Julia Extra Band 546 - Cathy Williams - E-Book

Julia Extra Band 546 E-Book

Cathy Williams

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Beschreibung

BOSS BEI TAG, LOVER BEI NACHT? von CATHY WILLIAMS Seine sonst so spröde Assistentin in dieser verruchten Bar? Milliardär Nico Doukas ist überrascht, Grace hier zu treffen. War sie schon immer so sexy? Nicht ohne Hintergedanken überredet er sie zu einer Geschäftsreise in die Karibik und muss feststellen: Eine Woche mit Grace ist nicht annähernd genug … VERBOTENE SEHNSUCHT NACH DEM SEXY TYCOON von MICHELLE DOUGLAS Was für eine Nacht! Als Kit am Morgen danach ihr Büro betritt, klopft ihr Herz wie verrückt. Gleich wird sie ihren Boss – und Lover! – Alex Hallam wiedersehen. Doch der Immobilientycoon reagiert eiskalt. Gekränkt kündigt Kit – und erfährt bald darauf, dass ihre heißen Stunden süße Folgen hatten … WIE ANGELT MAN SICH EINEN ITALIENISCHEN MILLIARDÄR? von CAITLIN CREWS Annie will nur eins: die Schulden ihrer Schwester zahlen. Nur wie? Erst die Begegnung mit dem heißblütigen Tiziano Accardi bietet ihr die Chance, alle finanziellen Sorgen loszuwerden … wenn sie zustimmt, ihren Job als Sekretärin gegen den seiner Geliebten zu tauschen … EINGESCHNEIT MIT DEM CEO von MARCELLA BELL Ein Arbeitstreffen an den Feiertagen? Eventmanagerin Miriam will nicht länger als nötig in dem einsamen Chalet von ihrem Boss Benjamin Silver bleiben. Doch dann verhindert ein Blizzard ihre Abreise. Draußen fällt Schnee ohne Ende – und auch drinnen scheint die Leidenschaft keine Grenzen zu kennen …

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Cathy Williams, Michelle Douglas, Caitlin Crews, Marcella Bell

JULIA EXTRA BAND 546

IMPRESSUM

JULIA EXTRA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA EXTRA, Band 546

© 2022 by Cathy Williams Originaltitel: „A Week with the Forbidden Greek“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anja Görgens

© 2011 by Michelle Douglas Originaltitel: „The Secretary’s Secret“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Marina Michaelsen

© 2022 by Caitlin Crews Originaltitel: „The Christmas He Claimed the Secretary“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Rita Koppers

© 2022 by Marcella Bell Originaltitel: „Snowbound in Her Boss’s Bed“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Nora Teludes

Abbildungen: Harlequin Books S. A., NAPA74 / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751525589

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Boss bei Tag, Lover bei Nacht?

1. KAPITEL

Nico sah sie lange, bevor sie ihn entdeckte. Da er jedoch nicht damit gerechnet hatte, seine etwas spröde und äußerst reservierte Assistentin in einer Bar anzutreffen, brauchte er einen Moment, um die Überraschung zu verarbeiten.

Grace? Seine effiziente, zuverlässige und furchtbar selbstbeherrschte persönliche Assistentin? Hier, in diesem verrauchten, schummrigen Jazzclub in Mayfair? Das konnte nicht sein!

Nico stand in einem der drei Gewölbedurchgänge, die in einen Raum führten, dessen Herzstücke eine blank polierte Bar und eine kleine Bühne bildeten. Er straffte die Schultern und kniff die Augen zusammen.

Bei ihm eingehakt hatte sich seine augenblickliche Begleiterin, die erwartungsvoll zu ihm aufsah.

Eigentlich sollte er in New York sein, aber sein dortiger wichtigster Gesprächspartner hatte den Termin abgesagt, weil seine Frau überraschend ins Krankenhaus musste, und ohne diesen Mann war die gesamte Geschäftsreise sinnlos.

Hier war er also, mit einer Frau, mit der er sich in letzter Minute verabredet hatte, nachdem sie ihn seit ihrer ersten Begegnung bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung vor zwei Monaten mit Textnachrichten überschüttete.

Im Moment jedoch verschwendete Nico keinen Gedanken an die Blondine an seiner Seite. Stattdessen war seine Aufmerksamkeit mit einer Intensität auf seine Assistentin gerichtet, die ihn überraschte.

Die sinnlichen Jazzklänge aus den Boxen nahm er kaum noch wahr, genau wie die Kellner, die Speisen und Getränke servierten.

Das leise Gurren der Frau an seinem Arm war ihm plötzlich lästig.

Grace Brown, seine Grace Brown, trug normalerweise knielange Röcke in unauffälligen Grau- und Beigetönen. Und immer, wirklich immer, hatte sie ihr Haar zu einem strengen Knoten zusammengefasst.

Ihre Schuhe waren immer vernünftig: praktisch mit gerade einmal der Andeutung von Absätzen. Und natürlich trug sie niemals Make-up.

Sie hatte ihn schon zu der einen oder anderen Konferenz begleitet, aber ihre strenge Kleidung war stets dieselbe gewesen.

Selbst an ihrem dreißigsten Geburtstag vor knapp einem Jahr, an dem er eine Überraschungsparty für sie in einem erstklassigen Restaurant in der Nähe seines Bürogebäudes organisiert hatte, war sie ihrer Standardgarderobe mit knielangem Rock, beigefarbenem Oberteil und Strickjacke treu geblieben.

Wer zum Teufel also war die Frau, die da hinten an einem kleinen Tisch saß und die Hand nach einem Glas Wein ausstreckte?

Selbst in der diskreten Beleuchtung der Bar war nicht zu übersehen, dass sie tatsächlich ein Kleid trug. Eines mit schmalen Trägern, das ihre schmalen Schultern zeigte. Das volle kastanienbraune Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Es betonte ihre hohen Wangenknochen und ließ ihre Züge weicher als sonst erscheinen. Er konnte nur ihre obere Körperpartie sehen, dennoch ließ Nico den Blick tiefer gleiten, um ihre schlanken Formen unter dem geblümten Sommerkleid auszumachen.

Er war so angetan von ihrem Anblick und zu einem gewissen Grad sogar geschockt davon, sie in einer derart ungewohnten Umgebung zu sehen, dass er einige Zeit brauchte, um zu registrieren, dass etwas nicht stimmte.

Sie war mit einem Mann hier.

Dieser hatte einen zurückweichenden Haaransatz, eine Hand an einem Whiskyglas, während er mit der anderen versuchte, Grace zu berühren, obwohl sie vor ihm zurückwich und sich nervös das Haar hinters Ohr schob.

Barbesucher, die an Nico vorbeigingen, erschwerten ihm die Sicht, doch ihm lief ein Schauder über den Rücken, denn er kannte Grace fast besser als sich selbst.

Sie mochte ihr prachtvolles Haar offen tragen und ein Kleid, das seiner Fantasie Flügel verlieh, aber sie war noch immer seine Grace Brown, und ihm entging weder das leichte Zittern ihrer Hand, mit der sie das Weinglas hielt, noch, wie sie sich nervös die Lippen befeuchtete, während sie versuchte, von dem Mann abzurücken.

Alles an ihrer Haltung strahlte Unbehagen aus, und plötzlich spürte Nico, dass er in einen geradezu primitiven Beschützermodus wechselte, von dem er nie geglaubt hatte, ihn zu haben.

„Ich muss los.“ Er wandte sich seiner Begleiterin zu und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Er hielt es kaum aus, sie anzusehen und nicht die Szene weiterzuverfolgen, die sich dort hinten am Tisch abspielte.

„Wie bitte?“

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“ Es war schließlich nicht ihre Schuld. Das einzuräumen, war er Gentleman genug, genau wie er so ehrlich war, zuzugeben, dass er ihr letztendlich einen Gefallen tat.

Denn egal wie verführerisch ihre Kurven auch waren, zusammen im Bett würden sie nicht landen. Der Abend hätte für sie ohnehin mit Enttäuschung geendet und mit Erleichterung für ihn, wenn sich ihre Wege denn getrennt hätten.

„Wieso musst du los? Wir sind doch gerade erst angekommen!“

„Ich weiß. Ich werde meinen Fahrer bitten, dich nach Hause zu bringen.“

„Sieh mich doch mal an! Ich habe mich für diesen Abend extra chic gemacht.“

„Und du siehst fantastisch aus.“

„Es macht mir nichts aus, auf dich zu warten. Ich … ich setze mich an die Bar und warte, bis du erledigt hast, was auch immer du tun musst.“

„Es wäre besser, wenn du nach Hause fährst.“

„Kommst du später noch zu mir?“

„Wenn ich höflich sein wollte, würde ich vielleicht sagen. Wollte ich ehrlich sein, wäre es ein Nein. Und ich bin ein ehrlicher Mensch.“

„Aber …“

„Ich muss jetzt los, Clarissa.“ Nico hielt bereits sein Telefon in der Hand und schrieb seinem Fahrer eine Nachricht, dass er bitte zur Bar zurückkommen möge, um Clarissa abzuholen. „Er wird in zehn Minuten hier sein und wartet dann draußen auf dich.“

„Vielen Dank für nichts, Nico.“

Er verzichtete auf eine weitere Entschuldigung. Clarissa würde wegen eines geplatzten Dates ohnehin keine schlaflosen Nächte haben. Sie würde davonstolzieren und vermutlich eine Freundin anrufen, um über Nico herzuziehen.

