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Karl das Karzinom verändert jäh das Leben des Autors und Altenpflegers Bernhard Giersche. Ganz nach Autorenmanier versucht er seinen wechselnden Gefühlen Herr zu werden und sie in Form eines Krankentagebuchs öffentlich in einem sozialen Netzwerk zu posten. Unglaublich authentisch, da nie als Buch geplant, liest sich dieser Bericht wie ein Roman. Getreu seinem Wahlspruch: "Geht nicht gibts nicht!" nimmt er den fast aussichtslosen Kampf gegen Karl auf.
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Seitenzahl: 175
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Bernhard Giersche
Kampf dem Karl,
der Tod kann warten
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
1. Juli 2017
4. Juli 2017
5. Juli 2017
7. Juli 2017
8. Juli 2017
9. Juli 2017
10. Juli 2017
12. Juli 2017
13. Juli 2017
14. Juli 2017
15. Juli 2017
16. Juli 2017
17. Juli 2017
18. Juli 2017
19. Juli 2017
20. Juli 2017
21. Juli 2017
22. Juli 2017
23. Juli 2017
24. Juli 2017
25. Juli 2017
26. Juli 2017
28. Juli 2017
29. Juli 2017
31. Juli 2017
1. August 2017
2. August 2017
3. August 2017
4. August 2017
5. August 2017
6. August 2017
7. August 2017
8. August 2017
9. August 2017
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11. August 2017
13. August 2017
15. August 2017
17. August 2017
18. August 2017
20. August 2017
21. August 2017
26. August 2017
27. August 2017
28. August 2017
29. August 2017
30. August 2017
31. August 2017
1. September 2017
2. September 2017
4. September 2017
5. September 2017
6. September 2017
7. September 2017
8. September 2017
10. September 2017
11. September 2017
12. September 2017
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19. September 2017
21. September 2017
22. September 2017
23. September 2017
24. September 2017
25. September 2017
26. September 2017
Nachwort
Vita
Impressum neobooks
Dieses Buch widme ich meiner geliebten Frau Gisela Fischer, die nach einer zu kurzen, schönen Zeit nun diesen schweren Weg mit mir gehen muss. Sie bedeutet alles für mich, stützt, pflegt und tröstet mich und bringt mich zum lachen. Sie gibt jedem noch so schweren Tag einen Sinn um doch noch weiterleben zu wollen. Ohne sie wäre ich längst verloren, hätte mich meiner Krankheit gebeugt und den Kampf vermutlich schon aufgegeben. Sie gibt mir Kraft, Zuversicht und Geborgenheit und hat mich unendlich glücklich gemacht, als sie mir angesichts dieser ausweglosen Diagnose ihr Jawort gab.
Wie versprochen nun also die Erklärung warum ich schon wieder im Krankenhaus liege. Ich mache es so kurz wie möglich. Warum ich meine Diagnosen bei Facebook öffentlich mache liegt daran, dass ich auf keinen Fall möchte, dass Menschen an denen mir liegt irgendwelche Scheißhausparolen hören oder lesen. Ich habe ein Pankreas Karzinom mit großen Metastasen in der Leber und im Darm.
Meine Gisela und ich hoffen , dass die neuartige Methadontherapie anschlagen wird und ich allen Prognosen zum Trotz weiterleben werde. Aufgeben kommt auf keinen Fall in Frage!!! Ich werde, so ich denn kann, immer mal wieder über die Entwicklung berichten. Sicher versteht ihr, dass wir keine Kraft und Zeit haben, um alle unsere Facebook Freunde einzeln zu informieren. Seid bitte nicht böse deswegen. Gisela Fischer und ich gehen diesen Weg zusammen mit unseren Familien. Jeder gedrückte Daumen mag helfen.
Ich habe mir überlegt, wie ich diese Krankenhausphase einigermaßen sinnvoll nutzen könnte. Überhaupt hier zu schreiben wird mir sicherlich von einigen als „Drängen in den Mittelpunkt“ ausgelegt, aber sollte mich das jucken? Ich beobachte an mir täglich neue Effekte und Entwicklungen. Veränderungen und Ansichten. Es sind teilweise recht interessante Phänomene zu beobachten, an mir und auch an anderen. Und warum nicht darüber schreiben? Habe ja sonst nichts mehr zu tun und das Ersinnen fiktiver Geschichten fällt mir schwer im Moment, wo doch die Realität extrem spannend ist.
