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VERFÜHRERISCHER WEIHNACHTSTRAUM von CATHY WILLIAMS Glitzernder Schnee, ein festlich geschmücktes Landhaus und ein umwerfender Mann an ihrer Seite: Das Fest der Liebe könnte so schön sein! Bald schon bedauert Georgina, dass sie Pierres Verlobte nur spielt, um seiner kranken Mutter einen Herzenswunsch zu erfüllen. Doch Pierre scheint bloß eine Weihnachtsromanze von ihr zu wollen … EINE ROMANZE WIE IM MÄRCHEN von HELEN BROOKS Marigold erscheint es wie ein Märchen: Der wohlhabende Flynn möchte für immer mit ihr zusammen sein! Aber passt sie überhaupt in die Welt des attraktiven Chirurgen? Da sieht sie Flynn und seine Exfreundin in inniger Umarmung. War ihr Glück nicht mehr als ein flüchtiger Traum? WINTERZAUBER IN ALASKA von MARIE FERRARELLA Lieber würde Shayne der hübschen Sydney am Flughafen von Anchorage eine bessere Nachricht überbringen: Aber sein Bruder hat sich nun mal gegen sie entschieden! Shayne hat Mitleid mit der allein Gelassenen und schenkt ihr Trost: Weihnachten vor seinem Kamin
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Seitenzahl: 633
Cathy Williams, Helen Brooks, Marie Ferrarella
JULIA WINTERTRÄUME BAND 16
IMPRESSUM
JULIA WINTERTRÄUME erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage in der Reihe JULIA WINTERTRÄUME, Band 16 11/2021
© 2008 by Cathy Williams Originaltitel: „Bedded at the Billionaire’s Convenience“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA SAISON, Band 67
© 2002 by Helen Brooks Originaltitel: „Christmas At His Command“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Katja Henkel Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1682
© 1998 by Marie Rydzynsky-Ferrarella Originaltitel: „Wife in the Mail“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ruth Landmann Deutsche Erstausgabe 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 194
Abbildungen: Alter_photo, Delbars, yanikap / Getty Images, Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751503136
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Georgie sah an der Glasfront des Gebäudes empor. In genau dieser Sekunde nahm sie sich fest vor, nie wieder in ihrem ganzen Leben einem Impuls zu folgen. Nie wieder! So richtig und gut die Gründe dafür auch sein mochten.
Der einzig halbwegs akzeptable Teil dieser grässlichen Reise nach London war die Taxifahrt vom Bahnhof bis hierher gewesen. Und selbst die hatte einen schalen Nachgeschmack: Der schlecht gelaunte Taxifahrer weigerte sich strikt, ein paar Minuten zu warten. Obwohl Georgie ihn äußerst freundlich darum gebeten hatte. Nur für den Fall, dass ihr Gesprächspartner nicht anwesend sein sollte.
Denn Georgie hatte im Moment nicht die geringste Ahnung, wie sie überhaupt an den Mann herankommen sollte. Das Gebäude wirkte wie eine uneinnehmbare Festung. Es wimmelte von Sicherheitsleuten. Überall waren Überwachungskameras angebracht. Einfach lächerlich! Als ob jemand mit auch nur einem Funken Verstand versuchen würde, in ein Fitnessstudio einzudringen.
Außerdem war es kalt.
Und sie hatte Hunger. Das letzte Mal hatte Georgie vor über vier Stunden etwas gegessen; ein höchst trauriges Sandwich, das sie sich unterwegs an irgendeinem Bahnhofskiosk besorgt hatte. Jetzt verlangte ihr Magen mit unüberhörbarem Knurren nach anständiger Nahrung, und zwar schnell.
Georgie holte tief Luft und marschierte entschlossen auf die Drehtüren zu. Hinter dem runden Empfangstresen tummelten sich ein paar Mitarbeiter des Fitnessclubs. Sonst war niemand zu sehen; sie hatten also offensichtlich nichts zu tun. Trotzdem dauerte es sehr lange, bevor eine sehr junge, sehr blonde Frau die Besucherin zur Kenntnis nahm. Ein Cheerleader mit Rottweilermiene, dachte Georgie ungnädig. Dementsprechend vorsichtig näherte sie sich.
Der abschätzige Blick und die hochgezogene Augenbraue, mit dem die Blondine Georgie von Kopf bis Fuß musterte, sprachen Bände. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“, flötete sie dennoch.
„Ich … Nun, ja, das hoffe ich.“ Du bist Lehrerin, Georgina! Du lässt dich doch nicht etwa von so einem Hüpfer im Lycra-Trikot einschüchtern! „Um genau zu sein, ich bin hier, um hier …“
„Sie möchten Mitglied werden? Tut mir leid, Miss. Wir sind für die nächsten acht Monate komplett ausgebucht.“
„Nein. Ich bin nicht hier, um Mitglied zu werden.“
Die Augenbraue ruckte noch höher. „Sondern?“
„Ich suche jemanden. Eines Ihrer Mitglieder.“
Mit einem ungeduldigen Seufzer stieß die Blondine die Luft aus den Lungen und sah auf ihre Armbanduhr. „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Miss. Unsere Mitglieder sind hier, um sich in exklusiver Atmosphäre zu entspannen. Sie erwarten, nicht gestört zu werden. Ich muss Sie nun bitten, zu gehen.“
So schnell wirst du mich nicht los, Schätzchen! Georgie räusperte sich, dann wandte sie sich an eine etwas ältere, aber ebenso blonde Version des Cheerleaders. Sie musste um die dreißig sein und verfolgte das Gespräch interessiert. „Ich fürchte, ich muss darauf bestehen, Mr. Newman zu sehen“, hob Georgie mit ihrer strengsten Lehrerinnenstimme an. Das war jene Stimme, die beim Gegenüber düstere Ahnungen über bittere Konsequenzen und lange Strafen heraufbeschwor, falls man sich den Anordnungen widersetzte. Nun, bei Georgies sechsjährigen Schützlingen funktionierte das immer. Und tatsächlich: Die ältere Blondine versteifte sich unmerklich.
Bis Georgie klar wurde, dass es weniger ihre Stimme war, der diese Reaktion hervorrief. Es war der Name, den sie genannt hatte.
„Meinen Sie etwa Mr. Pierre Newman?“
„Genau den. Erstaunlich, dass Sie sich seinen Namen merken konnten. Wo Ihr Club doch so überlaufen ist.“ Georgie konnte es sich einfach nicht verkneifen. Dabei überraschte die Reaktion der Blonden sie überhaupt nicht. Schließlich war Pierre beileibe kein Mann, den man so einfach übersah. Es sei denn, man war praktisch mit ihm aufgewachsen. Dann verlor seine Ausstrahlung natürlich ihre Wirkung.
Der Blondine aber verschlug es wohl für einen Augenblick die Sprache. Dann nahm sie sich zusammen. Nein, man sei hier keineswegs überlaufen, erklärte sie. Im Gegenteil. Man lege großen Wert auf Exklusivität und beschränke daher die Mitgliederzahl auf einen kleinen auserwählten Kreis. „Unsere Mitglieder sind vermögende und einflussreiche Persönlichkeiten“, erklärte sie herablassend. „Sie kommen zu uns, um sich von ihren vollen Terminkalendern zu erholen. Wir können uns mit Stolz als eine der exklusivsten Entspannungsoase der Stadt bezeichnen.“
Georgie hatte höflich zugehört, obwohl sie kaum etwas langweiliger fand als verwöhnte Millionäre, die eine Auszeit brauchten. Als seien sie nur zur Entspannung fähig, wenn sie von ihresgleichen umgeben waren.
Pierre passte genau hierher. Im Laufe seines Lebens hatte er ein derart großes Vermögen angehäuft, dass er seinen Kokon niemals verlassen musste – es sei denn, er wollte es. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, und jeder spurte. Was nun Didi betraf … Georgie erinnerte sich daran, warum sie eigentlich hier war. Sie hob abwehrend die Hand, um den belanglosen Redefluss der Blondine zu unterbrechen.
„Das ist großartig, wirklich. Aber wie schon gesagt: Ich bin nicht hier, um Mitglied zu werden, sondern um mit Mr. Newman zu sprechen. Dringend! Wenn Sie mir sagen, wo er sich aufhält, finde ich den Weg allein.“
„Bei uns ist es nicht üblich, Nichtmitgliedern Zutritt zu gewähren.“
„Dann warte ich hier. Wenn Sie ihm bitte ausrichten würden, dass Georgie … Georgina ihn dringend sprechen muss.“
Die Blondine zog eine Augenbraue hoch. „Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit?“
„Sicher, dürfen Sie. Aber ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist persönlich.“ Nur mühsam verkniff Georgie sich das Grinsen. Die gute Frau platzte schier vor Neugier. Sicher spekulierte sie bereits, welche anrüchigen Geheimnisse Mr. Newman wohl zu verbergen hatte. Der arme Pierre würde nicht besonders glücklich darüber sein. Nun, er hatte noch nie Humor besessen; zumindest hatte Georgie nie auch nur einen Funken davon ausmachen können.
Pierre hatte schon als junger Mann extrem gut ausgesehen. Doch Georgie erinnerte sich vor allem an seinen Hang, alles zu kritisieren. Es gab kaum etwas, für das Pierre etwas anderes als Missbilligung übrig gehabt hätte. Und er gab sich auch nicht die geringste Mühe, das zu verheimlichen.
