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Der vorliegende Band erscheint innerhalb der Reihe Chinesische Perspektiven: Politik, in der in Zusammenarbeit mit führenden chinesischen Verlagen grundlegende und einflussreiche Werke, die den Diskurs in China prägen, erstmals einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden. Im Zuge des seit Beginn des neuen Jahrhunderts immer schneller werdenden Aufstieg Chinas erlebt das Verhältnis zwischen China und der Welt Veränderungen von historischem Ausmaß. Durch seine Reform- und Öffnungspolitik integrierte sich China schrittweise in das bestehende internationale System. Li Wei konzentriert sich in seiner vorliegenden Studie auf die Veränderungen in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen, die sich aus der neuen Rolle Chinas in der Welt ergeben. Wei analysiert die Konkurrenz zwischen China und den USA in diplomatischen Beziehungen sowie in Wirtschafts- und Finanzbeziehungen mit anderen Staaten, insbesondere im asiatischen Raum.
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Seitenzahl: 600
Veröffentlichungsjahr: 2022
ibidem-Verlag, Stuttgart
Dieses Buch ist meiner Frau gewidmet als Dank für unsere zwei Engel, die sie mir geschenkt hat.
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
Vorwort: Die Hochebene des Denkens beschreiten
1. Einführung – die neue Welt des internationalen Wettbewerbs der Institutionen
1.1 Historische Perspektive der strategischen Beziehung zwischen Großmächten
1.1.1 Englisch-französische Beziehungen: Hundertjähriger Krieg
1.1.2 Angloamerikanische Beziehungen: Langfristige strategische Zusammenarbeit
1.1.3 Deutsch-französische Beziehungen: Aus Feinden werden Partner
1.1.4 US-sowjetische Beziehungen: Scharfe Auseinandersetzungen im Kalten Krieg
1.2 Chinas Aufstieg zur Weltmacht
1.2.1 Die Rolle Chinas im internationalen System
1.2.2 Chinas neue Hauptrolle und die Welt
1.3 Schlüsselmomente in der Theorie des internationalen Systemwettbewerbs
1.3.1 Die historische Entwicklung der amerikanisch-chinesischen Beziehungen
1.3.2 Der dynamische Mechanismus zur Gestaltung moderner Beziehungen
1.3.3 Eine neue Welt des realistischen Institutionalismus
2. Thesen des realistischen Institutionalismus
2.1 Ablauf der Forschung zum realistischen Institutionalismus
2.1.1 Das internationale System verstehen
2.1.2 Der Eklektizismus
2.1.3 Forschungsansatz des Rationalismus
2.2 Das internationale System als öffentliches Gut
2.2.1 Bereitstellung von Informationskanälen
2.2.2 Etablierung von Verhaltensregeln
2.2.3 Organisation kollektiver Handlungen
2.2.4 Direkte Beteiligung an der Governance
2.3 Internationale Systeme als private Werkzeuge
2.3.1 Verhandlungsfähigkeit verbessern
2.3.2 Handlungen erzwingen
2.3.3 Aneignung öffentlicher Ressourcen
2.3.4 Internationales Prestige erhöhen
2.4 Politische Grundlagen des internationalen Systemwettbewerbs
2.4.1 Die Macht des führenden Staates und das internationale System
2.4.2 Gemeinschaftliche Dienstleistungen und das internationale System
2.4.3 Die Angemessenheit der Struktur des internationalen Systems
2.5 Zusammenfassung
3. Der Krieg des internationalen Systems im Finanzsektor
3.1 Chinas Ambitionen im internationalen Finanzsystem
3.1.1 Chinas Bemühungen um die Reform des Finanzwesens
3.1.2 Chinas Anstrengungen um Finanzinstitutionen
3.2 Internationales Finanzsystem der USA
3.2.1 Institutionelle Säulen der amerikanischen Finanzhegemonie
3.2.2 Verteidigung der Hegemonie des US-Finanzsystems
3.3 Grundlagen des amerikanisch-chinesischen Finanzsystemwettbewerbs
3.3.1 Wettbewerb um die Führungskraft im Finanzsystem
3.3.2 Wettbewerb zwischen öffentlichen Diensten und dem Finanzsystem
3.3.3 Strukturelle Rationalität und Wettbewerb im Finanzsystem
4. Der Kampf des internationalen Handelsregimes
4.1 US-Offensive zum internationalen Handelssystem
4.1.1 Die große Transformation der US-Handelsstrategie
4.1.2 Die "3T"-Verhandlungsstrategie der USA
4.1.3 Eigennützige Ziele der "3T"-Strategie der USA
4.2 Reaktion des chinesischen internationalen Handelssystems
4.2.1 Regionale Freihandelsgespräche Chinas
4.2.2 Chinas bilaterale Gespräche über Freihandelsabkommen
4.2.3 Eigennützige Ziele der chinesischen Freihandelsstrategie
4.3 Grundlagen des Wettbewerbs im internationalen Handelssystem
4.3.1 Führungsanspruch und Wettbewerb im Handelssystem
4.3.2 Der Wettbewerb zwischen öffentlichen Diensten und Handelssystemen
4.3.3 Strukturelle Rationalität und Wettbewerb im Handelssystem
5. Institutioneller Wettbewerb und globale Ordnung
5.1 Verbesserung der Kompatibilität und Governance der Systeme
5.1.1 Systemwettbewerb und Erhöhung des Angebots an öffentlichen Gütern
5.1.2 Institutioneller Wettbewerb und die Erhöhung der Systemeffizienz
5.1.3 Systemwettbewerb und die Verbesserung der Systemstruktur
5.2 Systemausschluss und Governance-Fehler
5.2.1 Institutioneller Wettbewerb und institutioneller Überfluss
5.2.2 Systemwettbewerb und Regelwirrwarr
5.2.3 Systemwettbewerb und Gruppenkonflikte
5.3 Perspektiven des amerikanisch-chinesischen Pokers um die Systeme
5.3.1 Bilaterale Systeminteraktion zwischen China und den USA
5.3.2 Regionale Systeminteraktionen zwischen China und den USA
5.3.3 Globale institutionelle Interaktion zwischen China und den USA
5.4 Zusammenfassung
6. Schlussbemerkungen: Die neue Ordnung des realistischen Institutionalismus
6.1 Die Logik des realistischen Institutionalismus
6.2 Die Mängel des realistischen Institutionalismus
6.3 Popularisierung des realistischen Institutionalismus
6.4 China und der realistische Institutionalismus
Im Zuge des seit Beginn des neuen Jahrhunderts immer schneller werdenden Aufstieg Chinas erlebt das Verhältnis zwischen China und der Welt Veränderungen von historischem Ausmaß. Durch seine Reform- und Öffnungspolitik integrierte sich China schrittweise in das bestehende internationale System. Sowohl Chinas nationale Stärke als auch sein internationaler Status haben deutlich zugenommen, sodass China zu einem gewissen Grad vom Rand des internationalen Systems in sein Zentrum gerückt ist. Chinas Beziehungen zur Welt sind in hohem Maße von Interdependenzen geprägt. Mit dem wachsenden und breitgestreuten Einfluss Chinas auf die Welt gehen komplizierte Wahrnehmungen und Erwartungen der Welt an den Aufstieg Chinas einher. Gleichzeitig fehlen China das Stimmrecht bei und die Beteiligung an der Festsetzung internationaler Regeln in der internationalen Gemeinschaft bzw. ist dies noch unzureichend. Infolge der globalen Ausweitung seiner nationalen Interessen werden Chinas Kontakte zur "Außenwelt" immer wichtiger, wodurch aber auch die Konflikte und Widersprüche mit der Außenwelt zunehmen. Es stellt sich die Frage, wie ein offenes China den Rest der Welt betrachten und verstehen sollte. Wie sollte China besonders jetzt, da sein Aufstieg immer deutlicher wird, seine frühere Entwicklung begreifen, wie seine künftige Rolle festlegen, wie den internationalen Anforderungen und Erwartungen begegnen? Wie sollte man auf verschiedene internationale Provokationen reagieren? Beständig treten eine Vielzahl neuer Probleme auf, wodurch die Erfordernisse und Ansprüche an eine tiefgehende Forschung internationaler Themen Chinas, das sich gerade in einer Zeit der Reform und Öffnung und des Aufstiegs befindet, drängender und größer werden.
Vor diesem Hintergrund hat die School of International Studies der Renmin-Universität in China eine Buchreihe zum Thema "Die gegenwärtige Welt und Chinas internationale Strategie" ins Leben gerufen, die die Theorie der internationalen Beziehungen, die internationale politische Ökonomie, die Geschichte der internationalen Beziehungen und Diplomatie sowie die gegenwärtigen internationalen Beziehungen und die chinesische Diplomatie abdeckt. Darin werden sowohl marxistische Ideen zur internationalen Politik als auch westliche Theorien über die zeitgenössischen internationalen Beziehungen betrachtet. Auch wichtige konkrete Themen wie Finanzkrisen, die Energiesicherheit und internationale Konflikte finden dort Beachtung.
Die Autoren dieser Reihe sind das junge wissenschaftliche Rückgrat unserer Institutionen. Diese Buchreihe stellt die neuesten Forschungsergebnisse ihrer eigenen sowie verwandter Disziplinen dar, wobei ein Großteil auf Grundlage der Doktorarbeit des jeweiligen Autors entstand und später modifiziert und ausgearbeitet wurde. Die Ergebnisse wurden vom wissenschaftlichen Komitee unseres Instituts ausgewählt und in den Publikationsplan aufgenommen. Unsere Hoffnung ist es, dass die Veröffentlichung dieser Reihe den wissenschaftlichen Austausch im Bereich der internationalen Beziehungen fördern, neue Bereiche der internationalen Forschung Chinas eröffnen und die Entwicklung und die Vielfalt in der internationalen Forschung Chinas voranbringen wird.
