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Wiglaf Droste geht aufs Ganze. Kein Wunder, dass die Passauer Neue Presse konstatierte: "Lakonisch, irritierend, prügelhart, hochintelligent und punktgenau trifft Droste immer ins Schwarze." Droste ist unnachgiebig gegenüber politischen Hohlköpfen, weshalb er Frauke Petry als "Mischung aus Schreckschraube und Schreckschusspistole" beschreibt und Beatrix von Storch als "aufgeblasene Ochsenfröschin". Er entdeckt in Bamberg einen mysteriösen "Männerausverkauf": "Es waren allerdings gar keine Männer zu sehen, jedenfalls nicht in der Auslage; aber vielleicht hinten, im Lager? Das wäre doch der perfekte Skandal: Männer werden in Lagern gehalten und aus- oder auch abverkauft!" Er beschreibt, wie er zu einer Jogginghose kam, der "Kapitulation der Zivilisation", und wie er sie sogar anzog: "Der letzte Eisbär auf einer schmelzenden Eisscholle hätte sich nicht einsamer und unglücklicher fühlen können."
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Wiglaf Droste
Kalte Duschen, warmer Regen
Geschichten, Sprachglossen, Miniaturen
FUEGO
- Über dieses Buch -
Wiglaf Droste geht aufs Ganze. Kein Wunder, dass die Passauer Neue Presse konstatierte: »Lakonisch, irritierend, prügelhart, hochintelligent und punktgenau trifft Droste immer ins Schwarze.« Droste ist unnachgiebig gegenüber politischen Hohlköpfen, weshalb er Frauke Petry als »Mischung aus Schreckschraube und Schreckschusspistole« beschreibt und Beatrix von Storch als »aufgeblasene Ochsenfröschin«. Er entdeckt in Bamberg einen mysteriösen »Männerausverkauf«: »Es waren allerdings gar keine Männer zu sehen, jedenfalls nicht in der Auslage; aber vielleicht hinten, im Lager? Das wäre doch der perfekte Skandal: Männer werden in Lagern gehalten und aus- oder auch abverkauft!« Er beschreibt, wie er zu einer Jogginghose kam, der »Kapitulation der Zivilisation«, und wie er sie sogar anzog: »Der letzte Eisbär auf einer schmelzenden Eisscholle hätte sich nicht einsamer und unglücklicher fühlen können.«
»Ja, da ist sie wieder, die alte Wut. Droste schreibt die bösesten Anklagen und die schönsten Lobreden. Man hat ihn vermisst.« (Stefan Gohlisch, Neue Presse, Hannover)
»Summ, summ, summ: Früher oder später geht die Lektüre von Drostes Texten stets ins Ohr… Er hat so eine Lust am Wortübermut, am Sprachschabernack und an der schönen Schnurre.« (Gitta List, Schnüss, Bonn)
»Droste beglückt mit funkelnder Intelligenz und Sprachreichtum.«
Der türkische Diktator Recep Tayyip Erdogan hat den ehemaligen taz- und anschließenden Welt-Kollegen Deniz Yücel in Untersuchungshaft sperren lassen; Erdogans willige Helfer folgten der sie anführenden Terror-Qualle auch darin widerspruchslos. Die Vorwürfe gegen Yücel – »Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauch« – sind haltlos; jeder weiß das, die Diplomatie arbeitet im Stillen an der Freilassung Yücels, was den Opfern staatlicher Willkür und Gewalt oft reichlich mehr weiterhilft als das moralisierende Aufgepluster von Leuten, die sich »Menschenrechting« (Friedrich Küppersbusch) auf ihre Sportvereinsfahnen geschrieben haben.
Im Fall Erdogan aber bedarf es tatsächlich einer weltweit vernehmlichen, unmissverständlichen Reaktion; ein noch so winziges weiteres bisschen Appeasement gegenüber diesem Hitler-Verschnitt wäre fatal, wenn nicht letal für eine große Region dieser Welt. Als Demokrat darf man Erdogan nicht steinigen; man kann ihn aber schuhigen, also mit alten, schmutzigen, stinkenden Schuhen bewerfen, die man sich zu diesem Zwecke auf dem Müllplatz oder im Last Hand-Shop besorgt. Schuhhersteller sind gehalten, sehr unstylische Erdogan-Linien entwerfen und auf den Markt schleudern zu lassen, Miefmaukenumhüllungen mit hohem Härtegrad.
