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Im vorliegenden zweiten Band der Tagebücher reagiert ihr Verfasser auf den Verlust seiner Liebe. Er erlebt ihn als Kränkung und Niederlage, was ihm erst nach ca. zwei Jahren - sich immer extensiv erinnernd und damit das Ereignis bannen oder auch rückgängig machen wollend - zu überwinden gelingen wird. Unmittelbar nachdem er verlassen wird, nehmen seine Gedanken und seine Sprache Formen von Verrücktheit an - immer mit poetischem Unterton. Sein Studium betreibt er wegen seiner Gefühle, die er genau reflektiert, nebensächlich, und er verhält sich überwiegend passiv und isoliert am Rand des ihn umgebenden Lebens. Er hat einen engen Freund, der ihn stark beeinflußt, und weitere mehr oder weniger nahe studentische Bekannte. Sein menschlicher Umgang ist von großer Distanz geprägt, reserviert und selbstbezogen. Von Beginn an definiert er sich als männlich, was aber in Unordnung gerät, indem er erotisch gefärbte Sympathien auch für Männer entwickelt. Schwärmerisch guckt er sich manche Person aus, zu der er jeweils größere Nähe herstellen möchte, bis hin zur Verliebtheit. Die Textform ist knapp, skizzenhaft, oft mehrdeutig, andeutend, nicht ausgearbeitet. Er gerät öfters an die Grenzen der Verständlichkeit, wenn er versucht, seine komplizierten Gefühle und Überlegungen zu beschreiben und die Gesetze seines Denkens zu erkennen. Die sprachlichen Mittel, um seine besondere Weltsicht und isolierte Existenz (nur sich selbst) mitzuteilen und zu belegen, sind teilweise kaum nachvollziehbar und privatsprachlich, zudem grammatisch schwierig konstruiert und nicht leicht zu lesen. Er notiert manchen Traum und mißt seiner Phantasiewelt generell grundlegende Bedeutung für sich bei. Sein Hang zur Poetisierung der Dinge verliert sich im Lauf des Jahres. Weithin versteht er seine Notizen inzwischen nur noch als Erinnerungsstütze und Material für einen später zu schreibenden autobiografischen Roman. Am Ende des Jahres verdingt er sich als Modell an einer Kunsthochschule und lernt ein anderes studentisches Milieu kennen.
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MONSTRUM SUI GENERIS II
TAGEBUCH EINER
MISSGLÜCKTEN ADOLESZENZ
1965
1965
2.1.65
Die Dämmerung bestrahlt gelb den Rasen,
Und Nacht mischt sich mit dem Tage.
Aber nicht in die Kälte gehen die Menschen.
Später dunkel wird es, Zeichen des Frühlings.
Wärmere Lüfte liegen unter dem hellen Himmel.
Um fünf weicht die Bläue, gewitterhaft
Löschten Wolken die Farben schon vorher aus.
Die Zimmer umfängt die Luft bald, wenn um 6 Uhr die Fenster geöffnet werden, um die graue Nachmittagsluft bei sich zu haben, die nachts zuvor der nasse Wind vom Meere getrieben. Eben noch war’s, als taute sie Eis von den Beeten, nun sprießen Krokusse, warme Luft ruht im Gebüsch, hinter Häusern die Frühlingssonne, im Schatten ist’s grau, eisig und naß.
Doch noch ist Januar, nur der Himmel sendet Vorboten und bescheint gelbleuchtend Häuser und Fenster wie sommers spät die Sonne nach 4 Uhr, doch hinter ihnen liegt frostig der Schatten. Kinder spielen frei auf den Straßen. Die Dunkelheit kommt, verheißt aber frühlingshafteres Dämmern und mehr Leben morgen.
Des Tages Ende kommt zu den Fenstern herein, während Meisen und Amseln den fallenden welken Abend begrüßen, der des Tages Wärme mit kühlerer Nacht beenden wird. Doch noch im Leuchten sprechen drinnen Knaben, und eins ist das Zimmer mit der Dämmerung. Die Schatten drin verhüllen die Dinge. Musik beendet sich noch im Grauweißen, der Jüngling flieht mit dem Klang im Ohr in den Abendpark.
4.1.65
Keine Bangigkeit um die Zukunft. Er könnte den Schlafestod sterben oder fortziehen. Bisweilen hat er Augenblicke, da sind die Nerven ruhig, er freut sich an Bechern und Schränken, dann vermag er auf sich begrenzt zu leben. Zieht er fort, beginnt ein neues Leben, und er beutet die Erinnerungen aus. Fiele nicht in den Schwächetod manchmal etwas Klares, wie es alle Menschen umgibt, bis auf die Wenigen, Gezeichneten, und träte als neue Lebensmöglichkeit ganz auf, verbände sich niemals das Fortziehen mit der Klarheit und bliebe immer eines ins Ungewisse: dann hätte er keinen Lebensplan;
oder, umgekehrt, senkte sich nie in seine Klarheit der Schatten, hinderte ihn endlich nie der Schmerz im Kopf und in den Augen, vor denen die Schleier des Sehens schwimmen, daran, die Erinnerungen nicht mehr zu erleben – sondern wirbelt der Schmerz sie auf, so daß er nachts das Schilf und alle Unheimlichkeit hört, die er aus dem Gedächtnis mit allen schmückenden Topoi versieht, das abgebrochene Haus sieht, darin er gewohnt, Hunde bellen hört –, und wenn dies nicht alles voller nicht Poesie, sondern Stimmung und Wirklichkeit wie eine Masse Gefühl wäre, dann wäre er wohl freier und läge nicht schwach da oder lachte ohne Grund, freute sich an einem Gesicht bis zur Krankheit: dann hätte er auch einen Lebensplan.
6.1.65
Traum [mit einer knappen Notenskizze und dem Text]: Wi exegesimus. Vier tänzelnde, violettschwarze Soldaten mit Kappen wie Zipfelmützen, einen rituellen Tanz aufführend, chorisch einfallend, um den zu Verhaftenden von selbst sich stellen zu lassen. Er kommt nicht, schließlich gehen sie spaßend, lachend zu dessen Mutter. Die vier voll ritueller Fröhlichkeit im Quarree schreitend.
Häufig ist der Schmerz, der für den Tod geboren wird, daß man ihren Kosenamen flüstert und sie einem entgegenkommt – einmal allein –, und man bleibt stehen, wie auch sie, man ist bereit, für immer zurückzukehren und zu weinen an ihren Füßen – doch dann versteht sie es nicht, weil sie es nicht fühlt, daß wir füreinander bestimmt sind. Daß dies nur Vorstellung ist, zerstört noch mehr.
Je größer, reicher das Leben, desto ärmer ist es ohne einen, für den man es lebt. Je reicher, desto mehr sehne ich sie herbei. Aber auch: Je ärmer das Leben, desto – ärmer eben.
In Süddeutschland sei Schnee, die Flüsse frören zu; und von selbst, wie eine aufgezogene Uhr, lebe ich den Winter, bin ohne sie, und nur mit ihr wäre der Winter der, den ich mir vorstelle. Alsbald bin ich dort, sie hier, oder ich hier und sie dort im Frost, im Schnee, im Leben. Wie Anflüge entsteht mir das ferne Leben von ihr. Und in jedem in der Zeitung gelesenen Satze ist es lebendig. Hier seh ich mich nach ihr um, wo könnte sie sein?
Eine Szene zu erleben, da man sich ergeben müßte und es nicht tut, weil es nicht getan werden muß.
In der Liebe ist der meiste Grund vorhanden, sich aufzugeben. Solange man in sie versinkt, entsteht nicht die Frage „wohin?“ aus dem Leben heraus. Nach der Erfüllung besteht kein Trieb, es aufrechtzuerhalten, sondern es zu zerstören und zu negieren.
Man weint immer vor verlorenem Leben.
Das Schluchzen, Zittern, Jaulen eines Weibes, Mannes geschieht, weil das Leben fortgeht. Ist es fort, sind sie gefaßter.
Der Prozeß des Weinens – während das Leben fortgeht – endet, wenn es länger währt, als sein Vorrat reicht. Danach füllt die salzigen Fibern, löscht das brennende Fleisch das umgebende Leben, wenn es ein wenig gnädig, d.i. schön, ist, etwa durch den Friedensmenschen U.C.
Alles Geschriebene, das sie mir zurückgab, zurückzuschicken ist nur in dem Glauben gerechtfertigt, sie lebe innerlich noch mit mir, während sie allein ist, und sie sei zu leben bereit das, was in ihren Briefen steht.
Ich lebe nicht mehr vom täglichen Sehen wie am Anfang, wovon sonst? Sie amüsierte sich, während ich sie aufaß. Nun ist sie ohne Amüsement, ich ohne Brot.
7.1.65
Das Personal der Eifersucht, dessen Charaktere und Qualitäten einander gänzlich ungleich sind, wird zu der einen satanischen Allegorie des Eifersucht erregenden Bösen, Verführenden. Dies Bild schwankt nicht in mir. Was ich in der Jugend erfahren, wird mich im Alter bestürzen.
Das Geschlechtliche erweckt die Reflexion, die Persönlichkeit trennt vom geschlechtlichen Objekt, nur an uns denken wir.
Nach der Trennung, fänden wir uns wieder, ist’s, als hätte nicht sie uns, sondern das Schicksal uns getrennt; als hätten wir aufeinander gewartet und hätten uns nicht sehen dürfen sollen.
Den Geist beeinflussen die Verhältnisse, und einer mag glücklich oder unglücklich durch sie sein, gesund oder krank usw. – den Charakter vermag nichts zu ändern. Erziehung wirkt auf den Geist, der Charakter bleibt vom Geist unberührt.
8.1.65
Der Schlaf besiegt die Angst, und das Grauen nimmt er fort, dann wächst ein neues heran.
