Julia Ärzte zum Verlieben Band 197 - Alison Roberts - E-Book

Julia Ärzte zum Verlieben Band 197 E-Book

ALISON ROBERTS

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Beschreibung

ZÄRTLICHE KÜSSE UNTERM MISTELZWEIG von ALISON ROBERTS Nähe, Berührungen? Nichts fürchtet Unfallchirurgin Nikita Wallace seit einem schrecklichen Ereignis mehr. Nur bei ihrem hilfsbereiten Kollegen Dr. Pedro Garcia fühlt sie sich überraschend sicher. Können seine zärtlichen Küsse unterm Mistelzweig etwa ihr Trauma heilen? LIEBESGLÜCK MIT KINDERÄRZTIN DR. BELLA? von SUE MACKAY Von einem Vertretungsjob am idyllischen Lago Maggiore verspricht Notarzt Aaron Marshall sich nur eins: Erholung! Da passt es nicht, dass die bezaubernde Kinderärztin Bella seine Sinne in Aufruhr versetzt. Bald ist die Anziehung zwischen ihnen stärker als alle Vernunft … EIN UNWIDERSTEHLICHER RIVALE? von RACHEL DOVE Endlich wird ihr Forschungsprojekt genehmigt! Wissenschaftlerin Harper sollte sich freuen! Doch jetzt muss sie mit ihrem größten Rivalen Dr. Dominic Nash zusammenarbeiten. Einem Mann, der so attraktiv wie arrogant ist – und insgeheim nie gekannte Gefühle in ihr weckt …

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Seitenzahl: 602

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Alison Roberts, Sue MacKay, Rachel Dove

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 197

IMPRESSUM

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/82 651-370 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN, Band 197

© 2023 by Alison Roberts Originaltitel: „Healed by a Mistletoe Kiss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Michaela Rabe

© 2023 by Sue MacKay Originaltitel: „Resisting the Pregnant Paediatrician“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Victoria Werner

© 2023 by Rachel Dove Originaltitel: „How to Resist Your Rival“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Claudia Schirdewan

Abbildungen: New Africa / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751526241

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Alison Roberts

Zärtliche Küsse unterm Mistelzweig

1. KAPITEL

Sie wollte nicht hineingehen.

Aber sie musste.

Nikita Wallace zog ihren Mantel um sich, als der kalte Nebel in winterlichen Nieselregen überging.

Aber sie blieb, wo sie war, weit weg vom Schutz des Haupteingangs des Bristol Central Infirmary. Des Krankenhauses, in dem sie einmal geglaubt hatte, für den Rest ihres Lebens als Unfallchirurgin glücklich zu werden.

Doch seit über einem Jahr war sie nicht mehr durch diese Türen gegangen.

Ein Handy klingelte, als jemand an ihr vorbeiging. Die Erkennungsmelodie ein Weihnachtslied, passend zu dieser Zeit Mitte Dezember.

Der Text des Liedes schlich sich in Nikitas Kopf, und es klang fast wie ein Hohn.

Tis the season to be jolly …

Ja, richtig, die Jahreszeit, um fröhlich zu sein … Nikita atmete tief durch und spürte die nasskalte Luft in ihrer Kehle. Sie hatte geglaubt, dass sie mehr als bereit war. Eigentlich hätte sie schon letzte Woche herkommen sollen, als ihre Freistellung abgelaufen war. Sie musste es tun. Und sei es, um sich zu beweisen, dass sie sich genug erholt hatte, um wieder in ihr normales Leben zurückzukehren. Sie brauchte nur noch einen Moment. Einen Moment, um den Mut aufzubringen. Sie hätte nicht gedacht, dass es ihr so schwerfallen würde.

Weil sie nicht in diesem Krankenhaus sein wollte. Oder überhaupt in einem Krankenhaus. Weil es voller Menschen sein würde. Personal und Patienten, Erwachsene und Kinder und wahrscheinlich auch Babys. Keiner von ihnen ahnte, dass sie ihnen nicht zu nahe kommen wollte. Es war kurz vor Weihnachten, und alles würde festlich dekoriert sein, und die Leute würden alberne Haarreifen und Pullover tragen. Und blinkenden Schmuck wie die Ohrringe der Frau auf dem Parkplatz. Vielleicht würden sich sogar Sternsinger im Foyer versammeln oder durch die Gänge des Krankenhauses ziehen, damit niemand die vorweihnachtliche Freude verpasste.

All das erwartete sie hier.

Zu viel, denn selbst ein Teil hatte ausgereicht, um in den ersten Tagen dieses Jahres einen Flashback auszulösen. Nikita war zuversichtlich, dass sie sich gut erholt hatte, aber … aber diese Angst war nie ganz verschwunden, oder?

Sie atmete noch einmal tief durch. Ihr Atem bildete eine Dampfwolke in der eisigen Luft. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, doch Nikita wusste, dass es die Kälte war, nicht die Angst.

Sie würde es schaffen.

Es würde nicht lange dauern.

Und dann würde sie es nie wieder tun müssen, denn deshalb war sie hier.

Um endgültig die Stelle aufzugeben, die ihr über ein Jahr lang frei gehalten worden war.

Wenn es einen Ort gab, an dem sich Pedro Garcia außer im Operationssaal am liebsten aufhielt, dann war es hier – in der Notaufnahme. Und als orthopädischer Chirurg, spezialisiert auf Unfallchirurgie, konnte er sowohl hier als auch dort so viel Zeit verbringen, wie er wollte.

Gerade jetzt befand er sich wegen eines Notfalls in der Notaufnahme des Zentralkrankenhauses von Bristol. Man hatte ihn gerufen. Ein Vierzehnjähriger war mit seinem Skateboard auf dem Heimweg von der Schule gestürzt und hatte sich die Schulter ausgekugelt. Pedro hatte eine erste Röntgenaufnahme angeordnet, um einen größeren Bruch auszuschließen, und zeigte seinem jungen Patienten das Bild.

„Siehst du das, Thomas? Das runde Stück dort ist der obere Teil deines Humerus, also des Oberarmknochens. Es ist ein sogenanntes Kugelgelenk, und das ist die Kugel. Der Teil der Gelenkpfanne, in dem sie sitzen soll, ist hier …“ Pedro zeigt auf die leicht verschwommene Knochenstruktur. „Die gute Nachricht ist, dass ich keinen ernsten Schaden sehen kann. Du musst also wahrscheinlich nicht operiert werden, sondern ich muss nur das runde Teil wieder einrenken. Einverstanden?“

„Das wird wehtun, oder?“

„Wir passen auf, dass es nicht wehtut“, beruhigte Pedro ihn.

Er blickte die Krankenschwester an, die neben dem Bett stand. „Ist Thomas’ Mutter schon da?“

Natürlich musste die Fehlstellung so bald wie möglich behoben werden, aber er brauchte eine Einverständniserklärung der Eltern.

Wie als Antwort auf seine Frage wurde der Vorhang zur Kabine zurückgezogen und eine gestresst wirkende Frau eilte herein. „Tommy, du hast gewusst, dass das Skateboard nicht sicher ist. Du hättest dich umbringen können!“

Pedro sah Thomas mit hochgezogener Augenbraue an, der seinem Blick auswich.

„Ein Rad ist kaputt“, murmelte er.

„Und ich habe ihm ein neues zu Weihnachten versprochen“, seufzte seine Mutter. „Ach, Tommy, das hat uns gerade noch gefehlt. Man hat mir gesagt, dass du vielleicht operiert werden musst. Ich kann nicht lange bleiben. Mein Chef war nicht begeistert, dass ich weg bin, und ich hab niemanden, der deine Schwestern vom Hort abholt.“

Pedro sah die Frau an. „Wir schaffen das schon. Ich hatte Thomas gerade gefragt, ob er einverstanden ist, dass ich versuche, das Gelenk wieder einzurenken.“

„Natürlich. Bitte, tun Sie, was Sie tun müssen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich Tommy wieder mit nach Hause nehmen könnte.“ Sie wischte sich eine Träne ab und lächelte ihren Sohn an. „Er ist der Mann im Haus, seit sein Vater uns vor ein paar Jahren verlassen hat. Ohne ihn würde ich es nicht schaffen.“

Oh ja, Pedro wusste, dass familiäre Erwartungen einem viel abverlangen konnten. Man brachte Opfer, stellte die eigenen Bedürfnisse weit hintenan und lernte mit der Zeit, dass es besser war, sich etwas nicht zu sehr zu wünschen.

„Ist das okay für dich, Thomas?“, fragte er.

Der Teenager nickte, aber Pedro wusste, wie verängstigt der Junge war. Wie tapfer er zu sein versuchte. Wie entschlossen er war, Verantwortung zu übernehmen, die in einer besseren Welt niemals auf den Schultern eines so jungen Menschen lasten sollte.