Diese Themenreihe deckt im Wesentlichen die Bereiche Theorie, Geschichte und Problemforschung ab, was weitgehend die Forschungsschwerpunkte der Renmin-Universität zu internationalen Fragen widerspiegelt. Basierend auf fast 60 Jahren wissenschaftlicher Tradition und den kontinuierlichen Bemühungen und langfristigen Versammlungen mehrerer Generationen von Wissenschaftlern ist die School of International Studies der Renmin-Universität zu einer Lehr- und Forschungsbasis für internationale Fragen geworden, die eine nationale Führungsposition einnimmt und einen wachsenden internationalen Einfluss hat. Die School of International Studies erlangte eine innerchinesische Vorreiterstellung in den grundlegenden Theorien über internationale Beziehungen, der internationalen politischen Ökonomie, der Erforschung internationaler Strategien sowie der Forschung zu europäischen und amerikanischen Themengebieten. Auch in der Erforschung der internationalen Beziehungen nach den Prinzipien des Marxismus ist die School of International Studies führend. In den letzten Jahren widmete die School of International Studies den wichtigsten praktischen und strategischen Fragen der zeitgenössischen internationalen Beziehungen und der chinesischen Diplomatie besondere Aufmerksamkeit. Die Kombination von theoretischer Grundlagenforschung mit praktischen Fragestellungen ist ein charakteristisches Merkmal der internationalen Beziehungsforschung der School of International Studies. Diese Kombination von Theorie und Praxis ist eine unvermeidliche Notwendigkeit für die Reform und Öffnung und den Aufstiegs Chinas sowie auch für die Entwicklung des Fachgebiets der internationalen Beziehungen.
Das Fach Internationale Beziehungen bildete sich nach dem Ersten Weltkrieg zuerst im Vereinigten Königreich heraus. Mit dem Aufstieg der USA zur Weltmacht nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt der sozialwissenschaftlichen Forschung, einschließlich der Erforschung internationaler Fragen in die Vereinigten Staaten. Der Einfluss von Philosophie, Recht, Geschichte und anderen Disziplinen wurde durch die amerikanische Philosophietradition des Positivismus und die behavioristische Revolution in den Sozialwissenschaften in den 1960er Jahren allmählich geschwächt und stattdessen stieg der Einfluss von Wirtschaft, Soziologie und Psychologie zunehmend an. Diese Einflüsse machten das Studium der Theorien der internationalen Beziehungen immer wissenschaftlicher.
Die Wissenschaftlichkeit der Theorie der internationalen Beziehungen macht es für die Forscher zwangsläufig erforderlich, Wertneutralität zu wahren. Dennoch werden die wissenschaftlichen Interessen und Blickfelder der in den International Studies tätigen Wissenschaftler immer von der internationalen und nationalen politischen Situation beeinflusst und begrenzt. Unabhängig davon, wie sehr Wissenschaftler bemüht sind, Wissenschafts- und Wertneutralität der Forschung aufrechtzuerhalten, hängt die allgemeine Entwicklungsrichtung dieser Disziplin eng mit der äußeren Lage des Landes, seinem internationalen Status und den außenpolitischen Erfordernissen zusammen. Daher ist es ein Hauptanliegen der chinesischen wissenschaftlichen Gemeinschaft für internationale Beziehungen, ein Gleichgewicht zwischen der Wertneutralität der Theorien und der Konkretheit der Dienstleistung zu halten. Auch die Verwirklichung der Doppelfunktion der International Studies als Wissensproduktion und als Dienst an der Gesellschaft zu fördern ist eine ursprüngliche Absicht dieser Buchreihe.
Für die nachdrückliche Unterstützung der Direktion der Social Sciences Academic Press China bei Planung und Veröffentlichung der Reihe möchten wir uns herzlich bedanken. Wir sind der Renmin-Universität zutiefst dankbar, dass sie die "Koordinierung der Unterstützung erstklassiger Universitäten und Disziplinen" (ehemals "Projekt 985") unterstützt.
Man lernt nie aus. Da die Erforschung internationaler Themen in China noch ein junges Fachgebiet ist und die Autoren der Reihe überwiegend junge Wissenschaftler sind, werden sich einige Ansichten der Autoren sicherlich als voreingenommen oder gar unpassend offenbaren. Experten, Fachkollegen und Leser sind eingeladen, diese zu kritisieren und zu korrigieren.
"Blumen erblühen und verwelken, sie verwelken und erblühen. Aus jugendlichen Schülern werden Alte und die Haare des jungen Mädchens werden an den Schläfen endlich weiß." In einem Roman, den ich sehr mag, beschreibt der Autor mit diesem Satz die enorme Kraft des gnadenlosen Verrinnens der Zeit und der Zeit-Raum-Transformation. Die Fertigstellung dieses Buches löst bei mir auch gemischte Gefühle aus: Nach vielen Jahren auf dem Weg der Forschung zur internationalen Wirtschaftspolitik kehre ich nun endlich zur Erforschung der Makrotheorien der internationalen Beziehungen zurück. Dieses Buch ist eine Hommage an mein Interesse am Studium der Theorie der internationalen Beziehungen in meinen Studienjahren, insbesondere während meines Masterabschlusses. Meine damalige Leidenschaft für die Theorie fühlt sich jetzt an wie eine andere Welt.
Dieses Buch markiert das dritte wichtige Projekt in meiner wissenschaftlichen Laufbahn. Die Inspiration dazu entstand Ende 2013. Damals präsentierte sich mir ein intellektuell zündender Funken in Form eines Zeitungskommentars. Ab 2014 gärte diese Forschungsidee in mir. Ich überdachte sie mehr als ein Jahr lang und entwickelte sie weiter. Ich baute ein vorläufiges Forschungsgerüst auf und realisierte es in mehreren Seminaren. Der Nationale Fonds für Sozialwissenschaften finanzierte mein Projekt "Strategie für ein internationales Wirtschaftssystem zwischen China und den USA und Forschung zu neuen Beziehungen zwischen den Großmächten" (Grant-Nr. 14BGJ051). Seitdem unterstützte auch das Forschungsprogramm der Renmin-Universität "Theorie und Praxis der chinesischen Wirtschaftsdiplomatie" diese Studie umfangreich. Zu Jahresbeginn 2015 endete die zweite Studie, die ich fünf Jahre unter dem Motto "Den US-Dollar ausbalancieren: Politische Führung und Währungsaufstieg" durchführte. Ich begann, den Plan für die hier vorliegende Studie in die Praxis umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon meinen einjährigen Besuch im East Asian Studies Program der Cornell University begonnen, wodurch ich mehr Zeit und Energie zur Verfügung hatte, um die Forschung abzuschließen.
Den größten Teil dieses Buches stellte ich an der Cornell University fertig, obwohl ich die theoretischen Ideen bereits vorher ausgearbeitet hatte. Die Cornell University liegt in der Stadt Ithaca, fernab von der Geschäftigkeit der Großstädte, sodass ich mich voll und ganz auf die wissenschaftliche Forschung konzentrieren konnte. Dort habe ich auch die ruhigste und friedvollste Zeit meines Lebens verbracht. Ithacas wunderschöne Landschaft und Umgebung und Cornells reiche wissenschaftlichen Ressourcen waren eine ständige Quelle mentaler und ideeller Impulse für diese Forschung. Eigentlich hatte ich geplant, das Buch bis Ende 2016 fertig zu schreiben, aber ich kam schneller voran als gedacht. Als ich im April 2016 nach China zurückkehrte, hatte ich das Manuskript fast vollendet. Nach zweimaliger Überarbeitung reichte ich es schließlich ein.
Der realistische Institutionalismus, den ich in diesem Buch vorschlage, ist ein völlig neues theoretisches Konzept, anhand dessen die doppelten Eigenschaften der öffentlichen Dienstleistungen und der privaten Instrumente im internationalen System erklärt werden können. Er ist kein Produkt eines "Inspirationsblitzes", sondern vielmehr tief verwurzelt in meiner bisherigen Forschung. Es gibt vor allem vier zugehörige Schlüsselbegriffe, die das System des realistischen Institutionalismus stützen und die alle schon in meinen früheren wissenschaftlichen Arbeiten zu finden sind: die hegemonialen Staaten, die Privatisierung der internationalen öffentlichen Güter, der internationale Wettbewerb der Institutionen und Global Governance. Etwas über das Interesse des realistischen Institutionalismus in Bezug auf Partnerschaften und das internationale System findet man in meiner zweiten Studie. In dieser Studie untersuche ich die Rolle des internationalen institutionellen Systems und des Netzwerks von Währungspartnern bei der Unterstützung des Status internationaler Währungen sowie die Bedeutung der politischen Führung für die Partnerschaften und die institutionelle Entwicklung. In meiner ersten Studie, "Systemwandel und internationale US-Wirtschaftspolitik", habe ich meine frühesten Gedanken zu Macht und institutionellen Veränderungen festgehalten, mich dabei aber auf inländische Institutionen konzentriert. Tatsächlich veröffentlichte ich bereits 2006 das erste Forschungspapier (das gleichzeitig meine Masterarbeit war) – "Die Hegemonialmacht und die internationalen öffentlichen Güter" –, in dem ich erörterte, wie die USA den Internationalen Währungsfonds finanziell durch die Privatisierung öffentlicher Güter unterstützt, was wiederum ihren eigenen strategischen Interessen diente. Man kann sagen, dass es dieser Aufsatz war, der die Gedankenquelle für dieses Buch bildete. Nachdem ich den geringen Forschungsumfang in den 13 Jahren von 2003 bis heute erlebt hatte, versuchte ich, meine bisherigen Studien mithilfe einer durchgängigen wissenschaftlichen Einordnung zu einem einheitlichen System, nämlich dem realistischen Institutionalismus, zusammenzufassen. Obwohl dieses Buch einige neue Eigenheiten meiner persönlichen wissenschaftlichen Forschungsweise widerspiegelt, baut es trotzdem auf meinen ersten beiden Studien auf. Ohne die soliden Grundlagen aus den ersten beiden Studien würde der theoretische Rahmen des realistischen Institutionalismus so nicht existieren.
