Interpretation - Christian Dinse - E-Book

Interpretation E-Book

Christian Dinse

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Beschreibung

Eine abwechslungsreiche Sammlung von Geschichten und Gedichten zum Nachdenken, Schmunzeln und Weitererzählen. »Ich schaue ihn entgeistert an, schüttle den Kopf und erzähle ihm, dass ich gerade auf einer Kuh geritten bin. Er erwidert: 'Vergiss den Quatsch, das hier ist die Realität.' Ich antworte mit forscher Stimme: 'Diese dämliche Realität ist doch nur was für Leute, die sich nichts Schöneres vorstellen können. Lass uns mittagessen.'«

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Seitenzahl: 41

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

© 2018 Christian Dinse

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt

Satz und Layout: Christian Dinse

Lektorat: Nora Behringer

Coverfoto: Christophe Papke

Umschlag: Christian Dinse

Speziellen Dank an:

Alicia Sophie Seiler, Franziska Strigl, Renate Dinse

Unvergessen:

Ellie Soutter, Estelle Balet, Franzi, Michael Galla, Miri Pielhau, Sarah Burke, Sigi von Koeding, Tommy Brunner

Online: https://www.cdinse.com/interpretation

1. Auflage

ISBN 978-3-748-11134-4

Interpretation

InterpretationDurch einen SpiegelIm ersten AugenblickDas ist der UnterschiedMittwochCharlottenburgGefangen (1999)Gedichte für J. (2010)Liebeserklärung an eine StadtKarina ist weggezogenDie FrageDas Kapital (2011)Referenzen und VerweiseCoverImpressum

Christian Dinse

Interpretation

Für Franziska und Franziska

Durch einen Spiegel

Fenster auf. Fenster zu. Fenster auf. Fenster zu. Fenster zu. Fenster zu. Fenster zu. Fenster zu. Da ist sie. Gebannt schaue ich in ihre strahlenden, rehbraunen Augen und streichle wie elektrisiert ihr gewelltes, weiches Haar, das sich lässig auf ihrer linken Schulter zur Ruhe gesetzt hat. Mein Sonnenschein an Regentagen. Zu fest in der Hand der Gefangenschaft des Alltags, des Rechtschaffens. Das eigenwillige, gewitzte, aufopfernde und schon mal über die Stränge schlagende Mädchen aus der unaussprechlichen Gegend.

Auf ihrer rechten Schulter sind die Haare gefangen und atemlos. Eingeklemmt unter dem Träger vom Rucksack, gebettet auf karierter Bluse. Neben dem Ohrring, der schon ihrer Großmutter gehörte und der mehr über sie erzählen könnte als ich mir in meinen kühnsten Träumen auszumalen vermag, surrt eine Fliege. Auch kariert ist die Wolldecke. Die Decke aus dem Campingbus. Die Decke, die Fransen hat und Fäden zieht. Die Decke, die durch Kerzenwachs an Festivalabenden und Hundekrallen sowohl Materialauftrag als auch Materialabtrag erfahren hat. Die karierte Wolldecke, die im passenden Moment immer bei uns ist. Picknicknachmittag.

Sie liegt. Unter der strahlenden Sonne. Sie liegt lässig auf dem hellgrünen Rasen vor einer Baumreihe. Noch nicht allzu lang her, da haben wir Zettel verteilt um dieses kleine Idyll mitten im Betondschungel vor Baggern zu retten. Abgeschmettert sind wir worden, aber irgendwie auch gehört. Wir atmen die Ruhe und sehnen noch viele Tage in der Oase. Abermals versucht Giulia mir ihre Muttersprache näher zu bringen, aber mehr als ein »barbe à papa« und etwas wie »je ne le comprends pas« schaffe ich in freier Wildbahn bis heute nicht. Nicht weit neben uns eine Familie aus drei Generationen, weiter hinten ein Springbrunnen und um uns herum toben zwei Jungs mit einem Fußball. Weiter vorn, am Rand der Wiese, direkt am Kieselsteinweg liegt eine Straße mit gelber Bushaltestelle. Unweit davon eine Gruppe sonnengelb-behuteter und Kindergärtnerin-behüteter Kinder, die darauf wartet, dass der ebenfalls anwesende Verkehrspolizist das Zeichen zum Überqueren der Fahrbahn gibt. Ich mag es anzusehen, wie die lieben Kleinen in Gemeinschaft den Umgang mit alltäglichen Gefahren des Lebens lernen und alles Neue aufsaugen und analysieren. Ich mag es mir vorzustellen, wie sich in ihren Köpfen die abstrakten Bilder der Wirklichkeit als real gewordene Spielteppichszenen zu nachvollziehbaren und überraschenden Tagträumen entwickeln und im Laufe der Zeit zu üblichen Tageserlebnissen werden. Der Polizist winkt und die kleine Bande setzt sich in Zweierreihen in Bewegung. Verkehrserziehung im Backsteindickicht. Steine als Stufen verstehen, als Hoffnungsträger, als Zeitzeugen. Wurfgeschoss für Wasserkreisel, interpretiert als Heimat. Nicht nur im Frühling meine Liebe, nicht nur Schutz und Geborgenheit, nein Seelenfrieden und Schlafplatz.

Bei Sonnenschein gibt es hier Kaffee, gebrüht mit Pulver aus handbetriebenen Mühlen. Bei Sturm gibt es hier eigenwillige Geräusche und bei Regen eigene Flüsse. Meine Liebe war schon immer die Stadt, Bleistiftzeichnungen, Slalom um parkende Autos und in vollen Bahnen reisen. Meine Liebe war auch immer Musik und dieser gegenwärtig erweichende Klang einer jugendlichen Sopran, deren Ursprung hier vor mir im Gras liegt. Die Bluse luftig über dem grauen Top. Ihr linker Schuh wurde erst vor wenigen Minuten unglücklich von einem Schluck Wasser aus meinem Mund getroffen, als wir im blumenverhangenen Innenhof eines kleinen Restaurants standen, in dem die Größe der Herzlichkeit dem Ausmaß der Witzigkeit des Wein-Sommelière in nichts nachstand. »Keine Witze, wenn ich trinke.« Es prustete einfach aus mir heraus und sie hat gelacht. Gleich hat sie gelacht, als ich Fotos auf dem Wohnzimmertisch sortierte, sie ins Badezimmer verschwand, sich aber – durch einen ziemlich geschickten Aufbau der Wohnung – von hinten anschlich und mich in die Seite zwickte. Damals war es Tee auf ihrem nackten Bein. Wir haben gemeinsam gestaunt, als es einmal leise am Küchenfenster geklopft hat und ein kleiner Vogel die Scheibe energisch mit seinem Schnabel bearbeitete. »Nestbau liegt in den Genen« hat sie damals gesagt und dass Bäume eigentlich besser geeignet sind, für den kleinen Piepmatz.