Deniz Yücel und alle seine Kolleginnen und Kollegen sowie sämtliche aus politischen Gründen von Erdogan und seinen Leuten Eingesperrte müssen aus der Haft entlassen werden; das Recht auf Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit muss wiederhergestellt werden, Erdogan gehört kein kurzer, sondern ein juristisch einwandfreier Prozess gemacht. Wer weniger verlangt und für weniger eintritt und kämpft, bedarf dringend des Nachhilfeunterrichts in Demokratie. Dass ich, mit unterdessen Mitte 50 und Arthrose in beiden Knien, von der Möglichkeit, Erdogan die Eier – so er denn welche hätte – in die Mandeln zu treten, mit Freuden und Kusshand Gebrauch machte, ist meine ganz private Phantasie.
Es war ein gebürtiger Sachse, der schrieb: »Vom andern aus lerne die Welt begreifen.« Der Mann kam 1883 als Hans Bötticher in Wurzen zur Welt, drei Jahre später zog die Familie nach Leipzig, wo es zu der Zeit üblich war, schwarze Menschen wie exotische Tiere in Zoos und Menagerien auszustellen. Als der Schüler Hans Bötticher sich von einer Samoanerin, die ihn faszinierte, tätowieren ließ, wurde er in der Schule brutal gezüchtigt und der Anstalt verwiesen.
Im Alter von 17 Jahren wurde er Schiffsjunge und erlebte am eigenen Leib weitere Drangsal und Menschenquälerei. Er ging zur Marine und wurde Kommandant eines Minensuchboots; zwar war er tendenziell unpolitisch, doch ein so weltanschaulich klarer, anständiger und loyaler Mann, dass die revolutionären Matrosenräte ihn bei ihren Versammlungen duldeten und sprechen ließen. Nach dem Krieg verschlug es ihn quer durchs Land, er wurde Dichter und erlangte unter dem Namen Joachim Ringelnatz Bekanntheit, ja Berühmtheit; Zeitgenossen wie die Schauspielerin Asta Nielsen und die Schriftsteller Alfred Polgar und Kurt Tucholsky liebten und verehrten ihn.
In München, der späteren »Hauptstadt der Bewegung«, wurden seine Auftritte schon früh durch rechte Burschenschafter gestört, die, passend zu ihren Mensurschmissen, mit Bierkrügen nach dem Bühnenkünstler warfen und ihn bepöbelten; die Korporierten nannten seine Dichtungen »frivol« und »antivaterländisch«, was auch die Nationalsozialisten taten, die ihm Publikations- und Auftrittsverbot erteilten und ihn, den mittellos Gewordenen, damit zum Tod durch die Tuberkulose verurteilten, deren Behandlung er sich nicht mehr leisten konnte. Er starb 1934, gerade mal 51 Jahre alt. Was er von Hitler und seinen Leuten hielt, schrieb er, der sich stets der Welt und ihren menschlichen und tierischen Bewohnern poetisch zugewandt hatte, deutlich auf und sprach von dem »treuen deutschen Wort Scheiße«.
Auch das fällt mir ein, wenn ich sehend und lesend nacherlebe, was sich tut in Sachsen und anderswo, wie sich Mobs zusammenrotten, unter Duldung und offen gejohlter Zustimmung und Anfeuerung von schaulustigen Passivsadisten, die noch nicht selbst mit Hand anlegen, wenn es um Gewalt, Brandstiftung, Morddrohung, Körperverletzung und eine aggressiven Feindseligkeit geht, wie sie so offen und so gehäuft lange nicht zutage trat. So wie Joachim Ringelnatz kein Ringelnatz-Problem hatte, wenn er angegriffen wurde, sondern ein Problem mit Leuten, die als »Arschgeigen« zu bezeichnen sträflich verharmlosend wäre, gibt es in Deutschland kein »Flüchtlingsproblem«, sondern ein Problem mit Deutschen, die sich zum handgreiflichen Abschieben bis hin zum Lynchmob organisieren.
Gedeckt und angestachelt werden sie von Politikern, die sich seriös geben, sich von Gewaltexzessen rhetorisch distanzieren und eine Politik propagieren, die alles, was sie abzulehnen und zu verabscheuen behauptet, erst ermöglicht. Der CSU-Funktionär Markus Söder, Träger des »Ordens wider den tierischen Ernst«, verlangt die Abschiebung von 350.000 Flüchtlingen und Asylsuchenden; dabei müsste er jedem auf Knien danken, der sich herablässt, seine Schweinestallsprachwüste aufzusuchen, einen Land-Strich, in dem einer wie Söder zu Macht und Ansehen gelangen kann. »Freistaat« ist ein anderes Wort für antidemokratisches An- und Unwesen, das gilt für Bayern wie für Sachsen – es sei denn, man entmachtete die Repräsentanten dieser Heimatschutzdiktaturen und schickte sie gnädig Toiletten putzen gehen, an der Autobahn, der Lieblingsstraße ihres Vorbilds.
