Jack Carter - Rebekka Derksen - E-Book

Jack Carter E-Book

Rebekka Derksen

4,6
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Teil 1 der Jack Carter-Reihe. Jack Carter ist unsterblich und hat damit ein Problem. Nicht, weil er durch den beschleunigten Selbstheilungsprozess noch besser aussieht oder sich sein Ego ins Unermessliche steigert; es ist die Tatsache, dass Jack nicht sterben kann. Hinzu kommt seine neue Psychiaterin, die sich in den Kopf gesetzt hat, aus ihm endlich einen guten Menschen zu machen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 474

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
12
5
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rebekka Derksen ist Jahrgang 1997 und hat ansonsten nichts mit Wein gemeinsam. Sie liebt Sarkasmus, deutsche Rap-Punk-Pop-Indie-Bands und kann morgens erst nach einer Tasse Kaffee reden. Sie findet die Mengen-Angabe von Instant-Wackelpudding-Packungen unrealistisch und pflückt jedes Jahr im Mai Blumen.

Deadpool alias Wade Winston Wilson gewidmet.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Sitzung

Epilog

Prolog

Wenn man 'Selbstmord' googelt, stößt einem als erstes die Nummer der Telefonseelsorge entgegen, blöd nur, dass die mir nicht helfen können. Als nächstes würde dann der Wikipedia-Artikel zum Thema Suizid folgen, aber dort findet man keine direkte Anleitung. Und unter der Anzeige habe ich dann einen Artikel über Pierce Brosnan gefunden, der der festen Überzeugung ist, nie an Selbstmord gedacht zu haben – wer's glaubt wird selig, Pierce. Also habe ich die Sucheingabe geändert, anstatt nur 'Selbstmord' habe ich also 'Selbstmordanleitung für Dumme' eingegeben. Und siehe da, raus kam; 'Selbstmordanleitung – in fünf Minuten tot!' Klingt als erstes doch sehr überzeugend, richtig? Tja, das habe ich mir auch gedacht. Dann hab' ich also angefangen, diese Anleitung durchzukauen, mehrmals. Blöderweise hab' ich keine Schlafstörungen und demnach auch keine Tabletten, hab' mich aber gefragt, ob ich mich auch einfach mit Gras zudröhnen könnte. Aber dafür war mir der Stoff dann doch zu gut.

Tja, und einen Föhn hab ich auch nicht. Außerdem hab' ich auch keine Badewanne und in einer Dusche kann man sich nicht ertränken – das hab' ich schon probiert.

Und anstatt mich weiter mit klischeehaften Selbstmordanleitung zu befassen, hab' ich beschlossen, das Ganze ganz klassisch durchzuziehen.

So kommt es übrigens auch, dass ich jetzt auf einem Dach stehe, mir den Arsch abfriere und meine letzte Zigarette rauche. Die Sicht ist durch meine schwarze Sonnenbrille ziemlich getrübt und ich hätte mir eine Jacke anziehen sollen, anstatt nur in einem schwarzen Sweatshirt rumzulaufen. Allerdings hätte ich auch einen Anzug anziehen sollen – für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich doch in den Himmel komme. Aber ich hab nur diese eigentlich ausgedienten Chucks und dazu würde der Anzug wiederum auch bescheuert aussehen.

Ich zieh noch einmal an der Zigarette, genieße meinen hoffentlich letzten Zug und schließe die Augen. Dann puste ich den Rauch wieder hinaus. Zum Abschluss werfe ich den übriggebliebenen Kippenstummel achtlos auf den Schotter hinter mir. In Filmen schließt man jetzt ganz dramatisch die Augen. Die breiten ihre Arme aus und tun so, als könnten die fliegen. Das tue ich nicht, stattdessen beschließe ich, hoffentlich mit einem Salto abzutreten, allerdings kann ich keinen – weswegen die Idee auch sofort wieder verworfen wird. Also ein letztes Mal ein- und ausatmen, die Knie leicht beugen und dann springen. Endlich sterben.

Blöd nur, dass ich unsterblich bin.

1. Sitzung

„Können Sie die Sonnenbrille bitte abnehmen?“, bittet mich die gutaussehende Brünette hinter dem Schreibtisch. „'Tschuldige Babe, aber von der beschissenen Ikea-Lampe krieg' ich das Kotzen“, erkläre ich und gähne. Mein Kopf pocht wie verrückt und ich habe das Gefühl, dass ich bei der nächsten falschen Bewegung den Würgereflex auslösen könnte.

„Nun gut, Mr. Carter, Sie wissen hoffentlich, wieso Sie hier sind?“

Irgendwas kritzelt sie auf ihren Notizblock nieder und ich könnte schwören, dass sie meinen vorigen Kommentar in Anführungszeichen setzt – mich also zitiert. Der würde ich noch glatt zutrauen, dass die es meinem Bewährungshelfer vorlegt. Wegen dem Typen muss ich nämlich hier sitzen, und wegen diesem alten Opa, der mich angezeigt hat, weil ich zu oft von seinem Hausdach gesprungen bin. Das endete dann natürlich vor Gericht und da der Richter wohl glaubte, dass ich einfach nur eine Macke habe, hat er mir, anstatt Sozialstunden, diesen Scheiß hier angeordnet.

Achtundvierzig Sitzungen bei einer Psychiaterin, die sich so benimmt als würde jedes Wort, was ich sage, unfassbar wichtig sein.

„Ja, Sie schreiben sich irgendwas auf und legen es dem Richter vor. Wahrscheinlich schreiben Sie das selbe Zeug wie all die anderen. Ich wäre psychisch labil; schwer depressiv und den ganzen anderen Scheiß.

Außerdem Alkoholiker und ein Junkie. Des weiteren hätte ich eine maßlos hohe Selbstüberschätzung und das mit der Unsterblichkeit muss ich doch nicht erwähnen oder?“

So, damit hätte ich alles aufgezählt. Und irgendwie breitet sich in meinem Mund ein wirklich widerlicher Geschmack von Galle aus. Hier nach sollte ich meinem Dealer einen Besuch abstatten und mir was Natürliches verschreiben lassen. Diesen Tag steh ich in dem jetzigen Zustand nämlich definitiv nicht durch. „Gut, und was glauben Sie, wie ich Ihnen helfen kann?“, reißt mich die Therapeutin aus meiner Nachmittagsplanung.

Noch so eine bescheuerte Frage, wie die ganzen Ärzte vor ihr. Und demnach kann ich nichts dafür, dass meine Antwort wie immer provozierend ausfällt.

„Sie könnten sich ausziehen und wir treiben es auf dem Tisch.“

„Und das würde Ihnen helfen?“

„Na ja, Ihnen würde das mehr helfen als mir.“

Sie schmunzelt, schreibt noch etwas auf ihr dämliches Blatt. Vermutlich geht’s jetzt darum, dass ich sie angebaggert habe – und das war noch nicht mal einer von meinen guten Sprüchen. „Gut, wie war Ihre Woche?“, wechselt sie einfach das Thema. Vermutlich ist ihr das niveaulose Flirten mit Patienten zu heikel.

Irgendwie wäre es aber heiß, wenn es Regeln dagegen geben würde. Ich sollte das mal googeln. Aber ihre neue Frage ist gar nicht mal so dämlich, nur weiß ich nicht genau, was ich dazu sagen soll.

„Meine Woche? Keine Ahnung, war die eine Hälfte besoffen und die andere hab ich geschlafen. Aber ich schulde ein paar Nutten extrem viel Knete.“

Sie seufzt, kritzelt noch was und presst die Lippen aufeinander. Dann antwortet sie.

„Und wie haben Sie sich gefühlt? Gab es emotionale Tiefs? Dachten Sie an Selbstmord?“

„Wow, sachte Lady. Um Ihnen ihre letzte Frage zu beantworten; ich denke immer an Selbstmord. Wegen der zweiten Frage; ich bin dauernd dicht, ich hab bestimmt so 'emotionale Tiefs', ich kann mich nur an keins erinnern.“

„Sie haben die erste Frage nicht beantwortet.“

„Und Sie sich immer noch nicht ausgezogen.“

Wieder schmunzelt sie und ich muss zugeben, dass sie echt nicht hässlich ist und sogar verhältnismäßig jung.

Vermutlich hat sie ihren Abschluss erst seit drei oder vier Jahren und ihrem Aufzug nach zu urteilen hat sie morgens genug Zeit.

„Mr. Carter, wollen Sie die nächsten fünfundvierzig Minuten mit sexuellen Anspielungen verbringen?“

„Nein, nur die nächsten zehn. Dann geh ich davon aus, dass Sie in Unterwäsche auf ihrem Schreibtisch sitzen und mich anlächeln.“

Sie schreibt noch etwas auf, spielt dann mit ihren Haaren und legt den Kopf schief. Wenn ich nicht aufpasse, wird sich noch irgendwas in meiner Hose regen und das wäre dann mehr als nur peinlich. Also bloß nicht weiter darüber nachdenken, was sie für Unterwäsche tragen könnte. Bestimmt ist es eh nichts besonderes, sondern so langweilige mit Blümchenmuster. Sie arbeitet ja schließlich, da muss sie wohl kaum in rotem Spitzenhöschen rumlaufen oder besser wohl sitzen. Ob solche Unterwäsche das Vertrauen zu den Patienten stärken würde?