„Wir haben ein paar gute Mittel, die helfen“, erklärte er. „Wir geben dir Entonox, man nennt es auch Lachgas.“

Alarmiert sah Thomas ihn an. „Aber das ist doch verboten! Ein paar Jungs an meiner Schule haben großen Ärger bekommen, als sie damit hinter dem Fahrradschuppen erwischt wurden.“

„Im Krankenhaus ist es nicht verboten“, erklärte Pedro ihm. „Es hilft sehr gut gegen Schmerzen, und genau dafür sollte man es verwenden.“

Der Schock verwandelte sich in Interesse. „Kann ich das wirklich bekommen?“

„So viel du brauchst“, versprach Pedro. „Schwester Anna wird dir zeigen, wie man damit umgeht.“

„Halte das Plastikmundstück mit den Zähnen fest und schließe die Lippen“, erklärte Anna gleich darauf Thomas. „Atme ganz normal durch den Mund. Du wirst ein Schwindelgefühl oder ein Kribbeln in den Fingern spüren. Aber keine Sorge, das geht ganz schnell wieder weg, sobald du kein Lachgas mehr einatmest.“

Pedro erklärte genau, wie er vorgehen würde, und löste den Knoten der Armschlinge. Als Thomas zu kichern begann, sah Pedro Anna an.

„Ich glaube, das Entonox wirkt. Nehmen Sie bitte diesen Arm? Ich sage Ihnen, wann Sie vorsichtig ziehen müssen.“

Er tastete Thomas’ Rücken und Schulter ab, um das Schulterblatt und andere anatomische Orientierungspunkte zu finden. Dann benutzte er seine Daumen, um die Knochen zu schieben und zu drehen, nachdem er Anna das Zeichen zum Ziehen gegeben hatte. Gleich darauf spürte er, wie die Gelenkkugel in die richtige Position zurückrutschte.

Thomas hatte nichts gespürt.

„Jetzt kannst du aufhören.“ Anna nahm ihm das Mundstück ab.

„Och, schade …“ Thomas verzog bedauernd das Gesicht, grinste dann Pedro an.

„Alles überstanden“, sagte Pedro und zog den Knoten der Schlinge fest. „Du warst großartig. Jetzt müssen wir nur noch einmal röntgen, ob alles in Ordnung ist. Und dann kannst du nach Hause.“

Er sah Thomas’ Mutter an. „Er wird die Schlinge nur ein, zwei Wochen brauchen, dann kann er mit der Physiotherapie beginnen.“ Wieder wandte er sich seinem jungen Patienten zu. „Je mehr du dich bemühst, die Muskeln um deine Schulter herum zu stärken, desto unwahrscheinlicher wird es, dass so etwas wieder passiert, okay?“

Thomas nickte. „Okay.“

„Warum muss er wieder geröntgt werden?“, erkundigte sich seine Mutter.

„Manchmal werden Brüche unter der Luxation verborgen. Unter Umständen müssen sie operiert werden. Ich glaube nicht, dass wir etwas finden, aber wir müssen sicher sein, besonders bei jemandem in Thomas’ Alter. Wir wollen spätere Komplikationen mit wiederkehrenden Ausrenkungen vermeiden.“

Er schaute auf die Uhr.

„Ich muss mich beeilen, tut mir leid. Eine dringende Besprechung, aber ich werde das Röntgenbild ansehen, falls es ein Problem gibt. Ansonsten kann der Radiologe Ihnen Entwarnung geben. Schwester Anna gibt Ihnen Anweisungen für die Schulter und einen Kontrolltermin mit.“

Pedro begab sich von der Notaufnahme zum nächstgelegenen Aufzug im Foyer des Haupteingangs. Wie immer um diese Zeit war hier viel los.

Im Moment war sogar noch mehr los, denn neben den großen Glasschiebetüren standen Leute auf Leitern und schmückten einen riesigen Weihnachtsbaum. Der Geschenkeladen war überfüllt, und vor der Café-Theke bildete sich eine Schlange. Sogar an der Rezeption warteten mehr Menschen als sonst. Pedro lächelte.

Weihnachten hatte er schon immer geliebt. Die Farben und den Glanz der Lichter und der Dekoration und die Art, wie die Menschen einander öfter anlächelten. Er liebte die Aufregung, die die Kinder erfüllte, je näher die Feiertage rückten. Es störte ihn nicht einmal, dass er im Supermarkt oder bei der Post länger anstehen musste. Aber er war erleichtert, dass im Moment sonst niemand auf einen Aufzug wartete. Pedro wusste, dass er die Treppe nehmen sollte, aber sein Termin war im vierten Stock, und er wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Er drückte auf den Aufzugknopf und sah, wie das Licht sich in Richtung Erdgeschoss bewegte.

Pedro hoffte sehr, dass das Gerücht stimmte, das er gehört hatte. Dass man ihm im Bristol Central bald eine Festanstellung anbieten würde, anstatt ihm die Stelle als Vertretungsarzt zu kündigen, die er seit fast einem Jahr innehatte.

Das Foyer des Krankenhauses war überfüllt, schlimmer, als Nikita es erwartet hatte.

Mehrere Leute mit Weihnachtsmannmützen waren damit beschäftigt, Lichterketten und bunte Kugeln an einen mächtigen Weihnachtsbaum zu hängen. Jemand sang „Jingle Bells“, und alle schienen bester Laune zu sein.

Nikita versuchte, nicht direkt auf den Baum zu schauen. Sie musste sowieso die ganze Umgebung im Blick haben, auf alles Ungewöhnliche achten.

Gefährliches …

Sie spürte, wie ihr Adrenalinspiegel stieg, als sie ein Kind weinen, ein Telefon klingeln und das Paar lachen hörte, das vor dem Souvenirgeschäft stand. Ihre Sinne waren so geschärft, dass sie den Duft von Kaffee und Käsetoast aus dem Café roch. Aber sie sah sich mit einem Szenario konfrontiert, das vor nicht allzu langer Zeit für sie noch unvorstellbar gewesen wäre …

Als eine Christbaumkugel herabfiel und auf dem harten Boden zerschellte, fuhr Nikita heftig zusammen. Rasch eilte sie zu den Aufzügen, rannte die letzten Meter fast, denn sie sah, dass sich die Türen eines Lifts schlossen. Sie wollte nicht auf einen anderen warten oder vier Stockwerke hinauflaufen müssen. Zu ihrem Termin mit John Barlow, dem Leiter der Chirurgie, war sie bereits unverzeihlich spät dran. Sicher würde er sich freuen zu hören, dass sie nicht mehr hier arbeiten wollte.

Nikita schlüpfte gerade noch rechtzeitig durch den Türspalt. Ein kurzer Blick zeigte ihr, dass ihre Etage bereits gedrückt war. Ohne sich zu der einzigen anderen Person in der Kabine umzudrehen, konzentrierte sie sich auf die Tür vor ihr. Hoffte, dass der Fahrstuhl schnell nach oben glitt, ohne auf einem anderen Stockwerk anzuhalten. Sie war seit Monaten nicht mehr in einem so engen Raum gewesen. Und obwohl Klaustrophobie nicht zu ihren Problemen gehörte, hatte sie das Gefühl, dass die Stahlwände unerwünschte Gedanken verstärkten.

Der Aufzug beschleunigte, ohne dass jemand im ersten oder zweiten Stock ihn anzuhalten versuchte. Doch dann, ohne Vorwarnung, ertönte ein knirschendes Geräusch, und der Aufzug kam so abrupt zum Stehen, dass Nikita das Gleichgewicht verlor. Wahrscheinlich wäre sie gestürzt, hätte der Mann hinter ihr sie nicht am Arm festgehalten. Aber der Schreck zwang sie in die Knie.

Etwas Schlimmes war passiert und sie musste sich in Sicherheit bringen! Nikita reagierte instinktiv, kauerte sich in die Ecke des Aufzugs, zog die Knie an und drückte den Kopf an die Brust. Sie hörte kaum die Stimme des Mannes, der ihr versicherte, dass sie in Sicherheit seien und der Aufzug nicht abstürzen würde. Seine Worte waren ohnehin gedämpft, da sie die Arme über dem Kopf verschränkte und auf das Allerschlimmste wartete.

Sie wusste, es würde passieren. Sie spürte den Moment und konnte den gequälten Ton aus ihrer Kehle hören, als der Aufzug wieder ins Schwanken geriet. Die feste Umarmung des Mannes hätte alles noch viel schlimmer machen können, ja müssen. Aber seltsamerweise empfand Nikita sie als beschützend. Genauso wie den Klang seiner tiefen Stimme, die jetzt so nah an ihrem Ohr war.

„Alles ist gut, Nikki. Du bist in Sicherheit. Was auch immer schiefgelaufen ist, es ist vorbei, und wir bewegen uns wieder. Hör doch … wir halten an. Die Türen werden sich jeden Moment öffnen.“

Nikki?

Er kannte ihren Namen? Nicht nur ihren Namen, sondern auch den Namen, den nur Menschen benutzten, die sie vor Jahren gut gekannt hatten?

Die Fahrstuhltüren waren noch geschlossen, als Nikita die Arme sinken ließ und zu dem Mann aufblickte, der sie festhielt.

„Pedro?“

Er lächelte sie an. Ein Gesicht aus der Vergangenheit. Vor zehn Jahren hatten sie im selben Jahrgang an derselben medizinischen Fakultät studiert. Pedro Garcia war jemand, der sie gekannt hatte, als die Welt für Nikita noch ganz anders ausgesehen hatte. Jemand, der nicht wusste, was seither geschehen war. Doch ihm fiel auf, dass sich etwas verändert hatte. Sie sah es in seinen dunklen Augen.

„Geht es dir gut, Nikki?“

„Ja, es geht mir gut.“ Nikita versuchte, auf die Beine zu kommen, und Pedro ließ sie sofort los. Die Türen öffneten sich, als sie aufstand.

Natürlich ging es ihr nicht gut, aber Nikita hatte keine Lust, etwas zu erklären, das wie eine lächerliche Überreaktion auf einen kleinen Zwischenfall aussehen musste. Sie wollte nicht daran erinnert werden, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte.