Dass auch nur einer der Vorgänger Söders seinen albernen Orden aus Protest zurückgegeben hätte, ist nicht bekannt; die Volksaufhetzer erfahren keinerlei soziale Ächtung. AfD-Rechtsradikale werden medial hofiert; die Begründung, man würde ihnen sonst zu noch mehr Aufmerksamkeit und Zulauf verhelfen, ist so absurd und geistabsent, dass sie nur durch medial erzeugte Selbstverkrüppelung in die Welt kommen kann; das Lied »Crippled Inside« von John Lennon trifft Sache und Personal im Kern. Wo ein AfD-Mitglied ein Flüchtlingsheim leiten darf wie im sächsischen Clausnitz, kann man Amnesty International auch der NPD angliedern.
Was hat das alles mit Joachim Ringelnatz zu tun? Er war, wie Erich Kästner, Sachse; Gemeinheit und Niedertracht sind nicht regional gebunden; wo immer man ihnen begegnet, muss man sich wehren, mit den Mitteln, die man hat. Freigeistigkeit, humanistische Verwurzelung und Herzensbildung sind Bedingung für eine Welt, in der Menschen in Würde leben können. Erklärte Feinde und Abschaffenwoller demokratisch-humaner Minimalregeln ausschließlich mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen, klingt heroisch, läuft aber in vielen Fällen auf Kapitulation hinaus. Was AfD, Pegida, NPD und ihre Mentoren tun werden, wenn sie erst richtig Macht in Händen halten, kann man sich ansehen, wo sie auf lokaler Ebene bereits dazu fähig und befähigt worden sind.
Man muss einen Tot- und Mordschlag nicht erst begangen haben, um dafür abgeurteilt zu werden; die glaubhaft erklärte Absicht ist vollkommen ausreichend für die Anwendung juristischer Mittel und den Entzug jedweder bürgerlichen Rechte. Es gibt mit Nazis nicht das Geringste zu diskutieren; sie sind nicht verführt oder verblendet, sie sind Nazis aus Neigung, irreparabler Schädigung, Niedrigkeit, Gehässigkeit, sadistischer Freude, und sie sind es aus der Jauchegrube ihres »Ich« sich nennenden Niemandslands von Herzen gerne.
Mit der Aufbewahrung in einem Archipel Gulasch – verpflegt mit dem Giftfleisch, dessen Verzehr sie innerlich wie äußerlich prägt – wären sie noch geradezu übermenschlich freundlich bedient. Eine Abschiebung in den Islamischen Staat wäre schon angemessener und käme natürlich auch finanziell günstiger.
»Auch der Hass gegen die Niedrigkeit / verzerrt die Züge. / Auch der Zorn über das Unrecht / Macht die Stimme heiser«, heißt es in Bertold Brechts großem Gedicht »An die Nachgeborenen«. Das stimmt, man kann es sehen und hören. Bei manchen Lesern vollzieht sich der Prozess der Hässlichwerdung bei oder direkt nach der Lektüre einer Spiegel online-Kolumne von Jan Fleischhauer, der den deutschen Ableger von Roger Koeppel gibt, seitdem er entdeckte, wieviel Konjunkturpotential im Gejammer über ein links angehauchtes, grün-alternatives Elternhaus steckt, über ein Milieu, das zwischen Petra Kelly, Antje Vollmer und Boris Palmer changiert, zwischen Sekte, Kirchentag bis zur schnödesten Rechtsranschmeiße also, das Kritik und Spott deshalb vollrohr verdient hat, allerdings nicht zum einzigen Topos eines gedeihlichen Berufslebens taugt und fruchtet.
Man muss den Nachgeborenen Jan Fleischhauer nicht groß ernst nehmen; er schrübe, so man’s ihm entsprechend vergütete, auch das Gegenteil oder sonst irgendetwas, und wer sich über ihn erregt, arbeitet ihm zu und tut ihm einen Gefallen. So verhält es sich nun einmal in den journalistischen Wurf- und Boxbuden, das ist nur das übliche Geschäftsgebaren.
