Jack Carter ist unsterblich - Rebekka Derksen - E-Book
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Jack Carter ist unsterblich E-Book

Rebekka Derksen

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Beschreibung

Vorhang auf für Jack Carter, New Yorks einziges unsterbliches Arschloch!  »›Ist es Ihnen peinlich, Gefühle für sie zu empfinden?‹ ›Wenn ich Schmetterlinge im Bauch haben will, esse ich welche.‹« Wer sich vom Hochhaus stürzt, stirbt. Jack aber nicht. Stattdessen muss er zur Therapie und dort in 48 Sitzungen erklären, was eigentlich sein Problem mit dem Leben ist. Und warum er versucht, seine Unsterblichkeit, das Verhältnis zu seiner Ex-Freundin und die geheime Militärorganisation, die ihn zum Superhelden ausbilden möchte, zu ignorieren. »Mich [hat] diese doch eher ungewöhnliche Art der Geschichte von Anfang an fasziniert und du hast mit Jack Carter einen meiner Lieblingscharaktere erschaffen. Die Mischung zwischen Sarkasmus, trauriger Realität und Superheldenschwachsinn war genau richtig.« (Leserstimme auf Wattpad, MafiaBoss007) Eine abgedrehte Superhelden-Wattpad-Story voller Sarkasmus und Tiefgang für alle, die »Deadpool« lieben Wattpad verbindet eine Gemeinschaft von rund 90 Millionen Leser:innen und Autor:innen durch die Macht der Geschichte und ist damit weltweit die größte Social Reading-Plattform. Bei Wattpad@Piper erscheinen nun die größten Erfolge in überarbeiteter Version als Buch und als E-Book: Stoffe, die bereits hunderttausende von Leser:innen begeistert haben, durch ihren besonderen Stil beeindrucken und sich mit den Themen beschäftigen, die junge Leser:innen wirklich bewegen!

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Bei »Jack Carter ist unsterblich« handelt es sich um eine bearbeitete Version des auf Wattpad.com von FrauBrummer ab 2015 unter demselben Titel veröffentlichten Textes.

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Prolog

1. Sitzung

2. Sitzung

3. Sitzung

4. Sitzung

5. Sitzung

6. Sitzung

7. Sitzung

8. Sitzung

9. Sitzung

10. Sitzung

11. Sitzung

12. Sitzung

13. Sitzung

14. Sitzung

15. Sitzung

16. Sitzung

17. Sitzung

18. Sitzung

19. Sitzung

20. Sitzung

21. Sitzung

22. Sitzung

23. Sitzung

24. Sitzung

25. Sitzung

26. Sitzung

27. Sitzung

28. Sitzung

29. Sitzung

30. Sitzung

31. Sitzung

32. Sitzung

33. Sitzung

34. Sitzung

35. Sitzung

36. Sitzung

37. Sitzung

38. Sitzung

39. Sitzung

40. Sitzung

41. Sitzung

42. Sitzung

43. Sitzung

44. Sitzung

45. Sitzung

46. Sitzung

47. Sitzung

48. Sitzung

Epilog

Danke

Für die Kiffer, die Vernarbten, die Guten, die Crew und Wade Winston Wilson.

Prolog

Wenn man »Selbstmord« googelt, stößt man als Erstes auf die Nummer der Telefonseelsorge, blöd nur, dass die mir nicht helfen können. Als Nächstes folgt dann der Wikipedia-Artikel zum Thema Suizid, aber dort findet man keine direkte Anleitung. Und unter der Anzeige habe ich dann einen Artikel über Pierce Brosnan gefunden, der der festen Überzeugung ist, nie an Selbstmord gedacht zu haben – wer’s glaubt, wird selig, Pierce.

Also habe ich die Sucheingabe geändert, anstatt nur »Selbstmord« habe ich »Selbstmordanleitung für Dumme« eingegeben. Und siehe da, raus kam: »Selbstmordanleitung – in fünf Minuten tot!« Klingt zunächst doch sehr überzeugend, richtig? Tja, das habe ich mir auch gedacht. Dann habe ich angefangen diese Anleitung durchzukauen, mehrmals. Blöderweise habe ich keine Schlafstörungen und demnach auch keine Tabletten, habe mich aber gefragt, ob ich mich auch einfach mit Gras zudröhnen könnte. Aber dafür war mir der Stoff dann doch zu gut. Tja, und einen Föhn habe ich auch nicht. Außerdem besitze ich auch keine Badewanne, und in einer Dusche kann man sich nicht ertränken – das habe ich schon probiert. Anstatt mich also weiter mit klischeehaften Selbstmordanleitungen zu befassen, habe ich beschlossen, das Ganze klassisch durchzuziehen.

So kommt es übrigens auch, dass ich jetzt auf einem Dach stehe, mir den Arsch abfriere und meine letzte Zigarette rauche. Die Sicht ist durch meine schwarze Sonnenbrille ziemlich getrübt, und ich hätte mir eine Jacke überwerfen sollen, anstatt nur in einem schwarzen Sweatshirt herumzulaufen. Andererseits hätte ich vielleicht besser einen Anzug anziehen sollen – für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich doch in den Himmel komme. Ob der zu meinen ranzigen Chucks gepasst hätte?

Ich ziehe noch einmal an der Zigarette, genieße meinen hoffentlich letzten Zug und schließe die Augen. Dann blase ich den Rauch wieder hinaus. Zum Abschluss werfe ich den übrig gebliebenen Kippenstummel achtlos auf den Schotter hinter mir. In Filmen schließt man jetzt ganz dramatisch die Augen. Die breiten ihre Arme aus und tun so, als könnten sie fliegen. Das tue ich nicht, stattdessen beschließe ich, mit einem Salto abzutreten, allerdings kann ich keinen – weswegen die Idee auch sofort wieder verworfen wird. Also ein letztes Mal ein- und ausatmen, die Knie leicht beugen und dann springen. Endlich sterben.

Blöd nur, dass ich unsterblich bin.

1. Sitzung

»Können Sie die Sonnenbrille abnehmen?«, bittet mich die gut aussehende Brünette hinter dem Schreibtisch.

»’tschuldige, Babe, aber von der beschissenen Ikea-Lampe krieg ich das Kotzen«, erkläre ich und gähne. Mein Kopf pocht wie verrückt, und ich hab das Gefühl, dass ich mit nur einer falschen Bewegung den Würgereflex auslösen könnte.

»Nun gut, Mister Carter. Sie wissen hoffentlich, wieso Sie hier sind?«

Irgendwas kritzelt sie in ihren Notizblock, und ich könnte schwören, dass sie meinen vorigen Kommentar in Anführungszeichen setzt – mich also zitiert. Der würde ich noch glatt zutrauen, dass sie es meinem Bewährungshelfer vorlegt. Wegen dem Typen muss ich nämlich hier sitzen und wegen diesem alten Opa, der mich angezeigt hat, weil ich zu oft von seinem Hausdach gesprungen bin. Das endete dann natürlich vor Gericht, und da der Richter wohl glaubte, dass ich einfach nur eine Macke habe, hat er mir statt Sozialstunden diesen Scheiß hier aufgebrummt. Achtundvierzig Sitzungen bei einer Psychiaterin, die sich so benimmt, als wäre jedes Wort, das ich sage, unfassbar wichtig.

»Ja, Sie schreiben sich irgendetwas auf und legen es dem Richter vor. Wahrscheinlich schreiben Sie dasselbe Zeug wie all die anderen. Ich sei psychisch labil, schwer depressiv und den ganzen anderen Scheiß. Außerdem Alkoholiker und ein Junkie. Des Weiteren neigte ich zu maßloser Selbstüberschätzung, und das mit der Unsterblichkeit muss ich doch nicht erwähnen, oder?«

So, damit habe ich alles aufgezählt. Und irgendwie breitet sich in meinem Mund ein wirklich widerlicher Geschmack von Galle aus. Hiernach sollte ich meinem Dealer einen Besuch abstatten und mir was Natürliches verschreiben lassen. Diesen Tag stehe ich in dem jetzigen Zustand nämlich definitiv nicht durch.

»Gut, und was glauben Sie, wie ich Ihnen helfen kann?«, reißt mich die Therapeutin aus meiner Nachmittagsplanung. Noch so eine bescheuerte Frage wie die der ganzen Ärzte vor ihr. Und deshalb kann ich nichts dafür, dass meine Antwort wie immer provokant ausfällt.