Wie viel sie verloren hatte …

Wollte auch nicht darüber nachdenken, dass sie gerade versagt hatte. Sie war durchgefallen bei dem Test, der ihr beweisen sollte, dass sie wieder gesund war. Nikita wollte nur weg. Sie floh durch die halb geöffneten Türen des Aufzugs und drückte die Schwingtür zum Treppenhaus auf. Mit der Hand hielt sie sich am Geländer fest, um das Gleichgewicht zu halten, damit sie die Treppe hinabrennen konnte. Sie trug Absätze, die sie schon lange nicht mehr getragen hatte, und einen schmalen Rock, der sie in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte.

Sie konzentrierte sich darauf, nicht zu fallen, sah jedoch die ganze Zeit den erschrockenen Ausdruck in Pedros Augen vor sich.

Selbst nachdem Nikita das Gebäude verlassen hatte – der Weihnachtsbaum war nur noch ein verschwommener Fleck in ihrem Blickfeld – und zu ihrem Wagen rannte, ertappte sie sich dabei, wie sie über die Schulter zu den Hunderten Fenstern des Krankenhausgebäudes hinüberblickte.

Ihr war, als würde Pedro sie noch immer beobachten.

2. KAPITEL

Vom Fenster des Büros im vierten Stock aus erkannte er sie genauso sicher wie in dem Moment, als sie in den Aufzug gestürmt war, kurz bevor sich die Türen schlossen.

Nikki Wallace …

„Entschuldigung, haben Sie gerade Nikki Wallace gesagt? Sie meinen Nikita Wallace?“ John Barlow, Leiter der Chirurgie im Zentralkrankenhaus von Bristol, klang verblüfft. Er trat ans Fenster und schaute hinunter. „Ist sie das, dort unten auf dem Parkplatz?“

„Ja, ich habe sie gerade im Aufzug gesehen, deshalb weiß ich, was sie anhatte.“

John schüttelte den Kopf. „Nun, sie geht in die falsche Richtung. Ihr Termin bei mir war schon vor fast zwanzig Minuten.“

„Es gab ein kleines Problem mit dem Fahrstuhl. Irgendein mechanischer Defekt. Er ist zwischen den Stockwerken ziemlich abrupt stehen geblieben.“

„Oh … Wie ist Nikita damit umgegangen?“

Etwas in seiner Stimme ließ Pedro aufhorchen. Ein sechster Sinn zwang ihn, sich schützend vor Nikki zu stellen. Warum, wusste nur der Himmel, aber er konnte nicht anders.

Vielleicht hatte es damit zu tun, wie sie auf ihn gewirkt hatte. Nikki war nur noch ein Schatten der Frau, an die er sich aus der Zeit seines Medizinstudiums nur zu gut erinnerte.

„Es ist immer etwas beunruhigend, wenn ein Aufzug eine Panne hat“, erwiderte er vorsichtig. „Wir kennen doch alle diese Filme, in denen Menschen in die Tiefe stürzen.“

„Hm …“ John wandte sich vom Fenster ab und legte eine Mappe auf seinen Schreibtisch. „Wir müssen das Meeting verschieben, Pedro. Ich dachte, wir hätten eine freie Stelle. Nikita sollte eigentlich formell kündigen, bevor wir über Ihre Zukunft am Central sprechen können.“

„Nikki kündigt? Ist es ihre Stelle, die ich vertretungsweise übernommen habe?“

„Ja.“

„Wieso wusste ich das nicht?“

„Alles, was Nikita betraf, ist im letzten Jahr unter Verschluss gehalten worden.“ John tippte sich an die Nase. „Datenschutz …“

„Oh …“ Jetzt wurde Pedro richtig neugierig. „War sie im Mutterschutz?“ Er wusste, dass Nikki sechsunddreißig Jahre alt war, genauso alt wie er. Das war keine ungewöhnliche Lebensphase, um sich eine Auszeit zu nehmen und eine Familie zu gründen.

„Nein.“ Johns betontes Ausatmen klang fast wie ein Lachen. „Sie sollte sicher sein, dass sie für sich selbst sorgen kann, bevor sie sich um Kinder kümmert.“

Jetzt klang er herablassend. Und das gefiel Pedro nicht.

„Nikki und ich haben zusammen studiert“, sagte er. „Wir waren gut befreundet.“

Okay, das war etwas übertrieben, wenn man bedachte, dass sie sich nie so nahegestanden hatten, wie Pedro es sich gewünscht hätte. Aber sie waren definitiv Freunde gewesen – bis zu dem Tag, an dem alles so schrecklich schiefging.

„Wir haben uns zwar aus den Augen verloren, aber …“ Pedro räusperte sich. „Wenn ich mich schon entscheiden muss, ob ich ihre Stelle übernehme, dann sollte ich wenigstens wissen, warum sie seit einem Jahr beurlaubt ist.“

Der Chefarzt starrte ihn lange an und zuckte dann mit den Schultern. „PTBS“, erklärte er. „Nikita hatte eine Vereinbarung geschlossen, damit sie sich jedes Jahr drei Monate freistellen lassen konnte, um für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. Sie nahm unbezahlten Urlaub, weil ihr der Einsatz sehr wichtig war.“

Pedro nickte. Das war schon immer so gewesen. Ihr Wunsch, anderen zu helfen, gehörte zu den vielen Wesenszügen, die er an Nikki Wallace bewundert hatte.

Nikki Wallace. Sie hatte ihre gesamte Karriere darauf ausgerichtet, sich genau die Fähigkeiten anzueignen, die in einem Drittweltland oder einem Kriegsgebiet am nützlichsten sein würden. Allgemeine Chirurgie. Orthopädie. Unfallchirurgie.

Es war gut möglich, dass Nikkis Leidenschaft ihn in seiner Berufswahl beeinflusst hatte.

„Ich dachte, ich ersetze einen anderen orthopädischen Chirurgen“, sagte er. „Einen, der sich genauso für Traumata interessiert wie ich.“

„Nikitas Fähigkeiten waren für jede orthopädische Unfallchirurgie wertvoll“, räumte John ein. „Aber sie hatte sich außerdem auf Gefäßchirurgie spezialisiert. Und ihre Erfahrung als Allgemeinchirurgin bedeutete oft, dass bei schwer verletzten Fällen keine zusätzlichen Ressourcen aus anderen Abteilungen benötigt wurden.“

„Sie sprechen in der Vergangenheitsform“, hakte Pedro nach. „Arbeitet sie nicht mehr als Chirurgin?“

„Anscheinend hat sie sich dazu entschlossen. Schade.“ John klang nicht, als fände er es schade. „Ich kann es ihr nicht verdenken. Man darf doch seine Patienten nicht gefährden, wenn die Möglichkeit besteht, dass man zu einem ungünstigen Zeitpunkt, zum Beispiel mitten in einer Operation, einen Flashback hat.“

„Ein Flashback von was genau?“

„Es gab einen Vorfall. Das Krankenhaus, in dem sie arbeitete, wurde letztes Jahr einige Wochen vor Weihnachten bombardiert. Das reinste Blutbad, wie ich gehört habe – von anderen, nicht von Nikita. Sie spricht nicht darüber.“

„Das überrascht mich nicht. Sie hat Glück, dass sie überlebt hat.“

„Ja. Jedoch, wie zu erwarten war, nicht ganz unbeschadet.“

„Ich frage mich, warum ich von all dem noch nichts gehört habe?“

Es wäre ihm aufgefallen, wenn Nikkis Name in den Zeitungen gestanden hätte. Er hatte sie nicht vergessen. Ganz im Gegenteil. Sie hatte nicht nur seine beruflichen Entscheidungen beeinflusst. Die Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlte, wenn er sich die Zeit nahm, über eine Beziehung nachzudenken, hatten ihn immer irgendwie an sie erinnert. Dunkle kastanienbraune Haare, haselnussbraune Augen. Eine besondere Ausstrahlung oder ein besonderes Lächeln. Aber die Messlatte lag zu hoch, und in letzter Zeit fragte er sich manchmal, ob er wirklich genau wusste, was er suchte. Falls nicht, hätte es keinen Sinn weiterzusuchen, oder?

Vielleicht wäre er am Ende enttäuscht gewesen, wenn er Nikki so nahegekommen wäre, wie er es sich gewünscht hatte. Schließlich hatte sie am Abend der Abschlussfeier eine ganz andere Seite von sich gezeigt. Pedro hörte noch immer ihre verletzenden Worte. Die Härte in ihrer Stimme.

Du hast es gewusst, stimmt’s? Und du hast es mir nie gesagt. Ich dachte, du wärst mein Freund, aber kein wahrer Freund würde so etwas tun … Ich hasse dich, Pedro Garcia. Das verzeihe ich dir nie …

„Weil es nicht publik gemacht wurde“, unterbrach Johns Stimme Pedros Gedanken. „Zwar wurde über den Bombenanschlag berichtet und davon, dass Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen darin betroffen waren, aber nichts über die Beteiligung einer britischen Staatsbürgerin. Ich wusste lange nicht, dass Nikita dort eingesetzt war, und ich glaube, es gab einen besonderen Grund für diese Verheimlichung. Diese Information bleibt in diesem Büro, okay?“

„Natürlich.“ Pedro schob die lang zurückliegenden Erinnerungen an Nikki beiseite. Er musste daran denken, wie sie sich in der Ecke des Fahrstuhls zusammengekauert hatte. Hatten der abrupte Stillstand des Aufzugs oder die Geräusche sie an die Bombenexplosion erinnert? Sie musste furchtbare Angst gehabt haben.