Über den Tod und das Sterben sind schon unzählige Bücher geschrieben und Filme gedreht worden. Dem noch ein weiteres Elaborat hinzuzufügen liegt mir fern. Gleichwohl kann mich ja niemand daran hindern, meine Beobachtungen aufzuschreiben und so eine Art Tagebuch zu führen bis zum Ende. (Wann immer das sein wird...) ich bin ja jetzt in der komfortablen Situation, in erster Reihe zu stehen und freie Sicht auf das zu haben, was da auf mich zukommt. Also habe ich mich entschlossen, einmal täglich etwas darüber zu schreiben und in meine Timeline zu posten. Wer das nicht lesen mag , dem gebe ich jetzt die Gelegenheit, mich nicht mehr zu abonnieren, bzw. mich zu entfreunden. Damit die geneigte Leserschaft weiß, um was es geht, hier der Link zu einer Erklärung. Ich habe die Diagnose Pankreasschwanzkarzinom mit metastasierter Leber,(ICD 10 Code C25.4). Ich denke, dass ich heute Nachmittag damit beginne aufzuschreiben, was alles so um diese Erkrankung herum zu beobachten ist. Also eine Art Livebericht aus dem Krankenhaus.
Also dann...schreibe ich einfach mal nieder, was ich für nennenswert erachte. Natürlich darf kommentiert, gefragt oder ergänzt werden. So bewirkt das kleine Tagebuch vielleicht etwas Gutes und die ganze Geschichte ist nicht einfach nur sinnlos. Heute will ich berichten was eigentlich passiert ist, wie die Diagnose zustande kam und wie meine Gefühle waren an jenem Tage. Ich will mich bemühen, nichts weg zu lassen oder gar etwas dazu zu dichten. Es ist also alles wahr und wirklich so passiert.
Vor etwa vierzehn Tagen wachte ich das erste mal mit diesen seltsamen Oberbauchschmerzen auf. Rechts unter dem Rippenbogen tat es weh, fühlte sich an wie kernige Seitenstiche nach einem Sprint. Das tiefe Einatmen fiel mir schwer. Ich bin schon über einem Jahr krank geschrieben wegen eines Rückenleidens und an Schmerzen gewöhnt. Seit einem halben Jahr kamen monatlich immer neue Sachen dazu...erst Bluthochdruck, dann Diabetes und nun eben Oberbauchschmerzen. Über den Tag gesehen wurde der Schmerz weniger und flachte in den nächsten Tagen fast ganz ab. Dann wieder eine Nacht mit mehr Schmerzen...schlimmer als zuvor...wieder wurde es weniger und zuletzt war er dann plötzlich so stark präsent, dass ich zum Hausarzt ging. Der wurde gleich hektisch und machte Ultraschall etc. Er vermutete eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse, die er im Ultraschall auffällig fand. Der Hausarzt ließ einen Rettungswagen kommen und mich ins katholische Krankenhaus nach Lippstadt bringen.
Dort wartete ich dann auf meiner Liege etwa zwei Stunden, bis mich jemand in ein Behandlungszimmer schob und untersuchte. Wieder Ultraschall, diesmal aber ohne Befund. Der Oberarzt kam und auch er machte wieder einen Ultraschall, fand aber nichts auffälliges. Nach dem Röntgen des Bauches und einer Magenspiegelung legten sich die Ärzte dort fest: Es handle sich um eine Gastritis, eine Magenschleimhautentzündung. Nichts gefährliches, lästig, schmerzhaft aber nicht bedrohlich. Am vierten Tag wurde ich als geheilt entlassen, ich sollte für zwei Wochen Magentabletten nehmen.
Mein Hausarzt tobte und konnte nicht verstehen, warum man mich mit Schmerzen und hohen Entzündungswerten entließ. Er benutzte wieder das Ultraschallgerät und fand in der Leber in beiden Lappen ungewöhnliche Strukturen. Er ordnete sofort ein CT des gesamten Bauchraumes an, sowie die Bestimmung der Tumormarker. Das sind Werte, die auf die Existenz eines Krebsgeschwüres hindeuten. Gisela und ich waren spätestens jetzt nervös geworden. Der Hausarzt sagte allerdings auf Nachfrage, dass die komischen Stellen auf der Leber wohl keine Geschwüre seien und ich keinen Grund zur Sorge hätte.