Wenn Fleischhauer sich seine Vortäuschung von Abscheu allerdings selber zu glauben beginnt, auf die eigene Propaganda hereinfällt und sie dann dem Gesetz des Effektgewinns folgend steigern muss, läuft ihm der Quark vollends aus dem Ruder, und er wird vom leicht vorhersehbaren, verlässlich plumpen Polemiker zum Bauchredner schierer Gemeinheit. In seiner Kolumne »Flüchtlinge als Waffe« schrieb Fleischhauer im Februar 2016: »Unsere Schwäche ist das Mitgefühl. Wenn wir das Bild eines Kindes sehen, das tot an einen Strand bei Bodrum liegt, lässt es uns nicht kalt, sondern weckt den Wunsch, das Elend zu lindern. Dass Deutschland seine Grenzen für Menschen in Not geöffnet hat, verdankt sich keinem Kalkül, sondern einem nationalen Akt der Hilfsbereitschaft.«
Statt den Vollzug »nationaler Akte« für die zu diesen Zwecken angelegte und vorgesehene rektale Körperöffnung zu reservieren, fährt Fleischhauer fort: »Wer sich allein von Nützlichkeitserwägungen leiten lässt, ist dagegen zunächst im Vorteil. Er ist nicht erpressbar, egal wie groß der Schrecken ist. Wenn die Herren im Kreml sich um das Schicksal eines Kindes sorgen, dann um das eines 13-jährigen Mädchens in Berlin-Marzahn, das man für die Propaganda einspannen kann, weil es so herrliche Schauergeschichten über die Muslime erzählt, die Frau Merkel nach Europa lässt. Zeigen Putin und seine Leute ausnahmsweise Gefühlsregungen, dann sind diese fast immer infantil: Es geht bei ihnen stets um Kränkung und Zorn wegen mangelnder Beachtung, nie um Empathie und Nachsicht.«
So fleischhauert sich das zusammen: Deutsche fühlen menschlich, Russen tun nur so. Beim Thema Putin läuft Fleischhauer der Gratismut im Mund zu Schaum zusammen: »Man kann sich mit Diktatorenliebe anstecken wie mit einer Krankheit. Wenn in Talkshows über die ›strategischen Interessen‹ der Russen so geredet wird, als gäbe es ein Naturrecht, sich in anderen Ländern den Weg freizubomben, ist das mehr als bizarr. Bei Peter Scholl-Latour hatte die erfahrungsgesättigte Ruchlosigkeit, mit der er die notorischen Schwafler und Schönredner auflaufen ließ, noch einen gewissen Charme. Bei jemandem wie Gabriele Krone-Schmalz, deren Auslandserfahrung sich auf vier Jahre im Moskauer ARD-Studio beschränkt, bleibt schon nach den ersten Sätzen von der Coolness des Weltreporters nur die Kaltherzigkeit der Kreml-Mamsell.«
So kommt ein neuer Beruf in die Welt: »Kreml-Mamsell«; frühere Propagandaexperten sprachen direkt von »Russenliebchen«. Bei Fleischhauer endet das so: »Wer die Menschen in Syrien erst aus ihren Häusern bombt, damit sie sich nach Norden aufmachen, und dann dort die rechtsradikalen Kräfte unterstützt, die gegen eine Aufnahme Stimmung machen, ist jedenfalls kein Freund Europas und noch weniger ein Freund der Deutschen. In anderen Zeiten hätte man ihn einen Feind genannt.«
Ich bin kein »Freund der Deutschen«; weder weiß ich, wer oder was das sein sollte, noch halte ich es für ein Pflichtfach. Dass mich die nicht durch Ressentiment, sondern durch Erfahrung erworbene Skepsis Landsleuten (wie zum Beispiel Jan Fleischhauer) gegenüber zu einem Verehrer des Kaffeewürzmischers Wladimir Putin machte, wäre mir neu. Fleischhauers Freund-Feind-Rhetorik dünstet dieselbe trübe »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!«-Scheu- und Großklappigkeit aus, die er dem Milieu, in dem er groß wurde, nicht zu Unrecht vorhält. Die Vergangenheit holt eben alle ein, und am ehesten diejenigen, die sich ihr nicht präzise stellen, sondern sie entweder zwanghaft verherrlichen oder aber dämonisieren müssen und damit die Gegenwart verhässlichen, für sich und für andere.
