Immensee - Theodor Storm - E-Book

Immensee E-Book

Theodor Storm

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Beschreibung

Für RUTHeBooks Klassiker lassen wir alte oder gar schon vergriffene Werke als eBooks wieder auferstehen. Wir möchten Ihnen diese Bücher nahebringen, Sie in eine andere Welt entführen. Manchmal geht das einher mit einer für unsere Ohren seltsam klingenden Sprache oder einer anderen Sicht auf die Dinge, so wie das eben zum Zeitpunkt des Verfassens vor 100 oder mehr Jahren "normal" war. Mit einer gehörigen Portion Neugier und einem gewissen Entdeckergeist werden Sie beim Stöbern in unseren RUTHeBooks Klassikern wunderbare Kleinode entdecken. Tauchen Sie mit uns ein in die spannende Welt vergangener Zeiten!

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Seitenzahl: 48

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Theodor Storm

Immensee

Impressum

Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016
ISBN: 978-3-944869-69-8
Für Fragen und Anregungen: [email protected]
RUTHeBooks
Am Kirchplatz 7
D 82340 Feldafing
Tel.   +49 (0) 8157 9266 280

Inhalt

Kapitel 1 - Der Alte

Kapitel 2 - Die Kinder

Kapitel 3 - Im Walde

Kapitel 4 - Da stand das Kind am Wege

Kapitel 5 - Daheim

Kapitel 6 - Ein Brief

Kapitel 7 - Immensee

Kapitel 8 - Meine Mutter hat's gewollt

Kapitel 9 - Elisabeth

Kapitel 10 - Der Alte

Kapitel 1 - Der Alte

An einem Spätherbstnachmittage ging ein alter, wohlgekleideter Mann langsam die Straße hinab. Er schien von einem Spaziergang nach Hause zurückzukehren; denn seine Schnallenschuhe, die einer vorübergegangenen Mode angehörten, waren bestäubt. Den langen Rohrstock mit goldenem Knopf trug er unter dem Arm; mit seinen dunkeln Augen, in welche sich die ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien und welche eigentümlich von den schneeweißen Haaren abstachen, sah er ruhig umher oder in die Stadt hinab, welche im Abendsonnendufte vor ihm lag.

Er schien fast ein Fremder; denn von den Vorübergehenden grüßten ihn nur wenige, obgleich mancher unwillkürlich in diese ernsten Augen zu sehen gezwungen wurde. Endlich stand er vor einem hohen Giebelhause still, sah noch einmal in die Stadt hinaus und trat dann in die Hausdiele. Bei dem Schall der Türglocke wurde drinnen in der Stube von einem Guckfenster, welches nach der Diele hinausging, der grüne Vorhang weggeschoben und das Gesicht einer alten Frau dahinter sichtbar. Der Mann winkte ihr mit seinem Rohrstock.

"Noch kein Licht!" sagte er in einem etwas südlichem Akzent; und die Haushälterin ließ den Vorhang wieder fallen. Der Alte ging nun über die weite Hausdiele, dann durch einen Pesel, wo große Eichschränke mit Porzelanvasen an den Wänden standen; durch die gegenüberstehende Tür trat er in einen kleinen Flur, von wo aus eine enge Treppe zu den oberen Zimmern des Hinterhauses führte. Er stieg sie langsam hinauf, schloß oben eine Tür auf und trat dann in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt; an der anderen hingen Bilder von Menschen und Gegenden; vor einem Tische mit grüner Decke; auf dem einzelne aufgeschlagene Bücher umherlagen, stand ein schwerfälliger Lehnstuhl mit rotem Sammetkissen.

Nachdem der Alte Hut und Stock in die Ecke gestellt hatte, setzte er sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange auszuruhen.

Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem, schwarzen Rahmen.

"Elisabeth!" sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt - er war in seiner Jugend.

Kapitel 2 - Die Kinder

Bald trat die anmutige Gestalt eines kleinen Mädchens zu ihm. Sie hieß Elisabeth und mochte fünf Jahre zählen; er selbst war doppelt so alt. Um den Hals trug sie ein rotseidenes Tüchelchen; das ließ ihr hübsch zu den braunen Augen.

"Reinhard!" rief sie. "Wir haben frei, frei! Den ganzen Tag keine Schule und morgen auch nicht."

Reinhard stellte die Rechentafel die er schon unterm Arm hatte, flink hinter die Haustür, und dann liefen beide Kinder durchs Haus in den Garten und durch die Gartenpforte hinaus auf die Wiese. Die unverhofften Ferien kamen ihnen herrlich zustatten. Reinhard hatte hier mit Elisabeths Hilfe ein Haus aus Rasenstücken aufgeführt; darin wollten sie die Sommerabende wohnen; aber es fehlte noch die Bank. Nun ging er gleich an die Arbeit; Nägel, Hammer und die nötigen Bretter lagen schon bereit. Währenddessen ging Elisabeth an dem Wall entlang und sammelte den ringförmigen Samen der wilden Malve in ihre Schürze; davon wollte sie sich Ketten und Halsbänder machen; und als Reinhart endlich trotz manches krumm geschlagenen Nagels seine Bank dennoch zustande gebracht hatte und nun wieder in die Sonne hinaustrat, ging sie schon weit davon am anderen Ende der Wiese.

"Elisabeth!" rief er. "Elisabeth!" Und da kam sie und ihre Locken flogen. "Komm", sagte er, "nun ist unser Haus fertig. Du bist ja ganz heiß geworden; komm herein, wir wollen uns auf die neue Bank setzen. Ich erzähl' die etwas."

Dan gingen sie beide hinein und setzten sich auf die neue Bank.

Elisabeth nahm ihre Ringelchen aus der Schürze und zog sie auf lange Bindfäden; Reinhard fing an zu erzählen: "Es waren einmal drei Spinnfrauen..."

"Ach", sagte Elisabeth, "das weiß ich ja auswendig; du mußt auch nicht immer dasselbe erzählen."

Da mußte Reinhart die Geschichte von den drei Spinnfrauen steckenlassen, und statt dessen erzählte er die Geschichte von dem armen Mann, der in die Löwengrube geworfen war. "Nun war es Nacht", sagte er, "weißt du, ganz finstere, und die Löwen schliefen. Mitunter aber gähnten sie im Schlaf und reckten die roten Zungen aus; dann schauderte der Mann und meinte, daß der Morgen komme.

Da warf es um ihn her auf einmal einen hellen Schein, und als er aufsah, stand ein Engel vor ihm. Der winkte ihm mit der Hand und ging dann gerade in die Felsen hinein."

Elisabeth hatte aufmerksam zugehört. "Ein Engel?" sagte sie. "Hatte er denn Flügel?"

"Es ist nur so eine Geschichte", antwortete Reinhart, "es gibt ja gar keine Engel."

"O pfui, Reinhart!" sagte sie und sah ihm starr ins Gesicht. Als er sie aber finster anblickte, fragte sie ihn zweifelnd: "Warum sagen sie es denn immer? Mutter und Tante und auch in der Schule?"

"Das weiß ich nicht", antwortete er.

"Aber du", sagte Elisabeth, "gibt es denn auch keine Löwen?"