»Sie könnten sich ausziehen, und wir treiben es auf dem Tisch.«

»Und das würde Ihnen helfen?«, fragt sie monoton.

»Na ja, Ihnen würde das mehr helfen als mir.«

Sie schmunzelt, schreibt noch etwas auf ihr dämliches Blatt. Vermutlich geht’s jetzt darum, dass ich sie angebaggert habe – und dabei war das noch nicht mal einer von meinen guten Sprüchen. »Also, wie war Ihre Woche?«, wechselt sie einfach das Thema. Vermutlich ist ihr das niveaulose Flirten mit Patienten zu heikel. Irgendwie wäre es aber heiß, wenn es Regeln dagegen geben würde. Ich sollte das mal googeln. Aber ihre neue Frage ist gar nicht mal so dämlich, nur weiß ich nicht genau, was ich dazu sagen soll.

»Meine Woche? Keine Ahnung, war die eine Hälfte besoffen, und die andere hab ich geschlafen. Aber ich schulde ein paar Nutten noch extrem viel Knete.«

Sie seufzt, kritzelt noch was und presst die Lippen aufeinander. Dann antwortet sie. »Und wie haben Sie sich gefühlt? Gab es emotionale Tiefs? Hatten Sie Suizidgedanken?«

»Wow, sachte, Lady. Um Ihnen Ihre letzte Frage zu beantworten: Ich denke immer an Selbstmord. Und zur zweiten Frage: Ich bin dauernd dicht, ich habe bestimmt so ›emotionale Tiefs‹, ich kann mich nur an keins erinnern.«

»Sie haben die erste Frage nicht beantwortet.«

»Und Sie sich immer noch nicht ausgezogen.«

Wieder schmunzelt sie, und ich muss zugeben, dass sie echt nicht hässlich ist und sogar verhältnismäßig jung. Vermutlich hat sie ihren Abschluss erst vor drei oder vier Jahren gemacht, und ihrem Aufzug nach zu urteilen hat sie morgens genug Zeit.

»Mister Carter, wollen Sie die nächsten fünfundvierzig Minuten mit sexuellen Anspielungen verbringen?«

»Nein, nur die nächsten zehn. Dann geh ich davon aus, dass Sie in Unterwäsche auf Ihrem Schreibtisch sitzen und mich anlächeln.«

Sie schreibt noch etwas auf, legt dann den Kopf schief. Wenn ich nicht aufpasse, wird sich noch irgendwas in meiner Hose regen, und das wäre dann mehr als nur peinlich. Also bloß nicht weiter darüber nachdenken, was für Unterwäsche sie tragen könnte. Bestimmt trägt sie ohnehin nichts Besonderes, sondern so langweilige mit Blümchenmuster. Sie arbeitet ja schließlich, da muss sie wohl kaum im roten Spitzenhöschen rumlaufen beziehungsweise sitzen. Ob solche Unterwäsche das Vertrauen der Patienten stärken würde? So einen Sexualstraftäter würde das jetzt nicht unbedingt davon abbringen, Frauen zu vergewaltigen. Okay, vielleicht ist das doch keine gute Idee.

»Wussten Sie, dass Ihr Verhalten ein Anzeichen für fehlendes Selbstbewusstsein ist?«

»Sagen Sie jetzt nicht, Sie haben sich aufgeschrieben, dass ich angeblich kein Selbstbewusstsein habe.«

Das hier wird langsam langweilig, wie viel Uhr ist es überhaupt, und wie lange muss ich noch auf diesem unbequemen Stuhl sitzen? Wieso haben Psychologen eigentlich nie eine Uhr in ihrem Behandlungsraum hängen? Stattdessen sind die Wände hier weiß und kahl, die Fenster sind mit diesen dämlichen Lamellen verdeckt, und so bekomme ich nur wenig Ausblick auf die Stadt. Was mir aber auffällt, ist das Schloss an den Fensterhebeln – man kann sie also nicht so einfach öffnen. Eine Maßnahme, um Selbstmord zu verhindern? Als wäre jemand so verzweifelt und würde sich in einer Praxis killen. Dann muss der Therapeut echt so schlecht sein und das zulassen, oder aber – und das ist wesentlich wahrscheinlicher – der Therapeut will sich selbst killen.

»Wollen Sie wissen, was ich aufgeschrieben habe?«

Ich schüttle den Kopf, so neugierig bin ich auch nicht.

»Gut, Jack. Darf ich Sie so nennen?«

»Sie können es ja stöhnen, wenn Sie unter mir liegen.«

Sie ignoriert auch diesen Kommentar. Dabei macht mir das langsam wirklich Spaß, und es hilft mir dabei, die Kopfschmerzen zu vergessen.

»Jack, ich kann verstehen, dass Ihnen nichts an einer Therapie liegt. Aber denken Sie nicht, dass es Ihnen helfen könnte, mit sich und Ihrer aktuellen Situation klarzukommen?«

»Sie meinen, weil ich unsterblich bin?«

»Nein, weil Sie offenbar schwerwiegende Probleme mit sich selbst haben. Jack, ich würde Ihnen gerne helfen, sich selbst zu verstehen. Denn ich bin mir sicher, dass Ihr Leben um ein Vielfaches komplizierter ist, als Sie es momentan schildern. Allein der ständige Alkoholkonsum beansprucht Ihren Körper stark, wie steht es dann erst mit Ihrer Psyche?«

Ich schüttle den Kopf, seufze und erkläre möglichst einfach mein kleines Problem mit dem Tod.

»Es belastet meinen Körper nicht. Wenn etwas kaputtgeht, dann ist es innerhalb von wenigen Stunden wieder komplett heil – ohne einen einzigen Kratzer. Das schließt abgetrennte Körperteile allerdings aus, glaube ich. Die muss man annähen, und dann wachsen sie halt ganz normal wieder dran. Aber ansonsten läuft die Selbstheilung von selbst, weswegen ich also immer verdammt gut aussehe.«

Sie notiert sich etwas und streicht dann etwas anderes durch. Dann sieht sie auf ihre Armbanduhr – nächstes Mal trage ich auch eine. Moment, nächstes Mal? Als würde ich noch mal herkommen. Allerdings muss ich doch herausfinden, was für Unterwäsche sie trägt.

Die Therapeutin steht auf, legt die zwei Seiten, die sie mittlerweile über mich geschrieben hat, in einen blauen Umschlag – meine Krankenakte. Dann lächelt sie und erwartet wohl, dass ich auch aufstehe. »Gut, dann bis nächste Woche, Mister Carter? Die Empfangsdame wird Ihnen einen Termin geben, und ich reiche meine erste Einschätzung an Ihren Bewährungshelfer weiter.« Sie hält mir ihre Hand hin, die ich allerdings ignoriere.

»Vielleicht ziehen Sie sich ja nächste Woche für mich aus«, bemerke ich zum Abschluss und verlasse dann verkatert den Therapieraum.

2. Sitzung

Die Hände in die Hosentaschen geschoben und der Ollen bloß nicht die Hand geschüttelt, wer weiß schon so genau, ob die ihrem Macker in der letzten halben Stunde nicht einen heruntergeholt und sich danach nicht die Hände gewaschen hat?

»Jack, wie geht es Ihnen heute?«, fragt die Psychologin mich, und erst jetzt fällt mir auf, dass ich ihren Namen nicht weiß. Wieso trägt die auch kein Namensschild? Allein für den Fall, dass sie vergessliche Menschen behandelt, und mal ehrlich, es ist peinlich, nicht den Namen zu wissen, dann muss man das Gespräch immer so seltsam angehen und alles so formulieren, dass es auch ohne Namen funktioniert. Oder noch so eine Albtraum-Situation, wenn sie den gleichen Namen haben. Deswegen sollte man Menschen auch nummerieren, das ist einfacher.

»Sie sind der Doc, wonach sieht es denn aus?«

»Sie tragen keine Sonnenbrille.«

»Und Sie keine Reizwäsche.«

Jetzt schreibt die echt schon wieder irgendetwas auf ihren Block. Allerdings hat sie da noch ein anderes Blatt liegen, etwas Ausgedrucktes, und von meinem Platz aus kann ich nur die Fragezeichen erkennen. Die Tante wird mir doch nicht ernsthaft irgendwelche scheißpsychologischen Fragen stellen?

»Jack, nach unserem ersten Gespräch habe ich etwas nachgedacht und festgestellt, dass Sie in der ersten Sitzung nur sehr wenig über sich erzählt haben, und da ich …«

Prompt unterbreche ich sie; dass ich ihr nämlich von klischeehaften Kindheitstraumata berichte – die ich nicht habe –, kann sie knicken.