Es ist Gleichheit in unsern mit sich beschäftigten Seelen. In der Welt, trennen sie sich. Die beweisbare Gleichheit, daß auch meine Seele mit ihrer verwachsen ist und auf ihr ruht – ist kein Irrtum, aber so handelt sie, verstößt meine Seele, leugnet sie, wie geht das an?
Ist sie nicht ich, brauche ich das Grab. Ich kannte nichts anderes. Nur beide können leben, nicht wie Mann und Weib, sondern wie Kreis und Mittelpunkt. Es wären drei Jahre Zeit tot, Geist, Seele, Leben tot und nichts Neues da. Eine (meine) wiedererlangte poetische Seele hielte mich krankhaft am Leben, wäre ein Mädchen ihr hingegeben. Dann lebte ich nur in Poesie und liebte das Mädchen.
Beruhigung statt Schmerz nach dem Dichten, dann mag das Leben sein, was es ist. Doch ist beruhigt kein Stoff mehr fürs Dichten da. So leb ich lieber nervös und werfe einiges Flüchtige ab. Die abgelagerten Varianten der Liebe bringen mich nicht zum Dichten, nicht zum Lieben.
Ich bin ohne Gefühl ohne sie; ich fühle nicht, zu leben. Im Fühlen ist wahrhaftig das Glück, daneben verbleicht die Art des Lebens. Ich werde stumpf ohne sie, denn sie verschaffte mir Leben durch mein Erzittern.
Es ist ohne Geist, im heutigen Leben Entsetzen und Hölle zu finden, weil es verkommen sei. Der Geist bleibt, ewig sind Weisheit, Tod, Familie, wenn man im Früheren, im Allgemeinen wurzelt. Wer da heraus ist, der ist ein Splitter aus Glas. Man findet dann am Alten nicht Genüge und weiß nicht, was die Erscheinungen des Geists sind, die am Leben erhalten, Güte, Gnade, Liebe etc.
Oder bin ich durch sie davon ausgenommen, die mir dies Leben schenkte?
Man stirbt nicht aus Mangel hieran, sondern aus Überfluß oder nach hernach erfahrener Vermangelung.
Man zittert vor diesen Erscheinungen, überlebt sie nicht, vorher aber hat man gelebt.
Nicht die Gedanken, das Leben ist ohne Bedeutung ohne sie, das Gehen, Flüstern, Staunen, Freude, Weinen.
Die Mauer, der Welt verlorengegangen zu sein, selbst zu fühlen ist die Rache dafür, sie an anderen nicht zu fühlen, das ist der grauenvolle Wahn.
Nur wäre sie tot, gewönne ich meine Kraft der Bindungslosigkeit wieder, die alles ausmacht, um zu leben als ein Großer.
9.1.65
Wegen ihrer Früchte sind alle Zeiten schön; endgültig sind die fruchtlosen ohne Wehmut zu erinnern und ohne Wiederkehr.
Man hat sich bei Äußerungen der Dichter mehr an ihre nichtdichterischen Äußerungen zu halten.
Das Bewußtsein, in einer Manier zu arbeiten, gibt der Arbeit schon Form.
Trotz aller Demütigung und Lieblosigkeit hätte, käme sie wieder, ich nur Dank für sie aus wahrhaftiger Hilflosigkeit, nähme alle Bedingungen an, auch wenn mein Stolz wieder wächst in freien Augenblicken.
Erwacht man nachmittags noch im Hellen, um in warmer Dämmerung wieder spazieren zu gehen, ist der Schlaf nicht mehr das Grab, darüber sich die Dunkelheit zur Nacht bis zum Morgen senkt. Guckt man liegend um sich, lebt die Welt mit der Sonne noch, man sieht sich freundlich, zum Erwachen bereit. Hoch im Sommer reicht die Helligkeit aber zu weit in die Nacht hinein, die Lust auf Abend ist fort mit dem allgemeinen Verlangen nach Nacht, bis zum Abendrot ist’s lieblich, danach bis zur Nacht, wenn Wärme über dem Staub liegt, wenig, bis die Nacht kühl kommt.
Stauseen und winterliche Teiche rings in Industriestädten, mit kahlem Ufer liegen sie im Regen da und laufen voll, sind wie tote giftige Becken. Allenfalls Ratten leben darin. Sommers trocken, entwächst ihnen nur Abfall. In solch toter Landschaft ist Urlandschaft, darin man der einzige Mensch.
Man lebt bisweilen ohne Zusammenhang, nähert man sein eigenes im Gehen zum Flüstern einem anderen Gesicht und zieht man es schwankend wieder fort; zumal wenn der andere unzusammenhängend redet oder wenn man betrunken ist – während man im ersten Falle aber nicht schläft oder umfällt, sondern mit sich selbst denkt und das Gehen und Schwanken traumartig wird.
Heute würd’ ich sie zum ersten Mal nicht genommen haben.
Aus dem Wasser kommt kein Leben, es lebt in ihm.
Eigner Wille, eignes Leben, Kunst; hingegen Belästigung. Die Wonne, vor ihr etwas von mir ihr Unbekanntes zu verbrennen.
10.1.65
Das Nimmermehr ist kein Tod, sondern ein getrenntes Leben, das den Liebsten (man selber weint) weinen sieht.
Das Schicksal straft, zerreißt mich mit Weinen, wenn ich mich schon von ihr fort dachte und bin noch angekettet wie eh.
Sie würde abmildern, daß ich ganze Schicksale, Welten, Leben und Phantasie wahrnehme, wenn ich bestimmte natürliche Sätze so lese, daß sie mich zum Tode locken.
Lachen, Weinen, Ausbrennen.
Das mannigfaltige Gefühl zerstört die Begriffe: drei Mitleide, drei Tode, das erste Mitleid mit einem einzelnen Menschen, das zweite das erweichende, das dritte ist vielleicht keines. Analog different sind die Begriffe vom Tod.
Verursacht ist alles durch den Zweifel in der Wahrheitssuche. Denn küßt sie andere, wenn wir beide Rehe sind, und küßt sie mich, als Reh?
Ich steuere das Schiff wieder selber, es geht vorwärts, bis es in einem Augenblick durch die Luft zurückgerissen wird und an dem Fels, von dem ich ausging, zerschellt oder untergeht.
Man lacht weinend aus Dankbarkeit. Erscheinen Tränen, ist’s Weinen, und schmerzlich wie das Leid ist die Beglückung. Die Gnade des Schicksals ist nur zu beweinen, zu belachen.
11.1.65
In windstiller Januarnacht ist es lau wie im Sommer. Der Schmerz vergeht vor ihrem Hause, weil Erinnerungen an warme Nächte kommen. Doch eben noch wehte ein Wind, aber nicht minder mild und liebend denk ich an des Nachtwinds Wärme, die mich einst umwehte, als ich sie noch hatte. Die Nächte werden sehnsüchtiger, und noch Liebenderen zeigen sie ihren Traum? Je verzweifelter, sicherer die Trennung, desto mehr ist sie hier, und ich werde nicht hassend. So begatte ich eine Besetzte, die nie zurückkommt, bin warm, und es ist – schön, was vernichtend ist. Warum erfülle ich wie ein Kaufmann, da sich zu sehnen sie verlachte? Ist es ein Zeichen, daß sie das Leben zerstört, da es lächerlich wird?
Die Fröhlichkeit wird eine eisige dünne Luft für die Einsamen. Falscher Spaß bei Menschen, die in diesem Sinne zu leben glauben, enttäuscht das ganze Leben derjenigen, die Echtheit sehen.
a) Fröken Julie
b) Verliebung in U.C.
a) mangellos, vergessendes neues Leben
b) entsprechend a).
Der göttliche geschlechtliche Körper lebt ohne sie umsonst. Wozu lebt er? Die Pracht jammert, sieht sie niemand. So sehne ich ihre Pracht herbei.
Sie ist, ohne daß ich Ekel empfände, schön. Ihre Nacktheit bereitet die Wärme, ihre sinnliche Wirkung fühlt der andere auf dem Gipfel unter einer Decke, ansonsten ist sie nicht anders als andere.
Der das Gefühl von der sinnlichen Erregung und Erfüllung des Körpers eines anderen trennt und dessen (gleichsam mechanisch in Gang gesetzten) Körper beobachtet, der wird dem anderen nie die Beobachtung seiner selbst gewähren, wenn sein Körper von allein sich erfüllend bewegt. Wer obendrein fühlt, der liebt das Ganze ohne Maß, denn er ist fühlend, leiblich und ästhetisch.
Eine kleine Bemerkung kann betrüben, so daß man überall Feindschaft gegen sich vermutet und sterben will.
11.1.65
Gegen die innere Hitze ist der Verstand ohne Macht. Lebensverfall.
Unsre Art Selbstmörder nehmen Messerklingen in die Hand – sie haben das Mitleid mit der ungeheuerlichen menschlichen Welt, weil in den anderen Menschen ihr ganzer eigener Jammer liegt, den jene gar nicht kennen.
Bei Überwachheit rauscht die Stille. Hitze durchdringt den Körper. Man ist krank. Die Wahrheit ist, wahnsinnig zu werden.
Die hellen Nächte des Mais liegen alle grausam vor mir. Die Sonne strahlt morgens, der Tag ist zu verwarten, es geschieht nichts, und er verebbt warm und hell.
Diese Unruhe in Ehenächten ist nicht erlaubt. Es rauscht und rinnt, wie ist das auf die Frau zu übertragen mit klarem Geist?
Als schriee man und wüte, wenn im Dunkeln in befriedender Synopse gedacht wird all der Orte, an denen C. je von meinen Augen fixiert wurde – dann im Hellen man ebendas aber vergißt und vor der Festigkeit des lichten Tags es zerfällt.
Der Wahn ist nun ein heißes Fieber. Es erscheinen Apfelblüten.
Eine Hoffnung (Nana) ist besser als eine, die mich zurückgewiesen hat, daher will ich Briefe an sie richten.