Am nächsten Tag bereits waren die Ergebnisse da: Die zwei Stellen, die er auf der Leber hat erkennen können, waren im CT eindeutig zu sehen. Große, runde Anomalien. Und es waren nicht zwei davon, sondern zwölf. Dann die Tumormarker, Drastisch erhöht. Der Arzt sagte, dass er noch nie derart hohe Werte gesehen habe. Kurzum....er sagte mir, dass das alles eine eindeutige Sprache spricht und er nicht umhin käme mir zu sagen, dass das alles sehr ernst sei. „Herr Giersche, Sie sind ein sehr kranker Mann (...)!“
Ich stieg wie ferngesteuert ins Auto, die Einweisung ins evangelische Krankenhaus und die Arztbriefe dabei. Solche Dinge kennt man sonst nur aus Büchern. Oder schlechten Filmen.
Der erste Gedanke auf dem Weg nach Hause war, dass ich kaum Bargeld und nicht genug Zigaretten habe.Völlig bescheuert...aber ich bin erst zum Geldautomaten und danach zur Tankstelle gefahren um Zigaretten zu kaufen. Zuhause wartete Gisela auf mich und auf Nachricht über meine Gesundheit. Da habe ich das erste Mal gedacht: ich habe Krebs. Das ist hier kein Spaß oder Irrtum. Ich habe Krebs. Leberkrebs. Ich weiß noch, dass ich ganz laut „Scheiße“ gebrüllt habe, alleine im Auto. Ich parkte vor dem Haus. Gisela saß auf der Terrasse. Sie sah es mir sofort an. Ich war jetzt in meinem Soldatenmodus, wie ich es nenne. So eine Art emotionaler Schutzbunker. Ich berichtete alles, was es zu berichten gab und Gisela begriff die Tragweite dessen, was ich da erzählte sehr schnell. Wir beschlossen, unsere nächsten Verwandten zu informieren. Das geschah telefonisch. Meine Brüder, meine zwei „Exfrauen“, meine großen Kinder. Wie verrückt das klang...“Ich habe Krebs“.
Gisela informierte ihre Kinder und beste Freundinnen. Dann ging es wie ferngesteuert ans Tasche packen für das Krankenhaus. Die Papiere, die ich mitführte waren eindeutig und man nahm mich sofort stationär auf. Der zuständige Oberarzt konnte die Tumore in der Leber per Ultraschall gut erkennen. Der größte der Zwölf hatte einen Durchmesser von vier Zentimetern. Noch glaubten wir, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte. Inzwischen hatten wir eine Whatsapp Gruppe gegründet mit dem bezeichnenden Titel: „Bernie-Karzinom“. In der Gruppe waren alle Leute Mitglied, die Informationen bekommen sollten. Es gibt sie noch heute, nur habe ich sie umbenannt: „Cancerfuck“ heißt sie seit gestern.
Ich hatte bereits mein Dreibettzimmer bezogen, als ich zum Abend hin noch einmal von einem Arzt nach draußen zum Gespräch gebeten wurde. Er teilte mir unumwunden mit, dass man die CD mit den Aufnahmen aus dem CT ausgewertet habe. Der Haupttumor, das Mutterkarzinom also lag in der Pankreas, der Bauchspeicheldrüse. Die Tumore in der Leber waren Metastasen. Ich blickte den Arzt nur an und fragte ihm, ob ihm klar sei, dass das für mich das Todesurteil bedeutet. Er sah seine Schuhe an, als er nur nickte.
Ich habe mich früher immer gefragt wie sich so etwas wohl anfühlt. Wie sich ein zum Tode verurteilter Mensch fühlen möge. Ich fühlte selber gar nicht so viel, tue es bis heute nicht. Keine Angst. Keine Angst vor dem Tod und keine Angst vor dem Sterben. Ich weiß um die Prognosen und ich kann Statistiken lesen. Wissen kann man das alles, begreifen allerdings nicht. Die Bürde, es meinen Kindern sagen zu müssen, meiner Mutter und den Menschen die mich lieben und schätzen wiegt schwerer als der drohende Tod. Soviel Traurigkeit und Leid wegen mir.