In Banden-Württemberg sind seit März 2016 wieder Rechtsradikale im Landtag vertreten. Ist Hans Filbinger wieder auferstanden? Nein, die AfD kann das gut ganz alleine, dass sogar die erfolglose Konkurrenz von der NPD über die finalen Grenzschutz-Schuss-Erwägungen respektive Abknallphantasien, mit denen die AfD anschließend dann aber gar nichts zu tun gehabt haben wollte, an der AfD herummaulte. Kurz vor der Landtagswahl bekamen die Traditionsnazis eine derartige Panikattacke, dass sie sich von der AfD distanzierten, die zwar den rechten Rand nicht halten, ihn aber dominieren kann. So kalt waren die Käsemauken der NPDisten, dass sie quasi on the rocks herumstiefeln mussten. »Konsequent abschieben« lautet eine ihrer Parolen; wer aber will sie haben und aufnehmen? Wenn die Selbstausschaffung der NPD allerdings gelänge – vielleicht klappt es ja in Sibirien? –, dann bitte die AfD nicht vergessen, sondern mit in den Gepäckraum werfen. Eine kleine Bitte ans Bodenpersonal erlaube ich mir zu äußern: Don’t handle with care.
Rechtsradikale Volksvertreter? Als Schuhabtreter oder Schuhcremevertreter für Erdal braun wären sie mir lieber, aber sie werden ja gewählt. Auf die Frage warum, weiß ich außer der anthropologischen Konstante Niedertracht und frei flottierenden »Denen zeig’ ich’s!«-Phantasien keine Antwort. Es wird der oder die Rechtsradikale nicht ernsthaft gesellschaftlich geächtet, sondern es wird im Gegenteil die Meinungsfreiheit, die Rechtsradikale außer für sich selbst und ihresgleichen keinen Deut interessiert, zu ihren Gunsten ausgeleiert, bis sie schlapp, am Boden und leicht zu kassieren ist. Es wäre nicht das erste Mal.
Demokraten sind gegenüber Nichtdemokraten im strategischen Nachteil, sich an demokratische Gepflogenheiten zu halten und ihren Maßgaben entsprechend zu handeln. Für das in Phantasialand stattfindende Ausleben archaischer Tagträume – auf eigene Faust, oder, wie bei Til Schweiger, auf eigene Panzerfaust, »aufzuräumen«, endlich mal »den ganzen Dreck wegzumachen«, das einengende juristische Regelwerk zu durchbrechen, das demokratische Korsett abzustreifen und atavistische Weltvorstellungen als »Recht und Ordnung« zu deklarieren –, sind entsprechende Filme im Kino, im TV und im Computer überreichlich vorhanden.
Gewählt aber wird in der sogenannten wirklichen Wirklichkeit, und das kann sehr konkrete Folgen nach sich ziehen: Eine demokratisch legitimierte Minderheit lässt die Mehrheit nach ihrer Pfeife keinen Schieber, sondern einen Abschieber nach dem anderen tanzen. Die »etabliert« genannten Parteien – früher in LTI-Sprache: »Systemparteien« genannt, machen es den Rechtsradikalen leicht: Sie übernehmen entweder in weiten Teilen die Forderungen der Rechtsradikalen oder sind durch Lobbyismus und andere Formen der Korruptheit alles andere als taugliche Werbemittel oder Testimonials für demokratisch verfasste Verhältnisse. Mit Phantomdemokraten lässt sich kein demokratischer Staat machen.
Immer wieder erstaunlich ist das demonstrative Erstaunen über ganz und gar unerstaunliche Vorgänge. So sehr es jede nur semihumanoid empfindende Existenz anwidern muss, dass gut ein Fünftel bis knapp ein Viertel der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl 2016 seine Stimme den Schlips-und-Kragen-Nazis von der AfD gab: Überraschend ist es nicht.
So wie es einen Antisemitismus ohne Juden gibt, so gibt es einen Fremdenhass ohne Fremde. Ein Blick in den Spiegel reicht für jeden AfD-Politiker oder -Wähler aus, um einen Ekel zu erzeugen, der dann auf andere abgewälzt werden muss, ob sie nun tatsächlich existieren oder bloße Gespinste sind, Phantome, gegen die mutig anzukämpfen eine leichte Übung ist.
Eingeübt beim vorgeblichen Widerstand wird, wie man als Menschen geborene Wesen zu Mutanten macht, die aus Angst, Hass und ein paar Körperflüssigkeiten bestehen, die selbständig weder denken können oder wollen oder im Idealfall beides nicht. Solchen Lemuren zu attestieren, sie seien »Protestwähler«, die der herrschenden Politik einen »Denkzettel« hätten verpassen wollen, ist die Fortsetzung der AfD-Propaganda mit medialen Mitteln: Wer selbst nicht denken kann oder will, ist auch nicht in der Lage, Denkzettel zu verteilen, so wie Politessen ein Knöllchen ans Auto stecken.
Wofür die AfD steht, ist die Entfernung demokratischer und emphatischer Minimalstandards aus Mensch und Gesetz; Leute, von denen Angela Merkels Restfesthalten am Grundgesetz als Gespenst des Kommunismus denunziert wird, gehören kaum noch zur Menschheit. Man sollte sie allesamt im Zoo ausstellen, in der Amöben-Abteilung; allein, wer wollte schon Eintrittsgeld dafür bezahlen, sich hasszerfledderte Feiglinge anzusehen.
Die politischen Verhältnisse werden immer medizinischer; was der CDU/AfD-Atavismusbrömmler Gauland auf dem verlorenen Posten, den er mit einem erklommenen Gipfel verwechselt, gesagt hat oder lieber doch nicht gesagt hätte oder haben will, kommentierte ein Hamburger Freund mit den besonnenen Worten: »Der ist ja noch dementer als meine Mutter.«
Das war nicht im mindesten gehässig von ihm, sondern ganz berechtigt, denn seine liebenswürdige Mutter lebt zwar in ihrer eigenen Alterswelt, aber so beschränkt wie der sich für klar im germanischen Schrumpfkopf haltende Nachbarschaftsbeauftragte Gauland könnte sie niemals werden.
Man kann es schon lange nicht mehr hören, das Gerede über alles, das man angeblich »nicht den Rechten überlassen darf«; Hitler auf gar keinen Fall, denn von dem, was dieser Longseller spirituell und finanziell »erlöst«, möchten viele ihren Anteil abbekommen. Auf gar keinen Fall darf man den Rechtsradikalismus den Rechtsradikalen überlassen, das wäre verantwortungslos, vor allem, wenn sie gerade Aufwind, Oberwasser und medialen Auftrieb haben, da möchte man nicht beiseite stehen. Der damalige Bundespräsident Gauck verhängte das Dekret, man dürfe »die notwendige Debatte über Begrenzung nicht den Radikalen überlassen«, sondern müsse sie vielmehr »in die Mitte« holen. Freund Friedrich kommentierte kühl: »50 Shades of braun.«
Das gefiel mir ganz ausgezeichnet, und ich antwortete: Gauck ist der, der er immer war, was aber wegen seines zusammengeflunkerten Widerständlernimbus’ oder Nimm-den-Busses kaum jemand öffentlich zu sagen wagt. Ich plädiere für folgenden Handwerkerkalauer: »Gib mir mal den 13er Nimbus rüber, ich schraube das Ding jetzt ab.«
Danach sollte Ruhe herrschen, aber nicht die Soldatenfriedhofs- und Verwesungsruhe, die Gauck entströmt, sondern die gute Ruhe der Einsicht und der Vernunft.
Verglichen mit New York ist Köln eine eher kleine Stadt, die aber seit Silvester 2015/16 – endlich, endlich! – auch ihr Nine Eleven hat. Das ist zwar, typisch Karneval, vollständig übertrieben, aber die Angelegenheit war zweifellos widerlich: Hunderte Frauen wurden von Männern belästigt, begrapscht, bedroht, bestohlen und beraubt. Das ist charakterlich erbärmlich und, was gut ist, strafrechtlich relevant. Für sowas gibt es juristisch einen auf die Mütze.
Nach wenigen Tagen aber richtete sich das öffentliche Augenmerk auf die – in diesem Fall nordafrikanische – Herkunft vieler Delinquenten. Die Flüchtlings- und Asyl- vulgo Abschiebe-Debatte, die so gleichermaßen geheuchelt, verlogen wie aggressiv ist, dass man tatsächlich von »Debattenkultur« sprechen kann, wurde hochgekocht. Ist es für Frauen angenehmer, von betrunkenen deutschen Männern überfallen zu werden als von aus kulturellen Gründen seltener alkoholisch befeuerten marokkanischen? Weil die Frauen das Gelalle der deutschen Kerle wenigstens halbwegs verstehen? Eine gemeinsame Sprache schafft Verbundenheit, aber gilt das auch bei Behelligern, Zudringlingen, Räubern und Notzuchtgierhälsen?
Oder schüren die Sprachbarrieren – afrikanische Sprachen gelten ja als »guttural« – zusätzliche Ängste? Mit betrunkenen Deppen wird man für gewöhnlich leichter fertig als mit nüchternen, aber ins Auge gehen kann beides. Doch darum ging es gar nicht, sondern um die Verschärfung eines simulierten Kulturkampfes, in dem ständig europäische, deutsche und überhaupt hochzivilisatorische Werte gegen Überfremdung und Minderkultur verteidigt werden müssen.
Zu diesen Werten zählt auch der deutsche Karneval; ein mir bekannter Physiotherapeut, der in einer Karnevalshochburg lebt, schließt seit zehn Jahren in der Zeit zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch seine Praxis und auch die Haustür zu – jahrelang hatten ihm die lustigen Narren und Jecken jederlei Geschlechts ab dem frühen Morgen in den Hausflur gestrullt, gekoddert und sich auch fäkal »gelöst«. Der Mann hatte die Nase, die Augen und überhaupt den Kanal voll und geht in diesen »toll« genannten Tagen in Urlaub; »toll« ist hier in seiner ursprünglichen Bedeutung – wahnsinnig, tollwütig – zu verstehen.
Wer traditionell turnusmäßig und willentlich herbeigeführte Tollwut als zivilisatorische Errungenschaft, als »Wert« oder als Ausdruck von Freizügigkeit missversteht und zum Vorwand nimmt, das organisierte Erbrechen zu rechtfertigen oder sogar zu verherrlichen, darf sich nicht wundern, wenn er als verächtlich empfunden wird. Es gibt wenig Humorloseres und Abstoßenderes als den Karneval, bei dem darüber hinaus die lokalen und regionalen Hauptkriminellen aus Wirtschaft und Politik immer in den Ehrenlogen sitzen.
Karnevalisten gehören sozial geächtet; das ist, weil sie massenhaft auftreten, nicht ganz leicht, und sie würden es, weil sie ja unter sich sind, auch gar nicht bemerken. Dass sie sich und ihr würdefernes Treiben lieber durch Rocker-Patrouillen und rechte Schlägertrupps verteidigen lassen, als einsichtig nicht einhellig mit ihren Kameraden, sondern im Gegenteil mit ihren für andere äußerst qualvollen Gewohnheiten zu brechen, sagt viel über den Grad ihres Herabgesunkenseins aus. Und für eine deutsche Frau, die zwar von Männern nicht bis zum Äußersten belästigt werden möchte, aber falls doch, dann ausschließlich von deutschen, verfügt auch der gentilste Mann über keinerlei Hilfsmittel mehr. Da müssen sie dann durch, wie es so heißt, und eine schall-, geruchs- und blickdichte Glocke obendrauf wäre sehr hilfreich.
Mancher möchte unbedingt etwas tun, zu dem er nicht im mindesten befähigt ist. Je geringer die Chance, dass er es noch erlernt, desto verbissener sein Ehrgeiz. So kam in die Welt, was der Deutsche Straßenverkehr nennt.
Das ist nicht schön anzusehen; in ihren PKW, Lieferwagen und auf ihren Fahrrädern, vulgo edel-vulgär, »Bikes« entwickeln die Landsleute eine Melange aus Unfähigkeit, Rechthaberei, Vorteilsnahme und mangelndem Unrechtsbewusstsein, aus der sich eine Aggression entwickelt, die der Deutsche seltsamerweise nicht gegen sich selbst, sondern gegen andere richtet.
Es existieren aber weit gefährlichere Wunsch/Wirklichkeit-Nichtzusammenbekommer; nicht wenige Deutsche möchten das Vierte Reich errichten, können aber nur mit größter Mühe und unter Aufbietung all ihrer Kräfte bis drei zählen. Was tun, AfD und Pegida?
Zum Glück für die geistig-horizontal katastrophale Knabbermischung aus Talkshow-Nazis und Straßenschlägern gibt es Mediengestalten, sie so gerne kritische Journalisten wären, vorausgesetzt, es wäre frei Haus und ohne Reiberei und Ärger zu haben. Man kann hier vom Plasberg-Syndrom sprechen, wobei der Name dieses Eitelfeixers nur einer von vielen ist, die auf die originelle immergleiche Idee verfallen, sich eine braune Tonne ins Studio einzuladen, ein wenig naserümpfend an ihr herumzuschnobern, um dann am Ende doch einen perfekten Kratzfuß hinzulegen, selbstverständlich im Namen von Demokratie, Wählerwillen, Pluralismus, Parität und allem.
Die Blamagen, in die sie sich und jede nennenswerte Berufsauffassung tunken, sind selbstverständlich nicht ihrer anerzogenen oder beruflich erworbenen Feigheit geschuldet, sondern dem Gebot der Abbildung von Vielfalt sowie den Verhältnissen, die man nicht verändern, sondern nur moderieren will. Dieses höchst einfältige Medienpersonal hat seine unegalen Pranken ausschließlich zu dem Zweck, fortwährend zu erklären, sie seien ihnen gebunden. So – und ausschließlich so – ist die AfD/Pegida-Kampfvokabel von der »Lügenpresse« zutreffend: Es handelt sich um Brown-Nosing-Journalismus.