Außerdem nahm ihn sein Bauchgefühl, was Grace und ihren Begleiter anging, mittlerweile so sehr in Anspruch, dass er Clarissa nicht einmal hinterhersah, sondern sich direkt in den dämmrigen Raum und in Richtung Graces Tisch aufmachte.

Grace ahnte nicht, dass ihr Chef sich ebenfalls in der Jazzbar befand, und noch weniger war ihr bewusst, dass er sie beobachtete. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, wie sie den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte. Wie hatte dieser Abend nur so schiefgehen können?

Dabei hatte sein Profil so vielversprechend ausgesehen!

Viktor Blake: vierunddreißig Jahre alt

Beruf: Anwalt

Hobbys: Theater, ausländische Filme, Lesen

Einen Meter neunzig groß, mit vollem Haar und Lachfältchen in dem fröhlichen Gesicht – jedenfalls auf dem Foto, das ihn vor einem Segelboot stehend zeigte und aus dem sie geschlossen hatte, er würde das Meer lieben.

Grace hatte äußerste Vorsicht walten lassen. Ein dreiwöchiger E-Mail-Austausch und mehrere Telefonate waren seinem Vorschlag, sich hier zum Abendessen zu treffen, vorausgegangen. Grace war beeindruckt gewesen. Sie war noch nie hier gewesen, hatte aber schon mehrmals einen Tisch für ihren Chef in dieser angesagten Bar reservieren lassen. Chez Giscard … ein superteurer Jazzclub im Herzen von Mayfair. Sie war begeistert gewesen.

Das erste Date seit einer Ewigkeit mit jemandem, mit dem sie so viel gemeinsam hatte. Wie schlimm konnte das schon werden? Sie liebte das Theater, auch wenn sie sich nicht erinnern konnte, wann sie das letzte Mal eine Vorstellung gesehen hatte. Sie mochte ausländische Filme, und Bücher verschlang sie geradezu.

Wie kam es dann, dass sie hier saß, an ihrem Weinglas herumspielte und sich zunehmend unbehaglich fühlte, während ihr Date sich einen Drink nach dem anderen gönnte und ihr immer näher zu rücken versuchte?

Es war Graces erster Versuch, einen Mann übers Internet kennenzulernen. Das war nie ihre Welt gewesen, bis sie vor sechs Monaten in den Spiegel geschaut und eine Frau in den Dreißigern ihr entgegengeblickt hatte, die keinerlei Erfahrung mit dem anderen Geschlecht hatte. Eine Frau, die ihr Leben damit verbracht hatte, mit der Verantwortung fertig zu werden, die ihr auf die Schultern geladen worden war, und der kaum bewusst gewesen war, welche Konsequenzen das für sie hatte.

Eine Frau, die mit Stolz auf eine Jugend zurückblicken konnte, die sie damit zugebracht hatte, sich erst um ihre Mutter und später um ihren Bruder zu kümmern.

Wie immer eine fehlgeleitete Jugendzeit auch aussehen mochte, sie hatte das Gegenteil davon gelebt. Und als wäre das nicht genug, hatte sie auch noch Jahre – viereinhalb, um genau zu sein – damit zugebracht, heimlich für ihren Chef zu schwärmen.

Sie hatte sich versteckt. Draußen passierte das Leben, doch sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und sich stattdessen für die ungefährlichere Option entschieden, denn diese Schwärmerei war risikolos, weil sie nie zu etwas Realem führen würde.

Das Problem war nur, dass die Uhr immer schneller tickte. Grace hatte ihr erstes graues Haar entdeckt und voller Schreck festgestellt, dass sie, wenn sie nicht aufpasste, in zehn Jahren in denselben Spiegel blicken würde, mit dem Unterschied, dass ein graues Haar nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein würde.

Also saß sie jetzt hier in dem Versuch, ihr Leben zu ändern.

Als ihr Date ihr eine klebrig-feuchte Hand auf den Oberschenkel legen wollte, versuchte sie angewidert, sich der Berührung zu entziehen.

Der Gesprächsstoff war ihnen ausgegangen, und Grace wusste beim besten Willen nicht, was sie noch hätte sagen sollen. Als Viktor sich zu ihr vorbeugte und fragte, wohin sie als Nächstes gehen sollten, sah sie ihn alarmiert an. Sie wusste genau, worauf diese Frage abzielte.

Nicht dass er eine Bedrohung darstellte. Nüchtern war er vermutlich ein netter Kerl. Aber mit ihm noch irgendwo hinzugehen, kam nicht infrage. Sie schob seine Hand von ihrem Bein und bereitete im Stillen eine kleine Abschiedsrede vor, in der sie sich bei ihm bedanken und behaupten würde, sie müsse noch mit dem Hund raus, als sie hinter sich eine Stimme hörte.

Es war eine dunkle, wohlbekannte Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.

Sie gefror. Langsam drehte sie sich um, und da stand er in all seiner Pracht.

Nico Doukas.

Viereinhalb vergeudete Jahre, und er hatte noch immer dieselbe Wirkung auf sie. Der über einsneunzig große, muskelbepackte, sexy Alphamann. Den dunklen, bronzefarbenen Hautton verdankte er seiner griechischen Herkunft. Sein pechschwarzes Haar lockte sich im Nacken, und er besaß die klassischen Gesichtszüge einer kunstvollen Statue, der Leben eingehaucht worden war.

Er trug eine dunkle Hose, die seine langen, athletischen Beine betonte, und ein weißes Hemd, dessen Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt waren.

Der gut besuchte Raum, die Jazzmusik und der Gesprächspegel der übrigen Gäste verschwammen zu einem einzigen Rauschen, während Grace ihn überrascht ansah.

Sie war sich Viktors Anwesenheit kaum mehr bewusst, bis er ihr eine Hand auf den Arm legte und sie ihn mit der bemühten Deutlichkeit eines Betrunkenen fragen hörte: „Freund von dir, Grace?“

Bevor sie antworten konnte, hatte Nico bereits einen Stuhl an den Tisch gezogen, ihn verkehrt herum gestellt und es sich mit den Armen auf der Lehne bequem gemacht. Er hatte etwas Feindseliges an sich.

Er sah ihren Begleiter an. „Oh ja“, erklärte er übertrieben liebenswürdig, „Grace und ich sind sehr enge Freunde.“

„Nico …“

Grace war so durcheinander, dass sie mehr nicht hervorbrachte.

Was um Himmels willen machte Nico hier? Sollte er nicht eigentlich auf der anderen Seite des Atlantiks in New York sein? Hatte sie nicht erst letzte Woche auf seinen Wunsch hin seinen Flug gebucht und das Fünfsternehotel?

Neugierig sah er Viktor mit einer Art Anmaßung an, die beinahe wie eine Bedrohung wirkte.

Normalerweise hätte ein solches Auftreten sie wütend gemacht, doch jetzt war sie einfach erleichtert. Zwar kam sie mit den meisten Situationen sehr gut allein zurecht, aber der Gedanke daran, mit einem betrunkenen Date fertig werden zu müssen, hatte ihr Angst gemacht.

„Das ist Viktor“, erklärte sie. Nico hatte den Blick nicht von dem Mann neben ihr genommen, der angesichts eines stärkeren und eindeutig nüchternen Gegenübers in Schweigen verfallen war.

„Viktor …“

„Nico, was tust du hier?“

„Dasselbe wie du.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Mich amüsieren. Obwohl, als ich dich beobachtet habe, hatte ich nicht den Eindruck, als hättest du Spaß. Oder irre ich mich? Störe ich euch? Dann gehe ich sofort.“

Nico hatte gesehen, wie der Mann mit seinem Stuhl näher an Grace herangerückt war und seine Hände nicht hatte bei sich behalten können. Und er hatte gesehen, wie sie ihn höflich abzuwehren versucht hatte. Abscheu war in ihm aufgestiegen.

Die Heftigkeit seiner Reaktion hatte ihn erschreckt. Seit wann war es ihm ein Anliegen, unbescholtene Frauen in Not zu retten?

Er war dreiundzwanzig gewesen, als er so etwas das letzte Mal getan hatte – wenn man denn eine Frau neben einer alten Rostlaube mit einem platten Reifen als solche in Not bezeichnen konnte. Sie war vielmehr ein süßes kleines Ding gewesen, das genau gewusst hatte, wo es sein altes Auto abstellen musste, und das einfach gewartet hatte, bis er vorbeigekommen war. Und dieses süße kleine Ding hatte es geschafft, ihm das Herz zu stehlen. Das hatte er jedenfalls gedacht, bis er erkannte, dass es eigentlich sein Geld war, hinter dem sie her war. Als er zehn Monate nach ihrem Kennenlernen versuchte, die Beziehung zu beenden, zeigte sie ihr wahres Gesicht und ging zu einem Anwalt. Auf der frei erfundenen Grundlage irgendwelcher angeblicher falscher Versprechungen hatte sie bis zuletzt versucht, etwas für sich herauszuschlagen.

Seit dieser Episode wusste Nico, wie wichtig Selbstkontrolle war. Umso mehr verwirrte ihn seine heftige Reaktion von dem Moment an, als er Grace hier entdeckt hatte.

„Und? Keine Antwort?“ Nico schenkte Viktor, der Grace vorwurfsvoll anblickte, ein wölfisches Lächeln.

Sie wusste genau, was in ihrem Date vorging, und es widerte sie an. Viktor hatte darauf bestanden, die beiden Gläser Wein, die sie getrunken hatte, zu bezahlen, genau wie die Tapas, die sie sich geteilt hatten. Glaubte er etwa, das gäbe ihm das Recht auf mehr als ein gemeinsames Abendessen?

„Denken Sie nicht einmal daran, länger zu bleiben, als Sie willkommen sind“, sagte Nico mit gefährlich leiser Stimme. „Wäre ich Sie, würde ich mich wie ein Gentleman verhalten. Ich würde der Dame für einen wunderbaren Abend danken, ihr das Beste für die Zukunft wünschen und mich verziehen.“

„Nico …“ Grace fühlte sich gedemütigt, als Viktor, einen Abschiedsgruß murmelnd, unsicheren Ganges den Tisch verließ. Selbstmitleid überkam sie. Gerettet vom eigenen Chef! Dem Chef, der überhaupt erst der Grund dafür war, dass sie jetzt hier war und versucht hatte, das zu tun, was Frauen in ihrem Alter eben taten: ausgehen … Männer kennenlernen … jemanden daten und Spaß haben.

Stattdessen hatte Nico sie entdeckt und beschlossen, den Ritter auf dem weißen Pferd zu spielen.

Wie zum Himmel hatte es so weit kommen können?

Doch das wusste Grace natürlich, und während sie Tränen des Selbstmitleids zurückdrängte, rekapitulierte sie die Umstände, die den Verlauf ihres Lebens bestimmt hatten.

Sie dachte an ihre Mum, die mittlerweile am anderen Ende der Welt lebte. Lag es nicht irgendwie an ihr, dass Grace sich jetzt in diesem Jazzclub befand? Dass sie nicht wusste, wohin sie schauen sollte, und Nico dafür hasste, dass er geglaubt hatte, sie bedürfe seiner Rettung und ihn gleichzeitig ungewollt dafür bewunderte, wie er die Situation gelöst hatte?

Cecily Brown, ihre Mutter und mit neunundvierzig Jahren noch recht jung, lebte in Australien, wo sie mit Ehemann Nummer drei verheiratet war. Cecily war nicht ihr richtiger Name. Eigentlich hieß sie Ann, aber, wie sie Grace einmal erklärt hatte, wie konnte eine Ann etwas anderes als langweilig sein? Und langweilig war Cecily ganz bestimmt nicht. Sie war ein abenteuerlustiger Wirbelwind, eine hinreißende, gesellige rothaarige Schönheit, die ihren ersten Mann nach dreijähriger Ehe hinausgeworfen hatte. Allerdings hatte sie sich noch häufig genug mit ihm getroffen, um nach vier Jahren ein zweites Mal schwanger von ihm zu werden, bevor sie sich endgültig von ihm scheiden ließ.

Irgendwann hatte sie wieder geheiratet, und diese Ehe hatte nicht einmal ein Jahr gehalten.

„Wir alle machen mal einen Fehler“, waren die lapidaren Worte gewesen, mit denen sie diese zweite Ehe beschönigt hatte. Glücklicherweise hatte die zweite Scheidung sie reicher gemacht als die erste, und so hatte sie ihren langweiligen Bürojob an den Nagel gehängt und war dem Ruf der Bühne gefolgt.

Und das mit großer Begeisterung. Jung, lebenslustig und völlig unbelastet von gesundem Menschenverstand hatte sie das Leben genossen wie eine Frau ohne jede Verpflichtung.

Mutter zu sein hatte für Cecily bedeutet, in der Küche kleine Vorstellungen zu geben. Zum Frühstück wurde Pizza aufgetragen, abends gab es Kuchen. Und immer wieder hatten Freunde dafür sorgen müssen, dass Grace und ihr fünf Jahre jüngerer Bruder überhaupt etwas zu essen hatten.

Cecily hatte häufig erklärt, ohne Mann viel besser dran zu sein, um dann komplett zusammenzubrechen, wenn sie einmal zufällig keinen Freund hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie tagelang bei zugezogenen Vorhängen im Bett liegen geblieben war, während Grace sich um den Haushalt gekümmert hatte, bis Cecily dann plötzlich wieder voller Optimismus aufgetaucht war und so getan hatte, als wäre nichts passiert.

Damals hatte Grace beschlossen, alles im Leben anders zu machen als ihre Mutter. Sie war früh selbstständig geworden und sehr viel vorsichtiger als die meisten ihrer Altersgenossinnen.

Schon als Kind hatte sie begriffen, dass man mit Cecily als Mutter zwar großen Spaß haben konnte, Spaß zu haben allein aber nicht eben eine gute Voraussetzung dafür war, Kinder großzuziehen.

Mutterschaft bedeutete Verantwortung, und die hatte Cecily äußert geschickt an andere delegiert. In erster Linie an Grace, die nie darüber geklagt hatte, was für eine große Last ihr bereits in jungen Jahren aufgebürdet wurde.

Die Konsequenz daraus war allerdings, dass sie niemals ein Risiko einging. Und Nico mit seinen häufig wechselnden Liebschaften verkörperte genau den Typ Mensch, dem es nur um Spaß ging. Ihre Schwärmerei für ihn war also in höchstem Maße lästig, weil er der letzte Mann auf Erden war, zu dem sie sich hingezogen fühlen sollte, mal ganz abgesehen von der winzigen Tatsache, dass er ihr Chef war und ihr Gehalt bezahlte.

Ihre Mutter hatte die Bestätigung durch gut aussehende Männer gebraucht, sie aber nicht.

Nico legte den Kopf schief und sah sie nachdenklich mit seinen dunklen Augen an. Sie konnte ihm ansehen, dass ihm Fragen durch den Kopf gingen, die sie zu beantworten nicht vorhatte.

„Was machst du überhaupt hier? Solltest du nicht in New York sein?“

„Mein wichtigster Gesprächspartner hat den Termin abgesagt, weil seine Frau ins Krankenhaus musste. Also bin ich gar nicht erst geflogen und hierhergekommen.“

„Allein?“

Zu ihrer großen Freude schien er sich unbehaglich zu fühlen, was bei Nico Doukas höchst selten vorkam.

„Genau genommen hatte ich eine Begleiterin.“

„Und wo ist sie?“ Grace sah sich übertrieben gründlich in der Bar um, was ihr die Gelegenheit gab, ihre Gedanken zu sortieren und zu versuchen, mit dieser unwirklichen Situation fertig zu werden.

Wie viel Mühe hatte sie darauf verwendet, ganz klare Trennlinien zwischen ihnen beiden zu ziehen! Viereinhalb Jahre lang hatte sie versucht, einen klaren Kopf zu wahren, wann immer Nico in ihrer Nähe war.

Das war überlebenswichtig, denn Nico wusste, wie man einer Frau das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Und das, ohne sich dessen bewusst zu sein. Auf ihrer Schreibtischkante sitzend konnte er sich mit ihr über Tabellenkalkulationen und Bürobedarf unterhalten und ihr dabei das Gefühl geben, jedes ihrer Worte wäre eine Offenbarung.

Der Himmel allein mochte wissen, wie er sich im Beisein einer Frau verhielt, die er tatsächlich beeindrucken wollte.

Und weil sie in ihren Chef leicht verliebt war, war es umso wichtiger gewesen, Schutzwälle zu errichten, hinter denen sie sich verstecken konnte. Es wäre mehr als ärgerlich, wenn diese Wälle wegen einer Laune des Schicksals zu bröckeln begännen.

„Ich fand es nicht besonders sinnvoll, dass sie hierbleibt, während ich … zu dir an den Tisch gehe …“

„Du hättest dir deinen Abend nicht ruinieren müssen, um zu meiner Rettung zu eilen.“ Grace richtete sich auf ihrem Stuhl auf, doch noch während sie versuchte, ihre kühle, geschäftsmäßige Haltung zurückzugewinnen, wurde sie sich ihres leichten Sommerkleids bewusst.

Draußen war es warm. Es war ein perfekter Augustabend, und sie hatte ihr Outfit so ausgewählt, dass sie damit Eindruck auf einen Mann machen konnte. Mit einer Körpergröße von ein Meter neunundsiebzig und einer schlanken Figur hatte sie zwar keine besonders ausgeprägten Kurven vorzuweisen, sie konnte aber mehr oder weniger alles tragen, und für diesen Abend hatte sie sich besonders große Mühe gegeben.

„Es hat ausgesehen, als ob …“ Nico schüttelte den Kopf, und plötzlich sah er viel jünger aus, als er es mit seinen fünfunddreißig Jahren war. „Es sah aus, als hättest du dich bei dem Mann unwohl gefühlt. Man konnte ja schon von Weitem sehen, dass er zu viel getrunken hat …“

„Und du hast gedacht, ich würde mit der Situation allein nicht fertig werden?“ Dabei löste der Gedanke, dass er sein Date im Stich gelassen hatte, um ihr zu helfen, Dutzende unerbetene Gefühle in ihr aus.

Sie spürte, wie ihre Brustspitzen hart wurden und Hitze sich in ihrem Schoß ausbreitete.

Und so klang sie schärfer als beabsichtigt, als sie weitersprach: „Nico, ich kann auf mich selbst aufpassen.“

„Das weiß ich, aber …“

„Aber was?“ Sie schnalzte mit der Zunge und bemühte sich verzweifelt, sich wieder in die effiziente Angestellte zu verwandeln, die stets die Contenance wahrte und mit jeder Situation fertig wurde. „Ich komme immer zurecht … mit allem. Das solltest du wissen! Wie oft hast du mir schon die unmöglichsten Aufgaben gegeben, nur um dann festzustellen, dass ich sie in Rekordzeit meistere? Das hast du doch selber schon öfter gesagt. Ich bin auf niemandes Mitleid angewiesen und schon gar nicht darauf, dass du deine Pläne für diesen Abend änderst, um mich vor meinem Date zu retten.“

„Habe ich irgendetwas von Mitleid gesagt?“ Nico fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Genau genommen war er an Graces Tisch geeilt, ohne nachzudenken.

Sie arbeitete jetzt seit über vier Jahren für ihn. Er sah sie öfter als die meisten Männer ihre Ehefrauen, und doch hatte ihr Anblick in diesem heißen, stimmungsvollen Jazzclub und in diesem leichten Sommerkleid etwas in ihm ausgelöst, das er immer noch nicht richtig benennen konnte.

Und als er dann auch noch erkannt hatte, dass der Mann, mit dem sie hier war, ein Widerling war, hatte es kein Halten gegeben. Er hatte sein Date ohne einen Blick zurück weggeschickt und war zu Grace geeilt, genau wie der Retter, um den sie nicht gebeten hatte und den sie nicht wollte.

Wie sie ihm gerade sehr unmissverständlich erklärt hatte.

Nico weigerte sich, zu hinterfragen, warum es ihm so wichtig gewesen war, zu Graces Tisch zu gehen. Wie er auch nicht wissen wollte, woher der Schock rührte, sie so zu sehen, noch immer kühl und distanziert, jedoch mit einer erotischen Ausstrahlung, die er vorher nicht an ihr bemerkt hatte.

Oder doch?

Eilig verdränge er diesen Gedanken. Außerdem hatte er nicht vor, dafür um Entschuldigung zu bitten, sich wie ein Gentleman verhalten zu haben.

„Und ja“, fuhr er mit rauer Stimme fort, „am Arbeitsplatz wirst du tatsächlich mit allem fertig, was ich dir vorlege, aber hier sind wir nicht im Büro. Also entschuldige bitte, dass ich irrtümlich geglaubt habe, du würdest dich bei diesem Mann etwas unwohl fühlen. Und, nur ganz nebenbei, war es so? Denn allzu traurig hast du nicht gewirkt, als ich ihn weggeekelt habe.“

Grace seufzte.

Für diesen Tag hatte Nico seine gute Tat begangen. Was konnte er dafür, dass sie am liebsten im Boden versinken würde, weil ihr sexy Boss der letzte Mensch auf Erden sein sollte, der sie als bemitleidenswert betrachten sollte?

Sie war fast einunddreißig Jahre alt, und Nico kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sich hinter ihrem professionellen Auftreten eine Frau verbarg, die nicht besonders weltgewandt war. Sie war nicht wie die Frauen, mit denen er sich traf.

Vor Frustration hätte sie am liebsten mit den Zähnen geknirscht, aber was würde das helfen? Je mehr sie sich über seine Ritterlichkeit aufregte, desto mehr würde er sich über ihre Überreaktion wundern.

Nico war neugierig, was sie anging, und das konnte sie ihm kaum verdenken. Sie hatte einen solchen Aufwand betrieben, um privat nichts über sich preiszugeben, dass eine Situation wie diese sein Interesse natürlich wecken musste.

„Viktor war in der Tat ein bisschen lästig“, räumte sie also ein. „Wir haben uns heute das erste Mal getroffen, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so viel trinken würde …“

Sie spielte mit ihrem Weinglas und mied Nicos forschenden Blick.

„Manche Leute vertragen eben keinen Alkohol. Ein Drink zu viel, und sie werden unangenehm. Hat er noch etwas anderes getan, als dir ein ungutes Gefühl zu vermitteln? Hat er versucht … dich anzufassen?“

„Nein!“ Grace musste lachen. „Wieso? Würdest du dann hinter ihm herrennen und ihn in meinem Namen verprügeln?“

„Allerdings.“

„Jetzt mach keine Witze, Nico.“ Ihre Blicke begegneten sich, und ein kurzes, atemloses Schweigen breitete sich aus. Ihr Puls jagte in die Höhe, und jeder klare Gedanke verschwand, als sie die brennende Intensität in seinen dunklen Augen wahrnahm.

„Über manche Dinge mache ich keine Witze.“

„Er hat mich nicht angefasst. Er war einfach langweilig und lästig, mehr nicht.“ Nico sah sie noch immer auf eine Weise an, die ihre Haut zum Kribbeln brachte, und so sprach Grace rasch weiter, was sonst überhaupt nicht ihre Art war. Sie erzählte ihm, dass sie Viktor im Internet kennengelernt habe, und verlor sich in einem sinnlosen Monolog über Dating-Apps, wobei sie mit jeder Sekunde noch roter und nervöser wurde. Irgendwann verfiel sie gedemütigt in verlegenes Schweigen.

„Das Internet kann ziemlich gefährlich sein, besonders für eine schöne Frau.“

Grace sah ihn mit großen Augen an, und sie fragte sich, ob sie sich das Gehörte nur eingebildet hatte. Vielleicht halluzinierte sie ja, oder sie machte gerade so etwas wie eine außerkörperliche Erfahrung.

Doch dann legte er eine Hand auf ihre, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Ließ sie einfach dort liegen und streichelte sie sanft …

Seine Berührung versetzte sie in Flammen, die an all den Schutzmauern rüttelten, die sie im Lauf der Jahre errichtet hatte. Ihr Herz schlug so schnell, dass ihr schwindelig wurde. Sie begann zu zittern, während ihre Atmung sich unter seiner beiläufigen Berührung verlangsamte.

Es machte ihr Angst. Hastig entzog sie Nico ihre Hand und rieb sie. Grace wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Ich … Ich denke, ich sollte jetzt nach Hause fahren“, brachte sie schließlich hervor. Nico lehnte sich bequem auf seinem Stuhl zurück.

„Mein Chauffeur kann dich fahren.“

„Nein! Nein … ich … ich … ich nehme den Bus.“

Während er wie üblich lässig geklungen hatte, musste Grace sich vor dem Sprechen räuspern, um überhaupt einen Ton hervorzubringen. „Montag“, stieß sie hervor, dann stand sie auf und schnappte sich ihre Handtasche. Plötzlich wollte sie nur noch weg von hier.

„Ich werde die Berichte für dich gleich morgens fertig haben. Außerdem habe ich … habe ich das neue Sicherheitssystem auf Viren geprüft, wenn ich sensible Daten hochlade.“

„Grace“, sagte Nico sanft, „es tut mir leid, dass der Abend sich nicht so entwickelt hat, wie du es dir gewünscht hast. Geh nach Hause, schlaf dich aus und wage es nicht einmal, an die Arbeit zu denken. Nichts ist so wichtig, dass du dich am Wochenende in deinen Büro-Computer einloggen musst.“

Er schlug sich auf die Oberschenkel und erhob sich ebenfalls. Er überragte sie um einiges und sandte Hitzewellen aus, die ihr den Atem raubten.

„Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, beziehungsweise das, was davon noch übrig ist …“ Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Nur noch ein guter Rat: Sei vorsichtig mit diesen Dating-Seiten. Man weiß nie, was oder wer dort auf einen lauert.“

„Vielen Dank, Nico“, erwiderte Grace zuckersüß. „Wenn ich mich das nächste Mal in die große, gefährliche Welt hinauswage, werde ich an deine Worte denken.“

Bevor er etwas entgegnen konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging davon.

2. KAPITEL

Zum ersten Mal, seit sie dort arbeitete, betrat Grace das hohe Bürogebäude aus Stahl und Glas mit einem Gefühl nervöser Aufregung.

Als sie den Club zwei Abende zuvor verlassen hatte, hatte sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch gestanden. Erst im Bus auf dem Weg nach Hause war ihr klar geworden, wie leicht es Nico gefallen war, die Tür aufzustoßen, die sie bisher voneinander getrennt hatte. Und das alles nur wegen einer zufälligen Begegnung.

Sie erinnerte sich an ihre Anfangszeit als seine Assistentin. Daran, wie er sie angesehen hatte, mit diesem durchdringenden Blick aus dunklen Augen, und der sich zu fragen schien, was sich hinter ihrer ruhigen, selbstbeherrschten Fassade verbergen mochte.

