damit, dass sie noch das Geld, das sich möglicherweise in den Kassen im Schalterraum befand, mitgehen lassen wollten. Frank hatte anfangs zwar gesagt, er scheiße auf das Kleingeld, aber jetzt schien er es sich anders überlegt zu haben. Weil die Ausbeute bisher enttäuschend war? Weil seine Gier überhand genommen hatte? Herrgott, sie sollten sehen, dass sie die Kurve kriegten, bevor doch noch jemand Alarm auslöste und ihre Träume zunichte machte. Die nächste Sirene konnte ihnen gelten.

Glücklicherweise schienen die drei Menschen, die sich eng aneinander drückten, um ihr Leben zu fürchten. Er sah keinen Anlass mehr, sie zu zwingen, die Hände nach oben zu halten. Das Mädchen hatte aufgehört zu schluchzen. Es stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte seinen Eltern etwas zu. Sie erschießen? Nein, es würde nicht einmal notwendig sein, einen Warnschuss abzugeben. Frank konnte das unmöglich ernst gemeint haben. Doch wusste er eigentlich, wie weit dieser in einer prekären Situation gehen würde? Dieser Gedanke ließ ihn frösteln. Er respektierte und bewunderte Frank, der ihn vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Dennoch lag etwas Finsteres und Bedrohliches in seinem Blick, das ihm Angst machte. Was war mit ihm selbst, Roger Dalvang? War er viel besser? Vor nicht einmal einer Woche hatte er – nach reiflicher Überlegung – das Gewehr auf sich selbst gerichtet, um seinem Leben ein Ende zu machen. Aber das war etwas ganz anderes gewesen. Eigentlich sollte er nicht zulassen, dass Eltern und Tochter miteinander tuschelten; der Filialleiter konnte dies als Zeichen der Schwäche deuten.

»Was sagt die Kleine?«

Der Klang seiner Stimme ließ sie zusammenschrecken, was ihm gut gefiel. Er hatte sie unter Kontrolle.

»Sie sagt nur, dass die Frau Lisa heißt«, antwortete die Mutter.

»Hm.«

Das Mädchen hatte offenbar gut aufgepasst, als sie unvermutet in der Tür gestanden und Frank ihn aufgefordert hatte, Lisa zu holen. Doch erst als der Filialleiter seiner Frau einen warnenden Blick zuwarf, begriff Roger, was es bedeutete, dass Frank in seiner Erregung den Namen einer Komplizin ausgeplaudert hatte. Damit hatte die Polizei einen ersten Anhaltspunkt bei der Fahndung nach ihnen. Frank war bei weitem nicht so professionell, wie er vorgab. Er hatte sie zu größter Wachsamkeit angehalten, und dann beging er selbst bei der ersten Gelegenheit einen so kapitalen Fehler. Dieses eine Wort konnte ausreichen, um sie alle hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Jetzt hatte er nicht nur kalten Schweiß auf der Stirn, sondern spürte, wie ihm kleine Bäche aus den Armhöhlen hinunterliefen. Ihm war klar, dass er Frank, der gesagt hatte Schieß, wenn sie Schwierigkeiten machen, warnen sollte. Er blieb im Türrahmen stehen und trippelte auf der Stelle, vor Unschlüssigkeit – und vor Angst. Was war, wenn Frank beschloss, die drei wegen seines Leichtsinns – seines eigenen Leichtsinns! – einfach umzubringen?

Der Filialleiter hatte den Kopf gehoben und blickte ihn mit sonderbarem Ausdruck an. Ahnte er, dass Roger in diesem Moment mit seinem Gewissen rang?