»Sie haben meine Strafakte, meine Krankenakte und das Gefasel von den anderen Psycho-Docs, begnügen Sie sich damit.«

Die hat doch allen möglichen Mist an Informationen über mich, wieso muss ich denn jetzt noch irgendetwas erzählen? Kann die nicht einfach irgendeine Diagnose stellen und mich in Ruhe lassen?

»Nein, ich habe auch mit Ihrem Bewährungshelfer gesprochen und bin nun in der Lage, Ihnen ein Ultimatum zu stellen. Entweder Sie nehmen diese Gesprächstherapie ernst und lassen sich helfen, oder ich werde dem Richter einen Bericht zukommen lassen, der Sie Ihre Freiheit kosten könnte.«

»Wow, irgendwie ist das verdammt heiß mit der Erpressung. Können Sie das noch mal sagen, aber dann natürlich ohne Klamotten und im verführerischen Flüsterton?«

Vielleicht sollte ich es mir zur Aufgabe machen, dass ich sie während meiner Zeit hier irgendwann echt mal flachlege oder in den Wahnsinn treibe. Kann ja nicht so schwer sein, und überhaupt, das wäre doch mal eine Geschichte, die man erzählen könnte. ›Ich hab meine Therapeutin genagelt‹ – klingt schon gut.

»Ich schätze, dass mein Mann etwas dagegen einzuwenden hätte.«

»Ach, ist nicht so schlimm. Ich hab schon ein paarmal mit verheirateten Frauen geschlafen«, bemerke ich schulterzuckend und beobachte erneut, wie sie sich etwas notiert und anschließend zu dem Fragenzettel schielt. Jetzt seufzt sie, lächelt und versucht Augenkontakt herzustellen, doch ich beobachte stur die hässliche Zimmerpalme.

»Vielleicht haben Sie es bereits bemerkt, aber nach unserer letzten Sitzung habe ich etwas über Sie nachgedacht. Und dabei sind mir ein paar Fragen in den Sinn gekommen. Fragen, die ich Ihnen gerne stellen würde. Kennen Sie das Frage-Antwort-Spiel?«

Das war verdammt oft das Wort »Frage«.

»Bei den meisten Spielen, die ich kenne, hat man entweder von Anfang an keine Klamotten an oder ›verliert‹ sie im Laufe des Spiels.«

Sie ignoriert mich geflissentlich, schreibt sich auch nichts auf. Nein, stattdessen nimmt sie ihr mit Fragezeichen bedrucktes Blatt zur Hand und beginnt zu erklären.

»Ich stelle Ihnen ein paar Fragen, die einen sind persönlich, die anderen eher formell. Sie müssen keine der Fragen beantworten, es würde mir allerdings helfen, Sie zu verstehen. Bereit?« Sie scheint noch viel weniger Lust auf diese Unterhaltung zu haben als ich. Warum überhaupt? Ich bin absolut fabelhaft. Wie das Einhorn unter den Wildpferden aus Spirit. Gab es da überhaupt ein Einhorn, oder war das einfach nur ein Schimmel? Und wieso benennt man Pferdesorten nach Käse? Und wieso klingt »Pferdesorten«, als würde ich über Eis reden? Ich glaube, ich hätte jetzt gern ein Eis. Vanille.

»Jack – sind Sie bereit?«, wiederholt die Psychiaterin ihre Frage, als sie merkt, dass ich nicht zuhöre.

Als ob man für so etwas bereit sein könnte. Bescheuerte Frage, wenn die nächsten auch so bescheuert sind, antworte ich der gar nicht mehr. Aber gut, jetzt nicke ich erst mal zustimmend.

»Ihnen scheint Sexualität wichtig zu sein, ist das korrekt?«

»Ich hab mal ein Weib fast gegen ein Tütchen Koks eingetauscht, also würde ich jetzt nicht davon ausgehen, dass mir Sex so extrem wichtig ist.«

Sie nickt, notiert sich wieder irgendetwas und scheint sich dann dafür zu entscheiden, näher auf das Thema einzugehen, legt den Fragenzettel also wieder weg. Das war ja mal ein kurzes Spiel. Ich bin schwer enttäuscht.

»Und mit wie vielen Frauen hatten Sie Verkehr?«

»Hätten Sie letzte Woche fragen sollen, dann hätte ich Ihnen eine Liste mitgebracht.«

»Sie haben eine Liste?«

»Nein, aber ich hätte Ihnen eine geschrieben.«

Sie schmunzelt, notiert noch etwas und presst die Lippen aufeinander.

»Wie viele sind es diese Woche gewesen?«

»Puh, gute Frage. Ich war ziemlich oft stoned, also waren es definitiv noch mehr. So geschätzt vielleicht fünfzehn? Also, da hätten wir Marie, Chantall, Christina, Vanessa, Erica, Sky, Lucie, Jenny, Candy und Katy.«

»Haben Sie zu einer der Frauen eine emotionale Bindung?«

»Nein, Chantall würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Koks eintauschen, die kann das mit den Blowjobs nicht.«

Sie kritzelt irgendetwas auf ihren Block, während mir einfällt, dass ich wieder vergessen habe, eine Uhr umzubinden. Und da die Psychologin einen richtig hässlichen langärmligen Strickpullover trägt, kann ich auch nicht auf ihre Uhr schielen. Außerdem muss ich gähnen, entweder wegen des Sauerstoffmangels oder wegen der Tatsache, dass ich zu wenig geschlafen habe – oder aber zu viel. Es könnte allerdings auch daran liegen, dass ich das hier echt langweilig finde.

»Gibt es Frauen, zu denen Sie eine emotionale Bindung haben?«

»Meine Mutter – dazu bin ich als ihr Sohn irgendwie verpflichtet, meine Schwester – wie das halt so ist mit Geschwistern. Und Kerry.«

Jetzt stocke ich. Scheiße, über Kerry wollte ich nicht reden. Nicht, weil die Olle jetzt einen wunden Punkt getroffen hat, sondern weil ich ihr damit die perfekte Vorlage für ihr Psychologengefasel gebe.

»Wer ist Kerry?«

Bleib cool, Carter. Spiel es gefälligst runter wie ein Mann. Ob sie meine Selbstgespräche eigentlich hört? Psychologen können ja irgendwie Gedanken lesen. Aber eigentlich merken die alles anhand der Körpersprache. Ob meine Augen irgendetwas aussagen? Okay, nächstes Mal komme ich wieder mit Sonnenbrille und trage verdammt noch mal eine Armbanduhr! Aber wenn ich noch länger die Klappe halte, wird sie glauben, dass Kerry wichtig ist – also dringend wieder reden.

»Kerry ist eine Reporterin, die einen Artikel über mich geschrieben hat, als rauskam, dass ich unsterblich bin.«

»Und wie lange kennen Sie sich schon?«

»Sieben Jahre«, okay, das klang jetzt, als würde ich jede Minute zählen, also noch schnell was hinzufügen, »glaube ich.« Ja, sehr überzeugend. Kauft sie mir hundertprozentig nicht ab. Denn jetzt fängt sie so wissend zu lächeln an.

Möge das Psychologengefasel beginnen.

»Kann es sein, dass diese Kerry für Sie unerreichbar ist, Sie sich das aber nicht eingestehen möchten und deshalb nach einem Ersatz suchen? Wenn man dem Namen nach urteilen darf, dann scheinen Sie, was Candy, Jenny und vor allem Katy betrifft, sogar nach Namensähnlichkeiten gesucht zu haben.«

»Wow, Sie sind gut. Natürlich, ich bin so oberflächlich und leicht zu durchschauen. Dann können wir die Therapie ja beenden, und Sie stellen als Diagnose, dass ich einfach nur einer x-beliebigen Frau hinterherjammere«, gebe ich sarkastisch zurück und schnalze mit der Zunge. Da sieht man mal wieder, wie wenig Ahnung die hat. Als wäre ich echt so versessen auf Kerry. »Ich bekomm von vielen Frauen eine Abfuhr. Denken Sie echt, dass mich da eine mehr irgendwie kratzt?«

»Es verletzt Ihren Stolz, und, wie Sie bereits erwähnten, Sie kennen sich seit sieben Jahren. In dieser Zeit lernt man sich gut kennen. Also, wann hat sie Ihnen einen Korb gegeben?«

»Das geht Sie einen Scheißdreck an.«

Als würde ich der irgendetwas über mich und Kerry erzählen. Sie nickt, schreibt wieder etwas auf und zieht den rechten Ärmel ihres Pullovers hoch. Sie sieht auf die Uhr, scheint wohl festzustellen, dass ich mein Pensum von fünfundvierzig Minuten erfüllt habe, und wenn ich richtigliege, ist sie sogar erleichtert. Als wäre meine Anwesenheit so anstrengend. Vielleicht gibt sie bald einfach auf?

