Gladium 5: PERUN - Bernhard Giersche - E-Book

Gladium 5: PERUN E-Book

Bernhard Giersche

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Beschreibung

"Und die Flut von Emotionen, die der rote Ball und die Bilder seiner Familie in ihm erzeugten, verdünnte die ätzende Säure des Zorns, die in ihm brodelte." Das Team um Alex Xandom braucht dringend eine wirksame Waffe, um gegen die außerirdischen Purple bestehen zu können. Es gibt Hinweise auf eine solche, sie ist aus Fleisch und Blut und scheint nicht von dieser Welt zu sein: PERUN, der Schlächter. Xandom Red begibt sich zusammen mit Martha auf die Suche nach PERUN, um ihn vom Kampf gegen die Purples zu überzeugen. Doch Alex Xandom ist nicht der Einzige, der ihn auf seiner Seite wissen will. Die Zeit läuft ihm davon, denn es haben nicht nur die Purple ihre Klauen nach PERUN ausgestreckt … Eine Serie um "Superhelden", alternative Wirklichkeiten und eine geheime, außerirdische Bedrohung.

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Seitenzahl: 163

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Die Science-Fiction Serie von Markus Kastenholz

PERUN

von Bernhard Giersche

© 2016 Amrûn Verlag

Jürgen Eglseer, Traunstein

Korrektorat: Jasmin KriegerCoverbild: Christian PickAlle Rechte vorbehalten

ISBN – 978-3-95869-272-5 (Print)

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1 16

Tschetschenien, damals …

»Setzen Sie sich!« Der Vernehmungsoffizier musterte ihn kalt und wies dabei auf den dreibeinigen Schemel, der als einziges Möbelstück in dem kleinen, fensterlosen Betonverlies stand.

Andrej Adveenko verzog keine Miene und befolgte ohne zu zögern den Befehl. Die Beine des Hockers waren kurz, Adveenkos Knie befanden sich dadurch fast auf Brusthöhe. Doch trotz dieser aufgezwungenen, lächerlichen und demütigenden Sitzhaltung war er darum bemüht, Würde zu bewahren.

Der Offizier, der ihn nun zum achten Mal vernehmen sollte, war ein hochgewachsener, leicht grauhaariger Mann, den etwas Eiskaltes umgab. Als würde in seinen Adern kein Blut fließen, sondern eine Art Kühlflüssigkeit, wie es bei Maschinen der Fall war. Er war für diesen Job also bestens geeignet.

Er erhob seine Stimme:

»Sie haben Major Vasilij Bromaschenko am 8. Mai des Jahres vor den Augen des Einsatzteams zusammengeschlagen, ihm beide Arme ausgekugelt und ihn im Intimbereich derart schwer verletzt, dass er für den Rest seines Lebens auf das Zusammensein mit seiner Frau wird verzichten müssen. Dies wird und wurde von Ihnen nicht bestritten. Unklar ist uns aber immer noch, warum Sie Ihren Vorgesetzten derart misshandelt haben. Wollen Sie heute dazu Stellung nehmen?«

Als interessierte ihn die Antwort nicht im Geringsten, musterte der Offizier einen dunklen Fleck an der Decke des grauen Raumes. Die Glühbirne, die von dort herabbaumelte und fahles Licht aussandte, ließ diesen Fleck wie getrocknetes Blut erscheinen.

»Ja, das will ich«, meinte Adveenko. »Major Bromaschenko hatte die Erschießung von vier Familien, inklusive der Frauen und Kinder befohlen. Das konnte und durfte ich nicht zulassen. Ich habe Ihnen das bereits mehrfach erzählt.«

Seine Stimme klang ruhig, fast resigniert. Damit würde sich sein Gegenüber garantiert nicht zufriedengeben. Das hatte er schon die Male vorher nicht.

Der Vernehmungsoffizier sah ihn scharf an.