Ich selbst bin mit mir etwa im Reinen, bin gefestigt und im Gleichgewicht. Meine Lebensbilanz kann sich sehen lassen, denke ich. Aber was ich mit dieser Diagnose anderen zufüge ist ungeheuerlich. Es bricht mir das Herz, ich schäme mich und könnte schreien. Für mich selbst ist es okay....und schon deswegen werde ich ringen und kämpfen und nicht aufgeben, bis die verdammte Pumpe aufhört zu schlagen. Soweit für heute. Morgen schreibe ich über Hoffnung und Glauben. Und über Methadon..…
Und wieder ein Tag weniger auf der Liste. Heute vor drei Wochen habe ich die Diagnose empfangen. Von Hoffen und Bangen, ich liege hier in meinem Krankenhausbett und warte darauf, abgeholt zu werden. Rechts und links neben mir liegen zwei sehr alte Männer. Der eine ist schwer dementiell verändert und der andere hat nie eine gute Schule genossen. Ich weiß nicht wer nervtötender ist, die hochbetagten Greise oder deren Ehefrauen, die täglich zu Besuch kommen und alle Klischees über keifende und ultrakonservative Omas bedienen. Ich war/bin Altenpfleger und hatte tagaus tagein mit solchen Menschen zu tun. Das scheint im Moment denkbar weit weg. Mein Altruismus scheint weitgehend erloschen zu sein, denn ich verspüre keinerlei Helferimpuls mehr, wenn die beiden wieder einmal an die Grenzen ihrer Ressourcen kommen. Früher hätte ich mich umfassend darum gekümmert, das ist mir abhanden gekommen.
Wenn ich meinen Körper nach Schmerzquellen scanne spüre ich das Stechen im rechten Oberbauch deutlich. Ich bekomme zwar Morphium und habe ein Fentanylpflaster kleben, schlucke Tillidin und Pregabalin und dennoch ragt der Schmerz unter dem rechten Rippenbogen wie eine Turmspitze aus dem Nebel der anderen Schmerzen und Gefühlen heraus. Das ist „Karl“. „Karl, das Karzinom“. So haben Gisela und ich meinen inneren Mitesser getauft. Der sitzt da auf der Pankreas und lümmelt sich in der Leber. Gestern gab es noch einmal ein Ganzkörper-MRT um Karls Zweigstellen zu finden. Pankreaskrebs streut gerne in die Milz, die Nieren und in die Knochen. In der Leber ist er ja schon mächtig vertreten. Mal sehen, ob es damit genug ist oder ob Karl noch weitere Filialen betreibt. Als käme es darauf noch an….
Halt, so will ich nicht denken. Denn es gibt Hoffnung. Durch einen Krebsfall in der Familie, Wochen vor der eigenen Diagnose habe ich durch Zufall bei der Recherche einen Bericht entdeckt, der sich mit dem Mittel Methadon befasste. Methadon ist eigentlich ein Opioid, das eine starke schmerzstillende Wirkung hat. Bekannt ist es, weil es als Ersatzdroge für Heroin eingesetzt wird. Methadon hat die Eigenschaft, die Krebszellen anfälliger für die Chemotherapie zu machen. Es erhöht offenbar den Wirkungsgrad der Chemotherapie. Leider ist das noch nicht durch korrekte wissenschaftliche, klinische Studien bewiesen und deswegen sträuben sich noch viele Mediziner es im Rahmen einer Chemotherapie einzusetzen.
Es gibt fundierte Berichte über Krebspatienten, die nahezu völlig vom Krebs befreit wurden, obwohl sie nach medizinischem Ermessen keine Überlebenschance hatten. So wie ich mit meiner Diagnose keine Chance auf Genesung habe. Doch das Methadon verändert die Situation. Es ist wie ein Silberstreif am Horizont für Gisela und mich und unsere Kinder. Hoffnung ist eine starke Macht. Wo es Hoffnung gibt, widersetzt man sich dem Tod. Wo Hoffnung besteht, und sei sie noch so gering, ist man kein hoffnungsloser Fall, ist man nicht zwingend verloren. Ein wenig ist das wie Lotto spielen. Gibst du keinen Schein ab, brauchst du nicht auf den Hauptgewinn zu hoffen. Indem du deine Kreuze auf dem Zettel machst, wächst diese Pflanze „Hoffnung“, denn rein theoretisch kannst du gewinnen. Und täglich gewinnen Menschen im Lotto. Also… machen Gisela und ich unsere Kreuze auf dem Methadonzettel.