»Jack, unsere Zeit ist so gut wie vorbei. Ich habe zum Abschluss noch eine Frage: Wie oft haben Sie in dieser Woche versucht sich umzubringen?«

»Weiß nicht, war zu oft, um es zu zählen.«

»Wäre es möglich, dass wir nächste Woche an diesem Punkt ansetzen?«

Ich nicke nur zustimmend. Ich weiß, wieso sie nicht so stark auf meinen Suiziddrang eingeht – ich kann ihr nämlich nicht wegsterben. Leider.

3. Sitzung

Noch einmal der kleinen Blondine am Empfangstresen der Praxis zulächeln und sich dann möglichst lässig in das Behandlungszimmer begeben. Die Psychologin blättert kurz durch meine Akte und sieht dann auf, setzt ein freundliches Lächeln auf und streckt mir erneut ihre Hand hin. Und wieder gehe ich darauf nicht ein, lasse mich stattdessen nur auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen.

»Guten Morgen, Jack«, begrüßt sie mich. Kurz werde ich von ihr gemustert, und sofort beginnt sie sich etwas zu notieren. »Sie überraschen mich. Ich dachte nicht, dass Sie pünktlich erscheinen würden«, bemerkt sie ruhig.

»Ja, ich hab kaum geschlafen.«

»Und dennoch wirken Sie frisch und ausgeruht.«

»War gerade noch duschen.«

Ich zucke mit den Schultern, lehne mich zurück und gönne es mir zu gähnen. Dabei schiebe ich meine Hände in die Hosentaschen. Der Geschmack meiner letzten Zigarette liegt noch im Mund, und eigentlich hätte ich jetzt gerne etwas zu trinken. So ein Morgenbier wäre ganz nett, ob sie wohl so etwas da hat? Oder ernähren sich Psychologen wirklich nur von Kaffee und Wasser? Mein letzter Psychiater hatte immer Kekse da – nicht dass die geschmeckt hätten, aber wenn man den Mund voll hatte, konnte man ihm seine dämlichen Fragen nicht beantworten.

»Kann ich davon ausgehen, dass es Ihnen heute besser geht als in den letzten Sitzungen?«

»Weil ich ›frisch‹ aussehe?«

»Sie sind pünktlich.«

»War ich die letzten Male auch.«

Jetzt schreibt sie wieder etwas auf, und dabei fallen ihr die braunen Haarsträhnen ins Gesicht, die sich aus ihrem Dutt gelöst haben. Sie hat was von meiner alten Englischlehrerin, oder war sie nur die Referendarin? Auf jeden Fall war sie jung und verdammt heiß. Wir hatten etwas Schräges miteinander, was dann aber schieflief – ihr Freund war der Sportlehrer und zwei Köpfe größer als ich. Hab ich ihre Nummer eigentlich noch?

»Gut, erinnern Sie sich noch an unser Frage-Antwort-Spiel?«

»Ja, hat keinen Spaß gemacht.«

»Schade, ich hätte es gerne weiter mit Ihnen gespielt.«

Jetzt mustert sie mich wieder, sucht Blickkontakt, doch ich flirte mit der Pflanze. Ich weiß, dass sie eine »sexuelle Anspielung« erwartet, wäre bei der Vorlage, die sie mir gegeben hat, auch nicht schwer. Allerdings hab ich keine Lust, wozu auch? Letzte Nacht war ziemlich gut und benötigt dringend eine Wiederholung, ich bin mir aber nicht sicher, ob die Dame das mitmacht. Nicht bei ihrem Boss.

Kurz wartet die brünette Ärztin noch, kramt dann das Frageblatt aus meiner Akte und geht es durch. Etwa vier oder fünf Fragen überspringt sie, bleibt dann an einer hängen und lächelt zufrieden.

»Gut, dann verraten Sie mir doch mal Ihren Beruf.«

Dämliche Forderung, die hat da einen Haufen Unterlagen, in denen steht, wie ich mein Geld verdiene. Außerdem ist meine Strafakte schon meine Bewerbung.

»Ich mach alles Mögliche. Aber am liebsten bin ich auf ’em Strich.«

Ich meine es eigentlich als Scherz, aber sie wirft einen kurzen Blick in ihre Unterlagen und bleibt dann an einem Polizeibericht hängen.

»Laut Ihrer Akte wurden Sie einmal wegen Prostitution festgenommen.«

»Ja, das war eine interessante Nacht. Aber eigentlich hab ich die Frau nur gedeckt, musste über Nacht in die Zelle, und als ich am Morgen rauskam, hat sie sich ausgiebig bei mir bedankt«, erzähle ich lässig und gönne mir bei den letzten Wörtern ein zufriedenes Lächeln. Sie nickt, notiert wieder etwas. Mittlerweile hat sie bestimmt an die fünf Blätter über mich angesammelt, und eigentlich wäre es ja ganz interessant zu lesen, was da so alles steht. Aber wenn ich nachfrage, sieht es so aus, als würde ich mich für diesen Mist wirklich interessieren.

»Es war nicht Ihre erste Straftat, richtig?«

»Natürlich nicht, sonst hätte ich den Blödsinn überhaupt nicht durchgezogen.«

Ich zucke mit den Schultern. Laut Akte war es mein siebtes Verbrechen, wobei die Auswirkungen genauso folgenlos waren wie bei denen davor. Länger als zwei Wochen war ich nie in Haft, und das hätte ich, ehrlich gesagt, auch gar nicht ausgehalten, blöderweise aber überlebt. Die Menschen dort waren seltsam und fanden es ziemlich lustig, dass ich unsterblich bin – sie haben versucht mich umzubringen. Aber gut, ich hätte auch öfter den Rand halten sollen, hätte mir ein paar schmerzhafte Erinnerungen erspart. Vielleicht sollte man einem großen Muskelprotz nicht unbedingt sagen, dass man glaubt, dass seine Freundin gemachte Brüste habe, und man mal nachfragen wolle, ob man denn recht damit habe.

»Jack, Sie wirken abwesend«, holt mich die Ärztin nun aus meinen Erinnerungen zurück, und ich nicke der Zimmerpalme zu. »Ist es so erstaunlich, dass ich nachgedacht habe?«, gebe ich zurück und runzle die Stirn.

»Es unterstützt nur den Verdacht, dass Sie heute zufriedener mit sich sind. Ist in den letzten Tagen etwas Besonderes vorgefallen?«

»Nichts, was Sie toll finden würden.«

»Sie müssen es nicht erzählen.«

»Hatte ich auch nicht vor.«

Sie nickt zustimmend, schreibt etwas auf und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Ärztin wirkt konzentriert und erinnert mich schon wieder an die eine aus meiner ehemaligen Highschool. Sie hat ein hübsches Gesicht, und wenn man genau hinsieht, sieht man die kleinen braunen Punkte auf ihren Wangenknochen – Sommersprossen. Jetzt blickt sie wieder auf den Fragenzettel, dann zu ihrer Uhr, und kurz wirkt sie nachdenklich, beginnt dann aber wieder zu reden.

»Wie oft haben Sie diese Woche versucht sich umzubringen?«

»Acht oder neun Mal. Ich zähl es immer noch nicht.«

»Und wie?«

Ich muss lächeln, denn was den Suizid betrifft, hab ich meine Lieblingsart definitiv gefunden – das Springen von Hausdächern. Und so fröhlich antworte ich auch.

»Bin gesprungen.«

»Alle neun Male?«

»Ja.«

Sie notiert sich etwas, beugt sich dann interessiert vor.

»Und wie hat sich das angefühlt?«

»So ungefähr wie Sex und Bungeespringen gleichzeitig.«

Ob das schon mal jemand ausprobiert hat?

»Würden Sie sagen, dass Sie süchtig nach diesem Gefühl sind oder dass Sie hoffen, einmal wirklich zu sterben?«

Ich muss lachen, denn sie hat diesen Psychologenblick aufgesetzt, wendet ihren Stift in der Hand und wartet nur auf meine Antwort, um die dann aufzuschreiben. Aber ich werde ihr die Antwort nicht geben, ganz bestimmt nicht.