»Ja, das haben Sie tatsächlich. Aber weder ich, noch das Kriegsgericht können darin ein Motiv erkennen. Major Bromaschenko hat pflichtgemäß gehandelt, indem er diese Elemente hinrichten ließ.«

Der Offizier ging fast vertrauensselig vor Adveenko in die Hocke und sah ihm umso kälter in die Augen.

»Für diese Tat, die brutale Gewalt gegen einen Vorgesetzten in Tateinheit mit Ungehorsam und Aufwiegelung der Armee, wandern Sie für fünfundzwanzig Jahre hinter Gitter. Und glauben Sie mir, gegen diese fünfundzwanzig Jahre dort, wo Sie hinkommen, sind fünfundzwanzig Jahre in Grosny ein Kuraufenthalt.«

Mit nichts anderem hatte Adveenko gerechnet. Ungehorsam, gleich welcher Art, wurde besonders streng bestraft, um davor abzuschrecken. Nur so ließ sich die Ordnung in einer Armee aufrechterhalten.

»Das kann ich Ihnen versprechen, Soldat«, bekräftigte der Offizier. »Es sei denn...«

Er stand wieder auf und ging langsam um Adveenko herum - wie ein Raubtier um seine Beute.

»Es sei denn – was?«, wollte der Beschuldigte wissen.

»Es gibt da noch eine andere Option.«

Nicken. Eine Aufforderung, weiter zu sprechen. In der Situation, in der er sich befand, hatte Adveenko nichts zu verlieren.

»Es liegt ganz an Ihnen, ob Sie sich dafür entscheiden oder lieber für die fünfundzwanzig Jahre in der Hölle.«

»Ich habe also die Wahl?«

»Ausnahmsweise ja.«

»Welche ist es?«

Der Offizier presste kurz die Lippen zusammen und legte den Kopf etwas schief. »Es gibt da eine Art … nennen wir es ‚Sonderprogramm‘ der Regierung. Wenn Sie sich freiwillig dafür melden, schließen wir die Akte Bromaschenko und Sie sind ein freier Mann. Natürlich immer noch Soldat, aber frei. Freier als jetzt im Moment jedenfalls.«

»Was ist das für ein Programm?« Adveenkos Stimme hatte sich verändert, sie klang nun hoffnungsvoll. Er hatte nicht damit gerechnet, überhaupt noch eine Chance zu bekommen. Obwohl ihm klar war, ein Zuckerschlecken würde es nicht werden.

»Sagen wir es so: Die russische Wissenschaft ist inzwischen in der Lage, Gottes Werk zu optimieren. Schwächen werden durch Stärken ersetzt. Hemmungen durch Willen. Skrupel durch Härte. Biologische Grenzen werden so überwunden. Und Sie, Adveenko, Sie können Teil dieser großartigen Entwicklung werden, wenn Sie mögen ... oder im Gulag schmoren, bis die Wanzen Ihnen das letzte Tröpfchen Blut aus den Adern gesaugt haben. Es ist allein Ihre Entscheidung.«

Wieder musterte der Offizier den Fleck an der Decke.

»Wo ist der Haken?« Adveenko rutschte unruhig auf dem Schemel herum; die Sitzhaltung verursachte ihm Schmerzen. Es lag auf der Hand, dass es einen Haken geben musste – wie bei allen Angeboten dieser Art.

»Es gibt mehrere Haken, Soldat«, gab der andere zu. »Nicht jeder überlebt die Prozeduren. Manche werden davon auch krank oder sind anschließend verkrüppelt. Oder sie verlieren komplett den Verstand. Alles kann passieren. Aber vielleicht ist es immer noch besser als der Gulag.«

Erneut nickte Adveenko. Obwohl er keinen blassen Schimmer davon hatte, was ihn erwarten würde, so meinte er verstanden zu haben.