Er war der Sohn eines wohlhabenden griechischen Reeders und vermutlich mit jenem Selbstvertrauen aufgewachsen, das mit einem Leben im Reichtum einherging.

Sollte er plötzlich beschließen, sich für ihr Privatleben zu interessieren, hätte Grace ein Problem damit. Sie wollte nicht, dass die Grenzen zwischen ihnen überschritten und ihre Barrieren eingerissen wurden. Dazu sah sie in ihrem Chef viel zu sehr den Mann, dazu noch einen, dessen häufig wechselnde Frauengeschichten sie ablehnenswert fand.

Sicher, er war der klügste Mann, dem sie je begegnet war, und ja, er war ein guter Chef, der seine Angestellten mehr als großzügig entlohnte. Und anders als viele andere Tycoons hielt er sich immer an die Regeln.

Aber Frauen wechselte er wie andere Menschen die Unterwäsche und das ohne jeden Skrupel. Und so wie Grace groß geworden war, hegte sie äußerstes Misstrauen gegen Leute, die von einer Beziehung in die nächste marschierten, ohne über die Folgen ihres Handelns nachzudenken.

Zwischen ihren Ehen war Graces Mutter nur selten ohne Partner gewesen. Auf ihrer ständigen Suche nach Ablenkung war sie weniger als eine Teilzeitmutter gewesen, und das selbst nach Tommys Unfall, zu einer Zeit, als ihr Sohn sie voll und ganz gebraucht hätte. Sie war eine lebenslustige, schöne, eitle und unterhaltsame Frau, hatte aber nie eingesehen, dass es um mehr ging als sie selbst. Nach dem Unfall hatte Tommy im Koma gelegen und war danach lange an einen Rollstuhl gefesselt gewesen. Es war Grace gewesen, die sich damals um ihn gekümmert hatte, und es war eine schmerzliche Erfahrung gewesen.

Sie hatte nie etwas gesagt, wenn Nico sie gebeten hatte, einen teuren Blumenstrauß zu bestellen, der stets das Ende einer Affäre markierte, und sie wenige Tage später am Telefon saß, um Theaterplätze für ihn und seine neuste Eroberung zu reservieren.

Aber sympathisch fand sie seine Haltung, sich wie ein kleiner Junge einem neuen Spielzeug zu widmen, wenn das alte langweilig wurde, nicht. Ihre Mutter hatte sich wenigstens auf einen Mann nach dem anderen eingelassen, weil sie immer auf der Suche nach dem einen richtigen gewesen war. Nico hingegen hatte ständig wechselnde Affären, weil er Spaß haben wollte.

In dem Versuch, sich gegen Nicos Charme zu wappnen, hatte sie sich an diesem Morgen für ein besonders strenges Outfit entschieden. Sie trug einen knielangen grauen Tweedrock, eine weiße Bluse, Strumpfhose und flache Pumps. Die Haare hatte sie streng zurückgebunden, und mit ihrer Laptop-Mappe in der einen und der Handtasche in der anderen Hand fühlte sie sich in etwa so wohl wie eine Lehrerin vor einer aufsässigen Schulklasse.

Natürlich war er vor ihr im Büro, obwohl es noch nicht einmal halb neun war. Sie blieb kurz stehen, um die Handtasche abzulegen, zog den Laptop hervor und klappte ihn auf, noch während sie auf Nicos Büro zuging und kurz an seine Tür klopfte, bevor sie eintrat.

Sie sah ihn nicht an. Sie konnte es einfach nicht.

Und doch schaffte sie es irgendwie, zu registrieren, dass er eine hellgraue Anzughose trug und ein gestreiftes Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte und das am Hals offen stand und gerade so viel von seiner bronzefarbenen Haut preisgab, dass Grace ein heißer Schauer überlief. An eine solche körperliche Reaktion auf Nico war sie jedoch gewöhnt. Genau genommen war sie einer der Gründe dafür, weshalb sie sich auf ein Internet-Date eingelassen hatte, denn sie hatte sich doch irgendwann eingestehen müssen, dass es Zeit war, einzusehen, dass andere Mütter auch Söhne hatten und es nicht nur diesen einen, für sie völlig ungeeigneten Mann gab.

Doch zwischen ihnen hatte sich etwas verändert. Einen kurzen Moment lang war sie nicht seine Assistentin gewesen, sondern eine Frau in einem leichten Sommerkleid, die sich auf ein Date eingelassen hatte.

Automatisch ließ sie sich auf ihrem gewohnten Stuhl vor Nicos Schreibtisch nieder. Sie nahm den Blick nicht von ihrem Laptop. „Ich habe hier den gesamten E-Mail-Verkehr zu den Lieferproblemen in Südamerika. Sobald du Bescheid gibst, kann ich ihn an deine Anwälte weiterleiten. Außerdem wartet Christopher Thomas auf deinen Rückruf wegen der Firmenübernahme. Er sagt, er möchte einen Vertragszusatz über die Weiterbeschäftigung des Personals für einen gewissen Zeitraum. Soll ich einen Termin für eine Telefonkonferenz machen? Ich habe in deinem Terminkalender nachgesehen. Es ginge zwischen zwei und halb vier, aber nur, wenn wir dein Gespräch mit Australien verschieben …“

Erst da wagte sie es, den Kopf zu heben. Ihre Blicke begegneten sich.

„Einatmen, ausatmen …“, sagte Nico leise.

Grace verzog die Lippen. „Ich habe heute sehr viel zu tun, und leider muss ich auch früher gehen …“

„Wie viel früher?“ Nico runzelte die Stirn.

„Um halb vier. Ich habe einen Zahnarzttermin. Es tut mir leid, ich hätte dir heute Morgen eine Textnachricht schreiben sollen, aber sie haben mich eben erst dazwischen schieben können …“

Natürlich hatte sie keinen Termin. Die Nerven gingen einfach mit ihr durch, und das war ärgerlich, weil es vorher noch nie passiert war. Ihre ruhige, berechenbare Welt war aus den Fugen geraten, und den ganzen Tag im Büro und in Nicos Nähe zu sein, machte es nicht eben besser.

„Auf deine Zähne sollten wir unbedingt achtgeben“, murmelte er.

Als er aufstand, spannte er unbewusst die Muskeln an. Er ging zu dem bodentiefen Fenster und sah kurz hinaus, bevor er den Blick auf Grace richtete.

Widerwillig sah sie ihn an. Sie war wild entschlossen, den Abend im Jazzclub hinter sich zu lassen, doch an dem Funkeln in Nicos Augen erkannte sie, dass das Thema für ihn noch nicht erledigt war.

„Sollen wir uns an die Arbeit machen, Nico?“, schlug sie kühl vor. „Ich kann mir denken, dass du nichts lieber möchtest, als über das, was … passiert ist, zu sprechen, aber mir wäre es lieber, wir ließen es. Es war Pech, dass du gerade aufgetaucht bist, als ich mit … Viktor da war, aber so etwas kommt vor. Am besten lassen wir den ganzen Unsinn hinter uns.“ So. Sie hatte das Thema angepackt und erledigt, und das war besser, als es zu umkreisen und so zu tun, als würde es nicht existieren.

Grace hielt seinem Blick stand, ruhig und kühl wie immer, doch ihr beinahe kindlicher Trotz entging Nico nicht. Sobald sie sein Büro betreten hatte, war ihm aufgefallen, dass sie ihre üblichen Verteidigungsschilde ausgefahren hatte. Draußen kündigte sich ein weiterer heißer Sommertag an, doch Grace hatte sich buchstäblich in Schutzkleidung gehüllt.

Noch vor Kurzem hätte ihn dieser Anblick amüsiert, doch die Dinge zwischen ihnen hatten sich geändert, und es frustrierte ihn, wie entschlossen sie zu sein schien, zum Geschäftlichen zurückzukehren und zu vergessen, was passiert war. Noch mehr frustrierte ihn allerdings, wie wichtig es ihm war, dagegen vorzugehen. Es war, als hätte er einen Fuß in die Tür bekommen und als wollte er sie nun ganz aufstoßen, um herauszufinden, was sich dahinter verbarg.

Aber warum? Seit Jahren hielt er sich erfolgreich davon ab, ihr eine Reaktion auf ihn zu entlocken, denn ohne es zu wollen, war er fasziniert von dieser Frau, die völlig immun gegen ihn zu sein schien. Er hatte sich zurückgenommen und in der Routine eingerichtet, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich als die beste persönliche Assistentin herausstellte, die er je gehabt hatte.

Aber jetzt …

Was war denn so schlimm daran, neugierig zu sein? Immerhin hatte seine Neugier ihn erst dahin gebracht, wo er jetzt war. Sicher, er hatte das Familienimperium geerbt und all die Privilegien und den Reichtum, die damit einhergingen. Er hätte sich damit zufriedengeben und die Reeder-Tradition fortsetzen können. Der Himmel wusste, wie hart sein Vater hatte arbeiten müssen, um das Unternehmen zu retten, nachdem dessen Bruder es in eine gefährliche Schieflage gebracht hatte. Von daher hätte es Nico im Blut liegen sollen, niemals ein Risiko einzugehen, aber er hatte es dennoch getan, weil es auch eine Welt jenseits der Familienreederei gab.

