7,99 €
Ein Juwelendiebstahl, ein Hollywood-Drama und ein (beinahe) filmreifer Tod
Nach Amerika führt der neue Cosy-Krimi von New-York-Times-Bestsellerautorin Rhys Bowen
England, 1934. Lady Georgies Mutter hört wieder einmal Hochzeitsglocken. Alles scheint perfekt im Leben der schönen Schauspielerin, wäre da nicht ihr letzter Ehemann, von dem sie sich zuerst scheiden lassen muss. Deshalb reist sie zusammen mit Georgie kurzerhand nach Amerika, um einen Strich unter ihre vorherige Ehe zu setzen. Kaum angekommen, wird die schillernde Schauspielerin von Filmmogul Cy Goldman entdeckt und für seinen nächsten Film gecastet.
Währenddessen gerät Georgie in die geheime Untersuchung eines mutmaßlichen Juwelendiebstahls. Aber zu ihrem Glück ist der leitende Ermittler zufällig ihr Verehrer Darcy! Ein Hinweis führt die beiden direkt zu Cys Villa, wo sie nicht nur Bekanntschaft mit Charlie Chaplin machen, sondern auch ein hollywoodreifes Drama auf sie wartet. Denn die Tragödie scheint gerade erst zu beginnen, als Cys Leiche gefunden wird …
Weitere Titel dieser Reihe
Die königliche Spionin (ISBN: 9783960878117)
Adel verpflichtet ... zum Mord (ISBN: 9783960878124)
Königliche Verschwörung (ISBN: 9783960878131)
Adel unter Verdacht (ISBN: 9783960878148)
Ein königliches Geheimnis (ISBN: 9783960878155)
Dem Adel auf der Spur (ISBN: 9783960879220)
Ein königlicher Todesfall (ISBN: 9783960879237)
Ein Prinz auf Abwegen (ISBN: 9783960879251)
Zur Krönung: Mord (ISBN: 9783960879268)
Rache Royal (ISBN: 9783960879275)
Zur Hochzeit ein Mord (ISBN: 9783960879282)
Mord in der High Society (ISBN: 9783960879299)
Ein mörderisches Erbe (ISBN: 9783986372200)
Ein Mord unter Gentlemen (ISBN: 9783986376369)
Mörderische Mission (ISBN: 9783987782848)
Erste Leserstimmen
„Lady Georgie und ihre skurrilen Fälle wickeln mich jedes Mal wieder um den Finger.“
„Endlich ein neuer Roman von Rhys Bowen. Lady Georgie ist meine absolute Lieblingsermittlerin!“
„die schillernde Welt Hollywoods trifft auf britischen Charme"
„Ein toller Cosy Krimi, der mich von der erste Seite an nicht mehr losgelassen hat.“
„Auch dieses Mal überzeugt Rhys Bowen mit ihrem Schreibstil und ihrer humorvollen Art auf ganzer Linie!“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 481
England, 1934. Lady Georgies Mutter hört wieder einmal Hochzeitsglocken. Alles scheint perfekt im Leben der schönen Schauspielerin, wäre da nicht ihr letzter Ehemann, von dem sie sich zuerst scheiden lassen muss. Deshalb reist sie zusammen mit Georgie kurzerhand nach Amerika, um einen Strich unter ihre vorherige Ehe zu setzen. Kaum angekommen, wird die schillernde Schauspielerin von Filmmogul Cy Goldman entdeckt und für seinen nächsten Film gecastet.
Währenddessen gerät Georgie in die geheime Untersuchung eines mutmaßlichen Juwelendiebstahls. Aber zu ihrem Glück ist der leitende Ermittler zufällig ihr Verehrer Darcy! Ein Hinweis führt die beiden direkt zu Cys Villa, wo sie nicht nur Bekanntschaft mit Charlie Chaplin machen, sondern auch ein hollywoodreifes Drama auf sie wartet. Denn die Tragödie scheint gerade erst zu beginnen, als Cys Leiche gefunden wird …
Deutsche Erstausgabe August 2020
Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-96087-924-4 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-314-6
Copyright © 2014 by Janet Quin-Harkin Titel des englischen Originals: Queen of Hearts
Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © inarik, © Veronika shutterstock.com: © Raftel, © Vectorpocket, © Vibrant Image Studio, © Hank Shiffman depositphotos.com: © brebca Korrektorat: Dorothee Scheuch
E-Book-Version 24.07.2023, 13:55:31.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier
Website
Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein
Newsletter
TikTok
YouTube
Ein Juwelendiebstahl, ein Hollywood-Drama und ein (beinahe) filmreifer Tod – Lady Georgies nächster Fall führt sie nach AmerikaDie zweite Staffel der Cosy-Krimi-Reihe von New-York-Times-Bestsellerautorin Rhys Bowen geht weiter …
Dieses Buch ist meinen Kollegen von den Jungle Red Writers gewidmet: Hallie Ephron, Hank Phillippi Ryan, Deborah Crombie, Julia Spencer-Fleming, Lucy Burdette, Susan Elia McNeal. Ich danke ihnen für ihre Freundschaft und Unterstützung und für den Spaß, den wir bei den Gameshows auf der Bouchercon haben.
Eine besondere Widmung geht an Barbara Kindell, die ihren Namen für dieses Buch einer Hollywood-Berühmtheit geliehen hat.
Danke an meine wundervolle Lektorin Jackie Cantor, meine Agentinnen Meg Ruley und Christina Hogrebe, die immer für mich da sind. Mein Dank geht an meine Fans für ihre Unterstützung und wie immer an John, der mir dabei hilft, dem Manuskript den letzten Schliff zu verleihen, mich herumchauffiert und den besten Kaffee in ganz Kalifornien macht.
Kingsdowne Place, Eynsford, Kent
Montag, 9. Juli 1934
Liebes Tagebuch: Das Wetter ist schön, aber es gibt überhaupt nichts zu tun. Ich sterbe vor Langeweile.
Ich saß in einem weißen Korbsessel unter einem ausladenden Kastanienbaum auf einem gepflegten Rasen. Hinter mir spiegelten sich die stattlichen Zinnen von Kingsdowne Place, dem Sitz der Herzöge von Eynsford, in der makellosen Oberfläche des Sees, auf der nur ein Paar vorübergleitender Schwäne leichte Wellen schlugen. Vor mir stand ein Teetisch, der sich unter dem Gewicht von Etageren voller Gurken-Räucherlachs-Sandwiches, Erdbeeren mit Sahne, Eclairs, Victoria-Biskuitkuchen, Petit Fours und Scones mit Clotted Cream bog. Einen perfekteren Nachmittag hätte man sich nicht wünschen können. Es war einer jener seltenen Sommertage in England, an denen die einzigen Geräusche vom Summen der Bienen zwischen den Rosen, dem Brummen eines Rasenmähers in der Ferne und dem Aufprall eines Balls auf einem Schläger beim Kricketspiel unten im Dorf stammten.
Ich seufzte tief auf. Es war kein zufriedenes Seufzen, denn ich langweilte mich fürchterlich. Beinahe zur Königsfamilie zu gehören ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Zum einen ist es nicht immer leicht, angesichts von königlichen Verwandten, wahnsinnigen Heiratskandidaten und Leichen die berühmte britische Fassung zu bewahren. Und den ganzen Tag nichts zu tun ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Ich weiß, dass unser Müßiggang von den gewöhnlichen Menschen, die jeden Tag die Acht-Zwanzig nach Waterloo nehmen müssen, beneidet wird, aber um ehrlich zu sein besteht unser Leben die meiste Zeit darin, gegen die Langeweile anzukämpfen. Ich würde mich liebend gern nützlich machen. Außerdem würde ich liebend gern Geld verdienen. Aber zu meinem Leidwesen gibt es keine Arbeitsplätze für eine junge Frau, deren Ausbildung sie nur befähigt, mit einem Buch auf dem Kopf zu gehen und einem Bischof den richtigen Sitzplatz bei einer Dinnerparty zuzuweisen. Meine königlichen Verwandten wären nicht amüsiert gewesen, hätten sie erfahren, dass ich an der Kasse bei Woolworths arbeitete oder im Lyons Tee servierte. Und dank dieser schrecklichen Wirtschaftskrise fanden selbst hoch qualifizierte Menschen keine lohnenden Anstellungen.
Ich hätte meine Pflicht tun und irgendeine in die Jahre gekommene Dynastie fortführen sollen, indem ich einen schrulligen Prinzen vom Festland heiratete (und dabei riskierte, von Anarchisten hinterrücks ermordet zu werden). Bisher hatte ich es geschafft, allen schrulligen Prinzen, die mir vorgesetzt wurden, aus dem Weg zu gehen. Nicht, dass ihr glaubt, ich hätte etwas gegen die Ehe einzuwenden. Es gab da einen Heiratskandidaten, aber er war ebenso verarmt wie ich und kam nicht infrage. Eine höchst hoffnungslose Situation.
Und so blieb mir nur das, was alle jungen Ladys von meinem gesellschaftlichen Rang tun, bis sie einen Ehemann finden – ich zählte die ereignislosen Tage, die lediglich von Mahlzeiten unterbrochen wurden, unternahm ertüchtigende Spaziergänge im Grünen und genoss die Jagdausflüge, die aufregende Unterbrechungen des Alltags darstellten. Und da das englische Wetter für gewöhnlich verdammt regnerisch ist, verbrachte ich besonders viel Zeit damit, zu lesen, Briefe zu schreiben, zu puzzeln und die Stunden bis zur nächsten Mahlzeit zu zählen.