»Also eine Art …« Hart schluckte er. »Super-Soldaten-Programm?«

Kurz schüttelte der Offizier den Kopf, als wollte er ihn verbessern – und verzichtete dann doch darauf. Adveenkos Bezeichnung hatte es ziemlich gut getroffen.

»Sie werden Ihre Familie nie wieder sehen«, stellte er fest. »So oder so nicht. Den Gulag würden Sie nicht überstehen, glauben Sie es mir. Aber das ist nicht so wichtig, wie Sie jetzt vielleicht noch denken. Wenn Sie das Programm überleben, werden Sie sowieso keine Familie mehr brauchen, keine Familie mehr WOLLEN. Ich garantiere Ihnen: Sterben Sie oder sind Sie anschließend nicht mehr zu gebrauchen, wird sich Russland um Ihre Familie kümmern, sie wird gut versorgt sein. Darauf können Sie sich verlassen. Mehr gibt es derzeit dazu nicht zu sagen!«

Andrej Adveenko schloss die Augen, seine Wangenmuskeln mahlten.

»Ich denke, meine Frau und meine Kinder halten mich sowieso für tot«, murmelte er leise und desillusioniert. Vermutlich verdankte er es allein dem Angebot, das man ihm soeben unterbreitet hatte, dass er nicht schon längst totgeschlagen worden war. »Meinetwegen. Wo muss ich unterschreiben?«

Fast sah es aus, als lächelte der Offizier. Doch eben nur fast.

Xandom-Tower, 99. Etage, heute …

»Unser ganzes Panoptikum hier ist ziemlich nutzlos, wenn wir nicht in der Lage sind, das Team auf vorbereitetes Terrain zu schaffen.« Alex Xandom sah in die Runde. Das Kernteam war vollzählig. »Ihr wisst, darin hatten wir in Stockholm ein Problem. Hätte dort besser laufen können. Das bedeutet für uns, dass wir jemanden brauchen, der das Feld umpflügt, bevor wir ins Spiel kommen, um das Feld ordentlich zu bestellen.«

Sein Blick streifte Leandrine McKinney, die ebenfalls am Tisch saß. Sie leitete nicht nur die Gladium Squad, sie versuchte aus dem Trupp, den sie um sich versammelt hatte, eine schlagkräftige kleine Armee zu machen. Danach suchte er Blickkontakt zu Kabuki, der in Gestalt eines jungen, japanisch wirkenden Mannes neben Sal saß.

»Du bist unser schwerstes Geschütz«, stellte Alex fest, an den Oni gewandt.

»Aber es reicht nicht, ich weiß«, kam es zurück. »Jedenfalls nicht zu diesem Zweck.«

Zur Bestätigung schloss Alex kurz die Augen. Es ging ihm nicht darum, Kabukis Fähigkeiten in Frage zu stellen. Ohne ihn wären sie schon mehr als einmal ziemlich aufgeschmissen gewesen.

»Die Widerstände, die uns erwarten«, fuhr er fort, »sind so umfassend, dass wir sie mit unseren Fähigkeiten nicht brechen könnten. Was uns fehlt ist eine Bombe. Ein Mensch, ein Wesen, was weiß ich, das imstande ist, verheerend zu wirken, ohne dabei selbst zu Schaden zu kommen. Das unsere Gegner dermaßen aufreibt, dass wir leichteres Spiel mit ihnen haben.«

»Wie wär’s mit einer Art Kamikaze-Roboter?«, warf McKinney ein.

»Technologisch ist das nach unserem Kenntnisstand nicht zu bewerkstelligen. Dafür sind die Aufgaben außerdem zu diffizil.« Alex Xandom sah auffordernd in die Runde. Er erwartete Vorschläge.

»Was ist mit den Informationen, die wir von den Russen haben?«, warf Martha ein, die schweigend gelauscht und scheinbar abwesend auf ihr Tablet geschaut hatte. »Dieser Adveenko, von dem die Rede ist, entspricht doch genau deinen Vorstellungen von einer menschlichen Bombe.«

Alex schnaufte laut, gefolgt von einer wegwerfenden Geste.

