Jugenddichtungen - Isidor Rachenros - E-Book

Jugenddichtungen E-Book

Isidor Rachenros

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Beschreibung

Das Buch enthält kleine Jugenddichtungen des Autors vor seinem 20. Lebensjahr (Lyrik, Prosa, Dramatisches).

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Jugenddichtungen

JugenddichtungenFortsetzung JugenddichtungenImpressum

Jugenddichtungen

LYRIK

I

Unter deinen Füßen bricht die Erde.

Dein Leib stürzt ein,

Mit dir sinken faule Blätter in die Erde.

Dich Kühlt Wasser, in dem Lichter

Deines Glanzes schwimmen,

Der ins Dunkel geht,

In das dein weißer Leib so müde fällt.

Die Wunde in der Erd’ ist offen, Blut

In deine Haare quillt und rötet dich.

Die Erde gibt ihr Schwarz dazu.

Die Blätter von den Bäumen

Wirbeln zu dir hin.

Meine Tränen waschen deinen Leib so weiß er war,

Und küssen deine Tränen, die aus deinen Augen fallen.

Deine Lippen schmecken meine Trauer. O weckte sie!

Doch es bricht die Erde. Blätter, froh,

Bemustern deine Haut, von Blut gefärbt,

Und deine Haare halten Wind.

II

Die Sträucher schweigen. Voll Scham öffnet

Ein lauter Wind deine salzigen Lippen

zu einem Klagen, das durch Flüsse rinnt

Ins Meer und Wellen schäumt.

Blut schwimmt in der Luft von deinem Tode.

Deine Leiche ruht auf Zweigen;

In deinem Schoß hat sich ein Star ein Nest gebaut.

Auf kahlem Felde grünt dein Baum.

Die Fröste machst du lau.

Ewig bleiben die Gestirne stehn; sie strecken ihre Sinne

Hin zu dir. Der Wind hebt deine Wimpern,

Lebend bist du dann. Steigst von dem Baum

Herab und stehst. Und wirst doch brechen

In die Dornen. Dein Blut wird tränken

Deine Grabesblumen, die ich trocken auf dich schütte,

Die ich blühen sehe wie noch dich.

31.10.62

Es springt ein Frost auf dich.

Wasser stürzt aus deinen Augen,

Das gefriert im Schnee, der dich verweht.

Aus seinen Hügeln deine Knie ragen.

Dein Geist entweicht.

Flocken kleben deine Haare an die Stirn,

Dahinter blaue Felder blühn.

Liebend küßt dich Eis,

Das in deine Augen weiße Teiche friert.

Schnee trägt deinen Hals: es sinkt dein Hinterhaupt,

Und Frost zerfriert dein hohes Kinn.

In deiner Stirn ein Abendrot löscht aus des Tages Glanz.

Wolken steigen aus der Sonne Grab,

Noch violett von ihrem Blut.

Aus deinen Augen wehen Sommerblätter,

Die der Frost beschlägt:

Sie kehren um zur Glut.

Es flutet Schilf aus deinen Augen.

Rost verblättert dein Gehirn.

Tränen sickern aus den Händen,

Weil die Augen sind gefrorn.

Herbstesblätter taumeln durch die Wiesennebel,

Vorbei an bleicher Sonne,

Die im Moor ertrinkt.

Regen weicht dich auf

Und Tränen mich.

Trinke alle Himmel.

Segne mich.

26.11.62

Du stiegst durch Wälder,

Deren Silhouetten

Eine Sonne durchblutete.

In Flüssen schwamm dein Leib an Mittagen.

Die Sonne schräg,

Sahst du am Abend Götter sterben.

Trunken zogst du über Berge,

Weihtest Straßen,

Flüsse, heilig zu sein,

Sie strömten über dich hinweg

Und senkten sich

In Demut

Wieder.

Äste brechen und

Es schreit kein Vogel mehr.