Einige Monate zuvor hatte ich geglaubt, dass sich das Blatt endlich zum Guten gewendet hätte, als ich gebeten wurde, den neu entdeckten Erben des Herzogs von Eynsford in die gehobene Gesellschaft einzuführen. Kingsdowne Place, der Sitz des Herzogs von Eynsford, bot alle Annehmlichkeiten, die ein Herrenhaus bieten sollte – eindrucksvolle Pracht und Eleganz, ein herrliches Anwesen, ein Stall voller erlesener Pferde und Mahlzeiten, die aus einem extravaganten Gang nach dem anderen bestanden. Auf Kingsdowne Place spürte man nicht das Geringste von der Wirtschaftskrise im Rest der Welt. Aber mein Aufenthalt war nicht wie erwartet verlaufen. Es hatte Intrigen und einen Mord gegeben und als die Normalität wieder eingekehrt war, war ich aus Pflichtbewusstsein geblieben, um der Herzoginwitwe Gesellschaft zu leisten. Auf Pflichtbewusstsein hatten mein Kindermädchen und meine Gouvernante immer gepocht. Es war mir eingetrichtert worden, seit ich laufen konnte. Die Rannochs schätzten Pflichtgefühl höher als Diademe. (Hätte ich Diademe besessen, hätte ich diese ehrlich gesagt vorgezogen.) Erwähnte ich bereits, dass ich Lady Georgiana Rannoch bin, die Cousine Seiner Majestät König George?
Ich gebe zu, dass die Anwesenheit von Darcy O’Mara, dem Mann, den ich eines Tages zu heiraten hoffte, meine Aufgabe angenehmer gestaltet hatte. Er war ebenfalls hiergeblieben, aber Darcy hielt sich nie lang am selben Ort auf. Er war durch und durch ein Abenteurer und stets auf geheimnisvollen Missionen in weit entfernten Teilen der Erde. Jedenfalls war er wieder abgereist, die jüngeren Mitglieder des Eynsford-Clans hatten sich in alle Winde zerstreut und ich war allein mit der Herzoginwitwe, ihren beiden wunderlichen Schwestern und mehreren Dutzend Bediensteten in dem großen Haus geblieben. Ich sehnte mich nach jugendlicher Gesellschaft und einem Tapetenwechsel, da eilte mir meine Mutter zu Hilfe.
Denjenigen unter euch, die meine Mutter nicht kennen, sei gesagt, dass ihr mütterlicher Instinkt nicht besonders ausgeprägt ist. Aber an diesem Nachmittag, als ich die Teestunde mit den drei wunderlichen Schwestern auf dem Rasen verbrachte, blieb die Teetasse der Herzoginwitwe Edwina auf halber Strecke zu ihrem Mund in der Luft schweben und sie sagte: „Das klingt wie ein Automobil, das die Einfahrt hinauffährt. Wie ungewöhnlich. Wer könnte das nur sein?“
„Wir erwarten niemanden, oder?“, fragte ihre Schwester Prinzessin Charlotte Orlovski und drehte sich auf ihrem Stuhl um, damit sie die Auffahrt besser überblicken konnte. „Mein geistiger Führer hat mich nicht vor einem Besucher gewarnt.“ (Prinzessin Orlovski war eine überzeugte Spiritistin.)
„Es ist an der Zeit, dass wir Gesellschaft bekommen“, meldete sich die dritte Schwester zu Wort, die einen Hang zur Frivolität hatte und den unpassenden Namen Virginia trug. „Seit alle fortgegangen sind, ist es so langweilig wie die Zeitung von gestern. Ich bin mir sicher, dass die arme junge Georgiana vor Langeweile und Frust beinahe umkommt. Mir geht es jedenfalls so.“
„Oh nein, natürlich nicht“, sagte ich hastig, was nicht der Wahrheit entsprach.
Das Geräusch des näherkommenden Wagens wurde lauter. Edwina setzte ihre Teetasse ab und nahm ihre Lorgnette hoch, um durch die Bäume zu spähen, als der schwarze Umriss eines Automobils auftauchte. Es war ein offener Sportwagen, niedrig und windschnittig, und er fuhr recht schnell.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich ihn näherkommen sah. War es möglich, dass Darcy von seinen Auslandsmissionen zurückgekehrt war, um mich mitzunehmen?
Doch dann wurde mir klar, dass der Fahrer nicht Darcy sein konnte. Die Person war klein, trug keinen Hut und ihr blondes Haar wehte im Fahrtwind. Erst als die Fahrerin uns sah und der Wagen mit quietschenden Reifen auf dem hochspritzenden Kies anhielt, erkannte ich, wer sie war.
„Wer in aller Welt?“, setzte Edwina an.
„Es ist meine Mutter, Euer Gnaden“, sagte ich, als eine schlanke kleine Gestalt in knallroten Hosen und einem weißen Halteroberteil aus dem Wagen stieg. Sie trug eine große Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht verbarg, und ihr Haar saß perfekt, als könnte ihm der Fahrtwind nichts anhaben. Sie winkte, dann stakste sie uns auf Espadrilles mit hohen Plateauabsätzen entgegen.
„Da bist du ja, Georgie“, rief sie mit dieser Stimme, die Theaterbesucher auf der ganzen Welt verzaubert hatte. „Ich habe überall nach dir gesucht. Ich habe in Castle Rannoch angerufen, aber dein Bruder schien nicht zu wissen, wo du bist. Du warst nicht in dem Londoner Haus, wo ich dich vor ein paar Monaten zurückgelassen habe. Ich wollte schon die Hoffnung aufgeben, bis ich gestern Abend zufällig deine Freundin Belinda im Crockfords traf, wo sie mir erzählte, dass du bei den Eynsfords zu Gast bist.“ Sie war nun nähergekommen und überquerte vorsichtig den Rasen. Sie schien erst jetzt die drei älteren Ladys zu bemerken, die dasaßen und meine Mutter mit ihren auffälligen modernen Kleidern anstarrten. „Sehr erfreut“, sagte sie. „Tut mir leid, dass ich einfach so hereinplatze.“
Ich schritt eilig ein. „Euer Gnaden, darf ich Euch meine Mutter vorstellen, die frühere Duchess von Rannoch.“ Ich hielt es für klug, Mummy den einzigen akzeptablen Titel zu geben, den sie je besessen hatte. Eigentlich war das nicht gelogen. Sie war früher die Duchess von Rannoch gewesen. Allerdings war sie seither für sehr viele Männer sehr viele verschiedene Dinge gewesen. Möglicherweise wusste die Herzoginwitwe davon, aber ihre Manieren waren wie immer tadellos.
„Sehr erfreut“, sagte sie und streckte eine Hand aus. „Wie reizend, Georgianas Mutter endlich kennenzulernen. Obwohl ich glaube, dass wir uns vor vielen Jahren begegneten, als Ihr lieber Bertie noch lebte. Ich war die Gesellschafterin seiner Mutter, müssen Sie wissen. Er war ein so liebenswerter kleiner Junge, hatte so ein süßes Lächeln. Wie traurig, dass er so früh starb, genau wie meine eigenen Söhne. Man sollte seine Kinder nicht überleben.“
Meine Mutter, die vermutlich nichts vom Ableben der Eynsford-Söhne gehört hatte, hielt klugerweise den Mund.
„Setzen Sie sich doch und trinken Sie eine Tasse Tee“, sagte Edwina und wies das Dienstmädchen, das in der Nähe stand, mit einer Handbewegung an, eine weitere Tasse zu bringen. „Sie müssen Ihre Tochter natürlich vermisst haben. Und wenn Sie uns nur über Ihr Kommen informiert hätten, hätten wir ein angemessenes Zimmer für Sie vorbereiten können.“ Das kam einer Rüge am nächsten, soweit es die guten Manieren zuließen.
„Äußerst freundlich, aber ich habe nicht vor zu bleiben“, sagte Mummy, nahm die Teetasse entgegen und ließ sich in einen Korbstuhl sinken. „Ich bin nur gekommen, um Georgie aufzusammeln.“
„Um mich aufzusammeln?“
„Ja, Schätzchen. Wir beide machen eine Reise.“
„Eine Reise? Wohin?“
„Amerika“, sagte sie, als sei es nicht aufregender als eine Einkaufsexpedition nach London.
„Amerika?“, entfuhr es mir.
„Ja, Liebling, du weißt schon, dieses große Land mit den Wolkenkratzern und Cowboys.“ Sie schenkte den älteren Schwestern ein entnervtes Lächeln, das besagte, wie schwer von Begriff ihr einziges Kind war. „Warum holst du nicht dein Dienstmädchen, um deine Sachen zu packen, während ich mit diesen entzückenden Ladys Tee trinke?“ Sie bediente sich bereits an den Gurkensandwiches.
„Aber ich kann nicht einfach so abreisen, Mummy. Das wäre nicht schicklich. Ihre Gnaden haben eine äußerst schwierige Zeit durchgemacht. Ich kann sie nicht im Stich lassen, wenn sie mich brauchen.“ Doch noch während ich sprach, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf: „Amerika! Ich gehe mit meiner Mutter nach Amerika!“
Edwina streckte den Arm nach mir aus und tätschelte meine Hand. „Du warst mir ein wunderbarer Trost in meiner Stunde der Not, Georgiana. Ein herzensgutes Mädchen. Aber ich würde nicht im Traum daran denken, dich daran zu hindern, mit deiner Mama zu verreisen, vor allem nach Amerika. Transatlantische Überfahrten sind reizvoll und ein junges Ding wie du sollte etwas von der Welt sehen, anstatt hier oben mit drei alten Frauen festzusitzen. Du musst selbstverständlich abreisen.“
„Selbstverständlich muss sie das“, wiederholte Virginia. „New York ist eine so aufregende Stadt. Und man sagt, dass Cowboys vor Manneskraft geradezu strotzen. Tatsächlich fällt mir eine aufregende Episode mit einem Sattel und einer besonders großen Peitsche ein …“
Edwina räusperte sich. Virginias Sexleben übertraf wahrscheinlich sogar das meiner Mutter und sie hatte keine Scheu, jedes Detail lebhaft wiederzugeben.