»Was wir an Informationen über ihn haben, ist zu unglaubwürdig, um darauf zu bauen. Die Forschungseinrichtung, in der er untergebracht war, wurde vollständig vernichtet, wie du weißt. Und was wir sonst noch an belastbaren Informationen haben, lässt sich nicht weiter verfolgen. Außerdem sind die Infos schon mehrere Jahre alt. Wer weiß, ob der überhaupt noch lebt – falls es ihn überhaupt je gab.« Humorlos lachte er auf. »Wir haben nur dieses eine Foto von ihm. Sämtliche Daten über einen Andrej Adveenko sind aus den russischen Datenbanken gelöscht worden.«

»Wenige Informationen stacheln dich doch bloß dazu an, weitere zu bekommen.«

Er zuckte mit den Schultern und sah Martha resignierend an. Er hielt nicht viel von ihrem Vorschlag.

»Und selbst wenn wir es schaffen, den Mann, oder was immer er ist, ausfindig zu machen ... Nach allem, was wir über ihn zu wissen glauben, wird er wohl kaum aus patriotischen Gründen für uns kämpfen wollen. Wenn schon nicht für die Russen, dann wohl noch weniger für uns.«

»Auch nicht, wenn es um einen gemeinsamen Feind geht, die Purples?«

»Betrachten wir die Angelegenheit nüchtern: Scheinbar ist er ein Monster, eine niedere, instinktgetriebene Kreatur ohne jede Vernunft oder Empathie. Dem sind gemeinsame Feinde egal.«

Kaum merklich nahm sein Gesicht Zornesröte an. Alex begann sich in Rage zu reden:

»Vierhundertzweiundzwanzig Tote in Karakhun innerhalb von dreißig Minuten«, sagte er langsam und leise, ließ jede Silbe nachwirken. »Darunter Frauen und Kinder. Getötet von einem einzigen Mann ohne Waffen. Martha, wenn unsere Informationen stimmen, hat er sie mit bloßen Händen auseinandergerissen.«

Das letzte Wort betonte er besonders.

»Nicht gerade das Teammitglied, das ich mir wünsche.« Sal Cieslarczyk, der gefährlichste Mann der Welt, sog die Luft durch die Zähne. Aus seinen Worten sprach nicht die Feigheit, sondern der Realismus.

Doch Martha ließ sich davon nicht aufhalten. Sie schüttelte nur unwillig den Kopf, Pragmatikerin, die sie nun einmal war.

»Alex, wir gehen hier von vielen Vermutungen und Interpretationen aus. Du willst eine Bombe aus Fleisch und Blut, und er wäre perfekt.« Kurz nahm sie mit Kabuki Blickkontakt auf. »Tut mir Leid …«

»Dafür nicht«, entgegnete der Oni. Er war keine Bombe, sondern ein Kämpfer.

Martha schien voll in Fahrt zu sein: »Treffen wir ihn doch und sehen ihn uns erst einmal an, bevor wir uns ein Urteil bilden.«

»Er …«

Mit einer Geste schnitt sie Alex das Wort ab. »Die müssen auf ihn geschossen haben, als er Amok lief. Und wer weiß, was sonst noch. Jedenfalls schien es ihm nichts ausgemacht zu haben. Die werden ihm bestimmt auch Handgranaten an den Kopf geworfen haben, und er hat ihnen dafür die Köpfe abgerissen.«

Alex musste sich eingestehen, wahrscheinlich hatten die Russen genau das getan.

»Bevor du mich jetzt für eine Spinnerin hältst – ich weiß wahrscheinlich, wo er jetzt ist.«

Marthas Gesicht hatte sich ebenfalls leicht gerötet, was ein eindeutiges Zeichen für ihre innerliche Erregung war. Für alle Anwesenden im Raum ein seltener Anblick; nicht grundlos trug sie den Spitznamen »Die Eisprinzessin«.