Hier im Krankenhaus widersetzen sich die Ärzte der Methadonidee nicht und begleiten die Chemotherapie mit diesem Wirkstoff. Das ist unser Strohhalm, unser Tor zur Zukunft. Ohne das wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes ein hoffnungsloser Fall. Der Krebs ist sehr weit fortgeschritten und absolut tödlich. Ohne die Chance mit dem Methadon hätte ich ziemlich sicher weniger als acht Wochen bis ich sterbe. Doch dem brauchen wir uns jetzt nicht mehr zu beugen, denn es gibt berechtigte Hoffnung. So wie es die berechtigte Hoffnung gibt, im Lotto zu gewinnen.
Bei mir gingen Wege noch nie einfach geradeaus. Immer hatte ich irgendwie eine exponierte Position im Leben. Zieht sich wie ein roter Faden durch meine Biografie. Eine nicht tödliche Krankheit zu überleben passt da genau ins Schema. Gleich werde ich abgeholt. Man wird mir einen Port legen, ähnlich wie bei Dialysepatienten. Eine Art Dauerzugang zu meinem Gefäßsystem. Durch dieses Portal wird dann die Chemotherapie verabreicht. Offiziell hat die Chemotherapie in dem Krebsstadium nur noch palliativen Charakter, das bedeutet, sie soll mir die Zeit bis zum Tode erleichtern. Heilung wird da nicht mit angestrebt.
Ich kann das alles so einfach und nüchtern erzählen, weil ich Hoffnung habe. Und selbst, wenn der Tod mich auslacht und sich vom Methadon nicht beeindrucken lässt: Die Stunden und Tage in Hoffnung nimmt mir niemand wieder weg. Jede Minute Hoffnung ist unendlich kostbar. Für Gisela, für die Kinder und für mich. Wehe, jemand versucht mir, die Hoffnung wegzunehmen. Für den gibt es dann definitiv keine Hoffnung mehr!!! Also gut….dann ab unters Messer. Der erste Schritt eines langen Weges, an dessen Ende der Topf mit Gold auf Gisela und mich wartet.
„Sterben für Anfänger“, sicher gibt es den Titel schon. Trotzdem trifft er so passend zu, dass ich ihn einfach diesen Zeilen voran setze. Meine Fresse, was haben wir Menschen schon über das Sterben und den Tod herum sinniert. Das wirklich blöde an unserem sogenannten Verstand ist es doch, dass wir uns über unseren eigenen Tod Gedanken machen können. Wir packen unsere Ängste und unser Grauen davor in philosophische Betrachtungen, in Gemälde und Skulpturen oder wir gründen Religionen und machen ein riesiges Tam Tam um den Tod. Und weil wir nicht wissen können, was geschieht in jener Sekunde, wenn die Pumpe und das Hirn zu funktionieren aufhören, malen wir uns bunte Geschichten darum aus und beten die so lange vor uns hin, bis wir daran selbst glauben.
Jetzt, da ich akzeptieren muss, dass in meiner ganz persönlichen Sanduhr nur noch ganz wenig Sand im oberen Teil des Glases ist, muss ich etwas tun, was normalerweise erst in vielleicht dreißig Jahren aktuell wird. Ich muss mich mit der Unabwendbarkeit des eigenen, nahenden Todes befassen. Versucht das mal. Denkt und fühlt euch mal für eine Minute da hinein. Geht nicht. Mutter Natur hat da eine Barriere eingebaut, die wir kaum gedanklich und emotional überwinden können. Zu abstrakt, zu schrecklich ist diese Vorstellung.
Und vor allem müsst ihr auch nicht tun. Dafür ist im Alter noch Zeit genug. Derzeit ist das so unglaublich weit weg, dass ihr euch mit diesen Gedanken und Gefühlen nicht befassen müsst. Gut für euch….beschissen für mich. Denn ich muss das jetzt tun. Viele denken vielleicht, ich sei wer weiß wie stark und tapfer und so weiter, weil ich offen darüber rede. Ich kann euch versichern…ich bin weder das eine, noch das andere. Ich schwanke stündlich zwischen Todesangst und Zuversicht. Ich kann leider nicht weglaufen, das nicht delegieren, niemanden anflehen, Gnade walten zu lassen. Das kommt unumkehrbar und in absoluter Gnadenlosigkeit auf mich zu. Das ist die Situation hier. Also gut, dann ist das eben so. Ich habe gelernt im „Hier und Jetzt“ zu denken und zu fühlen. Ich muss das hinnehmen, es akzeptieren und genau hinschauen und hineinfühlen.
Vor etwa 20 Jahren habe ich ein Nahtoderlebnis gehabt. Exitus nach Kohlenmonoxidvergiftung. Die Erinnerung daran ist absolut präsent jetzt und auch früher schon. Nichts mit hellem Licht und anderen Phänomenen. Aber definitiv dematerialisiert schwebte ich über der Szene und sah auf meinen Körper, den Krankenwagen, die Gaffer und die Sanitäter herab. Konnte sogar die Dachbeschriftung des Rettungswagens lesen. Egal. Was am intensivsten haften blieb, war das Gefühl der absoluten Sorglosigkeit. Ein solches Maß an Sorglosigkeit, wie man es unmöglich als Mensch auf diesem Erdball wird erleben können. Eine Sekunde nur oder zwei… dann holten mich die Sanitäter wieder, ich sah wie sie Herz/Lungenmassage betrieben. Daran halte ich mich jetzt fest. Davor muss ich keine Angst haben. Alles wird gut sein. Und selbst wenn das nur ein Film ist, den mein Körper abspielt im Moment meines Todes um es mir zu erleichtern….alles gut. Ich habe mein Leben gelebt. Dicht gepackt mit Erlebnissen und Erfahrungen. Andere bräuchten vielleicht drei Leben um so viel an Erfahrungen zu sammeln. Meine Bilanz ist okay. Ich habe vier wunderbare Kinder. In ihnen lebe ich weiter. Ich habe vieles bewirkt und vielleicht zu viel Scheiße gebaut. Ich habe gelernt, gelitten und geliebt. Ich habe Grenzen überschritten und manches Mal Unmögliches möglich gemacht. Deswegen ist es okay, wenn jetzt bald das letzte Sandkorn fällt. Man soll ja nicht unbescheiden sein. Mein Tipp für euch: Lebt !!! Denn nur deswegen seid ihr hier.
Irgendwie ist das nicht zu glauben. Ich laufe herum, habe eine gesunde Farbe im Gesicht und guten Appetit. Klar, die Schmerzen sind da, aber dank der Pülverchen, die man mir gibt, sind die gut gedeckelt. Früher habe ich mich immer gefragt, was das für Schmerzen seien, die ein Krebs so erzeugt. Bei mir ist das jetzt gut erkennbar.
Da sind zunächst einmal meine Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule. Die habe ich seit anderthalb Jahren. Letztes Jahr kam daher auch die Schmerzausstrahlung ins rechte Bein. Das ist nie ganz weg gegangen. Alle dachten, das läge an den Bandscheiben, an den Facettengelenken, an Arthrose und am Verschleiß. Der hiesige Chef-Onkologe sagt, das seien die ersten Boten des Krebses gewesen. Die Metastasen und Karzinome hätten da schon begonnen, auf gewisse Nervenstränge zu drücken, was sich dann als Beinschmerz äußerte. Kein Wunder, dass weder Physiotherapie noch all die anderen Maßnahmen nicht wirklich geholfen haben.
Aktuell kamen dann die stechenden Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen dazu, von denen die Ärzte dachten, es sei eine Gastritis. Seit einer Woche etwa habe ich sehr starke Schmerzen im linken Bein. Fühlt sich an, als würde ein Panzer darüber fahren, bremsen und sich auf der Stelle drehen. Das ist echt ein übler Kack Schmerz. Das alles macht der Krebs, der in mir tobt. Drückt Nerven zusammen und gaukelt dem Gehirn vor, an der betreffenden Stelle wäre besagter Panzer bei der Arbeit. Gegen diese Art von Schmerzen helfen nur bestimmte Opiate und Morphine. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie geil das Gefühl ist, wenn die Pülverchen zünden und der stets präsente Schmerz kaum noch wahrnehmbar ist. Ich habe mir geschworen, lieber etwas Unbill zu ertragen, als völlig benebelt zu sein. Klingt jetzt vielleicht etwas doof, aber es ist so. Man stirbt nur ein einziges Mal. Das will ich mitbekommen, will es bewusst erleben. Wegschauen war noch nie meine Sache. Wenn es so kommen sollte, wie der Chefarzt es prognostizierte, werde ich in sechs Wochen bereits ziemlich krank aussehen und mich auch so fühlen.