„Georgiana, du rennst besser nach oben und packst“, sagte Edwina, „wenn deine liebe Mama wirklich darauf besteht, heute Abend abzureisen. Sind Sie sicher, dass Sie nicht über Nacht bleiben und am Morgen abreisen möchten?“
„Sehr freundlich von Euch, Euer Gnaden, aber ich fürchte nicht“, sagte Mummy. „Wir haben eine Überfahrt auf der Berengaria gesichert und sie sticht am Donnerstag von Southampton in See.“
„Die Berengaria.“ Virginia stieß ein eifersüchtiges Seufzen aus. „Sie nannten es das Millionärsschiff.“
„Das tun sie noch immer“, sagte Mummy. „Wer sonst kann sich heutzutage das Reisen leisten? Wie auch immer, sie sticht am Donnerstag in See und es gibt so viel zu tun, dass ich keine Minute entbehren kann. Nur zu, Schätzchen, auf mit dir.“ Sie warf einen Blick auf den Wagen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dein Dienstmädchen und deinen Koffer unterbringen können. Hast du immer noch dieses scheußliche Mädchen, das aussieht wie ein Nilpferd?“
„Queenie? Ich fürchte, ja.“
„Sie wird niemals auf den Rücksitz passen, Schätzchen, und mit dem Gepäck erst recht nicht. Lass sie mit deinen Sachen im Zug anreisen. Brown’s Hotel natürlich. Ich würde nirgends anders absteigen.“
„Ah, Brown’s Hotel. Welch teure Erinnerungen.“ Dieses Mal war Prinzessin Charlotte diejenige, die ihren Schwestern einen wehmütigen Blick zuwarf.
„Also, geh schon.“ Mummy klatschte ungeduldig in die unbehandschuhten Hände.
„Wenn Ihr Euch sicher seid, Euer Gnaden?“ Ich sah zu Edwina.
„Lass deine Mutter nicht warten, Georgiana“, sagte Edwina. „Wir alten Ladys halten die Ohren steif, wie wir es immer getan haben.“
Ich setzte meine Teetasse ab und versuchte, mich elegant von meiner Sonnenliege zu erheben. Leider trat ich auf meinen Rock, wodurch mein graziöses Aufstehen zu einem Stolpern wurde, das beinahe den Teetisch umstieß. Ich richtete mich auf und ging mit roten Wangen und so viel Würde, wie ich aufbringen konnte, davon.
„Typisch Georgie. Immer ist sie eine wandelnde Katastrophe, fürchte ich“, hörte ich Mummy sagen, bevor ich außer Hörweite war. „Hat sie Euer Haus bereits zerlegt?“
Du liebes bisschen. Bisher hatte ich mich eigentlich ziemlich gut angestellt, nichts zerbrochen und keine älteren Ladys zu Fall gebracht. Aber leider hatte sie recht. Wenn ich nervös bin, neige ich zu Unfällen – wie das eine Mal, als ich bei meiner Debütantinnenvorstellung mit dem Absatz in meiner Schleppe hängen blieb und unter hoher Geschwindigkeit nach vorn in Richtung Ihrer Majestäten befördert wurde, anstatt rückwärts den Raum zu verlassen.
Als ich mein Schlafzimmer betrat, war von Queenie keine Spur zu sehen. Ich zog am Klingelzug neben dem Bett und wartete. Kein Dienstmädchen. Ich zog erneut daran und begann Kleider aus dem Schrank zu nehmen. Nach mehreren Minuten klopfte es an der Tür und Edie, das oberste Dienstmädchen, kam herein.
„Haben Sie geläutet, Mylady?“ Sie knickste.
„Nach meinem Dienstmädchen“, sagte ich. „Haben Sie sie kürzlich gesehen?“
„Sie war beim Tee“, sagte Edie. „Ich fürchte, ich habe sie seitdem nicht gesehen.“
„Dann lassen Sie sie bitte suchen. Ich brauche sie sofort.“
„Das werde ich, Mylady.“ Sie knickste und ging hinaus.
Warum konnte ich kein solches Dienstmädchen haben, dachte ich. Bereitwillig, effizient und eine wahre Freude im Umgang … Natürlich kannte ich die Antwort. Weil ich es mir nicht leisten konnte eines zu bezahlen. Queenie hatte einen Vorteil. Sie arbeitete beinahe umsonst, da sie wusste, dass keine Adlige, die ihre fünf Sinne beisammen hatte, sie einstellen würde. Die meiste Zeit war diese Situation von Vorteil für uns beide.
Ich hatte gerade den Inhalt der Kommode auf meinem Bett verteilt, als ich ein Geräusch wie von einer trampelnden Elefantenherde vernahm, die über den Flur auf mich zukam. Queenie platzte herein, rot angelaufen und zerzaust.
„Verdammich noch mal“, sagte sie und betrachtete den großen Kleiderberg auf meinem Bett. „Was zum Teufel geht hier vor sich?“
„Wir reisen ab“, sagte ich. „Mein Koffer muss hergebracht und meine Kleider eingepackt werden.“
„Wir reisen ab? Warum sollten Sie abreisen wollen?“, rief sie und stemmte die Hände in ihre ausladenden Hüften. „Seit Monaten haben wir mal wieder vernünftiges Essen.“
„Und wie ich sehe, hast du das sehr ausgenutzt“, gab ich zurück, da mir auffiel, dass ihre Uniform aus den Nähten zu platzen drohte. „Wo bist du gewesen? Ich habe zweimal geläutet.“
„Nun, ich hatte heute beim Tee drei Stücke Mohnkuchen und fühlte mich hinterher ein bisschen schläfrig, also ging ich auf mein Zimmer, um ein kleines Nickerchen zu machen, und bevor ich mich versah, schlief ich tief und fest“, sagte sie. „Wohin reisen wir überhaupt? Nicht zurück zu diesem grauenvollen Schloss in Schottland?“
„Queenie, wie ich dir bereits gesagt habe, solltest du deine Arbeitgeber oder deren Familie nicht kritisieren. Du solltest froh sein, in diesen schweren Zeiten eine Arbeit zu haben.“
„Oh, ich hab’ nichts gegen Sie, Miss“, sagte sie. „Aber gegen die, die in Schottland in diesem Schloss lebt. Die verflixte Duchess. Sie mag mich nich’, was? Hält mich für zu bürgerlich.“
„Nun, das bist du auch. Du hast gesehen, wie sich die anderen Dienstmädchen verhalten, nicht wahr? Du hast noch nicht einmal gelernt, mich mit meinem richtigen Titel anzusprechen.“
Sie seufzte. „Ich weiß, ich sollte Sie ‚Mylady‘ nennen, aber das klingt furchtbar hochnäsig, wenn Sie mich fragen. Und Sie sind so nett und normal und freundlich, dass Sie mir eher wie eine gewöhnliche Miss vorkommen.“
„Queenie, die Gesellschaft verlangt, dass man eine Adlige auf korrekte Weise anspricht. Meine Cousine Elizabeth ist ein liebes kleines Mädchen, aber man muss sie dennoch mit ‚Eure Königliche Hoheit‘ ansprechen. Jetzt beeil dich bitte. Meine Mutter wartet.“
„Ihre Mum? Wir verreisen mit Ihrer Mum? Na, dann ist es in Ordnung. Sie wird sichergehen, dass wir was Ordentliches zu essen bekommen. Wohin fahren wir? Zurück nach London?“
„Nein, wir fahren nach Amerika.“
„Verdammt und zugenäht“, sagte sie.
Im Brown’s Hotel, London
9. Juli
Eine Stunde später rasten Mummy und ich über die Landstraßen von Kent Richtung London. Queenie und mein Koffer waren unter viel Murren ihrerseits in den Geländewagen verfrachtet worden, der sie zum Bahnhof bringen sollte. Was, wenn sie einschlief und ihren Halt verpasste? Was, wenn ein Fremder sich Zutritt zu ihrem Abteil verschaffte und sie anpöbelte? Und wie würde sie mit all dem Gepäck zurechtkommen? Ich erklärte ihr, dass die Zugfahrt an der Victoria Station endete und sie ein Frauenabteil aufsuchen sollte. Wenn sie ankam, musste sie lediglich einen Gepäckträger rufen, der sie zu einem Taxi bringen würde. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie auf dem Weg zum nächsten Bahnhof gewesen und ich konnte nur hoffen, dass sie schließlich im Brown’s Hotel eintreffen würde.
„Was in aller Welt hast du bei diesen schrecklich langweiligen alten Frauen getrieben?“, fragte Mummy, als wir durch das eindrucksvolle Tor hinaus auf eine Landstraße fuhren.