»Babe, das Psycho-Doc-Ding steht dir nicht«, erkläre ich ihr, lege den Kopf leicht schief und lächle überheblich. Sie geht auf den Kommentar nicht ein, stattdessen notiert sie wieder irgendetwas und wirft einen Blick auf die Uhr. Wieder diese Erleichterung in ihrem Blick. »Gut, Jack. Unsere Zeit ist mal wieder um, und Sie können stolz auf sich sein. Die wenigsten kommen ein drittes Mal.«

Jetzt muss ich mir ein Lachen verkneifen, grinse stattdessen allerdings breit. »Sie warten doch drauf, oder?«, frag ich nach, weiterhin breit grinsend. Nun lacht sie kurz auf, verstummt dann aber wieder. »Nein, das war nur eine unglückliche Wortwahl. Dann bis nächste Woche. Jacqueline wird Ihnen noch einen Termin geben.«

»Den haben wir heute Morgen schon ausgemacht. So irgendwo zwischen Morgensex und Gras rauchen.«

4. Sitzung

Wieder Sonnenbrille aufgesetzt, wieder kurz vor ’m Kotzen, und wieder bin ich hier. Jacqueline war nicht am Empfang. Ob die Tante sie rausgeworfen hat, weil sie mit mir geschlafen hat beziehungsweise schläft? Was kann ich denn dafür, dass sie mir ihre Nummer gegeben hat?

»Sie sehen nicht gut aus.«

Och, komm schon, wir wissen doch beide, dass ich trotz Kater und blutverkrusteter Unterlippe extrem gut aussehe. Aber Letzteres ist in maximal einer Stunde wieder weg, genauso wie der Bluterguss an meinem linken Auge. Ich sollte aufhören, Candy zu vögeln, oder es ihrem Freund einfach nicht mehr unter die Nase reiben. Vielleicht sollten wir es aber auch einfach nicht mehr bei ihr treiben.

»Jack?«

Will die, dass ich antworte?

»Wie war Ihre Woche?«

»Beschissen.«

Das ist auch noch wahr. Ich hatte halt einfach schlechten Stoff da, durchgehend. Vielleicht sollte ich meinen Dealer wechseln, der hat sich nämlich in den letzten Wochen radikal verschlechtert.

»Möchten Sie mir davon erzählen?«

Keine Ahnung, will ich? Nein. Allerdings bin ich jetzt seit einem verdammten Monat bei ihr, und je länger ich protestiere, umso länger wird es dauern, bis ich hier wegkann.

»Weiß nicht, wo ist Jacky?«

»Sie hat Urlaub.«

»Eh nicht.«

Sie lacht, und erst jetzt fällt mir auf, dass meine Akte zugeschlagen ist und dass sie bis jetzt noch nichts aufgeschrieben hat. Bin ich jetzt schon so durchschaubar, oder hab ich einfach noch nichts Interessantes gesagt?

»Sie haben Tinte an der Unterlippe.«

»Nein, das ist Blut. Mein Blut ist blau. Bin halt so eine Art Märchenprinz.«

Jetzt lacht sie schon wieder. Okay, ich muss zugeben, dass sich ihr Lachen gar nicht so schlecht anhört. Aber wenn sie so beim Sex lachen würde, wäre es gelaufen. So eine hatte ich letztens, die war echt hübsch und nett, aber dann hat sie gelacht. Und dann bin ich einfach aufgestanden, hab mich angezogen und bin mit den Worten »Tu das nie wieder« gegangen. Ich hab ihre Nummer gelöscht und versuche seitdem diesen Vorfall einfach zu vergessen. So etwas ist traumatischer, als seine Eltern beim Sex zu erwischen.

»In Ihrer Akte steht zwar, wie Sie unsterblich geworden sind, aber vielleicht möchten Sie mir die Geschichte ja mit eigenen Worten erzählen?«

Sie sucht ein Gesprächsthema, merkt wohl, dass ich heute absolut keinen Bock habe, ihr irgendetwas zu erzählen. Aber gut, wenn sie die Geschichte unbedingt hören will – ist ja nicht so, als wäre sie spannend.

»Ich war siebzehn, hab mein Alter hochgeschummelt, und da ich Kohle brauchte, hab ich mich als Pillentester gemeldet. Allerdings hab ich einen Genfehler, den ich natürlich nicht erwähnt habe, und dann haben die mir komisches Zeug gegeben. Ich hab die halbe Nacht gekotzt, aber das Zeug hat so eine chemische Reaktion ausgelöst, meine roten Blutkörperchen blau gefärbt und mich unsterblich gemacht.«

»Wie kam raus, dass Sie unsterblich sind?«

»Dämliche Frage, ich bin gestorben.«

Ich kann mir ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen, allerdings ist mir gleichzeitig immer noch danach, mich auf ihrem Schreibtisch zu übergeben. Ich hätte einfach im Bett bleiben sollen und schlafen, bis ich sterbe. Oh, stimmt, das geht ja gar nicht.

»Ein Unfall oder Selbstmord?«

»Ich bin gegen einen fahrenden Lkw geknallt – so ganz aus Versehen. Das war auch so ein Arschloch, das nicht weiß, wie man auf die Bremse drückt.«

Scheiße, ich kotze der echt gleich vor die Füße, merke schon, wie es meinen Magen hochwandert. Sie dagegen hat meine Akte aufgeschlagen, angefangen zu schreiben und presst nun die Lippen nachdenklich aufeinander.

»Jack, was ist diese Woche vorgefallen?«

»Eine Menge.«

»Erzählen Sie ruhig.«

Jetzt lehnt sie sich zurück und erwartet eine Geschichte, blöderweise will ich es wirklich erzählen. Das hilft hoffentlich, den Brechreiz zu unterdrücken.

»Vio war da, ich hab ein Buch gelesen, und Kerry stand vor meiner Tür. Der Freund von Candy hat mich verprügelt, und mein Dealer ist scheiße.«

»Fangen wir bei Vio an. Sie ist Ihre Schwester, richtig?«

»Ja, sie war irgendwie zwei Tage da. Aber ich war da ’n bisschen high, und eigentlich hat sie mir nur gesagt, dass ich Mum sagen soll, dass sie bei mir ist. In Wahrheit hat sie allerdings ihren Freund geknallt. Der wohnt bei mir in der Gegend, deswegen.«

»Wie alt ist Ihre Schwester?«

Ich zucke mit den Schultern, keine Ahnung, wie alt sie ist. Woher soll ich das denn wissen?

»Zwölf? Fünfzehn? Sechzehn? Irgendwie so etwas.«

»Sie scheinen sich nicht sehr nahezustehen. Stimmt das?«

Wieder Schulterzucken. Nur weil ich nicht weiß, wie alt sie ist? Die Hälfte der Menschheit weiß nicht, wie alt die eigenen Geschwister sind. Das ist nichts Besonderes, außerdem ist Vio seltsam.

»Ich bin locker fünf Jahre älter als sie. Als Vio in die Pubertät kam, bin ich gerade ausgezogen, und wir haben einen guten Draht zueinander.«

Okay, das ist gelogen. Ich kann Vio nicht ausstehen, die ist so ein richtig scheinheiliges Weichei. Blöderweise kann ich ihr das nie an den Kopf knallen. Das ist dasselbe Phänomen wie bei manchen Tieren, die Geschwister gehen sich nicht ernsthaft an die Gurgel. Sie kratzen sich nur ein bisschen, anstatt sich gegenseitig zu zerfetzen.

»Und denken Sie, dass Sie für Vio eine Vorbildfunktion haben?«

Das hat Mum mir auch immer vorgeworfen. »Jack, rauch weniger. Jack, trink weniger. Jack, lande seltener im Knast. Jack, hör auf, mit deiner Lehrerin zu schlafen. Sonst macht dir Vio das alles noch nach« – als ob. Die wollte ihre Unschuld bis zur Ehe behalten, tanzt Ballett und ist Mamas Liebling, weil sie ein Mädchen ist. Scheiße, jetzt hört sich das doch glatt nach einem Kindheitstrauma an. »Der verstoßene Sohn« und so eine Kacke.

»Nein, hab ich nicht.«

Sie nickt, schreibt etwas auf und wechselt dann das Thema.