Seiner Meinung nach war das Leben in Greengage Cottage, einem klitzekleinen Nest in der Grafschaft Devonshire, so langsam, dass es an Stillstand grenzte. Den Lebensstil seiner Eltern hatte er immer kritisiert; er bezeichnete sie als Hippies. Und eigentlich auch jeden anderen, der nicht den gleichen brennenden Ehrgeiz in sich spürte, schnellstmöglich das verschlafene Nest zu verlassen und die Großstadt zu erobern. Seit er vor über zehn Jahren nach London gegangen war, waren seine Besuche zu Hause immer seltener geworden.
Vor drei Jahren war er zur Beerdigung seines Vaters zurückgekehrt. Zwei Wochen lang war er geblieben. Er kümmerte sich um den Verkauf der Farm und kaufte ein kleines Cottage für seine Mutter. Angesichts der Tatsache, dass er auf der Farm aufgewachsen war, hatte er bei deren Verkauf eine bemerkenswerte Gleichgültigkeit an den Tag gelegt.
Seither konnte man seine Besuche bei der Mutter an einer Hand abzählen. Und Georgie achtete immer peinlich genau darauf, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn er in Greengage Cottage war.
Was sie ihren impulsiven Schritt jetzt erneut verfluchen ließ.
Die Blondine teilte ihr gerade mit, dass man Mr. Newman nun darüber informieren würde, dass Miss Georgina ihn zu sprechen wünsche. Sollte Mr. Newman sie aber nicht sehen wollen, werde man sie hinausbegleiten. Geschäftspolitik.
Georgie erinnerte sich bemüht daran, dass die Frau wahrscheinlich nur ihren Job erledigte, und nahm auf einem der niedrigen roten Sessel in der Sitzecke Platz. Verschiedene Hochglanzbroschüren auf dem chromblitzenden Glastisch priesen die wunderbaren Möglichkeiten und Errungenschaften des Fitnessclubs an. Aber Georgie studierte lieber ihre Umgebung genauer.
Hinter dem Empfang lag ein mit Marmor ausgelegtes Foyer. Von hier aus führte eine Treppe in die obere Etage zum Trainingsbereich, der hinter einer dunkel getönten Glasfront lag. Zu den Squashcourts und dem Pool ging es einen langen Korridor entlang. Wahrscheinlich lagen dort auch die exklusiven Ruhekabinen, wo der gestresste Geschäftsmann sich seine Verspannungsknoten von einem Klon der Blondine vom Empfang wegmassieren lassen konnte. So jedenfalls stellte Georgie sich das vor.
Als Georgie aus ihrer Grübelei auftauchte, stellte sie fest, dass Pierre direkt vor ihr stand und sie durchdringend ansah.
Ihr Blick wanderte an ihm nach oben bis sie zu seinen Augen. Sie waren blau, wie die seines Vaters. Von seiner algerischen Mutter hatte er das rabenschwarze Haar. Es war kurz geschnitten und im Moment nass. Georgie musste seine Runden im Pool unterbrochen haben. Wahrscheinlich lag auch deswegen ein Handtuch um seine Schultern.
Mit gerunzelter Stirn sah er auf sie hinunter. „Was tust du hier, Georgina? Clarice sagte mir, du willst mich dringend sprechen. Ist irgendwas mit meiner Mutter?“ Die Falte auf der Stirn wurde tiefer. „Ich habe am Wochenende noch mit ihr gesprochen, da war alles in Ordnung. Nun? Sag schon, was los ist, zum Teufel!“
Georgie hatte völlig vergessen, wie einschüchternd dieser Mann sein konnte, wenn man ihm persönlich gegenüberstand.
Er war über eins neunzig groß, und ja, das musste sogar Georgie zugeben: Er war ein enorm attraktiver Mann. Er war gesegnet mit perfekten Gesichtszügen. Jeder Muskel seines athletischen Körpers war durchtrainiert; zudem strahlte er eine enorme, nahezu gefährliche Entschlossenheit aus. Seine Präsenz brachte Frauen dazu, sich nicht nur auf der Straße den Hals zu verrenken, um einen zweiten Blick auf ihn zu ergattern.
Nicht jedoch Georgie. Sie erachtete sich als gänzlich immun gegen derartige Oberflächlichkeiten. Ihrer Meinung nach waren Pierres Augen kalt wie Eis. Und in seinem makellosen Aussehen lag unterschwellig eine Härte, die ihn wie ein Kraftfeld umgab.
„Es gibt keinen Grund, diesen Ton anzuschlagen, Pierre“, erwiderte sie kühl.
„Ich habe nur eine zivilisierte Frage gestellt.“ Er fasste die Enden des Handtuchs und musterte sie mit unverhohlener Ungeduld. Noch eine seiner unliebsamen Charaktereigenschaften, dachte Georgie. „Ich habe nicht oft Gelegenheit, mich zu entspannen. Das Letzte, was ich dann brauche, ist eine Unterbrechung durch jemanden, der sich auch noch in Schweigen hüllt. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann spuck’s aus.“
Entrüstet sprang Georgie auf. „Manche Dinge ändern sich nie, nicht wahr, Pierre? Du bist noch immer der unhöflichste Mensch, der mir in meinem ganzen Leben untergekommen ist!“
„Erzähl mir doch etwas Neues! Wenn ich mich recht entsinne, lässt du keine Gelegenheit aus, mich das wissen zu lassen. Das letzte Mal übrigens auf der Beerdigung meines Vaters! Das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Statt dein Beileid zu bekunden wie jeder andere, hattest du nichts Besseres zu tun, als mir mitzuteilen, was für ein taktloses und unkultiviertes Wesen ich doch sei.“ Er musterte sie kühl. „Nicht dass es von Bedeutung wäre. Sag einfach, was du zu sagen hast, Georgina, und dann verschwinde.“
„Ich will mich nicht mit dir streiten, Pierre. Und Didi geht es gut. Relativ, zumindest.“
„Relativ? Was soll das denn nun wieder heißen?“
„Könnten wir vielleicht irgendwo hingehen und reden? Mir ist klar, ich zerre dich von deiner Entspannung fort, aber … schließlich bin ich den ganzen Weg von Devonshire hergekommen.“ Unaufgefordert, unangekündigt und unvorbereitet. „Die Reise war äußerst unangenehm, falls dich das überhaupt interessiert. Verspätungen, überfüllte Züge und übelst gelaunte Taxifahrer, ganz zu schweigen von der Handyrechnung, die ich bekommen werde.“ Georgie runzelte die Stirn. „Ich musste deine Sekretärin mit Engelszungen überreden, mir zu sagen, wo ich dich finde. Hat sie vorher beim Geheimdienst gearbeitet?“
„Natalie weiß, dass ich im Fitnessclub nicht gestört werden will.“ Pierre entspannte sich ein wenig. Vielleicht war er wirklich etwas zu unfreundlich zu Georgie gewesen. Aber aus einem unerfindlichen Grund war ihm diese Frau schon immer gegen den Strich gegangen. Alles an ihr irritierte ihn: von ihrem hochtrabenden Moralgehabe bis hin zu ihrer wirklich ärgerlichen Angewohnheit, unüberlegt herauszuposaunen, was ihr gerade in den Kopf schoss. Er zog Frauen vor, die alles unter Kontrolle hatten – sowohl ihre Kleidung als auch ihren Charakter. Um genau zu sein: Er erachtete sich als modernen Mann des einundzwanzigsten Jahrhunderts, der die Gesellschaft intellektueller Frauen genoss und deren Selbstfindung im Arbeitsleben befürwortete. Was die Reize ihres Geschlechts anging, so befand Georgie sich eher am unteren Ende der Skala. Zehn Minuten in ihrer Gesellschaft reichten ihm normalerweise.
„Das habe ich verstanden“, sagte sie jetzt. „Das hat sie mehr als deutlich gemacht – in den zwanzig Minuten, die es gedauert hat, bevor sie damit rausgerückt ist.“
„Was hast du denn zu ihr gesagt?“
„Dass ich die Frau bin, die du klammheimlich am Wochenende geheiratet hast. Ich hab auch immer wieder Didis Namen eingeworfen, um dem Ganzen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.“ Das hatte Georgie natürlich nicht getan. Aber es war lustig, seine entsetzte Miene zu beobachten. „Sollte nur ein Scherz sein.“
„Wirklich sehr witzig. Es gibt hier ein Café. Da können wir reden.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und setzte sich in Bewegung, sodass Georgie nur noch auf seinen Rücken starrte.
Dieses Mal, da Pierre ihr vorausging, öffneten sich die Tore in die heiligen Hallen wie von selbst. Offensichtlich wurden diesem Mann von allen Seiten nichts als grenzenlose Bewunderung und ehrfürchtiger Respekt entgegengebracht. Kein Wunder, dass er sich so unmöglich überlegen gab.