„Der Herzoginwitwe Gesellschaft geleistet. Weißt du, sie hat eine aufwühlende Zeit hinter sich. Du hast in Deutschland wahrscheinlich nichts davon mitbekommen.“
„Oh, jetzt, da du es erwähnst, glaube ich, dass ich etwas davon gehört habe. Irgendetwas mit dem Erben, nicht wahr?“
„Genau. Es war alles wirklich furchtbar.“
„Nun, in diesem Fall bin ich froh, dass ich dich von hier forthole. Da, wo wir hingehen, werden wir uns mehr amüsieren.“
„Wohin genau fahren wir? Und warum nimmst du mich mit?“
„Schätzchen, das ist offensichtlich. Ich wollte nicht allein reisen. Als Frau fühlt man sich so verletzlich und diese Amerikaner können wild und gefährlich sein.“
Es gab auf der ganzen Welt niemanden, der besser auf sich aufpassen konnte als meine Mutter. Sie sah vielleicht zart und zerbrechlich aus, aber sie stammte von waschechten Cockneys ab und war so zäh wie Leder. Auf der Bühne war sie Hauptdarstellerin gewesen, bevor sie meinen Vater, den Enkel von Königin Victoria, kennengelernt und geheiratet hatte. Sie hatte beschlossen, ihre bescheidene Herkunft zu vergessen. Duchess zu sein hatte ihr gut gefallen und sie wäre wahrscheinlich länger eine geblieben, wenn es nicht bedeutet hätte, auf Castle Rannoch zu leben. Ich betrachtete ihr Mienenspiel. Sie gab nun vor, eine schwache und hilflose Frau zu sein – und das wie immer sehr überzeugend. Ich musste lachen. „Es gibt keine Cowboys und Indianer mehr, weißt du.“
„Aber viele Gangster“, sagte sie. „Al Capone zum Beispiel. Ich dachte, es würde dir gefallen und du würdest gern Zeit mit deiner Mutter verbringen.“
„Das tut es und das würde ich gern“, sagte ich. „Es kommt nur ziemlich überraschend. Aber bei unserer letzten Begegnung hast du mich in London den Kochkünsten dieser schrecklichen Frau ausgeliefert und bist mit Max an den Luganer See gefahren. Hast du endlich mit ihm Schluss gemacht?“
„Au contraire, Schätzchen“, sagte sie. „Max besteht darauf, das Ehrenhafte zu tun und zu heiraten. Im Grunde genommen ist er ein Puritaner.“
„Aber wenn ich mich recht erinnere, bist du noch mit einem anderen verheiratet?“
Ich sollte außerdem erwähnen, dass meine Mutter einen Mann nach dem anderen sitzengelassen und sich bereits durch viele Männer auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis gearbeitet hatte.
„Ist er nicht ein texanischer Ölunternehmer?“, fuhr ich fort. „Und hat er sich nicht geweigert, dir eine Scheidung zu erlauben?“
„Woher hätte ich wissen sollen, dass er merkwürdige religiöse Anwandlungen hatte?“, sagte sie gereizt. „Als ich ihn in den Zwanzigern in Paris traf, machte er einen recht freimütigen und lässigen Eindruck, erfrischend naiv und lächerlich reich. Erst nachdem ich ihn geheiratet hatte, stellte ich fest, dass er keinen Alkohol trank und allen Ernstes von mir erwartete, auf einer Ranch in Texas zu leben.“ Sie drehte sich mit entsetzter Miene zu mir um. „Eine Ranch, Liebling. In Texas. Moi? Kannst du dir das vorstellen? All diese Kühe und Ölquellen. Castle Rannoch war bereits schlimm, aber wenigstens konnte man sich regelmäßig Pakete mit Leckereien von Fortnum’s schicken lassen.“
„Fahren wir deshalb nach Amerika? Willst du ihn bitten, dich aus der Ehe zu entlassen?“, fragte ich. „Oder ist er praktischerweise verstorben?“
„Weder noch“, sagte sie. „Aber ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, ihn zu umgehen. Mir wurde gesagt, dass man in Reno, Nevada, wo alles möglich ist, eine schnelle Scheidung bekommen kann.“
„Aber wenn er sich in Texas nicht von dir scheiden lassen wollte, warum sollte er in Nevada damit einverstanden sein?“ Ich schrie beinahe, um das Dröhnen des Motors zu übertönen, da wir nun die London Road erreicht hatten und Mummy aufs Gaspedal drückte.
„Seine Zustimmung ist nicht nötig. Unter gewissen Umständen muss die andere Partei nicht anwesend sein.“
„Allmächtiger. Ist das legal?“
„In Nevada ist es vollkommen legal, wenn man meiner Quelle Glauben schenken darf. Also dachte ich, wir machen zusammen eine nette kleine Reise nach Reno. Du wirst die Überfahrt auf der Berengaria genießen, nicht wahr? Und eine Zugfahrt durch Amerika?“
„Allmächtiger, ja“, sagte ich.
Sie wandte sich mir stirnrunzelnd zu. „Du musst lernen, auf solche schulmädchenhaften Ausdrücke zu verzichten, wenn du je eine Frau von Welt werden möchtest.“
„Tut mir leid“, sagte ich. „Sie rutschen mir in stressigen Momenten einfach heraus.“ Ich räusperte mich. „Danke für deine großzügige Einladung. Es klingt himmlisch.“
„Ausgezeichnet.“ Sie warf mir ein seltenes aufmunterndes Grinsen zu. Ein verschwörerisches Grinsen. „Jetzt haben wir nur zwei Tage, um dich aufzudonnern. Du kannst dich nicht einfach in einem Baumwollkittel wie diesem auf der Berengaria blicken lassen. Du siehst wie eine Waise aus einer Erziehungsanstalt aus.“
„Das liegt daran, dass ich ihn seit meinen Schulmädchentagen besitze“, sagte ich. „Wenn man kein Geld hat, kauft man keine Kleider.“
„Du musst dir wirklich einen reichen Mann suchen, Schätzchen. Ich weiß, dass Darcy ein wahrer Leckerbissen ist, und ich bin mir sicher, dass er im Bett wundervoll ist, aber er ist kein passendes Heiratsmaterial, oder? Er wird nie für einen angemessenen Unterhalt sorgen können.“
„Ich würde lieber mit Darcy in Armut leben als mit einem reichen Mann, den ich nicht liebe“, sagte ich leidenschaftlich.
Sie lächelte. „So jung. So romantisch. Du wirst es lernen. Und wenn du klug bist, schnappst du dir auf dem Schiff einen amerikanischen Millionär.“
„Gibt es heutzutage Millionäre in Amerika?“, sagte ich und lächelte über die Absurdität ihres Vorschlags.
„Natürlich gibt es welche. Leb ein Jahr mit ihm zusammen, lass dich wieder scheiden und du hast für den Rest deines Lebens ausgesorgt.“
„So wie du es getan hast, meinst du? Um dann bei dem Versuch, mich von ihm scheiden zu lassen, den ganzen Ärger zu haben? Das ist nichts für mich, danke“, sagte ich.
„Du bist genau wie mein Vater“, sagte Mummy und runzelte die Stirn. „So verdammt stolz und ehrenhaft.“
„Du warst bei Großvater?“ Mein Herz hüpfte bei der Erwähnung des Mannes, den ich fast so sehr liebte wie Darcy. Der Vater meiner Mutter war ein pensionierter Londoner Bobby, der jetzt in einem Reihenhaus in Essex lebte, das Mummy ihm auf dem ersten Höhepunkt ihres Ruhms gekauft hatte.
„Das war ich, und er nimmt keinen einzigen Penny von mir an. Er behauptet, es sei deutsches Geld, und er würde den Deutschen den Großen Krieg niemals verzeihen.“ Ich hatte ihn dasselbe sagen hören.
„Wie geht es ihm?“, fragte ich und verspürte eine Welle der Sehnsucht nach meinem Großvater.
„Ehrlich gesagt nicht so gut. Ich bot ihm an, uns nach Amerika zu begleiten, da ich dachte, eine Seereise würde ihm guttun, aber er lehnte ab.“
„Ich muss ihn besuchen, bevor wir auslaufen“, sagte ich. „Wie lange, glaubst du, werden wir weg sein?“
„Nicht allzu lange, hoffe ich. Ein paar Tage in New York - immerhin haben sie Alkohol wieder legalisiert. Diese Flüsterkneipen waren so langweilig. Und dann eine Zugfahrt quer durchs Land nach Reno. Hoffen wir, dass wir innerhalb eines Monats alles geregelt haben und zurück sind. Max schmachtet so, wenn ich ihn zu lange allein lasse.“
Ich drehte mich um und sah sie an. „Willst du Max wirklich heiraten und in Deutschland leben?“
„Liebling, er ist reicher als Gott, und der Sex ist himmlisch. Er ist wie ein zügelloser Zuchtbulle und will es mehrmals pro Nacht.“
Ich fühlte, wie mein Gesicht bei der Erwähnung solcher Dinge knallrot anlief, da ich bislang ein behütetes Leben geführt hatte.
„Aber du sprichst kein Deutsch und magst kein deutsches Essen.“
Sie zuckte die Achseln. „Ich kann es, wenn nötig, ein oder zwei Wochen in Berlin aushalten. Es ist eigentlich recht zivilisiert, vorausgesetzt dieser fiese kleine Hitler hält nicht mehr lange durch. Außerdem hat mir Max die Villa in Lugano gekauft, als er merkte, dass ich sie ins Herz geschlossen hatte. Jetzt habe ich also einen Rückzugsort in der Schweiz. Er ist so großzügig. Vielleicht lerne ich eines Tages sogar, mich mit ihm zu unterhalten. Ich habe versprochen, Deutschunterricht zu nehmen.“
„Das wird Großvater nicht gefallen“, sagte ich.
„Dann muss er sich damit abfinden“, antwortete sie mit echter Cockney-Attitüde.
***
Das Brown’s Hotel bereitete Mummy die Art Empfang, die sie gewohnt war.