„Wussten Sie, dass Ihr Verhalten ein Anzeichen für fehlendes Selbstbewusstsein ist?“

„Sagen Sie jetzt nicht, dass Sie sich aufgeschrieben haben, dass ich angeblich kein Selbstbewusstsein hätte.“

Das hier wird langsam langweilig, wie viel Uhr ist es überhaupt und wie lange muss ich noch auf diesem unbequemen Stuhl sitzen? Wieso haben Psychologen eigentlich nie eine Uhr in ihrem Behandlungsraum hängen? Stattdessen sind die Wände hier weiß und kahl, die Fenster sind mit diesen dämlichen Lamellen verdeckt und so bekomme ich nur wenig Ausblick auf die Stadt. Was mir aber auffällt, ist das Schloss an den Fensterhebeln – man kann sie also nicht einfach so öffnen. Eine Maßnahme um Selbstmord zu verhindern?

Als wäre jemand so verzweifelt und würde sich in einer Praxis killen oder der Therapeut ist echt so schlecht und lässt das zu oder aber – und das ist wesentlich wahrscheinlicher – der Therapeut will sich killen.

„Wollen Sie wissen, was ich aufgeschrieben habe?“

Ich schüttle den Kopf, so neugierig bin ich auch nicht.

„Gut, Jack.. darf ich Sie so nennen?“

„Sie können es ja stöhnen, wenn Sie unter mir liegen.“

Sie ignoriert auch diesen Kommentar. Dabei macht mir das langsam wirklich Spaß, und es hilft auch noch, die Kopfschmerzen zu vergessen.

„Jack, ich kann verstehen, dass Ihnen nichts an einer Therapie liegt. Aber denken Sie nicht, dass es Ihnen helfen könnte, mit sich und ihrer aktuellen Situation klarzukommen?“

„Sie meinen, weil ich unsterblich bin?“

„Nein, weil Sie offenbar schwerwiegende Probleme mit sich selbst haben. Jack, ich würde Ihnen gerne helfen, sich selbst zu verstehen. Denn ich bin mir sicher, dass Ihr Leben um vielfaches komplizierter ist, als Sie es momentan schildern. Alleine der ständige Alkoholkonsum müsste Ihren Körper beanspruchen, wie steht es dann erst mit Ihrer Psyche?“

Ich schüttle den Kopf, seufze und erkläre möglichst einfach meine Immortalisierung.

„Es belastet meinen Körper nicht. Meine Zellen sind unsterblich. Heißt, wenn etwas kaputt ist, dann ist es innerhalb von wenigen Stunden wieder komplett heil – ohne einen einzigen Kratzer. Deswegen sehe ich auch so verdammt gut aus.“

Sie lacht auf, notiert sich etwas und streicht dann etwas anderes durch. Dann sieht sie auf ihre Armbanduhr – nächstes Mal zieh' ich mir auch eine an. Moment; 'nächstes Mal'? Als würde ich nochmal her kommen.

Andererseits muss ich doch herausfinden was sie für Unterwäsche trägt.

Nun steht sie auf, packt die zwei Seiten, welche sie mittlerweile über mich geschrieben hat, in einen blauen Umschlag – meine Krankenakte. Dann lächelt sie und erwartet wohl, dass ich auch aufstehe. „Gut, dann bis nächste Woche, Mr. Carter? Die Empfangsdame wird Ihnen einen Termin geben und ich reiche meine erste Einschätzung an Ihren Bewährungshelfer weiter.“ Sie hält mir ihre Hand hin, die ich allerdings ignoriere.

„Vielleicht ziehen Sie sich ja nächste Woche für mich aus“, bemerke ich zum Abschluss und verlasse dann, verkatert, den Therapieraum.

2. Sitzung

Die Hände in die Hosentaschen geschoben und der Ollen bloß nicht die Hand geschüttelt; wer weiß schon so genau, ob die ihrem Macker in der letzten halben Stunde nicht einen runtergeholt hat und sich danach nicht die Hände gewaschen hat. „Jack, wie geht es Ihnen heute?“, fragt die Psychologin mich und erst jetzt fällt mir auf, dass ich ihren Namen nicht weiß. Wieso hat die auch kein Namensschild? Alleine für den Fall, dass die vergessliche Menschen behandelt und mal ehrlich, es ist peinlich, nicht den Namen zu wissen, dann muss man das Gespräch immer so seltsam angehen und alles so formulieren, dass es auch ohne Name geht. Aber was ist dann, wenn noch andere im Raum sind? Oder noch so eine Albtraum-Situation; wenn die denselben Namen haben. Deswegen sollte man Menschen auch nummerieren, das ist einfacher.

„Sie sind der Doc, wonach sieht es denn aus?“

„Sie tragen keine Sonnenbrille.“

„Und Sie keine Reizwäsche.“

Jetzt schreibt die echt schon wieder irgendwas auf ihren Block. Allerdings hat sie da noch ein anderes Blatt liegen, etwas ausgedrucktes. Von meinem Platz kann ich nur die Fragezeichen erkennen. Die Tante wird mir doch nicht ernsthaft irgendwelche scheißpsychologischen Fragen stellen?

„Jack, nach unserem ersten Gespräch habe ich etwas nachgedacht und festgestellt, dass Sie in der ersten Sitzung nur sehr wenig über sich erzählt haben und da ich..“

Prompt unterbreche ich sie; dass ich ihr nämlich von klischeehaften Kindheitstraumen berichte – die ich nicht habe – kann die knicken.

„Sie haben meine Strafakte, meine Krankenakte und das Gefasel von den anderen Psycho-Docs, begnügen Sie sich damit.“

Die hat doch allen möglichen Mist an Informationen über mich, wieso muss ich denn jetzt noch irgendwas erzählen? Kann die nicht einfach irgendeine Diagnose stellen und mich in Ruhe lassen?

„Nein, ich habe auch mit Ihrem Bewährungshelfer gesprochen und bin nun in der Lage, Ihnen ein Ultimatum zu stellen; entweder Sie nehmen diese Gesprächstherapie ernst und lassen sich helfen, oder ich werde dem Richter einen Bericht reichen, der Ihnen ihre Freiheit kosten könnte.“

„Wow, irgendwie ist das verdammt heiß. So mit der Erpressung. Können Sie das nochmal sagen, aber dann natürlich ohne Klamotten und in einer 'erotischen' Tonlage?“

Vielleicht sollte ich es mir zur Aufgabe machen, dass ich sie während meiner Zeit hier irgendwann echt mal flachlege. Kann ja nicht so schwer sein und überhaupt, das wäre doch mal eine Geschichte, die man erzählen könnte. 'Ich hab' meine Therapeutin genagelt.' - klingt schon so gut.

„Ich fürchte, dass mein Mann da etwas gegen einzuwenden hätte.“

„Ach, ist nicht so schlimm. Ich hab' schon ein paar Mal mit verheirateten Frauen geschlafen“, bemerke ich schulterzuckend und beobachte erneut, wie sie sich etwas notiert, dann zu dem Fragezettel schielt. Jetzt seufzt sie und lächelt dann, versucht Augenkontakt herzustellen, aber ich beobachte stur die hässliche Zimmerpalme.

„Vielleicht haben Sie es bereits bemerkt, aber nach unserer letzten Sitzung habe ich etwas über Sie nachgedacht. Und dabei sind mir ein paar Fragen in den Sinn gekommen. Fragen, die ich Ihnen gerne stellen würde. Kennen Sie das Frage-Antwort-Spiel?“

„Bei den meisten Spielen, die ich kenne, hat man entweder von Anfang an keine Klamotten an oder 'verliert' sie im Laufe des Spiels.“

Sie ignoriert es geflissentlich, schreibt sich auch nichts auf. Nein, stattdessen nimmt sie ihr mit Fragezeichen bedrucktes Blatt zur Hand und beginnt zu erklären.

„Ich stelle Ihnen ein paar Fragen, die einen sind persönlich, die anderen eher formell. Sie müssen keine der Fragen beantworten, es würde mir allerdings helfen, Sie zu verstehen. Bereit?“

Als ob man für so etwas bereit sein könnte. Bescheuerte Frage; wenn die nächsten auch so bescheuert sein werden, antworte ich der gar nicht mehr. Aber gut, jetzt nicke ich erstmal zustimmend.

„Ihnen scheint Sexualität wichtig zu sein, ist das korrekt?“

„Ich hab' mal Eine fast gegen ein Tütchen Koks eingetauscht, also würde ich jetzt nicht davon ausgehen, dass mir Sex so extrem wichtig ist.“

Sie nickt, notiert sich wieder irgendwas und scheint sich dann zu entschließen, näher auf das Thema einzugehen, legt den Frage-Zettel also wieder weg.

„Und mit wie vielen Frauen haben Sie Verkehr?“

„Hätten Sie letzte Woche fragen sollen, dann hätte ich Ihnen eine Liste mitgebracht.“

„Sie haben eine Liste?“

„Nein, aber ich hätte Ihnen eine geschrieben.“

Sie lacht, notiert noch etwas und presst die Lippen aufeinander.

„Wie viele sind es diese Woche gewesen?“

„Puh, gute Frage. Ich war ziemlich oft stoned, also waren es definitiv noch mehr. So geschätzt vielleicht fünfzehn? Aber da hätten wir Marie, Chantall, Christina, Vanessa, Erica, Sky, Lucie, Jenny, Candy und Katy.“

„Haben Sie zu einer der Frauen eine emotionale Bindung?“

„Nein, Chantall würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Koks eintauschen, die kann das mit den Blowjobs nicht.“

Noch irgendwas kritzelt die auf ihren Block und mir fällt wieder ein, dass ich vergessen habe, eine Uhr anzuziehen. Und da die Psychologin einen richtig hässlichen, langärmligen Strickpullover trägt, kann ich auch nicht auf ihre Uhr schielen. Außerdem muss ich gähnen, entweder wegen dem Sauerstoffmangel, der Tatsache, dass ich zu wenig schlafe – oder aber zu viel.

Es könnte aber auch daran liegen, dass ich das hier echt langweilig finde.

„Gibt es Frauen, zu denen Sie eine emotionale Bindung haben?“

„Meine Mutter – dazu bin ich als ihr Sohn irgendwie verpflichtet; meine Schwester – aber eher so beiläufig.

Und Kerry.“

Jetzt stocke ich. Scheiße, über Kerry wollte ich nicht reden. Nicht weil die Olle jetzt einen wunden Punkt getroffen hat, sondern weil ich ihr damit die perfekte Vorlage für ihr Psychologen-Gefasel gebe.

„Wer ist Kerry?“

Bleib cool, Carter. Spiel es gefälligst runter wie ein Mann. Ob sie meine Selbstgespräche eigentlich hört?

Psychologen können ja irgendwie Gedankenlesen. Aber eigentlich merken die alles anhand der Körpersprache.

Ob meine Augen irgendwas aussagen? Ok, nächstes Mal komm' ich wieder mit Sonnenbrille und zieh' mir verdammt nochmal eine Armbanduhr an! Aber wenn ich noch länger die Klappe halte, wird sie glauben, dass Kerry irgendwie wichtig ist – also dringend wieder reden.

„Kerry ist eine Reporterin, die einen Artikel über mich geschrieben hat, als raus kam, dass ich unsterblich bin.“

„Und wie lange kennen Sie sich?“

„Sechs Jahre.“ Ok, das klang als würde ich jede Minute zählen, also noch schnell was hinzufügen: „Glaube ich.“ Ja, sehr überzeugend. Kauft die mir hundertprozentig nicht ab. Denn jetzt fängt die an zu lächeln.

Möge das Psychologen-Gefasel beginnen.

„Kann es sein, dass diese Kerry für Sie unerreichbar ist und Sie sich diesen Verlust nicht eingestehen möchten, demnach nach einem Ersatz suchen und, wenn man den Namen nach urteilen darf, dann scheinen Sie was Candy, Jenny und vor allem Katy betrifft, sogar nach ähnlichen Namen vorgegangen zu sein?“

„Wow, Sie sind gut. Natürlich, ich bin so oberflächlich und leicht zu erklären. Dann können wir die Therapie ja beenden und Sie als Diagnose stellen, dass ich einfach nur einer X-beliebigen Frau nachjammere.“, gebe ich sarkastisch zurück und schnalze mit der Zunge. Da sieht man mal wieder, wie wenig Ahnung die hat. Als wäre ich echt so versessen auf Kerry.

„Ich bekomm' von vielen Frauen eine Abfuhr. Denken Sie echt, dass mich da eine mehr kratzt?“

„Es verletzt Ihren Stolz und wie Sie bereits erwähnten; Sie kennen sich sechs Jahre. In dieser Zeit lernt man sich gut kennen. Also, wann hat sie Ihnen einen Korb gegeben?“

„Das geht Sie einen Scheißdreck an.“

Als würde ich der irgendwas über mich und Kerry erzählen. Sie nickt, schreibt wieder etwas auf und zieht den rechten Ärmel ihres Pullovers hoch. Sie sieht auf die Uhr, scheint wohl festzustellen, dass ich mein Pensum an fünfundvierzig Minuten erfüllt habe und, wenn ich richtig liege, ist sie sogar erleichtert. Als wäre meine Anwesenheit so anstrengend.

„Jack, unsere Zeit ist so gut wie vorbei. Ich habe zum Abschluss noch eine Frage: Wie oft haben Sie diese Woche versucht, sich umzubringen?“

„Weiß nicht, war zu oft, um es zu zählen.“

„Wäre es möglich, dass wir nächste Woche an diesem Punkt ansetzen?“

Ich nicke nur zustimmend. Ich weiß wieso sie nicht so stark auf meinen Suizid-Drang eingeht – kann ihr nämlich nicht wegsterben. Leider.

3- Sitzung

Noch einmal der kleinen Blondine am Empfangstresen der Praxis zulächeln und sich dann, möglichst lässig, in das Behandlungszimmer begeben. Die Psychologin blättert kurz durch meine Akte und sieht dann auf, setzt ein freundliches Lächeln auf und streckt mir erneut ihre Hand hin. Und wieder gehe ich darauf nicht ein, lasse mich stattdessen nur auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch fallen. Eigentlich möchte ich meinen Blick sofort auf die Palme richten, aber ihre langen Beine und ihr knackiger Hintern sind dann doch irgendwie interessanter.

„Guten Morgen, Jack“, begrüßt sie mich. Kurz werde ich von ihr gemustert und sofort beginnt sie, sich etwas zu notieren. „Sie überraschen mich. Ich dachte nicht, dass Sie pünktlich erscheinen“, bemerkt sie ruhig.

„Ja, ich hab kaum geschlafen.“

„Und dennoch wirken Sie frisch und ausgeruht.“

„War gerade noch duschen.“

Ich zucke mit den Schultern, lehne mich zurück und gönne es mir, zu gähnen. Dabei schiebe ich meine Hände in die Hosentaschen. Der Geschmack meiner letzten Zigarette liegt noch im Mund und eigentlich hätte ich jetzt gerne etwas zu trinken. So ein Morgen-Bier wäre ganz nett, ob sie wohl so etwas da hat oder ernähren sich Psychologen wirklich nur von Kaffee und Wasser? Mein letzter Psychiater hatte immer Kekse da – nicht das die geschmeckt hätten, aber wenn man den Mund voll hatte, konnte man ihm seine dämlichen Fragen nicht beantworten.

„Kann ich davon ausgehen, dass es Ihnen heute besser geht als in den letzten Sitzungen?“

„Weil ich 'frisch' aussehe?“

„Sie sind pünktlich.“

„War ich die letzten Male auch.“

Jetzt schreibt sie wieder etwas auf und dabei fallen ihr die braunen Haarsträhnen ins Gesicht, welche sich aus ihrem Dutt gelöst haben. Sie hat was von meiner alten Englisch-Lehrerin - oder war sie nur die Referendarin?

Auf jeden Fall war sie jung und verdammt heiß. Wir hatten etwas schräges miteinander, was dann aber schief lief – ihr Freund war der Sportler und zwei Köpfe größer als ich. Hab ich ihre Nummer eigentlich noch?

„Gut, erinnern Sie sich noch an unser Frage-Antwort-Spiel?“

„Ja, hat keinen Spaß gemacht.“

„Schade, ich hätte es gerne weiter mit Ihnen gespielt.“

Jetzt mustert sie mich wieder, sucht Blickkontakt, doch ich flirte mit der Pflanze. Ich weiß, dass sie eine 'sexuelle Anspielung' erwartet, wäre bei der Vorlage, die sie mir gibt, auch nicht schwer. Allerdings hab' ich keine Lust, wozu auch? Letzte Nacht war ziemlich gut und benötigt dringend eine Wiederholung; ich bin mir aber nicht sicher, ob die Dame das mitmacht. Nicht bei ihrem Boss.

Kurz wartet die brünette Ärztin noch, kramt dann das Frage-Blatt aus meiner Akte und geht es durch. Etwa vier oder fünf Fragen überspringt sie, bleibt dann an einer hängen und lächelt zufrieden.

„Gut, dann verraten Sie mir doch mal Ihren Beruf.“

Dämliche Forderung, die hat da einen Haufen Unterlagen, in denen steht, wie ich mein Geld verdiene.

Außerdem ist meine Strafakte schon meine Bewerbung.

„Ich mach' alles mögliche. Aber am liebsten geh' ich auf den Strich.“

Ich meine es eigentlich als Scherz, aber sie wirft einen kurzen Blick in ihre Unterlagen und bleibt dann an einem Polizeibericht hängen.