»Was haben Sie für ein Buch gelesen?«

»Weiß nicht mehr, wie es hieß – ich war breit –, aber es war gut. Ging irgendwie um ein Mädchen, das Krebs hatte und fest davon ausgegangen ist, sterben zu müssen, und dann überlebt hat. Irgendwie wollte sie sich die ganze Zeit umbringen, hat aber nie genug Arsch in der Hose dafür gehabt. Auf jeden Fall musste sie halt den Weg zurück ins Leben finden. Darum ging es.«

Sie lächelt, schreibt etwas auf und beugt sich interessiert vor.

»Kann es sein, dass Sie sich mit ihr identifizieren konnten?«

»Würde sie existieren, hätte ich sie gevögelt, geschwängert und geheiratet. Die war verdammt gut drauf.«

Ich muss grinsen. Dass das Mädchen aus dem Buch vermutlich genauso alt war wie Vio, lasse ich mal aus. Das würde einen seltsamen Eindruck vermitteln. Mein Psycho-Doc lächelt, notiert sich etwas und fährt sich durch die Haare. Dieses Mal sind sie geöffnet und fallen ihr locker über die Schulter. Sie sieht echt aus wie ein über die dreißig gekommenes Supermodel. Okay, jetzt denk ich wieder daran, sie flachzulegen, oder daran, was sie für Unterwäsche trägt, oder daran, wie sie aussieht, wenn sie keine Unterwäsche trägt. Scheiße, Carter. Denk an was anderes, irgendwas, wovon du keinen Ständer bekommst. So etwas wie der Silikonhintern von Kim Kardashian. Das ist gut, das Teil ist echt nicht mehr normal. Ach, Kim, hat dir nicht gutgetan, mit Paris Hilton befreundet zu sein.

»Sie sagten, Kerry wäre da gewesen?«

O ja, das war sie, und in dem Moment, als sie vor der Tür stand, hab ich meinen Dealer verflucht, meine Unsterblichkeit und einfach die gesamte Welt.

»Ja, stand verheult vor meiner Tür. Vermutlich hatte sie auch nur superheiße Unterwäsche an.«

Ja, an dem Abend hab ich es echt verkackt.

»Oh, was ist passiert?«

»Sie hatte irgendwie Stress mit ihrem Freund oder so. Keine Ahnung, hat eine Menge geheult, und ich war extrem dicht, hab kaum was mitbekommen.«

Das stimmt jetzt schon wieder auch alles nur so halb. Ich seufze, und einen kurzen Moment erlaube ich meinem Kopf abzudriften.

 

Erwartungsvoll, dass die Pizza, die ich mir vor über zweieinhalb Stunden bestellt habe, endlich ihren Weg zu mir gefunden hat, öffne ich die Wohnungstür, ziehe schon das Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche, aber halte in der Bewegung inne.

Vor mir steht eine kleine Frau mit großen, braunen Locken und zierlicher Figur. Scheiße, sieht sie wieder gut aus.

»Hey, Kerry«, ist das Erste, was mir einfällt. Ist sie echt? Steht sie wirklich hier?

»Hey, Jack.« Sie lächelt entschuldigend.

»Willst du einen Kaffee?«, ist das Zweite, was mir einfällt.

»Es ist halb zwölf abends.« Sie schmunzelt. »Ja, bitte.«

Kurz lächeln wir uns an, dann trete ich beiseite, lasse sie herein und gehe voran in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuschmeißen.

»Geht’s dir gut?«, frage ich dumme Fragen, weil ich Angst vorm Schweigen habe.

Kerry zuckt mit den Schultern. »War schon besser«, murmelt sie dann leise und lehnt sich gegen den kleinen Esstisch vorm Fenster.

Kompliziert trifft es nicht mal ansatzweise, was das hier ist.

»Wieso bist du eigentlich zu Hause?«, wechselt sie das Thema.

Ich fahre mir durch die Haare, schaue der Kaffeemaschine lieber beim Kaffeemachen zu als zu Kerry. »Ruhiger Abend oder so. Nur ich, bisschen Gras und die Wiederholung von Seinfeld.« Ungeduldig oder nervös trommle ich mit den Fingern auf der Arbeitsplatte.

»Möchtest du Gesellschaft?«

»Wenn du magst«, antworte ich möglichst gleichgültig.

Ich glaube, ich hätte sie fragen sollen, was los ist. Was sie bei mir macht – was zur Hölle sie verdammt noch mal hier will, aber irgendwie wollte ich es einfach nicht hören.

Ich wollte nicht reden, stattdessen lieber einen bauen und mit ihr auf der Couch sitzen, darüber diskutieren, welche Szene von Seinfeld wirklich lustig ist, und ihrem Vortrag über Sexismus in seinen humorlosen Witzen lauschen.

Kerry blieb bis irgendwas nach zwei, entschied sich, nicht bei mir zu schlafen, und fuhr heim.

So einfach und unspektakulär war es eben. Kein Drama, kein magischer Wiedervereinigungssex. Nur ein Typ, der sich ums Verrecken nicht traute, irgendeinen Schritt in irgendeine Richtung zu machen, und stattdessen lieber Kaffee und einen Joint anbot. Und Seinfeld.

Dabei ist Seinfeld dumme Scheiße aus den Neunzigern, die niemand wirklich lustig finden kann. Wirklich nicht.

Nachdem Kerry dann weg war, hatte ich plötzlich das unbändige Bedürfnis, irgendetwas zu tun, bei dem ich mich weniger wie ein Feigling fühlen würde. Das Resultat ist besagte aufgeplatzte Lippe und meine völlig übermüdete Wenigkeit.

 

Meine Therapeutin lächelt nun vielsagend, vermutlich reimt sie sich jetzt etwas zusammen, von dem ich mir vergebens wünsche, dass es passiert wäre.

»Ich hab nicht mit ihr geschlafen«, gebe ich zu und offenbare kurzzeitig meine Frustration, indem ich mir durch die Haare fahre. Es war die perfekte Gelegenheit, wirklich. Und ich hab’s mir kaputt gemacht.

»Ich weiß. Das sieht man Ihnen an. Es scheint Sie sehr mitzunehmen, eine Chance nicht genutzt zu haben. Aber denken Sie nicht, dass es besser so ist? Wie Sie bereits bemerkt haben, ist Kerry unerreichbar, und wenn sie diesen anderen Mann liebt, dann hätte es Sie nur noch mehr verletzt.«

Okay, jetzt klingt es, als wäre ich irgendein Teenager. Das ist doch bescheuert.

»Das klingt dämlich, als wäre ich irgendein My Chemical Romance-Fangirl, das sich in den Quarterback verknallt hat, und er bemerkt sie nicht, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, die Cheerleaderfraktion zu nageln«, gebe ich zynisch von mir, schnalze mit der Zunge, verschränke die Arme vor der Brust und kann nicht anders, als sie böse anzusehen. Was sie durch die Sonnenbrille hindurch aber nicht erkennen kann.

Sie geht nicht weiter auf das Thema ein, schreibt stattdessen etwas auf und erinnert sich dann daran, dass ich noch etwas über Candys Macker gesagt habe. »Können Sie bitte Ihre Sonnenbrille abnehmen?«, fragt sie mich, und ich weiß, dass es ihr um mein blaues Auge geht. Also nehme ich die Ray-Ban-Brille langsam herunter und versuche dabei möglichst lässig auszusehen. Sie ignoriert es, betrachtet mit zusammengepressten Lippen die Verletzung.

»Wie lange dauert es, bis solch eine Verletzung verheilt?«

»Maximal zwei Stunden. Ich hab mal einen Arm verloren, den haben sie mir im Krankenhaus einfach wieder angenäht, und nach ungefähr vierundzwanzig Stunden war alles wieder wie vorher. Es kommt ganz auf die Verletzung an. Das, was dann schon eher stört, ist das blaue Blut. Das sieht immer ziemlich beschissen aus. Wie Tinte halt.«

Sie nickt, schreibt sich etwas auf und stellt dann eine neue Frage.

»Und was war da jetzt genau mit Candys Freund?«

»Ich hab seine Freundin geknallt, hielt es irgendwie für nötig, ihm das mitzuteilen, und er hat halt nicht ganz so zurückhaltend reagiert.«

Sie schreibt es sich auf, schielt wieder so auffällig unauffällig auf ihre Armbanduhr, und ich bemerke, dass ich die Pflanze heute noch keines Blickes gewürdigt habe. Da war Ex-Supermodel-Psycho-Doc doch echt der bessere Anblick. Vielleicht kann ich sie irgendwann mal flachlegen, wenn ich nett zu ihr bin. Moment, ich bin doch nicht nett. Ich bin ein verdammtes Arschloch.