Gute Theoretiker scheinen die Logik auf die Spitze treiben zu müssen, sodass die schillernden Namen in der Wissenschaftsgeschichte ein wenig einseitig behandelt werden. Es ist bedauerlich, dass ich im Laufe der Jahre zwischen den beiden Paradigmen Realismus und Liberalismus geschwankt habe. Außerdem ist es nach umfangreichem wissenschaftlichem Austausch im In- und Ausland immer schwierig, die eigene Tendenz und wissenschaftliche Position klar zu definieren. Der realistische Institutionalismus, den ich in diesem Buch vorgeschlagen habe, spiegelt schon in seinem Namen die enge Verflechtung von Realismus und Liberalismus wider. Der realistische Institutionalismus glaubt an die Macht von Regeln und Systemen. Er geht davon aus, dass die Ordnung und Regeln die Zivilisationskräfte sind, die das menschliche Zusammenleben organisieren, und dass die politischen Führer in der Verantwortung stehen, zu verstehen, wie sie die Möglichkeiten des Systems nutzen können. Außerdem geht man im realistischen Institutionalismus davon aus, dass die eklatante Anwendung von Gewalt und Zwang weder dem Fortschritt der Gesellschaft zuträglich ist noch zur Verwirklichung von Interessen und Führungsansprüchen auf internationaler sowie nationaler Ebene beiträgt. Im Vergleich zum traditionellen Realismus scheint der realistische Institutionalismus wärmer und idealer, im Vergleich zum Liberalismus aber kälter und realistischer, weil er davon ausgeht, dass Macht immer noch eine Funktion im System hat.
Wichtige theoretische Durchbrüche sind auf grundlegende Änderungen in der Realität der internationalen Beziehungen zurückzuführen. Ich bestehe darauf, dass Chinas Aufstieg zu einem wichtigen Akteur auf der internationalen Bühne eine Revolution in der Theorie der internationalen Beziehungen bewirken wird. Die Voraussetzung dieser Revolution ist jedoch, dass wir echte Probleme von theoretischem Wert finden müssen, da die Qualität der Fragestellung die Qualität der Forschung grundlegend bestimmt. Die Kernfrage, die ich in diesem Buch aufwerfe, ist, wie das aufstrebende China seine Macht effektiv nutzen wird, um seinen Führungsanspruch auf der internationalen Bühne durchzusetzen. Meine Antwort lautet: Durch Partizipation und die Gestaltung des internationalen Systems.
Meine wissenschaftliche Ausbildung in den internationalen Beziehungen fand hauptsächlich in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts statt, womit ich in China ein Wissenschaftler der fünften Generation im Bereich der internationalen Beziehungen bin. Seit 1999 habe ich an vielen bedeutenden Universitäten in China gelernt, gelehrt und habe das Wissen verschiedener wissenschaftlicher Zentren aufgesogen. Damit gehöre ich zu den "reisenden Gelehrten" Chinas. In den letzten mehr als zehn Jahren habe ich den Aufstieg und Niedergang der makrotheoretischen Richtung der internationalen Beziehungen in der chinesischen wissenschaftlichen Gemeinschaft miterlebt. Tatsächlich gaben damals nicht wenige Pioniere der Theorie ihre theoretischen Bestrebungen auf und wandten sich der Politikanalyse und dem Aufbau von Denkfabriken zu. Nach der Kritik an der These der "Drei Lehren" begannen einige Wissenschaftler sogar, über "-ismus" zu sprechen und wechselten die Seiten. Man ging davon aus, dass nur die Beschäftigung mit bestimmten Themen wissenschaftlich sei. Deshalb sei es notwendig, "vermehrt verschiedene Themen und weniger verschiedene Lehren zu diskutieren".
Der Aspekt der theoretischen Grundlagenforschung ist in den wissenschaftlichen Kreisen Chinas noch nicht ausgereift. Im Gegenteil: Er geht rasch unter. Angesichts der Tatsache, dass die chinesische Wissenschaftswelt den Wert der Unabhängigkeit der Produktion von Wissen noch nicht erkannt hat und sich wieder stärker an den offiziellen Diskurs bindet, muss man leider konstatieren, dass die Forschung zu internationalen Beziehungen ein fragiles Gut ist. Grundlagenforschung ist die Lebensquelle für die Entwicklung von Disziplinen und die Grundlage für Erkenntnis. Wenn eine Disziplin ohne die Unterstützung durch ein starkes theoretisches System auskommen muss, bedeutet dies, dass sie kein tiefgehendes Originalwissen einbringen und natürlich auch keine angesehene Disziplin werden kann. Die Grundlagenforschung ist die Wurzel, die Forschung zu aktuellen Gegenmaßnahmen stellen die Zweige und Blätter des Wissenschaftsbaums dar. Nur wenn dieser tief in der Erde verwurzelt ist, kann der Baum sichtbar blühen und gedeihen, wenn nicht, so muss der Baum eingehen und sterben. Es ist für eine Nation schwierig, ohne solide theoretische Grundlagen die richtige politische Wahl zu treffen. Ebensokann das Finden passender Maßnahmen ohne die Unterstützung durch tiefgehendes theoretisches Denken nur auf einer unteren Ebene der politischen Interpretation bleiben und ein nur wenig wirksames Medikament gegen bestimmte politische Übel darstellen. Wenn also wieder jemand die Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern der internationalen Beziehungen mit den Gesprächen von Taxifahrern vergleicht, müssen wir uns dies nicht zu Herzen nehmen, weil wir tatsächlich kein profundes Wissen oder klares Verständnis geschaffen haben, das den Test der Zeit bestehen kann.
Der chinesische Dichter und Politiker Su Shi schrieb: "Womit sollten wir das Menschenleben vergleichen? Es gleicht den Spuren einer Wildgans im Schnee. Sie hinterlässt den Abdruck ihrer Füße für kurze Zeit im Schnee; aber wohin die Gans fliegen wird, ist unbekannt." In so einer hochgradig turbulenten Zeit sollte das Aufflammen von Störungen in Form von politischen Diskussionen eliminiert werden. In einem ruhigen Umfeld erfordert tiefreichendes theoretisches Denken zu wichtigen Themen der historischen Entwicklung einen starken wissenschaftlichen Charakter und Willen. Obwohl es in der Wissenschaftsgeschichte der internationalen Beziehungen viele unbefriedigende Dinge gibt, sehe ich, dass es in China immer noch "Wildgänse" gibt, die sich an den wissenschaftlichen Hintergrund halten und zu fliegen bemüht sind. Diese Gelehrten halten unter den verschiedensten widrigen Verhältnissen an ihren wissenschaftlichen Prinzipien fest, präsentieren unermüdlich ihre ursprünglichen, konzeptionellen Systeme und theoretischen Rahmen und versuchen, auf der ganzen Welt ihre Erkenntnisse als Forschungsbeiträge zu internationalen Beziehungen einzubringen. Ich hoffe, dass auch ich zu diesen "Wildgänsen" gezählt werde und meine eigenen "Spuren im Schnee" der Theorie zurücklassen kann. Unter den unbekannten Dingen fürchte ich am meisten, eine einsam fliegende Gans zu werden, denn einsame Gänse können zwar schneller fliegen, aber sie kommen nicht weit. Nur durch das Fliegen in einer Formation mit anderen Wildgänsen erreicht man mit großer Wahrscheinlichkeit auch entferntere Ziele.
Genau aus diesem Grund werde ich nach Abschluss dieses Projekts eine neue Studie mit dem Titel "Zwischen Tradition und Erneuerung: Generationenübergreifende Wissenschaftsgeschichte der internationalen Beziehungen Chinas" beginnen. Hervorragende wissenschaftliche Ergebnisse werden nicht isoliert, sondern auf dem Nährboden der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft gewonnen. Ich glaube fest daran, dass die wissenschaftlichen Erfolge chinesischer Forscher auf dem Feld der internationalen Beziehungen von der Weltgemeinschaft eines Tages aufgrund ihrer Einzigartigkeit und Unabhängigkeit von der westlichen bzw. amerikanischen Tradition anerkannt werden. Ihr Alleinstellungsmerkmal beruht auf den von Generation zu Generation weitergegebenen wissenschaftlichen Traditionen und nicht auf dem Geistesblitz eines einzigen klugen Gelehrten. Ich hoffe, dass wir durch diese Studie die "Ahnenreihe" der "wissenschaftlichen Wildgänse" deutlich machen können, die aus fünf Generationen chinesischer Wissenschaftler der internationalen Beziehungen besteht, sodass der geistige Reichtum der Wissenschaftsgemeinschaft Chinas auf diesem Gebiet freigelegt wird. Sie ist eine Art mentale Geschichte der Gelehrten. Um eine ernstzunehmende Wissenschaftsmacht zu werden, muss China zuerst seine eigenen wissenschaftlichen Traditionen verstehen und respektieren.
Wie bei meinen anderen Projekten sind viele der Forschungsergebnisse in dieser Studie nicht allein mein Verdienst. Schon vor mir haben einige chinesische Wissenschaftler mit der Erforschung der Systemhegemonie begonnen. Ihre Forschungen waren wichtige Bausteine für die Entstehung des realistischen Institutionalismus. Insbesondere Men Honghuas Buch "Flügel der Hegemonie" brachte mich dazu, die Beziehungen zwischen dem internationalen System und der Macht der führenden Länder systematisch zu durchdenken. Auch von He Kais Forschung zum Systemgleichgewicht habe ich sehr profitiert, wenngleich sich der in diesem Buch vorgeschlagene realistische Institutionalismus von seinem "institutionellen Realismus" stark unterscheidet, da letzterer im Grunde genommen ein Zweig des Realismus ist und dieses Konzept ursprünglich auf Forschungen zur Innenpolitik angewendet wurde. Des Weiteren lieferten einige relevante Studien von Yan Huaigao und Wang Mingguo viele Referenzen für dieses Buch.
In der westlichen Wissenschaftswelt arbeitet vor allem John Ikenberry seit Jahren daran, die Betrachtungen über die von den USA geführte Welt des liberalen Internationalismus voranzubringen. Susan Strange und Stephen Krasner bewegen sich in dem Gebiet zwischen Liberalismus und Realismus. Sie beschäftigen sich sowohl mit relevanten Thesen zum Liberalismus als auch mit der Rigorosität des Realismus. Ihre Denkweise hatte einen prägenden Einfluss auf mich. Der in diesem Buch verwendete eklektische Analysepfad stammt von Peter Katzenstein. Tatsächlich war meine erste Untersuchung – die Analyse der inländischen Institutionen der US-Außenwirtschaftspolitik – auch von seiner Arbeit inspiriert. Die Überlegungen in diesem Buch über den Niedergang des internationalen Systems und der internationalen Ordnung sowie über den Verfall des internationalen Systems leiten sich aus den innenpolitischen Studien von Samuel Huntington und Francis Fukuyama ab. Auch Jonathan Kosner, berühmter Experte für internationale Währungspolitik und Anhänger des Realismus, hat als mein Betreuer durch seine einzigartige Kritik zu dieser Studie beigetragen.
