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Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Du hast ja ganz klebrige Finger, Julchen«, stellte Verena fest, als sie die Hand ihrer Tochter ergriff, bevor sie das Kreiskrankenhaus betraten. »Hab' ich«, stimmte die Sechsjährige zu, »vom Osterei. Das war ganz unten in meinem Schulranzen und kaputt. Drinnen war was schönes Rosarotes.« »Soso. Ein altes Osterei mit Himbeerfüllung.« Verena Schwab lächelte. »Du kannst dir ja gleich bei Opa die Hände waschen.« Verena hatte es eilig. In anderthalb Stunden sollte sie im Schloß bei der Fürstin erscheinen. Und noch wußte sie nicht, wo sie Julchen in der Zeit lassen sollte. Im Krankenzimmer beim Opa konnte sie nicht bleiben, zuviel durfte sie dem Rekonvaleszenten nicht zumuten. »Ist Opa noch sehr krank?« fragte Julchen und versuchte, mit ihrer Mutter Schritt zu halten. »Dann fürchte ich mich.« »Fürchten? Du hast dich noch nie vor deinem Opa gefürchtet. Inzwischen geht es ihm auch wieder ganz gut.
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Seitenzahl: 142
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»Du hast ja ganz klebrige Finger, Julchen«, stellte Verena fest, als sie die Hand ihrer Tochter ergriff, bevor sie das Kreiskrankenhaus betraten.
»Hab’ ich«, stimmte die Sechsjährige zu, »vom Osterei. Das war ganz unten in meinem Schulranzen und kaputt. Drinnen war was schönes Rosarotes.«
»Soso. Ein altes Osterei mit Himbeerfüllung.« Verena Schwab lächelte. »Du kannst dir ja gleich bei Opa die Hände waschen.«
Verena hatte es eilig. In anderthalb Stunden sollte sie im Schloß bei der Fürstin erscheinen. Und noch wußte sie nicht, wo sie Julchen in der Zeit lassen sollte. Im Krankenzimmer beim Opa konnte sie nicht bleiben, zuviel durfte sie dem Rekonvaleszenten nicht zumuten.
»Ist Opa noch sehr krank?« fragte Julchen und versuchte, mit ihrer Mutter Schritt zu halten. »Dann fürchte ich mich.«
»Fürchten? Du hast dich noch nie vor deinem Opa gefürchtet. Inzwischen geht es ihm auch wieder ganz gut. Bald kommt er nach Hause. Nur noch ein knapper Monat, und er geht ohne Stock.«
»Davor fürchte ich mich noch viel mehr«, seufzte Julchen. »Wenn Opa wieder bei uns ist, hast du ja gar keine Zeit mehr für mich.«
»Dafür hat Opa dann wieder viel Zeit für dich, mein Schatz. Er wird dann auch keine Schmerzen mehr haben.«
Verena Schwab war siebenundzwanzig und wohnte mit ihrem Julchen immer noch bei ihren Eltern auf dem kleinen Hof am Rande des Dorfes Bessenheim. Vor sieben Jahren, als sie schwanger war, hatte sie sich von Jochen, dem Vater ihres Kindes, getrennt. Sie dachte nicht gern an diese schwere Zeit zurück. Es hat sich so ergeben, redete sie sich ein und auch, daß sie ihren Eltern dankbar sein mußte, weil beide ihr niemals Vorwürfe gemacht hatten. Aber manchmal, wenn sie der Wunsch nach Selbständigkeit und etwas mehr Freiheit übermannte, mußte sie sich eingestehen, daß es dafür zu spät war. Darum war sie auch so glücklich, daß sie nach fast sieben Jahren wieder oben auf dem Schloß als Friseuse der Fürstin gebraucht wurde.
»Da seid ihr ja, ihr beiden Hübschen«, begrüßte Reinhard Schwab Tochter und Enkelin und richtete sich sogar etwas auf, um seine geliebte Enkelin in die Arme schließen zu können.
»Opa, du kratzt!« beschwerte Julchen sich.
»Na, was!« empörte er sich lachend. »Die Schwestern sagen, der Bart steht mir gut. Und wenn ich wieder zu Hause bin, wird Oma schon dafür sorgen, daß er verschwindet.«
»Wenn er dir gefällt, wirst du ihn behalten«, bestimmte Verena humorvoll, obwohl sie sich doch schon wieder ärgerte. Nur wollte sie es nicht anmerken lassen, wie es ihr manchmal gegen den Strich ging, daß ihre Mutter immer das letzte Wort hatte. In den wichtigen Angelegenheiten genauso wie in den kleinen Dingen, die ihrem Vater Freude machten. Sie legte ihm seine Lieblingsillustrierte auf die Bettdecke, um ihm dann einen Kuß zu geben.