5. Sitzung

»Jack, legen Sie Ihr Handy bitte weg?«, bittet mich das Ex-Supermodel. Ich schüttle nur den Kopf und konzentriere mich stattdessen weiter auf das aktuelle Candy-Crush-Level. Schließlich hab ich im Moment einen richtigen Lauf. Wenn ich so darüber nachdenke, dann spiele ich das Spiel eigentlich nur, wenn ich high bin. Es ist lustig mit den Süßigkeiten, und einmal war ich so stoned, dass ich mein Handy abgeleckt habe – wollte wissen, ob die Süßigkeiten echt sind.

»Jack?«

Scheiße, jetzt hab ich was falsch gemacht und keinen Booster bekommen.

»Was machen Sie da überhaupt?«

»Candy Crush«, murmle ich abgelenkt und versuche meinen vorigen Fehler auszubügeln. Wer hatte überhaupt die Idee mit diesen Süßigkeiten? Das System ist ja eigentlich ähnlich wie bei Jewels. Okay, nur noch fünf Züge, das schaff ich unmöglich. Also geb ich einfach auf, lass das Handy in der Hosentasche verschwinden und fange erneut an, mit der Zimmerpalme zu flirten. Gut, wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich im Moment wirklich dicht bin und mir die ganze Zeit vorstelle, wie sich die Pflanze in eine Elfe verwandelt, die dann anfängt, psychodelisch mit ihren Armen zu wackeln. Mach es nicht nach, Carter. Mach es jetzt bloß nicht nach.

»Jack, Sie wirken abwesend.«

Ich bin stoned, Babe.

»Stimmt schon.«

Und ich bekomme Hunger, richtigen Hunger. Vielleicht stürme ich hiernach maskiert das nächste KFC und decke mich mit Chickenwings ein? Wie es sich wohl anfühlt, in Chickenwings zu baden? Bestimmt wird man dann selbst zu einem Chickenwing. Ich will ein Chickenwing sein für den Rest meines Lebens. Die müssen nicht denken und sind so glücklich. Und sie riechen gut, und wenn mich jemand isst, schmecke ich fabelhaft. Okay, ich würde so oder so fabelhaft schmecken. Ich bin schließlich fabelhaft, immer.

»Jack, woran denken Sie im Moment?«

»Daran, ein Chickenwing zu sein.«

Okay, nächstes Mal nicht ehrlich antworten. Die wird mir eine Infobroschüre in die Hand drücken und sagen, dass es mir helfen würde. Wie einer meiner vorigen Therapeuten; der war felsenfest davon überzeugt, mir einen Entzug aufdrängen zu müssen. Wofür denn? Damit ich meine Unsterblichkeit damit verbringe, clean zu sein, und allen davon erzähle, wie aus dem dauerdichten Jack ein Typ im selbst gestrickten Pullover mit Brille wurde, der bei den AAs – Anonyme Alkoholiker – Seminare leitet? Lieber vergammle ich im Knast, als dass ich mir das antue. Meine Mimik muss einen genervten Ausdruck vermittelt haben, denn die Psychologin runzelt die Stirn, schreibt etwas auf und mustert mich weiterhin.

»Jack, haben Sie etwas zu sich genommen?«, fragt sie vorsichtig. Jetzt fällt mir ein, was ich vergessen habe: die beschissene Sonnenbrille. Klar, meine Augen sind bestimmt blau unterlaufen, und mit so einem gestört glasigen Blick ist es extrem offensichtlich, dass ich high bin.

»Gras.«

Vielleicht ruf ich nachher Vanessa an? Mit der sollte ich auch mal wieder vögeln. Oder ich rufe Jenny an. Scheiße, ich fang schon an, die Weibchen zu vernachlässigen. Was würden die denn ohne mich machen? Ich meine, ohne mich hätten die doch gar keinen Sex mehr, zumindest keinen guten.

»Jack, denken Sie, dass diese Sitzung in Ihrem Zustand einen Sinn hat?«

»Wollen Sie etwa abbrechen?«

Ich muss gestehen, dass mich das jetzt überrascht.

»Nein, Ihr Verhalten zeigt erneut, dass Sie das hier nicht ernst nehmen.«

Sie ist sauer, das Ex-Supermodel ist sauer auf mich. Natürlich, sie ist ein Profi – so was geben die nicht zu. Aber sie hat denselben gereizten Blick aufgesetzt wie alle anderen vor ihr. So einen Blick hatte Kerry, wenn ich mich kindisch verhalten habe – also immer. Ich will wieder Candy Crush spielen oder in einen Süßigkeitenladen einbrechen. Ob man Candy Crush auch mit echten Süßigkeiten spielen kann? »Candy Crush – das Brettspiel«. Das ist eine Marktlücke, blöd, dass ich das in ein paar Minuten wieder alles vergessen haben werde. Ich könnte es aufschreiben, aber die Ärztin wirkt genervt, so richtig genervt. Als würde es ihr schwerfallen, mich nicht zu verprügeln. Ob ich ihr schlimmster Patient bin? Nein, die behandelt ja auch die echten Psychos. Solche Kerle, die ihre Frauen verprügeln und in Stücke reißen. Aber bestimmt sind die netter als ich und weniger stoned. Arschlöcher. Wenn die sympathischer sind als ich, dann läuft in der Welt doch was falsch. Ich schnalze mit der Zunge und werfe einen Blick aus dem Fenster, heute sind nämlich die hässlichen Vorhänge beiseitegezogen.

»Es regnet.«

»Jack, wieso haben Sie Angst davor, sich zu öffnen?«

»Ich will nicht in den Arsch gefickt werden.«

Okay, ich weiß auch nicht, wieso das das Erste ist, was mir dazu einfällt. Was will die denn auch von mir? Soll ich anfangen zu heulen? Dramatische Geschichten erzählen? Die Welt retten?

»Mir macht das genauso wenig Spaß wie Ihnen«, erkläre ich trocken. Langsam will ich sie nicht mehr flachlegen. Im Moment kann ich sie noch nicht mal ausstehen. Ich würde viel lieber schlafen, das hab ich letzte Nacht nämlich nicht getan.

»Wer sagt, dass mir unsere Unterhaltungen keinen Spaß bereiten?«

»Ihr Blick.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust, jetzt wird das hier endlich mal wieder interessant. Na komm schon, Ex-Supermodel, raste aus, werde gefälligst unprofessionell, und ich kann hier endlich weg. Na los doch, spielen wir.

»Ich muss ehrlich zugeben, dass es mir schwerfällt, Ihnen zu helfen, wenn Sie diese Hilfe offenbar so sehr ablehnen.«

Was? Mehr hast du nicht drauf?

»Ich bin nicht freiwillig hier, Babe. Das haben wir doch schon geklärt.«

Ich sage es so provokant wie möglich – ihr aber egal.

»Und Sie werden hier auch nicht wegkommen, solange ich mich dagegen ausspreche.«

Miststück, spielt die eiskalt ihre Macht aus.

»Sie wollen also, dass ich mich öffne? Letzte Nacht hab ich fünf Stunden damit verbracht, mir die Pulsadern aufzuschlitzen, und trotzdem sitze ich hier und lebe.«

Sie nickt, schreibt es auf, und schon ist da wieder dieser Psychologenblick. Als hätte das vorhin nicht existiert, und ich muss zugeben, dass sie das noch heißer macht, als sie ohnehin schon ist.

»Fünf Stunden?«

»Mein Badezimmer sah aus, als wäre ein Drucker in die Luft gegangen.«

Sie lehnt sich zurück, und wenn ich mich nicht täusche, ändert sich ihr Blick. Plötzlich wirkt sie mitleidig. Noch mal: Miststück. Deswegen rede ich nicht darüber, wegen diesem verdammten Blick. Na und? Jeder hat Probleme, und es ist mein gutes Recht, sterben zu wollen. Ich darf sterben. Nein, darf ich nicht – kann ich nicht.

»Sie spüren Schmerzen wie alle anderen Menschen auch, richtig?«

»Ja.«

Es hat gezogen, gebrannt, und ich kann immer noch spüren, wie das warme Blut über meine Unterarme auf die kalten Fliesen tropft, dort ein Rinnsal bildet und in den Fugen fließt wie ein kleiner Bach.

»Hatten Sie ein Tief?«

Nein, natürlich nicht. Mir macht das alles Spaß. Ich liebe es abgöttisch, mir mit einem dämlichen Küchenmesser den kompletten Unterarm längs aufzuritzen. Was ist das für eine bescheuerte Frage? Kann die nicht einfach die Fresse halten, ihren beschissenen Hundeblick einstellen und mich was von dem Fragenzettel fragen?