Die Alten sagen, wer einsam lernt und sich nicht austauscht, der wird unweigerlich engstirnig und kurzsichtig; wer gemeinsam lernt, lernt besser. Ich möchte darauf hinweisen, dass die meisten der Studententeams, die ich an der Renmin-Universität geleitet habe, in vielerlei Form an dieser Studie zum internationalen Systemwettbewerb mitgewirkt und viele originelle Ideen und Einsichten eingebracht haben, insbesondere Zhang Yuhuan, Sun Yi, Zhu Hongyu, Gao Xitong, Su Han und Zhao Xuefei. Meine beiden Doktoranden, Wu Na und Song Yiming, halfen dabei, einige der Fehler im Text zu korrigieren, den Vordruck zu entwerfen, Anmerkungen einzubringen und machten viele hilfreiche Vorschläge. Ich schätze mich glücklich, dass ich mit diesen talentierten jungen Nachwuchskräften wissenschaftliche Forschungen durchführen und wir viel voneinander lernen konnten.
Darüber hinaus haben Cui Liru, Yan Xuetong, Shi Yinhong, Pang Zhongying, Xu Xin, Wang Zhengyi, Wang Yong, Wu Xinbo und weitere Forscher früherer Generationen, einschließlich Tian Ye, Sun Xuefeng, Zhao Kejin, Xu Jin, Chen Dingding, Zhang Zhexin, Song Wei, Lin Minwang, Yin Jiwu, Huang Qixuan, Wu Wencheng, Liu Feng, Mao Weizhun, Dong Qingling, Zuo Xijing, Chen Zheng, Liu Wei, Mo Shengkai und Chen Zhaoyuan und andere Kollegen, dieses Buch quergelesen und konstruktive Kommentare zum Forschungsteil eingebracht. Unter anderem riet mir Yan Xuetong dazu, das politische Konzept der "neuen Großmachtbeziehungen zwischen China und den USA" fallen zu lassen oder weniger zu verwenden, um die theoretische Färbung des Buches nicht abzuschwächen. Diese Anregung veranlasste mich direkt dazu, den Haupttitel des Buchs und eine Vielzahl von Unterkapiteltiteln zu ändern. Ich möchte vor allem Chen Zhirui, Fan Jishe und Da Wei danken; unsere intensiven Diskussionen im Sommer 2012 am China Institute of Contemporary International Relations über die internationale Strategie der Obama-Regierung waren der zündende Funke für diese Studie. In diesem Gespräch machte mir Fan Jishe zum ersten Mal klar, dass sich zwischen China und den USA langsam, aber sicher ein Regelwettbewerb entfaltete. Ich danke Tang Shiping, mit dem ich im April 2016 an der Cornell University die theoretische Konstruktion und empirischen Daten dieser Forschung besprach. Er verbesserte einige Inhalte; besonders seine scharfe Kritik an dem Konzept der "institutionellen Legitimität", das ich zuvor verwendet hatte, zwang mich, ein neues Konzept der "Rationalität der institutionellen Struktur" zu entwerfen.
Einige der Inhalte und Ideen aus diesem Buch wurden in Publikationen wie "World Economics and Politics", "Foreign Affairs Review", "Contemporary Asia-Pacific Studies", "Quarterly Journal of International Politics", "The Journal of International Studies" und dem "Journal of International Security Studies" veröffentlicht. Gleichzeitig möchte ich mich bei dem Institut für internationale Strategieforschung der Peking-Universität, dem Institut für internationale Beziehungen der Tsinghua-Universität, der School of Government an der Nanking-Universität, dem China Institute for International Studies, dem Center for International Security and Cooperation der Stanford-Universität, der Fakultät für Internationale Beziehungen an der Universität für Außenwirtschaft und Handel, dem Institut für Amerika-Studien an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, der School of International and Public Affairs der Shanghai Jiaotong Universität und dem Institut für Amerika-Studien in Shanghai dafür bedanken, dass sie mich einluden, an einigen Konferenzen teilzunehmen und Vorlesungen zu halten, wodurch meine relevanten Forschungsergebnisse von vielen Wissenschaftlern im Voraus geprüft werden konnten.
Ich danke der Nationalen Akademie für Entwicklung und Strategie an der Renmin-Universität für die Bereitstellung von zwei zusätzlichen Finanzierungshilfen für diese Forschung. Der Fakultät für Internationale Studien an der Renmin-Universität bin ich für das gute Arbeitsumfeld beim Schreiben dieses Buches und die großzügige Übernahme der Veröffentlichungskosten dankbar. Insbesondere Dekan Chen Yue, Vizedekan Fang Changping und das Wissenschaftskomitee der Fakultät unterstützten energisch die Veröffentlichung dieses Buches. Mein Dank gilt auch Song Haomin, meiner Lektorin, für ihre harte Arbeit bei der Herausgabe des Buches. Durch ihre Bemühungen wurde das Originalmanuskript vollständig überarbeitet und endlich in die hier veröffentlichte offizielle Fassung gebracht.
Ich danke auch meiner guten Freundin Wendy Leutert, die das Leben unserer Familie in Ithaca tatkräftig unterstützt und die sich meine Forschungspläne geduldig angehört und mich ermutigt hat, diese Pläne in die Praxis umzusetzen.
Während des Schreibens an diesem Buch waren meine Frau Cui Zhinan und unsere älteste Tochter Li Zhuoran immer an meiner Seite. Obwohl meine Frau sich schon früh aus der Wissenschaft zurückgezogen hat, erinnerte sie mich wieder an ihre professionelle Ausbildung, als sie mir riet, für ein besseres wissenschaftliches Werk zu versuchen, "weniger Informationen anzuhäufen und mehr Ideen zu präsentieren; weniger Literatur aufzulisten und mehr theoretisch zu argumentieren". Sie bläute mir die Warnung ein, das Motto des "prägnanten Schreibens" zu beherzigen. Darüber hinaus nahm sie die größten Bürden auf sich, die die Kindererziehung in den USA mit sich bringen, und versuchte, mir mehr Freiheit zu lassen, damit ich mich auf die Forschung konzentrieren konnte. Als wir uns kennenlernten, war sie eine Bachelorstudentin für Internationale Beziehungen an der Fudan-Universität. Damals war sie in der Blüte ihrer Jugend, die unbegrenzt erschien, und voller Ideale für die Zukunft. Jetzt ist sie Mutter von zwei Kindern und trägt die Verantwortung für eine Familie. Das Auf und Ab des Lebens und die zahlreichen Störungen durch irgendwelche Lappalien konnten ihre Unterstützung für meine akademische Karriere nicht zunichtemachen. Da ich meine ersten beiden Bücher meinen Lehrern und Eltern gewidmet habe, möchte ich dieses Buch meiner Frau widmen, als Erinnerung an all die Turbulenzen, die wir gemeinsam überstanden, und an die schweren Zeiten, die wir in den acht Jahren zusammen erlebt haben.
Ich werde mich immer erinnern.
Peking, im Juli 2016
Der führende Staat muss [...] ein gewisses Maß an glaubwürdiger und institutionalisierter Zurückhaltung bei der Ausübung seiner eigenen Macht zeigen.1John Ikenberry
Seit Ende des Kalten Krieges haben die internationalen Beziehungen starke Veränderungen erfahren. Dies spiegelt sich sowohl in Veränderungen in der Struktur der globalen Machtverteilung als auch in Änderungen in der internationalen Ordnung wider.
2008 brach in den USA die Finanzkrise und 2009 in Europa die Schuldenkrise aus. 2010 überstieg Chinas Wirtschaftsleistung die Japans, und China wurde somit zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Diese Ereignisse stellen zusammen einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung der internationalen Strukturen dar, denn innerhalb der internationalen Machtstruktur entstand ein Gleichgewicht. Dies bedeutet eine tiefgreifende Veränderung: Nach mehr als einhundert unruhigen Jahren agiert China wieder als eine der Weltmächte auf der internationalen Bühne. Dies ist womöglich weltweit die größte politische Veränderung des 21. Jahrhunderts.
Geschichte und Theorie der internationalen Beziehungen wurden überwiegend von den Großmächten geschrieben.2 Zum ersten Mal seit 1840 ist China ein wichtiger Akteur auf der internationalen Bühne und ist als solcher zu einem der wichtigsten Regelverfasser im internationalen System geworden. Das Verständnis der grundlegenden Bedeutung der strategischen Beziehung zwischen China als aufstrebendem Land und den Vereinigten Staaten als Hegemonialmacht ist eine Grundvoraussetzung für das Verständnis der internationalen Ordnung im 21. Jahrhundert. Es sind ebendiese strategischen Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten, die sich zunehmend von den früheren Verhältnissen unterscheiden und die internationale Ordnung grundlegend verändern.
Die Ausgangssituation der Beziehungen zwischen China und den USA ist die des strategischen Wettbewerbs, aber diese Wettbewerbsbeziehung ist weder ein Konflikt wie der Kalte Krieg noch eine völlig konfrontationsfreie Beziehung. Sie unterscheidet sich von anderen Arten von Großmacht-Verhältnissen in der Weltgeschichte und auch von den historischen amerikanisch-chinesischen Beziehungen, denn in den neuen Beziehungen stehen Zusammenarbeit und Wettbewerb in einem Zustand großer gegenseitiger Abhängigkeit nebeneinander. Einerseits sind China und die USA wichtige Partner. Diese Partnerschaft spiegelt sich in vielen Bereichen wider, einschließlich der Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft, und auch auf bilateraler, regionaler und globaler Ebene. Andererseits sind China und die USA Konkurrenten, deren Wettbewerb sich größtenteils nicht in den traditionellen Wettbewerbsformen wie Wettrüsten, Bündnisbekämpfung, Machtkrieg und Sicherheitsdilemmata manifestiert. Selbst die Auseinandersetzungen um Ideologie und Wertvorstellungen sind keine Haupterscheinungen der gegenwärtigen amerikanisch-chinesischen Wettbewerbsbeziehung, denn die wichtigste Form der strategischen Beziehung zwischen beiden Ländern ist die Gestaltung und Kontrolle der Institutionen des internationalen Systemwettbewerbs. Der "Krieg der Systeme" löst hier den "Krieg der Gewehre" als grundlegendes Mittel der Entwicklung der internationalen Ordnung ab.
Der Systemwettbewerb Chinas und der USA besteht aus den Aspekten Partner- und Normenwettbewerb. Diese Art von Wettbewerb ist also kein Nullsummenspiel, sondern basiert auf verschiedenen intensiven Kooperationen, die möglicherweise die grundlegenden Merkmale des internationalen Systems verändern werden. Insbesondere wirken sich die Kooperationen grundlegend auf die Entstehung von Wissen über Regellosigkeiten in den traditionellen internationalen Beziehungen aus, die die internationalen Beziehungen vor große Herausforderungen stellen. Neue Erkenntnisse über die internationalen Beziehungen sind daher dringend erforderlich, um auf die Schwierigkeit zu reagieren, mit traditionellen Denkweisen und Paradigmen einige der neu aufkommenden Fragen beantworten zu wollen, die durch die amerikanisch-chinesischen Beziehungen aufgeworfen werden.
Dieses Buch befasst sich mit dem im Westen vorherrschenden Realismus und neoliberalen Institutionalismus und schlägt als Kompromiss einen neuen theoretischen Rahmen für einen Eealistischen Institutionalismus vor, um die Gründe für die neuen strategischen Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten erklären zu können sowie die daraus resultierenden neuen internationalen Systeme und ihre Auswirkungen auf den Wiederaufbau der internationalen Ordnung. Die in diesem Buch vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen, dass der aufkeimende institutionelle Wettbewerb zwischen China und den Vereinigten Staaten für die internationale Gemeinschaft eine neue Zeit einläutet, die von einem realistischen Institutionalismus geprägt ist. Die Formen des Machtwettstreits zwischen den Großmächten der Welt entwickeln sich von Aspekten wie Militär, Bündnissen und dem Kräfteverhältnis in der Vergangenheit hin zu Einfluss und Ausformung des internationalen Systems. Basierend auf ersterem ergibt sich eine "harte Konkurrenz", in der Konfrontation und Nullsumme zentrale Begriffe sind, während letzteres die "weiche Konkurrenz" mit vielfältigen Kooperationen und Selbstbeschränkung beschreibt.
Nach Ansicht des realistischen Institutionalismus bewegt sich das internationale System unter Führung der neuen amerikanisch-chinesischen Beziehung von einer "Dschungelwelt" in die "Regelwelt": In dieser Welt sind offene Militäraktionen und die Androhung von Gewalt nicht länger die Norm des internationalen Verhaltens. Militärische Verbündete werden durch Kooperationspartner und Allianzen durch institutionelle Beziehungen ersetzt, die die Hauptform der zwischenstaatlichen Beziehungen, insbesondere zwischen Großmächten, darstellen. In dieser Welt sind das Ringen um das Recht auf internationale Regelsetzung und um Partner Normalität in den Beziehungen zwischen Großmächten. Wenn eine Großmacht zu einer führenden Kraft im System wird, etabliert sie in der internationalen Gemeinschaft ihre Autorität, übt ihre Macht aus, bemüht sich um die Durchsetzung ihrer Interessen und erreicht ein effektives Management des internationalen Systems. Kurz gesagt ist nach Ansicht des "realistischen Institutionalismus" im heutigen internationalen System die Macht des Staates zunehmend in das Regelsystem und in institutionelle Zwänge eingebettet, die seit Beginn des 21. Jahrhunderts Kerninhalte der Umformung der internationalen Ordnung sind.
Durch den Wettbewerb zwischen China und den Vereinigten Staaten im internationalen System entschärfte sich die direkte Machtkonfrontation. Der Wettbewerb ist dazu angehalten, das Angebot öffentlicher Dienstleistungen auf internationaler Ebene zu erweitern, wodurch ein Vorbild für gute Governance für die internationale Gemeinschaft geschaffen und eine neue internationale Ordnung auf der Grundlage von Regelsystemen und Partnernetzwerken aufgebaut wird. Der "realistische Institutionalismus" versucht, eine Brücke zwischen strukturellem Realismus und neoliberalem Institutionalismus zu schlagen, indem er eine neue analytische Perspektive für das Verständnis der Natur des sich entwickelnden internationalen Systems bietet und eine neue Möglichkeit für das Verständnis der Weiterführung und des Wandels der zugrundeliegenden Logik der internationalen Politik aufzeigt, die wiederum neue Erkenntnisse zum Fortschritt der Makrotheorie der internationalen Beziehungen beitragen kann.
Die Machtstruktur und die Grundordnung bzw. die operationellen Merkmale des internationalen Systems werden von den großen Ländern definiert, die auf der internationalen Bühne tätig sind. Das Verständnis der grundlegenden Natur der strategischen Beziehung zwischen Großmächten ist die Grundvoraussetzung für das Verständnis des internationalen Systems. Die Bezeichnung "Großmächte" bezieht sich in der Regel auf nationale Akteure, die auf internationaler Ebene eine wichtige Rolle spielen und aufgrund ihrer Stärke, ihrer geografischen Lage und ihres Wertesystems usw. erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsweise des internationalen Systems haben können.3 In einem bestimmten Zeitraum ist die Anzahl der Großmächte im internationalen System immer begrenzt, und ihre Anzahl beträgt in der Regel drei bis fünf. Aus diesem Grund sind die Beziehungen zwischen den großen Ländern sehr gut zu beobachten. Die strategische Beziehung meint das großflächige und allgemeine Verhältnis zwischen zwei oder mehr Ländern, insbesondere die Beziehung in wichtigen politischen und sicherheitspolitischen Fragen. Sie weist immer zwei grundlegende Merkmale auf: Erstens eine lange Periode der Stabilität und Kontinuität, an der nicht leicht kurzfristige Änderungen vorgenommen werden können, außer bei großen Änderungen in den externen oder internen Krisen- oder Machtverhältnissen, sowie bei politischen Entscheidungen; und zweitens eine starke Position, durch die strategische Beziehungen zu einem gewissen Grad gestaltet und andere Beziehungen zwischen den Ländern in bestimmten Problembereichen kontrolliert werden können. Die Analyse der grundlegenden Merkmale der strategischen Beziehungen der Großmächte zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die wichtigste Voraussetzung für das Verständnis der internationalen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt.
Seitdem aus dem Westfälischen Frieden von 1648 die modernen internationalen Beziehungen hervorgingen, haben diese Aufstieg und Fall, Kriege und die Wechsel der Großmächte durchlaufen und den Wissenschaftlern damit eine Vielzahl an historischen Materialien zum theoretischen Studium der internationalen Beziehungen geliefert.4 Im Allgemeinen manifestierten sich die Beziehungen zwischen den Großmächten in der Geschichte hauptsächlich in drei Formen: pazifistische Beziehungen, strategische Kooperationsbeziehungen und die Konfrontationen im Kalten Krieg.5 Diese Formen der Beziehungen zwischen den Großmächten bestimmten auch jeweils den Charakter des jeweiligen internationalen Systems.
Die Quelle dieser Theorien ist die Praxis: Diese drei grundlegenden Beziehungsformen der Großmächte in der Geschichte sind eine wichtige Tatsachenquelle bei der Entwicklung der Theorie der internationalen Beziehungen. Vor allem das Vereinigte Königreich, Frankreich, Deutschland, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion trugen zur Gestaltung dieser drei Beziehungsformen bei, da sie auf internationaler Ebene wichtige Rollen spielten (oder spielen). Diese Staaten stellen daher die Hauptforschungsgebiete zur Theorie der internationalen Beziehungen dar. Obwohl Japan während des Zweiten Weltkriegs kurzzeitig Einfluss auf die Welt nahm, war seine Expansion eine Mischung aus britischem Kolonialismus und Militarismus nach deutschem Vorbild; fast alle japanischen Auslandsaktionen waren Nachahmungen bestehender staatlicher Verhaltensweisen und daher keine Ergebnisse eines eigenständigen Verhaltensmodells. Aus diesem Grund wurde im Kontext der internationalen Beziehungen das internationale Verhalten Japans nicht theoretisch beschrieben. In diesem Sinne war Japan nie in der Lage, eine echte Weltmacht im Sinne der internationalen Beziehungen zu werden.
Obwohl Spanien und Portugal mit ihrer maritimen Orientierung und kolonialen Entwicklung das Tor zur weltweiten Modernisierung eröffneten, blieben sie doch aufgrund fundamentaler Unzulänglichkeiten vor diesen Toren stehen. Aufgrund ihres vorzeitigen Niedergangs haben sie die Geschichte der internationalen Beziehungen kaum beeinflusst. Ähnlich entstand durch den Aufstieg der Niederlande nur eine Art globales Wirtschaftsimperium, da die Niederlande nie eine starke Staatsmacht etablierten. Aus diesem Grund konnte die militärisch bewaffnete britische Flotte die riesige niederländische Handelsflotte und ihr Handelsnetz in Schutt und Asche legen. In der Geschichte der internationalen Beziehungen war die Blütezeit der Niederlande kurzlebig wie eine Sternschnuppe am Nachthimmel, und ihr Schicksal zeigt, dass in dem zu dieser Zeit herausgebildeten internationalen System einer "Dschungelwelt" Reichtum ohne militärischen Schutz verletzlich war.6
Es sind das Vereinigte Königreich und Frankreich, die die Geschichte der internationalen Beziehungen wirklich nachhaltig geprägt haben. Diese beiden Länder entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts rasch zu den wichtigsten europäischen Mächten, jedoch mit riesigen Unterschieden: Während das eine Land eine parlamentarische Demokratie anstrebte, stärkte das andere Land seine Monarchie weiter. Das eine Land war eine Insel mit einer starken Marine, das andere ein mächtiges Kontinentalland mit einer erstklassigen Armee. In dem einen Land verließ man sich auf die Einrichtung eines modernen Finanzsystems, um das Problem der nationalen Finanzierung zu lösen, und in dem anderen hielt man noch an der traditionellen Besteuerung zur Ressourcenbeschaffung fest. Großbritannien und Frankreich repräsentieren zwei unterschiedliche nationale Entwicklungsmodelle in Europa. Ihr Ziel jedoch war dasselbe: Sich im Kampf um die Hegemonie in einer regellosen Welt nur auf ihre eigene Macht zu verlassen.
Das Verhältnis zwischen Großbritannien und Frankreich im 18. Jahrhundert ist ein typisches Beispiel für feindselige Beziehungen zwischen Großmächten. In einem der am längsten währenden Auseinandersetzungen rivalisierten diese beiden großen europäischen Mächte um die Hegemonie in Europa und weltweit, was zu einem unablässigen Wettrüsten und sehr komplexen Bündnissen führte. Insgesamt sieben große Kriege brachen zwischen den beiden Ländern aus und endeten mit der Niederlage Napoleons 1815.7
Der jahrhundertealte Hegemonialkrieg zwischen Großbritannien und Frankreich brachte die "Dschungelordnung" hervor, deren Grundlage die Souveränität und Macht der beiden Staaten war und die sich von der vorherigen mittelalterlichen Ordnung unterschied, die auf der Feudalautonomie vor dem Westfälischen Friedens beruhte.8 Die von langen Konflikten und Kriegen zwischen den zwei Hegemonialmächten Großbritannien und Frankreich geprägte europäische Geschichte lieferte den späteren Wissenschaftlern eine wichtige praktische Grundlage, auf deren Basis sie Theorien zum Realismus entwickeln konnten. Insbesondere der von Raymond Aron und Henry Kissinger vertretene Realismus des 20. Jahrhunderts zehrte von den reichhaltigen Erfahrungen aus dem Verhältnis zwischen Großbritannien und Frankreich im 18. Jahrhundert.
Trotz des sogenannten Hundertjährigen Friedens, den Europa im 19. Jahrhundert erlebte, machte der Ausbruch der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert wieder deutlich, dass Feindseligkeiten und Kriege, die von gefährlichem Kräftemessen hervorgerufen werden, in den strategischen Beziehungen zwischen großen Ländern der Normalzustand sind. Der Krieg zwischen Großmächten ist eine extreme Manifestation der Feindseligkeit zwischen großen Ländern. Eine direkte Folge dieser Auseinandersetzungen war oft der Niedergang der traditionellen Mächte und der Aufstieg einiger aufstrebender Mächte, was häufig Wendepunkte in der Entwicklung der Struktur der Welt markierte.9
Angesichts dieser feindlichen Verhältnisse zwischen den Großmächten entwickelte man in der Realismus-Theorie eine Reihe von Begriffen wie Machtpolitik, Gleichgewichtstheorie, Bündnistheorie und Sicherheitsdilemma, die auf Ideen der drei großen Philosophen Thukydides, Machiavelli und Hobbes basieren, sowie spezifische theoretische Zweige wie die Theorie der Machtverlagerung. Die pessimistische Haltung des Realismus ist größtenteils auf die aus der Geschichte bekannte tragische Realität der feindlichen Verhältnisse zwischen Großmächten zurückzuführen. Realisten gehen davon aus, dass der große Sicherheits- und Überlebensdruck es den Großmächten in ihren Außenbeziehungen schwierig macht, der sogenannten "Thukydides-Falle" zu entgehen, sodass die Konkurrenz verschiedener Mächte um die Vorherrschaft unweigerlich zu Aggressionen und sogar verheerenden Kriegen führen wird.10
In der Realität sind die Verhältnisse zwischen Großmächten in der Geschichte der internationalen Beziehungen immer vielgestaltig und facettenreich und keinesfalls so eindeutig, wie es im Realismus dargestellt wird. Man kann sogar sagen, dass es sich dabei um einen endlosen Tragödienkreislauf handelt. Das gemeinsame Handeln des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert ging als klassisches Beispiel für die strategische Zusammenarbeit zweier Weltmächte in die Lehrbücher ein.
Die sogenannte strategische Partnerschaft bezieht sich auf die Zusammenarbeit zwischen Großmächten in wichtigen politischen und sicherheitspolitischen Fragen zur Bewältigung schwerwiegenderer strategischer Bedrohungen oder zur Wahrung der bestehenden Interessen und Machtverteilung. Während der beiden Weltkriege waren die Vereinigten Staaten auf ihren eigenen Gebieten keiner ernsthaften Gefahr ausgesetzt, weshalb sie dem Vereinigten Königreich in Übersee beistanden und mit ihnen gemeinsam gegen ihre Rivalen vorgingen. Nach Ende des Kriegs erzielten das Vereinigte Königreich und die USA ebenfalls einen Konsens über den Wiederaufbau der Weltordnung. Noch ungewöhnlicher in der Geschichte der internationalen Beziehungen ist der friedliche Machtübergang vom Vereinigten Königreich auf die Vereinigten Staaten: Die Hegemonie der Pax Britannica aus dem 19. Jahrhundert ging in der neuen Rolle der Vereinigten Staaten als Weltpolizei auf. In der späteren Zeit des Kalten Krieges war das Vereinigte Königreich ein loyaler Partner in der globalen Strategie der USA und nach dem Ende des Kalten Krieges wurde das Vereinigte Königreich nach und nach zu einem Allwetter-Verbündeten der USA.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts führten die beiden Länder acht Jahre lang einen erbitterten Krieg. Warum die angloamerikanische Beziehung trotzdem eine andauernde und stabile strategische Partnerschaft ist, lässt den Forschern internationaler Beziehungen noch viel Raum für Diskussionen.
Die strategische Zusammenarbeit der großen Länder begann allerdings nicht mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Nach der Niederlage Napoleons im frühen 19. Jahrhundert waren die damaligen europäischen Großmächte – das Vereinigte Königreich, Russland und Österreich-Ungarn – Teil der Pentarchie (auch "Europäisches Konzert der Großmächte" genannt) und schafften die sogenannte Heilige Allianz, die durch diplomatische Zusammenarbeit aufrechterhalten wurde. Dies begründete eine europäische Ordnung, die auf dem Konsens der Mächte, den Machtzwängen und der Aussöhnung zwischen den Großmächten beruhte.11 Diese Art von Beziehungen machte es möglich, etwa ein Jahrhundert lang europa- und weltweit einen Grundfrieden aufrechtzuerhalten, der einen extremen Gegensatz zu den feindlichen Beziehungen der Großmächte während des 18. Jahrhunderts darstellte und gleichzeitig die Ausgangsthese dieses Buches stützt, dass die Weltordnung von den Beziehungen der Großmächte bestimmt wird. Im Zuge der Änderungen der europäischen Machtstruktur nach der deutschen Reichsgründung löste sich diese strategische Partnerschaft schließlich auf,12 denn das aufstrebende Deutschland akzeptierte den bestehenden Konsens der Großmächte nicht. Das revisionistische Deutsche Reich griff die damalige europäische Ordnung und damit ihren offensiven Realismus an und zerstörte damit schlussendlich sich selbst.
Wenn man die EU als strategische Handlungseinheit ansieht, so gehört das derzeitige Verhältnis der EU zu den USA auch zum Bereich der strategischen Zusammenarbeit dieses großen "Staates". Als die beiden wichtigsten Akteure im globalen System bemühen sie sich gemeinsam um die Aufrechterhaltung einer liberalen internationalen Ordnung, die auf der gemeinsam garantierten Sicherheit und auf internationalen Regeln beruht.
Die Praxis der strategischen Zusammenarbeit zwischen Großmächten führte zur Entstehung einer liberalen Theorie der internationalen Beziehungen, die sich in Theorien wie denen des demokratischen Friedens und des Handelsfriedens, der Theorie des institutionellen Friedens und der kollektiven Sicherheit usw. widerspiegelt. Der Liberalismus trug viele neue Inhalte zu den Theorien der internationalen Beziehungen im Realismus bei, die sich nun in ihrer Entwicklungsgeschichte auf ihrem Höhepunkt befindet. Der hundertjährige europäische Frieden im 19. Jahrhundert brachte die von Cobden vertretenen Freihandelsabkommen hervor, die durch ihre diplomatischen Wirkungen zum ersten Mal ein Zeitalter der Interdependenzen in den internationalen Beziehungen einläuteten. Später, nämlich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gingen die Theoretiker des demokratischen bzw. des Handelsfriedens davon aus, dass die US-europäische Zusammenarbeit zeigte, dass eine gemeinsame Teilhabe an demokratischen Systemen, eine demokratische Kultur sowie eine zunehmend enge gegenseitige Abhängigkeit zur Wahrung des Friedens zwischen Großmächten förderlich seien.13 Unterstützer eines kollektiven Sicherheitsbestrebens argumentierten des Weiteren, dass die "europäische Koordinierung" zeige, dass große Länder durch die Schaffung einer allgemeinen Sicherheit den Frieden im gesamten System aufrechterhalten können. Viele Theorien zur Global Governance besagen noch, dass die "europäische Koordinierung" das früheste wirksame Modell für eine stabile Governance gewesen sei. Das Bestehen strategischer Partnerschaften zwischen großen Ländern gibt besonders Liberalen Anlass zum Optimismus, da diese Länder einander überwiegend nicht feindlich gegenüberstehen, sondern im Gegenteil strategische Kooperationen und sogar Allianzen eingehen können. Solche Bündnisse werden sich wahrscheinlich selbst dann nicht auflösen, wenn ihre gemeinsamen Feinde verschwinden.14
Frankreich und Deutschland haben sich nach einer jahrhundertelangen Feindschaft zu engen und unzertrennlichen Partnern entwickelt. Diese Entwicklung der Beziehung bietet ein hervorragendes Forschungsumfeld für die Entwicklung von Theorien über die internationalen Beziehungen aus einer anderen Perspektive, die neben der britisch-amerikanischen Zusammenarbeit die europäische Harmonie der Anziehung der liberalen Doktrin weiter unterstreicht.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Frankreich und Deutschland die größten Rivalen in Europa. Ihre Feindschaft hatte fast ein Jahrhundert Bestand. Als alte europäische Hegemonialmacht war Frankreich eine Hürde, die Deutschland im Zuge seines Aufstiegs überwinden musste. Das Verhältnis zwischen den Großmächten Frankreich und Deutschland um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert herum ist ein klassisches Beispiel für die sogenannte "Thukydides-Falle", die besagt, dass Aufstieg und Sicherheit einer Partei zwangsläufig auf der Schwächung und Bekämpfung der anderen Partei beruhen muss. Der Nullsummencharakter der Beziehung zwischen den beiden Parteien fand schließlich in den zwei Weltkriegen seinen Ausdruck.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Frankreich und Deutschland von strategischen Erzfeinden zu den wichtigsten strategischen Partnern im internationalen Kontext. Die von Frankreich und Deutschland angeführte europäische Integration brachte enorm viele neue Inhalte in die Theorie der internationalen Beziehungen ein. Die europäische Einigung ist ein wichtiger Versuch in der Geschichte der internationalen Beziehungen, die verschiedenen Souveränitäten zu überwinden und durch die Errichtung eines internationalen Systems einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen. Europa wurde dadurch zu einer "Oase des Friedens" in der Welt und erreichte zu einem gewissen Grad das Ideal des "dauerhaften Friedens" des großen Philosophen der Aufklärung, Kant, und den Wunsch Woodrow Wilsons nach "Freiheit und Frieden" gleichzeitig.
Unter der Führung Deutschlands und Frankreichs führten die europäischen Länder auf regionaler Ebene weitreichende Versuche mit internationalen Auswirkungen durch. Der Europäische Binnenmarkt und der Euro sind dabei die zentralsten Errungenschaften aus dieser Versuchsreihe. Der gemeinsame Binnenmarkt machte eine vollständige Marktintegration zwischen verschiedenen souveränen Staaten möglich, wodurch nationale Grenzen im Sinne des Flusses wirtschaftlicher Faktoren zu existieren aufhörten. Der Euro wiederum ist eine überstaatliche Währung, die von souveränen Staaten auf Basis von politischen Vereinbarungen geschaffen wurde. Er ist seit mehr als zehn Jahren die gängige Währung der Eurozone und hat, obwohl das institutionelle Design des Euros noch einige Mängel aufweist, seinen internationalen Status als zweitgrößte Währung weltweit fest etabliert.15 Der Euro ist zu einem Symbol der europäischen Einheit geworden und ist als solches ein Sinnbild für die Entwicklung des Verhältnisses Deutschlands und Frankreichs von alten Feinden zu Partnern.
Die Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen und die Integration in Europa bieten dem Wachstum der Theorien zu internationalen Beziehungen einen fruchtbaren Boden. Der Funktionalismus sowie der Intergovernmentalismus und Konstruktivismus, auch gar die Global-Governance-Theorie und der Kritizismus, basieren alle auf der Praxis der internationalen Beziehungen in Europa. Obwohl die europäischen Länder den Höhepunkt in ihrer Weltmachtpolitik schon hinter sich gelassen haben, führt Europa die Welt auf der ideologischen Ebene der internationalen Beziehungen weiterhin an.
Das europäische Experiment ist noch im Gange. Trotz verschiedener unvermeidlicher Rückschläge in Vergangenheit und Zukunft unterstreicht dieses Experiment die große Vorstellungskraft der Gesellschaft in den internationalen Beziehungen. Auch die Entwicklung Deutschlands und Frankreichs von jahrhundertelangen erbitterten Feinden zu engen Partnern ist ein ruhmreiches Kapitel in der Geschichte der Entwicklung der Theorie der internationalen Beziehungen.
Die Sowjetunion und ihr Vorgänger, das zaristische Russland, spielten historisch meist eine marginale Rolle im modernen internationalen System. Erst in der Zeit Metternichs war Russland durch den Beitritt in die sogenannte Heilige Allianz an den Beziehungen der europäischen Mächte als Hauptfigur beteiligt, kehrte jedoch nach der Niederlage im Krimkrieg wieder in die Isolation zurück. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war die Sowjetunion stark in internationale Bemühungen zum Aufbau eines neuen politischen Systems und einer neuen politischen Ideologie involviert, wurde aber oft geringgeschätzt. Erst nach den großen Opfern, die die Sowjetunion besonders in den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs brachte, wurde sie zu einem gewichtigen Akteur im internationalen System. Am Ende des Zweiten Weltkrieges erlangte die erstarkte Sowjetunion den Status einer Supermacht wie die Vereinigten Staaten, während die traditionellen Mächte wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Japan, die die Sowjetunion und vorher das russische Reich geringgeschätzt hatten, in den Trümmern des Krieges um ihr Überleben kämpften und zu zweitklassigen Ländern degradiert wurden. Dies stellte im Muster der internationalen Beziehungen eine bedeutende Änderung dar.
Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gingen durch die Auswirkungen des Kalten Kriegs auf die Beziehungen der Großmächte zueinander als ein neues Beispiel in die Geschichte der internationalen Beziehungen ein. Die sogenannten "Kalter-Krieg-Verhältnisse" bedeuteten, dass die beiden Großmächte sich feindlich gegenüberstanden, sich gegenseitig ideologisch angriffen und wirtschaftliche Sanktionen und Blockaden verhängten. In der Politik wurden antagonistische Bündnisse eingegangen, geheime Sabotageakte durchgeführt und auf Ebene des Militärs versucht, den Gegner durch "Agentenkriege" zu schlagen. Trotz des langandauernden Wettrüstens zwischen beiden Ländern versuchten beide Seiten, direkte Zusammenstöße aus subjektiven Gründen zu vermeiden und konnten so tatsächlich den Ausbruch eines weiteren Krieges erfolgreich verhindern.16
Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten folgten nicht den ausgetretenen Pfaden der Kriege Großbritanniens und Frankreichs bzw. Frankreichs und Deutschlands, sondern hielten vielmehr trotz ihrer Konfrontationen einen "kalten Frieden" aufrecht. So kam es zwischen den beiden Ländern nicht zu einem Krieg im engeren Sinne. Obwohl sich beide Länder während der Berlin-Krise und der Kubakrise in einem Zustand großer Anspannung befanden, schafften beide Seiten es endlich, diese Krisen zu überwinden, ohne nochmals den Albtraum eines weiteren Krieges Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Beziehung dauerte mehr als 40 Jahre an und trug allgemein zur Stabilisierung der Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg bei. Einer der Hauptgründe, warum sich der Kalte Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nicht zu einem heißen Krieg entwickelte, war, dass sich zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion durch das Aufkommen von Atomwaffen ein Gleichgewicht des Schreckens auf der Grundlage einer "wechselseitig zugesicherten Zerstörung" bildete.17 Dies macht den tiefgehenden Einfluss von Atomwaffen als neue Technologie auf die strategischen Beziehungen zwischen Großmächten nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich.18 Es ist dabei ein wenig ironisch, dass die Angst vor den Atomwaffen des jeweils anderen der Sowjetunion und den USA am Ende den Frieden brachte. Das internationale Verhalten der Sowjetunion als Partei in der US-sowjetischen Konfrontation spiegelt ihre traditionellen Wurzeln als Hegemonialmacht tatsächlich in allen Aspekten wider: Egal ob im Umgang mit Freund oder Feind bewundert man hier in ausgeprägter Weise die Zurschaustellung von militärischer Stärke. Glücklicherweise konnte im Zeitalter der Atomwaffen durch Umsicht und Zurückhaltung die Vernichtung der Menschheit vermieden werden.
Die Auseinandersetzungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion im Kalten Krieg führten zu einem Entwicklungsschub in der Theorie der internationalen Beziehungen. Insbesondere entstanden auf Basis der Realverhältnisse einige neue Theorien, wie das Gleichgewicht der Kräfte (Balance of Powers) und die Abschreckungstheorie (Deterrence Theory). Die Streitigkeiten zwischen den USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg waren Anlass für Anhänger eines pessimistischen Realismus, die Möglichkeit der Vermeidung von Großmachtkriegen ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Durch diese Überlegungen wurden die Theorien des traditionellen Realismus weiter bereichert und perfektioniert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Realität der Machtverhältnisse zwischen Großmächten in der Geschichte einen reichen Nährboden für die Entwicklung der Theorien der internationalen Beziehungen bietet. Es sind diese vielfältigen Beziehungen zwischen den Großmächten, die eine Vielzahl von Theorien und Ideen über internationale Beziehungen hervorgebracht haben, wobei die Entstehung jedes neuen Akteurs und jeder neuen Beziehung im internationalen System Innovationen unter den bereits bestehenden Ideen stimuliert. Auch Chinas Aufstieg zu einer Weltmacht ist wieder eine große Chance für die Neuentwicklung von Theorien zu internationalen Beziehungen.
Heutzutage erleben wir abermals große Veränderungen in den Grundmustern der internationalen Beziehungen. Traditionelle Mächte wie Großbritannien, Frankreich und Deutschland sind nicht länger die wichtigsten Akteure auf der internationalen Bühne, sondern können ihre Position im internationalen System nur durch die supranationale Organisation der EU aufrechterhalten. Die Eurokrise 2010 stellte den Zusammenhalt der Europäischen Union auf die Probe. 2016 verschlimmerte der von Großbritannien angestrebte "Brexit" den Zustand des "europäischen Patienten". Auch die Russische Föderation hat als Hauptnachfolgestaat der Sowjetunion nach deren Zerfall in den letzten 20 Jahren nicht den richtigen Weg gefunden, ihren Status als Weltmacht wiederzubeleben. Weder die Demokratie noch der jetzige "Putinismus" erlaubten es Russland, in den Mittelpunkt des internationalen Wettbewerbs zurückzukehren. Jeder Rückgang im Ölpreis versetzte diesem "schwachen Riesen" einen schweren Schlag. Auch sein geostrategischer Raum wird angesichts des politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Drucks aus dem Westen ständig kleiner. Nach der Ukraine-Krise 2014 musste Russland die Demütigung hinnehmen, aus der G8-Gruppe ausgeschlossen zu werden. Dies machte deutlich, dass Russland nach wie vor nur eine zweitrangige Rolle im internationalen System spielt und dort seine strategischen Interessen nur passiv verteidigen kann, weshalb sein internationales Verhalten zur Entwicklung von Theorien über internationale Beziehungen nur wenig beizutragen hat. Japan, das sich in den 1980er Jahren brillant entwickelte, versuchte durch Theorien über den Aufstieg von Entwicklungsländern und das sogenannte "Fluggänsemodell" die Ordnung in Ostasien zu reorganisieren und spielte dort eine führende Rolle. Anfang der 1990er Jahre fiel Japan nach einer Zeit der "Bubble Economy" in eine anhaltende wirtschaftliche Stagnation. Die asiatische Finanzkrise von 1997 zeigte, dass Japan weder stark genug noch willens war, in Ostasien die Führung zu übernehmen.
Die Volksrepublik China, ein Land, das früher in einem Gefühl der Kränkung lebte, hat es im Wandel der Zeiten durch seine neue Haltung geschafft, ein Hauptakteur auf der Weltbühne zu werden. Durch seine bedeutende Stärke und sein bedeutendes Ansehen hat sich China in den letzten 30 Jahren seit der Reform und Öffnung zu einer wichtigen Figur im internationalen System entwickelt. China nahm kontinuierlich davon Abstand, sein "Licht unter den Scheffel zu stellen", wurde immer proaktiver und durchsetzungsfähiger19 und begann, die Funktionsweise des gesamten internationalen Systems durch seine eigenen diplomatischen Aktivitäten mit anderen großen Staaten stärker zu beeinflussen. Es steht daher zu erwarten, dass China einer der Hauptautoren der zukünftigen Theorie der internationalen Beziehungen werden wird. Die Veränderungen in Chinas Rolle und Status im internationalen System waren prägend für die allgemeine Wahrnehmung der Welt durch Chinas intellektuelle Gemeinschaft. Aber angesichts der durch eigene Veränderungen hervorgerufenen internationalen Veränderungen ist China weder auf politischer noch auf wissenschaftlicher Ebene ausreichend vorbereitet.
Die Dynastien, die ihren Ursprung in der chinesischen Zentralebene hatten, waren als politische Gesamtheit der chinesischen Zivilisation eine Weltmacht. Sie wurden oft als chinesische Kaiserreiche bezeichnet und setzten eine recht effektive und zentralisierte Verwaltung ihres riesigen Hoheitsgebiets um.20 Chinas Status als Großmacht ist in seiner ausgedehnten Geografie, seiner formidablen politischen Handlungsfähigkeit und seiner seit langem bestehenden und einzigartigen kulturellen Tradition verkörpert. Im Laufe seiner langen Geschichte wandelte sich die Beziehung Chinas zum internationalen System mehrfach substanziell und jede Änderung wirkte sich direkt auf das Verständnis der internationalen Beziehungen in den intellektuellen Kreisen Chinas aus.
Chinas Autarkie. Mit der Unterzeichnung des Westfälischen Vertrags 1648 wurde in Europa das moderne System souveräner Staaten eingeführt. Nach dem westfälischen Modell sind souveräne Territorialstaaten die wichtigsten Akteure in der Weltpolitik: Souveräne Staaten befinden sich in dem Hobbes'schen "brutalen Naturzustand", der eine hohe "Sterberate" der Staaten mit sich bringt. Deshalb müssen die Staaten ständig stärker werden und Bündnisse eingehen, um in dem bedrohlichen Umfeld zu überleben.21 Die Theorie des Realismus zu den internationalen Beziehungen basiert größtenteils auf diesen praktischen Erfahrungen. In China gab es bis zur Zeit der späten Ming- oder bis zum Anfang der Qing-Dynastie ein vom Westen völlig unterschiedliches Herrschaftssystem. Obwohl die Dynastien in diesem imperialen System ständig wechselten, dauerte es in seiner Gesamtheit fast zweitausend Jahre fort.
Dieses monumentale Gefüge funktionierte vor allem nach den Grundprinzipien des in konzentrischen Kreisen eingeteilten chinesischen Tributsystems. Wo nötig stützte man sich zu seiner Erhaltung auch auf die große militärische Macht Zentralchinas. Dieses System verfügte über die folgenden charakteristischen Eigenschaften: (1) Die Ungleichheit. Das Tributsystem war eine Ausweitung der innerchinesischen Hierarchieordnung nach außen. Der Suzerän und die tributpflichtigen Staaten waren hinsichtlich ihrer Stellung im sozialen Gefüge und der Politik ungleich, daher handelte es sich hierbei nicht um ein System souveräner Staaten im modernen Sinn. (2) Der gegenseitige Nutzen. Durch den einzig im Fernen Osten vorzufindenden Tributhandel kamen die tributpflichtigen Staaten in den Genuss großer wirtschaftlicher Vorteile, während China den Status als Suzerän und gleichzeitig ein stabiles Umfeld erlangte. Die eigentliche Grundlage des Tributsystems basierte auf dem Interessenaustausch. (3) Die friedliche Natur. Im Gegensatz zu den gewaltsamen Machtexpansionen im Westfälischen System bestand der Hauptzweck des sinozentrischen Tributsystems darin, den Frieden zu erhalten und die Stabilität der Agrikultur und Zivilisation zu bewahren. (4) Die Autarkie. In der Ming- und Qing-Zeit war das Tributsystem die einzige Form des Austauschs Chinas mit dem Ausland. Seine charakterisierende Bezeichnung als "Verteidigung" und "Restriktion" macht besonders deutlich, dass es dabei nicht um eine Expansion ging.22
Man kann sagen, dass zu dieser Zeit das östliche und das westliche Ende des eurasischen Kontinents zwei völlig unterschiedliche Systeme repräsentierten (s. Tabelle 1-1 für einen Vergleich der beiden Systeme), die vor 1840 fast 300 Jahre parallel existierten. Zwar gab es einen sporadischen Handel sowie gelegentliche Personen- und Kulturaustausche, aber im Großen und Ganzen waren diese beiden unterschiedlichen Systeme voneinander isoliert und in sich geschlossen. Es fehlte an grundlegender Interaktion zwischen ihnen. Ein Grund dafür war zum einen die räumliche Distanz: Wegen der damals noch eingeschränkten technischen Möglichkeiten war eine regelmäßige und effektive Interaktion zwischen den beiden Systemen nicht möglich. Des Weiteren verschloss das rückständige und feudalistische Osmanische Reich den Austauschweg zwischen China und dem Westen und schließlich schottete sich das chinesische System seit der Song-Dynastie zunehmend ab. Die Qing-Regierung führte aufgrund ihres starken Unsicherheitsgefühls als Nicht-Han-Regime eine ziemlich arrogante Politik der Schließung des Landes durch, durch die sich die Isolation der beiden Systeme weiter verschärfte.
Tabelle 1-1: Vergleich der beiden Hauptsysteme im Osten und Westen
Osten
Westen
Systemmerkmale
Imperiales System
Hoheitssystem
Systemprinzip
Zentrum vs. Randzonen
Nationale Souveränität und Gleichberechtigung
Politisches Denken
Konfuzianische Kardinaltugenden, "Tianxia"-Konzept
Modernes Staatskonzept
Wirtschaftliches Denken
Tribut, versch. Abstufungen
Merkantilismus
Machtverteilung
Zentral, konzentriert
Dezentral, Gewaltenteilung
Systemziel
Wahrung von Frieden und Stabilität
Kolonialisierung und Eroberung, Durchsetzung kommerzieller Interessen
Methoden zur Erhaltung des Systems
Gegenseitiger Nutzen; Bindung; wenn nötig militärische Gewalt
Häufige Kriege; Bündnisse, gegenseitige Kontrolle
Da man sich als Reich der Mitte sah, wurde die Idee des "himmlischen Königreichs" in dieser Zeit zu einem Teil von Chinas Denkweise über seine Beziehung mit der Außenwelt, die von der konfuzianischen Ideologie unterstützt wurde.23 Der Konfuzianismus baut auf dem traditionellen Weltbild von China als "Zentrum von allem zwischen Himmel und Erde" auf. China ist das Zentrum der Welt und hat eine beispiellose Geschichte und Erfolge, deshalb fallen die "auswärtigen Angelegenheiten" nicht in den chinesischen Interessenbereich.24 Der Zusammenbruch dieser Strukturen beruht auf der Tatsache, dass durch die Technologien, die im Zuge der industriellen Revolution entstanden waren, die geografischen Barrieren überwunden werden konnten. Zudem beruht der Zusammenbruch auch auf der fundamentalen Änderung der Machtverhältnisse der beiden Systeme, die dazu führte, dass das westliche System einen überwältigenden Sieg über das chinesische System erringen konnte. Dieser Sieg zwang China dazu, sich dem vom Westen definierten internationalen System zu unterwerfen. Nach dem Opiumkrieg brach das Tributsystem in Ostasien allmählich in sich zusammen, und China war gezwungen, schrittweise selbst eine moderne Diplomatie nach westlichem Vorbild einzurichten25. Durch die lang andauernde Umstellung Chinas vom asymmetrischen Verhältnis zum Ausland zu gleichwertigen diplomatischen Beziehungen erkannten die chinesischen Politiker, dass "China sich weder von den modernen westlichen Ländern isolieren kann, noch die westlichen Länder in das auf der einheitlichen Tugendherrschaft des ‚Reichs der Mitte‘ beruhende Tributsystem integriert werden können"26. Diese schmerzhafte Erkenntnis eröffnete die zweite Phase der Beziehungen zwischen China und dem Ausland.
China begann, eine negativ besetzte Nebenrolle im internationalen System zu spielen, und hinkte in dieser Rolle schon immer hinterher oder wurde geschlagen. Erst mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte China für kurze Zeit eine positive Rolle einnehmen. In der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts fand in den westlichen Ländern, vor allem in Großbritannien, die "industrielle Revolution" statt. Mit ihren Kanonenbooten zerstörten sie das chinesische Tianxia-System vollständig und das Freihandelsprinzip versetzte dem Tributsystem den Todesstoß. Seitdem war China gezwungen, sich der westlichen Ordnung souveräner Staaten zu unterwerfen. Der Zusammenbruch des östlichen Systems markierte auch die erfolgreich erreichte Globalisierung des westlichen Systems. Nach und nach gab China die Tianxia-Idee auf und akzeptierte die westliche internationale Ordnung vollständig. Man hoffte, durch unermüdlichen Einsatz einen Platz darin zu erlangen und wollte einen modernen starken Staat aufbauen.
Nach dem heftigen Zusammenstoß dieser beiden Hauptsysteme war seine Integration in das globale System das wichtigste Merkmal des modernen Chinas. Seit China als großer Verlierer der Geschichte dem westlichen System beigetreten ist, denken chinesische Wissenschaftler darüber nach, wie man vom Westen lernen kann und suchen ein Gleichgewicht zwischen Moderne und Tradition zum Wiederaufbau des Landes.27 In der Zeit der Republik China und aus der Perspektive der internationalen Beziehungen und der Diplomatie "haben die Gelehrten dieser Zeit damit begonnen, sich westliches Wissen anzueignen, es in China einzuführen und in Kombination mit chinesischer Tradition und dem Realismus zu einem Analyserahmen für China-Fragen in den internationalen Beziehungen auszuformen."28