Julchen wusch sich die Hände am Waschbecken, sah sich im Zimmer um und schaute dann aus dem Fenster in den Garten des Krankenhauses hinaus, wo zwei kleine Jungen spielten.
»Darf ich raus?« fragte sie.
»Ja, geh nur, mein Julchen«, erlaubte der Opa. »Aber wenn Mami dich ruft, weil sie gehen muß, kommst du gleich angeflitzt.«
Kaum war Julchen hinausgerannt, lehnte er sich zurück und winkte Verena zu sich.
»Also, jetzt erzähl mal. Was ist mit der Fürstin? Stimmt es, was Trudi mir erzählt hat? Die Fürstin braucht dich wieder als Friseuse? Jetzt, da der Fürst gestorben und sie Witwe ist, hat sie sich wieder an dich erinnert?«
Der feine Spott seiner Stimme war nicht zu überhören, und schon fühlte Verena sich verpflichtet, die Fürstin zu verteidigen.
»Als sie vor sieben Jahren heiratete, bestand der Fürst nun mal auf einer richtigen Kammerzofe für seine junge Frau. Eine wie ich, aus dem Dorf und ohne Meisterprüfung genügte da nicht mehr.«
»Unsinn. Ein Wort der jungen Fürstin und er hätte dich eingestellt.«
»Na und? Sie entschieden sich für eine erfahrenere Kraft«, erwiderte Verena leichthin. »Die hieß Clara, war Friseurmeisterin und Kosmetikerin, verstand sich auf Wäschepflege und kleine Näharbeiten und stand der Fürstin immer zur Verfügung, weil sie im Schloß wohnte.«
»Die meisten vom Schloßpersonal bewohnen im Dachgeschoß eigene Appartements, das war schon immer so«, grummelte Reinhard Schwab. Er kannte sich in den Gepflogenheiten auf dem Berg aus. Sein Großvater und sein Vater hatten die fürstliche Küche mit Gemüse, Eiern und Geflügel beliefert. Wie alle Leute in und um Bessenheim herum, gehörte auch er zu den Bewunderern des alten Fürsten Friedrich. Darum hatte es ihn auch so hart getroffen, daß er vor drei Wochen nicht zu dessen Begräbnis konnte.
»Sie hat diese Carla kurz nach den Begräbnisfeierlichkeiten entlassen«, fuhr Verena mit gedämpfter Stimme fort. »Sie sagt, Carla habe sich auf die Seite der jungen Prinzen geschlagen, als es um eine Erbschaftsangelegenheit ging. Darum brauchte sie mich plötzlich wieder.«
»Was denn für Erbschaftsangelegenheiten?« wollte Reinhard wissen. Hier im Krankenhaus tuschelte man ja nicht über die fürstliche Familie.
»Die Prinzen…«
»Ja, ja«, unterbrach er sie lebhaft. »Erzähl mir von Hendrik und Konrad. Was treiben die beiden denn jetzt so. Darf Hendrick als Ältester sich jetzt nicht Fürst nennen? Ist er nicht auch im diplomatischen Dienst wie sein Vater?«
»Ja. Er ist vierunddreißig und Attaché in Rom. Ihm stehen nach einer gewissen Zeit die acht Räume der jungen Fürstin im Mitteltrakt des Schlosses zu. Er will sie als Privatresidenz nutzen. Das bedeutet, daß sie mit einer Fünf-Zimmerwohnung im Seitentrakt auskommen muß – wie Prinz Konrad. Darüber ist sie ganz unglücklich.«
»Deshalb ist sie unglücklich, die junge Gabriele Fürstin zu Bessenthal?« sann Verenas Vater vor sich hin. »Sie ist doch gerade mal dreißig. Einer jungen Witwe reichen fünf Räume. Sie kann doch die vielen Salons im Erdgeschoß nutzen. Kochen muß sie auch nicht, einer Arbeit ging sie nie nach. Im Gegenteil, sie hat sich während ihrer Ehe oft nach Italien oder Frankreich verdrückt und den kränkelnden Fürsten allein gelassen. Seinen beiden Söhnen war sie nicht mal eine gute Stiefmutter.«
»Aber Vati! Wie konnte sie das? Hendrik ist vier Jahre älter, Konrad nur vier Jahre jünger als sie. Denkst du, sie konnte ihnen die Mutter ersetzen? Wußtest du, daß Fürst Friedrich tatsächlich achtundvierzig Jahre mehr zählte als sie? Ich hab’s nie fassen können!«
»Ja, ja. Es glich einem Skandal, als er sie zum Traualtar führte. Erinnerst du dich wenigstens noch daran?«
»Sicher! Ich habe sie damals doch frisiert und ihr den Brautschmuck im Haar befestigt.«
»Und gleich danach warst du vergessen. Weil du deinen Meister noch nicht gemacht hast. Das war schlimm für dich, Verena.«
»Das war es nicht. Damals gab es wichtigere Dinge in meinem Leben.« Sie unterbrach sich.
»Ich weiß, Jochen. Und der hat dir auch nicht viel Glück gebracht.«
Verena zuckte zusammen. »Ich habe Julchen, Vati. Bitte fang nicht wieder von Jochen an.«
Ein beklemmendes Schweigen legte sich zwischen die beiden. Nur das schwere Atmen des Patienten war zu hören.
Plötzlich berührte Reinhard den Arm seiner Tochter. Mit dieser liebevollen Geste bat er um Verzeihung. Verena wandte sich lächelnd zu ihm. Noch nie konnte sie ihm länger als einige Sekunden grollen. Dazu hatte sie ihn zu lieb.
»Und Prinz Konrad, was treibt der?« wollte er wissen.
»Prinz Konrad studiert in München.« Ein verschmitztes Lächeln grub sich in ihre Mundwinkel. »Er ist immer noch so nett wie damals. Er war es auch, der vor der Tankstelle vorfuhr, weil er im Dorf erfahren hatte, daß ich dort oft aushelfe. Er kam herein und lachte mich an wie früher. Dann bat er mich unverblümt, noch am gleichen Tag die Fürstin zu frisieren. Sie wußte sich ohne Carla nicht zu helfen und weigerte sich, an einer Feierstunde zum Gedenken des Fürsten teilzunehmen. Er meinte sogar, sie stelle sich nur krank, weil sie ohne Carla nicht mit ihren Haaren zurechtkäme.«
»Er muß seine junge Stiefmutter gut kennen.«
»Vielleicht. Wenigstens habe ich mich breitschlagen lassen und bin hoch, so bald ich Zeit fand.«
»Du hast gewartet, bis Trudi von einem Besuch bei mir zurück in die Tankstelle kam. Das war recht von dir.«
»Ja, Vati. Ich lasse Mutti und dich doch nicht im Stich. Nicht mal wegen der Fürstin.«
»Das weiß ich. Und ich verstehe auch, wie gern du die Fürstin frisierst. Das ist interessanter, als unser Haus zu putzen, einen quengelnden Vater wie mich zu ertragen, die Hühner zu versorgen und deine Mutter in der Tankstelle zu vertreten.« Er sah sie innig an. »Du hast deinen Beruf immer sehr geliebt, Verena. Wenn Julchen nicht gekommen wäre, hättest du vielleicht schon einen eigenen kleinen Salon in Bessenheim.«
»Julchen ist wichtiger als ein Salon. Und euch zu helfen, ist nur gerecht. Ich muß euch für so vieles danken«, beteuerte sie hastig, wie immer, wenn sie spürte, daß sie sich selbst betrog.
Reinhard zwinkerte ihr amüsiert zu. »Es hat dir schon damals einen Riesenspaß gemacht, die junge Baronesse Gabriele zu frisieren. Zunächst konnte ja keiner ahnen, daß sie mal die neue Fürstin werden sollte. Und ich erinnere mich noch gut, wie eilig du es damals immer hattest, hoch aufs Schloß zu kommen. Zehn Jahre waren nach dem Tod der ersten Fürstin vergangen, und nun endlich gab der Fürst wieder Feste für seine heranwachsenden Söhne.«
»Ja, Prinz Hendrik hatte damals eine Freundin und die wiederum brachte ihre Cousine Gabriele mit. Daß der alte Fürst sich von deren heiterem Wesen und ihrer jungen Schönheit bezaubern ließ, – damit hatten seine beiden Söhne wirklich nicht gerechnet.«
Reinhard lehnte sich in die Kissen zurück, faltete die Hände über dem Bauch und lächelte verschmitzt. Voller Schadenfreude erinnerte er sich an die Geschichten, die damals in der Dorfkneipe die Runde machten. Er war der einzige gewesen, der immer noch mehr wußte als die anderen Dorfbewohner, weil Verena ihm jedesmal, wenn sie vom Schloß zurückkam, alles haarklein berichten mußte.
»Den Herbstabend, als ich ihr Haar hochsteckte und der Fürst plötzlich eintrat, werde ich nie vergessen, Vati«, half Verena seiner Erinnerung nach. »Er war damals schon über siebzig. Aber er wirkte sehr jugendlich und fast verlegen, als er ein Diadem hinter seinem Rücken hervorzog und mich bat, es in die Frisur einzuarbeiten. Das glich einem Heiratsantrag. Ich hab’s geahnt und dir noch am gleichen Abend erzählt.«
»Und dem folgte bald das Ende deiner Tätigkeit da oben.«
»Der Fürst wollte eben, daß seine junge zweite Frau immer die Schönste von allen war. Deshalb stellte er diese Carla ein.«
»Und? Ist sie immer noch die Schönste?«
»Ja. Aber sie muß jetzt Schwarz tragen. Das steht ihr nicht, meint sie.«
»Dann ist ihr die heitere Unbekümmertheit wohl vergangen, wie? Jetzt, ohne den fürstlichen Gemahl, wird ihr vielleicht einfallen, daß die Jahre mit ihm nicht gerade von Liebe und Leidenschaft erfüllt waren.«
»Darüber dürfen wir nicht urteilen. Sie ist nett und gut zu mir, Vati.«
»So?« knurrte er. »Und? Weiß sie, daß du ein Kind hast und immer noch bei uns lebst, weil du deine Ausbildung nicht abschließen konntest?«
Verena nickte, und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Trudi hat mir erzählt, die Fürstin habe dir viel Geld geboten, wenn du oben auf dem Schloß wohnst? Stimmt das?«
»Ja. Aber ich habe es abgelehnt. Wegen Julchen…«
»…und meinetwegen, weil du deinen kranken Vater nicht allein lassen willst. So ist es doch. Gib’s zu.«
Verena lächelte, um nicht darauf eingehen zu müssen. »Als ich von Julchen sprach, äußerte die Fürstin sofort den Wunsch, sie kennenzulernen. Du siehst, sie nimmt regen Anteil an meinem Leben. Sie ist nicht so kalt, wie die Leute denken.«
Gleich darauf spürte sie seinen harten Griff an ihrem Arm. Daß ihr Vater schon wieder so viel Kraft hatte, überraschte sie. Und noch mehr staunte sie über den flammenden Blick in seinen Augen.
»Du wirst ihr Julchen nicht vorführen, Verena! Nie und nimmer. Unser kleiner Schatz hat dort oben auf dem Schloß nichts zu suchen. Eine Sechsjährige, die gerade zur Schule gekommen ist, wird nur von dem Glanz und Prunk dort oben verwirrt.«
»Das habe ich auch nicht vor.«
»Gut, gut. Wir sind nicht arm, wir besitzen noch Grund und Boden, auch wenn es nicht mehr soviel ist wie vor Jahren. Aber dafür hat deine Mutter die Tankstelle gepachtet und macht gute Geschäfte. Denk immer daran, wir sind einfache Menschen, aber wir verdienen auch Respekt. Du gehst oben auf dem Schloß nur einer Arbeit nach. Julchen hat damit nichts zu tun.«
»Ja, Vati.« Verena unterdrückte ein Lächeln, weil sie seit Wochen von den gleichen Gedanken geleitet wurde. Sie sah zur Uhr. »Ich ruf’ unser Julchen jetzt, damit sie dir noch einen dicken Kuß gibt. Dann bring ich sie zu Mutti zur Tankstelle, bevor ich zum Schloß hochfahr.«
»Aber wir haben es nicht gern, wenn Julchen in der Tankstelle ist.«
»Das weiß ich selbst. Aber ausgerechnet heute geht es nun mal nicht anders. Ich will die Fürstin nicht enttäuschen und absagen.«
*
»Liegt mein Papi auch im Krankenhaus und hat einen blinden Darm?« fragte Julchen, kaum daß sie mit Verena im Auto saß.
»Opa liegt im Krankenhaus, weil er an der Hüfte operiert wurde«, erklärte Verena geistesabwesend.
»Weiß ich doch! Aber der Papi von den beiden Kindern hat einen blinden Darm. Und ich hab keinen Papi. Der eine hat aber gesagt, jeder hat einen Papi, nur gibt es welche, die haben keinen blinden Darm.«
»Dein Papi ist weit, weit weg«, wich Verena aus. Sie griff schnell in eine Packung Kekse auf dem Sitz, um Julchen damit abzulenken.
»Er kann aber einen Brief schreiben«, meinte die Kleine kauend. »Er muß ihn in einen Umschlag stecken und dann in den Kasten werfen. Oder er soll faxen. Das haben wir heute in der Schule gelernt.«
Verena sah angestrengt auf die Landstraße, obwohl hier kaum Autos fuhren. Sie nahm den Weg über zwei benachbarte Dörfer und bog dann auf die Umgehungsstraße, die zu dem Autobahnzubringer führte, an dem die Tankstelle ihrer Mutter lag. Jetzt am frühen Nachmittag staute sich hier eine Autoschlange.
Es war ein kühler, aber sonniger Frühlingstag. Jenseits der Felder schimmerte es in zartem Grün vom Waldrand. Und dahinter erhob sich der Bessenberg, von dessen Anhöhe das fürstliche Schloß durch die noch kahlen Bäume mit seinen weißen Mauern grüßte.
»Julchen«, begann Verena, als sie in die Tankstelle einbog, »ich bin in zehn Minuten auf dem Schloß. Länger als zwei Stunden werde ich dort nicht sein, und dann sause ich zurück, kaufe noch schnell etwas ein und hole dich wieder bei Oma ab.«
»Ich mag nicht bei Oma bleiben. In der Tankstelle ist sie immer so streng, weil es doch so stinkt.«
»Damit du nichts anstellst, meine Süße. Aber es wird schon mal gehen an diesem Nachmittag. Und heute abend, das verspreche ich dir, machen wir es uns zu dritt schön gemütlich.«
»Ja, aber erst, wenn du die Hühner und die Häschen gefüttert hast«, seufzte Julchen.
»Ja, mein Schatz. Und du hilfst mir.«
Es herrschte heute besonders reger Betrieb an der Tankstelle. Verena wußte, daß ihrer geschäftstüchtigen Mutter das gut gefiel, obwohl sie dann abends immer völlig erschöpft nach Hause kam. Der finanzielle Erfolg schützte die Sechundfünfzigjährige ja nicht vor den damit verbundenen Anstrengungen. Nur war Trudi Schwab nicht von der Arbeit abzuhalten.
Sie schuftete von morgens bis abends, weil sie hoffte, sich in einigen Jahren ihren Lebenstraum erfüllen und sich in einem Häuschen auf Mallorca mit ihrem lieben Reinhard zur Ruhe setzen zu können. Aber war sie überhaupt der Typ, der die Hände in den Schoß legen konnte? Das fragte Verena sich, als sie aus dem Wagen stieg und ihre Mutter auf sich zueilen sah.
»Verena? Du? Und du bringst mir doch nicht etwa Julchen? Ausgerechnet heute?« begrüßte sie sie.
Trudi Schwab war eine resolute Frau mit gesunden Gesichtszügen, kräftiger Figur und einer meist zu lauten Stimme. »Gleich um zwei Uhr wird die Waschanlage inspiziert, und Rolf ist nicht zur Arbeit gekommen. Nein, nein, du mußt Julchen heute eben mit aufs Schloß nehmen!«
Sofort ließ sich Julchens Stimme vernehmen. »Mami kann heute nicht anders, Oma. Tante Inga ist mit Nico und Mausi beim Kinderarzt. Ich bin auch ganz lieb und bleib drinnen, damit ich nicht immer zwischen den stinkenden Autos herumrenn.«
Mit einer Entschiedenheit, die Verena schon seit frühester Kindheit fürchtete, schüttelte die Oma den Kopf.
»Nein, Verena! Dies eine Mal wird es schon möglich sein. Hat die Fürstin nicht sogar nach Julchen gefragt?«
»Ja.« Schon bereute Verena, ihrer Mutter davon erzählt zu haben. Um so begeisterter reagierte Julchen.
»Au ja, Mami! Zur Fürstin! Ich will sie auch mal sehen. Hat sie eine Krone?«
Bevor Verena erklären konnte, daß Gabriele zu Bessenthal eine sehr schöne und vornehme, aber keineswegs märchenhafte Gestalt sei, wandte Trudi sich schon an ihre Enkelin.
»Sei nur schön brav auf dem Schloß, Julchen. Du darfst nur sprechen, wenn du gefragt wirst. Und zapple nicht herum oder frag nach Süßigkeiten.«
Die Kleine nickte. »Und auf die Toilette geh ich da auch nicht. Das mach ich jetzt noch schnell!« Wutsch, rannte sie hinüber zu den Waschräumen.
Trudi sah ihr nach und schüttelte den Kopf. »Meine Güte, Verena, warum hast du dein Kind nicht hübscher gekleidet? Julchen sieht heute wie ein richtiges Dorfkind aus! Was soll die Fürstin nur von uns denken?«
»…daß Julchen ein ganz normales Kind ist und nicht herausgeputzt wie ein Püppchen herumlaufen muß!« erwiderte Verena ungehalten.