Sal fand nach dieser Aussage als erster die Worte wieder:

»Wo?«, fragte er schlicht, und das Funkeln in seinen Augen machte klar, der Jäger erwachte in ihm.

»In Venezuela«, flüsterte sie und holte dann tief Luft. »Er ist mit ziemlicher Sicherheit in Venezuela, in Calabozo, um genau zu sein. Ich kenne seinen jetzigen Namen, und ich habe etwas, was ihn sicher überzeugen wird, uns zu unterstützen.«

Sie drehte ihren Tablet-PC so, dass jeder den Bildschirm sehen konnte.

»Wie hast du ihn gefunden?« Alex starrte fasziniert auf den Bildschirm. Er selbst hatte über das ausgedehnte Netzwerk von AleXXandom nach ihm fahnden lassen, doch er hatte nicht das Geringste entdeckt.

»Abgerissene Gliedmaßen«, antwortete sie lapidar. »Ungeklärte, bestialische Morde. Unerklärliche Verwüstungen und Zerstörungen, ohne dass Sprengstoff oder ähnliches im Spiel war. Er hat keine Brotkrumen gestreut wie im Märchen, sondern Leichenteile. Und in Calabozo endet seine Spur.«

»Nicht sehr subtil.«

»Seitdem hat sich auch Calabozo verändert. Blutig verändert. Ach ja, er nennt sich jetzt Perun.«

»Perun? Wie weiter?«

»Nur Perun.« Martha wies auf den Bildschirm des Tablet-PC. »Wenn noch eine Spur von Adveenko in dem Wesen von heute ist, dann wird er sich sehr für dieses Bild hier interessieren. Moment …«

Ein heller Schrei unterbrach Marthas Ausführungen. Cassandra hatte ihn ausgestoßen. Sie hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt, ihre roten Haare fielen über die Stuhllehne nach hinten. Ihr ansonsten fast schneeweißes Gesicht war unversehens rot angelaufen, sie starrte an die Zimmerdecke, von Krämpfen geschüttelt.

Alle in der zum Konferenzraum umfunktionierten »Küche« wussten, was hier gerade geschah: Menschen, ohne das Wissen um all diese Dinge, hätten Cassandra trivial als »Hexe« bezeichnet, denn sie erfüllte einige dieser Klischees. Doch sie war ungleich mehr als das, unter anderem die Tochter einer Tänzerin der Zeit. Das bedeutete, sie war nicht an einen Zeitstrang gebunden wie jeder andere Mensch. Sie sah über den Tellerrand hinaus.

Cassandra musste wohl eine Vision haben. Alle im Raum schwiegen, um sie in dieser Phase nicht zu stören, auch wenn sie selbst nie einer beigewohnt hatten. Die führte Cassandra herbei, wenn sie alleine war.

Der »Anfall« dauerte keine dreißig Sekunden. Danach sackte sie plötzlich in ihrem Stuhl zusammen, und hätte Sal nicht rasch zugegriffen, ihr Kopf wäre gegen die Tischplatte geprallt.

»Ganz ruhig, Kleines«, meinte er und bewahrte sie vor Schlimmerem.

Er war es, der die junge Blutmagierin wohl am meisten ins Herz geschlossen hatte. Manchmal behandelte er sie wie seine jüngere Schwester, der gegenüber er es sich nicht nehmen ließ, zu frotzeln und zu spötteln. Manchmal auch wie seine Tochter. Dass er sich jetzt um sie sorgte, bedeutete jedoch nicht, dass sein großes Mundwerk Pause machte:

»Hast du was Falsches gegessen? Oder irgendein Zeugs geraucht?«

Langsam und unter Mühen hob Cassandra ihren Kopf. Ihre Arme baumelten wie abgestorben an ihr herab.