„Laut Ihrer Akte wurden Sie einmal wegen Prostitution festgenommen.“

„Ja, das war eine interessante Nacht. Aber eigentlich hab' ich das Weib nur gedeckt, musste über Nacht in die Zelle und als ich am Morgen rauskam, hat sie sich ausgiebig bei mir bedankt“, erzähle ich lässig und gönne mir bei den letzten Wörtern ein zufriedenes Lächeln. Die Frau nickt, notiert wieder etwas.

Mittlerweile hat sie bestimmt an die fünf Blätter über mich angesammelt und eigentlich wäre es ja ganz interessant zu lesen, was da so alles steht. Aber wenn ich nachfrage, sieht es so aus, als würde ich mich für diesen Mist wirklich interessieren.

„Es war nicht Ihre erste Straftat, richtig?“

„Natürlich nicht, sonst hätte ich den Blödsinn überhaupt nicht durchgezogen.“

Ich zucke mit den Schultern. Laut Akte war es mein siebtes Verbrechen, wobei die Auswirkungen genauso folgenlos waren wie von denen davor. Länger als zwei Wochen war ich nie in Haft gewesen und das hätte ich ehrlich gesagt auch gar nicht ausgehalten, blöderweise aber überlebt. Die Menschen dort waren seltsam und fanden es ziemlich lustig, dass ich unsterblich bin – haben versucht mich umzubringen. Aber gut, ich hätte auch öfter den Rand halten sollen, hätte mir ein paar schmerzhafte Erinnerungen erspart. Vielleicht sollte man einem großen Muskelprotz nicht unbedingt sagen, dass man glaubt, dass seine Freundin gemachte Brüste habe und man mal nachfragen wolle, ob man denn Recht damit habe.

„Jack, Sie wirken abwesend“, holt mich die Ärztin nun aus meiner Erinnerung zurück und ich nicke der Zimmerpalme zu. „Ist es so erstaunlich, dass ich nachgedacht habe?“, gebe ich zurück und runzle die Stirn.

„Es unterstützt nur den Verdacht, dass Sie heute zufriedener mit sich sind. Ist in den letzten Tagen etwas besonderes vorgefallen?“

„Nichts was Sie toll finden würden.“

„Sie müssen es nicht erzählen.“

„Hatte ich auch nicht vor.“

Sie nickt zustimmend, schreibt etwas auf und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Ärztin wirkt konzentriert und erinnert erneut an die Eine aus meiner ehemaligen High School. Sie hat ein hübsches Gesicht und wenn man genau hinsieht, erkennt man die kleinen braunen Punkte auf ihren Wangenknochen – Sommersprossen. Jetzt blickt sie wieder auf den Frage-Zettel, dann zur ihrer Uhr und kurz wirkt sie nachdenklich, beginnt dann aber, wieder zu reden.

„Wie oft haben Sie diese Woche versucht sich umzubringen?“

„Acht oder neun Mal. Ich zähl' es immer noch nicht.“

„Und wie?“

Ich muss lächeln, denn was den Suizid betrifft hab ich meine Lieblingsart definitiv gefunden – das Springen von Hausdächern. Und so antworte ich auch.

„Bin gesprungen.“

„Alle neun Male?“

„Ja.“

Sie notiert sich etwas, beugt sich dann interessiert vor.

„Und wie hat sich das angefühlt?“

„So ungefähr wie Sex und Bungeespringen gleichzeitig.“

Ob das schon mal jemand ausprobiert hat?

„Würden Sie sagen, dass Sie süchtig nach diesem Gefühl sind oder dass Sie hoffen einmal wirklich zu sterben?“

Ich muss lachen, denn sie hat diesen Psychologen-Blick aufgesetzt, wendet ihren Stift in der Hand und wartet nur auf meine Antwort, um die' dann aufzuschreiben.

Aber ich werde ihr die Antwort nicht geben, ganz bestimmt nicht.

„Babe, das Psycho-Doc-Ding steht dir nicht“, erkläre ich ihr, lege den Kopf leicht schief und lächle überheblich. Sie geht auf den Kommentar nicht ein, stattdessen notiert sie wieder irgendetwas und wirft einen Blick auf die Uhr. Wieder diese Erleichterung in ihrem Blick. „Gut, Jack. Unsere Zeit ist mal wieder um und Sie können stolz auf sich sein.Die Wenigsten kommen ein drittes Mal.“ Jetzt muss ich mir ein Lachen verkneifen, grinse stattdessen allerdings breit. „Sie warten doch drauf oder?“, frag ich nach, weiterhin breit grinsend. Nun lacht sie kurz auf, verstummt dann aber wieder. „Nein, das war nur eine unglückliche Wortwahl. Dann bis nächste Woche. Jacqueline wird Ihnen noch einen Termin geben.“

„Den haben wir heute Morgen schon ausgemacht. So irgendwo zwischen Morgensex und Marihuana.“

4. Sitzung

Wieder Sonnenbrille aufgesetzt, wieder kurz vorm Kotzen und wieder bin ich hier. Jacqueline war nicht am Empfang. Ob die Tante sie rausgeworfen hat, weil sie mit mir geschlafen hat beziehungsweise schläft?

Was kann ich denn dafür, dass sie mir ihre Nummer gegeben hat?

„Sie sehen nicht gut aus.“

Och komm schon, wir wissen doch beide, dass ich trotz Kater und blutverkrusteter Unterlippe extrem gut aussehe. Aber letzteres ist in maximal einer Stunde wieder weg, genauso wie der Bluterguss an meinem linken Auge. Ich sollte aufhören, Candy zu vögeln oder es ihrem Freund einfach nicht mehr unter die Nase reiben. Vielleicht sollten wir es aber auch einfach nicht mehr bei ihr treiben.

„Jack?“

Will die das ich antworte?

„Wie war Ihre Woche?“

„Beschissen.“

Das ist auch noch wahr. Ich hatte halt einfach schlechten Stoff da, durchgehend. Vielleicht sollte ich meinen Dealer wechseln, der hat sich nämlich in den letzten Wochen radikal verschlechtert, vermutlich geht ihm auch einfach die Kohle für guten Stoff aus.

„Möchten Sie mir davon erzählen?“

Keine Ahnung, will ich? Nein. Andererseits bin ich jetzt einen verdammten Monat bei ihr und je länger ich protestiere, umso länger wird es dauern, bis ich hier weg kann.

„Weiß nicht; wo ist Jacky?“

„Sie hat Urlaub.“

„Eh' nicht.“

Sie lacht und erst jetzt fällt mir auf, dass meine Akte zugeschlagen ist und das sie bis jetzt noch nichts aufgeschrieben hat. Bin ich jetzt schon so durchschaubar oder hab ich einfach noch nichts interessantes gesagt?

„Sie haben Tinte an der Unterlippe.“

„Nein, das ist Blut. Mein Blut ist blau. Bin halt so eine Art Märchenprinz.“

Jetzt lacht sie schon wieder. Ok, ich muss zugeben, dass sich ihr Lachen gar nicht so schlecht anhört. Aber wenn sie so beim Sex lachen würde, wäre es gelaufen. So eine hatte ich letztens, die war echt hübsch und nett, aber dann hat sie gelacht. Und dann bin ich einfach aufgestanden, hab mich angezogen und bin mit den Worten 'tu das nie wieder' gegangen. Ich hab ihre Nummer gelöscht und versuche seitdem diesen Vorfall einfach zu vergessen. So etwas ist traumatischer als seine Eltern beim Sex zu erwischen.

„In Ihrer Akte steht zwar, wie Sie unsterblich geworden sind, aber vielleicht möchten Sie mir die Geschichte mit eigenen Worten erzählen?“

Sie sucht ein Gesprächsthema. Merkt wohl, dass ich heute absolut keinen Bock habe, ihr irgendetwas zu erzählen. Aber gut, wenn sie die Geschichte unbedingt hören will – ist ja nicht so, als wäre sie spannend.

„Ich war siebzehn, hab' mein Alter hochgeschummelt und da ich Kohle brauchte, hab' ich mich als Pillentester gemeldet. Allerdings hab' ich einen Gen-Fehler, den ich natürlich nicht erwähnt habe, und dann haben die mir komisches Zeug gegeben. Ich hab' die halbe Nacht gekotzt und das hat so eine chemische Reaktion ausgelöst, meine roten Blutkörperchen blau gefärbt und mich unsterblich gemacht.“

„Wie kam raus, dass Sie unsterblich sind?“

„Dämliche Frage; ich bin gestorben.“

Ich kann mir ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen, allerdings ist mir parallel immer noch danach, mich einfach auf ihrem Schreibtisch zu übergeben. Ich hätte einfach im Bett bleiben sollen und schlafen, bis ich sterbe. Oh stimmt, das geht ja gar nicht.

„Ein Unfall oder Selbstmord?“

„Ich bin gegen einen fahrenden LKW geknallt – so ganz aus Versehen. Das war auch so ein Arschloch, das nicht weiß, wie man auf die Bremse drückt.“

Scheiße, ich kotze der echt gleich vor die Füße, 'merke schon, wie es meinen Magen hochwandert. Im Gegensatz zu ihr, denn sie hat meine Akte aufgeschlagen, angefangen zu schreiben und presst nun die Lippen nachdenklich aufeinander.