Ich kann sie mir nicht schlafend vorstellen, überhaupt nicht allein, es greift mich an.
Haß, Sommer, Schlaflosigkeit, einzelne Erinnerung, Krankheit, Winter, Denken, Glühen und Lust und Schlaf und Traum und Wahn und Tod – alles befällt mich, wann es will, ich lebe nicht klar und unter Herrschaft und Schmerzen und Zwängen, das erweckt den Wunsch zum Tod.
11.1.65, 1.30
Etwas Phantastisches, ohne Traum zu sein. Im Unheil des Traums verlaufen zwei Schnüre (oder Wege) zwischen den Punkten. Mit dem Revolver durchschoß ich das Schloß, und es spannten sich zwei Seile im Dreieck.
Die Bilder sind phantastisch, unaufhaltsam. Aufgeschrieben, sind sie fertig, wenn nicht, reizt man sich zu neuen. Wie im Starrkrampf der Ordnung der Bilder Wahrheiten liegt man da, versucht keine neuen zu haben, um keines zu vergessen, doch immer kommen neue.
Wiederkehr des Maianfangs. Es ist alles gleich, wie damals.
Es geht alles in eine beständige Form, die immer den gleichen Inhalt ausgibt, was Entwicklung war.
Der Anspruch U.C.’s an C. gemessen: ein Mißverhältnis, Peinlichkeit. Mitleid. Distanz. Ihr hohler Pullover als Kleid getragen. Es mußte ihm als Versuch, C.-Höhe zu erreichen, erscheinen. Es ist Verachtung im Mitleid vorhanden.
An ihre Schwester Nana gerichtet: ob man einem Geliebten nachfolgen müsse zum Tod oder nicht; sie sagt ja das eine Mal, nein das andere Mal. Dies wird sich klären zu einem: sie wolle dies zu entscheiden zu üben nicht aufhören – aber ist es überhaupt ernst zu nehmen?
12.1.65
Im Traum zerfällt alles zu Stücken. Man erwacht aus vielen kaum. Kopfschmerzen breiten sich aus. Kein schmerzender Schleier. Um die Sehnsucht nach ihrem Körper zu dämpfen, muß man seinen eigenen im Umgang mit anderen Körpern nicht zur Reinheit kommen lassen.
Durch ihre Bruderliebe und überhaupt entsteht die Wahrheit für mich, daß sie ohne Verlust nun lebe. Daß sie an mich denke, bedenke ich nicht, wenn sie es aber tut, dann betrachtet sie als Irrtum, was uns band, gleichzeitig in Sorge, daß ich neues Leben fände, und sicher, daß sie ihres gefunden. Das schmerzt heimlich.
Da sie ihres Bruders attraktives Leben, das ich immer ersehnte, schon nicht teilte, schien mir, sie müsse ein noch besseres offeriert bekommen. Dabei galt jenes mir als reicher als eines mit ihr, wie sie es führen möchte – ohne Leben.
Die Schmerzlosigkeit der Bilder erkauft man im Traume mit Vernichtung.
Gerüche: ihr Urin. Bild: ihr Strumpfband – wirken wie Schläge. Man erträgt die Traumbilder der Bedrohung, indem man bei ihnen zu bleiben sich bemüht. Die Trennung vom Strumpfband zum Entschlafen hin macht mutlos.
Im Traume sind die Teile des Gehirns von ihren festen Plätzen wegbewegt. Erwacht man frühzeitig, stehen sie falsch, der Traum lebt weiter.
Diese Bilder sind vorzeitige Traumbilder. In den Traum geführt, sind sie wirkungslos, erlebt wie im Traum, gleich vergessen. Bewußt, entsteht die Welt fremd und schmerzend, weil sie von ihr handelt.
Die Tatsache des Bruders, der Bruder (Symbol ihrer Unabhängigkeit) verstärkt ihr Leben, das sie jetzt parallel führt, zum mir Angst machenden.
Unser Leben wird ein Traum und hängt wie eine Glocke am Himmel, unwirklich.
Mein Scheitern, die Gefühle jetzt noch auszudrücken. Sie aber lebt ohne dies alles. Dieser Haß allein zerstört mich.
Frauen können nicht Phantasiesteine setzen und weiterbauen.
13.1.65
Mein Zustand ist gekennzeichnet von Wahngedanken, poetischem Wahnsinn und gänzlicher Gesundheit.
Das Mitleid mit allem Toten erscheint zu oft.
Der Wind bringt Schnee und Sommer. Lau sind die Nächte.
Jener Mangel, daß sie nicht denkt. Wo ich im Herbst 1962 war, ist der Neue jetzt. Sie denkt nicht, wo ich jetzt bin.
Der Aberglaube in bezug auf die Eifersucht. Ihren Worten glaubte ich und bin nun nicht frei von ihnen. Der Aberglaube ist ein Zeichen für Wahrheit. Daß wir gleich seien, ist ein Aberglaube, und daß sie zu mir kommen müsse – woran ich glaube.
Die Nervosität, das Zittern, Erbrechen vergeht nicht erst beim Anblick des Friedensgesichts U.C., sondern nachdem ich sie gesehen. Später kehrt das Zittern jedoch wieder. In Eppendorf lebt eine vergangene Welt der ersten Eifersucht und Poesie. Eine zweite ist’s nun. Die Bestandteile dreier Jahre sind präsente poetische Masse.
Indem sie mich unterdrückte und ich derart war, daß ich ihre Sätze für wahr nahm, daß sie mich allein liebe und ich ihre Zukunft fülle – jeweils da waren sie es und sind es mir objektiv noch heute –, der andere (W. und auch B.) überwunden sein müsse, der es nun ist, daran ward ich völlig unsicher und getreten und mein Lebensmut zerstört (Brief an sie). Ein Neuer (F.) erhält nun das gleiche Recht.
Ohne mit ihr zu sprechen, sind die vergangenen drei Jahre unwirklich, ich glaube sie nicht. Seh ich sie, was ist der Inhalt? Alles ist Einbildung.
Heute wäre es fast der Tod gewesen. Selbstmordgefühl. Das Wetter kehrte wieder, der Zustand aber war ein hoffnungsloser. Man sieht sie nicht mehr, und sie küßt.
Das Mitleid ist wie ein Rausch. Allein die tägliche Lebenspflicht, das Leben retten davor. Wer aber wäre nicht im Realen an irgendeinem Teile tot, wie nämlich die Schöne am Geiste schwach ist, die also beides ist, schön und schwach, und durch Adern, Schuhe, Haut mir zum Ekel wird? So lebt der andere Mensch nur in uns, nicht eigentlich selbst. Das Beste war C. Unsere Gleichheit war Aberglauben oder Anpassung. Meinen Tod aus Einsamkeit sieht sie nicht über die Nacht fliegen oder aus der Dunkelheit, wie stehende Züge den fahrenden erschrecken, über die Felder kommen und erleuchtet vor dem Menschen am Raine. Ihre Flachheit versteh ich nicht. So hat jeder sein Reich.
Perioden des Normalen zeichnen die vom Fieber Aufgescheuchten aus. Immer entstehen rauschhaft schnell Welten und Zeiten aus Masse voll Poesie.
Jedes unbewußte, sich seiner selbst nicht bewußte Leben ist erbärmlich, ist es nicht häßlich. So entsteht mit dieses Gedankens Überzeugung immer mehr das hilflose Weinen vor der Schöpfung. Was jene zu leiden scheinen, sind unsere eigenen Jammer.
Mit all diesem geht die Unordnung der Gedanken, ihr Vergessen, die Wiederholung einher. Es ist ein immer größer werdender Haufen Stoff und Detail.
Vor dem Tode stehend habe ich Mitleid und Jammer, verzweifelte Tränen wegen der liebenden Mutter. Doch hätte sie noch zwei Kinder. Aus Mitleid und Jammer werde ich bestehen.
Weinen, die schöne Welt verlassen zu müssen gegen besseres Wissen, gegen nichts, da sie blüht und Ranken hervorbringt. Es ist wie ein Sommergrab, da alles weiterlebt bis auf den Begrabenen, und wäre der Tod nicht nötig gewesen, so wurde er doch erhört.
Dies Ganze wächst zur Anklage gegen sie.
Die dunklen Wege des Spazierens, Licht, Züge, Meernächte, Büsche, umlichtete Küsten, Strand mit gaukelnden Paaren, der Frühling aus dem Winter springend, des Monds Tüchtigkeit, der Nacht Geräusch, der Nacht Verzweiflung und Erwarten des Morgens mit ihr, der nimmer kommt – gehabt, war gewesen und ist.
13.1.65
Wie sie des Lebens, des Geistes Erscheinungen denkend für sich festsetzt, konnt’ ich nie erfahren. Es ist zu bezweifeln, ob sie es überhaupt tue. Was ist für sie Mitleid? Was ist für sie Liebe, Angst, was ihre Bilder des Dämonischen? Gesetzt, das lebt gar nicht, was beinah daraus geschlossen werden muß, daß sie ihren Inhalt sich nur ausdenkt, dann hat sie auch keine Ursache, sie für ewig und wahr und göttlich zu bestimmen. Wie erklärt sie, was sie wie eine Getriebene bewegt?
Erscheint das Gesicht, nachdem es lange fern gewesen, nah, ist alles Gewesene unwirklich. Die Lieblichkeit kehrt aber zum Wirklichen zurück.
Zwei verschiedene Eifersuchtswelten, die nur durchs Leben zu unterscheiden sind. Es entstehen zwei überweltliche Eifersuchtsteufel, die auch nur zwei Formen eines einzigen sein mögen.
Wie ich lebe, entscheidet oft der Aberglaube (mehr ist es nicht) ansie und den Geist und die Wahrheit und die Richtigkeit des Handelns, indem ich dazu neige, die Trennung nur als Vorbereitung meines weiteren Lebens zu sehen, und glaube, daß meine Lieblosigkeit ihr gegenüber – in meinen Gedanken – auch sie dazu berechtigt, lieblos mir gegenüber zu sein, vielleicht sogar aus sich heraus, unbeeinflußt von mir.