„Ich kann kaum fassen, dass sie mich tatsächlich durchgelassen haben“, murmelte Georgie atemlos, während sie sich neugierig umsah und gleichzeitig bemühte, mit ihm Schritt zu halten. „Freundlich sind sie hier nicht unbedingt, was? Müssen sie einen Kurs in Unhöflichkeit absolvieren?“
„Die Mitglieder dieses Clubs führen alle ein sehr aufreibendes Leben.“ Pierre verlangsamte sein Tempo und betrachtete ihr zerzaustes blondes Haar. „Das hier ist ihr Rückzugsort. Was sie am wenigsten gebrauchen können sind Leute, die unerwartet hier auftauchen, um Geschäftliches zu besprechen.“
„Und das kommt natürlich so oft vor, dass man die gestressten Manager mit einer Armee von blonden Klonen davor beschützen muss?“
„Du wärst überrascht“, murmelte Pierre. Er verzichtete darauf, zu erwähnen, dass man ihr wahrscheinlich weniger feindselig begegnet wäre, würde sie nicht dieses in Managerkreisen durchaus als exzentrisch zu bezeichnende Outfit tragen: flache Wildlederstiefel mit Pelzrand, schwarze Woll-Leggings und einen schwarzer Poncho, unter dem etwas Rotes hervorblitzte. Der Himmel allein mochte wissen, worum es sich dabei handelte. Besaß diese Frau denn überhaupt keinen Sinn für Ästhetik? Oder wenigstens ein Kostüm?
Sie waren im Café angekommen, und Georgie blieb stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. „Ich glaube nicht, dass ich jemals so viel schwarzes Leder außerhalb eines Möbelgeschäfts gesehen habe.“ Georgie drehte sich um die eigene Achse. So sah also ein Café für Superreiche aus. Hier saß nur eine Handvoll Leute, und sie lasen alle Zeitung.
„Was trinkst du? Tee? Kaffee?“
„Tee. Bitte.“
„Ich muss dich warnen: Hier gibt es nur gesunde Getränke.“
Augenblicke später stand eine dampfende Tasse Tee vor ihr. Georgie rechnete damit, dass der Tee wie Spülwasser schmecken würde.
„Gut. Würdest du mir nun endlich den Grund deines Besuches nennen, Georgie? Was meintest du damit, meiner Mutter ginge es relativ gut? Ich habe wirklich nicht die geringste Lust, Ratespiele zu spielen, falls sie gesundheitliche Probleme hat.“ Pierre nippte an seinem Kaffee und schaute über den Rand der Tasse zu ihr hin.
Sie hatte den Poncho abgelegt. Jetzt konnte er auch erkennen, dass Rot nur eine der Farben auf dem Pullover war, den sie trug.
„Hat sich jemand mit einem Pinsel auf deinem Pullover ausgetobt?“, hörte er sich fragen.
Georgie sah mit einem strahlenden Grinsen an sich herab. „Ein Weihnachtsgeschenk von meiner Klasse. Entzückend, nicht wahr?“
„Ungewöhnlich.“ Er ließ ein Schnauben hören. „Du wolltest mir von meiner Mutter berichten.“
„Ja.“ Georgie nippte an dem Tee und konnte die Tasse prompt gar nicht schnell genug wieder absetzen.
Seltsam, aber es war tatsächlich das erste Mal, dass Pierre und sie wirklich allein waren. Bei den berüchtigten Festen, die Charlies Eltern früher so gern gefeiert hatten, waren immer Freunde und Verwandte um sie herum gewesen. Doch nach Charlies Tod hatte Didi das Interesse an Partys verloren.
Und jetzt fielen Georgie plötzlich Dinge an Pierre auf, die sie früher nicht wahrgenommen hatte. Natürlich war er genauso arrogant, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Dieser achtsame Blick … Ihm entging wirklich nichts, nicht einmal das kleinste Detail. Er machte sie nervös. Georgie musste sich bewusst zusammennehmen, um nicht an der Tasse oder ihren Haaren herumzuspielen.
Pierres Schweigen machte überdeutlich, dass er darauf wartete, dass sie endlich redete. Schweigen war wohl eine Taktik, die er dabei als durchaus nützlich erachtete.
„Seit ihrem Herzinfarkt ist Didi nicht mehr dieselbe.“
Pierre runzelte die Stirn. „Der Arzt sagte mir, dass sie sich vollständig erholt hat. Und dass er die Kapazität auf dem Gebiet ist, brauche ich ja wohl nicht zu betonen.“
„Ja, sie hat sich vollständig erholt …“
„Also was soll das Ganze dann? Worauf willst du hinaus?“ Er sah auf seine Armbanduhr. Zeit war wie immer ein knappes Gut für ihn. Er musste noch ein paar dringende E-Mails schreiben, sobald er zu Hause war, und außerdem traf er sich heute Abend mit Jennifer. Nach zwei Wochen war es ihnen endlich gelungen, ihre übervollen Terminkalender so abzustimmen, dass sie einen freien Abend zusammen hatten.
„Halte ich dich auf?“, fragte Georgie kühl.
„Hättest du mich vorher über deinen Besuch informiert, hätte ich mehr Zeit für dich einplanen können, Georgie. Ob du es glaubst oder nicht, ich bin ziemlich beschäftigt.“
„Hätte ich normalerweise ja auch, aber ich habe mich spontan entschieden.“
„Typisch.“
„Was soll das denn heißen?“
Pierre musterte sie – ihre wilde blonde Mähne, ihre großen grünen Augen, ihren bizarren Aufzug. „Ich weiß wirklich nicht, wie du es schaffst, einen normalen Job zu behalten, Georgie.“
„Und ich weiß wirklich nicht, wie du es schaffst, Spaß am Leben zu haben, Pierre.“
„Du tust es schon wieder! Du redest, ohne vorher nachzudenken.“
„Du hast doch auch keinerlei Hemmungen, deine Kommentare über mich abzugeben! Warum sollte ich dir also nicht den gleichen Gefallen erweisen?“ Sie spürte, wie ihre Nackenhärchen sich aufrichteten. Aber das war nichts Neues in seiner Gegenwart. „Ich bin vielleicht impulsiv. Aber das bedeutet doch nicht automatisch, dass ich kein Verantwortungsbewusstsein habe!“
Pierre verzog den Mund. „Was machen die Hühner?“
Sie funkelte ihn böse an. Ja, sie hielt Hühner. Vier Stück, um genau zu sein. Die Tiere pickten glücklich die Würmer aus ihrem Garten und lieferten die besten Eier, die man sich vorstellen konnte. Pierre hatte für solch lauschige Idylle natürlich kein Verständnis. Mit Sicherheit würde er jetzt auch ihren Gemüsegarten erwähnen. Denn Georgie zog alles selbst, von Möhren bis zu Buschbohnen. Pierre war zwar nur ein einziges Mal bei ihr zu Hause gewesen, um im Auftrag seiner Mutter etwas abzuholen. Doch das hatte offensichtlich ausgereicht: Er hielt Georgie für eine exzentrische junge Frau, die scheinbar den Sprung ins einundzwanzigste Jahrhundert verpasst hatte.
„Den Hühnern geht es prächtig, danke.“
„Und wie läuft’s sonst so mit der Selbstversorgung?“
„Du bist wirklich unmöglich!“
„Ich weiß. Das hast du mir schon gesagt.“ Pierre grinste. Zugeben, diese entrüstete Empörung stand ihr gut. Ganz rote Wangen und blitzende Augen.
„Es ist nur vernünftig“, stieß sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, „so natürlich wie möglich zu leben …“
„Oh bitte, erspar mir das! Die gleiche alte Leier habe ich mir jahrelang von meinen Eltern anhören müssen.“
„Es ist nichts verkehrt daran, sein eigenes Gemüse anzubauen, im Gegenteil. Wenn ich meine Karotten aus dem Boden ziehe, kann ich zumindest sicher sein, dass sie nicht in Kunstdünger ertränkt worden sind.“ Sie blickte sich voller Verachtung um. „Ich verstehe nicht, wie du das alles überhaupt aushältst, Pierre.“
„Was alles?“ Er sprach so leise, dass sie sich für eine Sekunde überlegte, ob sie das bevorstehende Gespräch nicht lieber abwenden sollte.
„All das hier. Dieser Club … diese Leute … dieses Leben … Ich meine, du bist auf einer Farm aufgewachsen!“
„Falsch! Ich bin in einem Internat aufgewachsen. Meine Ferien habe ich auf einer Farm verbracht. Die Zeit reichte aus, um mir klarzumachen, dass das die Art Leben ist, das ich nicht führen will. Aber du bist doch nicht hergekommen, um alte Geschichten aufzuwärmen, oder, Georgie? Du magst impulsiv sein, aber so impulsiv auch wieder nicht.“
„Nun, es ist mir etwas peinlich …“
Etwas peinlich. Diese betretene Miene, dieser beschämte Blick, ihre ganze Körpersprache … Das konnte nur eines bedeuten: Sie brauchte Geld. Und sie war nach London gekommen, um darum zu betteln. Allerdings schien sie vergessen zu haben, dass Bettler demütig auftreten sollten.
Eine demütige Georgie. Das wäre mal interessant. Pierre beschloss, sie eine Weile zappeln zu lassen. Er legte den Kopf leicht schief und musterte sie schweigend mit abwartendem Interesse.
„Ich meine …“
Er lehnte sich vor und runzelte auffordernd die Stirn. „Ja?“
Georgie seufzte schwer. „Der Tee ist grässlich. Hast du den schon mal probiert? Widerlich. Ob du mir wohl einen Kaffee besorgen könntest? Einen Milchkaffee vielleicht?“
Mit Verzögerungstaktik kannte Pierre sich aus, die erkannte er auf Meilen Entfernung. Er vergaß die wichtigen E-Mails und nickte. „Sicher.“
„Ich weiß, du hast es wahrscheinlich eilig …“
„Lass dir nur Zeit, Georgie.“ Er lächelte ihr zu und fragte sich, wie sie es ausdrücken würde. Georgie war stolz, so stolz, wie ein Mensch nur sein konnte. Es musste sich also um etwas sehr Wichtiges handeln, wenn sie zu ihm kam. „Ich hole dir deinen Milchkaffee. Möchtest du vielleicht etwas essen? Sie haben hier Vollkornmuffins, eine Obstbar und ein ansehnliches Nusssortiment. Sollte doch eigentlich genau auf deiner Wellenlänge liegen.“
„Nur weil ich einen Gemüsegarten bewirtschafte, heißt das nicht, dass ich Vollkornmuffins und Nüsse mag.“ Sie sah zu ihm, als er aufstand, sich zu voller Größe aufrichtete. Er war zugegebenermaßen eine beeindruckende Erscheinung, nicht nur wegen seiner Größe. Muskulöse Arme, ein perfekt geformter Körper, gebräunte Haut. Georgie konnte nicht sagen, dass ihr das bisher aufgefallen war. Andererseits: Sie hatte ja auch nie Zeit mit ihm allein verbracht. Erst recht nicht hier in London.
Augenblicke später kehrte er wieder zurück, einen Milchkaffee für sie in der Hand und ein Mineralwasser für sich selbst.
„Also …“ Die Ellbogen auf die Knie gestützt, die Hände locker verschränkt, lehnte er sich leicht vor. „Warum überspringst du die Nettigkeiten nicht und kommst zum Punkt, Georgie?“
„Ah.“
Pierre stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. Die E-Mails konnten vielleicht warten; das war es wert, zuzusehen, wie Georgie sich wand. Aber die Verabredung mit Jennifer nicht. Also beschloss er, die Dinge ein wenig voranzutreiben und Georgie aus ihrer misslichen Lage zu befreien.
„Du bist doch nicht den weiten Weg gereist, um mir Vorhaltungen wegen meines Lebensstils zu machen. Und da du mir bereits gesagt hast, dass es meiner Mutter gut geht …“
„Relativ.“
„Fein. Relativ also. Wäre es etwas Ernsteres, wüsste ich es inzwischen längst. Es bleibt also nur noch ein Grund übrig, weshalb du es auf dich nimmst, stundenlang unterwegs zu sein.“
„Und der wäre?“
„Geld.“ Pierre setzte sich zurück. „Es dreht sich immer alles um Geld. Also, wie hast du dich in Schwierigkeiten gebracht?“ Er stellte sich einige Szenarien vor. „Ich dachte eigentlich, mit einem Lehrergehalt würde es sich in Greengage Cottage doch recht gut leben lassen. Schließlich gibt es dort kaum Gelegenheit, etwas auszugeben.“
Seine Kritik lenkte Georgie für einen Moment ab. „Auf jeden Fall gibt es keine Fitnessclubs wie diesen hier. Das hier würde ich allerdings auch nicht als etwas ausgeben bezeichnen, sondern als Verschwendung. Wie auch immer, ich bin nicht hier, um …“
Er hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Um dich mit mir zu streiten. Das sagtest du bereits. Obwohl du dich anscheinend nicht zurückhalten kannst. Du hast diese rechthaberische Art an dir, Georgie. Und du brauchst dich auch gar nicht aufzuregen, nur weil ich die Wahrheit ausspreche. Du schaffst es nicht einmal, deine Zunge im Zaum zu halten, wenn du etwas von mir willst. Denn das ist es doch, nicht wahr? Du willst etwas von mir.“
In gewisser Hinsicht hatte er recht. Dennoch fragte sie sich, wie er es zustande gebracht hatte, ihr die Rolle des Bettlers zuzuweisen. Das war sie doch überhaupt nicht! Und jetzt grinste er auch noch selbstzufrieden!
Sie hätte nichts lieber getan, als ihm auf der Stelle genauestens auseinanderzusetzen, warum sie in aller Hektik in den nächstbesten Zug nach London gestiegen war. Aber sie musste sich inzwischen leider eingestehen, dass sich ihre Gründe in immer zweifelhafterem Licht präsentierten. Warum hatte sie ihn nicht einfach weiterreden lassen? Dann hätte sie sich in Ruhe überlegen können, wie sie argumentieren würde.
„Also schön: Raus mit der Sprache! Wie hast du dein Geld durchgebracht?“ Pierre hob fragend die Augenbrauen. Aus der Nähe konnte Georgie erkennen, dass die blauen Augen, die sie immer für so kalt wie Eis im Winter gehalten hatte, dunkler wurden, wenn er sich amüsierte – diesmal auf ihre Kosten. „Ein Anbau für mehr Tiere?“ Die Idee schien ihn zu faszinieren, er spann den Faden weiter. „Ein Luxus-Hühnerstall? Nein? Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass du es für Schmuck und Designerkleider auf den Kopf gehauen hast.“
Er musterte sie abschätzig von Kopf bis Fuß. Georgie funkelte ihn böse an. Sie kannte diesen Blick. Das hatte er schon immer gut gekonnt: dass sie sich klein fühlte, nur weil ihr Geschmack in Sachen Mode fast nie mit dem übereinstimmte, was die Designer diktierten. Und diesen Ausdruck in seinen blauen Augen, den hatte sie über all die Jahre als eine Art fassungslose Verachtung zu deuten gelernt.
Dabei fehlte diesem Mann nur jegliche Fantasie. Sie musste sich ja nur die Frauen in Erinnerung rufen, die er ab und zu mit zu seinen Eltern nach Hause gebracht hatte. Humorlose Intellektuelle, die endlos über Weltpolitik, Finanzwelt und das britische Rechtssystem referieren konnten, denen aber zu jedem anderen Thema absolut nichts einfiel.
„Designerkleider sind nicht besonders praktisch, wenn man mit Kindern arbeitet“, verteidigte sie sich dennoch.
„Habe ich das behauptet?“
„Das war gar nicht nötig.“
„Für Kleider hast du das Geld jedenfalls nicht ausgegeben. Offensichtlich siehst du keinen Sinn darin, feminine Kleidung zu tragen, das sagst du ja selbst …“
„Das habe ich nie gesagt!“
„Falls man dich nicht in langen Zigeunerröcken sieht, trägst du Jeans, Georgie. Manchmal halte ich es für durchaus denkbar, dass du bereits in bunten Stoffen zur Welt gekommen bist.“ Er grinste. „Nun, einen exzessiven Kaufrausch haben wir also ausgeschlossen. Hm, was bleibt dann noch?“ Mit einem Gefühl von Triumph beobachtete er, wie sie entrüstet nach Luft schnappte. Es war wohl schwer, auf Moral zu pochen, wenn die eigenen geheimen Gelüste ans Tageslicht gezerrt wurden.
„Amüsierst du dich gut, Pierre?“
Er lehnte sich genüsslich zurück. „Durchaus. Vor allem, wenn ich mich an all die endlosen Litaneien erinnere, in denen mir mein widerwärtiger Charakter, meine verheerende Obsession für Geld oder meine mangelnde Hingabe als Sohn vorgehalten wurde.“
Georgie lief rot an. Wenn man es so ausdrückte, erschien sie wirklich in einem wenig vorteilhaften Licht. Er beschrieb sie als moralinsaure Langweilerin. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, als welch unangenehme Gesellschaft er sie immer empfunden haben musste. In einer Welt, in der Geld und Status alles bedeuteten, war er der unangefochtene König. Man musste sich nur ansehen, mit wie viel Respekt und Ehrerbietung man ihm hier in diesem überteuerten Fitnessclub entgegentrat. Sie dagegen musste ihm immer wie ein lästiger Splitter unter der Haut gesessen haben. Saß sie ihm wahrscheinlich heute noch.
Sie fragte sich, ob es eine Möglichkeit gab, ihre Mission einfach aufzugeben und sich ohne Erklärung wieder nach Devonshire davonzumachen.
„Sag schon, wofür du das Geld brauchst, Georgina. Es hat Spaß gemacht, ein bisschen herumzuspekulieren, aber das Spiel ist jetzt zu Ende. Ich muss mich auf den Weg machen, und ich gehe davon aus, dass du ebenfalls zurückmusst.“
Eine Weile hatte er tatsächlich nicht an Jennifer gedacht, doch ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste. Und als er jetzt Georgie abwartend ansah, stellte er erstaunt fest, dass ihr scheinbar tatsächlich die Worte fehlten.
„Herrgott, Georgie, spuck’s endlich aus! Ich habe keine Zeit mehr für diese dummen Spielchen.“
„Ich will kein Geld von dir, Pierre, ich habe keine Schulden gemacht, weder Spielschulden noch andere. Ich bin hier, um dir zu sagen … dass …“ Ihr Kopf war plötzlich völlig leer; sie benetzte nervös die Lippen. „Du und ich … wir beide … Es ist so schwer, das auszusprechen, aber … wir sind …“
„Grundgütiger! Hör auf zu stammeln und sag schon. Was?“
„Verlobt. Zumindest so gut wie.“
„Wie bitte?!“
Bei Pierres Schrei drehten sich Köpfe in ihre Richtung. Georgie bezweifelte, dass in diesem eleganten Café oft gebrüllt wurde. Brüllten extrem reiche und einflussreiche Leute überhaupt? Wahrscheinlich nicht. Nun, dieser Mann hier tat es.
„Erklär mir das!“ Pierre lehnte sich vor. Ihre Nerven standen kurz vor dem Zerreißen.
Georgie räusperte sich und mühte sich redlich, ihm in die Augen zu sehen. „Es besteht kein Grund, sich derart aufzuregen …“
„Es besteht kein Grund, sich derart aufzuregen? Auf welchem Planeten lebst du eigentlich? Du kommst unaufgefordert nach London, störst mich in meinem Fitnessclub und teilst mir ohne mit der Wimper zu zucken mit, dass wir verlobt sind? Und da erwartest du von mir, dass ich mich nicht aufrege?“
„So gut wie. Nun, vielleicht sollte man es eher als Romanze bezeichnen …“
„Jetzt hast du endgültig den Verstand verloren. Du brauchst dringend Hilfe, Georgina! Oder Beruhigungspillen. Oder noch besser: Such den Psychiater auf, wenn du wieder zu Hause bist.“
Georgie blickte ihm fest in die Augen. „Ich weiß, wir hatten unsere Differenzen …“
„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!“
„Lass mich doch erst einmal ausreden.“
„Ich bin ganz Ohr.“
„Deine Mutter und ich stehen uns sehr nah, das weißt Du ja. Ich gehe eigentlich jeden Tag bei ihr vorbei, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“
„Und das ist es ja auch.“
„Relativ, ja.“
„Georgie, du stellst meine Geduld wirklich auf die Probe. Meine Mutter ist komplett wieder hergestellt, das hat mir ihr Arzt bestätigt. Und ob du’s glaubst oder nicht: Ich telefoniere regelmäßig mit ihr. Jede Woche.“
„Aber du besuchst sie nicht.“
„Lassen wir dieses Thema“, warf Pierre gepresst ein. „Das haben wir schon oft genug angesprochen.“ Langsam fiel es ihm immer schwerer, seinen Ärger unter Kontrolle zu halten.
Seine Eltern, Didi und Charlie Newman, stammten beide aus sehr stabilen finanziellen Verhältnissen. Und doch hatten sie das über Generationen angehäufte Familienvermögen verplempert: Sie hatten in eine Unzahl von spleenigen Projekten und Firmen investiert, die sang- und klanglos untergingen, sobald sein Vater ihnen sein Geld hatte zukommen lassen. Pierre hatte das alles mit ansehen müssen.
Didi und Charlie schien das nie besonders beunruhigt zu haben. Pierre jedoch schon.
Also hatte er schon in frühen Kindheitsjahren einen Entschluss gefasst: Er wollte nie ein solches Leben führen wie seine Eltern. Er würde Erfolg haben und ein Vermögen machen. Und er würde unerbittlich sicherstellen, dass ihm nie die Kontrolle über sein Leben entglitt.
An diesen Plan hatte er sich gehalten. Erst als sein Vater starb, kam das wahre Ausmaß der Schulden heraus. Pierre hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein nicht mehr zu schätzendes Vermögen angehäuft. Seine Disziplin war geradezu legendär. Pierre Newman galt als größtes Finanzgenie des Landes.
In Greengage Cottage interessierte das allerdings niemanden. Mit seiner Mutter unterhielt Pierre eine recht oberflächliche Beziehung. Er besuchte sie, wenn sein voller Terminkalender es ihm erlaubte, und erfüllte seine Pflichten als Sohn.
Aber hatte Didi ihm auch nur ein Mal zu seinem Erfolg gratuliert? Natürlich nicht. Nicht einmal, als er die Schulden seiner Eltern bis auf den letzten Penny beglichen hatte. Oder als er ihr das Cottage gekauft und ihr eine Summe zur Verfügung gestellt hatte, die sie bis an ihr Lebensende nicht ausgeben konnte.
Deshalb konnte er auch nicht glauben, was er da hörte. Eine Romanze mit dieser verrückten Blondine? Mit dieser unglaublich nervtötenden Frau, deren größtes Talent darin bestand, ihm das Fell gegen den Strich zu streichen?
„Ich werde mir diesen Unsinn nicht länger anhören.“
„Didi ist depressiv, Pierre.“
„Jeder macht mal eine depressive Phase durch“, knurrte er ungeduldig. „Deshalb muss man sich keine Sorgen machen.“
„Didi ist aber nicht der Typ, der in depressive Phasen verfällt.“ Georgie seufzte unmerklich. Der Himmel allein wusste, wie sie auf diese Idee verfallen war! Zu Hause war es ihr noch wie die perfekte Lösung erschienen. Doch jetzt, unter Pierres unnachgiebigem Blick, bekam die Idee eindeutig einen mehr als schalen Nachgeschmack. Ja, sie ließ sogar an Irrsinn denken. „Didi hat sich erholt, und ja, körperlich geht es ihr gut. Aber sie hat sich in den letzten Monaten verändert, Pierre. Sie hat mit allem aufgehört, was ihr sonst Spaß gemacht hat. Sie geht nicht mehr zum Bridge; das hat sie früher zweimal die Woche getan. Sie hat ihre Enten der Streichelfarm überlassen …“
Pierre runzelte die Stirn. „Das wurde höchste Zeit.“
„Sie hatte diese Tiere seit vier Jahren, Pierre!“ Georgie lehnte sich vor, um die Dringlichkeit ihrer Argumente zu unterstreichen. Allerdings war ihr gleichzeitig klar, dass sie kein bisschen weiterkam. „Ihre Wohltätigkeitsarbeit erledigt Didi noch. Aber ich habe sie jetzt schon öfter im Bett angetroffen, wenn ich morgens vor dem Unterricht bei ihr vorbeischaue …“
„Wann fängt die Schule an?“
„Um acht.“
Pierre lachte auf. „Hoffnungslos! Georgie, meine Mutter ist keine achtzehn mehr! Vielleicht hat sie schlicht das Gefühl, dass sie in ihrem Alter das Recht hat, auch mal länger zu schlafen.“
„Das ist aber völlig untypisch für sie.“
„Menschen ändern sich, wenn sie älter werden“, meinte Pierre knapp.
„Ich weiß, du hast wahrscheinlich viel zu tun, Pierre, aber ich bin extra hergekommen, um mit dir zu reden. Und ich gehe nicht eher, bis du mich angehört hast.“
„Möglicherweise irre ich mich ja, aber … habe ich da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden? Um ehrlich zu sein, ich habe schon genug gehört.“
„Wenn es nicht um deine Mutter ginge, wäre ich gar nicht hier. Meinst du etwa, ich lasse mich gern anschreien und beleidigen?“
Sie fragte sich, was sie wohl tun würde, wenn er jetzt einfach aufstand und ging. Sich in seinen Arm krallen und ihn festhalten? Sich an seine Knöchel klammern und sich über den Boden schleifen lassen? Man sollte doch meinen, dass er hören wollte, was sie zu sagen hatte. Andererseits … er hatte nie die gleiche Liebe und Bindung zu seiner Familie verspürt wie sie.
Georgies und Pierres Eltern waren Freunde gewesen. Als Georgies Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, hatten Didi und Charlie sie wie selbstverständlich unter ihre Fittiche genommen und das Mädchen praktisch adoptiert. Pierre hatte damals schon seinen steilen Weg nach oben begonnen. Georgie hatte die Lücke ausgefüllt, die er zurückließ. Natürlich liebten Didi und Charlie ihren Sohn deshalb keineswegs weniger. Aber er war ja nie da.
Falls er etwas dagegen gehabt hatte, so hatte er es auf jeden Fall nie gezeigt. Bei seinen wenigen Besuchen hatte er Georgie gegenüber immer diese herablassende Freundlichkeit an den Tag gelegt. Sie sollte ihr wohl deutlich klarmachen, dass sie einfach nicht zu den Kreisen gehörte, in denen er sich üblicherweise bewegte.
Pierre erhob sich jetzt kopfschüttelnd, und Georgie sah sich schon an seinem Bein hängen. Doch er sagte nur knapp: „Ich habe heute Abend noch etwas vor. Wenn du mir etwas zu sagen hast, musst du also mit in meine Wohnung kommen. Du kannst reden, während ich mich umziehe. Und glaub mir, Georgina – ich tue das nur, um ein Mindestmaß an Höflichkeit zu wahren. Mehr kann ich dir nicht anbieten.“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern steuerte auf den Ausgang zu. Georgie tappte frustriert hinter ihm her.
Normalerweise ließ Pierre sich von seinem Chauffeur zum Club bringen, heute jedoch war er selbst gefahren. Der glänzende schwarze Bentley stand auf dem Parkplatz des Clubs. Georgie widerstand der Versuchung, einen launigen Kommentar über das süße Leben der oberen Zehntausend abzugeben. Sie war sich ziemlich sicher, dass jede noch so witzige Bemerkung nur als Rohrkrepierer enden konnte.
Es schien ihr aber auch nicht angebracht, über ernste Themen zu reden, während Pierre sich auf den Londoner Verkehr konzentrierte. Eigentlich schien ihr Reden überhaupt nicht angebracht, und so begnügte sie sich damit, aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Straßen der Stadt zu sehen.
Ab und zu warf sie einen Seitenblick auf ihn, und dann begann ihr Puls schneller zu pochen. Sein perfektes Profil wirkte grimmig und verschlossen. Kein Wunder, dass alle Leute in seiner Gegenwart spurten. Wahrscheinlich hatte er an der Uni neben Wirtschaft, Recht und Politik auch ein Seminar belegt, in dem man ihn gelehrt hatte, anderen Menschen Angst einzuflößen.
Sein Haus lag in Chelsea. Georgie wusste nicht viel über London. Aber sie erkannte dennoch sofort, dass die Häuser hier horrende Summen kosten mussten. Hohe viktorianische Bauten aus rotem Ziegelstein reihten sich um einen äußerst gepflegten Platz herum. Alle zeigten identische gepflegte Fassaden. Stufen führten zur Haustür hinauf, und schwarze schmiedeeiserne Zäune umgaben die Grundstücke. Obwohl sie sich im Herzen des schnelllebigen London befanden, herrschte hier die erlesene Atmosphäre von Ruhe und Abgeschiedenheit.
Aber vielleicht lag das ja auch nur an den Nobelkarossen, die vor den Häusern parkten.
„Es ist hübsch hier, Pierre.“ Georgie musste einfach etwas sagen. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich jetzt schon viel zu lange. „Sehr still. Wohnt eigentlich jemand in diesen Häusern? Ich meine, ich kann Licht sehen, und da parken diese Autos, aber … wo sind denn alle?“
Sie lachte nervös, während Pierre die Haustür aufschloss.
„Wir sind hier nicht in einem kleinen Dorf in Devonshire, Georgie.“ Pierre drehte sich kurz zu ihr um. „Hier verschwenden die Nachbarn nicht ihre Zeit damit, sich den neuesten Klatsch über den Gartenzaun zu erzählen.“
„Du wärst überrascht, was man beim Klatsch über den Gartenzaun alles herausfindet.“
„Tatsächlich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass mich das interessieren würde.“
„Nein, wahrscheinlich nicht. Die wenigsten Leute plaudern da über die Börse oder die neuesten Firmenübernahmen.“ Das letzte Mal, als Georgie eine von Pierres Freundinnen kennengelernt hatte, war sie einem ausführlichen und einschläfernden Bericht über die Wunder der New Yorker Börse unterworfen worden. Die Frau hatte wohl drei Jahre an der Wall Street gearbeitet, um dann in London die Geschicke einer Investmentbank zu lenken. Georgie erinnerte sich nur noch daran, dass sie häufig genickt und ansonsten verzweifelt darum gekämpft hatte, die Lider offen zu halten.
„Ganz sicher nicht“, bestätigte er kalt und ging ihr voraus in die Diele. „Warum alte Muster durchbrechen, wenn es doch so viel einfacher ist, den Tag mit nutzlosem Gerede über die anderen und den Ackerbau zu verbringen, nicht wahr?“
„Warum musst du eigentlich so arrogant sein, Pierre?“
Er warf die Schlüssel auf das kleine Tischchen und ignorierte die Frage. „Schließ die Tür, Georgie. Es bleibt gerade noch genug Zeit, dir einen Espresso oder einen Milchkaffee anzubieten. Oder willst du lieber etwas Stärkeres? Dann muss ich mich umziehen.“ Mit gerunzelter Stirn sah er über die Schulter zu ihr zurück. „Wo verbringst du die Nacht?“
Georgie war damit beschäftigt, sich umzusehen – oder zumindest das in sich aufzunehmen, was sie sehen konnte. Es war nämlich so ganz und gar nicht das, was sie erwartet hatte. Sie hatte sich etwas Kühles und Minimalistisches vorgestellt, wie der Mann selbst. Doch das Innere des Hauses wirkte erstaunlich gemütlich. Im Flur herrschten warme, kräftige Erdfarben, Blau und Creme vor. An den Wänden hingen Bilder mit Landschaftsszenen. Das Geländer der Treppe, die in den ersten Stock führte, war aus schimmernder Eiche.
„Nun?“, hakte er nach, und nur zögernd lenkte sie ihre neugierig wandernden Augen zurück zu ihm.
„Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass ich viel früher in London ankomme. Mit den endlosen Verspätungen habe ich einfach nicht gerechnet. Vielleicht könntest du mir einen Tipp geben, wo ich eine saubere und billige Pension finde? Falls du so etwas überhaupt kennst.“
Pierre lehnte am Türrahmen und schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihr hinüber, sagte aber nichts. Er drehte sich nur um und ging in das Zimmer hinein, sodass Georgie sich beflissen fühlte, ihm zu folgen. Allerdings langsam, denn sie hatte nicht vor, sich bei ihrer Hausinspektion auch nur das Geringste entgehen zu lassen.
Von der Diele gingen zwei Räume ab. In dem einen konnte sie helle Cremetöne ausmachen, der andere schien ein Arbeitszimmer zu sein, ausgestattet mit allem verfügbaren technischen Schnickschnack des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Die Wände allerdings waren mit Bücherregalen zugestellt, und der kostbare große Orientteppich, der fast den gesamten Boden bedeckte, verlieh dem Zimmer eine anheimelnde Atmosphäre.
„Lass dir ruhig Zeit!“
Pierres Stimme unterbrach ihre Besichtigung. Verlegen schaute sie auf und fand ihn ungeduldig wartend in der Tür stehen.
„Tut mir leid.“
„Wirklich? Es fällt mir schwer, das zu glauben.“ Dieses Mal wartete er auf sie. Er trat beiseite, damit sie die drei flachen Stufen in den Essbereich hinuntersteigen konnte, hinter dem eine geräumige offene Küche lag. „Dir wird aufgefallen sein, dass ich bisher nichts zu dem Unsinn gesagt habe, den du bisher von dir gegeben hast.“ Er drehte sich zu ihr um. „Ich wollte dir Zeit lassen, damit du dir noch einmal überlegen kannst, was für eine hirnrissige Vorstellung das ist. Auch möchte ich auf gar keinen Fall, dass du dir irgendwie einbildest, ich könnte so etwas auch nur im Entferntesten in Betracht ziehen. Wenn jedoch meine Mutter“, er schaltete die edle Espressomaschine ein, „sich untypisch verhält, wie du sagst, dann will ich das wissen. Auch wenn ich das vielleicht anders sehe. Und daher“, er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich, „bin ich bereit, dir zuzuhören. Deine Zeit läuft.“
„Du meinst jetzt, sofort?“
„Du hast es erfasst.“ Pierre verschränkte die Arme vor der Brust und wandte Georgie seine volle Aufmerksamkeit zu.
„So hatte ich mir das nicht vorgestellt.“ Pierre schien vergessen zu haben, dass er ihr etwas zu trinken angeboten hatte. Georgie öffnete den Mund, um ihn zu fragen, wie die Espressomaschine funktionierte. Doch stattdessen hörte sie sich fragen, ob sie ein Glas Wein haben könnte.
Pierre riss überrascht die Augenbrauen hoch. „Musst du dir Mut antrinken?“
„Was erwartest du denn? Man kann nicht behaupten, du hättest mich besonders herzlich empfangen.“
„Was genau hast du erwartet?“ Er erhob sich und ging zum Kühlschrank, nahm eine offene Flasche Chablis heraus und goss zwei Gläser ein. „Dass ich vor Begeisterung über deine hirnverbrannte Idee auf dem Tisch tanze?“
„Nun, mich ausreden zu lassen wäre ein guter Anfang.“ Der Wein war kalt und köstlich, und Georgie genoss den ersten Schluck, bevor sie wieder zu Pierre blickte.
„Jetzt lasse ich dich ausreden. Du sagst, meine Mutter sei nicht sie selbst. Warum lässt du mich das nicht entscheiden?“
„Du meinst, du wirst sie besuchen?“
„Ich meine, ich rufe sie an und frage sie, was los ist.“
„Sicher. Und sie wird dir am Telefon ihr Herz ausschütten!“
„Warum nicht?“
„Weil das mit Menschen so nicht funktioniert, Pierre! Erst recht nicht mit deiner Mutter. Du weißt selbst, wie stolz sie ist. Und auch …“
„Ja?“
„Du beeindruckst sie eben sehr.“
Pierre musterte sie aus schmalen Augen. Du beeindruckst sie eben sehr? Das war ein Vorwurf, nur hauchdünn als Kompliment kaschiert. Und hieß so viel wie: Du schüchterst sie ein. Er nahm einen großen Schluck von seinem Wein. „Erkläre mir das genauer.“
„Ich meine, sie will nicht, dass du sie für schwach hältst. Das wäre ihr unangenehm.“
„Dieses Gespräch führt zu nichts. Ich muss mich umziehen.“
Hastig trank Georgie ihren Wein aus. Sie war entschlossen, das zu sagen, weshalb sie die stundenlange Reise auf sich genommen hatte, auch wenn Pierre darauf beharrte, sich hochgradig unkooperativ zu zeigen. Sie folgte ihm, ohne dass er ihre Anwesenheit durch irgendeine Geste anerkannt hätte. Doch als er in sein Schlafzimmer ging und sie an der Tür stehen blieb, sagte er, ohne sich umzudrehen: „Weiter gehst du nicht, Georgie?“
Sie öffnete den Mund und schnappte hilflos nach Luft wie ein Goldfisch auf dem Trockenen, als er sich das Sweatshirt über den Kopf zog. Noch immer hatte er sich nicht zu ihr umgedreht, und so starrte sie mit wachsender Faszination auf seine Gestalt. Rein physisch gesehen war er ein perfekter Vertreter seiner Art. Seine Haut schimmerte goldbraun. Das war das Erbe seiner Mutter.
Als er sich dann endlich umdrehte, trafen ihre Blicke aufeinander. Mit hochroten Wangen wandte Georgie hastig den Kopf ab. Das Rot verdunkelte sich noch, als sie aus den Augenwinkeln erhaschte, wie er die Daumen in den Bund der Trainingshose steckte.
„Du kannst gern zusehen, wenn du willst“, sagte er und entlockte ihr damit einen erstickten Laut, den sie immerhin zu einem verständlichen Satz formte.
„Vielleicht soll ich warten, bis du dich geduscht hast …“
„Wie du möchtest. Aber ich bin praktisch auf dem Sprung. Wenn du mich nicht zu meiner Verabredung begleiten willst, schlage ich vor, du sagst jetzt, was du noch sagen willst.“
„Ich … ich will dich nicht in Verlegenheit bringen …“
„Du meinst, du willst dich nicht in Verlegenheit bringen.“ Pierre lachte und streifte die Hose von den Beinen. „Glaub mir, so leicht bringt man mich nicht in Verlegenheit. Schon gar nicht, wenn ich mich vor einer Frau ausziehe. Das sind die Vorteile, wenn man in einem Internat aufwächst: Man verliert ziemlich schnell jegliche Hemmungen davor, nackt zu sein.“
Trotzdem kam es Georgie so vor, als würde er sie mit voller Absicht provozieren. Sie hielt das Gesicht krampfhaft abgewandt. Ihre Hände ballte sie seitlich zu Fäusten.
Pierre stellte sich unter die Dusche und drehte das Wasser auf. Die Badezimmertür ließ er offen. Eigentlich ging er davon aus, dass Georgie sich davonmachen würde, sobald er ihr den Rücken zudrehte, doch zu seiner Überraschung musste er feststellen, dass sie sich den Schemel herangeholt hatte und nun in der Tür saß. Zwar konnte sie nicht sehen, was er tat, doch sie konnte ihn hören.
Ihre Reaktion amüsierte und erstaunte ihn zugleich. Die Frau war Mitte zwanzig! Zum ersten Mal fragte er sich, welche sexuellen Erfahrungen sie wohl gemacht hatte. Falls sie überhaupt welche gemacht hatte. Pierre musste zugeben: Auf ihre ganz eigene Art war sie an und für sich recht ansehnlich. Im Dorf gab es doch bestimmt den einen oder anderen Junggesellen. Vielleicht war ja ein Lehrerkollege auf der Suche nach der passenden Ehefrau …
„Vor ein paar Tagen hatte ich eine Unterhaltung mit deiner Mutter.“ Georgie musste fast schreien, um das Rauschen des Wassers zu übertönen. „Ich habe mich nach ihrem Bridgeclub erkundigt. Und da hat sie es endlich zugegeben.“
„Was zugegeben?“ Pierre drehte das Wasser ab und trat aus der Dusche. Er wickelte sich ein Handtuch um die Hüften und ging ans Waschbecken, um sich zu rasieren.
Jetzt konnte sie ihn sehen. Oder zumindest seinen Rücken. Und als er dann in den Spiegel sah, konnte sie ihm auch in die Augen blicken.
„Seit ihrem Herzinfarkt ist sie depressiv. Es hat damit angefangen, dass sie eigentlich an nichts mehr richtiges Interesse hatte. Dann stellte sie fest, dass sie nicht mal mehr Lust hatte, aufzustehen. Sie hat gesagt, dass sie manchmal bis mittags im Bett liegen bleibt und nur aufsteht, weil sie weiß, dass ich nach der Schule bei ihr vorbeischaue.“
„Davon hat sie mir gegenüber nie etwas erwähnt.“ Pierre suchte im Spiegel ihren Blick. „Nein, sag’s nicht … Weil ich sie einschüchtere?“ Er regte sich nicht, aber er spürte, dass ein Muskel in seiner Wange zuckte.
„Natürlich schüchterst du sie nicht ein!“ Georgie fragte sich, ob ihre Stimme sich nicht vielleicht brüchig anhörte. Didi würde sich niemals hinter Pierres Rücken über ihren Sohn beschweren, aber es war so leicht, zwischen den Zeilen zu lesen.
Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn war nicht besonders herzlich. Mit den Jahren hatte Didi sich allein die Schuld dafür gegeben, sehr zu Georgies Entsetzen. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie Pierre auf ein Internat geschickt hatte. Dabei war das Familientradition – auch Charlie war auf einem Internat gewesen, vor ihm sein Vater und davor sein Großvater. Außerdem machte Didi sich Vorwürfe, weil sie Pierre nicht das geboten hatte, was er sich wünschte und brauchte. Stattdessen hatten Charlie und sie ein exzentrisches Leben geführt. Das war für sie zwar erfüllend gewesen, hatte ihren Sohn schockiert und abgestoßen.
Heute war Didi geradezu übertrieben stolz auf Pierre. Doch jedes Mal, wenn er zu Besuch kam, tänzelte sie vorsichtig wie auf Eierschalen um ihn herum. Und das wiederum schreckte ihn so sehr ab, dass er immer seltener nach Hause kam. Das glaubte Didi zumindest.
Dann war da noch die Sache mit den Frauen, die er mit nach Hause brachte …
„Allerdings“, meinte Georgie anfügen zu müssen, „kannst du manchmal wirklich einschüchternd sein.“
Pierre legte den Rasierer unverrichteter Dinge wieder hin. Er ging zur Tür und stellte sich mit verschränkten Armen vor Georgie hin.
„Soll heißen?“
„Du hast eine schroffe Art, mit Leuten umzugehen.“
„Ich bin kein Träumer, wenn du das meinst. Ich weiß, meiner Mutter wäre es lieber gewesen, wenn ich irgendwo in Devonshire einen Bioladen eröffnet hätte, aber das wird nicht passieren. Daran wird sie sich gewöhnen müssen.“
„Sei nicht albern.“ Georgies Augen hafteten auf seinem Bauch, der sehr flach und sehr muskulös war. Das Handtuch hing viel zu tief auf seinen Hüften für ihren Seelenfrieden. Sie riss den Blick los. „Aber sie wird älter. Ich glaube … nein, ich weiß, dass die Depression damit zusammenhängt, weil sie glaubt, dich verloren zu haben. An London und die Hochfinanz.“
„London und die Hochfinanz haben es möglich gemacht, dass ich die Schulden meines Vaters tilgen und meiner Mutter einen sicheren Lebensabend garantieren konnte.“
„Ich weiß. Aber …“
„Aber was?“
„Didi steckt in einer Depression“, antwortete Georgie tonlos. „Ich habe vor ein paar Tagen mit Dr. Thompson gesprochen. Er war ziemlich offen zu mir. Er meinte, sie sei in einem Alter, in dem sie sich wortwörtlich mit ihren Gedanken ins Grab bringen könnte. Das scheint häufiger zu passieren, wenn ein Ehepartner nach dem Tode des anderen allein zurückbleibt. Dann setzen Depressionen ein, die mit der Zeit jeden Lebenswillen zerstören. Er ist dagegen, Didi Antidepressiva zu verschreiben, weil die Nebenwirkungen ebenso schlimm sind wie die Depression selbst. Außerdem weigert Didi sich, solche Pillen einzunehmen.“ Jetzt hatte sie Pierres volle Aufmerksamkeit. Auf dem Weg zu dem Sessel am Fenster fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. Er setzte sich und sah unentwegt zu ihr hin.
„Er hat mir auch gesagt, das beste Lebenselixier für sie sei etwas, worauf sie sich freuen könne. Etwas, das ihrem Leben wieder Sinn geben würde …“
„Sie kann alles haben, was sie sich wünscht“, fiel Pierre ihr schroff ins Wort. „Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass Geld keine Rolle spielt! Sie braucht nur ein Wort zu sagen. Eine Kreuzfahrt, zum Beispiel. Das wäre doch eine nette Abwechslung.“
„Didi? Auf einer Kreuzfahrt?“
„Nun, vielleicht keine Kreuzfahrt“, berichtigte Pierre sich schnell. Für seine unorthodoxe Mutter wäre so etwas wohl eher eine Strafe.
„Was Didi sich wünscht, kann nicht mit Geld gekauft werden. Ich habe es ihr nur Stückchen für Stückchen entlocken können. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass du glücklich bist und dass ihr beide euch irgendwie wieder näherkommt …“
„An unserer Beziehung ist nichts falsch.“ Er erhob sich abrupt und ging zum Schrank, riss die Tür auf. Die Aussicht auf ein exquisites französisches Dinner mit Jennifer hatte seinen Reiz verloren. Vor knapp drei Stunden war sein Leben noch ruhig und wohlgeordnet gewesen. Inzwischen sah das schon ganz anders aus.
„Das habe ich auch nicht behauptet“, beeilte sich Georgie zu sagen. „Ich versuche nur, dir zu erklären, warum ich gekommen bin. Deine Mutter wünscht sich, dass du zur Ruhe kommst und eine Familie gründest. Irgendwie fühlt sie sich verantwortlich dafür, dass du nie geheiratet hast. Sie hat das Gefühl, sie hat dir nie genug Stabilität gegeben.“
„Das ist doch alles vollkommener Blödsinn.“ Er zog Boxershorts und eine schwarze Hose aus dem Schrank und stieg hinein. „Ich glaube nicht an dieses ganze Psycho-Geschwätz. Wahrscheinlich hast du sie dazu gebracht, sich zu öffnen und sich mitzuteilen, was?“ Er bedachte sie mit einem eisigen Blick. „Du kannst vielleicht kleinen Kindern beibringen, wie man mit Fingerfarben herumschmiert und Zahlen addiert, aber das qualifiziert dich nicht dafür, das Leben anderer Menschen zu analysieren!“
„Das weiß ich.“
„Wie konntest du meine Mutter dann dazu animieren, sich selbst zu analysieren? Als ich letzte Woche mit ihr telefoniert habe, war noch alles in Ordnung mit ihr.“
„Das war es nicht. Mit ihr ist schon eine ganze Weile nichts mehr in Ordnung.“
„Und du hattest natürlich nichts Besseres zu tun, als sie mit deinen küchenpsychologischen Erkenntnissen zu ‚retten‘? Und ihr weiszumachen, dass sie sich keine Sorgen mehr um ihren verlorenen Sohn machen muss, weil er ja jetzt mit dir zusammen ist? Dass ich bereits ein sehr ausgewogenes Gefühlsleben besitze, war dabei natürlich ohne Belang für dich. Falls du es vergessen haben solltest … Didi hat einige von meinen Freundinnen kennengelernt.“
„Hmm.“
„Hmm? Was genau heißt ‚hmm‘?“ Er nahm ein Hemd vom Bügel und zog es über.
„Nichts.“
„Komm schon, Georgie. Bisher hast du auch alles gesagt, was dir in den Sinn kam. Klebt dir die Zunge plötzlich am Gaumen fest?“
Sie hatte tatsächlich das Gefühl, als wäre ihr Mund voller Watte. Ihr Verstand weigerte sich ebenfalls, einen klaren Gedanken zu formulieren.
Er sah einfach verboten gut aus. Er hatte sich nicht gekämmt, war nur mit den Fingern durchs Haar gefahren. Dieser wilde Piratenlook stand in krassem Gegensatz zu seiner formellen Garderobe.
Als Teenager hatte Georgie Pierre angehimmelt, aber so etwas machte doch eigentlich jedes junge Mädchen durch, nicht wahr? Mit zunehmendem Alter war sie diesen Hirngespinsten glücklicherweise entwachsen.
Im Moment jedoch erinnerte das Prickeln, das sie durchlief, auf beunruhigende Art und Weise an ihre Schwärmerei von damals. Georgie riss sich zusammen und rief sich in Erinnerung, wer er war und wie unsympathisch sie ihn fand. Von ganzem Herzen.
„Also gut. Mit ‚hmm‘ sind deine Freundinnen gemeint. Sie sind nicht gerade … gesellig.“
„Ich hatte damit noch nie ein Problem.“
„Weil du gern über Welt- und Finanzpolitik diskutierst.“
„Oh, du meinst das langweilige Zeug, das die ganze Welt in Bewegung hält?“
Georgie holte tief Luft und preschte voran. „Ich meine, dass deine Mutter es immer schwer gefunden hat, mit deinen Freundinnen warm zu werden.“
„Mir scheint es doch etwas weit hergeholt, dass Didi depressiv geworden ist, weil sie mit meinen Freundinnen nicht warm wurde. Apropos Freundinnen …“ Er sah auf seine Armbanduhr. Mit sinkendem Mut wurde Georgie klar, dass sie sich diese Reise genauso gut hätte sparen können. Was sie nun vor eine unangenehme Aufgabe stellte: Sie musste Didi vorsichtig beibringen, dass die sowieso eher unwahrscheinliche Romanze zwischen Georgie und Pierre zu Ende war. Sie könnte natürlich auch mit dem Schwindel weitermachen. Aber ohne, dass die zweite Hauptrolle besetzt war, erschien ihr das wenig schmackhaft.
Pierre ließ sich die Gelegenheit natürlich nicht entgehen. Er stellte nur allzu deutlich heraus, dass das kleine Szenario, das sie sich zurechtgeschustert hatte, einer bewussten Täuschung gleichkam.
„Du weißt, was man über Lügen und kurze Beine sagt“, rundete er das Ganze ab, schlüpfte in sein Jackett und verließ das Zimmer.
„Ich wusste nicht, was ich tun sollte!“ Sie zerrte tatsächlich an seinem Ärmel! Entsetzt zog sie die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Immerhin erreichte sie damit, dass er sich zu ihr umdrehte.
„Eines muss man dir lassen, Georgie: Du bist wirklich hartnäckig. Hättest du diese Energie auf etwas so Langweiliges wie die Weltpolitik gelenkt, wer weiß, wie weit du gekommen wärst.“ Natürlich würde er es niemals zugeben, aber die Bemerkung über seine Freundinnen hatte einen Nerv getroffen. Er glaubte unbesehen, dass seine Mutter die Frauen schwierig fand, die er mit nach Hause brachte – wenn er sie mit nach Hause brachte. Wie Georgie nahm auch Didi jeden Tag, wie er eben kam. Vollkommen unbeschwert. Ernste Themen wurden geflissentlich umgangen.
Pierre setzte sich wieder in Bewegung und lief locker die Treppe hinunter. „Und wie hättest du unsere Romanze schließlich beendet?“
„Wer weiß.“ Georgie zuckte mit den Schultern und lächelte zaghaft. „Vielleicht hätte ich dich irgendwo hingeschickt. Als Forscher? Oder möglicherweise als Missionar? Ich hätte ein ganz neues Leben für dich erfinden können! Vielleicht wäre etwas völlig anderes aus dir geworden als nur eine Geldpresse. Das hätte dich dann auch von der Pflicht entbunden, deine Mutter jemals wieder zu besuchen!“
Pierre blieb abrupt stehen und drehte sich mit versteinerter Miene zu ihr um. „Vorsicht, Georgina! Aufgrund unserer gemeinsamen Vergangenheit kannst du dir einige Freiheiten erlauben, aber auch für dich gibt es Grenzen. Unüberlegte Kommentare über Dinge abzugeben, von denen du keine Ahnung hast, das akzeptiere ich nicht. Ich besuche meine Mutter gern. Und wenn wir uns nicht so oft sehen können, wie wir beide es gern hätten, dann liegt es an dem Leben, das ich mir aufgebaut habe. Ein Unternehmen leitet sich nun mal nicht von allein.“ Er musterte Georgie kühl. „Und bevor du glaubst, mich noch einmal als Geldpresse bezeichnen zu dürfen, möchte ich dich daran erinnern, wer das Familienvermögen durchgebracht hat. Und ich möchte dich ebenso daran erinnern, wer die Schulden bezahlt hat, die Charlie durch seinen unbeschwerten und lässigen Lebensstil hat auflaufen lassen.“
Georgie ließ die Schultern hängen. „Er war glücklich! Sie beide waren glücklich!“
„Das weiß ich, Georgie“, seufzte Pierre. „Hör zu, ich muss jetzt wirklich gehen. Du bleibst heute Nacht besser hier. Inzwischen ist es zu spät, um noch zurückzufahren. Ich möchte nicht, dass du auf der Suche nach einer billigen Pension ziellos durch die Straßen läufst. Such dir eines der Gästezimmern oben aus. Im Kühlschrank ist genug zu essen. Handtücher sind im Schrank auf dem Flur, der Fernseher steht im Wohnzimmer. Mach es dir bequem.“
„Mit wem gehst du aus?“
Leicht amüsiert zog Pierre eine Augenbraue hoch. „Wenn ich dir sage, dass sie Jennifer Street heißt und als Steueranwältin für ein großes Unternehmen arbeitet – wirst du diese Information dann zu einem späteren Zeitpunkt gegen mich verwenden?“
Georgie grinste zögernd. „Möglich.“
„In diesem Falle behaupte ich wohl besser, dass sie Candy heißt und als Stripperin in einem Nachtclub auftritt.“
„Das ist viel zu dick aufgetragen, Pierre. Das nimmt dir niemand ab.“
„Weil ich nichts anderes kann, als Geld zu scheffeln? Und die Frauen, mit denen ich mich verabrede, ebenfalls Geld verdienen? Wir reden nicht nur über Weltpolitik, Georgie“, sagte er leise, „wir haben auch Spaß miteinander.“
Das Bild, wie Pierre mit seiner Steueranwältin nicht über Politik diskutierte, sondern Spaß hatte, raubte Georgie für mehrere Sekunden den Atem. Sie traf auf seinen Blick, sah das Lächeln um seine Mundwinkel, und seine raue Sinnlichkeit versetzte ihr einen Schlag, wie sie es nie zuvor empfunden hatte.
„Ich bitte dich nur darum, dir meinen Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen, Pierre …“ Georgie bemühte sich, ihre streunenden Gedanken wieder an die Leine zu legen. Sie musste unbedingt schnell zurück auf sicheres Terrain. Ihre Stimme klang viel zu laut und viel zu schrill. Leiser, Georgie. „Ich mache mir echte Sorgen um deine Mutter. Ich würde alles tun, um sie aus diesem Tal herauszuholen. Selbst wenn eine Täuschung dafür nötig ist.“ Sie dachte an die elegante Steueranwältin, mit der er erst Spaß hatte, um dann zu tief schürfenden Gesprächen über die Börse zurückzukehren. „Ich bin nicht dein Typ … ebenso wenig wie du mein Typ bist. Aber deine Mutter wäre glücklich. Und vielleicht ist das alles, was nötig ist, damit sie ihr Leben wieder genießt.“