Kein Wunder, dass sie bei erster Gelegenheit die Flucht ergriff …

„Also … wir werden das so schnell wie möglich klären. Ich rufe sie an und bitte sie, einen neuen Termin zu vereinbaren. Dann können wir alle weiteren notwendigen Schritte einleiten. Hoffentlich bis nächste Woche. Vor dem Weihnachtsfest mit all den unvermeidlichen Verzögerungen.“

„Es besteht keinen Grund zur Eile“, antwortete Pedro. „Ich will nicht, dass Nikki sich unter Druck gesetzt fühlt. Bis alles geklärt ist, bin ich gerne bereit, weiter als Vertretung zu arbeiten.“

„Es muss geregelt werden.“ John öffnete die Tür. Eine Aufforderung an Pedro, zu gehen. „Wir haben ihr jede Chance gegeben, und sie scheint sich buchstäblich aus der Verantwortung zu stehlen. Ich muss davon ausgehen, dass sie sich von ihrer PTBS nicht vollständig erholen wird“, sagte er und zuckte mit den Schultern, als wollte er ein unergiebiges Thema abhaken. „Fahren Sie in Urlaub? Nach Spanien vielleicht, um die Familie zu besuchen?“

Pedro schüttelte den Kopf. „Nein. Bei dem Weihnachtschaos möchte ich lieber nicht verreisen. Meine Mutter weiß leider nicht mehr, wann und wer sie besucht. Sie wird in ihrem Altersheim sehr gut versorgt, und meine Geschwister leben über die ganze Welt verstreut.“

Möglichst weit weg von den Erinnerungen an eine entbehrungsreiche Kindheit in den Slums von Barcelona?

„Ich bin lieber dort, wo ich gebraucht werde“, fügte er hinzu. „In der Rufbereitschaft.“

„Großartig.“ John nickte zustimmend. „So einen Mitarbeiter brauchen wir hier. Ich werde sehen, was ich tun kann, um die Formalitäten zu beschleunigen.“

Es waren nicht nur zufällige Erinnerungen an Nikki Wallace, die Pedro in den nächsten Tagen durch den Kopf gingen. Sondern auch das Gespräch mit dem Leiter der Chirurgie.

Denn es beunruhigte ihn.

Er fand, dass eine Mitarbeiterin auf eine Art respektlos behandelt wurde, die sie nicht verdiente. Und er fragte sich, ob Nikki auch deshalb plante, ihre Stelle zu kündigen. Auch wenn die emotionalen Auswirkungen des traumatischen Erlebnisses, das sie durchgemacht hatte, Grund genug wären.

Beunruhigend, wie viele Erinnerungen an Nikki auftauchten. Zusammen mit Gefühlen wie Anziehung und Bewunderung, ja, Sehnsucht sogar …

Sie waren flüchtig genug, um die Konzentration nicht zu stören, die er brauchte, um seine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Aber sie waren auch unberechenbar und daher beunruhigend.

Zum Beispiel, wenn er unter den taghellen Lichtern des Operationssaals eine Aufgabe erledigte, die so automatisch ablief, dass in seinem Hinterkopf ein unerwünschter Gedanke auftauchte.

Pedro operierte einen jungen Mann, der vom Motorrad gestürzt war und sich das Schienbein gebrochen hatte. Die Behandlung der Fraktur durch eine operativ vorgenommene Osteosynthese musste warten, bis die Schwellung zurückgegangen war. Daher bestand der erste Schritt darin, eine äußere Fixierung anzubringen, um die gebrochenen Knochen zu stabilisieren. Pedro markierte die Position der Stifte auf der Haut und bohrte Löcher in Wadenbein und Schienbein, um den Fixateur extern zu verankern und die Stabilität zu gewährleisten.

Und da kam sie … eine klare Erinnerung an die Studiengruppe an der medizinischen Fakultät, in der auch Nikita Wallace gewesen war. Sie hatten an jenem Abend zusammengearbeitet und anatomische Schaubilder von Knochen gezeichnet. Mit der Markhöhle, die das Knochenmark enthielt, dem schwammartigen Gewebe der innen liegenden Spongiosa und dem kompakten, harten Knochengewebe der Kortikalis direkt unter der Knochenhaut. Sie testeten sich gegenseitig mit raschen Fragen und Antworten. Sie lächelten sich an, in trauter Einigkeit, weil sie leidenschaftlich bei der Sache waren.

Pedro spürte, wie der Bohrer nachgab, als er die Kortikalis durchdrang, und zog ihn heraus, um einen langen Stift einzusetzen. Er übte Druck aus, bis er einen Widerstand im Knochen spürte, und drehte dann den Griff des Schraubenschlüssels, um den Stift zu verankern. Normalerweise erinnerte ihn das Anbringen von Klammern und Stäben daran, wie er als Kind mit seinem Metallbaukasten gespielt hatte.

Diesmal aber erinnerte er sich daran, wie er und Nikki darum gekämpft hatten, an der Spitze des Kurses zu stehen. Es war ein harter Kampf. Aber Nikki schien ihren Erfolg mit viel weniger Anstrengung zu erreichen und hatte immer noch Zeit für ein beneidenswertes Sozialleben. Pedro gönnte sich kaum Freizeit. Er musste sich selbst übertreffen – seine Familie hatte zu viel für ihn geopfert, als dass er einen Misserfolg riskiert hätte. Also brachte auch er Opfer, um sie nicht zu enttäuschen.

Und ja … vielleicht wollte er, dass Nikki ihn bemerkte, seine Leistungen bewunderte.

Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Sie war bereits in einer offenbar festen Beziehung mit Simon. Vielleicht nicht der begabteste Medizinstudent in ihrem Jahrgang, aber mit Sicherheit der attraktivste und beliebteste Typ.

Alle hatten erwartet, dass bei der Abschlussfeier eine Verlobung bekannt gegeben würde – und nicht das Drama seinen Lauf nahm, das ein glückseliges Happy End zunichtemachte.

Pedro verdrängte die Erinnerung daran, konzentrierte sich auf seine Arbeit. Kurze Zeit später, nach der letzten Drehung des Schraubenschlüssels, überprüfte er den Sitz aller Stifte mittels Durchleuchtung und nickte zufrieden.

„Danke, Leute. Wir sind fertig. Wir warten, bis die Entzündungsmarker wieder im Normalbereich sind. Dann können wir das Knie öffnen und die interne Fixation vornehmen. Das sollte in sieben bis vierzehn Tagen der Fall sein.“

Pedro zog seine Handschuhe aus und nahm die Maske ab, als er den Operationssaal verließ. Er hatte heute Morgen eine volle OP-Liste, am Nachmittag Sprechstunden und eine Stationsvisite, bevor er am Abend nach Hause gehen konnte. Außerdem Bereitschaftsdienst für das Trauma-Team. Es könnte also ein sehr langer Tag werden.

Je länger, desto besser, dachte er. Wenn er genug beschäftigt und erschöpft genug war, konnte er dann vielleicht aufhören, an Nikita zu denken? Warum um alles in der Welt schien das so wichtig zu sein? Er war schon so viele Jahre über sie hinweg. Was in ihrem Leben gerade passierte, ging ihn nichts an.

Es sollte ihn nicht beschäftigen.

Aber es beschäftigte ihn.

Ob es ihm gefiel oder nicht, irgendwie bedeutete es ihm doch etwas.

So viel, dass er es nicht gutheißen konnte, wie sie von den Verantwortlichen in diesem Krankenhaus behandelt wurde. Vor allem nicht vom Chefarzt der orthopädischen Chirurgie. Als er John Barlow später an diesem Tag zufällig auf dem Flur begegnete, blieb er stehen.

„Ich habe vor, Nikki Wallace zu besuchen“, sagte er.

Die spontane Ankündigung überraschte ihn ebenso wie John, aber er konnte nicht zugeben, dass ihm die Idee gerade erst gekommen war. Vielleicht war es genau das, was er tun musste. Sich vergewissern, dass es ihr gut ging, damit er aufhörte, ständig an sie zu denken?

Pedro ertappte sich dabei, wie er lächelte, so als ob er sich darauf freute, sie zu sehen.

„Wir haben uns lange nicht gesehen“, fügte er hinzu. Und das stimmte. In den letzten zehn Jahren hatten sie kein Wort miteinander gesprochen.

Für das, was sie an jenem Abend veranlasst hatte, ihm diese schrecklichen Worte ins Gesicht zu schleudern, hatte er sich nie entschuldigen können. Er hatte gewusst, dass Simon sie betrog. Hätte sie als Freund warnen können und müssen. Aber er hatte es nicht fertiggebracht.

Weil sie ihm nicht gleichgültig war? Weil er davon hätte profitieren können, wenn sie sich von Simon trennte? Es war lange her und spielte keine Rolle mehr. Er konnte sich entschuldigen.

Und zwar aufrichtig. Schließlich war es kaum Nikkis Schuld, dass sie ihn immer nur als Freund gesehen hatte. Die Chemie war einseitig gewesen, und so war es eben im Leben … Manche Menschen hatten Glück in der Liebe und andere nicht, und es wäre selbstzerstörerisch, deshalb verbittert zu sein.

Absichtlich schlug er einen lockeren Ton an. „Ich könnte den Papierkram zum Unterschreiben mitnehmen, wenn das nicht zu sehr gegen die Vorschriften verstößt?“

Hoffentlich enthielten diese Papiere persönliche Informationen, an die er sonst nur schwer gelangen würde. Zum Beispiel ihre Adresse?

John wirkte erleichtert, als hätte er ihm gerade ein Problem abgenommen.

„Überhaupt nicht. Klingt für mich nach der besten Lösung. Sie hat noch nicht einmal angerufen, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Wir werden die Regeln wohl ein wenig anpassen müssen. Kommen Sie in mein Büro, meine Sekretärin wird die Unterlagen für Sie vorbereiten.“

Pedro Garcia also …

Der stille Überflieger an der medizinischen Fakultät. Der gut aussehende Spanier, der lange genug in Großbritannien studiert hatte, um sein Englisch zu perfektionieren. Und der sich so sehr darauf konzentrierte, sein Medizinstudium mit Auszeichnung abzuschließen, dass nichts anderes in seinem Leben wichtig schien. Ihr Freund, der ihr gezeigt hatte, wie hart sie arbeiten musste, um stolz auf das zu sein, was sie erreicht hatte. Der ihr mehr als einmal aus der Patsche half, indem er ihr seine akribischen Notizen zu all den Vorlesungen zur Verfügung stellte, die sie verpasst hatte.

Nikita war keineswegs überrascht, dass er orthopädischer Chirurg geworden war, den Anforderungen eines Großstadtkrankenhauses gewachsen. Aber es war ein Schock für sie, zu erfahren, dass er schon seit einem Jahr ihren Job machte.

Außerdem lebte er gerne in Bristol und freute sich, dass er für die Festanstellung infrage kam, falls Nikita nicht zurückkehren würde. Wie der Chefarzt am Telefon betonte, teilte er ihr diese privaten Informationen nur mit, weil er wusste, dass sie Dr. Garcia gut genug kannte, um zu verstehen, wie wichtig es für ihn war, für die Zukunft planen zu können. John Barlow verhehlte nicht, wie enttäuschend es gewesen sei, dass Nikita nicht wie verabredet zur Besprechung gekommen war. Er schlug vor, sich mit seiner Sekretärin in Verbindung zu setzen, um einen neuen Termin in den nächsten ein bis zwei Tagen zu vereinbaren.

„Ich muss anrufen, Duncan.“ Nikita seufzte. „Aber wir brauchen auch Bewegung und haben lange genug darauf gewartet, dass der Regen aufhört. Am besten bringe ich es hinter mich, sobald wir vom Strand zurück sind, oder?“

Duncan, der mächtige Clydesdale, den sie gerade bürstete, schien sich mehr für das Heunetz zu interessieren, das vor ihm im Stall hing. Ein paar Hühner scharrten erwartungsvoll im alten Heu und ignorierten sie ebenfalls. Aber der Hund, der ruhig in der Ecke saß und Nikita hingebungsvoll ansah, wedelte mit dem Schwanz. Was sie nicht überraschte. Earl, der English Setter, stimmte mit fast allem überein, was Nikita sagte.

Der Stall war fast zu klein für ein so großes Pferd wie Duncan. Aber die anheimelnde Atmosphäre war der Grund, warum Nikita sich auf der Suche nach einer Bleibe in das Haus verliebt hatte.

Elm Tree Cottage lag auf einem kleinen Stück Land, gerade groß genug, um ein Pferd zu halten. Auch das Haus hatte genau die richtige Größe für Nikita und Earl. Klein genug, um sich wie eine Umarmung anzufühlen, wenn sie sie am meisten brauchte.

Heute machte sie sich nicht die Mühe, einen Sattel zu benutzen. Duncan war breit und stabil wie ein Sessel, und sie würden nicht weit reiten. Sogar Earl würde froh sein, wenn er an einem Wintertag wie diesem auf die Jagd nach Schätzen wie stinkendem Seetang oder einer toten Krabbe zwischen den kleinen Steinen am Ufer verzichten konnte.

Wenn sie nach Hause kamen, würde sie den Ofen anheizen, um sich aufzuwärmen, und dafür sorgen, dass Duncan warm zugedeckt und mit viel Heu versorgt war. Und endlich den Anruf erledigen. Was sie schon längst hätte tun sollen, jedoch erfolgreich vor sich hergeschoben hatte.

Nikita wollte den Moment genießen, gemächlich auf Duncan dahinschaukeln und Earl dabei zusehen, wie er in der verwilderten Hecke nach Kaninchen schnüffelte. Leider ließ ihr ein Gedanke keine Ruhe.

Hatte Pedro John von ihrer äußerst peinlichen Panikreaktion im Fahrstuhl erzählt?

Wahrscheinlich, da John nicht nachgefragt hatte, warum sie zur vereinbarten Uhrzeit nicht aufgetaucht war. Er hatte es weder erwähnt noch sich teilnahmsvoll nach ihrem momentanen psychischen Zustand erkundigt. Aber das passte zu ihm. John war schon weit über sechzig und der Meinung, dass man im Leben manchmal die Zähne zusammenbeißen musste. Sich von persönlichen Problemen die Karriere ruinieren zu lassen, hielt er für ein Zeichen von Schwäche. Sicher war er enttäuscht, weil er wohl geglaubt hatte, dass sie aus härterem Holz geschnitzt war.

Jetzt konnte er es kaum erwarten, sie loszuwerden. Und ausgerechnet Pedro Garcia ihren Job zu geben.

Nikita hatte schon lange nicht mehr an Pedro gedacht. Während des Medizinstudiums war er ein guter Freund gewesen. Aber nur in den Vorlesungen und Lerngruppen und später während der klinischen Praktika, in denen sie auf Krankenhausstationen eingesetzt wurden, um in einem echten medizinischen Umfeld zu arbeiten. Auf Unipartys hatte sie ihn fast nie gesehen. Oder bei Gruppen, die sich gelegentlich trafen, um ins Kino zu gehen oder im Sommer Kricket zu spielen.

Sie wusste, dass viele Mädchen für Pedro schwärmten, aber wenn er mit einer zusammen war, hielt es nie lange. Er schien jedoch weiterhin mit allen befreundet zu sein, das sprach für ihn. Aber das hatte Nikita natürlich nur aus der Ferne beobachtet. Sie war schon während der Orientierungswoche im ersten Semester mit Simon zusammengekommen. Wenig überraschend, da sich ihre Eltern seit vielen Jahren kannten und in denselben Kreisen verkehrten. Vielleicht hatte die Vertrautheit zwischen ihnen den Ausschlag gegeben. Außerdem hatte Nikita nichts dagegen gehabt, vom beliebtesten Mann auf dem Campus erwählt zu werden.

Bis eine andere interessanter wurde.

Kein Wunder, dass die Erinnerungen an jenen schrecklichen Abend wieder hochkamen.

Fälschlicherweise hatte sie Pedro die Schuld gegeben, dass Simon sie vor aller Augen demütigen konnte. Ihre Beziehung war zerbrochen, und sie machte es nur schlimmer, indem sie Pedro anschrie. Vor allen Leuten, die sich bei der Examensfeier auf der Tanzfläche drängten.

„Ich hasse dich, Pedro Garcia. Das verzeihe ich dir nie …“

Als wäre es seine Schuld, dass sie ihren Freund vor der Tür bei einem leidenschaftlichen Kuss mit einer anderen erwischt hatte! Simon hatte sich „zwei Eisen im Feuer“ geleistet, um sich entscheiden zu können, wen er heiraten würde. Und auf dem Abschlussball war Nikita raus.

Der Schmerz darüber verflog ziemlich schnell, als sie begriff, dass sie mit so einem Kerl sicher nicht den Rest ihres Lebens verbringen wollte.

Aber sie hatte Pedro in dem Glauben gelassen, dass er an der Demütigung schuld war.

Bei dem Gedanken fühlte sie sich miserabel, während sie die Anhöhe hinauf nach Hause ritt. Hätte sie sich doch nur dafür entschuldigt, dass sie vor Jahren so schreckliche Dinge zu ihm gesagt hatte. Doch am nächsten Tag war er nicht mehr da, und seitdem hatte sie nichts mehr von ihm gehört.

Bis jetzt.

Sie konnte sich nicht mehr davor drücken. Eine Biegung noch auf dem schmalen Feldweg, dann war sie zu Hause angekommen.

Normalerweise war Nikita an dieser Kurve sehr vorsichtig, nur für den Fall, dass ein Autofahrer ausprobieren wollte, wie weit er bis zum Strand fahren konnte. Oder Leute auf Fahrrädern oder Hundebesitzer, die sie alle erschrecken könnten, aber heute dachte sie an etwas anderes. An eine Zeit in ihrer Vergangenheit, von der sie nie gedacht hätte, dass sie jemals wieder eine Rolle spielen würde.

Unversehens kam jemand um die Ecke. Ein großer, kräftiger Mann in schwarzer Lederjacke, Schal und Mütze, so einschüchternd, dass selbst der ruhige alte Duncan scheute und so schnell auswich, dass Nikita keine Chance hatte, seine Mähne zu packen.

Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch den Knöchel, als sie auf dem kalten, harten Boden landete. Nikita blickte zum zweiten Mal in dieser Woche zu Pedro Garcia auf.

„Oh, nein …!“ Sie stöhnte unterdrückt und machte die Augen gleich wieder zu.

3. KAPITEL

„¡Dios mío! … Bist du verletzt?“ Pedro hockte sich neben Nikita. „Es tut mir schrecklich leid. Hast du Schmerzen?“

Instinktiv rappelte Nikita sich auf und wich seiner ausgestreckten Hand aus, als er ihr aufhelfen wollte.

„Alles okay.“

Was nicht stimmte. Der Schrecken und Pedros Nähe lösten instinktiv Wut und den Impuls aus, sich verteidigen zu müssen.

„Was zum Teufel machst du hier?“ Trotz der Schmerzen in ihrem Knöchel ergriff sie Duncans Zügel, der zum Glück ruhig dastand. „Woher weißt du, wo ich wohne?“

Earl stellte sich neben sie und schmiegte sich an ihr Bein, wie um sie zu beschützen. Aber dabei blickte er zu Pedro hoch und wedelte sanft mit dem Schwanz. Ihr Hund war bereit, sie zu verteidigen, wenn nötig, aber offensichtlich empfand er den Fremden nicht im Geringsten als bedrohlich.

Pedro entschuldigte sich verlegen. „Ich weiß … Ich hätte diese Information nicht bekommen dürfen. Aber ich kann es erklären.“

„Nur zu.“

Ohne Aufstiegshilfe kam Nikita nicht wieder auf ihr riesiges Pferd. Und sie hatte nicht vor, Pedro um Hilfe zu bitten. Andererseits wollte sie auch nicht hier stehen bleiben und die Tiere noch weiter auskühlen lassen.

Sie schnalzte mit der Zunge und begann Duncan den Weg hinunterzuführen, wobei sie sich bemühte, nicht zu hinken. Was nicht einfach war, weil jeder Schritt wehtat. Nikita schaute nicht über die Schulter, ob Pedro ihr folgte, aber als er etwas sagte, hörte sie ihn dicht hinter sich.

„Ich habe John erzählt, dass wir während des Studiums befreundet waren.“

Nikita nickte. Das stimmte. Bis sie alles verdarb.

„Ich habe ihm auch gesagt, dass ich dich besuchen will, und … ihm angeboten, die Papiere mitzunehmen, die du neulich nicht unterschrieben hast.“ Er schwieg kurz, räusperte sich. „Ich hatte gehofft, dass deine Adresse dabei sein würde.“

Die Dreistigkeit, mit der er sich persönliche Informationen verschafft hatte, hätte Nikita eigentlich noch wütender machen müssen. Aber der erste Schrecken nach dem Sturz war verflogen, und ihr wurde bewusst, dass sie neben dem Bedürfnis, sich zu schützen, noch etwas anderes empfand.

Neugier?

„Warum wolltest du mich besuchen?“

„Weil wir Freunde waren. Und … weil ich über dich nachgedacht habe.“

Nikita unterdrückte das Bedürfnis, sich umzudrehen und ihm in die Augen zu sehen. Oder zu gestehen, dass sie kurz vor seinem Auftauchen an ihn gedacht hatte.

„Außerdem wollte ich wissen, ob es dir gut geht“, fügte Pedro hinzu. „Nachdem … du weißt schon … das im Aufzug passiert ist …“

Verlegen achtete sie nicht auf den nächsten Schritt und zuckte zusammen. Was ihm natürlich nicht entging.

„Du humpelst“, sagte er. „Du hast dich verletzt.“

„Es ist nichts weiter.“ Das Tor zur Koppel stand offen, und der Stall war nicht weit. „Nur eine kleine Verstauchung, nehme ich an.“ Nikita führte Duncan auf die Weide. „Mach bitte das Tor hinter dir zu“, bat sie Pedro. „Duncan kann hier draußen bleiben, sobald er seine Decke hat.“ Sie blickte zu ihrem kleinen Häuschen mit der ausladenden Trauerulme davor. Unter den kahlen Ästen des Baumes stand ein großer schwarzer SUV.

„Das ist wohl dein Auto?“

„Ja.“

„Willst du nicht den Papierkram holen? Und einen Stift, wenn du einen hast. Bring alles in den Stall, ich unterschreibe, was unterschrieben werden muss, und dann kannst du wieder fahren.“

„Nein.“

„Wie bitte?“ Nikita wandte abrupt den Kopf.

„Ich habe keinen Stift.“ Pedros Blick war fest. „Und es ist zu kalt hier draußen. Lass mich dir mit dem Pferd helfen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich deinen Unfall verursacht habe.“

Das stimmte. Und Pedro war größer als sie. Duncan die gefütterte Decke überzulegen, bedeutete immer eine Herausforderung. Selbst um ihm das Halfter anzulegen, müsste Nikita auf einer kleinen Leiter stehen, wenn ihr altes Pferd nicht so freundlich war, den großen Kopf auf ihre Höhe zu senken.

„Gut.“ Sie band den Führstrick locker um den Pfosten. „Siehst du den Haufen Segeltuch da drüben?“

„Ja.“

„Das ist Duncans Wintermantel. Er hat vorne einen Riemen mit Schnalle und hinten zwei längere, dünnere Riemen. Wirf ihn ihm über den Rücken, sodass der wattierte Teil vorne über dem Widerrist liegt.“

„Was ist ein Widerist?“

Pedros Englisch war nahezu perfekt. Aber es gab immer wieder Momente, wo seine Grammatik oder der Akzent so durcheinandergerieten, dass man ihm seine spanische Herkunft anmerkte. Zusammen mit seiner olivfarbenen Haut und den sündhaft dunklen Augen hatte seine einzigartige Stimme schon immer einen großen Teil seines unbestreitbaren Charmes ausgemacht.

„Die Erhöhung zwischen Hals und Rücken.“ Nikita nahm einen Hufkratzer in die Hand, und Duncan hob gehorsam jedes Bein an, damit sie sich vergewissern konnte, dass keine Steine in seinen tellergroßen Hufen steckten. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Pedro die Decke aufhob und prüfte, welches Ende wo war. Sein Mantel und seine Jeans waren bereits mit Pferdehaaren bedeckt, kaum dass er an Duncan herantrat. Nikita spürte, wie nervös er war. Obwohl es für sie keinen Grund gab, ihn aufzumuntern, war sie beeindruckt, dass seine Unsicherheit ihn nicht davon abhielt, zu tun, was getan werden musste.

„Duncan ist zwar groß, aber ein sanfter Riese“, erklärte sie Pedro. „Er kann keiner Fliege etwas zuleide tun.“

„Er hat dich abgeworfen. Du hättest dich ernsthaft verletzen können.“

Nikita spürte, wie die Anspannung plötzlich von ihr abfiel. Sie lachte sogar auf. „Dieses Pferd würde nicht einmal bocken, wenn es um sein Leben ginge. Er hat gescheut … Nein, nicht einmal das. Er ist zur Seite ausgewichen, und ich habe es nicht geschafft, seine Mähne zu packen. Mit Sattel wäre das nicht passiert.“

Pedro war groß genug, um die Decke leicht über Duncans Rücken zu legen, und Nikita brauchte nur einen Moment, um sie in Position zu bringen. Sie löste einen der hinteren Riemen. „Ich schiebe ihn zwischen seinen Beinen hindurch“, erklärte sie. „Du kannst ihn an dem Ring auf deiner Seite befestigen und mir dann die Schnalle für den anderen geben.“

Als Duncan warm zugedeckt war, gab sie ihm noch einmal Heu und nahm ihm dann den Führstrick ab. „Es geht ihm gut. Ich lasse die Stalltür offen, dann kann er selbst entscheiden, ob er rauswill oder nicht.“ Sie drehte sich um, um den unteren Teil der Tür zu öffnen. Aber die Bewegung reichte aus, um einen neuen, stärkeren Schmerz im Knöchel auszulösen. So stark, dass ihr Bein nachgab. Nikita wollte sich an der Tür festhalten, um nicht umzufallen, doch Pedro war schneller, und sie umklammerte seinen Arm.

Berührte ihn.

Wieder …

Sie hielt den Atem an. Wartete auf den Adrenalinstoß und den verzweifelten Drang zu fliehen. Wie in dem Augenblick, als ihr klar geworden war, wie nah sie ihm in diesem Aufzug gewesen war. Aber seltsamerweise passierte nichts. Vielleicht, weil sie sich an ihm festhielt, die Berührung nicht von ihm ausgegangen war?

Nein, denn im nächsten Moment schwang er sie auf die Arme, um sie ins Haus zu tragen. Sie hätte sich überrumpelt fühlen und in Panik geraten müssen. Bisher genügte es, wenn jemand – vor allem ein Mann – sie auch nur im Vorbeigehen streifte. Lag es daran, dass Pedro kein Fremder war oder Earl keine Anzeichen von Misstrauen zeigte? Statt der lähmenden Angst fühlte sie sich tatsächlich sogar … sicher!

Der Gedanke war so überwältigend, dass Nikita den Schmerz in ihrem Knöchel völlig vergaß. Oder warum Pedro hier war. Bis er sie auf der Couch im Wohnzimmer absetzte, ein paar Kissen unter ihren verletzten Fuß legte und sich dann aufrichtete.

„Rühr dich nicht von der Stelle“, befahl er. „Ich bin gleich wieder da.“

Caramba …

Pedro hatte nicht wirklich gewusst, was ihn erwartete, als er beschloss, unangemeldet bei Nikita aufzutauchen. Er war sich nicht einmal sicher gewesen, ob es eine gute Idee war, und er hatte recht gehabt, oder?