Sie würde unser Verhältnis, wollte ich sie, damit sie es anerkenne, durch Erinnerungen an von uns Erlebtes zwingen, leugnen. Wollte ihr neuer Freund sie zu einem Liebesbekenntnis drängen, würde sie ihr Verhältnis nicht leugnen, sie würde es anerkennen. Ist es die Liebe zu ihm oder die endgültige Entscheidung gegen mich, die zur Umkehrung ihrer Reaktion führte – so daß ihre Reaktion nicht als hohe Liebe, die ich inzwischen leugne, erklärt werden kann, sondern als das genaue, wie ich hoffe, zeitlich begrenzte Gegenteil, nämlich Widerwille gegen mich?
Ein Liebesgefühl ist auch von den Umständen abhängig. Wahrheit in der Erklärung der Gefühle zu erkennen vermag ich nicht mehr.
Die zu lange Helligkeit des Tags am Nachmittag, wenn man noch im Hellen, während die Sonne aufs Bett geschienen hat, zu vorgerücktem Sonnenstand wieder erwacht, führt zur Angst vor dem grauen Abend, da noch alles erwärmt und lebend ist, jedoch die Straßen von ihr leer. Sie kann es aber genießen ohne mich. Wohin schweift dann die Sehnsucht, sie zu finden? Überall wird sie erwartet, abgehetzt und fiebrig geht man dann nachts zu Bett.
Der Vormittag im Mai, wenn die Sonne glänzend über dem Wasser liegt und nichts geschieht, der Schlaf endlich ersehnt wird und das Vergessen der Nacht, in der sie am andern Ufer fröhlich ist, der ist grausam und macht sie grausam. Ein wenig Natur hilft da heraus (aber die ist ohne sie) – Ewigkeit für einen Unewigen.
Sie ist Engel oder Teufel, mit Güte und Weisheit oder mit Haß seh ich sie. Ist sie Engel, führt’s zum Tod, doch wenn Teufel, zum Raub ihrer oder Mord an ihr.
Das grundlose Mitleid löst sich durch Weinen und Sprechen des Bemitleideten über das Leid in Weinen und begründetes Mitleid auf. Dabei weicht das Entsetzen usw.
Ich denke für sie mit das, was aus unserem Verhältnis erwächst.
Ich fühle statt ihrer, daß sie mein Gesicht nicht mehr unter vier Augen sehe. Sie kann es nicht.
Sie konnte nicht zwischen den Reizen des Geistes und den Reizen des Menschlichen unterscheiden. Weiß sie denn, was der Geist sei und was liebenswert? Und was das Menschliche und was honorabel? Sie liebt und stellt danach fest, daß der Geliebte Mängel habe. Um des Menschlichen willen liebt sie ihn deswegen nicht minder. Sollte sie erklären, was Liebe sei, so vermöchte sie es keineswegs. Es ist wie mit ihrer Schwester. Es heißt bei beiden, „Vielleicht könnte ich mich in den und den verlieben“, und es geschieht alsbald. Als erstes haben sie Angst, aber es geschieht vielleicht, um sich nicht mehr zu ängstigen. Haben sie sich einmal eingeredet, lieben zu müssen, so lieben sie. Aus Gründen des Mitleids geschieht dies zweifellos nicht. Aber hat ihr Favorit sich in bezug auf sie, indem er nämlich schon liebt, was zu beginnen sie beide sich noch scheuen, als bedauernswert gezeigt, so treibt sie ein großes Mitleid vorwärts. Was nun aber unbegründet ist, ist, daß ihr Mitleid nicht aufhört, wenn es hätte aufgehört haben müssen. Nein, zeigt sich der andere ohne Mitleidsgrund, fühlen sie sich unterlegen und bleiben bei ihm. Das Mitleid verläßt sie nicht und auch nicht die Anmaßung, sie allein seien ihres Favoriten Retter (der jeder beliebige werden kann, soweit es die Seele der Mädchen beträfe – der Körper ist ohne Belang), er bedürfe ihrer, um leben zu können. Daß weniger Leben in ihm sei, ist vielleicht die Ursache des Mitleids, so wie wir mit allem unbewußten, wenig Lebenden Mitleid haben, so daß wir nicht helfen, sondern uns demjenigen schenken. Aber wenn es so wäre, müßten sie nicht im Innern sterben? Oder ist der andere jeweils reicher? So wissen sie überhaupt nicht, was Leben sei.
Die Antwort auf die einst nicht zu beantwortende Frage, wie sie es ertrage, zwei, erst den einen, kurz darauf den anderen, begehrend zu berühren (ohne dazu gezwungen zu sein), und kurz nacheinander sich von zweien begehrt berühren zu lassen, ist, daß sie den jeweils anderen nicht gleichzeitig berühren würde. Das wäre gespaltenes Bewußtsein. Weiß ich, daß sie den anderen, wenn sie den einen berührt, in dem Augenblick negiert oder sogar verflucht, ist die Antwort gegeben.
Ihre Freigabe unter der Bedingung ihrer sexuellen Bändigung würde die Grausamkeit gegen die sich gespalten Verhaltende verhindern, sie bald betrogen zu haben – entsprechend der Erlaubnis, eine Maitresse zu haben wegen der untreuen Art ihres Lebens.
Wenn im Januar nachmittags die Dunkelheit die von den Instinkten registrierte –
und zwar als rascher als in der Natur tatsächlich stattfindende – fortschreitende Helligkeit des Frühlings besiegt, dann ist es, als werde es ein stürmischer Herbst, es weht, manchen Regentropfen mögen wir uns denken, und die Nacht fällt unheimlich herab.
Sie scheint derart krank zu sein, daß, wenn länger allein, sie sich einem unterwirft, sei es auch nur für kurze Zeit.
Nur Leben ersetzt Leben. Da sie mir gleich war, so brauche ich gutes Leben, das immer um mich sei.
Bedichten wir nicht hauptsächlich Frühling, Sommer usw., das Leben und Sterben? Und leben nicht die Natur, die Gewächse, die Geschöpfe allein hierin, in ihren Instinkten? Ist nicht zu dichten kein Geist, sondern selber Instinkt? – soweit hier vom Begriff Natur als Menschennatur und damit vom Geist abgesehen werden kann. Wird der Frühling gefühlt, wird’s ein Gedicht.
Wird es nicht durch der Pflanzen blättliche, knospische Reaktion erst Frühlingsluft? Worauf aber hatte die Reaktion stattgefunden? Doch nur auf den Sonnenlauf.
Ich erfahre psychische Rekonvaleszenz.
14.1.65
Man weiß, was falsche, was Phantasiebilder sind.
Das Leben wird eine Flucht vor ihr sein.
Ihre Liebe, die aber nur eine Einbildung von mir ist, vermehrt das Entsetzen.
Der Schmerz, von Schicksalen zu hören, weil unseres denen gleich ist.
Ich habe Angst vor ihrem Zustand nach meinem Tode. Wenn sie hört, ich sei begraben, da oder dort sei mein Grab, würde ihre Trauer gemildert, die allerdings öffentlich und nicht mehr ihre private wäre.
Ein Gesicht zu verlieren ist sinnlos.
Die Traumhaftigkeit ihrer Existenz im Juni 1962 ist nun wirklich. Wenn sie tot ist, sucht man sie wie an einem Orte, wo wir gewesen. Man spricht mit ihr und denkt überall an sie, sie ist um einen, sie ist ein Schatten, man erwartet sie hinter einem Baum und sieht ihr nach in vielen fremden Gestalten. Sie lebt weiter und ist doch fort. Hütet sie mich nicht? Ist nicht in allem sie, die uns aus der Luft anblickt? Man redet mit ihr, weint vor ihr – so ist sie zerteilt: während sie lebt, ist sie tot. Das Schicksal hat’s getan, nicht sie. Ihr Wesen ist’s, das fort mußte. Es ist Totengedenken, innig ist sie in mir.
Viel ist über sie gesagt, wenn es heißt: ihr Wortschatz umfaßt keine ihr eigenen Begriffe und wendet die gebräuchlichen Kategorien doch selten an. Ihr Gefühl allerdings ist ungewöhnlich. (Ihren Begriff von der Liebe verfolgt sie hartnäckig.)
16.1.65
Eine denkerische Größe, indem die Begriffsrelationen bestimmt wurden, führt zum Gefühl. Die fühlenden Dichter sind weise.
DIALOG
Eine vom Hausinneren aus erblickte äußere Konstellation von Mauern, Bäumen, Gassen und dem sichtbaren Himmel flößt, auch wenn es draußen wild stürmt, dem Menschen die Empfindung einer idyllischen sommerlichen Stadt ein.
Ist aber der Mensch im Sturme draußen und hat ebendenselben Anblick, ist es genauso?
Es kann so sein.
Ist die Empfindung kürzer?
Ja.
So wäre das innere Empfinden auch vom Äußeren bestimmt?
Wenn auch nicht in seiner Qualität; sondern die Art, wie eine Empfindung sich zeigt, mit welchem Mittel, ist verschieden; aber auch so, daß das Äußere das innere Empfinden hervorruft.
Aber es dient immer dem Gleichen?
Soweit es das, was aus dem Inneren entsteht, betrifft, ja.
So kann auf äußerem Weg wie auf innerem Weg der Substanz nach die gleiche Empfindung entstehen?
Ja. Einmal helfen die Erscheinungen dem Innern, das andre Mal bricht dieses sich von allein Bahn.
Die Mischung aber, woraus die Empfindung besteht, kann nicht erkannt werden.
Nein.
17.1.65
Nicht nur, wäre ich tot, würden die Briefe wahrer, sondern wäre sie tot. Die Liebe bräche sich Bahn. Man kann es ja wohl bewerten.
Des Schicksals Schwärze, die verhängte Trauer, der drei Jahre Raub und Gegenwart im Zimmer oder in der stürmenden Luft, jenes Gelebte als Traum des Lebens – entsteht göttlich nur, wenn sie selber trauert in mir.
Rasen der Gedanken und Vorstellungen. Augen wissen unter dem Lide nicht zu ruhen.
22.1.65
Die Liebe mußte hinaus aus dem schlafenden Geist.
Die Seele leidet nicht mehr. Ihr Tod gilt nicht mehr. Die Leere ist Wohl geworden, floß voll mit wiederkehrendem Leben. Wie, matt, ein Körper stark wird, so gesundet er; dem Tod nahe gewesen, fliegt dem Geist die Welt zu, die Seele lebt. Ganz wie neu ruht noch der Mensch, jede Tat danach ist gut, jede gelungen und mehr verheißend.
Lebte der Mensch eine Zeit – nun aber unverbunden damit vegetiert er oder lebt auch nur frei –, hat des Menschen begrenzte Zeit ein Loch. Zurück nicht mehr und nicht vorwärts Besseres erreicht er. So ist er eigentlich nicht gewesen. Ein Zeichen glaubt er nicht, lügt und leugnet hartnäckig das Gewesene.
Litt er? Weint sein Gehirn? Liegt er wie tot danieder? Hat er die Welt gefloh’n? Gesundend, friedlich kehrt er in sie zurück.
Düfte riech’ ich, die nicht da sind, immer mehr.
Nun gewinnt ein zukünftiges Leben, mit nahen Menschen erhofft, Poesie wie das gewesene. Griechenland.
Lachend kniet man vor der Genesung, fließt, wohin sie als Schauer uns treibt, ganz weich.
Ist vom Leben das Werk zu verschieden, schützt es nicht vor jenem.
Die Krankheit erschafft wieder allen Jammer: die Freiheit fort, der Tod herbei, und lange braucht das Leben, wieder Mut zu fassen. Schlaf ist ersehnt, die Nacht stört den geschwächten Geist, das Gewinnen der Kräfte nachts, keine Tagesrekonvaleszenz findet statt.
Trauer, verworfen, Einsamkeit, Abschied dorthin, wo ich anders bin. „Du gehörst nicht zu uns.“
Warum wird das reiche Leben schwarz vor Gefühl, während die Anderen nicht unter einem immer wiederkehrenden Schlag leiden?
Der Schleier der Trauer kommt (wie bei Musik) ins Leben und verhängt in lauer und eisiger Nacht das Bild von ihr, nachdem ein Stück Erinnerung in der Luft, auf dem Boden gelegen. Unbeweglich steht die Poesie und ruht einsam inmitten der Lichternacht.
Während Nana und ich noch redeten, war ich schon gerichtet zu einem Irren. Die Beurteilung des Briefes an sie war die Folge der jedem wechselseitigen Verhältnis entwachsenen Beziehung. Ich beurteile Nana so, wie sie liebend mich beurteilen würde. Man sucht Trost und überspannt die Anderen belanglose Beziehung. In ihr ist im Augenblick das Äußerste erreicht. Die Brüskierung qua Brief ist zu verbinden mit dem Bild vom Makellosen; ist er als Werbung aufgefaßt, so ist die Person beschmutzt und beleidigt in ihrer Reinheit, die alle Wahrheit enthält. Dabei war die Beurteilung so zu vermuten. Ich hätte den Brief zu schreiben unterlassen sollen.
Vor Nana und C. kann ungezwungen gelebt werden. Das Düstere erlauben sie mir. Vor ihnen bin ich hemmungslos.
Des Menschen Heiterkeit, Leichtigkeit der Götter findet ihr verhängtes schwarzes Gegenteil im Traume oder im Leben, das zum Traume wird, in der Ausbreitung des Menschen in Tränenströmen, fließend ins All zuletzt und schön.
Das Ende eines schönen Zustands geht zu den Göttern heim.
Ohne den Rausch der Musik entweichen dunkelleuchtend Tod oder Teufel nachts ins heiße reale Leben, das glüht und unterirdisch doch nicht zu den Göttern verfließt, sondern in sich stirbt.
Die Zerstörung der Illusion, wenn von einer Seite vorgeschlagen werden sollte, gemeinsam nach Griechenland zu reisen, wenn, bevor das Entscheidende gesagt, die andere Seite mit überschwenglichem vorauseilendem zustimmendem Ausruf es vorwegnimmt.
Der Tod an der Küste in grünem Schilf, im Sand, in schwarzem einsamem Wasser unter einem leuchtenden roten Himmel, wenn es rauscht und rings ein neues Leben entsteht.
Brief an Nana: Die Rührung darob, gleichzeitig mit C. von den Müttern getragen worden zu sein. Die Rührung des Kinds, sich begraben zu sehen, alle Traurigkeit und Weltliebe sind darin enthalten.
23.1.65
Mit der Entfernung vom Leben der C., deren Konsequenz Nana wie ein Lebensrichter, ohne ihre Folgen erkannt zu haben, gegen die ich gefeit schien, aussprach aus kindlichem, reinem geistigem Mund, sind nun Blicke, wenn nicht Unterwerfung oder Eroberung in ihnen, Demut und Verachtung, die noch ehrlich wären, unmöglich. Schuld ist in ihnen. Ich wende mich von denen, zu deren Klasse sie nun beide gehören, weg. Die Verdoppelung C.’s, die Nana bewirkt, vermindert C.ʼs Gewalt. N. wirkt poetischer und verhängt alles mit Traum, wovon das Leben sich schwer erholt.
Nana ward gezogen von mir; es war eine Versuchung, warum geht sie mit? Offener ohne Liebe, spricht sie über ihre Schwester, deren Liebe, die keine war, als Rauch verging. Des Dichters Macht zog sie an, des andern Art, des Teufels Pracht und Trauer, Weinen und Schönheit. Doch in seinem umflorten Paradies geht man daran zugrund, und es geht alles zur glanzvollen Vernichtung.
Dabei ist all dies Schwere des Schicksals aus mir gekommen.
Man erwartet, das Verhältnis zu Nana werde wie das zu C. Der Überdruß des Verhältnisses zu C. aufgehoben durch das Neue Nanas, während das Alte doch bleibt. Noch ist Frische in allem ihrem Geist.
Das Individuum Nana: Das Verhältnis zu ihr ist unabhängig von C., es hat seine Eigenart. Kein Verzicht auf Nana (nur als Gedanke), wenn ich früher in ihrem Haus auf C. wartete. Mitleid schon damals mit C., während Nana mich so lange unterhielt.
Es ist nur der Geist Nanas. Die Körper beider fallen aus, besonders Nanas.
Die Versuchung der Nana durch mich. Vorstellung eines Kusses, den sie nicht wünscht, dagegen sie nicht die Kraft hat sich zu wehren. (Bei C.: Abwehr, Berechnung, weil sie nicht unschuldig hierin ist. C. ist tierischer, wenn sie’s erlaubt.)
Danach, als gelte der Kuß nicht, aber nicht einfach vergißt sie’s, sondern schwerer trägt sie daran, weiß die Verbindung und erlaubt’s nicht mehr.
Die Beziehung zu C. ist in der zu Nana enthalten und ist die Bahn, auf der sich der Geist abspielt.
Ich in Nanas Bewußtsein: er habe C. geküßt, er sei schlecht, dämonisch, anders als sie. Dennoch die Anziehung.
Das Verhältnis zu Nana. Sie sieht keine Autorität in mir, weil ich mich suchend an sie wende (es gelingt nicht, ihr meine Erfahrung mitzuteilen, weil sie Anspielungen nicht wie C. versteht). Da ich sie mit Geist beschäftige, nutzt sie die Überlegenheit ihres Selbstbewußtseins („Nimm die Brille ab, es steht dir nicht“) nicht aus. Gemeinsam ist das Bewußtsein, auf gleicher Stufe stehen wir. Da ich erfahrener bin als sie (mehr nicht), untersteht sie mir noch. Sie ist reifer als C. Sie gibt jedem Argument nach, weil sie ohne Inhalte ist (nur Liebe etc.). Es ist Rührung, eine zu sehen, die helfen soll, obwohl sie doch zu jung ist, und dies auch weiter versucht. Und unser beider Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit führt uns, in gegenseitiger Versuchung, näher zusammen.
Sie gab keine Einwilligung, in die Kneipe zu gehen. Es war weder Ablehnung noch Wunsch. Ich zeigte auch keinen Willen. Versteckt geäußertes Unbehagen, es blieb im Vagen. Sie weicht aus wie C. Sie könnte mich verletzen.
26.1.65
Die Tätigkeit als Mittel gegen einen Kummer ist auf unbelastete und nur so wahrhaft lebendige Menschen, nicht dumpf gewordene, begrenzt: Hatte einer seinen Garten eingerichtet, in welchem er sein Lieb erwartete, welches nicht kam, der fortan verlassen sein wird, bleibt sein Gram, auch wenn er weiterhin im Garten tätig ist. Hoffnung erweckender Menschen Umgang allein schenkt neues Leben, Hoffnung erfüllender Menschen Umgang sogar ohne Tätigkeit.
Werden Andeutungen mit der Andeutung, es seien Andeutungen, gemacht, werden sie zweifelhaft, man glaubt, es seien gerade keine, weil man den, der sie macht, sich als die Sache Überspielenden denkt. Die Erkenntnis der Andeutung einer Andeutung erscheint einem sinnlos – oder aber sinnvoller als die Erkenntnis der Andeutung allein.
28.1.65
Es gibt kaum ein unnatürlicheres, geistferneres, unmenschlicheres Geschöpf als sie, die erotisches Interesse an Menschen (männlichen) gewinnt, weil gerade keiner sie bindet. Aller Geist gilt ihr nichts, wenn sie in Erotik gefangen ist.
Testament an … Briefe an … Werk an … Geld an …
Es bleibt eine Phantasiewelt: Verliebung mit aller Kraft, die die Leidenschaften ihm im Leben gegeben, ohne gezierte, umständliche Komplimente.
Eine Möglichkeit: In historischer Betrachtung seinen Mangel erkennend, vernichtet er alle Quellen und hinterläßt einen steifen steinernen Text. (Aber er will und kann es seiner Anlage nach nicht.)
Der das Geringe erkennt, nicht äußert als … [Abbruch]
Die Sicht eines Zerstörten auf eine Fröhliche.
Meinen Anfall vor ihr verhindert sie.
Meine Verfassung als Krankheit nehmen.
Das Fertige nur kann vernichtet sein und wieder als Gleiches auferstehen. Das Nichtfertige verändert sich, unterzieht sich einer Entwicklung.
Tiefe Einsamkeit der Liebenden. Töten der Geliebten, weil der Zustand des Liebens anders nicht zu ertragen ist.
Es kann eine Verbindung von Ekel- mit Mitleidsempfinden geben (Gabriele F.)
Nur wer die Seele liebt, der mag es, auch das Fleisch zu lieben. Da sie es nicht tat bei W. und B., so ist ihr Verhältnis mit beiden aus Kindlichkeit entstanden.
29.1.65
Wird den Schwerhörigen nicht das Schlechte verschwiegen? Ihnen wird eine gute Welt erzählt. Fragen sie nach Gutem, wird mit ja geantwortet, mit nein aber, wenn sie nach Schlechtem fragen. Das Nein bedarf der spezifischen Erläuterung.
Verlacht scheinbar ein Verletzlicher ob einer Witzigkeit, die einem, der sich eine Schwäche gab, dabei unterlief, jenen, so wird sein Inneres verheert und fortgeschwemmt vor Mitleid; weil er empfindlich ist, wie jener es sein könnte.
29.1.65
Lächelt ein Mädchen, das dann unseresgleichen ist; oder lächelt’s nicht mehr und entsteht ein erbärmliches Gesicht, aus dem seine eigene Erkenntnis davon leuchtet, so ist’s Ekel und Grauen, wie ein Mädchen in Hosen, das, nachdem diese abgelegt, als Krüppel oder Hexe erscheint samt weißem Gesicht mit blauen und roten Äderchen oder einem frostigen Finger.
Wenn allem Jammer preisgegeben
Und nah der Ewigkeit
Zu schwinden bereit
Wir sind: schwächlich, flutend,
Verströmt – doch dann ein Mädchen
Milde sein Antlitz zeigt,
Stürzen wir liebend,
Sind sein.
Wir sind der Mitternacht verlustig, da wir spät schlafen gehen. Auf dem Lande beherrschen sie Geister.
Tauend grau fächelt der Winter
Die Luft. Still liegt die
Szene: Vögel singen,
Milde, Sonne kommt. Der
Winter bereitet den Frühling,
Ist’s selber bereits; wäre kein
Schnee, Sonne herfür – die
Luft sei gleich beiden –,
Dann wär’n Freude und Heiteres.
30.1.65
Die Erinnerung beginnt Unheimlichkeit zu enthalten, die durch Musik als lyrische und als dramatische entsteht; die erste ist statisch. Wie aus dem Geist tritt sie aus. Steif der Hörende, zieht sie vorbei; oder ein Haus, eine Empfindung wird unheimlich, draußen blüht der Flieder, der Mai raunt in der Nacht: dann vergeht keine Zeit und kein Ort.
Bei dynamischer Musik stürzen wir hinter etwas Tragischem her. Dabei hilft uns die Trennung von uns, indem wir Unglückliche uns im voraus uns erleiden lassen. Dem Leide folgen wir. Es ist eine höhere Art des Selbstmitleids. Abschied, Abendglut, weite Ebenen bis zum Horizont.
In der Musik Schönheit ist kein Paradies mehr, das ich sehe, allein eins der Vergangenheit, der dichten Tragik, Vergänglichkeit, Schauder; weltliches Leben, das stirbt. Ohne Zeitdifferenz erinnert sich vieles, das schön ist, einheitlich. Bisweilen lebt man schon, wie man Poesie fühlt (das heißt doppelt). Die Poesie erträgt man nicht ohne Weinen und tagelangen Schmerz aus Betroffenheit (abstrakter Schmerz; Schmerz betrifft nicht düster).
Die eingebildeten Geliebten sind viel wahrer, poetischer als C., die durchs Leben begrenzt war.
Es gibt die vertrauten Dämonen der Natur in Büschen, Teichen, Dämmerlicht, Wind etc. und jene des repetierten Lebens, das sich unserer bemächtigt und uns niederschlägt, abends in warmem Dämmern des Mais, nachts winters, wenn über weißem Schnee der Frühling hell duftet und Wärme riecht.
England, Rußland, Ungarn nähren die Poesie; Schlösser, Prospekte, Ebenen, Parisens Straßen, Luxemburgs Palais. In diesen scheint man zu leben; der Verfall der Gebäude; der Zeiten Schicksale leben, nachdem sie aus der Phantasie gewachsen sind. Mond, Harz, Gebirg füllten früh des Kinds Vorstellung, und der Erwachsene sieht’s gerade so, wirkend, lebendig.
Den Jammer des eigenen Tods erzeugt der Jammer angesichts des Tods anderer, den wir fühlen. Ohne Liebende, allein mit solchen der Phantasie, die uns veranlassen, irrend ihnen Briefe zu schicken, sterben wir endlich, nachdem die Erinnerung Ruhe geworden – die Erinnerung an nicht Gewesenes, das sich der nagende Dichter armselig zusammensetzt.
30.1.65
Mit jedem Gefühl werden wir ärmer.
Die Einsamkeit erzeugt die träumende Phantasie, die die Wirklichkeit widergängerisch wiederholt. Schön ist das Ersehnte, der Abschied, der Tod unter glühenden Tannenhecken, mit verwelkten Blumen und einem weinenden Mädchen; grausam ist das Erlebte, wenn es wiederkehrt.
Die Einmaligkeit der Freude kehrt nicht wieder, auf dasselbe bezogen.
31.1.65
Die Liebe aß sich selbst. Sie nährte
Sich, solange selbst als Schmerz sie währte.
Sie war ein Klagen übers Klagen selber
Und schmerzte, weil sie doch nur schmerzend war.
Ich weinte nur an der Geliebten selber.
Und wollt’ ich wieder lieben, war
Es Klagen über jene Liebe wieder.
Ich liebt’, indem ich über sie nur klagte.
Fällt andre Liebe schwer,
so bin ich nicht betroffen.
Die Lösung ist: daß diese Lieben seien,
Kann nimmermehr ich hoffen.
Jedes Alter hat die ihm angemessene Kunst und Leben.
Hat man eine vereinzelte Erkenntnis, heißt es, man wisse vom Ganzen nichts, weil sie nicht überraschte, sondern im bekannten Ganzen eigebettet ist. Das Ganze läßt sich nur von außen erkennen.
Die Jugend hat ihre Kraft in der Kraft des Erkennens (Erfahrens). Sie zehrt von offener Leidenschaft. Weiß man, ist dies verloren.
Es ist ein Zwang, eine Unnatur, bei ihrem leibhaftigen Anblick désinterêt an ihr zu haben.
Kam sie zu mir, war sie frei, kam sie nicht, unfrei; nun gälte sie mir selbst dann als unfrei, käme sie.
Wie ist einer zu besiegen durch das Wort, er sei nicht weise, sondern glühe nur, der nicht weiß, was es bedeutet? Wie ist sie zu besiegen, da sie immer nur Leidenschaft hat?
Mein Geist reagiert – weil er gestört wird. Nicht konzentriert er Neues, Dichtung, schafft nicht Individualitäten.
Die Ausgeworfenheit beginnt wieder. Ex societate. Ohne gesellschaftlichen Ehrgeiz und ohne ihre Eitelkeit, die auch die meine ist.
Gebüschel.
2.2.65
Leidenschaft wäre es, wenn sie wiederkommen müßte und alles andere darob zerstörte in großen Haßausbrüchen und Verachtung.
Die Gefühle vereinfachen, reduzieren sich auf jeweils eines. Jedes wird wiedererleben, wie es sich entwickelt hat. Sie sind irreal. Das Unheimliche betrifft alles, was einen Ansatz dazu zeigt, ganz. Ewig wiederkehrend jenes Verliebungsgefühl, das Bewußtsein voneinander, Glut des Gesichts und Leichtigkeit hat. Die Irrealität gibt die Sicherheit, die künstliche Wirklichkeit. Die Gefühle werden mit der Zeit immer leichter identifizierbar und klarer.
Treten die Sommernächte wieder in meinen Geist, so stürbe ich, wären sie unerträglich dieselben wie damals, gern. Ich flüchte mich aber zu Menschen. Bliebe die Erinnerung, kämpfte ich vor denen gegen sie, und das Ende wäre viel eher – da zu leben der Wille noch da ist – Wahn und Zerrüttung, Weinen und tagelange schauderhafte Rekonvaleszenz.
Brief an C., daß jene Kammermusik mich verletze. Früher habe ich Trost davon gehabt, sie frisch aus der Nacht anderen Tags zu sehen. Nun ist alles leerer, und die Freude, die es insgeheim war, fehlt.
Mein Gedächtnis behält viele Gedanken unauslöschlich. Indem sie wiederkehren in ekstatischen Minuten, ist es, als wiche niemals die vergangene Geistessituation, nicht etwa das Leben. Die ganze Situation wird zu groß für das Werk, selbst für das Leben. Wie soll man jenem Alten, wenn Neues eintritt, begegnen können? Der Reichtum der Gedanken vermehrt sich stetig, und es ist gewiß, daß sie nicht verlorengehen werden. Sind sie nicht aufgeschrieben, so wuchern sie im Geiste, treten auf, gehen wieder, und bisweilen lastet ein einziger auf dem Geist. Mein Bewußtsein eilt ihnen nach, sie fliehen, gehen aber nicht unter, leuchten wieder auf. Ihr Ende wäre erst ein Hieb auf den Schädel. Aber nicht nur erinnerte Gedanken bedingen den Zwang: Neue, die im Halbschlafe entstehen, zucken auf und zucken fort, sie sind ganz leicht; sind sie fort und vergessen, während die Erinnerung, daß sie da waren, noch lebt, ist alles ein jagender Zwang im Gehirn – aber ist die Erinnerung tot, ist Ruhe. Kommen sie nach Jahren als Fracht auf etwas Größerem wieder, wiedererkannt, so ist die riesige Größe des Geists wieder offenbar; das Leben unsicher, das Werk unsicher. Ihre übernatürliche Gegenwart, die Schärfe ihres Umrisses sind, vom Bewußtsein fixiert, erst lange danach wieder verblaßt. Tritt Wirklichkeit zwischen sie, gehen sie gleich abhanden. Und wirft man einen Blick auf weite, weite Zukunft und gewinnt ein neues Bewußtsein, so lösen sie sich auf. Sonst ist aber der Geist wie eingeklemmt. Die Stirn zieht sich zusammen, und die Gedanken kommen wieder ins geistige Sehfeld. Das erinnerte Leben ist, wenn es nicht mein Glück betrifft, eine Idylle. Bis zu einem gewissen Grade müssen die Gedanken ausgeführt sein, dann wird ihre Präsenz gedämpft und zurückgehalten. Aber dennoch kehren viele wieder, als Leichen gleichsam in einem lebendigen Gegenwartssystem. Sie verhindern durchaus das Genießen des Gedankengeistes. Genösse ich, so wär dies behoben. Wie die Augäpfel unter geschlossenen Lidern bisweilen nachts nervös keine Ruhe finden, wandern, scheuern, sich verdrehen, so unerträglich sind die hin und her flutenden Gedanken für einen ansonsten ruhigen, sicheren Geist. Die beste Reaktion auf beide wäre die Zerstörung der körperlichen Urheber, der Augen sowie des Gehirns. Bei einem zu regen Geiste scheint dies einzutreten, denn bei Müdigkeit gilt es nicht. Zweifellos sind die Gedanken im ganzen fruchtlos, denn sie beruhigen nicht wie eine neue Einsicht. Es sind Skelette der Erkenntnis, sofern es neue Gedanken sind, dem Leben als Poesie gänzlich fremd, starr in sich. Da erledigte Gedanken auch wiederkehren, so hat dies nichts mit dem Satze zu tun, der nichtsdestoweniger hieraus geschlossen werden kann, daß man das Leben im Werk abschreiben müsse, um ungeplagt zu leben; und er erweist sich zwar bis dort auf seinem Wege auch als gültig, geht aber darüber hinaus und mag den gemeinsamen Weg als Weg nicht leugnen, wohl aber tut er es als Strecke mit einem Ende.
Haßszene: Zerfleischen ihres Gesichts.
Ich dachte lange an die verlorenen Hefte. Ist das die Ursache hiervon?: Das Bewußtsein trifft auf den Aberglauben, daß sie nicht verloren seien, da sie geschrieben waren. Nicht aber umgekehrt gilt, daß der Aberglaube vom Bewußtsein, daß sie verloren sind, bestimmt wird.
Vielleicht nur ein Sprung beförderte die elenden Gedanken, damit auch den Geist, ins Nichts.
Die Erkenntnis von kurzen entscheidenden Minuten in meiner Entwicklung ist unabweisbar und bedrohend (weil sie verdeckte Wahrheit freilegt), zumal sie mir den Ehrgeiz der Erkenntnis von Stunden aufgibt, sie gemäß dem Minutenmaß zu zerteilen.
Das Bewußtsein des Gedankens von sich selbst dringt in immer größerer Selbstbezüglichkeit mit selbsterstickenden Effekten (Implosion des Denkens) durch immer kleinere Denkgegenstände, Bedingungen, Verzweigungen – kurz: Gedanken – in deren kleinste, letzte Wurzelausläufer vor. In diesen immer engeren Höhlen und Röhren scheint das Dynamit der Bewußtseinskraft den Berg des Selbst zersprengen zu müssen.
Ist nicht die allgemeine Darstellung eine nicht erste, sondern eine abgeleitete?
Die unbehauenen Gedankensteine kehren wieder und wirken wie ein Zwang. Unausgedacht und davor einen stehen lassend, erzeugen sie Wut und Bewußtsein von Ohnmacht, mahnen; wie friedvoll schliefe man ein, wären sie fort.
Etwas nur für mich Gedachtes ertrag ich schließlich nicht. Die letzten Verästelungen sind nicht mehr kommunizierbar.
Die Gedanken treiben sich endlos weiter, viele verrauchen. Nur immer die letzten sind dem Gehirn durch ihre fixierte Konstellation noch bekannt. In Müdigkeit, versinken sie. Kommt keiner mehr hervor, ist in uns Ruhe. Ist einer nach all den anderen am Ende da, nagt das Denken in uns.
Der Wunsch nach dem Tode entsteht gleichzeitig mit dem augenblicks nach langer Reihe gedachten und dann fortgeflogenen Gedanken – somit ist’s ein Erkenntnisende. Sind die Dinge uns wieder voraus, gilt es, ihnen nachzueilen.
Die ergreifenden Kunstwerke bis ca. 1830. Danach ist Kälte eingetreten.
Obszönität ist Unästhetisches, ohne Ekel zu sein. Anmutlos (das Auseinanderschlagen von Frauenbeinen).
Begräbnis grand-mères: Unterschied zwischen einem liebenden Leichengänger und einem ehrenden. Der liebende zerfließt, und sein Jammer ist ganz weich und ohne Dämonen, eigentlich ohne den Tod als Figur. Es gelten nur allein die Geliebte und das Nicht-mehr. Man weint nun auch offen vor anderen und zeigt sich dadurch der Toten angehörig bis über das Grab hinaus und daß man ihr folgen wolle.
6.2.65
Je leidenschaftlicher, furienhafter ein Weib, desto mehr kann sie Dame sein. Sie muß dazu brennen und ihre Umgebung hassen.
Wer unter den Regierenden einen Fehler begangen hat, der muß vom Gipfel abtreten, weil er selber vom Fehler ab weiterregierend ihn würde beheben wollen.
Die Begriffe werden zu allen Zeiten außer von einigen wahren Erkennenden in ihrer zeitlichen Bedeutung gebraucht. Plato ist unter den Ausnahmen der höchste je Gewesene, selbst wenn jeder Genius nach mehreren Jahrhunderten aus der allgemeinen Erinnerung verschwunden ist. Der Ruhmsuchende hat Ruhm, wie er ihn sucht, nicht kontinuierlich bis in die Ewigkeit; aber vielleicht in der Ewigkeit. Der Dichter wird gegen die Zeit, die sich in den Gestirnen erweist, kleiner, wie er es im Laufe des Weltgeschehens nun zu erfahren beginnt. Er vermag nichts gegen diese Welt. Andere Welten im Kosmos werden ihm damit plausibler. Es bleibt allein sein leerer Name.
Wie also steht die menschliche Natürlichkeit, das ist die geistige Natürlichkeit, zuerst gegen die organische im Verhältnis? Wie bezieht sich die Wahrheit auf jene? und wie als Praktisches die Offenheit? Es scheinen Ding und Gedanke nach der Jugend eins; wie trennt man sie? Wie bezieht sich nun der Ekel auf die Natürlichkeit, wie die Schönheit auf ihn? Daß diese Beziehungen nur zu klären sind bei ineinander lebenden, sich gegenseitig beeinflussenden Begriffen, ist gewiß. Wer grenzt Liebe von Verliebung und von Verliebtheit, von der Liebe zum Tode, von der Liebe im Tode usw. ab? Wer sieht, daß Selbstbewußtsein, welches den sich seiner selbst Bewußten zu leben, wie es sich in Taten vollzieht, lähmt und ihn zu einer Form der Liebe zwingt, die sich im glimmenden Gesicht, glühenden Aug’ der Angebeteten widerspiegelt – daß solches Selbstbewußtsein ihn dazu führt, wenn (nachdem er gescherzt und voll Geists gelebt, was er einzig liebt und einzig sein Leben ist) diejenigen, mit denen er dies tat (weil sie nicht ausschließlich so wie er leben und dies nie wünschen), zurück zum gewöhnlichen Leben der Gesellschaft gehen, daran er nicht mehr teilhat – – ihn also dazu führt, jene beleidigt verlassen zu können, weil er nun abfällt von seinem Glück durch deren Schuld, und sich mit Vorwürfen zu quälen, er sei anders, liebe, was niemand wie er liebt – – – wer dies sieht, fragt sich, welches Gesetz es ist, das ihn dazu verführt (wenn er wieder allein und traurig ist und vom Geist der Menschen fern, wie er ihn zuvor lebendig gespürt), in die Augen einer zum Höchsten Belebten sich aufzulösen, sich hinzugeben und nicht wieder zu erwachen zu wünschen? Wie ist nun die Hingabe, die Entseelung ist, mit dem Leben des Geistes verbunden, dessen Verlust sie bewirkt? Oder ist es die Traurigkeit? Wie ist die Traurigkeit, die in diesem Fall nur infolge enttäuschter Erwartung auf Liebe bestand, mit dem Leben zu erklären?
Es häufen sich hier die Begriffe. In jedem einzelnen Fall des Lebens (denn das Leben besteht gleichsam aus Fällen) sind sie oft verschieden verknüpft und definiert und weichen dadurch voneinander ab. Wo anderen Menschen die Sicherheit der Begriffe fraglos ist, sind mir sicher nur Fragen dazu und Möglichkeiten der Verwendung. Ich weiß nichts. Die noch ungeklärten, vermischten, vermengten Begriffe und ihre Zusammenhänge sind weiterzudenken. Gibt es ewige von Anfang an, wie vielleicht das Gesetz von Ursache und Wirkung, das vor der Sprache erfahren werden kann?
Ich bin in der Lage, daß mein Wille jede Leidenschaft zwar nicht beherrscht, mich aber so überwältigt, daß ich sie nicht preisgebe und damit verrate, obwohl sie nicht nur einfach lebt, sondern sich in mir entfaltet. Sie ist in jeder Minute mir bewußt und zu zwingen.
Eine lange Kette von Hypotaxis ist Parataxis.
Da ich keine ungestörte Zeit habe, wird die Poesie, die gestört wird, Philosophie.
In den lebenlosen Begriffen ist die Grenze der Gedanken erreicht. Das Gefühl erschafft die Art des Lebens, dieses selbst die Gedanken.
Scheitert der Mensch an der Einsicht, am Denken, dann überflutet es ihn, und er verliert den Verstand. Damit gleichzeitig einhergehend verstehe ich immer weniger Begriffe einer Rede. Das Verstehen vollzieht sich mittels Andeutungen.
Meine Erwartung an den weiblichen Menschen ist, sofern ich ihn liebe, daß er mit mir gehe, der Welt vergesse und wir ineinander wie ein Einziger, von unserer Substanz zu einem geworden, uns ernähren, uns ausscheiden und wiederum davon uns nähren. Das ist, daß wir uns lieben und nicht wieder mit Bewußtheit als einzelne auferstehen. Da sie aber ihr Bewußtsein gar nicht erst verloren hat, muß sie nicht abwarten, bis sie ihres wiederhat. Die tierische Tätigkeit des Geschlechts ist nicht der Verlust des Bewußtseins, wie ich ihn meine. Vielleicht unterscheiden sich unser beider Verluste aber auch nur in ihrer Dauer. Der meine dauert so lange wie das augenblickserfüllte Leben – meist einen Abend lang – mit Angedeutetem und mit dem Leben in einem in uns beschlossenen für den Abend erstandenen Geist, darin wir ganz aufgehoben sind. Die Welt ist dann gänzlich gewichen und aus dem Wissen verschwunden. In keiner Sekunde denke ich an fremdes, anderes Leben als an unseres und will, bis es gelebt wird, daß sie, wie ich an sie, nur an mich Gedanken habe.
8.2.65
Ich frage mich oft erstaunt, mit welcher Berechtigung ich zu den mir nächsten Menschen du sage.
Bin ich schwermütig, ist in den unbekanntesten weiblichen Augen, die ich gerade erblicke, die Berechtigung, an der Frau zu sterben, nachdem meine Seele ihr gänzlich hingegeben ist und die Welt vergessen.
Es gibt die Urteilskraft, die mangelhafte Gedanken in ihrer Entwicklung erkennt und Gedanken, die sich erst noch (ohne Fehler, also makellos) entwickeln, von den ersteren trennt.
Lehren ist den Denkablauf zeigen, Wissen seine Ergebnisse nennen.
Mir haftet ein verzogenes, schiefes Interesse an Menschen an: wo ich, wenn sie ein Sujet erwähnen, sogleich es vertiefend nachfragen sollte, verschiebe ich die Frage auf später. Hieraus entsteht die Fähigkeit, auch in der Kunst, eine Erwähnung in mehrfacher Weise, jeweils nach dem Zeitpunkt der weiteren Nachfrage, vervollständigend zu beantworten; es entsteht von allein eine thematische und formale Rückbeziehung zum Ausgangspunkt.
Eine geistlose Mutter lebt im Verhältnis der Liebe zu ihrem geistvollen Sohn ein ganzes Leben umsonst, und sie erscheint dem Sohn wie er selbst, der nach der Heirat seiner verlorenen Geliebten eine neue, nur wenig geliebte findet. Es ist zwischen Mutter und Sohn auf Seiten des Sohns dasselbe Grauen der vergeblich Liebenden, das entsteht, wenn zwei zusammenleben und lieblos sind oder liebend getrennt leben müssen.
Wunsch, sein Gesicht in einer Suppe zu waschen. Die Willenskraft ist verloren, wenn man sagt: ich brauchte es nicht zu tun, und dennoch es tut. Die Verstandeskraft scheint verloren, wenn man es will und tut. Dort ist es ein Zustand schärfsten Bewußtseins, hier nicht.
Ein welliges, nasses langes Körperhaar außer dem Haupthaar ist schmerzhafter Ekel, der anzieht, während er abstößt. Man spielt natürlicherweise einen Teil Ekel. Es ist die Mitte zwischen Ergebung darein, schließlichem Verlust des Schönen und der Gefühlslosigkeit.
Neulich Traum von ihrer rechten Brust, die Haut war entfernt, hellrotwässerige Wundgewächse, Abschnürungen am linken Ansatz.
Da mein Ekel einzigartig zu werden beginnt, so muß es auch mein Ästhetizismus.
In dem Maße man mit immer mehr Menschen das weiche Mitleid fühlt, scheint man berechtigt zu sein, in den Augen anderer selbst der Anlaß dazu sein zu können.
Was anderen Normales ist, ist mir, wenn ich aus dem Ekel trete, Milde.
Die Verbindung des Ekels mit dem Schönen: Indem das milde glaubwürdige Menschliche (d.h. das aus sich selbst verständliche Leben voreinander: essen, erbrechen, schlafen usw.), das allen eigen und offenbar ist, der Nichtekel ist, so trägt eines schönen Menschen Gesicht, Lachen, Gehen, Sprechen, kurz alles, was er ist und tut, in fast allen Fällen noch nicht gezeigten Ekel in sich*, der sich meist aber noch neutral, ohne seine Potenzen zeigt … Die wenigen Fälle, in denen einzig und allein die Schönheit gilt, ohne jeden Bestandteil von Ekel, sind reines höchstes Leben. Wer in diesem Sinne nicht lebt, verdient Mitleid, welches uns zur Weichheit führt, zum Weinen und Angst, Nichtbegreifen der Schöpfung. Schwach für Tage bleibt man danach; beginnt die Welt aber wieder menschliches Leben zu zeigen, mir meist in der Natur – wenn aber in Menschen: dann ist’s wie gesundheitliche Rekonvaleszenz.
*Denn mit einem Begriff wird sein Gegenteil stets mitgedacht. Tisch denkt Nichttisch mit, Nichtekel Ekel.
Der Verstand muß im Gedicht sein, erreicht durch Dichtung in der eisigen Luft des Verstandes.
Indem die Lebensbedingungen den Geist bestimmen, bin ich nicht ich. Eine Flucht löst am Ende das Ganze, diese Misere, auf.
Rein und klar wäre das Alter ohne Anlässe zur Erinnerung an die ganz entfernte Jugend, wenn nur pures heutiges direkt erfahrenes Leben ohne Nachdenken die Alten umgäbe. Aber auch: Allein ein auch nur kleinstes Stück heutigen lebendigen Lebens rettet vor dem lebensgefährlichen Blick zurück in die damalige schöne Wirklichkeit, die längst ein böser Traum von dem und Angst vor dem scheinbar wahren zweiten, unwirklichen früheren Leben uns geworden ist.
Ich habe immer noch Angst vor mir [später rot korrigiert: ihr].
10.2.65
Die Erinnerung ohne Innigkeit, die mir nicht mehr gelingt, aber einst gelang, weil ich ein raubender Mann ursprünglich bin, ist keine echte Erinnerung und ohne Gefahr.
Es ist nicht absonderlich, daß, nach einer anderen, sie mir nichts mehr ist, weil ich uns wie geboren haben wollte. Mehr vermochte sie kaum zu geben, weder Geist noch natürliche Gedanken wie Hilfe und Freundschaft.
Bisweilen hat man zusätzlich zum äußeren Leben ein inneres: Lacht, trauert, tanzt man real, tut man es innerlich mit. Es ist, als wären die Töne des Lachens, die Mienen des Trauerns, die Bewegungen des Tanzens, die wir vollführen, parallel für sich auch in uns, sogar die Quelle, das Movens des Tuns, ausgebrütet von unserem inneren Kern. Man hat mit keiner besonderen Person getrauert, gelacht, getanzt, und so ist es die Tatsache der Welt, die uns reagieren macht, denn wir hören auf zu lachen, nachdem wir es ihr gezeigt, und kokettieren dann vor ihr mit einem ironischen Nach-Lachen. Sehr schnell ändern sich die Launen. Man schmollt mit ihr oder freut sich – allein – an ihr.
Angst, Atemlechzen, zitterndes, Ausatmen, Augenschließen, Weiblichkeit; das ist ein Zeichen, daß man so unsicher geworden ist, daß man in einem fremden Magen ewig ruhen möchte, dorthin will ich, liebe ich, mich in fremde Augen mit aller Vernichtung hinein versenken.
Meine Kraft schwindet. Mich zu erheben geht oft schwer und nur gegen das gewohnte Versinken.
Mitleid mit Prof. Bauer. Sanftmut in seinem Stoff, weil nur – Geschichte.
13.2.65
Mein Denken ist sich genug. Es geschieht mit dem Material bereits vollzogenen Denkens; ich erkläre mit von mir gesetzten feststehenden Begriffen neue, die ich auf Basis der alten denke und benenne.
Die Mängel meines Denkens sind mir bewußt. Es ist deprimierend, falsch zu denken.
In der Trance trage ich Bilder und Bewußtsein wochenlang mit mir. Sie wachsen, nichts ist vergessen.
Der Ekel vor weiblichen spitzen Hüften.
Man sucht nach dem Glück, um seinetwegen zu sterben. Jedes nicht von selbst in mir sterbende, sondern abgebrochene deprimiert. Der Wille zum Tod wird fester. Man sucht schon das Glück, um vom Leben unabhängig zu werden, indem man bereit wird, davon zu lassen.