»Sind Sie deswegen zugedröhnt? Um dieses Erlebnis zu verdrängen?«

Fick dich. Ich hasse dich. Geh weg.

»Jack?«

Nein, ich antworte dir nicht mehr. Ich ruf gleich Vanessa an, die hat immerhin keinen Freund, der mich verprügeln kann, und stellt auch nicht solche dämlichen Fragen.

»Jack, fühlen Sie sich …?«

»Wie viel Uhr ist es?«

Hart, so kalt klang ich schon lange nicht mehr. Mit dem Tonfall könnte ich den Bösewicht in einem Actionfilm spielen.

»Möchten Sie die Sitzung beenden?«

Verdammt noch mal, ja!

6. Sitzung

Was da auf meinem Schoß sitzt und anscheinend ein Problem mit meiner Hose hat? Eine Katze. Die hab ich zufällig vor dem Gebäude rumlungern gesehen. Hab erst überlegt, ob ich sie im Bad der Praxis verstecken soll. Aber die Idee davon, dass sie überall hinpinkeln oder, noch schlimmer, in der Kloschüssel ertrinken könnte, gefällt mir nicht so wirklich. Außerdem sah sie so bemitleidenswert aus, und ob man’s glaubt oder nicht: Ich hab auch ein Herz. Ist vermutlich ziemlich klein und verkrüppelt, aber hey, was soll’s?

»Jack, was macht die Katze hier?«

Ex-Supermodel-Psycho-Doc findet das Kätzchen offenbar nicht so knuffig wie ich.

»Erstens, das ist ein Kätzchen. Es ist klein und einsam, und ich nenne es Little Jack. Zweitens, komm schon, Babe, letzte Woche kam ich stoned hierher. Da ist das hier doch nichts dagegen.«

»Das Mitbringen von Haustieren zu den Therapiesitzungen ist nicht gestattet.«

Die Ärztin presst die Lippen aufeinander, und Little Jack krallt sich in meine Oberschenkel. So ein Arschloch. Aber immerhin bleiben die Kratzer nicht, und wenn er weiter meine Beine massakriert, werfe ich ihn eiskalt gegen die Wand. Vielleicht ist es aber gar kein »Er«? Ich hab gar nicht nachgeguckt, aber in beiden Fällen nenne ich es Little Jack.

»Es ist ja kein Haustier. Ich hab’s auf der Straße gefunden und konnte beziehungsweise wollte es nicht in Ihrem Bad einsperren.«

»Ihnen ist bewusst, dass diese Katze mit gefährlichen Krankheiten infiziert sein könnte?«

»Ist Ihnen bewusst, dass mir das ziemlich egal ist? Ich bin unsterblich, schon vergessen, Babe?«

Sie schmunzelt, schüttelt den Kopf und schlägt meine Akte auf. Sofort notiert sie sich etwas, schaut dann auf und lächelt freundlich. Mein Doc wirkt heute weniger genervt von mir. »Heute Morgen guten Sex gehabt?«, frage ich stirnrunzelnd. Ich fühle mich ein bisschen wie der Bösewicht aus Austin Powers. Dieser eine Film mit dem glatzköpfigen Typen und seiner Katze. Little Jack und ich wären davon die coole Version. Vielleicht sollte ich jetzt mal einfach mein böses Lachen üben und die Katze dabei weiterkraulen? Nein, das würde zu seltsam kommen, und dann glaubt die, ich wäre wieder stoned.

»Jack?«

»Hm?«

»Wie war Ihre Woche?«

Ich muss pfeifen, denn diese Woche war hart. Okay, nein. So hart auch wieder nicht. Hatte schon schlimmere und, Moment, die weiß doch, wie meine Woche war.

»Wissen Sie doch schon.«

Jetzt nickt das Ex-Supermodel, das heute Morgen wohl wirklich guten Sex gehabt haben muss. Sie hat die Frage gar nicht beantwortet, vielleicht ist sie einfach nur high? Hat sich zugedröhnt, um das hier durchzustehen. Wenn das stimmt, dann bin ich aber enttäuscht. Wir hätten zusammen kiffen können. Wie steht Little Jack eigentlich zu Drogen? Macht sein kleines Herz bestimmt nicht mit, der Arme.

»Ihr Bewährungshelfer hat mich vor ein paar Tagen kontaktiert und gesagt, dass Sie wieder verhaftet wurden. Möchten Sie mir die Geschichte erzählen?«

Ich sage: »Ja«, und parallel springt mir Little Jack vom Schoß und inspiziert das Zimmer. Komm schon, Jack, pinkle irgendwohin. Dann hab ich was zu lachen.

»Mir war langweilig, also hab ich ein Auto geknackt, und das war halt keins von diesen billigen Autos.«

Ich grinse vielsagend, doch die Ärztin schüttelt den Kopf, zeigt damit, dass meine Aktion wohl nicht grade die coolste war.

»Was kann ich denn dafür, wenn die Bonze ihren Luxusschlitten vor meiner Haustür abstellt?«

Das Auto hatte noch diesen Neuwagengeruch. Diesen üblen Gestank nach Industrie und deutschen Markenwagen.

»Sie haben Ihre Bewährung riskiert, ist Ihnen das bewusst?«

»Das Lustige an der Geschichte ist, dass mich die Bonze erwischt hat. Und wenn ich ›die‹ sage, dann meine ich eine Frau à la Paris Hilton. Erst wollte sie die Polizei anrufen, dann ist ihr aufgefallen, dass ich super aussehe. Solche Menschen wie die sind extrem gelangweilt. Hatte was von einem Porno. Okay, gut. Es ist gelogen. In Wahrheit hat sie panisch gekreischt, mir in die Eier getreten und die Polizei gerufen. Aber können wir bei meiner Version bleiben?«

Sie lacht erneut. Scheiße, hat die gute Laune, da lief doch irgendwas.

»Jack, wieso haben Sie das getan?«

»Mir von ihr in die Eier treten lassen?«

»Nein, das Auto klauen wollen.«

Ich schnalze mit der Zunge, fange an, Little Jack zu beobachten. Offenbar findet er die Zimmerpalme genauso spannend wie ich. Aber immerhin muss das Kätzchen nicht irgendwelche Psychofragen beantworten. Woher soll ich denn wissen, wieso ich die Karre klauen wollte? Intuition? Langeweile? In der Highschool hab ich die Wände besprayt, da wurde mir dieselbe dämliche Frage gestellt.

»Wieso machst du das? Wieso springst du von Häusern? Wieso schläfst du mit so vielen Frauen? Wieso nimmst du Drogen?«

Oh, Moment, ich hab auf diese ganzen Fragen sogar noch Antworten. Vor allem auf die vorletzte, denn eine ist prinzipiell langweilig. Deswegen wird auch jede zweite Ehe geschieden, deswegen gibt es Singles oder Charlie Sheen. Genau deswegen.

»Wieso hätte ich es denn nicht klauen sollen?«

»Es ist gegen das Gesetz.«

Ich muss lachen. Scheiße, der Witz war gut. Gegen das Gesetz.

»Komm schon, Babe. ›Gegen das Gesetz‹? Echt jetzt? Ich bin unsterblich. Was kümmern mich da Regeln?«

Sie nickt, schreibt sich etwas auf und seufzt dann. »Akzeptanz in der Gesellschaft«, beantwortet sie die Frage trocken. Ich zucke mit den Schultern, lege den Kopf in den Nacken und beobachte die Decke. Little Jack springt mir wieder auf den Schoß, verlangt, gekrault zu werden. Vielleicht ist er doch ein Weibchen? Die wollen nach dem Sex auch immer aus unerfindlichen Gründen kuscheln. Ist ja nicht so, als würde einem dabei der Arm einschlafen, oder sie liegen dann so unbequem auf dem Oberkörper, und wenn sie lange Haare haben, hat man davon früher oder später welche im Mund. Darauf kann ich verzichten.

»Wieso sollte ich das wollen?«

»Es würde Sie glücklicher machen. Sie wären weniger einsam.«

Autsch, das hat wehgetan.

»Ich bin nicht einsam.«

Sie geht nicht weiter auf das Thema ein, schreibt etwas auf und beißt sich auf die Unterlippe.

»Wie geht es Kerry?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Jack, sie kam zu Ihnen, als sie Streit mit ihrem Freund hatte. Sie scheinen sich nahezustehen.«