„Jack, was ist diese Woche vorgefallen?“

„Eine Menge.“

„Erzählen Sie ruhig.“

Jetzt lehnt sie sich zurück und erwartet eine Geschichte; blöderweise will ich es wirklich erzählen. Das hilft hoffentlich, den Brechreiz zu unterdrücken.

„Vio war da, ich hab ein Buch gelesen und Kerry stand vor meiner Tür. Der Freund von Candy hat mich verprügelt und mein Dealer ist scheiße.“

„Fangen wir bei Vio an. Sie ist Ihre Schwester, richtig?“

„Ja, sie war irgendwie zwei Tage da. Aber ich war da 'n bisschen high und eigentlich hat sie mir nur gesagt, dass ich Mum sagen soll, dass sie bei mir ist. In Wahrheit hat sie allerdings ihren Freund geknallt. Der wohnt bei mir in der Gegend, deswegen.“

„Wie alt ist Ihre Schwester?“

Ich zucke mit den Schultern, keine Ahnung wie alt sie ist. Woher soll ich das denn auch wissen?

„Zwölf? Fünfzehn? Sechzehn? Irgendwie so etwas.“

„Sie scheinen sich nicht nahe zu stehen. Stimmt das?“

Wieder Schulterzucken. Nur weil ich nicht weiß wie alt sie ist? Die Hälfte der Menschheit weiß nicht, wie alt die eigenen Geschwister sind. Das ist nichts besonderes, außerdem ist Vio seltsam.

„Ich bin locker fünf Jahre älter als sie. Als Vio in die Pubertät kam bin ich gerade ausgezogen und wir haben einen guten Draht zu einander.“

Okay, das ist gelogen. Ich kann Vio nicht ausstehen, die ist so ein richtig scheinheiliges Weichei. Blöderweise kann ich ihr das nie an den Kopf knallen. Das ist dasselbe Phänomen wie bei manchen Tieren; die Geschwister gehen sich nicht ernsthaft an die Gurgel.

Sie kratzen sich nur ein bisschen, anstatt sich gegenseitig zu zerfetzen.

„Und denken Sie, dass Sie für Vio eine Vorbildfunktion haben?“

Das hat Mum mir auch immer vorgeworfen. 'Jack, rauch' weniger. Jack, trink' weniger. Jack lande weniger im Knast. Jack hör' auf, mit deiner Lehrerin zu schlafen. Sonst macht dir Vio das Alles noch nach.' – als ob. Die wollte ihre Unschuld bis zur Ehe behalten, tanzt Ballett und ist Mamas Liebling, weil sie ein Mädchen ist. Scheiße, jetzt hört sich das doch glatt nach einem Kindheitstrauma an. 'Der verstoßene Sohn' und so eine Kacke.

„Nein, hab' ich nicht.“

Sie nickt, schreibt etwas auf und wechselt dann das Thema.

„Was haben Sie für ein Buch gelesen?“

„Weiß nicht mehr wie es hieß – ich war breit – aber es war gut. Ging irgendwie um ein Mädchen das Krebs hatte und fest davon ausgegangen ist, sterben zu müssen und dann überlebt hat. Irgendwie wollte sie sich die ganze Zeit umbringen, hat aber nie genug Arsch in der Hose dafür gehabt. Auf jeden Fall musste sie halt den Weg zurück ins Leben finden. Darum ging das.“

Sie lächelt, schreibt etwas auf und beugt sich interessiert vor.

„Kann es sein, dass Sie sich mit ihr identifizieren konnten?“

„Würde sie existieren hätte ich sie gevögelt, geschwängert und geheiratet. Die war verdammt gut drauf.“

Ich muss grinsen, dass das Mädchen aus dem Buch vermutlich genauso alt war wie Vio lasse ich mal aus.

Das würde einen seltsamen Eindruck vermitteln. Mein Psycho-Doc lächelt, notiert sich etwas und fährt sich durch die Haare. Dieses Mal sind sie geöffnet und fallen ihr locker über die Schulter. Sie sieht echt aus wie ein über die dreißig gekommenes Supermodel. Ok, jetzt denk' ich wieder daran, sie flachzulegen oder daran, was sie für Unterwäsche trägt oder daran, wie sie aussieht, wenn sie keine Unterwäsche trägt. Scheiße, Carter. Denk' an was anderes, irgendwas, wovon du keinen Ständer bekommst. So etwas wie der Silikon-Hintern von Kim Kardashian. Das ist gut, das Teil ist echt nicht mehr normal.

„Sie sagten, Kerry wäre da gewesen?“

Oh ja, das war sie, und in dem Moment, als sie vor der Tür stand, hab' ich meinen Dealer verflucht, meine Unsterblichkeit und einfach die gesamte Welt.

„Ja, stand verheult und mit Blumen und Pralinen vor meiner Tür. Vermutlich hatte sie auch nur super heiße Unterwäsche an.“

Ja, an dem Abend hab' ich es echt verkackt.

„Oh, was ist passiert?“

„Sie hatte irgendwie Stress mit ihrem Freund oder so.

Keine Ahnung, hat eine Menge geheult und ich war extrem dicht, hab' kaum was mitbekommen und irgendwie hat sie bei mir übernachtet. Hat' gesagt, dass sie nicht nach Hause kann und auch gar nicht möchte.“

Meine Therapeutin lächelt nun vielsagend, vermutlich reimt sie sich jetzt etwas zusammen von dem ich mir vergebens wünsche, dass es passiert wäre.

„Ich hab nicht mit ihr geschlafen“, gebe ich zu und offenbare kurzzeitig meine Frustration, indem ich mir durch die Haare fahre. Es war die perfekte Gelegenheit, wirklich. Und ich hab's mir kaputt gemacht.

„Ich weiß. Das sieht man Ihnen an. Es scheint Sie sehr mitzunehmen, eine Chance nicht genutzt zu haben.

Aber denken Sie nicht, dass es besser so ist? Wie Sie bereits bemerkt haben, ist Kerry unerreichbar und wenn sie diesen anderen Mann liebt, dann hätte es Sie nur noch mehr verletzt.“

Ok, jetzt klingt es, als wäre ich irgendein Teenager. Das ist doch bescheuert.

„Das klingt dämlich; als wäre ich irgendein dummes Außenseiter-Weib, das sich in den Quarterback verknallt hat und er bemerkt sie nicht, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, die Cheerleader-Fraktion zu nageln“, gebe ich zynisch von mir, schnalze mit der Zunge, verschränke die Arme vor der Brust und kann nicht anders als sie böse anzusehen. Was sie durch die Sonnenbrille hindurch aber nicht erkennen kann.

Sie geht nicht weiter auf das Thema ein, schreibt stattdessen etwas auf und erinnert sich dann daran, dass ich noch etwas über Candys Macker gesagt habe.

„Können Sie bitte Ihre Sonnenbrille abnehmen?“, bittet sie mich und ich weiß, dass es ihr um mein blaues Auge geht. Also nehme ich die Ray-Ban-Brille langsam herunter, versucht dabei möglichst lässig auszusehen.

Sie ignoriert es, betrachtet mit zusammengepressten Lippen die Verletzung.

„Wie lange dauert es, bis solch eine Verletzung verheilt?“

„Maximal zwei Stunden. Ich hab mal einen Arm verloren, den haben sie mir im Krankenhaus einfach wieder angenäht und nach ungefähr vierundzwanzig Stunden war alles wieder wie vorher. Es kommt ganz auf die Verletzung an. Das, was dann schon eher stört, ist halt das blaue Blut. Das sieht immer ziemlich beschissen aus. Wie Tinte halt.“

Sie nickt, schreibt sich etwas auf und stellt dann eine neue Frage.

„Und was war da jetzt genau mit Candys Freund?“

„Ich hab seine Freundin geknallt, hielt es irgendwie für nötig ihm das mitzuteilen und er hat halt nicht ganz so zurückhaltend reagiert.“

Sie schreibt es sich auf, schielt wieder so auffällig unauffällig auf ihre Armbanduhr und mir fällt auf, dass ich die Pflanze heute noch keines Blickes gewürdigt habe. Da war Ex-Supermodel-Psycho-Doc doch echt der bessere Anblick. Vielleicht kann ich sie irgendwann mal flachlegen, wenn ich nett zu ihr bin. Moment, ich bin doch nicht nett. Ich bin ein verdammtes Arschloch.

5. Sitzung

„Jack, legen Sie Ihr Handy bitte weg?“, bittet mich das Ex-Supermodel. Ich schüttle nur den Kopf und konzentriere mich stattdessen weiter auf das aktuelle 'Candy Crush'-Level. Schließlich hab ich im Moment einen richtigen Lauf. Wenn ich so drüber nachdenke, dann spiele ich das Spiel eigentlich nur, wenn ich high bin. Es ist lustig mit den Süßigkeiten und einmal war ich so stoned, dass ich mein Handy abgelenkt habe – wollte wissen ob die Süßigkeiten echt sind.