Bäume sind gesunken,

Flüsse überziehen sich

Mit Eis, um

Deine Heiligkeit zu halten.

9.12.62

HINRICHTUNG

Und deine Tränen waschen Sünden ab,

Die fremde Blicke in dich brennen.

Vor dem Tode kniest erhoben du

Unter dem Richtschwert.

Deine Lider hängen deine Trauer zu.

Die Luft rings glänzt,

Die Nacht dringt nicht zu dir,

Denn es scheint weiß dein Leib.

9.12.62

Zum Blute in das Grab gehst du.

Es lockt dich Erde aus der Welt

Ins Grab,

Wenn Regen fallen,

Winde Blätter treiben in dein Grab,

Darin du träumend liegst

Und liebst.

Erde gräbt dich zu. Duft durchdringt sie,

Deine Hände greifen aus dem Grab im Schmerz.

Trauer stürzt auf dich

Und in dich stürzt sie mich.

Meine Tränen tränken heil’ge Erde.

Rosen quält ein Durst

Wie meine Augen qualvoll dürsten.

Deine Schönheit suchen Tränen,

Meine Augen brennen von dem Salz,

Das kahl im Sommer läßt dein Grab

Und meine Augen dürsten läßt

Nach Schönheit,

Die du nimmst ins Grab.

15.12.62

Fern steht der Himmel gelb,

In dem du liegst.

Ein rotes Licht

Bricht durch die Tannen.

Meere dieses Lichts

Umschwimmen dich.

Deine schwarzen Wimpern

In dem Gold ertrinken,

Das, im Grab, die Sonne

Deinem Leibe schickt

Zum letzten Mal.

Wolken, purpurn, blau,

Sie schwärzen

Deine Schatten.

Rot verlischt, das Gelb

Wird Rot.

Violette Geister tauchen

Aus den offnen Gräbern

In dein Licht, das Meere tränkt.

Dunkler greifst du Licht

Und öffnest deine Augen,

Die vorher dir verschlossen waren

Von dem Gott,

Daß du,

Dein Aug’ geöffnet,

Nacht ins Meer versinken siehst.

Durch den grauen Himmel

Sterne fallen hinter Zäune,

Dich umschließend.

Meere rollen über dich,

Ertränken letzte Abendglut in sich,

Und finster sinkt die Welt.

Licht und Rot umhüllen dich,

Unter Erde schwarz

Gleißend liegt dein Meer,

Ein schwimmend Grab.

27.12.62

Nie ist doch Denken

Verschwendet. Wird dir

Das Schlagen der Drossel,

Wenn Quellen schweigen

Und sonst ein jeder Laut

Erstirbt, dröhnen: du denkst;

Und wieder als ob mit ihr

Freudig wohl beinahe

Keiner der Vögel schwiege, ist mir

Die Drossel.

Oder dir dünkt, deine,

Zwar große, sei

Kleine Liebe dennoch; und

Schämt sich, wenn liebend

Küßt dein Gesicht im Dunkeln,

Erleichtert – genug vom Schämen –

Wie nie der Mensch, weil

Kleiner er ist als

Ein Gott: befreit zu denken,

Du liebest zugrößt,

Seist Gott.

25.1.63

Wenn endlich, hohl,

Die Wangen Gruben sind,

Gräben auch, wie bitter der Krieg

Sie gräbt in Felder, deine

Lippen, tief gekratert hinein,

Denn eisig wehte

Der Wind

Von Süden, getaumelt

Die warmen Blicke, sind

Hin. Wenn bergab

Du gehst, grabwärts, und

Allenthalben dürsten die Lieben

Wie nie nach dir,

Und vor dem Tore stehst:

Dahinter lächelt ein

Jeder. Liebe scheint und

Hinter dem Tore verheißen

Freundlichkeit deiner zu

Warten. Denke zurück an

Blicke und weine, wenn

Jubelnd zuschlägt das Tor, als ob

Trost dich begleite:

Dann findest du Trost.