„Willkommen zurück, Euer Gnaden“, sagte der Portier.
„Willkommen zurück, Euer Gnaden“, sagte der hochmütige junge Mann hinter der Rezeption und verbeugte sich vor ihr. „Champagner auf Eis steht für Euch bereit.“
Ich folgte Mummy die Treppe hinauf und fühlte mich in meinem inzwischen verknitterten Baumwollkleid furchtbar unsicher. Sie hatte ein bezauberndes Zimmer mit Fenstertüren im ersten Stock, die die Albemarle Street überblickten. Ich hatte mich gefragt, warum sie immer das Brown’s wählte anstatt des Ritz oder des Claridge’s, aber nun verstand ich, warum sie hier abstieg. Hier vergaß man bequemerweise, dass sie nicht länger „Euer Gnaden“ war, sondern Mrs Homer Clegg, wenn ich mich recht erinnerte. Und bald würde sie Frau von Strohheim sein. Ich fragte mich, wie das Brown’s damit umgehen würde.
Ich hatte ein kleines, aber charmantes Zimmer bekommen, das nicht zur Straße hinausging. Mir fiel gerade auf, dass ich keine Kleider hatte, die ich zum Dinner anziehen konnte, als Queenie schnaufend und mit erhitztem Gesicht ankam.
„Irgendein Kerl bringt Ihren Koffer hoch“, sagte sie. „War eine verdammt unangenehme Angelegenheit, das vermaledeite Ding selbst aus dem Zug zu schaffen. Meinen Sie, ich hätte einen verfluchten Gepäckträger auftreiben können? Nein, das konnte ich verflucht noch mal nich’. Musste den Wachmann beim Gepäck lassen und nach einem suchen. ‚Lassen Sie das bloß nich’ jemanden stehlen‘, hab’ ich ihm gesagt und der unverschämte Kerl wollte ein Trinkgeld, als ich zurückkam. Eine Frechheit. ‚Lassen Sie sich gesagt sein, dass diese Taschen einer gehören, die ist die Cousine des Königs‘, hab’ ich ihm gesagt. ‚Sie sollten sich geehrt fühlen, auf sie aufpassen zu dürfen‘.“
„Queenie, bitte beeil dich mit dem Auspacken“, unterbrach ich ihren Redefluss. „Ich muss bald zum Dinner und habe nichts anzuziehen.“
„Und wo soll ich dann mein Dinner essen?“, fragte sie, öffnete den Koffer und warf Kleidungsstücke auf das Bett. „Ich hab’ einen Mordshunger nach all der Rennerei.“
„Ich werde Mummy fragen, wo die Bediensteten zu Abend essen“, sagte ich. „Ich denke, ich ziehe das rote Kleid an. Wir haben auf Kingsdowne zu lang Trauer getragen. Ich brauche eine Aufmunterung.“
Als ich das sagte, wurde mir klar, dass sich meine Laune besserte. Morgen ein Einkaufsbummel mit Mummy und dann ein Luxusdampfer über den Atlantik. Was konnte sich ein Mädchen noch wünschen?
Im Brown’s Hotel
Noch immer 9. Juli
Für G. Rannoch sind die Aussichten wirklich rosig. Brown’s und ein Einkaufsbummel mit Mummy und dann eine Atlantiküberquerung. Allmächtiger.
Das rote Kleid hatte unter Queenies Packkünsten gelitten und Mummy musterte mich missbilligend, als ich ihr Zimmer betrat, um mit ihr hinunter zum Dinner zu gehen. „Wer hat dir eingeredet, dass dir die Farbe Rot steht, Liebling?“, wollte sie wissen. „Besitzt du keine angemessene Kleidung?“
„Ich habe das Ensemble, das mir Coco Chanel in den Galeries Lafayette gekauft hat“, sagte ich, „aber es ist oben in Schottland. Die Zeit reicht wohl nicht, um Fig anzurufen und es nach London schicken zu lassen?“
„Wie ich deine Schwägerin kenne, würde sie es wahrscheinlich das nächste Klo hinunterspülen und behaupten, sie könnte es nicht finden“, sagte Mummy. „Lass uns einfach hoffen, dass wir dich morgen in London anständig ausstaffieren können. Weiß der Himmel, wo wir etwas Geeignetes finden werden.“ Sie umrundete mich mit taxierendem Blick, als sei sie eine Tigerin, die ihre nächste Mahlzeit begutachtete. „Zu schade, dass du so unglaublich hochgewachsen bist“, sagte sie, „sonst könntest du ein paar meiner Sachen tragen. Max liebt es, mir neue Kleider zu kaufen und ich weiß nie, was ich mit den alten anstellen soll. Aber ich fürchte, ich habe nichts, was dir passen würde.“
„Du klingst, als wäre ich eine Riesin“, sagte ich. „Ich bin nur 1,68 Meter groß. Du bist diejenige, die klein ist.“
„Zierlich, Schätzchen. Ich bin zierlich. Zu schade, dass du den robusten Körperbau deiner schottischen Vorfahren geerbt hast. Die königliche Linie ist eher klein, also müssen diese verdammten kräftigen Schotten schuld sein.“
„Darcy scheint mich so zu mögen, wie ich bin“, sagte ich.
„Meiner Erfahrung nach lassen sich Männer von Liebe blenden“, gab sie zurück. „Ganz egal, wir werden es bis zur Abreise schaffen, dich vorzeigbar aussehen zu lassen, vielleicht sogar modisch.“
***
Am nächsten Morgen machten wir uns gleich nach dem Frühstück auf den Weg. „Wir könnten es eigentlich mit Fenwick’s probieren, das ist gleich um die Ecke in der Bond Street“, sagte sie. Aber eine halbe Stunde später verkündete sie, dass die Kleider dort unmöglich altbacken waren. „Du wirst mit mir auf der Berengaria dinieren, Liebling. Es darf nicht der Eindruck entstehen, ich würde mein einziges Kind in Lumpen herumlaufen lassen.“
„Bisher hast du das“, wollte ich sagen. Meine Mutter war nur zu seltenen Anlässen in mein Leben getreten und sie hatte nie daran gedacht, dass ich kein Geld hatte und von Baked Beans auf Toast überlebte.
Sie winkte ein Taxi heran. „Harrods könnte vielleicht etwas haben“, sagte sie.
„Selfridges ist näher“, merkte ich an.
Sie sah mich entsetzt an. „Bei Selfridges kaufen Sekretärinnen und Hausfrauen der unteren Mittelschicht ein“, sagte sie und vergaß bequemerweise wieder einmal, dass sie in den Seitengassen des East Ends zur Welt gekommen war.
Also gingen wir zu Harrods, wo die Portiers unter Verbeugungen herbeieilten und murmelten: „Willkommen zurück, Euer Gnaden. Euer letzter Besuch ist zu lang her.“
Mummy rauschte hinein, orderte im Vorbeigehen einen Tiegel ihrer Lieblingsgesichtscreme an der Kosmetiktheke, ein Paar roter Lederhandschuhe und ein passendes Beret, für eine Hochseeüberfahrt geeignet, bevor sie den Aufzug zur Abteilung für Damenkleider nahm. Eine stattlich aussehende Frau steuerte auf uns zu. „Und wie kann ich Madame behilflich sein?“, fragte sie.
„Sie können mir eine Assistentin suchen, die jung genug ist, um ein Gespür für die Mode dieser Saison zu haben“, sagte Mummy. „Ich nehme meine Tochter mit auf eine Schiffspassage.“
„Diese junge Lady kann unmöglich Madames Tochter sein“, sagte die Frau mit seidenweicher Stimme und kicherte gekünstelt. „Eher Ihre Schwester.“
Da sie zu den wenigen Menschen in der zivilisierten Welt gehörte, die meine Mutter weder erkannten noch angemessen unterwürfig grüßten, konnte Mummy sie vom ersten Augenblick an nicht ausstehen. „Ich muss Sie darauf hinweisen, dass ‚diese junge Lady‘ Georgiana Rannoch ist“, sagte sie. „Die Cousine Seiner Majestät. Bei unserem Besuch in Amerika wird man sie als Vertreterin unseres Landes sehen. Wir wollen Großbritannien stolz machen, nicht wahr?“
Das Gesicht der Frau war nun ziemlich rot angelaufen. „Oh, das wollen wir allerdings. Verzeiht, dass ich Euch nicht sofort erkannt habe. Ich werde unsere Mademoiselle Dubois rufen. Sie ist vor Kurzem aus Paris zu uns gekommen, wo sie in den großen Modehäusern tätig war. Erlaubt mir, Euch zu einer Umkleide zu begleiten.“
„Das wird ihr eine Lehre sein“, murmelte Mummy, als die Frau verschwand, um die modebewusste Französin zu suchen. „Tut mir leid, aber diese Bemerkung, dass du meine Schwester sein könntest, hat mich auf die Palme gebracht. Und sie hat mich nicht einmal erkannt.“
Ein Klopfen an der Umkleidetür war zu hören und die Frau, noch immer rot im Gesicht, steckte ihren Kopf herein. „Hier ist unsere junge französische Assistentin, Madame“, sagte sie. „Mademoiselle Dubois. Ich bin mir sicher, dass Sie die perfekte Ausstattung für Lady Georgiana finden werden, nicht wahr?“ Sie trat zur Seite und schob eine anmutige dunkelhaarige junge Frau herein.