Ist die Welt nicht furchtbar langweilig, weil sie einem die immergleiche hässliche, mörderische, gemeine und abstoßende Visage zeigt? Man kann das so sehen, und nicht wenige hoffnungsvolle junge Männer fielen oder fallen der Schwermut anheim, manche auch der Schwerwut, der Verzweiflung, der Trunksucht – letzteres nicht deshalb, weil es sich bei ihnen um sogenannte »Feierbiester« handelte, sondern, im Gegenteil, um sehr ernsthafte Existenzen.
Aber ist diese Sicht auf die Welt hilfreich und klug? Es will mir nicht so scheinen. Der Teil der Menschheit, für den ein Tag nur dann ein guter Tag war, wenn jemand anderes getäuscht, ausgeplündert und dreist betrogen wurde, ist zweifelsohne existent, und der Eindruck, er vergrößere sich und verbreite sich aggressiv metastasenhaft, kann leicht entstehen. Wenn jemandem beim Anblick von Flüchtlingen nichts anderes einfällt, als reflexhaft »Weg hier! Raus mit euch! Verschwindet! Packt euch!« zu krakeelen und gegebenenfalls ein Pogrom anzuzetteln oder individuell kräftig Hand anzulegen, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, bekommt das Wort Notschlachtung einen verführerischen Klang.
Doch soll man sich seinem Feind – das Wort »Gegner« ist hier fehl am Platz – nicht gemein machen, schon gar nicht in der Wahl seiner Grunzsprache und sonstiger Mittel. Wer Flüchtlinge in lebensgefährdende Situationen, denen sie gerade mühevoll entronnen sind, zurückjagen will, macht sich der versuchten oder vollzogenen Beihilfe zum Mord schuldig und gehört dafür verurteilt und eingesperrt. Verbale Mordbrennerei ist durch das kostbare Gut der Meinungsfreiheit nicht gedeckt.
Dazu kommt, dass die Grölmobber und ihre Anzug tragenden Vorturner gar nicht wissen, was eine Meinung ist; sie lügen bereits, wenn sie das Wort »Ich« nur aussprechen, aber auch das wissen sie selbstverständlich nicht, sonst wären sie ja andere, aber sie haben ja weder von Adorno noch von Rimbaud je gehört. Nennenswerter Gedankengang ist bei ihnen nicht einmal unter dem Mikroskop feststellbar, und wenn die Mischung aus Niedertracht, Dummheit, Gemeinheit und Feigheit einen mangels Masse erfolgenden Hirntod nach sich zöge, hätten die Friedhofsgärtner im Land hunderttausendfach die Hände voll zu tun.
So simpel aber ist es nicht; auch Hundekothaufen sind Teil des Universums. Das ist mitunter maßlos deprimierend; langweilig ist es nicht. Langeweile entsteht durch mediale Vermatschung und Breittretung, gepaart mit Zerstreuung. Wenn die zurecht verneutrummt »Bevölkerung« genannten Massen, die diese Welt tatsächlich weit über Gebühr mit sich bevölkern, vor der Idiotenlaterne sitzen, sich Castingshows aller Art gefallen lassen, sich auch die Werbeblöcke nicht entgehen lassen, mit dieser Information im Rücken eine Meinung zu Flüchtlingen haben und den ganzen Salat dann noch digital kommentieren, ist die Genese zur geistigen Langnese vollzogen.
Bevor ich mich einer Depression ergebe, will ich doch lieber fröhlich in Ärsche treten. Erstaunlich, wie viele Gesäße dem gleichen, das ganz unzutreffend »menschliches Antlitz« genannt wird.
Ja ja, man weiß es: »Kinder-Schokolade« ist ganz schlimm, Zahnärzte geben sie ihren Kindern, damit sie nach Feierabend noch was zu bohren haben. Und Ferrero vulgo Nestlé ist ein übler, global verheerend wirkungsmächtiger Lebensmittelschurke, dem man das Handwerk legen muss. Und Fußball ist nichts als Kommerz. Ja, das stimmt alles, aber Kindern jeden Alters ist es manchmal trotzdem egal. Die wollen dann ihren »Kinder-Riegel«, auch wenn sie klug genug sind zu wissen, was sie sich da in den Kopf stecken. Zwar achten sie auf gute und gesunde Ernährung, aber Ausnahmen müssen unbedingt sein, Prinzipienreiterei hält doch keine Sau aus. Und mit Leuten, die protestantisch »konsequent!« sind, ist nicht gut Kirschen essen, weder solche aus dem eigenen Garten, vom Markt, vom Biohof und schon gar nicht »Mon Chéri« genannte, womit wir wieder bei Ferrero sind.