25.1.63

Als Ahnung fing sie an, bis sie ein Wissen war.

Nicht stieg zu eilig deine Schönheit, daß sie dann verginge,

Mir empor. Mit Heiterkeit gebar

Sich deine Seele selber aus dem Leib des Himmels. Ihr entginge

Selbst kein Gott, der über Göttliche verfügt. Wie aber ich?

Gespräche waren uns am Anfang fremd. Wo später dennoch Wörter regten,

Unsere geheimsten Wünsche leicht umspielten, manches Mal sich

Wohl auch auf sie, sie verdeckend, legten,

War Schweigen laut’res Sprechen, voll von Klang

Der Sonne, die, im heitern Überfluß,

Hat brennend stehen lassen uns: oft bang,

Daß unsre Augen gegenseitig den Genuß

Des andern Auges aus ihm dörren könnten.

O daß zu eins gebrannt wir dann verbrennten!

3.4.63

Die Büsche, da du lagst,

Zu eisernen Konturen der Blätter geblickt,

Die tote Stimme, die sich bricht aus dir:

Du starbst am weißen Schwert,

Des Todes Werkzeug.

Das Leiden der Minuten weint

Und weiß auf Schwarz gefallner Leib.

Des Herzens Sinken nie mehr hält.

Dein eingebrochner Mund, der lächelt,

Schreit aus fahlem Leid.

Die Münder trinken sich, drin deine Zunge

Meiner Sterben küßt.

Mein Leib fühlt Nebel des Herbstes

Auf deinem Leib.

Ca. 11.9.63

O wildgeboren, bandest du den Drachenwind an deinen Schläfen fest.

Spiralen hoch-, auf Eisenbögen balancierend blieb dir nur ein Rest

Zum Dach des Himmels, welches grelles Transparent aus Wolken ist;

Der Trug der Helligkeit sich an den Wolken mißt.

Des nächsten Himmels tiefste Röte,

Formen streuend um dich her,

Die helle Stirn dir brach und wie gedämpftes Meer

Dir Trunknes flüsterte, daß sie Vergessen böte;

In Strahlen sich dein Traum zuhöchst erhöhte.

Du fielest weinend aus dem Reiche her,

Das ganz wie grenzenloses ist

Dem, der begrenztem Maste seine Flagge höher hißt.

Durch Blitze ging im Regen rauschend deine Bahn.

Verfall der weiten Sicht. An Donnerblöcken sankst

Du in hundgehetzter grauser Angst

Vorbei. Die schwere Hoffnung wuchs in deiner Hand zum Wahn,

Bis aufgerissen du im Meere wardst. –

Ich sah den Schweif des Leibes leuchtend

Durch die schwarzen Wolkentürme gehn.

In meinem unbewegten Kahn, die Mitte wetterleuchtend

Firmaments, hab ich den Sterbensleib, aus Höhen heimgestürzt,

Nie mehr danach gesehn.

20.9.63

DER SCHLAF

Er atmet schwer in seinem Bett. Nur sacht

Hat er den Oberkörper angehoben,

Doch der Kopf sinkt wieder in die Nacht,

In die er wie in Netze eingewoben.

Er regt sich nicht. Die Augen sind geschlossen,

Dahinter Wunderbares durch die Stirne zieht,

Das allzu schnell ins Uferlose flieht

Und ihm wie lange Zeiten ist verflossen.

Er dreht sich selbst an Sommertagen matt.

Er mißt die Zeit nicht mehr. Er hat

Vergessen. Augenblick nur ist ihm das,

Was er gelebt. Und kaum ein Haß

Belebt ihn mehr, und einsam glaubt

Er sich. In Totenstille träumt er dort.

Wie schwerer Regen rauscht sein Haupt

Und sehnt sich aus dem langen Schlafe fort.

Doch fern schon wieder, dessen Gähnen

Ein tausendfältiges Gefolge hat.