Wäre er nicht neugierig gewesen, so wäre er in Athen geblieben und in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er hätte eine treue griechische Frau geheiratet, wie sein Vater es getan hatte.

Doch Nico hatte mehr gewollt und seine Nase in so viele Projekte in den Bereichen Technologie und Kommunikation gesteckt, dass es für ihn nie eine Option gewesen war, zu Hause zu bleiben. Er hatte sichergestellt, dass es dem Familienunternehmen gut ging, und sich auf den Weg gemacht. Seine eigenen Firmen liefen alle so gut, dass jede einzelne ein Vermögen wert war.

Neugierig also? Das lag ihm im Blut, und seine talentierte und zuverlässige Assistentin weckte seine Neugier mehr als alles andere. Noch klammerte er sich an einen Rest gesunden Menschenverstand, doch wenn er an sie in diesem Sommerkleid dachte und daran, wie es sich an ihre hohen, kleinen Brüste geschmiegt hatte, spielte seine Libido verrückt.

Einmal hatte es eine Frau gegeben, von der er sich an der Nase hatte herumführen lassen, und das würde kein zweites Mal passieren. Zum Spaß gehörte, dass eine Affäre kurzlebig war. Dabei hatte er durchaus vor, irgendwann einmal zu heiraten, und zwar eine Frau, die zu ihm passte, einen ähnlichen Hintergrund hatte wie er und die wusste, dass die Arbeit immer an erster Stelle stand.

Dass er jetzt unangebrachte Gefühle für seine Assistentin hegte, verursachte ihm Unbehagen, denn das war unbekanntes Territorium. Er genoss die Gesellschaft von Frauen, behandelte jede einzelne wie eine Königin und war ihr treu, solange die Affäre währte, aber er ließ sie immer von Anfang an wissen, was sie von ihm erwarten konnten und was nicht. Es gab immer eine Grenze. Das war ein Gebiet, auf dem er sich auskannte. Plötzliche unangemessene Gedanken hinsichtlich seiner Assistentin hingegen waren Neuland für ihn.

Nachdenklich ging er zurück zum Schreibtisch. Er setzte sich, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah Grace an.

„Lass uns die Arbeit für ein paar Minuten vergessen“, sagte er ruhig. „Ich weiß, du würdest am liebsten so tun, als hätte es den Samstagabend nie gegeben, doch das hat es. Und als ich dich in diesem Club gesehen habe, war ich aufrichtig schockiert.“

„Ich weiß nicht, warum, Nico. Ob du es glaubst oder nicht, aber auch ich habe ein Leben.“

„Das bezweifle ich ja gar nicht, auch wenn es schwer ist, sich das vorzustellen, nachdem du viereinhalb Jahre damit verbracht hast, mir kein Sterbenswörtchen darüber zu verraten, was du tust, wenn du dieses Gebäude verlässt.“

„Weil es dich nichts angeht.“

„Aber du gehst mich etwas an. Weil du für mich arbeitest und weil ich mir einbilde, dass wir mehr sind als zwei Fremde, die zufällig wegen der Arbeit zusammen sind.“ Er machte eine kurze Pause. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Grace.“

„Wofür, wie schon gesagt, kein Anlass bestand.“

„Weil du selbst klarkommst?“

„Ganz genau.“

Nico sah in ihr kühles, trotziges Gesicht – so distanziert und doch so eigenartig verlockend. Fiel ihm das jetzt zum ersten Mal auf, oder hatte er das schon immer erkannt, ohne sich dessen bewusst zu sein?

„Also …“, Grace sprang von ihrem Stuhl auf, ihre Wangen waren gerötet, „lass uns etwas klarstellen, Nico. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich keine Lust habe, mein Privatleben in der Öffentlichkeit auszubreiten, und daran hat sich nichts geändert.“

„Anscheinend haben wir sehr unterschiedliche Ansichten von Privatleben und Öffentlichkeit“, erwiderte er amüsiert. „Und jetzt setz dich um Himmels willen wieder hin. Du bist hier nicht in einem Kreuzverhör, wir unterhalten uns nur.“ Er musterte sie intensiv. Alles an ihr strahlte Unbehagen aus. So nervös hatte er Grace noch nie gesehen, aber andererseits wusste er auch, dass er nur das an ihr gesehen hatte, was sie zu zeigen bereit war. Dabei verbarg sich unter dieser selbstbeherrschten Oberfläche eine komplexe, feurige junge Frau.

Ratlos setzte Grace sich wieder auf ihren Stuhl. Wie lange würde sie ihre Distanziertheit Nico gegenüber durchhalten können, ohne dass er misstrauisch wurde? Würde er erkennen, dass sie in seiner Gegenwart nicht entspannt war? Und wie lange würde es dann noch dauern, bis er den Grund dafür begriff? Dass er ihr unter die Haut ging, sie sich zu ihm hingezogen fühlte?

„Es ist ja nicht so, dass ich etwas zu verbergen hätte“, sagte sie widerstrebend. Sie hob die Lider und begegnete seinem Blick. Wenn sie so verschlossen blieb, würde ihn das nur noch neugieriger machen.

Doch ihre vorsichtige Zurückhaltung war ein so selbstverständlicher Teil von ihr geworden, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie sich einem anderen Menschen gegenüber öffnen sollte, am allerwenigsten Nico. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus.

„Grace …“, beendete Nico es schließlich. Er seufzte. „Ich kann akzeptieren, dass du und ich sehr verschieden sind, was einen offenen Umgang miteinander angeht. Und ich habe begriffen, dass deine Lippen versiegelt sind, wenn es um dein Privatleben geht, aus Gründen, die für mich einfach mysteriös sind. Aber du arbeitest jetzt schon ziemlich lange für mich, und ich würde mir gern einreden, dass wir … Freunde sind. Würdest du dem zustimmen?“

„Ja!“ Sofort kamen Grace all ihre verbotenen Fantasien über Nico in den Sinn, keine davon hatte etwas mit Freundschaft zu tun. „Natürlich sind wir das. Ich betrachte dich sowohl als Freund als auch als meinen Chef. Himmel, schließlich sehen wir uns oft genug!“

„Schön, dass wir da einer Meinung sind. Denn genau deshalb war es mir wichtig, dir Samstagabend Gesellschaft zu leisten, weil ich das Gefühl hatte, der Mann würde dich belästigen. Mir ist es wichtig, dass es dir gut geht, und deshalb wollte ich dir lieber helfen, als mich zurückzulehnen und dabei zuzusehen, wie du in eine Situation gerätst, aus der du dich allein vielleicht nicht retten kannst.“

Grace schnitt ein Gesicht. An diesem Punkt waren sie also wieder.

„Du musst auf dich aufpassen. Dieser Mann … Er hatte natürlich zu viel getrunken, und vielleicht ist er nüchtern ja ein Ausbund an Tugend, doch wenn jemand unter Alkoholeinfluss steht, weiß man nie, wohin das führen kann. Das Eis kann sehr dünn werden, wenn du als Frau denkst, du hast die Situation unter Kontrolle, obwohl es ganz anders ist.“

„Ja, so etwas hast du vorgestern erwähnt“, konstatierte Grace unschuldig, während sie im Stillen erst bis zehn, dann bis zwanzig zählte, um ihr Temperament unter Kontrolle zu behalten.

Nico runzelte die Stirn. „Dann sind wir uns also einig“, murmelte er.

„Nicht wirklich. Ich sage dir schließlich auch nicht, wie du dein Leben führen sollst.“

Einige Sekunden lang umspielte seine Mundwinkel ein leichtes Lächeln, bis er langsam fragte: „Würdest du das denn gern?“

„Das ist nicht meine Aufgabe“, erwiderte Grace eilig. Ihre Haut prickelte unter seinem Blick, und sie befeuchtete sich die Lippen. Sie spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte, und sie bemerkte, dass sie die Situation erregend fand.

„Wir sind Freunde“, erinnerte Nico sie sanft.

„Ja, aber auf uns wartet so viel Arbeit …“

„Das hier ist wichtiger. Als ich dich Samstagabend so panisch gesehen habe …“

„Ich war nicht panisch!“, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort.

„Na schön, das war vielleicht etwas übertrieben.“

„Ich habe mich nur etwas unwohl gefühlt. Das war kein Weltuntergang.“

„Als ich dich jedenfalls so gesehen habe, ist mir klar geworden, dass du mehr bist als meine Assistentin, die jeden Tag zwischen neun und fünf Uhr für mich arbeitet …“ Er veränderte seine Position, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Du bist jemand, der mir etwas bedeutet, und deshalb möchte ich, dass diese Schranken zwischen uns fallen. Ich möchte, dass du dich in meiner Gegenwart traust, deine Meinung zu sagen, dass du mir erzählst, was dich bewegt. Denn wenn du mir nicht mitteilst, was du denkst, wie soll ich dann wissen, ob dein Job dir Spaß macht oder nicht?“

Grace betrachtete seine Miene, die aufrichtig und frustriert zugleich wirkte.

Hatte er am Samstag auch dieses Kribbeln verspürt, als seine Hand auf ihrer gelegen hatte? Insgeheim hatte sie sich darüber gefreut, dass er gekommen war, um ihr zu helfen, obwohl sie so lautstark ihre Unabhängigkeit betont hatte. Es ärgerte sie, dass sie ihre Gefühle für Nico nicht einfach abschütteln und ihre Beziehung schlicht als Freundschaft betrachten konnte.

Dabei war ihr unbedingt daran gelegen, innerhalb dieses luxuriösen Büros alles auf der reinen Arbeitsebene zu halten.

Alles, was darüber hinausging, machte ihr schlicht Angst, denn sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Für Nico zu schwärmen, machte sie verwundbar, und davon hatte sie seit ihrer Kindheit genug.

„Ich liebe meinen Job.“

„Und was ist mit dem Kerl, der ihn dir gegeben hat? Hmm?“ Er grinste sie an. „Du spielst mit mir.“

„Ein bisschen vielleicht“, gab er zu. „Aber immerhin sind wir einen Schritt vorangekommen, und ich möchte, dass es so bleibt, denn ich bin aufrichtig daran interessiert, zu wissen, was du über mich denkst. Jetzt einmal abgesehen vom Job. Glückliche Angestellte sind loyale Angestellte, und wenn dich irgendetwas an mir stört, möchte ich, dass du jetzt diese Gelegenheit nutzt, es mir zu sagen …“

Grace begann, sich zu entspannen. Denn das, was Nico gerade tat, konnte sie nachvollziehen. Bei all seinem Charme war Nico ein Verstandesmensch, und gerade schützte er sein Kapital.

Nichts war Nico wichtiger als die Arbeit. Versuchte er jetzt, herauszufinden, ob sie etwas vor ihm verbarg, das ihr erfolgreiches berufliches Arrangement gefährden könnte?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fuhr er mit leiser Stimme fort: „Sei ehrlich, Grace. Ich schätze dich sehr, und wenn du Dinge in dich hineinfrisst, dann ist das nicht gut. Du bist die beste persönliche Assistentin, die ich je hatte. Ich möchte nicht, dass du plötzlich kündigst, weil du … ein Problem mit mir hast.“ Er schenkte ihr dieses vernichtende Lächeln, das sie jedes Mal zum Schmelzen brachte, auch wenn sie es sich nie anmerken ließ.

Doch das Funkeln in seinen Augen ärgerte sie, denn auch wenn Nico aufrichtig wirkte, verriet es einen gewissen Schalk. Er hatte ihre Grenzen so lange respektiert, dass es ihm jetzt einen Riesenspaß zu machen schien, einfach über sie hinwegzugehen.

Er wollte also, dass sie ehrlich war? Bitte sehr.

„Ich sage dir nicht, wie du dein Leben zu führen hast, Nico, aber da du mich gefragt hast: Es gefällt mir wirklich nicht, wie du mit Frauen umgehst.“

„Wie ich mit Frauen umgehe? Du meinst, voller Ehrlichkeit, Großzügigkeit und Rücksichtnahme?“

„Du brichst Herzen. Das weiß ich. Ich habe genug deiner weinenden Ex-Freundinnen am Telefon gehabt.“

„Ich bin immer ehrlich zu ihnen. Ehrlicher geht es überhaupt nicht. Die Frauen wissen von Anfang an, worum es geht: nichts Festes, nichts Langfristiges. Aber solange es sie gibt, gehört ihnen meine ganze Aufmerksamkeit und Großzügigkeit.“

Graces Augenbrauen schossen nach oben. „Es gibt nicht viele Frauen, die sich auf einen Mann einlassen, wenn sie wissen, dass es zu nichts führt …“

„Dafür kann ich nichts. Ich bin ihnen gegenüber immer aufrichtig. Ich lege meine Karten auf den Tisch und sage, wie es ist.“

„Wirklich?“

„Ich bin kein Freund von Missverständnissen und verwende sehr deutliche Worte. Keine gemütlichen Abendessen zu Hause … kein Händchenhalten vor dem Fernseher … keine Treffen mit den Eltern … keine Gespräche über Zukunftspläne oder die Freuden des Familienlebens … Nicht einmal Übernachtungen. Ich habe gern Raum für mich selbst.“

Grace sah ihn sprachlos an. Er brach in Gelächter aus und hielt ihren ungläubigen Blick eine Sekunde zu lang fest.

„Na ja, vielleicht nicht ganz so drastisch, aber schon ziemlich deutlich.“

„Aber warum?“

„Warum was?“ Er wurde wieder ernst und runzelte die Stirn.

„Ich meine …“ Sie spürte, dass sie rot anlief, weil dieses Gespräch eine viel zu persönliche Wendung nahm.

„Du meinst, warum ich kein Interesse an einer Geschichte mit Happy End habe?“, fragte er kühl.

„Die meisten Menschen träumen von der großen Liebe … einem Partner … einem Seelenverwandten …“

„Ist es das, was du willst? War es das, was du gesucht hast, als du dich mit dieser Internetbekanntschaft getroffen hast?“

In die Defensive gedrängt, neigte Grace den Kopf zur Seite. Sie wollte nicht an ihren Fehler erinnert werden, aber war es nicht besser, wenigstens zu hoffen, eines Tages die große Liebe zu finden, als davon auszugehen, dass das sowieso nie passieren würde?

Sie ging das Leben vielleicht anders an als ihre Mutter, aber verfolgten sie beide nicht dasselbe Ziel?

Natürlich würde sie niemals Tausend Frösche küssen, um den einen Prinz zu finden, wie ihre Mutter es getan hatte, aber Cecily hatte ihr Ziel nie aus den Augen verloren. Und jetzt hatte sie ihren Prinzen gefunden.

Und wenn man keine Ziele hatte, war das Leben dann nicht ziemlich öde?

Trotzdem sagte sie: „Ich habe gar nichts gesucht. Ich wollte nur ein bisschen Spaß haben.“

Nico betrachtete ihre fein geschnittenen Gesichtszüge. Glaubte er Grace? Nein, eher nicht. Sie war eine ernsthafte Frau, der es um mehr ging als ein bisschen Spaß.

War ihr erstes Internet-Date nur der Anfang ihrer Suche?

Er senkte den Blick. Plötzlich sah er sie vor sich, mit einem Mann, ihrer echten großen Liebe. Der Gedanke an seine ernste Assistentin in den Armen eines wie auch immer gearteten Seelenverwandten löste ein unangenehmes Gefühl in ihm aus.

Eine verliebte Frau ist eine unzuverlässige Angestellte, redete er sich grimmig ein, nur deshalb ärgerte ihn die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, so sehr.

„Na schön“, sagte er langsam. „Sollen wir diese Seelenschau erst einmal beenden und das tun, was wir beide am besten können?“

Als Grace den veränderten Tonfall ihres Chefs bemerkte, nickte sie.

„An die Arbeit.“ Sie lächelte ihn an, erhob sich und strich sich nicht vorhandene Staubfussel vom Rock.

„Du hast schließlich einen Zahnarzttermin“, bemerkte er leise.

„Richtig.“ Ihre Notlüge hatte sie vollkommen vergessen. So wie sie auch alles andere in den vergangenen vierzig Minuten vergessen hatte.

3. KAPITEL

Nico beendete das Telefonat mit seinem Vater und ging in die Küche, um sich einen Drink zu holen. Etwas Starkes, während er über das nachdachte, was er in der vergangenen Dreiviertelstunde erfahren hatte.

„Es geht um deinen Onkel, Nico“, hatte sein Vater mit schwerer Stimme gesagt, nachdem sie kurz Höflichkeiten ausgetauscht hatten. „Du wusstest es nicht, aber er war in letzter Zeit schwerkrank, und jetzt habe ich erfahren, dass er gestorben ist. Jemand muss sich um seine Hinterlassenschaften kümmern. Ich würde es ja selbst tun, aber wie du weißt, erholt sich deine Mutter noch von ihrer Operation letzten Monat. Ich kann sie unmöglich allein lassen, und das Ganze sollte auch nur einige wenige Tage in Anspruch nehmen. Es wäre schön, wenn du das für mich übernehmen könntest.“

Nico trank einen Schluck Whisky. Das war nicht das, womit er gerechnet hatte, als er nach Hause gefahren war, um einen seltenen Abend allein zu verbringen. Es war Freitag und erst kurz nach sechs. Er hatte geplant, sich in das neue komplexe Computersystem eines jungen innovativen Unternehmens zu vertiefen, das er gerade erst gekauft hatte. Auf diese Weise wollte er sich von seiner Assistentin und ihrer plötzlich vollkommen unwiderstehlichen Anziehungskraft ablenken, die seine Gedanken in den vergangenen drei Wochen viel zu sehr beherrscht hatten.

Wenn er geglaubt hatte, ihr erstes aufrichtiges Gespräch hätte eine Tür aufgestoßen, die offen bleiben würde, so hatte er sich gründlich geirrt.

Grace war vielleicht eine Spur weniger verschlossen, wenn er sie zum Beispiel fragte, wie ihr Wochenende gewesen war oder ob es eine neue Internet-Bekanntschaft gab, doch ihre Miene signalisierte deutlich bis hier hin und keinen Schritt weiter. Ebenso unverändert war ihr strenger Kleidungsstil und die gesenkten Lider, wenn sie vor ihm saß und ihre Finger über die Tastatur flogen, während sie das tat, in dem sie am besten war: arbeiten.

Daran ist nichts verkehrt, redete Nico sich zum wiederholten Mal ein. Schließlich brauchte er eine ruhige, stressfreie Arbeitsumgebung. Die hatte Grace ihm immer geboten, und sie tat es auch jetzt.

Er hatte nicht gelogen, als er gesagt hatte, sie wäre die beste persönliche Assistentin, die er je gehabt hatte. Und jetzt war er frustriert und ärgerte sich über sich, weil er plötzlich um seine Selbstkontrolle kämpfen musste, wann immer Grace in seiner Nähe war.

Er zwang sich, seine Gedanken zurück auf das Telefongespräch zu lenken, und trank einen weiteren Schluck. Den Optimismus seines Vaters, die Reise auf die Bahamas, um die Angelegenheiten seines verstorbenen Onkels zu regeln, würde nur wenige Tage in Anspruch nehmen, teilte er nicht.

Sander Doukas, das in Ungnade gefallene schwarze Schaf der Familie, war für Nico eine schemenhafte Gestalt, die er nur aus Erzählungen kannte. Er hatte Schande über den Namen Doukas gebracht. Es kursierten so viele Fotos in kompromittierenden Situationen über ihn, dass man damit ein ganzes Haus hätte tapezieren können. Dreimal war er in einer Entzugsklinik gewesen.

Zumindest waren das die Gerüchte, die Nico zu Ohren gekommen waren. Was er aber sicher wusste, war, dass Sander so dicht davor gestanden hatte, das Familienunternehmen zu ruinieren, dass die Bande, die Nicos Vater und dessen Bruder früher einmal geeint haben mochten, unwiederbringlich zerstört wurden.

Sie hatten das Unternehmen gemeinsam geerbt, als ihre Eltern völlig unerwartet bei einem Autounfall ums Leben kamen. Sander wurde damals im Vorstand kaum wahrgenommen. Er war zu dieser Zeit dreißig Jahre alt gewesen und viel zu beschäftigt mit der Suche nach Unterhaltung, als dass er einen Anzug angezogen und sich mit ernsthafter Arbeit beschäftigt hätte.

Stefano Doukas, Nicos Vater und fünf Jahre jünger als sein Bruder, hatte das Ruder übernommen und bewiesen, dass er so gewissenhaft wie Sander leichtsinnig war.

Mithilfe zahlreicher großzügiger Zugeständnisse war es ihm irgendwann gelungen, Sander zum Rückzug aus dem Unternehmen zu bewegen und sich in eine Art Exil zu begeben.

Ein äußerst luxuriöses Exil, wie Nico fand, denn Sander war auf eine kleine Bahamainsel geschickt worden, um dort ein Hotel aufzubauen und zu betreiben.

Nico leerte seinen Whisky. Der Onkel, den er nie kennengelernt hatte, interessierte ihn nicht, doch es war undenkbar, einer Bitte seines Vaters nicht nachzukommen, auch wenn es lästig war. Er hatte im Moment eigentlich genug zu tun.

Und wer konnte schon vorhersagen, wie lange es dauern würde, die ganze Angelegenheit auf einer kleinen entlegenen Insel zu regeln?

Auch wenn er nicht wusste, was für ein Hotel sein Onkel gegründet hatte, ging Nico davon aus, dass es jeden Komfort bot. Vor seiner Verbannung war Sander mit mehr Geld ausgestattet worden, als man in einem Leben ausgeben konnte, allerdings wurde es von einem vertrauenswürdigen Mitglied des Familienunternehmens verwaltet.

Es war höchste Zeit, sich um die Arrangements zu kümmern.

Nico hatte keine Ahnung, wo Grace wohnte, doch er konnte nicht herumsitzen und bis Montag warten. Ob es ihr gefiel oder nicht, er musste sie an einem Wochenende stören.

Grace hatte keinen Anruf von ihrem Chef erwartet.

Es war Freitag, und sie hatte beschlossen, das Wochenende ruhig anzugehen und am Sonntag ihren Bruder zu besuchen, wie sie es jede Woche tat.

Als sie nun Nicos Namen auf dem Display sah, schrak sie zusammen. Obwohl sie wusste, dass es dumm war, schämte sie sich dafür, an einem Freitagabend allein zu Hause zu sein, anstatt in irgendeinem Pub Spaß zu haben.

Sie atmete tief ein.

„Nico?“

„Ich bin froh, dass ich dich erreiche, Grace.“

Seine Stimme sandte ihr einen leisen Schauer über den Rücken.

„Stimmt etwas nicht?“ Er musste sie aus beruflichen Gründen anrufen. Panisch überlegte sie, ob sie etwas vergessen hatte. Dabei hatte sie sich einen winzigen Moment lang dazu hinreißen lassen, zu glauben, er habe angerufen, um sich mit ihr zu verabreden. Sie schloss die Augen und riss sich zusammen. Mit solchen Fantasien hatte sie viel zu viele Jahre verschwendet, und sie hatte genug davon.

„Ich bin noch geblieben, nachdem du gegangen bist, Nico, und habe so viel wie möglich erledigt. Wenn doch etwas liegen geblieben ist, sag mir Bescheid. Ich erledige es am Wochenende.“

„Am Wochenende?“

„Ja, natürlich.“

„Du wirst nicht dafür bezahlt, dann auch zu arbeiten.“

„Ich weiß, aber …“

„Davon abgesehen, hast du denn gar nichts vor?“

„Doch, am Sonntag …“ Sie dachte an Tommy und daran, wie sehr er sie brauchte. Der Sonntag war ihr Tag. Sie war immer für ihn da, ermutigte ihn und versuchte ständig herauszufinden, was sie noch für ihn tun konnte, um ihm das Leben leichter zu machen.

Von diesem Teil ihres Lebens würde sie Nico niemals erzählen. Er war ihre reine Privatangelegenheit, die sie niemals öffentlich machen würde.

„Ein Internet-Date?“

„Nico, weshalb rufst du an? Geht es um die Arbeit?“

„Ja und nein. Ich muss mit dir reden. Ich hätte dich nicht an einem Freitagabend gestört, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Ich kann zu dir kommen oder du zu mir. Oder wir treffen uns im Büro.“

„Du machst mich nervös, Nico. Kannst du mir nicht sagen, worum es geht?“

Zu mir nach Hause kommen?

Es gab nichts, was Grace weniger wollte.

Denn er wäre schockiert zu sehen, dass sie nicht in einem schicken kleinen Apartment in einer schicken kleinen Straße wohnte. Schließlich zahlte er ihr genug, sodass sie sich so etwas leisten können müsste. Er würde sich fragen, was sie mit ihrem stattlichen Gehalt anstellte, und sie würde niemals zugeben, dass sie es dafür ausgab, ihren Bruder zu unterstützen. Sie hatte Tommy eine kleine Erdgeschosswohnung gekauft und so ausstatten lassen, dass sie seiner eingeschränkten Mobilität gerecht wurde. Er hatte dagegen protestiert, doch sie hatte sich durchgesetzt. Er brauchte jemanden, der sich um ihn kümmerte. Das war schon so gewesen, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, und seit seinem Unfall benötigte er ihre Unterstützung noch viel mehr. Und Grace tat es gern.

Außerdem zahlte sie die Rechnungen für seine Therapien, die nicht gerade billig waren.

„Nicht am Telefon.“ Nico hielt kurz inne. „Störe ich?“

„Ich wollte mir gerade Abendessen machen“, seufzte Grace.

„Treffen wir uns doch in einer Stunde im Büro, und ich bestelle dort etwas. Ich weiß, wie lästig das für dich ist, und bitte dich dafür auch um Entschuldigung, aber wie gesagt, ich hätte nicht angerufen, wenn es nicht wichtig wäre.“

„Na gut …“

„Sehr schön. Dann sehen wir uns in einer Stunde. Französisch, indisch oder italienisch?“

„Wie bitte?“

„Was möchtest du essen?“

„Da bin ich nicht so wählerisch.“

„Eine deiner vielen guten Seiten und vermutlich ein Grund dafür, dass wir so gut zusammenarbeiten. Ich sehe zu, dass keiner von uns hungrig nach Hause geht.“

Damit beendete er das Gespräch. Ein paar Sekunden lang starrte Grace auf das Telefon in ihrer Hand. Dann sprang sie auf, um hastig die Küche aufzuräumen und sich etwas anderes anzuziehen …

Aber was?

Knielanger Rock, ordentliche Bluse und vernünftige flache Pumps?

An einem Freitagabend?

Nach einigem Nachdenken entschied sie sich für Jeans, ein eng anliegendes T-Shirt und, falls es später abkühlen sollte, eine alte Bomberjacke, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte.

Es fühlte sich eigenartig an, sich auf diese Weise gekleidet zum Büro aufzumachen. Ihr üblicherweise strenges Outfit bot ihr Sicherheit und war Teil ihres Schutzschildes.

In den vergangenen Wochen hatten sich die Grenzen zwischen ihnen fast unmerklich verschoben.