Roger entschloss sich zu schweigen, zumindest vorläufig. Lisa war doch ein ziemlich geläufiger Name. Wenn sie nur endlich fertig würden und die verdammten Münzen liegen ließen. Die ganze Aktion war sehr viel schlimmer, als er sie sich vorgestellt hatte. Obwohl sie als Angreifer die Oberhand hatten, piesackte ihn die Angst wie eine Horde aufgeschreckter Ameisen. Innerhalb der Familie wurde kein Wort mehr gewechselt. Sie schauten ihn bloß ernst und anklagend an, starrten so, dass sein Zwerchfell schmerzte und die Wut in ihm hochkochte. Kein Laut war zu hören. Keine Uhr tickte, um zu signalisieren, dass die Zeit verstrich. Nicht ein Laut ... Eine neue Angst hatte ihn im Nacken gepackt – was war, wenn Frank und Lisa gar nicht nach Kleingeld suchten? Wenn sie die Bank durch den Vordereingang verlassen hatten und sich längst im Auto befanden, um von hier zu verschwinden? Für den Bruchteil einer Sekunde sah er den Corolla in Richtung Süden fahren, Frank lächelnd am Steuer, Lisa lächelnd neben ihm und die Geldtasche auf dem Rücksitz. Lächelnd, weil sie keine Verwendung für den Amateur Roger Dalvang mehr hatten. Er umfasste die Waffe noch fester, packte zu, um nicht die Besinnung zu verlieren. Aber das reichte nicht aus. Er musste nachschauen, ob sie ihn nicht im Stich gelassen hatten. Schon wollte er Frank! rufen, hütete sich aber im letzten Moment davor, dessen Fehler zu wiederholen. Im Grund konnte er sich bei dem kleinen Mädchen bedanken, das plötzlich die Stille gebrochen hatte:

»Mama, ich muss aufs Klo.«

Im selben Moment hörte er rasche Schritte näher kommen. Es war vorbei. Endlich konnten sie fahren.

Frank, die Adidastasche in einer, das Gewehr in der anderen Hand, stieß ihn zur Seite und auf den Gang hinaus.

»Gibt es einen Schlüssel zu diesem Raum?«, fragte er.

Der Filialleiter deutete auf die Tür.

»Der Schlüssel steckt. Aber bitte schließen Sie uns hier nicht ein. Wir kriegen keine ...«

»Für wie blöd halten Sie uns eigentlich?«

»Ich bitte Sie. In diesem Raum gibt es keine Frischluftzufuhr. Wir werden ersticken.«

»Ein Kerl wie Sie wird die Tür schon irgendwann aufbekommen.«

»Ich flehe Sie an! Die Kleine muss mal ...«

»Nur zu.«

Frank gab Roger die Tasche. Mit der freien Hand begann er die Tür zuzuziehen. In diesem Moment machte die Frau des Filialleiters einen unüberlegten Sprung nach vorne, um ihn daran zu hindern. Frank trat einen Schritt zur Seite, ließ die Klinke los und riss die Waffe hoch. Der kurze Doppellauf der Flinte traf die Frau genau an der Nahtstelle zwischen Mantelkragen und nacktem Hals. Sie sank zu Boden und blieb reglos auf dem Bauch liegen.

»Verdammte Schlampe!«, schrie Frank.

Während sich der Filialleiter zu seiner Frau hinunter beugte, knallte Frank die Tür zu und drehte den Schlüssel um. Roger brachte keinen Ton heraus und wollte nichts wie weg.

Als Lisa die Tür nach draußen öffnete, blies ihnen der Wind ins Gesicht, der in der Zwischenzeit den Kofferraumdeckel zugeschlagen hatte, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Lisa warf die Tasche auf den Rücksitz und sprang hinterher, während sich die beiden anderen ebenso schnell auf ihre Sitze warfen. Auf dem offenen Platz waren keine Menschen zu sehen. Nur der Audi stand neben zwei anderen Wagen am Straßenrand. Rogers Hände zitterten so sehr, dass er sie nicht klar erkennen konnte. Sein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. Es wunderte ihn, dass er überhaupt in der Lage war, den Autoschlüssel ins Zündschloss zu stecken.

»Runter mit den Masken!«, kommandierte Frank. »Weg mit den Anzügen und Handschuhen.«

Sie gehorchten wie gedrillte Soldaten, bevor Roger Gas gab.

»Nach rechts, nicht zu schnell!« Franks Stimme zitterte unmerklich.

Roger, dem klar war, dass er keine absolute Kontrolle über seine Bewegungen hatte, steuerte den Wagen mit größter Sorgfalt. Er bog zwei weitere Male nach rechts ab, bevor sie an der Vorderseite der Bank vorbeifuhren, so, wie sie es bereits vor einer Stunde getan hatten. Es war beinahe 16 Uhr 30; kaum zu glauben, dass sie höchstens zwanzig Minuten in der Bank zugebracht hatten. Alles schien unverändert. Von draußen betrachtet, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass diese Bank soeben ausgeraubt worden war.

»Glückwunsch, Jungs!«, kam es von Lisa.

Frank war dies offenbar zu voreilig. »Weiter geradeaus«, sagte er zu Roger. »Am Klett-Kreuz fahren wir auf die Autobahn.«

Die Dämmerung war nun weit fortgeschritten. Sie gerieten nicht in Versuchung, zu schnell zu fahren, da sie sich bald im dichten Feierabendverkehr befanden, der nur langsam vorankam.

»Glaubst du ... du hast sie ... getötet?«, stotterte Roger.

»Ach was! Einen kleinen Stoß wird die Alte schon vertragen. Ich muss erst mal eine rauchen.«

»Aber ... wenn sie wirklich keine Luft kriegen da drinnen?«

»Das war doch alles nur Gerede. Außerdem können sie von Glück sagen, dass die Knarre nicht losging.«

»Haste echt super gemacht, Frank«, sagte Lisa.

»Bin ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen.«

»Abgesehen davon, dass du Lisas Namen laut gesagt hast«, warf Roger ein.

»Ach, wirklich?«

»Ja, und ich glaube, das Kind hat das mitbekommen.«

»Na und?«

»Sie könnte doch ...« Roger hielt inne. Jetzt hatte er Frank zumindest informiert.

»Hast du wirklich meinen Namen gesagt?«, fragte Lisa ängstlich.

»Und wenn schon. Ich bin doch der Einzige, der dich Lisa nennt. Du heißt schließlich Elisabeth.«

Roger fand diese Antwort alles andere als beruhigend. Der Chef hatte einen Fehler gemacht, wollte dies aber nicht einräumen. Frank wechselte das Thema. »Der Stau gefällt mir nicht. Wir kommen viel zu langsam voran.«

Roger musste ihm Recht geben. Selbst für diese Uhrzeit ging es ungewöhnlich schleppend vorwärts.

»Die Sirene, die wir vorhin gehört haben ...«, begann Lisa. »Vielleicht ist irgendwo ein Unfall passiert.«

»Das werden wir gleich wissen«, sagte Frank. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und begann am Radio zu fummeln. Hielt es an sein Ohr und lauschte.

Eigentlich sollten sie in lauten Jubel ausbrechen, dachte Roger. Sie hatten doch gerade einen nahezu perfekten Bankraub begangen. Niemand folgte ihnen. Niemand wusste, wo sich die Bankräuber jetzt aufhielten. Doch die Anspannung war immer noch spürbar. Dachten auch die beiden anderen daran, dass Franks Versprecher sie um den Lohn ihrer Arbeit bringen konnte? Und was war, wenn Frank wirklich so hart zugeschlagen hatte, dass die Frau starb, noch ehe ihr jemand zu Hilfe eilen konnte? Die Bremslichter des Wagens vor ihnen leuchteten auf, und im nächsten Augenblick kam der Verkehr vollständig zum Erliegen.

»Verdammte Scheiße!«, rief Frank. »Die Bullen sagen, dass die Zufahrt zur Autobahn wegen des Unwetters gesperrt ist. Auf der Autobahn steht schon jetzt der Verkehr still.«

Es bestand kein Zweifel, dass der Wind wieder zugenommen hatte. Aber war er wirklich so stark, dass die frei liegenden Straßen durch Schneeverwehungen nahezu unbefahrbar geworden waren? Die Autoschlange bewegte sich nur hin und wieder ein paar Meter weiter.

»Haben sie was vom Überfall gesagt?«, fragte Lisa.

»Nein, das ist noch zu früh. Die werden noch nicht mal die Tür aufgekriegt haben.«

Nach weiteren hundert Metern stand der Verkehr wieder völlig still. Roger gefiel der Gedanke nicht, der Fahrer hinter ihnen könne sich womöglich die Autonummer des Corolla einprägen. Auf der gegenüberliegenden Fahrspur kamen ihnen nur wenige Fahrzeuge