Wie dumm von ihm, das Pferd so zu erschrecken! Wenn der Knöchel gebrochen war, hatte er genau das Gegenteil dessen erreicht, weswegen er hergekommen war. Nämlich sich zu überzeugen, dass es ihr gut ging. Und nicht nur das: Sie in den Armen zu halten und ins Haus zu tragen, weckte stärkere Gefühle in ihm, als ihm lieb sein konnte.

Pedro ahnte, dass er längst nicht so über sie hinweg war, wie er geglaubt hatte.

Seufzend nahm er die Mappe mit den Kündigungsunterlagen vom Beifahrersitz. Je schneller er das erledigte, umso besser.

Doch dann zögerte er und öffnete die Heckklappe seines Wagens, um den Verbandskasten herauszuholen. Nikita würde behaupten, dass es ihr gut ging. Aber davon wollte er sich selbst überzeugen, bevor er sie in dem abgelegenen Haus allein zurückließ.

Als er es das erste Mal betreten hatte, war er mit Nikita beschäftigt gewesen. Diesmal jedoch schaute er sich um.

Das Cottage war winzig. Aus Felssteinen gebaut, mit einem Schieferdach, hatte es an der Front nur eine Tür und ein Fenster. Die Innenwände waren verputzt und der Raum, den er betrat, war Wohnzimmer und Küche in einem. Das Sofa, auf dem Nikita lag, stand vor dem Fenster, das durch rautenförmige Bleiglasscheiben den Blick auf den Vorgarten und einen ausladenden Baum freigab. Auf der einen Seite befand sich ein unverputzter Steinkamin, in den ein Kachelofen eingebaut war. Daneben ein Korb mit kleinen Holzscheiten.

Der Kaminsims erinnerte Pedro an geschmückte Kinderstrümpfe, die sonst dort hängen würden. Und erst da bemerkte er, dass jegliche Weihnachtsdekoration fehlte. Nicht einmal ein Stechpalmenzweig war zu sehen. Aber es war nicht verwunderlich, dass sie nicht an Weihnachten erinnert werden wollte, wenn er daran dachte, was der Chefarzt ihm erzählt hatte. Das Krankenhaus, in dem sie arbeitete, wurde letztes Jahr einige Wochen vor Weihnachten bombardiert. Das reinste Blutbad …

Im Küchenbereich stand eine antike walisische Kommode mit blau-weißem Geschirr darauf. Messingarmaturen zierten das tiefe quadratische Waschbecken. Pedro fiel auf, wie die Armaturen glänzten und wie viel Sorgfalt die Person, die hier wohnte, auf die Einrichtung verwendet hatte. In eine hölzerne Arbeitsplatte war ein kleiner AGA-Herd integriert, auf dem ein Topf dampfte. Ein verblichenes Holzbrett war mit einem Geschirrtuch abgedeckt, unter dem hervor es köstlich nach frisch gebackenem Brot duftete.

Die Regale hinter dem Sofa waren mit Büchern gefüllt. Auf dem untersten entdeckte er einige seiner Lieblingsbücher über Medizin, dazu einen Stapel medizinischer Fachzeitschriften. Eine orthopädische Fachzeitschrift lag auf dem rustikalen niedrigen Couchtisch. Pedro wusste, dass es die neueste Ausgabe war, denn er hatte sie gerade am Morgen beim Frühstück gelesen.

Er runzelte die Stirn, als er seinen Verbandskasten auf den Boden stellte und die Mappe auf den Tisch legte. Warum sollte jemand, der seine Karriere an den Nagel hängen wollte, daran interessiert sein, sich über die neuesten Entwicklungen und Fachartikel auf dem Laufenden zu halten?

„Auf dem Schreibtisch gleich hinter der Tür liegt ein Kugelschreiber.“

„Okay.“

Pedro konnte durch die offene Tür sehen, dass es sich um ein Schlafzimmer handelte. Was vermutlich bedeutete, dass die einzige andere Tür in diesem Raum ins Bad führte. Die Grundfläche dieses Häuschens mit seinen dunklen, breiten Holzdielen war wahrscheinlich nicht einmal halb so groß wie seine Wohnung in Bristol. Gerade groß genug für einen Bewohner. Und einen Hund.

Es war nicht nur abgelegen. Es war bestimmt auch einsam …

Als er den Kopf wandte und ihren Blick auffing, mochte sie ihm die Frage ansehen. Nikita schob, fast trotzig, wie es schien, das Kinn vor.

„Der Stift?“, wiederholte sie herausfordernd.

„Moment noch. Zuerst möchte ich mir deinen Knöchel ansehen.“

„Das ist nicht nötig. Ich bin Orthopädin, wie du weißt.“

„Und ich Orthopäde. Ich gehe erst, wenn ich sicher bin, dass ich dich nicht zum Röntgen und Gipsen ins Bristol Central fahren muss.“ Pedro legte Jacke und Mütze ab. Dabei hielt er ihren Blick fest. Oder vielleicht sie seinen. Und ein bisschen zu lange. Keiner von beiden schaute weg.

„Na schön.“ Es war ein Eingeständnis ihrer Niederlage, unterstrichen durch die Art, wie Nikita nun nicht nur den Blickkontakt brach, sondern an Pedro vorbei aus dem Fenster sah.

Pedro schluckte. „Ich muss dir Schuhe und Socken ausziehen“, sagte er. „An beiden Füßen.“

Um ihre Gelenke zu vergleichen. Ganz professionell. Doch Nikita trug keine normalen Schuhe, sondern Chelsea Boots mit elastischen Einsätzen an den Seiten.

„Vielleicht muss ich das Gummigewebe aufschneiden“, warnte Pedro. „Ich will deine Verletzung nicht verschlimmern.“

Nikita beugte sich vor. „Ich mache es selbst. Ich will nicht, dass meine Stiefel ruiniert werden, danke.“

Der unverletzte Fuß war kein Problem, aber Pedro sah, wie sie die Zähne zusammenbiss und blass wurde, als sie den Schuh vom anderen Fuß zog. Aber sie gab keinen Laut von sich und hielt nicht inne, bis sie den Stiefel ausgezogen hatte.

„Da … siehst du? Kein sichtbarer Bluterguss. Nicht einmal eine nennenswerte Schwellung.“ Sie ließ sich gegen die Rückenlehne des Sofas sinken und schloss die Augen.

„Noch nicht. Kannst du die Zehen bewegen?“

Sie konnte.

„Tut es weh?“

„Nicht sehr.“

Doch sie zuckte zusammen, als er ihre Zehen berührte. „Fühlt sich das normal an?“

„Ja.“

Er berührte leicht den Fußrücken, prüfte die Wärme und die Farbe der Haut und den Fußpuls, um sich zu vergewissern, dass die Durchblutung nicht beeinträchtigt war.

Schließlich tastete er vorsichtig die Stelle ab, wo das Wadenbein auf den Knöchel traf. Er brauchte nicht zu fragen, ob es wehtat, denn sie zuckte wieder zusammen.

„Hm … Kein Knirschen zu hören.“

„Gut. Also keine Fraktur.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

Pedro nahm den Fuß in eine Hand und drückte mit der anderen leicht auf die Fußspitze, um die Fußsohlenbeugung zu testen. Aus irgendeinem Grund wurde er sich plötzlich viel bewusster, wie sich Nikitas nackte Haut anfühlte, als er beide Hände benutzte. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren.

„Heb den Fuß an“, wies er sie schroffer als beabsichtigt an. Dann drückte er auf die Sohle. „Jetzt Gegendruck ausüben.“

Nikita seufzte laut, während sie gehorchte. „Den Rest können wir uns sparen“, murmelte sie.

Für den Bruchteil einer Sekunde war Pedro versucht, ihr zuzustimmen. Er hatte das Gefühl, dass jeder Augenblick dieser körperlichen Untersuchung ihn später heimsuchen könnte. Aber er musste beenden, was er angefangen hatte. Deshalb ignorierte er ihre Bemerkung und überprüfte auch die Innen- und Außenrotation ihres Fußes.

„Jetzt bilden sich langsam ein paar blaue Flecken.“

„Das ist normal bei einer Verstauchung. Ich halte mich an die übliche Behandlungsmethode – Ruhen, Kühlen, Kompression und Hochlagern. Für die Kompression habe ich bestimmt irgendwo eine Bandage und im Gefrierschrank sicher einen Beutel Erbsen.“

„Bandagen sind hier drin.“ Pedro öffnete seinen Verbandskasten. „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass du den Fuß röntgen lassen solltest. Du weißt so gut wie ich, dass die Wahrscheinlichkeit einer klinisch relevanten Fraktur steigt, wenn der hintere Knöchel empfindlich ist.“

„Ich will niemandes Zeit verschwenden. Wenn es morgen nicht nennenswert besser ist, werde ich darüber nachdenken.“

„Das hoffe ich.“ Pedro begann, Fuß und Knöchel zu verbinden. „Alle zwei bis drei Stunden für zwanzig Minuten Eis auflegen und den Fuß über Herzhöhe halten.“

„Ja, Herr Doktor.“ Nikita seufzte gequält, aber ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie ein Lächeln unterdrücken. „Wo sind die Papiere?“, fragte sie dann, als er den Verband befestigte. „Bringen wir es hinter uns, ja?“

Genau das hatte Pedro noch vor einem Moment tun wollen, aber zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, dass er es sich anders überlegt hatte.

„Nein“, sagte er. Mit Nachdruck.

Das ist ein Witz, oder?

Nikita wollte schon lächeln, aber unerwartet spürte sie ein Brennen in den Augen. Vielleicht ein verzögerter Schock nach dem Sturz?

Oder war es die Art, wie Pedro sie ansah? Er gab ihr das seltsame Gefühl, dass sich jemand um sie sorgte und sie beschützte.

Nein … nicht irgendjemand.

Pedro Garcia.

Er hielt ihren Blick fest. „Ich denke, du solltest das nicht unterschreiben“, sagte er. „Jedenfalls noch nicht.“

Nikita blinzelte gegen die Tränen an und stieß einen ungläubigen Laut aus. „Meinst du nicht, dass es allein meine Entscheidung ist?“

„Natürlich. Wenn es das ist, was du wirklich willst.“ Pedro richtete sich auf und wandte sich ab, um aus dem Fenster zu sehen. „Doch davon bin ich nicht ganz überzeugt.“

Nikita ertappte sich dabei, wie sie auf seinen breiten Rücken starrte. So wie dieser Mann dastand, als wäre er mit sich und der Welt mehr als zufrieden … Nikita würde alles dafür geben, sich auch so zu fühlen. Anstatt ihn anzublaffen und ihm zu sagen, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, hörte sie sich fragen: „Warum nicht?“

Es dauerte lange, bis Pedro sich wieder zu ihr umdrehte. Auch sah er sie nicht direkt an, sondern ließ den Blick durch den Raum wandern, breitete die Arme aus.

„Das hier, dieses perfekte Landleben … am Strand reiten, Brot backen und in einem Hobbit-Haus leben, nur mit deinem Hund als Gesellschaft?“ Er schüttelte den Kopf und atmete tief durch. „Das ist nicht die Nikita Wallace, an die ich mich erinnere. Das passt nicht zu dir, Nikki. Mir kommt es vor, als würdest du dich verstecken. Vor dir selbst und vor allen anderen.“

Eine Träne rollte ihr über die Wange, doch sie wischte sie weg.

„Vielleicht bin ich nicht mehr der Mensch, an den du dich erinnerst“, sagte sie leise.

„Doch, das bist du.“ Pedro trat einen Schritt auf sie zu. „Tief in dir drin bist du es. Ich weiß, dass dir etwas zugestoßen ist und dass so etwas Menschen verändern kann. Aber ich glaube nicht, dass die wahre Nikki sich wirklich vor der Welt verstecken will. Oder den Beruf, der ihr so viel bedeutet, nicht mehr ausüben möchte.“

Er redete Unsinn. Die echte Nikki war die, die sie inzwischen geworden war. Die, die sie jetzt war. Aber da war etwas in seinen Worten, das ihr ein Gefühl gab, genauso mächtig wie das Gefühl von Geborgenheit, weil sich jemand um sie kümmerte.

Hoffnung?

„Wer ist sie dann?“, fragte sie. „Diese echte Nikki?“

Langsam kam Pedro ans Ende der Couch, wo ihr bandagierter Fuß auf den Kissen lag, und setzte sich auf die Armlehne.

„Die Nikki, an die ich mich erinnere“, sagte er, „war so voller Leben, dass sie einen Raum erhellte, wenn sie ihn betrat. Ihr Haar fing das Sonnenlicht ein und leuchtete, als hätte es Feuer gefangen. Und wenn sie lachte, funkelten ihre Augen. Sie lachte viel. Jeder wusste, dass sie aus einer wohlhabenden Familie stammte, aber sie hat nie auf andere herabgesehen. Sie verstand sich mit allen, sogar mit einem spanischen Jungen, der in den Slums von Barcelona aufgewachsen war …“

Nikita war buchstäblich sprachlos, als sie Pedro so reden hörte. Als ob er sich zu ihr hingezogen gefühlt hätte. Er war der Intelligenteste in ihrem Seminar gewesen, deshalb hatte sie am besten mit ihm arbeiten können. Aber er hatte nie gezeigt, dass er mehr als ein Freund sein wollte.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fuhr Pedro fort.

„Sie war die cleverste Studentin in unserem Jahrgang. Sie hätte mich leicht in jedem Test und jeder Prüfung schlagen können. Sie schaffte es manchmal nur deshalb nicht, weil es für sie neben dem Studium noch ein Leben gab. Jeder wollte Zeit mit ihr verbringen, also wurde sie oft eingeladen, zu Partys, Konzerten, einem Date. Trotzdem schnitt sie hervorragend ab, weil sie unbedingt Ärztin werden wollte. Chirurgin. Und es ging ihr nicht nur um Prestige oder Geld. Die Nikki, die ich kannte, war die aufrichtigste Person, die ich je kennengelernt hatte, und sie war fest entschlossen, hinauszugehen in die Welt und den Menschen zu helfen, die es am meisten brauchten.“

Pedro schwieg kurz. Der Blick, den er Nikita zuwarf, war eine Bitte um Verzeihung.

„Sorry“, sagte er dann leise. „Du kannst dir sicher denken, dass ich in dich verknallt war. Wenn nicht sogar hoffnungslos verliebt.“

Nikita starrte ihn noch immer an. Es war kein Wunder, dass sie das Gefühl gehabt hatte, ihm etwas zu bedeuten. Als wäre sie in seinen Armen sicher.

Vielleicht nahm ihr Körper etwas wahr, wofür sie sonst blind war?

Pedro schüttelte den Kopf. „Das alles ist längst vorbei“, sagte er leichthin. „Mach dir keine Sorgen – ich habe das schon vor vielen Jahren überwunden. Aber ich denke, du solltest dir noch etwas Zeit nehmen, um über deine Kündigung nachzudenken. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass du der Medizin den Rücken kehren willst.“ Sein Blick wanderte zu der medizinischen Fachzeitschrift, die neben ihnen auf dem Couchtisch lag. „Für mich ist es offensichtlich, dass du das nicht willst.“

„Aber wenn ich nicht kündige, bist du deinen Job los.“

Pedro zuckte mit den Schultern. „Ich finde einen neuen. Außerdem bleibe ich nie lange an einem Ort. Vielleicht sollte ich für eine Weile nach Spanien zurückkehren, damit ich meine Mutter öfter besuchen kann, auch wenn sie mich nicht mehr erkennt. Meine jüngste Schwester hat ihr Medizinstudium in Neuseeland fast abgeschlossen, ich könnte auch für ein Jahr oder so dorthin gehen. Gern würde ich in die USA zurückkehren, wo ich meine Unfallchirurgie-Ausbildung gemacht habe, und weiterstudieren. Das ist dort ein eigenständiges Fachgebiet und wird immer wichtiger.“

Es klang, als könne er es kaum erwarten, wegzugehen. Als wären die Möglichkeiten für seine Zukunft grenzenlos und aufregend. Nikita hatte vergessen, wie es war, sich so zu fühlen.

Pedro lächelte. „Siehst du? Ich bleibe sowieso nicht für ewig, also sollte die Tatsache, dass ich zurzeit deine Stelle habe, deine Entscheidung in keiner Weise beeinflussen. Bitte, warte noch ein bisschen, bevor du deine Karriere endgültig an den Nagel hängst. Ich lasse die Papiere hier. Und … meine Telefonnummer. Die Unterlagen kann ich jederzeit abholen.“

Er griff in seine Lederjacke, holte einen Stift heraus und kritzelte seine Nummer auf die Vorderseite der Mappe.

„Du hattest ja doch einen Stift dabei“, rief Nikita.

„Hatte ich vergessen.“

Nikita wusste, dass er log, denn er wich ihrem Blick aus. Er war nicht nur gekommen, um nach ihr zu sehen oder die Papiere zu bringen. Er hatte die ganze Zeit vorgehabt, ihr die Kündigung auszureden.

„Ich bin bis Neujahr angestellt.“ Pedro steckte den Stift wieder ein und zog seine Jacke an. „Das ist doch nicht zu viel Zeit zum Überlegen, oder?“

„Wohl nicht …“

„Kann ich noch eine Tüte Erbsen oder etwas Eis für deinen Knöchel holen, bevor ich gehe?“

„Danke, nicht nötig, das mache ich schon.“

„Du solltest dich ausruhen.“

„Ich passe auf, dass ich ihn nicht zu stark belaste. Mit dem Verband fühlt er sich schon viel besser an.“ Nikita stand vorsichtig auf. „Siehst du? Ich glaube, du hast ihn geheilt.“

Pedro lächelte und wandte sich ab, um seinen Verbandskasten zu nehmen. Als er zur Haustür ging, folgte Nikita ihm.

„Danke“, sagte sie.

„Du brauchst mir nicht zu danken. Es war schließlich meine Schuld, dass du dich verletzt hast.“

„Dafür habe ich dir nicht gedankt. Du hast mir viel zum Nachdenken gegeben.“

Wieder warf er ihr diesen Blick zu. Diesen Blick, der all die schützenden und heilenden Mauern zu durchdringen schien, die Nikita im letzten Jahr so sorgfältig aufgebaut hatte.

Hielt er sie wirklich noch für die Frau, die sie einmal gewesen war? Konnte er ihr deshalb Dinge sagen, die ihr mehr Hoffnung schenkten als Hunderte Therapiestunden? Warum konnte er sie berühren, ohne dass sie die Flucht ergreifen musste?