„Bonjour, wie darf isch Madame ‘eute ‘elfen?“, setzte sie an, dann verwandelte sich ihr Lächeln in einen entsetzten Gesichtsausdruck. Ich musste ein Japsen unterdrücken. Ich glaube, Mummy ging es ebenso. Ich wartete, bis die ältere Verkäuferin die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann stieß die junge Französin einen Seufzer der Erleichterung aus.
„Menschenskinder“, sagte sie. „Ich dachte, du würdest mich auffliegen lassen.“
„Belinda!“, rief ich aus. „Was in aller Welt tust du hier?“
Meine beste Freundin Belinda Warburton-Stoke legte einen Finger an die Lippen. „Pssst“, sagte sie. „Hier heiße ich Mademoiselle Dubois.“
„Aber warum?“
„Geld, Schätzchen, warum sonst? Ich bin im Moment ziemlich pleite und sah diese Anzeige für eine Modeverkäuferin, die sich mit Haute Couture auskennt, vorzugsweise eine Französin.“
„Belinda, du bist unverbesserlich.“ Ich fing an zu lachen.
„Kein bisschen. Die Beschreibung passt perfekt auf mich. Immerhin habe ich mit Chanel gearbeitet und meine eigene Kollektion kreiert.“
„Oh, ich bin mir sicher, dass du vollkommen qualifiziert bist. Nur bist du keine Französin.“
„Nun, um die anderen Kandidatinnen auszustechen, musste ich mich als Französin ausgeben. Außerdem möchte ich nicht, dass meine Familie davon erfährt. Großmama würde mich aus ihrem Testament ausschließen, wenn sie hören würde, dass ich im Handel arbeite.“
„Aber was, wenn du echte Franzosen bedienen musst?“
„Lass dir gesagt sein, dass mein Französisch verdammt gut ist“, sagte Belinda. „Wir hatten es drei Jahre lang auf Les Oiseaux, erinnerst du dich, und außerdem habe ich mit Chanel in Paris gearbeitet. Und dank meiner Liaison mit Jean-Luc habe ich alle möglichen Wörter gelernt, die ich nie in der Schule hatte.“
„Jean-Luc – war er Chanels Liebhaber, wurdest du nicht seinetwegen entlassen?“
„Wie schön, dich wiederzusehen, liebste Belinda“, unterbrach Mummy. „Ich würde liebend gern hier sitzen und plaudern, aber wir haben einiges zu tun und nicht viel Zeit. Wir brauchen angemessene Kleidung für eine Atlantiküberfahrt für Georgie. Ich dachte an seidene Freizeitanzüge. Sie hat schöne lange Beine, also vielleicht Leinenhosen. Ein paar ordentliche Teekleider, obwohl wir keine Zeit für Änderungen haben werden und ich mir sicher bin, dass nichts von der Stange richtig passen wird.“
Belinda war wunderbar. Innerhalb einer Stunde war ich mit solchen Kleidern ausgestattet, wie ich sie an anderen so bewundert hatte – weiße Freizeitanzüge aus Chinaseide, ein rückenfreies blaues Abendkleid, in dem ich beinahe sexy aussah, Freizeithosen und Jacken, seidige Kleider mit Blumenmuster und sogar ein Abendcape aus Samt.
„Hast du ein Glück, nach Amerika zu reisen“, sagte Belinda sehnsüchtig, als Mummy losging, um einen Scheck auszustellen. „Ich kann es mir gerade nicht leisten, irgendwohin zu reisen.“
„Hast du keine Sugar Daddys in Aussicht?“, fragte ich. „Oder hast du den Männern entsagt, um ein respektables Leben zu führen?“
„Himmel, nein“, sagte sie. „Ich verzehre mich geradezu nach Sex, aber alle ansehnlichen Männer sind diesen Sommer aus London geflohen. Und ich habe leider keine Ersparnisse für Reisen und bin zu Hause nicht länger willkommen. Amerika klingt göttlich. Schreib mir doch und erzähl mir von all deinen Abenteuern dort. Wirst du nach Hollywood gehen?“
„Nur Nevada, glaube ich“, sagte ich.
„Aber das ist ganz in der Nähe. Du musst Hollywood besuchen. Wer weiß, vielleicht wirst du entdeckt, während du auf dem Sunset Strip Limonade trinkst.“
„Wohl kaum“, sagte ich lachend. „Wie auch immer, Mummy sagt, sie kann nicht zu lange wegbleiben. Max wird sich nach ihr verzehren.“
„Was Max angeht, sollte sie auf der sicheren Seite bleiben“, stimmte mir Belinda zu. „Heutzutage gibt es nur wenige Leute, die so vermögend sind. Ich glaube, ich werde sie in Deutschland besuchen müssen. Glaubst du, Max hat irgendwelche reichen jungen Verwandten?“
„Ich habe keine Ahnung. Ich persönlich würde lieber arm in England bleiben. Mir gefällt nicht, wie sich die Dinge in Deutschland entwickeln.“
Wir unterbrachen unser Gespräch, als Mummy wieder auftauchte. „Tja, das ist erledigt. Sie werden die Hosen kürzen und sie bis heute Nachmittag ins Brown’s liefern lassen. Ich muss sagen, dass man sich auf Harrods verlassen kann, was Effizienz angeht. Und ich war auch von der Qualität der Kleider angenehm überrascht. Sehr schick. Vielleicht finden wir doch einen reichen Mann auf dem Schiff für dich, Georgie.“ Sie zwinkerte Belinda zu.
Bevor ich etwas entgegnen konnte, war sie bereits auf dem Weg zum Aufzug.
„Vergiss nicht, mir zu schreiben …“, setzte Belinda an, bevor ihr einfiel, dass sie Französin war. Ich warf ihr eine Kusshand zu und beeilte mich, um mit meiner Mutter Schritt zu halten. Wir traten aus dem Aufzug und Mummy stolzierte gebieterisch über die Verkaufsfläche, an sich verbeugenden Verkäufern vorbei und hinaus zu einem wartenden Taxi.
Donnerstag, 12. Juli 1934
Wir stechen heute in See! Kann es kaum erwarten, die Berengaria zu sehen. Amerika, ich komme. Bin sehr gespannt. Aber ich wünschte, ich hätte Darcy mitteilen können, wohin ich gehe. Es ist zum Verrücktwerden mit ihm!!!
Die nächsten Tage waren ein Wirbelwind aus Mummys Einkaufsausflügen, um wichtige Dinge zu besorgen, die es in Amerika anscheinend nicht gab – sie besorgte Zahnpasta, ließ sich die Haare machen, kaufte neues Gepäck für mich und neue Hüte für uns beide. Ich muss zugeben, dass es sehr aufregend war, in diesen Einkaufswirbel zu geraten. Ich hoffte, Max würde keinen Anfall bekommen, wenn er die Rechnungen sah, und beschließen sie doch nicht zu heiraten.
Dann brach der Tag der Abreise an. Es war beinahe wie im Traum, als unsere Taschen nach unten getragen und in die Taxis verladen wurden. Kurze Zeit später dampfte unser Zug aus der Waterloo Station in Richtung Southampton ab. Ich wünschte mir nur, meine missgünstige Schwägerin Fig wäre da gewesen, um meine stilvolle Abreise zu erleben. (Normalerweise bin ich ein liebenswürdiger Mensch, aber Fig hatte mir das Leben lange Zeit sehr schwer gemacht und verdiente einen Dämpfer.) Mein zweiter Wunsch war, dass ich Darcy hätte mitteilen können, wohin ich ging. Wie üblich hatte ich keine Möglichkeit, ihn zu kontaktieren. Wie viel schöner wäre es, wenn er auch mitkäme!
Ich hatte den Kanal schon oft überquert, aber noch nie einen echten Ozeandampfer gesehen. Meine Kinnlade fiel nach unten, als wir neben der Berengaria vorfuhren. Sie war riesig, mit drei glänzenden roten Schloten, aus denen bereits Rauchfahnen dampften. Es war, als starrte man zur Dorchester hinauf.
„Komm schon, Schätzchen, nicht trödeln“, sagte Mummy und hielt auf die Gangway für die erste Klasse zu. „Und versuch nicht zu glotzen. Du siehst aus wie eine Hinterwäldlerin.“
An Bord wurden wir auf die zuvorkommende Weise empfangen, die Mummy gewohnt war. Man geleitete uns hinauf zum A-Deck, wo Mummys Suite lag. Auf einer nächtlichen Kanalüberquerung von Ostende aus hatte ich einmal eine Schlafkabine gehabt, also erwartete ich eine Art Schlafabteil wie im Zug mit Stockbetten an der Wand und einem Waschbecken. Daher war ich unvorbereitet, als der Steward die Tür zu einem geräumigen Wohnzimmer öffnete, das mit Sofa, Sesseln und einem dicken Florteppich ausgestattet war. Es gab zwei Panoramafenster und dazwischen einen Schreibtisch. Auf dem Tisch standen Blumen und eisgekühlter Champagner.
Mummy nickte zufrieden. „Oh ja, das kann sich sehen lassen“, sagte sie. „Ich nehme an, hier geht es ins Schlafzimmer.“ Ich folgte ihr in ein hübsches Schlafzimmer mit zierlichem weißem Holzmobiliar und einer Chintz-Überdecke. Die beiden Fenster gingen zum Deck hinaus. Ich bemerkte, dass es zwei Betten gab.
„Teilen wir dieses Zimmer?“, fragte ich.