„Jack?“

Scheiße, jetzt hab ich was falsch gemacht und keinen Booster bekommen.

„Was machen Sie da überhaupt?“

„Candy Crush“, murmle ich abgelenkt und versuche, meinen vorigen Fehler auszubügeln. Wer hatte überhaupt die Idee mit diesen Süßigkeiten? Das System ist ja eigentlich ähnlich wie bei Jewels. Ok, nur noch fünf Züge, das schaff' ich unmöglich. Also geb' ich einfach auf, lass' das Handy in der Hosentasche verschwinden und fange erneut an, mit der Zimmerpalme zu flirten. Gut, wenn ich ehrlich bin muss ich zugeben, dass ich in Moment wirklich dicht bin und mir die ganze Zeit vorstelle, wie sich die Pflanze in eine heiße Elfe verwandelt.

„Jack, Sie wirken abwesend.“

Ich bin stoned, Babe.

„Stimmt schon.“

Und ich bekomme Hunger, richtigen Hunger. Vielleicht stürme ich hier nach maskiert das nächste KFC und decke mich mit Chickenwings ein? Wie es sich wohl anfühlt in Chickenwings zu baden? Bestimmt wird man dann selbst zu einem Chickenwing. Ich will ein Chickenwing sein, für den Rest meines Lebens. Die müssen nicht denken und sind so glücklich. Und sie riechen gut und wenn mich jemand isst, schmecke ich fabelhaft. Ok, ich würde so oder so fabelhaft schmecken. Ich bin schließlich fabelhaft, immer.

„Jack, woran denken Sie in Moment?“

„Daran ein Chickenwing zu sein.“

Ok, nächstes Mal nicht ehrlich antworten. Die wird mir eine Info-Broschüre in die Hand drücken und sagen, dass es mir helfen würde. Wie einer meiner vorigen Therapeuten; der war felsenfest davon überzeugt, mir einen Entzug aufzudrängen. Wofür denn? Damit ich meine Unsterblichkeit damit verbringe, clean zu sein und allen davon zu erzählen, wie aus dem dauerdichten Jack ein Typ in selbstgestricktem Pullover und Brille wurde, der bei den AA's – Anonyme Alkoholiker – Seminare leitet? Lieber vergammel' ich im Knast, als dass ich mir das antue. Meine Mimik muss etwas genervtes bekommen haben, denn die Psychologin runzelt die Stirn, schreibt etwas auf und mustert mich weiterhin. „Jack, haben Sie etwas zu sich genommen?“,

fragt sie vorsichtig. Jetzt fällt mir ein, was ich vergessen habe; die beschissene Sonnenbrille. Klar, meine Augen sind bestimmt rot unterlaufen und mit so einem gestört glasigem Blick ist es extrem offensichtlich, dass ich high bin.

„Gras.“

Vielleicht ruf' ich nachher Vanessa an? Mit der sollte ich auch mal wieder vögeln. Oder ich rufe Jenny an.

Scheiße, ich fang' schon an, meine Weiber zu vernachlässigen, was würden die denn ohne mich machen? Ich meine, ohne mich hätten die doch gar keinen Sex mehr, zumindest keinen guten.

„Jack, denken Sie, dass diese Sitzung in ihrem Zustand einen Sinn hat?“

„Wollen Sie etwa abbrechen?“

Ich muss gestehen, dass mich das jetzt überrascht.

„Nein, Ihr Verhalten zeigt, dass Sie das hier nicht ernst nehmen; erneut.“

Sie ist sauer, das Ex-Supermodel ist sauer auf mich.

Natürlich, sie ist ein Profi – so was geben die nicht zu.

Aber die hat denselben, gereizten Blick aufgesetzt wie alle anderen vor ihr. So einen Blick hatte Kerry, wenn ich mich kindisch verhalten habe – also immer. Ich will wieder 'Candy Crush' spielen oder in einen Süßigkeitenladen einbrechen. Ob man 'Candy Crush' auch mit echten Süßigkeiten spielen kann? So 'Candy Crush – das Brettspiel'. Das ist eine Marktlücke, blöd, dass ich das in ein paar Minuten wieder alles vergessen habe. Ich könnte es aufschreiben, aber die Ärztin wirkt genervt, so richtig genervt. Als hätte sie es schwer, mich nicht zu verprügeln. Ob ich ihr schlimmster Patient bin? Nein, die behandelt ja auch die echten Psychos. So Kerle, die ihre Frau verprügeln und in Stücke reißen. Aber bestimmt sind die netter als ich und weniger stoned. Arschlöcher. Wenn die sympathischer als ich sind, dann läuft in der Welt doch was falsch. Ich schnalze mit der Zunge und werfe einen Blick aus dem Fenster, heute sind nämlich die hässlichen Vorhänge beiseite gezogen worden.

„Es regnet.“

„Jack, wieso haben Sie Angst davor, sich zu öffnen?“

„Ich will nicht in den Arsch gefickt werden.“

Ok, ich weiß auch nicht, wieso das das erste ist, was mir dazu einfällt. Was will die denn auch von mir? Soll ich anfangen zu heulen? Dramatische Geschichten erzählen? Die Welt retten?

„Mir macht das genauso wenig Spaß wie Ihnen“, erkläre ich trocken. Langsam will ich sie nicht mehr flachlegen. Im Moment kann ich sie noch nicht 'mal ausstehen. Ich würde viel lieber schlafen, das hab ich letzte Nacht nämlich nicht getan.

„Wer sagt, dass mir unsere Unterhaltungen keinen Spaß bereiten?“

„Ihr Blick.“

Ich verschränke die Arme vor der Brust, jetzt wird das hier endlich mal wieder interessant. Na komm schon, Ex-Supermodel, raste aus, werde gefälligst unprofessionell und ich kann hier endlich weg. Na los doch, spielen wir.

„Ich muss ehrlich zu geben, dass es schwer fällt, Ihnen zu helfen, wenn Sie diese Hilfe offenbar so sehr ablehnen.“

Was? Mehr hast du nicht drauf?

„Ich bin nicht freiwillig hier, Babe. Das haben wir doch schon geklärt.“

Ich sage es so provozierend wie möglich – ihr aber egal.

„Und Sie werden hier auch nicht wegkommen, solange ich es nicht sage.“

Miststück, spielt die eiskalt ihre Macht aus.

„Sie wollen also dass ich mich öffne? Letzte Nacht hab ich fünf Stunden damit verbracht, mir die Pulsadern aufzuschlitzen und trotzdem sitze ich hier und lebe.“

Sie nickt, schreibt es auf und schon ist da wieder der Psychologen-Blick. Als hätte das vorhin nicht existiert und ich muss zugeben, dass sie das noch heißer macht als ohnehin schon.

„Fünf Stunden?“

„Mein Badezimmer sah aus als wäre ein Drucker in die Luft gegangen.“

Sie lehnt sich zurück und wenn ich mich nicht täusche, ändert sich ihr Blick. Plötzlich wirkt sie mitleidig.

Nochmal; Miststück. Deswegen rede ich nicht drüber, wegen diesem verdammten Blick. Na und? Jeder hat Probleme und es ist mein gutes Recht, sterben zu wollen. Ich darf sterben. Nein, darf ich nicht – kann ich nicht.

„Sie spüren Schmerzen wie alle anderen Menschen auch, richtig?“

„Ja.“

Es hat gezogen, gebrannt und ich kann es immer noch spüren; wie das warme Blut über meine Unterarme auf die kalten Fliesen tropft, dort einen Rinnsal bildet und in den Fugen fließt wie ein kleiner Bach.

„Hatten Sie ein Tief?“

Nein, natürlich nicht. Mir macht das alles Spaß. Ich liebe es abgöttisch, mir mit einem dämlichen Küchenmesser den kompletten Unterarm längs aufzuritzen. Was ist das für eine bescheuerte Frage?

Kann die nicht einfach die Fresse halten, ihren beschissenen Hunde-Blick einstellen und mich was von dem Frage-Zettel fragen?

„Sind Sie deswegen zugedröhnt? Um dieses Erlebnis zu verdrängen?“

Fick dich. Ich hasse dich. Geh weg.

„Jack?“

Nein, ich antworte dir nicht mehr. Ich ruf gleich Vanessa an, die hat immerhin keinen Freund der mich verprügeln kann und stellt auch nicht solche behinderten Fragen.

„Jack, fühlen Sie sich..“

„Wie wie viel Uhr ist es?“

Hart, so kalt klang ich lange nicht mehr. Mit dem Tonfall könnte ich den Bösewicht in einem Action-Film spielen.

„Möchten Sie die Sitzung beenden?“

Verdammt nochmal; ja!

6. Sitzung

Was da auf meinem Schoß sitzt und anscheinend ein Problem mit meiner Hose hat? Eine Katze. Hab ich zufällig vor dem Gebäude rumlungern gesehen. Erst überlegt, ob ich sie im Bad der Praxis verstecken soll.

Aber die Idee davon, dass die überall hin pinkeln könnte oder, noch schlimmer, in der Kloschüssel ertrinken könnte, gefällt mir nicht so wirklich.

Außerdem sah sie so bemitleidenswert aus und ob man's glaubt oder nicht; ich hab auch ein Herz. Ist vermutlich ziemlich klein und verkrüppelt, aber hey, was soll's?

„Jack, was macht die Katze hier?“

Ex-Supermodel-Psycho-Doc findet das Kätzchen offenbar nicht so knuffig wie ich.

„Erstens; das ist ein Kätzchen. Es ist klein und einsam und ich nenne es Little Jack. Zweitens; komm schon, Babe; letzte Woche kam ich stoned hierher. Da ist das hier doch nichts gegen.“

„Das Mitbringen von Haustieren ist in den Therapieräumen nicht gestattet.“

Die Ärztin presst die Lippen aufeinander und Little Jack krallt sich in meine Oberschenkel. So ein Arschloch. Aber immerhin bleiben die Kratzer nicht und wenn der weiter meine Beine massakriert werfe ich ihn eiskalt gegen die Wand. Vielleicht ist es aber gar kein 'Er'? Ich hab' gar nicht nachgeguckt, aber in beiden Fällen nenne ich es Little Jack.

„Es ist ja kein Haustier. Ich hab's auf der Straße gefunden und konnte es nicht beziehungsweise wollte es nicht in Ihrem Bad einsperren.“

„Ihnen ist bewusst, dass diese Katze gefährliche Krankheiten haben könnte?“

„Ist Ihnen bewusst, dass das ziemlich egal ist? Ich bin unsterblich, schon vergessen, Babe?“

Sie lacht auf, schüttelt den Kopf und schlägt meine Akte auf. Sofort notiert sie sich etwas, schaut dann auf und lächelt freundlich. Mein Doc wirkt heute weniger genervt von mir. „Heute Morgen guten Sex gehabt?“,

frag' ich stirnrunzelnd. Ich fühl' mich ein bisschen wie ein Bösewicht aus einem James-Bond-Film. Dieser eine Film mit dem glatzköpfigen Typen und seiner Katze.

Little Jack und ich wären davon die coole Version.

Vielleicht sollte ich jetzt mal einfach mein böses Lachen üben und die Katze dabei weiter kraulen? Nein, das würde zu seltsam kommen und dann glaubt die wieder, ich wäre stoned.

„Jack?“

„Hm?“

„Wie war Ihre Woche?“

Ich muss pfeifen, denn diese Woche war hart. Okay, nein. So hart auch wieder nicht. Hatte schon schlimmeres und Moment, die weiß doch wie meine Woche war.

„Wissen Sie doch schon.“

Jetzt nickt das Ex-Supermodel, das heute Morgen wohl wirklich guten Sex gehabt haben muss. Die hat die Frage gar nicht beantwortet, vielleicht ist sie einfach nur high? Hat sich zugedröhnt, um das hier durchzustehen. Wenn das stimmt, dann bin ich aber enttäuscht. Wir hätten zusammen kiffen können. Wie steht Little Jack eigentlich zu Drogen? Macht sein kleines Herz bestimmt nicht mit; der Arme.

„Ihr Bewährungshelfer hat mich vor ein paar Tagen kontaktiert; erzählt, dass Sie wieder verhaftet wurden.

Möchten Sie mir die Geschichte erzählen?“

Ich sage 'ja' und parallel springt mir Little Jack vom Schoß und inspiziert das Zimmer. Komm schon Jack, pinkle irgendwohin. Dann hab ich was zu lachen.

„Mir war langweilig, ich hab ein Auto geknackt. Und das war nicht eins von diesen billigen Autos.“

Ich grinse vielsagend, doch die Ärztin schüttelt den Kopf, zeigt damit, dass meine Aktion wohl nicht grade die Coolste war.

„Was kann ich denn dafür, wenn die Bonze ihren Luxusschlitten vor meiner Haustür abstellt?“

Das Auto hatte noch diesen Neuwagen-Geruch. Diesen üblen Gestank nach Industrie und deutschen Markenwagen.

„Sie haben Ihre Bewährung riskiert; ist Ihnen das bewusst?“

„Das lustige an der Geschichte ist, dass mich die Bonze erwischt hat. Und wenn ich 'die' sage, dann meine ich ein Weib á la Paris Hilton. Erst wollte sie die Polizei anrufen, dann ist ihr aufgefallen; dass ich super aussehe. Und solche Menschen sind gelangweilt und ich sehe ziemlich gut aus. Hatte was von einem Porno.

Okay, gut. Es ist gelogen. In Wahrheit hat sie panisch gekreischt, mir in die Eier getreten und die Polizei gerufen. Aber können wie bei meiner Version bleiben?“

Sie lacht erneut. Scheiße, hat die gute Laune, da lief doch irgendwas.

„Jack, wieso haben Sie das getan?“

„Mir von ihr in die Eier treten lassen?“

„Nein, das Auto klauen wollen.“

Ich schnalze mit der Zunge, fange an, Little Jack zu beobachten. Offenbar findet er die Zimmerpalme genauso spannend wie ich. Aber immerhin muss sich das Kätzchen nicht damit befassen, irgendwelche Psycho-Fragen zu beantworten. Woher soll ich denn wissen, wieso ich die Karre klauen wollte? Intuition?

Langeweile? In der Highschool hab' ich die Wände besprayt, da wurde mir dieselbe dämliche Frage gestellt. 'Wieso machst du das? Wieso springst du von Häusern? Wieso schläfst du mit so vielen Weibern?

Wieso nimmst du Drogen?'. Oh Moment, ich hab auf diese ganzen Fragen sogar noch Antworten. Vor allem auf die vorletzte, denn eine ist prinzipiell langweilig.

Deswegen wird auch jede zweite Ehe geschieden, deswegen gibt es Singles oder Charlie Sheen. Genau deswegen.

„Wieso hätte ich es denn nicht klauen sollen?“

„Es ist gegen das Gesetz.“

Ich muss lachen. Scheiße, der Witz war gut. 'Gegen das Gesetz'.

„Komm schon, Babe. 'Gegen das Gesetz'? Echt jetzt?

Ich bin unsterblich. Was kümmern mich da Regeln?“

Sie nickt, schreibt sich etwas auf und seufzt dann.

„Akzeptanz in der Gesellschaft“, beantwortet sie die Frage trocken. Ich zucke mit den Schultern, lege den Kopf in den Nacken und beobachte die Decke. Little Jack springt mir wieder auf den Schoß, verlangt, gekrault zu werden. Vielleicht ist er doch ein Weibchen? Die wollen nach dem Sex auch immer aus unerfindlichen Gründen kuscheln. Ist ja nicht so als würde einem dabei der Arm einschlafen; oder sie liegen dann so unbequem auf dem Oberkörper und wenn sie lange Haare haben, hat man davon früher oder später welche im Mund. Darauf kann ich verzichten.

„Wieso sollte ich das wollen?“

„Es würde Sie glücklicher machen. Sie wären weniger einsam.“

Aua, das hat weh getan.

„Ich bin nicht einsam.“

Sie geht nicht weiter auf das Thema ein, schreibt etwas auf und beißt sich auf die Unterlippe.

„Wie geht es Kerry?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Jack, sie kam zu Ihnen als sie Streit mit ihrem Freund hatte. Sie scheinen sich nahe zu stehen.“

Sie klingt vorsichtig, als will sie sich ganz langsam an das Thema herantasten. Tja, das kann die mal ganz schnell knicken.

„Ich rede mit Ihnen nicht über Kerry“, erkläre ich zerknirscht, doch sie ignoriert es.

„Ist es Ihnen peinlich, Gefühle für sie zu empfinden?“

„Wenn ich Schmetterlinge im Bauch haben will, esse ich Raupen.“

Okay, raste nicht aus, Carter. Wechsel' einfach das Thema. Du weißt wie das geht.

„Ich bin Drogendealer.“

Ja, perfekt. Kriminelle Scheiße ist interessanter als nicht vorhandene Gefühle für irgendein Weib. Obwohl Kerry ja nicht irgendwer ist.

„Wieso?“

„Mein Dealer war scheiße und ich dachte, dass ich das besser hinbekomme als er.“

Sie notiert es und presst die Lippen aufeinander.

„Dient es der Provokation?“

„Was?“

„Wollen Sie die Menschen damit provozieren? In dem Sie ständig pubertär gegen die Gesellschaft und dessen Grundsätze rebellieren? Steckt da ein Wunsch nach Aufmerksamkeit?“

Ich muss grinsen. Das mit dem 'pubertär' hör' ich ständig. Was kann ich denn dafür, dass ich nicht erwachsen werde? Aber das mit der Aufmerksamkeit ist gar nicht mal so schlecht. Als raus kam, das ich unsterblich bin, gab es zwei Monate diese fünfzehn Minuten Ruhm, wie sie normalerweise nur Casting-Sternchen genießen dürfen. Ich war sogar bei Oprah, allerdings hätte ich zu der netter sein sollen. Und Jamie Oliver war auch dabei, der wäre fast ausgerastet, weil ich Witze darüber gemacht habe, dass er eins seiner Kinder Rainbow genannt hat. Selbst Schuld Jamie.

„Sie sind heute ja richtig gut drauf. Lassen Sie mich raten; heute Morgen gab es zwar keinen Sex mit Ihrem Mann, dafür haben Sie aber irgendeinen Psycho vor mir vorm Selbstmord bewahrt? Oder einem verpickeltem Weib eine Tube Selbstbewusstsein verpasst anstatt die nötigere Pickelcreme?“

Sie lächelt, schielt dann auf ihre Uhr und sieht mich an.

„Unsere Zeit ist leider vorbei.“

Scheiße, sie hat 'leider' gesagt. Wenn ich mich heute ins Zeug gelegt hätte, hätte ich sie bestimmt flachlegen können. Aber gut, dafür hab ich jetzt eine Katze. Was essen die eigentlich und wie bring' ich der bei, ein Katzenklo zu benutzen? Scheiße, ich weiß nichts über Katzen. Und wofür brauchen die einen Kratzbaum?

7. Sitzung

Jacqueline sitzt wieder hinter dem Empfangstresen. Na, wenn das kein Grund zu feiern ist. „Hast du nachher noch was vor?“, fragt sie und legt den Kopf leicht schief. Die kleine Blondine hat eine minimale Ähnlichkeit mit Britney Spears, aber wirklich nur eine kleine und ich meine die Spears die noch 'Baby One More Time' gesungen hat. Wobei man Singen auch mal in Anführungszeichen setzten sollte.

„Ja, leider schon. Ich ruf dich aber noch an.“

Ich ruf dich nicht an.

Noch einmal lächeln, zusehen, wie sie dahinschmilzt und sich dann ziemlich lässig in den Behandlungsraum bewegen. Ex-Supermodel-Psycho-Doc sitzt schon auf ihrem Stuhl, wirkt heute wieder schlecht gelaunt.

Vielleicht hat die ja Hormon-Schwankungen – Wechseljahre? Nein, dafür ist die zu jung. Vielleicht Tage? Ach keine Ahnung, ich hab in Biologie entweder geschlafen oder mit meiner Sitznachbarin unter dem Tisch rumgeknutscht. Wenn ich mich richtig erinnere ist die mittlerweile bekennende Lesbe. Ob das an mir liegt?

„Guten Tag, Mr. Carter.“

„Heute kein Vorname oder haben Sie den vergessen?“

„Nein.“

Neue Theorie: Die versucht schwanger zu werden, bevor die Wechseljahre einsetzen und wird jetzt mit Hormonen behandelt – daher die schlechte Laune.

Apropos Schwangerschaft, da hab ich auch noch was zu erzählen.

„Gut, dann erzählen Sie mal von Ihrer Woche“, fordert sie mich nun auf, klingt dabei rau und gemein. Da fällt mir eine dritte Theorie ein; ihr Macker kriegt keinen hoch, sie dadurch keinen Sex und dadurch schlechte Laune, die sie natürlich an mir auslassen muss.

Vielleicht wird die schlechte Laune auch noch gesteigert, weil wir beide nicht mit einander schlafen sollen beziehungsweise dürfen? Ich weiß immer noch nicht, ob das gegen das Gesetz ist.

„Was sind Sie so zickig? Das ist unprofessionell.“

Sie rückt eh nicht mit dem Grund raus.

„Jack, wie war Ihre Woche?“

Sag ich doch. Die überspielt ihren Frust einfach mit einem Lächeln und einem einigermaßen netten Tonfall.

So werden wir aber keine Freunde, Babe.

„Tut mir leid, aber Sie haben grade eben unser freundschaftliches Vertrauen zerstört. Dabei wollte ich Ihnen noch davon erzählen, dass ich in letzter Zeit immer wieder in Tränen ausbreche und dass das nur daran liegt, dass sich die Backstreet Boys aufgelöst haben und ich in Wahrheit schwul bin.“

„Die Backstreet Boys haben sich nicht aufgelöst.“

Ja, damit zerstört die meine Coolness. Miststück.

„Das war Sarkasmus, Babe.“

„Jack, können Sie bitte einfach meine Frage beantworten?“

Gott, ist die gereizt. Ex-Supermodel ist doch Psychologin, wieso verschreibt die sich selbst nicht was und dann läuft das wieder? Ich hab' auch zwei Wochen als 'Arzt' gearbeitet und es ist nie aufgeflogen. Na gut, eigentlich hab' ich nur Unterschriften fälschen gelernt und mir einen von diesen Blocks geklaut, auf denen immer die verschriebenen Medikamente stehen. Wenn ich so drüber nachdenke, sollte ich das wahrscheinlich bald wieder anfangen. Ich kann ja nicht ewig mit der Apothekerin vögeln, um ihr dann dreist die Pillen aus dem Laden zu klauen und dann zu verticken. Obwohl es ja schon lukrativ ist.

„Ja, ich kann Ihre Frage beantworten. Meine Woche war wie immer; beschissen und verdammt geil.“

„Jack, können Sie einfach erzählen?“

Jetzt weiß ich was die hat; einen verdammten Kater!

„Aspirin und Wodka. Das hilft.“

„Bitte was?“

„Gegen Ihren Kater.“

Sie möchte es leugnen, aber jetzt, wo ich sie mal mustere, fällt es schon auf. Die zerzausten Haare, die Schatten unter den leicht zusammengekniffenen Augen und die nach unten gezogenen Mundwinkel. Heute ist sie nicht so heiß wie sonst. Aber schon hart, wie einfach die Lösung eigentlich ist und ich Idiot denk' echt, dass die schwanger werden will.

„Also, Wade ist aus Indien zurück und Little Jack hat entweder Magersucht oder einfach eine Macke. Der isst falsch – sagt zumindest Wade. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber anscheinend muss ich jetzt mit dem zum Tierarzt. Hab' aber überlegt, dem einfach mal Hanf-Brownies zu geben. Wenn er auf einem Trip ist, müsste sich sein Hungergefühl eigentlich ja steigern.

Allerdings will ich Little Jack jetzt nicht auf dem Gewissen haben, deswegen muss ich wohl zum Arzt.

Und meine Karriere als Dealer läuft großartig. Ich versteh' nicht, wieso manche dabei erwischt werden.

Das ist super easy.“

Sie nickt, notiert sich etwas davon. Aber vermutlich nicht mein Gefassel über Little Jack, dann runzelt sie die Stirn.

„Haben Sie von Wade schon erzählt?“

„Nein, den Kerl kenne ich seit der Middle School. Wir wohnen zusammen, der war das letzte Jahr nur in Afrika – irgendwas mit Kinderhilfe.“

„Sie sagen das so abwertend. Neid?“

Ich muss grinsen, da sind wir wieder beim Thema 'Akzeptanz in der Gesellschaft'.

„Ach, er ist momentan auf so einem Hippie-Trip. Von wegen Weltfrieden und Woodstock. Stört ein bisschen, aber jetzt, in New York, wird der das alles wieder ablegen.“

„Eignet sich Wade nicht als positiver Einfluss?“

Wieder breche ich haltlos in Gelächter aus. Die Idee von Wade als Moralapostel mit Vorbildfunktion – kurz: Disney-Sternchen á la Hannah Montana – ist ziemlich übel.

„Ich hab mit ihm meinen ersten Joint geraucht. Der ist der Letzte, der für Obdachlose Suppe austeilen würde.

Wade kann nur gut mit Kindern. Mit Erwachsenen ist er schlecht.“

„Und Kerry?“

Jetzt geht das wieder los. Die muss doch mittlerweile wissen, dass ich das Thema hasse.

„Was ist mit ihr?“

„Übt sie einen positiven Einfluss auf Sie aus?“

„Klar, sieht man doch. In den sieben Jahren, in denen ich sie kenne, habe ich beschlossen, Pullunder zu tragen und mich sozial zu engagieren. Ich bin sogar bei der freiwilligen Feuerwehr.“

„Jack.“

Uh, jetzt sagt sie meinen Namen so warnend. Wenn sie das jetzt noch stöhnen würde, könnte man meinen, sie wäre ein Weib, das gleich kommt.

„Was kann ich dafür, wenn Sie so dumme Fragen stellen?“

„Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten.“

Ja, das haben die Sozialarbeiter in der High School auch immer zu mir gemeint. Die sind dabei rot angelaufen, haben die Fäuste geballt und dann sehr zerknirscht gemeint, dass das Gespräch nun vorbei wäre. Aber Sozialarbeiter sind eh so eine Sache für sich. Meinen immer so schön 'das bleibt unter uns' und beim ersten Mal war' ich noch blöd genug und hab' es geglaubt. Dann durfte ich eine Stunde später beim Direktor antanzen und wurde von dem zusammengeschissen.

„Ich dachte, dass es beim Therapeuten keine dummen Antworten gibt und das alles, was ich sage, irgendwie wichtig ist?“