»Halt‘ die Klappe, sonst verwandle ich dich in einen Frosch«, presste sie mühsam hervor. Und an Alex gewandt: »Schick‘ Martha und Red. Nur die beiden. Alle anderen würden es mit dem Leben bezahlen, wenn sie ihm begegnen. Perun ist …«

Dann verlor sie erneut das Bewusstsein.

»Oh, Mann …« Sal erhob sich und nahm Cassandra hoch auf seine Arme, bevor sie noch vom Stuhl rutschte. »Ich bring‘ sie auf die Krankenstation zu Dr. van Ameln. Okay?«

Alex nickte zustimmend. Die Ärztin hatte Cassandra schon mehrfach behandelt und kannte sich mit ihren Eigenarten aus.

»Wie ist das möglich?« Kabuki hatte sich ebenfalls erhoben. Seine Muskeln wirkten angespannt.

»Wie ist was möglich?« Sal legte die Stirn in Falten.

»Sie hat doch nur Visionen, wenn sie blutet.«

Als Sal immer noch fragend schaut, ergänzte Kabuki:

»Deshalb ist sie eine Blutmagierin.«

»Das soll die Ärztin herausfinden«, bestimmte Alex. »Martha, ich will alles, absolut alles, was du über Adveenko weißt. Alles. Wir treffen uns hier morgen wieder. Selbe Zeit. Einverstanden?«

Karakhun, Russland, damals …

Der Flug im Militärhubschrauber dauerte fast sieben Stunden. Die fensterlose Kabine verhinderte, dass Andrej Adveenko eine Ahnung davon bekam, wo sich ihr Ziel befand. Mit ihm saßen drei weitere Männer in ziviler Kleidung in der Maschine, sowie fünf Uniformierte, die ihre Kalaschnikows zwischen den Beinen hielten und sie unablässig beobachteten, damit man sie ihnen nicht entwendete.

»Soviel zum Thema Freiheit«, sagte Adveenko so leise zu sich selbst, dass nur er es verstehen konnte. Er saß in einem grauen Overall auf einer unbequemen Pritsche im Heck des Hubschraubers und wartete darauf, dass dieser Flug ins Ungewisse zu Ende ging.

Endlich veränderte sich das monotone Turbinengeräusch, und der Druck in den Ohren zeigte ihm, dass sie zur Landung ansetzten. Die Soldaten hatten jedes Gespräch zwischen den drei Passagieren unterbunden und Adveenko war mehr als gespannt darauf, was ihn nun erwartete.

»Die russische Wissenschaft ist in der Lage, Gottes Werk zu optimieren. Schwächen werden durch Stärken ersetzt. Hemmungen durch Willen. Skrupel durch Härte. Biologische Grenzen werden überwunden.«

Die Worte des Vernehmungsoffiziers, dessen Namen Adveenko nie erfahren hatte, hallten gebetsmühlenartig in ihm nach. Er hoffte, die russische Wissenschaft würde ihm auch den Schmerz über den Verlust seiner Familie nehmen. Dafür würde er alles tun. Doch er bezweifelte, dass sie dazu in der Lage war.

Als sich die seitliche Schiebetür des Helikopters öffnete, mussten sie die Augen schließen. Starke Scheinwerfer waren auf den Hubschrauber gerichtet und blendeten sie.

»Aussteigen und in einer Reihe auf das rote Licht zugehen!« Sie konnten nicht erkennen, wer diesen Befehl gegeben hatte, aber als sie aus dem Hubschrauber sprangen, sahen sie zwischen den starken Lichtquellen tatsächlich ein rotes Licht. Die Hände abschirmend vor den Augen, liefen die Männer dem Licht entgegen. Adveenko lief als Letzter los.

Sie hatten das rote Licht noch nicht erreicht, als er spürte, wie ihm jemand an den rechten Oberarm griff und in eine andere Richtung dirigierte.