„Lieber Himmel, nein.“ Sie klang entsetzt. „Es würde mir gar nicht in den Kram passen, ein Zimmer mit meiner Tochter zu teilen. Man kann nie wissen, wen ich zu mir einladen möchte.“
Ich verzichtete darauf, ihr ins Gedächtnis zu rufen, dass sie unterwegs war, um sich scheiden zu lassen, damit sie einen sehr puritanischen Deutschen heiraten konnte, der über die Nachricht von Ausschweifungen auf dem Schiff nicht erfreut wäre. Außerdem bezahlte er diesen kleinen Ausflug. Der Steward hüstelte diskret, woraufhin Mummy sich unterbrach und grinste. „Danke. Das wäre alles“, sagte sie. „Bitte zeigen Sie Lady Georgiana ihre Unterkunft.“
Meine Kabine lag weiter hinten auf dem A-Deck. Sie war keine Suite und weniger protzig, gefiel mir mit ihrem großen Fenster, das einen Blick auf das Deck und den Ozean dahinter bot, aber besser. Sie hatte auch ein entzückendes großes Badezimmer und als Queenie mit den ersten Gepäckstücken ankam, fühlte ich mich hochzufrieden.
„Sie bringen gleich die letzte Fuhre hoch“, sagte sie. „Potzblitz – das ist nich’ schlecht, was? Sie sollten sich einen Kerl suchen, der genauso reich ist wie dieser Deutsche.“
„Queenie!“ Ich hob einen Zeigefinger. „Du kannst anfangen auszupacken, während ich losgehe und mich umsehe.“
„Das Dienstmädchen Ihrer Mum ist mächtig eingebildet, was? Musste die ganze Zugfahrt neben ihr sitzen und sie hat mich kaum eines Blickes gewürdigt. Und wir müssen die nächsten fünf Tage auch noch eine Kabine teilen – und ich wette, sie ist kleiner als diese hier.“
Ich hatte Queenies Mängel akzeptiert, da ich wusste, dass ich für den Lohn, den ich ihr zahlte, kein anderes Dienstmädchen finden würde, aber diesmal reichte es. Es war an der Zeit, dass ich mich wie eine richtige Lady meines Standes verhielt und nicht zuließ, dass mich meine Bedienstete wie eine Gleichgestellte behandelte. Ich holte tief Luft. „Queenie, ich mache mir große Sorgen um dich“, sagte ich. „In letzter Zeit beschwerst du dich ununterbrochen. Darf ich dich daran erinnern, wie viel Glück du hast, eine Anstellung bei einer guten Familie zu haben, außerdem genug zu essen und ein Dach über dem Kopf, obwohl dich ehrlicherweise niemand sonst einstellen würde. Wenn du schlau wärst, würdest du dir Claudette zum Vorbild nehmen und beobachten, wie sich eine gute Kammerzofe verhält. Sie spricht bestimmt nicht so mit ihrer Arbeitgeberin wie du mit mir, sonst würde sie nach fünf Minuten entlassen werden.“
Sie schenkte mir ein entschuldigendes Grinsen. „Tut mir leid, Miss. Sie haben recht. Bei meinem letzten Besuch bei meinen Eltern hat mein alter Paps gesagt, ich würde den Mund zu voll nehmen. Er meinte, Hochmut kommt vor dem Fall.“
„Dann hör auf deinen alten Paps“, sagte ich. „Und mach ein Bügeleisen ausfindig. Manche von diesen Kleidern bekommen schnell Falten.“ Ich ging auf die Tür zu. „Oh, und Queenie, man bügelt Seide nicht mit dem heißen Eisen, sonst schmilzt sie.“
„Klar wie Kloßbrühe, Miss“, sagte sie. Ich seufzte. Sie würde niemals dazulernen und ich wurde sie nicht los.
Ich ließ sie weiter auspacken und ging aufs Deck. Ich blickte auf die unglaublich kleinen Menschen hinab, die auf dem Dock unter mir wie Ameisen herumliefen. Der Wind in meinem Haar war frisch und schmeckte nach Salz. Ich war so aufgeregt, dass ich einen kleinen Tanz aufführte – eine Art Hüpfen, ein Ausfallschritt und ein Sprung, als ich auf die Reling zuging.
„Sehr attraktiv“, sagte eine Stimme hinter mir. Errötend fuhr ich herum und sah einen jungen Mann, der rauchend am Geländer lehnte.
„Ich muss mir vornehmen, Sie als meine erste Tanzpartnerin im Ballsaal zu sichern.“
„Ich fürchte, im Ballsaal bin ich eine hoffnungslos schlechte Tänzerin“, sagte ich. „Ich kann kaum einen Foxtrott von einem Twostep unterscheiden.“
„Sie bevorzugen die primitivere Art von Tanz, wie den, den Sie gerade aufgeführt haben?“ Seine Augen forderten mich heraus und ich fühlte mich entschieden unbehaglich.
„Das war kein richtiger Tanz, ich habe mich nur ausgetobt, nachdem ich tagelang mit meiner Mutter eingesperrt war.“
Er kam zu mir herüber. „Sie reisen also mit Ihrer Mutter, ja? Auf der Suche nach einem reichen amerikanischen Ehemann? Ich fürchte, davon gibt es heutzutage nicht mehr viele.“
In Stresssituationen schlage ich immer nach meiner Urgroßmutter, Königin Victoria. „Wissen Sie, Sie sind furchtbar unhöflich und wir sind einander noch nicht einmal vorgestellt worden, also sollte ich nicht mit Ihnen sprechen“, sagte ich.
Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Wir sind auf einem Schiff. Alles ist möglich. Hier gibt es keine überholten gesellschaftlichen Regeln und auch viel Kabinenhüpfen.“
„Nicht in meiner Kabine“, sagte ich. „Ich habe einen Freund, danke, und brauche keinen reichen Amerikaner.“
Er öffnete sein Zigarettenetui. „Rauchen Sie?“, sagte er. „Übrigens, ich bin Tubby Halliday. Und Sie sind?“
„Georgiana Rannoch“, sagte ich und nahm eine Zigarette an, obwohl ich noch nie auf den Geschmack gekommen bin und den Rauch gewiss nie inhaliert hatte.
„Sind Sie das? Gütiger Himmel. Und Ihre Mutter ist die Schauspielerin Claire Daniels? Ich glaube, sie erkannt zu haben, als sie an Bord kam. Was haben Sie in Amerika vor, wenn man fragen darf?“
„Mummy hat geschäftlich zu tun. Ich leiste ihr Gesellschaft“, sagte ich.
„Geschäftlich. Wie faszinierend. Hat sie vor, im Westen Land zu kaufen? Man bekommt es zurzeit für einen Apfel und ein Ei.“
„Sie stellen wirklich viele Fragen“, sagte ich. „Was haben Sie denn in Amerika vor?“
„Ich möchte mich amüsieren. Das tue ich immer. Und seit ich Ihnen begegnet bin, ist alles viel amüsanter geworden. Normalerweise sind an Bord nur alte Schachteln – junge Leute haben heutzutage selten die Mittel, um zu reisen.“
Ich lehnte mich über die Reling und blickte nach unten. „Es ist so groß, nicht wahr? Als sei man auf der Spitze der St Paul’s Cathedral.“
„Sind Sie zum ersten Mal auf dem Schiff?“
„Ich überquere zum ersten Mal den Atlantik“, sagte ich.
„Lieber Himmel. Dann lassen Sie sich von mir herumführen, damit Sie sich zurechtfinden können“, sagte er.
Ich zögerte. Ich hatte vorgehabt, das Schiff zu erkunden, und war mir nicht sicher, ob ich mich mit dem geschwätzigen Mr Halliday so eng anfreunden wollte. Aber schließlich kam ich zu dem Schluss, dass eine Führung besser wäre, als selbst herumzuwandern. „Also gut. Danke“, sagte ich.
„Wir fangen oben an, auf dem Promenadendeck“, sagte er und führte mich zu einer Außentreppe. „Hier oben gibt es nur ein paar sehr protzige Suiten.“
„Du meine Güte. Mummy wird sich aufregen, wenn sie erfährt, dass sie nicht auf der exklusivsten Etage ist“, kicherte ich.
„Normalerweise bleiben diese Suiten leer. Für Millionäre und königliche Hoheiten reserviert.“ Er ging voraus und half mir die letzten Stufen zum Promenadendeck hinauf. „Hier oben ist auch der Ballsaal und die Erste-Klasse-Lounge. Und die Lounge für die Ladys, wo Sie und Ihre Mutter unzweifelhaft sitzen werden, um Langweilern wir mir zu entkommen.“
„Ich glaube nicht, dass meine Mutter der Typ dafür ist“, sagte ich.
„Oh, tatsächlich?“, fragte er. „Reist sie mit einem Mann nach Amerika? Oder um einen Mann zu treffen?“
„Wissen Sie, Sie sind ausgesprochen unhöflich, egal ob an Land oder zur See“, sagte ich. „Meine Mutter trifft niemanden und ihr Privatleben geht Sie nichts an.“
Ich ließ ihn stehen. Er lief mir hinterher. „Oh, das tut mir furchtbar leid. Mein Vater meint, ich trete jedes Mal ins Fettnäpfchen, wenn ich den Mund aufmache. Ich interessiere mich nur dafür, wie andere Leute leben, das ist alles. Ich bin eine Art Schriftsteller.“ Er streckte mir eine massige Hand entgegen. „Können wir Freunde sein? Ich verspreche, das Privatleben Ihrer Mutter nie wieder zu erwähnen.“
Ich ergriff sie zögernd. „In Ordnung“, sagte ich.
Gemeinsam gingen wir weiter, warfen zuerst einen Blick in den Ballsaal und dann in die Lounge, die beide beeindruckende Oberlichter aus Buntglas hatten. „Wie lange wird die Überfahrt dauern?“, fragte ich.
„Ich glaube, auf dieser alten Nussschale dauert sie für gewöhnlich fünf Tage“, sagte er. „Andere Schiffe haben sie in vier Tagen geschafft, aber seit die Mauretania im Ruhestand ist, haben die Engländer eigentlich keine Kandidatin mehr für den Rekord. Wir werden warten müssen, bis sie die neue Queen Mary fertiggestellt haben. Dann müssten wir das blaue Band des Atlantiks von den Deutschen zurückerobern.“
Er begann die große Schautreppe hinabzusteigen. „Früher war sie ein deutsches Schiff, müssen Sie wissen. An dieser Wand hing ein großes Porträt des Kaisers.“ Er wies auf ein Gemälde, das nun eine nautische Szenerie zeigte. „Ihr ganzer Stolz. Sie trug den Namen Imperator – oder vielmehr er, da es ein Männername ist. Sie mussten ihn nach dem Krieg als Reparationszahlung abtreten und er wurde auf den Namen Berengaria umgetauft.“
„Was genau bedeutet ‚Berengaria’?“, fragte ich.
„Es ist ein altmodischer Frauenname“, sagte Tubby Halliday. „Ich meine mich erinnern zu können, dass ich eine Großtante namens Berengaria hatte. Puh, ich bin froh, dass er nicht mehr in Mode ist, Sie nicht auch?“
„Von Georgiana bin ich nicht allzu begeistert“, sagte ich, „aber da meine anderen Namen Victoria, Charlotte und Eugenie lauten, ist einer so altbacken wie der andere.“
„Es sind alles königliche Namen, was? Leute wie Sie bekommen immer solche Namen. Aber mein Name ist sogar noch scheußlicher. Ich bin mit Montmorency gestraft. Es gibt nichts Schlimmeres, nicht wahr? Deshalb werde ich Tubby genannt.“
„Und ich Georgie“, sagte ich und bereute es gleich wieder. Er wirkte recht nett, allerdings etwas zu vertraulich.
Tubby führte mich über die verschiedenen Decks, durch den Wintergarten mit seinen Korbmöbeln, den Palmenhof mit mannshohen Palmen und einer Orchesterbühne, dem Speisesaal für die erste Klasse und schließlich in den Schiffsrumpf.
„Was ist hier unten?“, fragte ich nervös, da auf dem Weg dorthin niemand sonst zu sehen gewesen war.
„Du wirst schon sehen. Der beste Teil des ganzen Schiffs.“
Mir kam in den Sinn, dass er mich nach unten lockte, um über mich herzufallen. Er wirkte nicht wie jemand, der sich über arglose Frauen hermachte, aber ich war schon früher von ungemein anständigen englischen Jungs überrascht worden, die ihre Hände einfach nicht bei sich behalten konnten.
„Hier entlang“, sagte er. Seine Stimme klang merkwürdig und hallte von den Wänden wider. Ich hielt Abstand. Er verschwand in einem Durchgang. Ich folgte ihm, blieb stehen und sagte: „Allmächtiger.“
Es war ein Schwimmbad. Und nicht irgendein Schwimmbad – es wurde von griechischen Säulen gesäumt, überall Marmor, sanfte Deckenbeleuchtung.
„Ziemlich hübsch, findest du nicht? Vielleicht möchtest du irgendwann mit mir schwimmen?“
„Was passiert bei starkem Wellengang?“, fragte ich.
„Das Wasser schwappt ein bisschen herum. Aber bei Sturm macht es keinen Spaß. Man wird herumgeworfen wie ein Korken. Bei zu starkem Wellengang wird das Becken geschlossen.“
„Kommt das oft vor?“, fragte ich und mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, ob ich so etwas vertrug.
„Ständig. Der Atlantik ist dafür bekannt. Hast du nicht bemerkt, dass alle Möbel festgenagelt sind?“ Er sah meinen Gesichtsausdruck und lachte. „Ich ziehe dich nur auf“, sagte er. „Um diese Jahreszeit dürfte es keine Probleme geben. Auch keine Eisberge. Wir gehen besser wieder an Deck. Bald legen wir ab und du solltest die große Abfahrt nicht verpassen.“
Als wir das Deck wieder betraten, war es voller Menschen, manche davon mit Champagnergläsern in den Händen. Unten auf dem Kai spielte eine Band „Anchors Aweigh“. Die Schiffssirene tönte laut und man begann damit, die großen Taue zu lösen, die das Schiff an Ort und Stelle hielten, als ich meinte, eine bekannte Person zu sehen. Sicher hatte niemand sonst so unzähmbare dunkle Locken und diese zielstrebige, selbstbewusste, beinahe arrogante Gangart. Er kämpfte sich durch die Menge, die immer noch um die letzte Gangway versammelt war. Mein Herz schlug einen Salto.
„Darcy“, rief ich, aber meine Stimme ging in dem zweiten Ton der Schiffssirene unter. Rauch flutete das Deck und als ich erneut hinsah, konnte ich ihn nicht entdecken. Die Menge hatte sich von dem Dampfer entfernt und alle winkten nun wie wild mit ihren Taschentüchern. Wir entfernten uns Zoll um Zoll vom Dock. Ich beugte mich so weit vor, dass mich eine Hand zurückriss. „Wir wollen Sie nicht verlieren, junge Frau“, sagte ein älterer, militärisch wirkender Mann. „Es ist ein weiter Weg nach unten, müssen Sie wissen.“
„Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen, den ich kenne“, sagte ich mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ich wollte sehen, ob er an Bord kam.“
„Wenn er an Bord ist, werden Sie es schon bald herausfinden.“ Der Mann lächelte mir freundlich zu.
Mein neuer Freund schien verschwunden zu sein. Die Menschenansammlung auf dem Deck begann sich zu lichten, als uns die Schleppboote weg vom Dock und hinaus in den Schifffahrtsweg zogen. Ich blieb auf Deck und erwog hinunterzugehen und Darcy zu suchen, aber dann ging mir auf, dass es auf einem Schiff dieser Größe ein unmögliches Unterfangen sein würde. Ich versuchte mir einzureden, dass er es nicht an Bord geschafft haben konnte, während das Schiff auslief. Der Mann, den ich dabei beobachtet hatte, wie er sich durch die Menge kämpfte, hatte kein Gepäck bei sich getragen und die Schiffsoffiziere hätten ihn ohne Ticket nicht an Bord gelassen. Aber warum war er dann nicht mehr in der Menge zu sehen? Ich blieb stehen und blickte auf das Dock und die winkenden Menschen, die in immer weitere Ferne rückten. Wir fuhren den Solent hinauf, an der Küstenlinie vorbei. Ich wünschte, ich wüsste, ob es wirklich Darcy gewesen war, und verspürte einen kurzen aufregenden Glücksmoment, da er von meiner Reise erfahren hatte und gekommen war, um mich zu verabschieden, selbst, wenn er zu spät gewesen war.
Und wenn er es wie durch ein Wunder an Bord geschafft hatte, würde er mich früher oder später finden.
Auf hoher See auf der Berengaria
12. Juli
Oh Gott, endlich führe ich das Leben der Reichen und Berühmten. Ziehe mich gleich um und diniere am Kapitänstisch. Nimm das, Fig.
Als wir die Isle of Wight umschifft und das offene Meer erreicht hatten, spürte ich zum ersten Mal das Auf und Ab des wogenden Ozeans. Hoffentlich werde ich nicht seekrank, dachte ich. Welch eine Verschwendung das angesichts der vielen herrlichen Mahlzeiten und Vergnügungen wäre. Ich beschloss, nach unten zu gehen und mich für das Dinner umzuziehen. Wenn Darcy wundersamerweise an Bord war, würde ich ihm begegnen, falls er nicht zuerst meine Kabine fand. Ich eilte den Gang entlang.
Als ich ankam, sah ich Queenie, die aus dem Fenster meiner Kabine blickte. „Schaukelt ganz schön, Miss“, sagte sie.
„Du wirst dich schnell daran gewöhnen, Queenie, du wirst schon sehen. Du hast also schon ausgepackt, gut gemacht. Jetzt würde ich mich gern zum Dinner umziehen.“
„Was wollen Sie denn tragen? Diese neuen Freizeitanzüge, die gerade der letzte Schrei sind?“
„Nein, ich glaube, in dem rückenfreien mitternachtsblauen Kleid werde ich elegant und weltgewandt aussehen.“
„Klar wie Kloßbrühe“, sagte sie. Dann hielt sie inne. „Hier. Welche Art Unterwäsche trägt man zu einem rückenfreien Kleid?“
„Gar keine, Queenie.“
„Was, kein Mieder? Kein Büstenhalter?“ (Sie sprach es wie „Bürstenhalter“ aus.)
Ich lachte. „Ganz bestimmt kein Mieder und auch kein Büstenhalter, fürchte ich.“
„Menschenskinder. Ganz schön mutig von Ihnen. Was, wenn Ihre Brüste rausfallen?“
Ich lachte. „Queenie, das Kleid ist so genäht, dass das nicht passieren wird. Außerdem habe ich kleinere Brüste als du und muss mir keine Sorgen machen.“
Sie begann die Kleider auf meinem Bett auszubreiten, während ich mich frisch machte.
„He“, rief sie. „Und was ist mit meinem Abendessen? Wo soll ich essen?“
„Ich glaube, der Speisesaal für Dienstmädchen ist oben auf dem Promenadendeck, aber du solltest Claudette fragen. Und Queenie, bitte gib dir Mühe, gute Manieren an den Tag zu legen, ja? Die anderen Dienstmädchen wären von deiner Wortwahl entsetzt.“