Mit ihm wir uns nach Dämmerungen sehnen;

Und träumt er, findet unser Träumen statt.

So lebt er Jahre in dem einen Raum,

Und rührt sich nicht. Ermattet liegt

Der weiße Riese da. Ein Traum

Wird alles und der Wille von ihm fliegt.

29.9.63

DIE GREISE

Sie sitzen nachmittags auf einer Bank,

Die stundenlang die Sonne hat bebrannt.

Gestrafften Rückens sehen sie ins Land,

Bis rings die Helligkeit im Tal versank.

Sie schweigen lange. Ihr Erinnern gilt,

Was sie erlebt, als sie durchs Land gezogen.

Den blinden Augen bietet sich ein Bild,

Wie übermütig sie den Wirt betrogen.

Die Zeit ist um. Die runden Höhlen,

Drin ihre Zunge hüpft, verzerren

Das Gesicht. Sie schaukeln sich und grölen.

Sie sind vergangner Zeit nutzlose Herren.

Doch oft wie Prozessionen durch das Land

Ziehn andre, die am Stock, durch ihre Stirn

Ins Feld. Die wär’n sich selber unbekannt:

Die frühern Freunde sind vergreist in ihrem Hirn.

So sitzen sie schon Tage. Kaum ein Wort

Verbindet sie. Sie frösteln, blinzeln, nur

Die Sonne schmilzt das Wachs aus ihren Falten fort.

Sie harren jenes Tags, da sie versinken in die frische Flur.

29.9.63

DIE LANDSTREICHER

Durch bleiche Wälder ziehen sie in Scharen

In die Stadt. Dort gehen dumpf sie bald

Hier und dort bald Tag für Tag im Park. Oft kalt

Ist ihnen. Und vom Sturm mit ihren Haaren

Fallen dürre Blätter in die Straßen.

Ihre Mäntel werden dünn. In Gassen

Nachmittags sie ihre alten Schritte

Machen; trotten an den Mauern hin zur Mitte

Einer Stadt. Am Abend nehmen Bänke sie als

Bett. Von langer Kälte zittern sie, obwohl

Sie Leib an Leib dort liegen und den Hals

Ein schriller gelber Schal umflattert. Hohl

Sind ihre Körper. Nachts das Wasser leckt

Aus ihren weißen Nasen, und die Münder

Sind schon lange zähnelos. Manche plündern

Andre aus. Die werden schlummern kalt und unbedeckt.

3.10.63

ZOLLKANAL

Am schwarzen Wasser stehen dunkle Schuppen.

Gegenüber eine Straße, die verlassen. Truppen

Dürrer Wolken wie auf magern Pferden

Im Nordosten sich zu düstern Herden

Sammeln. Manchmal wie ein toter Segler fährt

Einer Richtung in dem Meere, tauchet auf

Und unter in dem Strom der Mond. Er kehrt

Nicht um. Auf seinem schwankend Lauf

Wirft heißes Feuer er aus sich, der rot

Zu seinen Ländern rennt, und Kähne

Flackern langsam auf. Sie brennen ab und tot

Liegt Wrack an Wrack. Vom Monde eine glühend Sehne

Drehet sich herab auf Sanctae Catharinae Turm.

Der Bogen drohend überm Winde liegt,

Der grauenhaft die bangen Türme wiegt,

Die ängstlich schwanken in dem wütend Sturm.

4./5.10.63

Im Gelben hängen die Vögel,

Deinem schwarzen Leibe entflattert

Wie Züge der goldenen Krähen

Am Tage. Oft ein einzelner

Sank in dein Hirn, darin er königlich

Gleichen Schlafes wie du genoß

Im trunkenen Horst. Vielfach

Sie klagend im Dunkelen schweigen

Über dem Leibe. Der Götter Augen –

In Trauer zu Bergen geschaufelt,

Zerfallende Stille –

Streben Im Winde des Feuers zu dir.

Doch eines nur erblindet, in Frieden,

In deinem schmerzenden Leibe,

Der das Nest

Des leeren Gehirnes

Mit Trauer gefüllt. Die starren Vögel

Kälter in die Gräber fallen

Und federnd verfaulen,

Deinen Augen müdes,

Erinnerndes Gelächel.

19.11.63

DEIN TOD

Schwarze Orgel des Leichenmunds,

Bist lachend gebrochen,

Im Winde spielt die Gambe drinnen

Im Abgrund,

Die Lippen rauh, aus Pilzen gegessenen Schmerzes.

Süß ist der Leiche Wasser,

Die arm meine Augen gesammelt.

Hohe Schachteln –

Deren Mauern aus deinen klirrenden Zähnen gebaut,

Die mein Mund lange getrunken,

Die ich schnitt wie weiße Lilienblüten

großen Sommers dir zu Sträußen,

welche Kinder verdarben,

vom Brunnen geirrt, dem Turme lohender Flammʼ –

Gemauerte Schachteln bergen meine irrenden Wimpern.

Und neuer Speichel floß mir aus deinen gekaueten Zähnen.

Dich trinken, Wasser, Schnecken und Gimpel,

Schwarz und rot wie der nassen Stämme

Glitzernder Sonnenpurpur,

Am Boden nebelnd, verendend.

Du Wasser vergehender Leiche,

Im Schilfe der Hauch des alten Verwesens mit dir,

Mein Abendtrank einst,

Heimisch und warm.

Die offene Leiche, frierende,

Nehme mich heim.

30.11.63

TODES GEFÄHRDUNG

oder: IM SOMMER

Die Leichen, Todes Aschen, verdorren.

Ihre Augen liegen im Schlafe verworren

Rot am Teiche. Rauchend über der Stadt

Brennen Todes Rippen, welcher matt

Vom Firmamente haltlos fällt, sich legt

Auf heiße Straßen, sich nicht regt.

Aus seinen brüchig Fingernägeln weht

Ein Blumenduft, der in die Gärten geht,

Verschwisternd sich mit Rosen aus der Erd,

Der in die Grüfte sickert, sich nicht kehrt,

Daß, aaserzeugt er, Blumen fallen um im Rot

Des blutend Vogels Sonne, der bescheint den Tod.

Der, hingestreckt im Laube, träumend lächelt:

Den Taumelnden von Wolkentrauben fächelt

Ein süßes Augʼ zugrund, das in den Stirnen

Lebt und seinen Wahn saugt aus den tot Gehirnen;

Der wie ein Sommerrauch aufsteht

Und, an die Himmelssohle küssend, steht

Auf himmlisch Erden. – Die Rippen fliegen

Heim in Todes Brust. Die Brunst verlischt, es siegen,

Stärker, Todes Tränen in dem Brand,

Der sich am Tode oft vermißt,

Der seine Rippen heilend frißt,

Vermählend Bruder, Schwester, sich verwandt.

1.12.63

Die Zwischenräume der Hecken und Zäune

Schimmern weißlich, leidend, getötet;

Und wartend auf die Mitternacht,

Zieht sich ihre Art trostlos

Bis ans Ende des Felds,

Von Verlorenheit und Harren

Auf ihren gewesenen Morgen,

Diesen Knaben der Winter zu lange

Zerbrochen hat, als daß er

Aufstehe als derselbe und

Lebend; doch tot liegt

Im Kraut erfroren

Der blanke siedende Sommer und Morgen;

Phosphoreszierend die steife

Erde vom Monde und verlassen vom Leben.

Zum gleichen leblosen Mond

Sich denkend,

Fällt rings der junge Morgen des Winters

Zum Ganzen zusammen,

Schläft träumend vom verlor’nen Traume,

Gefaßt und weint nicht, schlafet,

Und er wird zum Traume selber

Und die einstige Welt zu unbeweglichen Lüften,

Lichtvoll und weich der versunkene Anblick,

Fort, unwirklich, ein Schlafensbild

Die ertrunkene Wirklichkeit des Wachens.

4.3.64

BALLADE

Steht sie im Moor? Im hohen Gras

Liegt gelb das sterbend Mädchen?

Umflechten Wind und Sträucher ihren Kopf?

Der Schmerzensmund bricht? Lippen?

Fließen Wasser dem Heidehorizont entgegen?

Ein Rehenleib entstieg ihrer Seele. Über den Wasserlöchern beginnt es zuerst zu dämmern, die Wellen fallen leichenhaft vom braunen Moorstrand versandet zurück. Wie ein Stück Fischaas liegt, vom Wasser her gesehen, das Mädchen, aber wie ruhend im kalten Sande abendlicher Tannengehölze, nähert man sich vom dünstenden, in der Ferne sich verlierenden Heideweg. Schatten besteigen das Mädchen, dann gleicht sie einer sterbenden Katze. Die Dämmerung läßt nichts Menschliches an ihr. Als wäre sie aus tierischem Fell, auf der Erde bestattet, verfaulend, so betrachtʼ ich ihre Erstarrung. In ihrem Fell aber droht ein abendliches Ungeziefer, unter den Kleidern, unsichtbar, selbst in den Falten des Leibes, ihre Schuld am Ekel aber macht die Kreatur niedriger. Sie hat keine Seele und wir bedauern es verachtend.

Oder flieht sie aus spanischen Hecken heim in nasse Tannenschluchten?

Ist sie begraben, erhalten der Erde,

Der schwarzen Empfängerin solches göttlichen Kinds,

Das mir darin marmorn, mit Kindern besät,

In jahresdurchwalteter Weite besänftigt milde lebt?

Frühjahr 64

FRÜHLINGS TOD

Die Bäume verstauben

In trockenen Lüften.

Es wachsen die Trauben,

Die Blüten, sie düften.

Die Bäume, sie altern.

Den staubigen Faltern

Die Blumen sich spannten,

Nach innen sich wenden.

Den Obengenannten

Die Samen sie spenden.

Der Falter belohnet:

Sie selber verschonet.

Das Grün ist gewachsen

Zur Nahrung den Dachsen.

Die Linden verderben

Vom Süßen zum Herben.

Es passen die Faulen

Zum Sommer, zu Eulen,

Die Tage verschlafen,

Nachts ruhen im Hafen

Der dunkelen Wälder.

10.4.64

Tabak schafft sie mir ja her,

Ihren trockner Risse Mund,

Rücken ist wie ihrer war.

Zehen frieren, Händ’ an ihr,

Duft aus ihrem Haar ist alt,

Ohrlapps Weichheit küsse ich,

Herz an meinen Händen schlägt.

Ihre Brust an meiner, ja!

Mund auf Mund sich decken zu.

Rauchig bald das Zimmer rings.

Dämmern aus der Kerze scheint

Engelgleichem still’m Gesicht.

Schatten ihre Augen sind,

Die geschlossen schwarz auf weiß,

Und ihr Mund, der lächelt sanft

Falten an den Rand,

Während ihre Hände gehn

Mir durchs Haar hinab.

Mitte Juni 64

AN EINE FERNE ERSEHNTE

Rhododendren, ihr gabt, da ihr blühtet, der Erde euren Duft. Auch Rosen vom Rondeel am Nachmittag in blasser Sonne wehen Süße herüber. Ihr Rhododendren seid fort, dem Boden entrissen, doch weht aus ihm euer Duft noch nach, in der Erde begraben die Blätter. Im Dämmern beginnen die Augen zu weinen. Verwelkt sind manche Rosenblüten, vermodern im Regen. Naß im Winde halten sie ihn. Lippen feuchten sich an und trinken, Zähne beißen die bitteren Blätter. Am Abend noch küssen die Lippen den Kelch und saugen auf die Tropfen vor Liebe. Nun sind leer die Rosen von Regen, die Lippen aber fänden gerne nie Regen genug in ihnen.

Fühl ich, bist du verloren in mir, vergessen, und schließe beruhigt wohl sterbend die Augen, nicht achtend der über mir stehend Verlaßnen. O was ich gefühlt, die Klänge bewegten. Starrten meine Augen dich an, wiche ich aus auf einen Flecken des Zwielichts, und jedes Auge sähe für sich, schielend, verschwemmend tausendfach nur grau ziehendes Licht. Halbbeschienen von Kerze, vom Glanze, geöffnet das Lager, das Kissen darüber: kühl ruhest darauf, wenn ich in der Nacht mich wünsche zu dir zum Sterben. Wieder dieselben Gefühle rauschen hindurch durch eitlen Körper und schwächen doch, ach, die Seele, sich gebend dir wieder, dunkelen Blicks, lächelnden Munds dir hin.

Das Gewohnte an dir hab selbst ich zitternd geschaffen, um zu genießen des Alten, Bekannten: Du steigest herauf, exercitu meam amorem. Es kommen die tränenstarren schimmernden Augen, die suchenden Finger o meinen Nacken!, die streichelnd einander liebenden Münder, o trocken sich feuchtend verschlingend. Zurück seit zweien Jahren bist du mir, erschaffen in Dämmerung, im Sessel, da du saßest, in Sehnsucht.

O zu wissen, man wähne nur, eine Rede zu verstehen, während man sie doch biegt und manches in ihr ausläßt zugunsten der eigenen Fähigkeit hin, sie zu verstehen! Zu wissen, man werde wieder wähnen müssen dasselbe!, und stolz zu sein auf das richtige Falsche.

Was zu erringen, dich geleugnet habend, [Abbruch]

Alles Ende Juni 1964

Thrakiens Größe stehet rein und kühl,

Die Weideflächen in dem Schattenspiel,

Das Sonn’ und Wolke über Herden treiben,

Laufend über Ströme hin.

In klarer Luft

Die Himmel sich beweiben

Mit Winden, die der Baumeskronen Laub

Meerhaft kalt rauschen lassen. Äste

Beugen dem Seher sich herab von Thrakien.

14.7.1964

Wenn Dämmerung und endlich Dunkelheit von hinten aus dem Meere zum Zenit hochsteigt, verhallen die Wellen, wie irrende Fische schlagen sie gegen den Strand. Sind es Felsen, bilden sich Wasserlöcher, und auf unruhigem Sand fließt das Wasser ab, wenn wir näher sehen, hell wie durch eine Sanduhr die Zeit. Stille ringsum verhüllt die Person. Draußen bewegt sich zuweilen eine einzelne Welle; ihre schwarze Drohung, die die eines Hais ist, verfällt zusehends, wird flacher und verläuft sich wie auf den Felsenbäuchen am Tage. Vergraben hat das Meer sein eigenes Leben. Hundert Meter entfernt beginnt sein anderes Wesen; so ist es geteilt und wirkt nicht als ganzes. Die diversen Wasserleben sind uns unbekannt. Das Meer trennt und begräbt alle Verbindungen. Am Tage unter der Sonne werden seine Ränder umspielt von Menschenleibern wie Toten und hat sich sein Leben zu den Schiffen begeben. Unter ihren Kielen ist Unheimlichkeit, dunkel ist das Geheimnis am Grund, und eigene Welten leben dort. Abends breitet sich das Meer aus, und aus der umgebenden Strandkälte laufen die letzten wagenden Menschen. Die Meeresoberfläche geht, wird sie besonnt, von tagesbefristetem Leben betrachtet und genossen, wenige Meter darunter ins Tote, von einem mondenen Hof der Leichenkälte begrenzt.

DIE HEIMATLICHE UMGEBUNG IM AUGUST

Den Teich begrenzen Büsche aller Art zum Moor hin. Schilf und Binsen wachsen hinein, das Wasser steht niedrig. Ausgestorben ist der Grund, bisweilen vertrocknen lange Käfer. Kiebitze und Lerchen beleben das einsame Moor. Geht ein Gewitter über den Teich, füllt ihn der Regen auf, Wärme macht seinen Rand zu einem lieblichen Platz. Der Himmel weht Finsternis über das Moor, das Kreischen und Fliegen der Vögel in den warmen Sand belebt und begleitet die Windstöße. Wenn abends das Gewitter abzieht, nasse Wolken rot scheinen, die Zweige glitzern, ist Kühle über dem Wasser, das voll und düster daliegt. Nun aber tauchen Würmer auf, stürzen Fliegen hinab, einzelne vertrocknete Tiere schwimmen von den Wellen getrieben zur Mitte, Strudel kreisen, nach Untergang der Sonne vergeht die Heiterkeit des Teichs, bald ist kein Leben mehr auf seiner Oberfläche. Der Grund verdunkelt das Wasser. Bisweilen fährt ein Tier dadurch hinab. Dort sammeln sich alle, leben, tauchen ins unterirdische Reich, bauen einen Staat, vergessen das Oben. Abendwind weht vom hohen Himmel von weit her über die Heide, durchweht kaltes Sommergebüsch, flieht vor der Weite in die Tiefe des Teiches, wo er versinkt, aufgenommen ins Erdreich, erzählend, träumend für sich selber vom durchfahrenen Busch im vollkommenen Abend, der sich gerettet vor der Nacht, eingedenk der letzten warmen Strahlen, wo er über den Feldern, auf den Wegen, in den Verbindungen der Menschen spielt, zirkuliert.

August 1964

Schnee liegt über den Gärten,

Vergessen sind Sträucher und Frucht.

Naß wittert das Frühjahr daraus,

Und jeden warmen Tag

Ist die hoffende Ahnung schon da.

Doch ist es November. Die Nacht zieht,

Den Schnee befleckend, herauf.

Den lebenden Schnee tötet der Frost,

Es frieren die Leiber der Kinder.

Schlitten stehen verlassen,

Beute der kriechenden Nacht.

Raubend hält sie vor den Häusern,

Von gelben Lampen erschreckt,

Doch nimmt sie draußen selbst

Einsamen Menschen die Natur,

Denn Kälte ist Königin des Lammes Nacht.

Unter dem Hemd regiert die Kälte die Pracht.

Von Strauch zu Strauch kommt sie unmerklich herfür.

Die Kinder überlassen das Feld der kriegenden Nacht.

Der Gefahr mißtrauen sie noch,

Hingegen Erwachsene saugen sich an

Und kehren erschaudernd um:

Am Feinde, ist der schon ringsum.

Partikelweise …[Abbruch]

7.9.1964

ABEND

Lange fielen die Blätter. Grau, naß liegt Schneeluft über den Gärten. Der Ziegelschuppen steht umrißlos im Dämmern. Sein Fleck wandert bald dunkler am Horizont. Schatten wie Spinnen umweben, befallen Obstbaumstämme, die schwarz leuchten wie dunkle Tiere der Nacht. Rings ist Stille, Nebel schwimmt, zieht flach zwischen gefallenem Obst übers Laub. Weintrauben hängen verdorrt die Mauer hinab. Die Menschen zünden Kindern Laternen an. Ein roter Schein schwankt durch den Nebel im verlassenen Garten. Es wird Winter sein. Die Büsche richteten lange sich darauf ein, und feucht erwarten die Zweige das Eis, heulen vorm Winterwind, der sich breitet. Nacht ist es geworden. Noch ist sie wolkig, der Mond fährt düster den Himmel hoch. Eine Brombeere hängt verfaulend inmitten der kalten Zeit, die verscheucht hat den sausenden, dornigen Herbst, wie im Winter eine Gehenkte in einer undurchdringlichen Märchenhecke den Blicken entzogen ruht.

Herbst 1964

PROSA

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