»Du nicht, du kommst mit mir.« Willenlos ließ sich Adveenko führen, fast wie ein Hund an der Leine, bis sie ein flaches Gebäude erreichten, das sie durch eine schwere Stahltür betraten.

»Willkommen im Paradies, Kamerad,« hörte er noch, dann spürte er den Einstich einer Nadel in seinem Gesäß und verlor auf der Stelle das Bewusstsein.

Als er schließlich erwachte – nach Sekunden, Stunden oder Jahren -, brauchte er einige Minuten, um zu realisieren, in welcher Situation er sich befand. Man hatte ihn in einem Krankenhausbett fixiert. Breite Gurte fesselten seine Gliedmaßen an das eiserne Gestell, und ein weiteres Band lag um seine Stirn und sorgte dafür, dass er seinen Kopf nicht bewegen konnte. Aus den Augenwinkeln heraus entdeckte er, er war von hochentwickelten, technischen Apparaturen umgeben, deren Funktion ihm völlig fremd war. Eine Neonlampe an der Decke des absolut weißen Raumes spie ihm ihr kaltes Licht ins Gesicht. Er bemerkte Kabel und dünne Schläuche, die von den Apparaten zu seinem Körper führten, da er aber den Kopf nicht im Geringsten bewegen konnte, war es ihm unmöglich zu erkennen, wo genau sie hinführten.

Er spürte keine Schmerzen. Dann versuchte er zu sprechen.

»Mein Name ist Andrej Adveenko. Ich bin Soldat der russischen Armee. Meine Personenkennziffer lautet sieben-sechs-acht-null......«

»Aber Andrej, ich darf Sie doch Andrej nennen?«, wurde er sofort unterbrochen. »Es gibt keinen Grund zur Sorge. Alles läuft bestens und bald sind Sie wieder losgelöst von den verdammten Geräten.«

Der da sprach, trat nun in sein Sichtfeld. Es war ein Mann mittleren Alters mit einem seltsam konturlosen Gesicht und einer Glatze, die leicht im Licht der Neonlampe schimmerte.

»Ich bin Dr. Krajsnik«, stellte er sich vor. »Ich leite das Projekt hier. Sie haben sicher tausend Fragen an mich, und ich bin hier, um sie alle zu beantworten. Sie brauchen keine Angst zu haben. Alles ist gut, Sie werden nicht zu Schaden kommen.«

»Warum haben Sie mich gefesselt?« Adveenko hatte die Versuche aufgegeben, die Fixierungen zu lockern oder sich aus ihnen zu befreien. Es hatte ohnehin keinen Zweck.

»Um Sie zu schützen.« Die Stimme klang nun fast besorgt um ihn. »Sehen Sie, diese Apparate sind Teil unseres Projektes. »Wir nehmen Einfluss auf gewisse Funktionen Ihres Körpers. Wenn Sie sich nun währenddessen bewegen oder vielleicht Panik bekommen, wäre der Prozess, den wir eingeleitet haben, unterbrochen und das hätte sehr starke, ja sogar lebensgefährliche Konsequenzen für Sie zur Folge. Das ist der einzige Grund.«

Dr. Krajsnik blickt väterlich auf ihn herab und versuchte ihm klarzumachen, er wollte nur sein Bestes. Adveenko zweifelte nicht daran.

»Was sind das für ... Prozesse?«, presste er hervor.

»Wie Ihnen bereits mitgeteilt wurde, verändern wir einige Funktionen, Ihren Organismus betreffend. Wir optimieren sozusagen die Leistungsfähigkeit Ihres Körpers und möglicherweise auch Ihres Geistes. Das wird sich zeigen.«

Sie haben keinen blassen Schimmer, was sie da tun …, fürchtete er. Doch er verzichtete darauf, seine Zweifel zu äußern und lauschte stattdessen weiter dem ominösen Arzt: