Kastanienbusch - Jürgen Mathäß - E-Book

Kastanienbusch E-Book

Jürgen Mathäß

3,8

Beschreibung

Der beliebte Birkweiler Weinfrühling wird von einem Verbrechen überschattet: Ein unbekannter Mann liegt am Tag vor Festbeginn erstochen im Kastanienbusch. Jan Badenhop vom Neustadter Kommissariat ermittelt im Winzerumfeld, nimmt die berühmte Weinlage Kastanienbusch genauer unter die Lupe und bekommt es mit zweifelhaften Kellereischummeleien, einer verschwundenen Frau und spanischen Sommeliers zu tun.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 367

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,8 (18 Bewertungen)
5
8
2
3
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der 1951 in Landau geborene freie Weinjournalist und Buchautor studierte Volkswirtschaftslehre und Jura in Frankfurt/Main. Nach dem Abschluss als Diplom-Volkswirt arbeitete er zunächst in der Marktforschung eines Großunternehmens und als Wirtschafts-Fachjournalist. Seit 1983 beschäftigt er sich regelmäßig mit Wein, war unter anderem ab 1986 sechs Jahre lang Chefredakteur der Fachzeitschrift »Weinwirtschaft« und machte sich 1993 als Journalist und Unternehmensberater selbstständig. Er ist Experte für deutsche, spanische und südamerikanische Weine. Jürgen Mathäß lebt seit zwanzig Jahren wieder in Landau, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2014 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: photocase.com/Helgi Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Susann Säuberlich, Neubiberg eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-608-9 Pfalz Krimi Originalausgabe

Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

Für Ana, Anna und Georg

EINS

Aus dem Skizzenbuch des Weinexperten und Hobbyjournalisten Georg N. Miltz

(Demnächst Artikel für Weinblatt?)

Der Ausblick vom Hügel nordöstlich von Ranschbach ins Queichtal entschädigt für alles, was man im zurückgelassenen Ort vermisst haben mag. Er zeigt die Pfalz von ihrer schönsten Seite.

Das Queichtal gehört zwar nicht zu den unberührten Landstrichen der Pfalz. Die viel befahrene B 10, meist dreispurig ausgebaut, zieht von der Rheinebene in Richtung Pirmasens. Hier oben sieht und hört man sie kaum. Dafür liegen die lang gestreckten Bergrücken der Haardt zwischen Albersweiler, dessen höher gelegene Ortsteile noch hinter einem Hügel hervorlugen, und Frankweiler, das gerade noch den Horizont mit dem Wald verbindet, direkt im Blickfeld. Die sanft gewellten Hügel mit Weinbergen, unterbrochen durch Baumreihen entlang der Queich und durch ein kleines Wäldchen um die Rebforschungsanstalt Geilweilerhof, bilden einen zauberhaften Kontrast. Selten liegt ein ganzer Abschnitt der Weinstraße so prächtig im Blickfeld des Betrachters.

Direkt im Tal kauern sich die Nachbardörfer Birkweiler und Siebeldingen in die Senke. Birkweiler wird von der Durchgangsstraße nur kurz berührt. Vielleicht ist deshalb sein Ortskern weitgehend von den modernisierenden Zerstörungen der sechziger und siebziger Jahre verschont geblieben. Von hier oben sieht man die gepflegten Fachwerkhöfe nicht. Nur die beiden Kirchen scheinen mit ihren spitzen Türmen geradewegs auf die Weinberge zu zeigen, die sich westlich des Ortes – nach Süden, Osten und Südwesten ausgerichtet – weit den Berg hinaufziehen.

Da sich ein Hügel direkt hinter der Kirche nach Süden vorschiebt, formt er den Hang dahinter fast kesselartig, was aus der Ferne nicht gut zu erkennen ist. Wer sich auskennt, weiß, dass es sich bei diesem einem Amphitheater ähnlichen Hangschwung um das Kernstück der Weinlage Kastanienbusch handelt. Neben dem für herausragende Weißburgunder des Weinguts Dr. Wehrheim bekannten Mandelberg verfügt Birkweiler mit dem Kastanienbusch über das bekannteste »Große Gewächs« im südlichen Teil der Pfalz.

Ein schönes Dorf mit guten Weinen. Man könnte fast glauben, der Kastanienbusch habe, als ob eine geheimnisvolle Kraft von ihm ausginge, alles verzaubert, verschönert und die Winzer zur ständigen Verbesserung ihrer Weine angestachelt.

(dann Fakten zu Kastanienbusch bringen)

Pfingstsonntagmorgen, kurz vor acht Uhr. Die Sonne scheint bereits in manche Schlafzimmer. Wird sie lästig, dreht man sich auf die Seite und genießt den sonntäglichen Halbschlaf sowie die Erwartung auf einen stressfreien, warmen Frühlingstag. Bewohner und Besucher der Pfalz dösen friedlich vor sich hin.

Aber nicht alle.

Lech Gomulka hätte von Samstag auf Sonntag lieber im Bett seines kleinen Zimmers im Weingut geschlafen, aber sein Chef hatte den Polen dazu verdonnert, im bereits aufgebauten Zelt im Kastanienbusch zu nächtigen, um die wertvolle Installation der Küche und des Ausschanks zu bewachen. Einen guten Schlafsack und eine halbwegs bequeme Pritsche hatte er schon bekommen, sogar eine Flasche Wein. Aber Lech war kein begeisterter Camper. Ihm waren die Geräusche, die man nachts unweigerlich durch die dünne Zeltwand hörte, etwas unheimlich, wenn er sich nicht auf dem Zeltplatz, sondern irgendwo im Freien in der Nähe des Waldes befand. Tatsächlich glaubte er, als er jetzt aufwachte, in der Nacht ein paarmal im Halbschlaf Bewegungen wahrgenommen zu haben. Wildschweine vielleicht, die sich nach den Erzählungen der Leute im Weingut in den letzten Jahren so vermehrt hatten, dass man ihrer kaum noch Herr wurde. Diebstahl musste er nicht befürchten. Alle Wertsachen waren glücklicherweise im Zelt, sodass er nicht aufgestanden war, um nachzusehen.

Selbst von der ein paar Kilometer entfernten Kleinen Kalmit aus, einem Kalkhügel mit sehenswertem Rundblick und hervorragenden Weinen, kann man jedes Jahr am Pfingstwochenende mehrere weiße Punkte sehen, die sich über die Hänge des Kastanienbuschs bei Birkweiler verteilen. Es sind Zelte, in denen gekocht und Wein ausgeschenkt wird. »Birkweiler Weinfrühling« heißt das Ereignis, das schon lang kein Geheimtipp mehr ist. Bei schönem Wetter, das wie durch einen weiteren Zauber des Kastanienbuschs alljährlich garantiert zu sein scheint, pilgern Tausende von Besuchern in das bekannteste Weindorf der Südpfalz. Ihr Auto können sie unten beim Dorf abstellen, das an diesen Tagen großräumig zugeparkt ist. Die Weinwanderung zu den Zelten durch die Weinberge ist nur zu Fuß möglich. Alle namhaften Weingüter des Ortes sowie gute Gastronomen der Umgebung sind vertreten. Wer es bis zum Zelt am höchsten Punkt des Kastanienbuschs schafft, wo die Weingüter Scholler und Dr. Wehrheim ausschenken, wird mit einem großartigen Blick über die Rheinebene belohnt.

Erfahrene Besucher des Festes nehmen gleich zu Beginn die kleine Mühe des Anstiegs auf sich und entsagen zunächst den Verlockungen der Zelte sowie dem freudigen Rufen von Bekannten, die man fast unweigerlich trifft. Ganz oben zu starten bedeutet nämlich: Danach, mit zunehmendem Völlegefühl und beschwipstem Kopf, geht es glücklicherweise nur noch abwärts. Also beginnt man oben mit dem ersten trockenen Riesling und der ersten Stärkung. Roulade von Pfälzer Spargel und spanischer Serranoschinken wären eine Option. Doch, Serranoschinken. Mit den guten Sachen der anderen Regionen und Länder haben die Pfälzer kein Problem. Dass man an diesem denkwürdigen Tag noch auf ganz andere Weise mit Spanien zu tun haben würde, konnte natürlich noch niemand wissen. Es gab jedenfalls auch Lasagne von Pfälzer Hausmacher auf getrüffelten Linsen.

Der schläfrige Lech konnte an diesem Morgen von kulinarischen Genüssen nur träumen. Er wäre schon mit einer Tasse Kaffee zufrieden gewesen, hatte aber nur noch einen Rest Mineralwasser in der Flasche. Der halbtrockene Müller-Thurgau, den er als Schlaftrunk erhalten hatte, war am vergangenen Abend schon lang leer gewesen, bevor endlich die Müdigkeit kam. Dass diese Pfälzer sich mit Alkoholika von kaum mehr als zehn Prozent abgaben, hatte er noch nie verstanden. Aber er hatte es gut erwischt, mit der Gegend ebenso wie mit seiner Familie. Die harte Arbeit bei einem Stundenlohn von sieben Euro – bei freiem Wohnen – störte ihn nicht. Es war ziemlich wenig im Vergleich zu dem, was Deutsche verdienten, aber ein Haufen Geld im Vergleich zu seinem Verdienst zu Hause als Elektriker. Die Leute waren freundlich, und im Herbst konnte sogar seine Frau anreisen und bei der Lese mithelfen.

Frau! Ja, bei dem Gedanken wurde er dann doch einigermaßen wach, weil er sich daran erinnerte, dass er im vergangenen Jahr beim Weinfest, das in wenigen Stunden wieder beginnen würde, am Stand ausgeholfen hatte und sich vor lauter gut gebauten und sexy zurechtgemachten jungen Dingern kaum noch auf die Arbeit hatte konzentrieren können. Kein Wunder, wenn man wochenlang auf Entzug gesetzt war.

Bevor die aufkeimende Erregung stärker zunahm, als es ihm in seiner eher unbequemen Stellung angenehm war, schälte sich Lech aus seinem Schlafsack. Es war ihm hier sowieso zu warm geworden, seit die Morgensonne auf das Zelt schien.

Gerald neben ihr schlief ruhig. Nadine Ochs hatte nur im Halbschlaf mitbekommen, dass er spät nach Hause gekommen war. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er etwas gemerkt hatte. Er war in den vergangenen Tagen merkwürdig reserviert und unfreundlich gewesen. Oder bildete sie sich das nur ein, weil das schlechte Gewissen an ihr nagte? Na ja, wieso sollte er etwas gemerkt haben, er hatte ja gestern Abend gearbeitet.

Sie war mit Nell oben beim Mandelberg spazieren gegangen und hatte ihn frei laufen lassen, als ihr auf dem Heimweg ins Tal der Fremde zum ersten Mal begegnete. Er kam von Birkweiler aus den unbefestigten Waldweg hoch, der direkt am Waldrand entlangführte. Ein verdammt gut aussehender schwarzhaariger Bursche. Hatte er sie gleich ganz kurz mit freundlichem, doch irgendwie herausfordernd-abschätzigem Blick angesehen? Oder hatte sie sich getäuscht? Er schien sich nur für den Hund zu interessieren, war auf ihn zugegangen, als wäre Nadine gar nicht dabei und als wäre Nell nicht äußerst misstrauisch gegenüber Fremden. Sie war fast eifersüchtig auf Nell geworden. So klasse, wie sie aussah, interessierten sich die Männer ja ziemlich schnell für sie und eher selten für den Hund. Dann hatte der Typ auf so eine merkwürdige Art mit ihrer Promenadenmischung gesprochen. Eine Sprache, die sie nicht kannte, und ein Tonfall, der sich wie beruhigender Singsang anhörte. Nell stellte die Ohren auf, wedelte mit dem Schwanz und tat gerade so, als kenne er den Mann schon ewig.

»A nice dog«, hatte er zu ihr gesagt, und sie war augenblicklich froh gewesen über die drei Wochen, die sie während der Schulzeit als Austauschschülerin in Bournemouth verbracht hatte. In der Schule mochte sie nie englisch sprechen, obwohl sie keine schlechte Englischnote hatte. Bei der Austauschfamilie musste sie sich einfach trauen. Schon nach ein oder zwei Tagen hatte sie nicht mehr jeden Satz im Kopf vorgekaut, damit alles richtig war, sondern einfach gequasselt. Hauptsache, man verstand sich.

Sie versuchte, dem Fremden zu erklären, dass man mit Nell aufpassen müsse, obwohl sie sich wundere, wie zutraulich er sei. Da hatte er gelacht und gesagt, er sei ein Hundemensch. Er verstünde sich mit allen Hunden gut. Gleich wandte er sich wieder dem Tier zu, kraulte Nell hinter den Ohren und schien sie ganz vergessen zu haben. Doch plötzlich wollte er wissen, ob sie von hier sei und ob sie die Gegend und den Wald sehr gut kenne. Sie nickte und deutete nach hinten. »Ich wohne da im Dorf«, sagte sie. Auf die Frage nach dem Wald ging sie nicht ein.

Sein Englisch hörte sich ein bisschen komisch an. Aber sie fragte nicht, woher er kam. Warum auch? Hauptsache, es war ein interessanter Kerl.

Der Mann mit seiner ruhigen Ausstrahlung, die offenbar nicht nur Nell zutraulich werden ließ, sprach schon weiter. Die Hunde würden es ja mögen, wenn man mit ihnen regelmäßig denselben Weg ging, hatte er behauptet. Ob sie das auch so mache?

Davon hatte sie noch nie gehört. »Ja, ich gehe jeden Tag mit ihm spazieren. Meist nehme ich denselben Weg hier. Nell kennt schon die einzelnen Bäume.«

Da hatte er gelacht und gemeint: »Das ist gut. Ich wollte nur wissen, ob wir uns morgen zufällig wieder treffen. Ich bin noch ein paar Tage hier und muss Wein verkaufen.« Dann hatte er sie noch mal angelacht und war weitergegangen in Richtung Ranschbach. Die Vorstellung, ihm ein weiteres Mal zu begegnen, war ihr keineswegs unangenehm gewesen. Ihre Verwirrung war groß genug, um gar nichts dabei zu finden, dass ein Fremder den Pfälzern hier Wein verkaufen wollte.

Sie hätte niemals zugegeben, dass sie am nächsten Tag die neuen Schuhe und auch den engen rosa Pulli, der ebenso wie die Jeans ihre perfekte Figur betonte, extra angezogen hatte. Natürlich ging sie wieder denselben Weg am Waldrand über dem Mandelberg. Hunde mögen es ja, hatte sie gelernt. Als sie den Fremden sah, wie er auf der Bank neben einer Grillhütte saß, sich eine Pfeife stopfte und die Aussicht in die Rheinebene zu genießen schien, war sie nicht einmal überrascht. Jetzt, als sie daran dachte, was aus dieser Begegnung geworden war, spürte sie schon wieder die Erregung.

Schlechtes Gewissen? Nein, dazu hatte sie alles zu sehr genossen. Unter der Bettdecke strich sie zufrieden mit den Händen an ihrem Körper entlang. Sie hatte eher Angst vor den Folgen, falls Gerald wirklich etwas gemerkt haben sollte. Aber wie sollte er?

Eine andere junge Frau, die wenige Kilometer entfernt allein im Bett eines privaten Fremdenzimmers aufwachte, schwankte zwischen Trauer, Angst und unbändiger Wut. Was hatten sie alles gemeinsam erlebt, geredet, geplant! Wie sehr hatte sie sich auf alles eingelassen – ein Riesenfehler. Der Dreckskerl sollte in der Hölle schmoren. Sie würde jede Erinnerung an ihn und an die ganze Schweinerei auslöschen. Und jetzt, im Augenblick? Aufstehen, ihre Sachen packen und gehen. Was würde sie tun? Hier in der Nähe bleiben? Sich womöglich eine Arbeit suchen? Nach Hause fahren? Egal: Sie würde einfach mit dem Auto wegfahren. Es war sowieso auf ihren Namen angemeldet. Hauptsache, weg von hier!

Appetit auf Frühstück hatte sie nicht. Sie würde so unauffällig wie möglich die Zimmerrechnung bezahlen und abhauen. Geld hatte sie ja. Er hatte von dem Geld, das sie gestern bekommen hatten, ein paar Hunderter genommen und in die gemeinsame Börse gesteckt, die sie »Haushaltskasse« nannten. Und dann war da noch sein Briefumschlag unter der Matte im Auto. Egal. Nichts wie weg.

Jan Badenhop sah auf den Wecker, der kaum dreißig Zentimeter neben seinem Kopf tickte. Sieben Uhr fünfundvierzig. Er hatte eine ruhige, völlig ungestörte Nacht verbracht. Das Wochenende versprach, nicht nur sonnig und warm, sondern auch ausgesprochen erholsam zu werden. Der Leiter der Abteilung Schwerverbrechen des Neustadter Kommissariats bereute keinesfalls, vor einem guten halben Jahr aus Hamburg in die Pfalz gekommen zu sein. Wie viele wirklich ungestörte Wochenenden hatte er in Hamburg erlebt?

Aber es war nicht nur das. Der schlanke, gut aussehende Hamburger begann, sich hier wohlzufühlen. Seine Kollegen waren durchweg in Ordnung. Das manchmal ein wenig prollig wirkende, laute Getue der Leute durfte man nicht falsch interpretieren. Es war wohl nur für seine Sozialisation ein wenig distanzlos. Aber auch herzlich. Seit ihm sein Kollege Bernd Hochdörffer kürzlich das Du angeboten hatte, war die Stimmung im Präsidium noch gelöster. Landschaft und Leute waren ihm sympathisch, auch wenn er nicht alles verstand, wenn Pfälzer sich in ihrem sonderbaren Dialekt unterhielten.

Sein erster größerer Fall an der Weinstraße, ein getöteter Winzer, hatte ihn gleich mit der Welt des Weines in Verbindung gebracht.*[* Pechstein – Kommissar Badenhops erster Fall] Wein hatte ihn nie interessiert. Das Einzige, was er davon wusste, war, dass man ihn aus Trauben machte und dass man betrunken davon wurde. Der Fall hatte ihm jedoch einige Einblicke in das Wesen der Pfälzer und die Geheimnisse des Weinverkostens gebracht. Nicht dass er nun zum Weinkenner werden wollte, beileibe nicht. Aber kürzlich hatte er tatsächlich seine erste Kiste Wein gekauft, den 2011er Pechstein von Bürklin-Wolf – in Erinnerung an den Fall, der sich um diese berühmte Weinlage drehte. Es sei, so war in einem Weinführer zu lesen, in diesem Jahrgang der beste trockene Riesling Deutschlands. Vor ein paar Tagen hatte er mit seiner Frau die erste Flasche des sündhaft teuren Tropfens geöffnet, obwohl man ihm erklärt hatte, man solle dem Wein vier, fünf Jahre Flaschenreife geben, damit er seine ganze Aromenfülle entwickeln könne. Doch dann hatte die Ungeduld gesiegt. Dennoch schmeckte der Wein großartig, und es war ein wunderbarer Abend geworden. Und es blieben ja noch fünf Flaschen übrig.

Er hörte ihren ruhigen Atem neben sich. Dass sie hier mehr als ein, zwei Jahre bleiben würden, war für Ingrid Badenhop noch keine ausgemachte Sache, wie Badenhop wusste. Ihr gefiel die Landschaft durchaus. Sie war erstaunt über die große Anzahl guter Restaurants entlang der Weinstraße, das kulturelle Angebot, wenn man das nahe Mannheim mit einbezog, und die vielen kleineren Konzerte und Ausstellungen auch auf den Dörfern. Aber sie war und blieb bekennende Großstädterin, nein: Hamburgerin. Ihr gefielen die kühle Eleganz der Stadt, ihre Großbürgerlichkeit, die distinguierte Gesellschaft, in der sie sich zu Hause fühlte. Die Pfälzer kamen ihr grob vor. Badenhop wusste es. Er wusste auch, dass er mehr dafür tun musste, damit sie hier einen Bekanntenkreis aufbauen konnten, in dem sie sich wohlfühlte.

Aber am heutigen Sonntagmorgen gab es auf diesem Feld nichts zu tun. Er sah keinen Grund, gerade jetzt Probleme zu wälzen. Stattdessen wälzte er sich auf die andere Seite und schloss die Augen. Ein gutes Stündchen würde er sicher noch schlafen, vielleicht sogar mehr, falls seine halbwüchsigen Söhne Hendrik und Jens nicht anfingen, Radau zu machen. Womöglich ließ er sich erst vom Kaffeeduft wecken, der bald aus der Küche herüberwehen würde.

Ein anständiger Kaffee, das wär’s jetzt, dachte Lech Gomulka, als er das weiße Zelt öffnete und nach draußen ging, um seinen morgendlichen Blasendruck abzulassen. Es war noch niemand unterwegs. In einigen Stunden würden sich Tausende auf den Wegen, in den Weinbergen und an den Ständen tummeln.

Lech sah nach oben. Keine Wolke am Himmel! Die hatten ein Glück mit ihrem Wetter! Er ging an den Strohballen vorbei, die man aufgeschichtet hatte, damit die Kinder spielen konnten und weil einige Erwachsene darauf lieber zu sitzen schienen als auf den Bierbänken, die noch im Zelt lagerten. Während er sich im gegenüberliegenden Weinberg erleichterte, sah er über die Reben hinunter ins Dorf, auf den kleinen Hügel mit der Kapelle in einiger Entfernung und auf das weite Rheintal, das er durchfahren musste, wenn er sich wieder auf den Heimweg machte. So schön es hier war – er war immer froh, wenn der Tag der Heimreise endlich kam.

Wie spät war es jetzt? Kurz vor acht. Zwischen acht und halb neun wollten sie kommen. Dann konnte er runter ins Dorf und frühstücken. Erst gegen zwölf sollte er wieder oben sein, wenn der große Schwung Besucher kam, der schon hier zu Mittag essen wollte.

Was ihn dazu brachte, nicht gleich mit dem Heraustragen der Klappbänke zu beginnen, sondern erst einen Blick hinter die dem Hang zugewandte Seite des Zeltes zu werfen, konnte er hinterher nicht mehr sagen. Er wusste nur noch, dass er furchtbar erschrocken war und einen Augenblick auf den Mann starrte, der da reglos vor ihm lag. Er würgte und übergab sich direkt neben das Zelt. Dann rannte er hinein, kramte hektisch nach seinem Handy, tippte darauf herum und schrie hinein: »Schnell, Chef, Polizei rufe, tote Mann! Alles blute!«

ZWEI

Jan Badenhop starrte äußerst schlecht gelaunt auf die Leiche. »Es gibt viele Gründe, warum einer kotzt. Der überraschende Anblick einer blutigen Leiche ist nur einer von ihnen«, knurrte er einen Landauer Streifenpolizisten an. Der hatte gemutmaßt, der Pole könne es nicht gewesen sein, weil Mörder ja wohl nicht neben die Leiche kotzen.

Der noch immer bleiche und anscheinend völlig verwirrte Lech Gomulka hatte zuerst heftig den Kopf geschüttelt, als der Beamte ihn fragte, ob er die Sauerei hier angerichtet habe. »Nix totschlage, ich gefunde«, hatte er gestammelt.

»Ich meine die Kotze, Menschenskind«, fuhr ihn der Polizist an und erntete einen kritischen Blick sowie eine halb drohende, halb besänftigende Handbewegung von Badenhop. Der Pole hatte nur verschüchtert genickt.

Die Polizei war schon wenige Minuten nach der Entdeckung der Leiche vor Ort gewesen, weil Lechs Chef einfach einen Kumpel aus dem Dorf angerufen hatte. Der Streifenpolizist war zwar nicht im Dienst, rannte aber sofort los, stand fünf Minuten später keuchend am Zelt und rief unmittelbar die Landauer und die Neustadter Dienststellen an.

Sie hatten sich wirklich beeilt. Kaum eine Viertelstunde später kam ein Polizeiauto aus Landau mit Blaulicht den Feldweg hochgerast, ohne allerdings verhindern zu können, dass bereits Helfer unterwegs waren, die zu ihren Zelten gingen, um das Fest vorzubereiten. Weitere zwanzig Minuten später trafen Badenhop und sein Assistent Kevin Gross aus Neustadt ein. Badenhop bestellte nach einem Blick auf den Toten die Spurensicherung. Dem Mann waren offensichtlich mehrere Wunden am Körper zugefügt worden, aus denen Blut ausgetreten war. Die Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, den Weg, die Weinberge und den Platz um das Zelt mit dem Toten so großräumig wie möglich abzusperren. Ein Beamter wurde unten im Tal an der Abzweigung platziert, um die Ankommenden vom Zelt auf halber Höhe des Taschbergs, wo der Tote gefunden wurde, aufzuhalten und auf den hinteren, an steilen Stellen schwerer befahrbaren Weg umzuleiten, was ständige Erklärungen erforderte. Bei vielen hatte sich bereits herumgesprochen, was der schockierte Lech Gomulka ins Telefon geschrien hatte.

Nun war es kurz nach neun. Badenhop erwog, das ganze Fest abzusagen. Doch einige Gespräche mit den ankommenden Winzern überzeugten ihn, dass dies kaum gelingen würde. »Das ist ja furchtbar«, meinte der herbeigeeilte Gutsbesitzer Karl-Heinz Wehrheim und sank regelrecht in sich zusammen, als er am Zelt ankam und von den Beamten ins Bild gesetzt wurde. »Da kann man keinesfalls einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir müssten eigentlich das Fest absagen.« Er schien nachzudenken und fuhr fort: »Nur … wir können hier zwar alles abbauen. Aber was machen wir mit den Tausenden von Leuten, die von überallher kommen und kreuz und quer durchs Gelände nach oben laufen? Wir können die gar nicht alle unten abfangen.«

Badenhops Überlegungen richteten sich vor allem auf die Frage, wie weiträumig man das Gelände absuchen musste und wie es bewerkstelligt werden könnte, dass möglichst wenige Spuren durch Veranstalter und Besucher zerstört wurden.

Kevin Gross, der es wie durch ein Wunder geschafft hatte, trotz aller Eile mit weißem Hemd und Krawatte zu erscheinen, räsonierte auf seine etwas altkluge Art: »Optimal wäre gewesen, wenn alles weitgehend unberührt geblieben wäre. Aber als die Landauer Kollegen ankamen, waren bereits Helfer auf dem Gelände. Würde man sie nun abbauen lassen, würden dadurch weitere mögliche Spuren zerstört. Andererseits: Wenn wir die Zelte stehen lassen, sieht man sie von Weitem, und die Besucher, die ab elf Uhr eintreffen, werden sich kaum abhalten lassen, von allen Seiten auf das Gelände zu laufen. Ich kenne das. Ich war letztes Jahr hier. Es ist eine Art Völkerwanderung. Nur von hinten aus dem Wald kommen sie nicht. Wir müssten das Fest absagen und das ganze Dorf absperren.«

Gross, Pfälzer durch und durch, sah Badenhop mit traurigem Blick an. Badenhop war nicht ganz sicher, ob dieser Blick dem schrecklichen Schwerverbrechen, dem stressigen organisatorischen Aufwand oder der Tatsache galt, dass womöglich ein schönes Weinfest nicht stattfinden konnte.

»Die Absperrung ist mit unseren paar Leuten kaum zu machen, wenn hier Tausende von Besuchern ankommen. Wir müssen zusehen, dass wir mit der Spurensicherung so weit wie möglich fertig sind, bis der Besucherandrang beginnt. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig«, sagte Badenhop. »Im Augenblick sollten die Beamten die ankommenden Personen bitten, nichts anzufassen und alles Ungewöhnliche sofort zu melden.«

Einen Hügel weiter genoss Nadine Ochs den freien Sonntagmorgen und blieb noch lange liegen. Gerald war schon aufgestanden und hatte das Haus verlassen, um mit Nell eine Runde zu drehen. Gut, dass der nicht reden konnte. Er war schon beim ersten Mal vor drei Tagen dabei gewesen und nur nervös geworden, als Josef sie nach kaum fünf Minuten zu sich hingezogen und geküsst hatte. Sie hatte sich nicht gewehrt, traute sich aber doch nicht recht weiter und verließ ihn gleich danach, weil sie angeblich nach Hause musste. Doch dann hatte er sie noch mal geküsst und gesagt, er müsse sie unbedingt bald wiedersehen. Sie hatten sich für gestern Abend verabredet, wieder an der Hütte. Zuzusagen war ihr schon deshalb nicht schwergefallen, weil sie sich ja noch überlegen konnte, ob sie hingehen würde.

Natürlich war sie hingegangen. Und sie hatte gar keine Lust gehabt, sich vorher klarzumachen, was wohl unweigerlich passieren würde.

Die recht verzweifelte junge Frau war regelrecht aus der kleinen Pension geflüchtet und einfach losgefahren, ein großes Stück die Weinstraße entlang, vorbei an Neustadt, vorbei an Bad Dürkheim. Für die baulichen und landschaftlichen Reize der Strecke hatte sie an diesem schönen Frühsommertag kaum einen Blick übrig, obwohl sie statt der Autobahn die Straße durch die Dörfer gewählt hatte. Sie musste ja nicht schnell wegfahren. Er konnte sie schließlich nicht suchen.

Nun hatte sie angehalten, lief ein Stück durch die Weinberge und dachte nach. Sie musste allein gar nichts wesentlich anders machen, als sie es sich gemeinsam ausgedacht hatten. Etwa zwei Dutzend Adressen und Telefonnummern hatten sie sich herausgeschrieben. Zu einigen gab es sogar persönliche Verbindungen, wenn auch über ein paar Ecken. Sie sollte einfach die Leute abtelefonieren und sehen, wo sie einsteigen könnte. Ihre rudimentären Deutschkenntnisse würden ihr dabei nützen. Ansonsten war sie ein Profi. Da hatte sie gar keine Bedenken. Hauptsache, es ging voran und sie konnte die ganze Scheiße mit diesem Idioten vergessen. Sie setzte sich auf eine Bank und begann zu telefonieren.

Wer unmittelbar mit dem Leichenfund zu tun hatte, war geschockt. Lech Gomulka etwa, auch sein Chef, der sofort nach dem Anruf hochgelaufen war, oder die Helfer, die gleichzeitig mit dem Birkweiler Polizisten ankamen. Dennoch hatte man sich bald etwas beruhigt, weil es sich bei dem Opfer offensichtlich um einen Fremden handelte. Niemand schien den Toten zu kennen. Mehr noch: Es fand sich auch niemand, der ihn schon einmal gesehen hatte.

Gegen elf Uhr, zum offiziellen Festbeginn, als die Spurensicherung zusammen mit der Leiche abgereist war, ein provisorisches verschlossenes Zelt um den Fundort hinterlassen hatte und nach und nach immer mehr Menschen den Taschberg und den Kastanienbusch belebten, schien es fast, als sei überhaupt nichts passiert. Das Fest nahm seinen üblichen Lauf. Es war allerdings um eine Geschichte interessanter, die sich wie ein Lauffeuer verbreitete, zu gesteigertem Besucherandrang an dem »Leichen-Zelt« führte und natürlich zu einem der Hauptthemen der Unterhaltungen wurde – neben dem Wein, dem schönen Wetter und dem üblichen Tratsch und Geplapper, mit dem man den sonnigen Tag verbrachte.

Sogar Jan Badenhop und Kevin Gross profitierten vom Angebot an Speisen, bevor sie sich gegen elf Uhr dreißig auf den Weg nach Neustadt begaben. Kevin Gross machte sich zuerst über eine Pfifferlingstarte her und schob mit der Bemerkung, er habe in der Eile am Morgen »praktisch nichts« gefrühstückt, noch ein gebratenes Schwertfischfilet nach.

Badenhop zeigte mit dem Finger auf die Krawatte und stichelte grinsend: »Sie mussten sich ja auch noch in Schale werfen«, und bestellte eine Apfelsaftschorle zu seinen geschmorten Rinderbacken mit Dornfeldersauce.

»War schon gelaufen heute Morgen und hatte gerade geduscht, als der Anruf kam«, nuschelte Gross mit halb vollem Mund.

»Respekt«, gab Badenhop zurück. »Wer Medaillen gewinnen will, muss auch sonntags morgens trainieren.« Zu dieser Gruppe von Menschen gehörte er, Badenhop, sicher nicht, obwohl ihm ein wenig körperliche Ertüchtigung gut bekäme.

Im Moment musste Badenhop sein Bandscheibenproblem auskurieren. Die Bewegungsübungen dazu waren anderer Art als die Dauerläufe seines Assistenten. Immerhin hatte die leidige Angelegenheit eine positive Seite: die tüchtige Physiotherapeutin Katrin Mellen.

Der nächste Bissen führte seine Gedanken zurück zum Birkweiler Weinfrühling. Herrlich zarte Rinderbacken, stellte er fest. Die Leute kochen hier mitten im Weinberg richtig gute Sachen, wunderte sich der Hamburger. Seine Frau, dem pfälzischen Wesen – bisher? – wenig zugewandt, hatte nach einem Besuch des Weinlesefests in Neustadt keinen Drang mehr verspürt, Weinfeste zu besuchen. Das war im vergangenen Herbst gewesen, kurz nach ihrem Umzug in die Pfalz. Die dröhnende Gemütlichkeit, die riesigen Schoppengläser, aus denen man gemeinsam Wein trank, die ungemütlichen Bänke, das Gekreische der Frauen bei jedem albernen Witz – nein, das war Ingrid Badenhops Sache nicht. Dieses Fest hier, mit guten Weinen und gutem Essen und herrlichem Ausblick, hätte ihr gewiss besser gefallen, dachte Badenhop, als er seinen Teller mit einem Stückchen köstlich frischem, dunklem Bauernbrot auswischte.

Aber sie waren ja beruflich hier, und Ingrid hatte nur kurz den Kopf aus dem Kissen gehoben, um nach dem Wecker zu blinzeln, als er ging.

Viel hatten sie bis jetzt nicht erfahren, außer dass der Tote an einem von mehreren Messerstichen gestorben war, die ihm, wie Schleifspuren zeigten, unweit des Fundortes zugefügt worden waren. Der Mörder war das Risiko eingegangen, im Zelt gehört zu werden, um den Toten etwa zwanzig Meter den Weg entlang zu schleppen und weniger sichtbar neben dem Zelt abzulegen. Eine Kurzschlusshandlung? Oder hatte er sich dabei etwas gedacht?

Die Identität des Toten war nicht feststellbar. Außer vier Euro dreiundsiebzig in Münzen, ein paar Kondomen und einer fast leeren Tüte Fisherman’s Friend hatte er nichts in den Taschen. Kein Handy, keinen Geldbeutel, keine Papiere.

Lief jemand so in der Nacht durch die Weinberge? Handelte es sich um einen Raubmord? Dann kämen alle als Täter in Frage, die sich in der Nacht hier aufgehalten hatten.

In jedem der sechs Wein- und Essensstände hatte mindestens ein Aufpasser übernachtet. Niemand hatte etwas Verdächtiges gehört, und niemand gab an, den Ermordeten oder einen weiteren Fremden – den möglichen Mörder – irgendwann gesehen zu haben. An einigen Ständen hatte man nach dem Aufbau noch bis etwa Mitternacht ein wenig gefeiert. Nach den Befragungen der Beamten hatte sich angeblich ab ein Uhr niemand mehr außerhalb der Zelte auf dem Gelände aufgehalten. Der Pathologe, der sich nicht festlegen wollte, schätzte die Todeszeit auf zwischen zwölf und zwei Uhr nachts. Genaueres würde die Autopsie ergeben. Der Mörder und der Ermordete mussten sich also hier getroffen haben. Der Gedanke lag nahe, dass die Bluttat etwas mit dem Fest zu tun hatte. Aber was?

Es gab natürlich noch die Möglichkeit, dass der bereits Tote durch einen Dritten ausgeraubt wurde. Dazu hätte man den Ermordeten allerdings sehen müssen, was angesichts seiner Lage hinter dem Zelt durch Zufall kaum möglich war. Der Einzige, der ernsthaft dafür in Frage kam, war Lech Gomulka. Und der beteuerte vehement, er habe den Toten nicht angefasst.

Kevin Gross, der sich dezent bei dem Winzer erkundigte, für den Gomulka arbeitete, erhielt folgende Antwort: »Jaja, ich kenne die meisten Witze über die Polen und das Klauen. Aber der Lech kommt seit acht Jahren zu uns. Es sind zu bestimmten Zeiten bis zu fünf Polen hier. Es ist noch nie etwas weggekommen. Garantieren kann man natürlich für niemanden in so einer Situation, in der vielleicht ein Toter viel Geld bei sich hat. Aber was sollte der Lech mit einem Handy oder mit Papieren?«

Auch die Spurensicherung hatte wenig erbracht. Auf dem Gelände gab es eine Unzahl von Spuren der Helfer, die am Tag vorher beim Aufbau gearbeitet hatten. Was von ihnen oder von Opfer und Mörder stammen konnte, war nicht festzustellen. Nicht unwahrscheinlich war, dass ein Beteiligter den Mord begangen hatte.

»Warten wir auf den Bericht des Pathologen«, sagte Badenhop auf dem Weg nach Neustadt. »Der wird wohl Feiertagsschicht machen müssen. Wir können nur hoffen, dass wir die Identität des Mannes schnell feststellen können. Das Foto muss so schnell wie möglich in die Zeitung. Leider erscheint wegen Pfingsten erst am Dienstag die nächste. Vielleicht haben wir den Mann ja auch in der Datenbank. Dann finden wir ihn über seine Fingerabdrücke.«

DREI

Aus dem Skizzenbuch von Georg N. Miltz:

Fakten zum Kastanienbusch

Einzige Pfälzer Weinlage mit Formationen aus dem »Rotliegenden« (ältester Teil des Perm, vor 280 Mio. Jahren). Eisenanteil der Gesteine oxidiert zu rotem Hämatit; Rotliegend-Gesteine deshalb meist rot (wie Roter Hang bei Nierstein und Ürziger Würzgarten); »Rotschiefer« wg. Färbung und bei Verwitterung in feine Plättchen splitterndes Gestein; geologisch uneinheitlich. Heutige Lage uneinheitlich, da 1971 stark vergrößert; auch verschiedene Hangausrichtung; d.h. höchst verschiedene Ausgangspositionen von hinten gelegener, relativ kühler »Schleihecke« (Buntsandstein) über berühmten Kessel (nur dort kröselig verwitterter, im Untergrund fester Rotschiefer; früher nur hier »Kastanienbusch«) bis nach Osten zum Daschberg-Hügel mit westlich/südlich/östlich ausgerichteten Hanglagen; dort Vielzahl unterschiedlicher Böden, vor allem lehmiger Buntsandstein oben, kalkiger und tonhaltiger Lehm unten. Erstaunliche Ansammlung ausgezeichneter Weingüter in einem einzigen Dorf; einige Rieslinge und Spätburgunder von hier bei den besten Deutschlands, Ökonomierat Rebholz und Dr. Wehrheim weltweit respektiert; auch Gies-Düppel, Siener oder Kleinmann über Pfalz hinaus bekannt.

Berühmter Besuch vor wenigen Jahren: Ferran Centelles und David Seijas, die Sommeliers des damals noch existierenden weltberühmten Restaurants »El Bulli« an der katalanischen Küste; extra angereist, um Kastanienbusch vor Ort zu sehen; also: »Über den Kastanienbusch spricht man sogar in weltberühmten Drei-Sterne-Restaurants.«

Kontrast: mit vielen sehenswerten Fachwerkhäusern geschmücktes Birkweiler; gute Gastronomie und Weingüter; fundamental anders als Ranschbach; alter Konflikt zwischen den Dörfern, Neid auf der einen, Überheblichkeit auf der anderen Seite?

»Jetzt legen sie dir die Toten schon auf das Festgelände, damit du endlich mal auf ein richtiges Pfälzer Weinfest gehst«, wurde Badenhop am Dienstag von seinem Kollegen Bernd Hochdörffer begrüßt. Der Leiter der Abteilung Raub und Diebstahl konnte es nicht lassen, seinen für Kapitalverbrechen zuständigen Kollegen zu necken, weil der erst vor wenigen Monaten zugereiste Hamburger dem pfälzischen Wesen und dem üblichen Zeitvertreib an der Weinstraße noch etwas fremd begegnete.

»Zu diesem Weinfest wäre ich auch ohne Toten freiwillig gegangen«, gab Badenhop zurück. »Ich habe gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Draußen, mitten in den Weinbergen. Eine gute Idee. Die Landschaft, die Aussicht, das Wetter, das Essen. Alles war wunderbar, wahrscheinlich auch der Wein. Nur der Tote hat gestört, sonst hätte es sogar Ingrid gefallen – wenn auch nicht gerade morgens um acht.«

»Sag ich doch: Wem es hier nicht gefällt, der kennt die Pfalz einfach noch nicht genug«, schloss der überzeugte Pfälzer das Begrüßungsgeplänkel.

»Da könntest du recht haben«, gab Badenhop zu. »Aber wir sind sogar gestern noch mal hingegangen. Die ganze Familie. Es war ein echter Erfolg. Meine Mutter hat allerdings gekeucht, als sie ganz oben ankam. Sie wollte dann einen Sekt, angeblich, um wieder zu Kräften zu kommen. Sie sagte, der sei ausgesprochen gut gewesen. Wehrheim hieß der Winzer.«

Badenhop hatte auch aus beruflichen Gründen noch einmal den Ort der Tat besuchen wollen, hatte die Ohren gespitzt und musste sich mancherlei ungereimte Spekulationen über den Tathergang und die Hintergründe anhören, weil immer wieder der Mord ein Gesprächsthema unter den Festbesuchern war. Aber zu neuen Erkenntnissen war er nicht gekommen.

Dafür hatten er, seine Frau, seine Mutter und die beiden Jungs einen durchaus angenehmen gemeinsamen Pfingstmontag verbracht, der sie schließlich noch in eine weitere Weinstube geführt hatte, denn als sie gerade wieder am Auto ankamen, fanden beide Söhne, es sei Zeit zum Essen. Natürlich hatte die Seniorin der Familie gleich eine gute Adresse parat: die Weinstube Brand in Frankweiler.

»Schade, dass ich keinen Hunger habe«, hatte sogar Ingrid Badenhop gesagt, als sie Hendriks Rehfilet auf Petersilienwurzeln begutachtete und einen fast traurigen Blick auf Jens’ Zanderfilet mit Rote-Bete-Gnocchi warf. »Sehr sympathisches Konzept. Sieht mit diesen einfachen Holztischen ohne Tischdecke wie eine Weinstube aus, aber gekocht wird fast wie im Sternelokal. Hier müssen wir unbedingt mal hin, wenn wir Hunger haben«, hatte sie lächelnd zu Badenhop gesagt.

Die alte Dame hatte zufrieden in die Runde geblickt. »Ja, der Junge in der Küche hat in einem Drei-Sterne-Restaurant gearbeitet, bei Wissler in Bergisch Gladbach.«

Badenhop führte seine Gedanken wieder in die Nähe des aktuellen Falles und sah Hochdörffer an. »Dieses Birkweiler ist ja auch ein ganz zauberhaftes Dorf.«

»Ja, und der Kastanienbusch ist die einzige einigermaßen bemerkenswerte Lage, die die da unten in der Südpfalz haben.«

»Sehen das die Leute in der Gegend dort auch so?«

»Natürlich nicht.« Hochdörffer, der in Gimmeldingen wohnte, hob die Arme und fuhr etwas gönnerhaft fort: »Na ja, dort hat sich ja auch wirklich viel getan. Ich meine jetzt beim Wein.« Dann schien ihn das Thema und die Gegend »da unten« nicht mehr zu interessieren. »Und was wisst ihr inzwischen über den Tathergang?«

»Wenig. In der Nacht erstochen. Identität unbekannt. Keine Papiere. Niemand hat ihn vorher gesehen. Wir warten auf den Autopsiebericht und auf Reaktionen nach der Veröffentlichung des Fotos.«

Hochdörffer nickte. »Die Autopsie müsste ja bald fertig sein. Hast du eine Theorie?«

»Ehrlich gesagt, nein. Dass der Pole, der ihn gefunden hat, etwas damit zu tun hat, würde ich fast ausschließen. Mich verblüfft, dass ihn niemand kennt. Selbst wenn er aus einem Nachbardorf stammen würde, hätte ihn vermutlich jemand zumindest schon einmal gesehen. Warum war er gerade in dieser Nacht dort? Ein verfrühter Besucher, der erstochen und ausgeraubt wurde? Ein potenzieller Dieb, der erwischt und getötet wurde? Hat er dort jemand von den Helfern getroffen und sich mit ihm gestritten? Im Moment gibt es viele Möglichkeiten. Mir wäre schon recht, wenn ich wüsste, wer er ist.«

»Ich meine, das war doch eine gute Idee, ein paar Tage an die Feiertage anzuhängen und herzufahren, oder?« Hansjörg Rebholz war der vorerst letzte Vertreter von mehreren Generationen angesehener Weingutsbesitzer in Siebeldingen. Er saß auf der Terrasse vor dem herrlich gelegenen Ferienhaus, von der man den Eindruck hatte, das große Schwimmbecken würde direkt am Abgrund, hoch über der Küste der Provence, enden, die von oben so klein und friedlich aussah, dass man den Trubel und Verkehr unten leicht vergessen konnte. Zufrieden sah Rebholz in die Runde seiner Lieben und auf den reich gedeckten Frühstückstisch.

»Ja, die Stückchen waren die ganze Reise wert«, sagte Hans, einer der Zwillinge, und schob sich ein Stück Erdbeertörtchen in den Mund. Er war noch vor dem Frühstück nach unten ins Dorf gefahren, um frisches Weißbrot und ein Sortiment feinster Patisserie aus der exzellenten Konditorei zu besorgen, die sie schon bei ihrem letzten Urlaub hier entdeckt hatten. Eine Art Ritual während dieser wenigen kostbaren Tage. »Gutes Wetter hätten wir ja auch zu Hause, wie man hört. Aber die Stückchen! Da müsste man schon zu Rebert nach Weissenburg fahren. Bisschen weit fürs Frühstück.«

»Neuerdings gibt es auch bei Pares in Landau Rebertstückchen. Wenn wir mal Zeit für ein gemeinsames Frühstück haben …«, schmunzelte Birgit Rebholz mit Blick auf ihre schwelgenden Söhne.

»Um gemütlich beisammenzusitzen, müssen wir ja schon in die Provence fahren, weil zu Hause nie Zeit dafür ist«, maulte Töchterchen Helene.

»Apropos zu Hause«, sagte der Vater, stand vom Tisch auf, schnappte sein Handy und machte sich auf den Weg in die Ecke des Anwesens, wo es eine halbwegs brauchbare Verbindung gab. »Ich muss noch mit Rainer reden, was dieser Tage zu tun ist.«

Die muntere Unterhaltung der Restfamilie über die Qualität der verschiedenen Stückchen, und wem wohl welcher Anteil zustünde, ging währenddessen weiter. Keiner der Urlauber sah, wie sich das Gesicht des Winzers verdüsterte, während er sprach.

Wenn es etwas gab, bei dem sich Martha Stein nur sehr ungern stören ließ, dann war es das Zeitunglesen am Morgen. Sie hatte sich diese allmorgendliche Tätigkeit angewöhnt, weil es ihr dann leichter gefallen war, den vorwiegend politischen Kommentaren zu folgen, die ihr verstorbener Mann, seinerzeit immerhin Mitglied des Siebeldinger Gemeinderates, bei seiner Lektüre von sich gegeben hatte. Nachdem der Mitarbeiter einer Sportartikelfirma in Rente gegangen war, hatten die beiden endlich den geplanten Anbau fertiggestellt und durch Integration der ehemaligen Kinderzimmer drei Gästezimmer und einen kleinen Frühstücksraum gewonnen. Von Beginn an lief das Geschäft im Frühling, Sommer und Herbst gut. Das hatten sie vorher gewusst und geplant, bei längeren Aufenthalten im Süden die Sonne zu genießen, soweit »die Politik es zuließ«. Leider war Herbert dann schon im zweiten Sommer danach gestorben. Die resolute, hochgewachsene und schlanke Dame war nun eine Art Unternehmerin und fühlte sich auch so.

Das Zeitunglesen behielt sie bei. Die Anfrage der Partei, ob sie nun nicht anstelle ihres Mannes die Lokalpolitik beleben wolle, hatte sie jedoch abgelehnt, obwohl sie sich geehrt fühlte.

Glücklicherweise schliefen die meisten ihrer Gäste so lang, dass sie ohne Eile Seite für Seite der »Rheinpfalz« durcharbeiten konnte, bevor sie für die Urlauber das Frühstück vorbereiten musste. Nur im seltenen Fall, dass Montagearbeiter bei ihr logierten, kam das Frühstück der Gäste vor der Zeitung. Im Moment gab es nur Urlaubsgäste.

Heute, am Dienstag nach Pfingsten, lag wieder dieser ausführliche Sportteil in der Zeitung, den sie natürlich überblättern würde. Besonders, weil auf der ersten Seite schon eine kurze Meldung stand, die auf den Lokalteil verwies: Mord beim Weinfrühling. Im Nachbardorf sollte ein Mord passiert sein? Schon wieder ein Verbrechen ganz in der Nähe, nach dem schrecklichen Raubüberfall damals in Ranschbach? Das musste sie gleich lesen.

Rasch blätterte sie weiter zur Lokalseite, auf der ein größerer Artikel stand. Unbekannter Mann liegt erstochen im Kastanienbusch, stand darüber. Wer den Toten kenne oder ihn irgendwo gesehen habe, solle sich bei der Polizei melden.

Daneben war ein Foto abgebildet. Der Mann kam ihr irgendwie bekannt vor. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Sie begann zu zittern. Um Gottes willen! Das war doch der ausländische junge Mann, der mit seiner Frau oder Freundin bei ihr gewohnt hatte! Sie musste sofort die Polizei anrufen.

Halt! Erst noch zu Ende lesen! Hastig las sie den Artikel weiter.

Der polnische Saisonarbeiter Lech Gomulka wird diesen Morgen wohl nie vergessen. Als er am Sonntagmorgen um acht Uhr das Zelt verließ, in dem er Nachtwache gehalten hatte, fand er daneben einen erstochenen Toten. Gomulka selbst, der sofort dafür sorgte, dass die Polizei alarmiert wird, wird nicht verdächtigt. Nach Angaben des diensthabenden Kommissars Jan Badenhop wurde der Mann während der Nacht von Samstag auf Sonntag in der Nähe des Zeltes erstochen. Der Tote habe keine Papiere bei sich gehabt. Keiner der befragten Helfer des Festes habe ihn gekannt oder auch nur vorher gesehen. Die Polizei bittet die Bevölkerung um Hinweise, die zur Feststellung der Identität des Toten führen können.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag erstochen? Moment, das war ja gar nicht möglich. Die beiden jungen Ausländer waren doch Sonntagmorgen – wann war das noch mal, so gegen halb neun – abgereist. Was hatte die junge Frau gesagt, die etwas Deutsch konnte und die deshalb alles mit ihr geregelt hatte? »Ich möchte bezahlen, weil wir gleich fahren. Frühstück brauchen wir nicht.« Das passte gar nicht zusammen. Man kann ja nicht um halb neun abfahren und um acht tot im Kastanienbusch liegen.

Der älteren Dame fiel ein Stein vom Herzen. Sie sah das Foto noch einmal an. Sicher, er sah dem Mann schon ähnlich, den sie eigentlich nur zweimal gesehen hatte, aber so ähnlich auch wieder nicht, dass er es unbedingt sein musste. Nun ja, sie hatten einen Toten fotografiert und ein bisschen zurechtgemacht. Und er konnte es ja gar nicht sein. Sie hatte die beiden kurz vor neun abfahren sehen.

Ein Glück! Man musste sich nur mal vorstellen, in was sie da hätte hineingeraten können! Nein, sie wollte sich nicht bei der Polizei lächerlich machen. In den nächsten Tagen würde bestimmt in der Zeitung stehen, wer der Tote war.

Dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. Wenn die nun etwas damit zu tun hatten? Sie wollten doch bis Montag bleiben und sind dann sonntags ganz plötzlich abgereist! Ach Unsinn, auf welche Gedanken sie auch immer kam … Nur weil jemand seine Reiseplanung um einen Tag ändert.

»Wisst ihr, was passiert ist?«, fragte Hansjörg Rebholz nach seinem Telefonat und fuhr nach der rhetorischen Frage ohne Pause fort: »Im Kastanienbusch ist ein Ermordeter gefunden worden.«

»In unserem Kastanienbusch? Wann?«, entfuhr es seiner Frau. Erschrocken hielt sie die Hand vor den Mund.

»Nein«, knurrte Rebholz leicht genervt, »doch nicht in unserem Weinberg. Auf der Vorderseite, am Taschberg. Direkt am Sonntag, morgens vor dem Fest. Ein Pole hat einen toten Mann gefunden. Ich meine, stellt euch das mal vor: Kurz bevor Tausende von Leuten kommen, liegt ein Toter auf dem Gelände. Rainer sagt, heute steht ein großer Artikel in der Zeitung. Aber er hat es schon am Sonntag gewusst. Auf dem ganzen Fest war es natürlich das große Gesprächsthema.«

»Und wer war’s?«, fragte Valentin mit halb vollem Mund.

»Wie, wer war’s? Das weiß man nicht. Sie wissen ja noch nicht einmal, wer der Tote ist.«

»Menschenskind, und das im Kastanienbusch. Das ist bestimmt keine gute Werbung«, befürchtete Birgit Rebholz.

Ihr Mann zuckte mit den Achseln. »Glaub ich nicht. Ich meine, bestimmt hat es nichts mit Wein zu tun. Aber irgendwie wäre es schon gut, wenn sie bald den Mörder finden.«

Sabine Vogel, Abteilungssekretärin im Kommissariat für Schwerverbrechen, übergab Badenhop den Autopsiebericht gegen elf Uhr. Badenhop überflog ihn und rief Kevin Gross zu sich. »Da sind wir nun schon ein wenig schlauer. Der Mann ist gegen null Uhr dreißig gestorben. Er hat insgesamt vier Messerstiche unterschiedlicher Tiefe erhalten, deren Wunden auf dreierlei hindeuten. Erstens können sie problemlos mit einem handelsüblichen Bowie- oder Pfadfindermesser durchgeführt worden sein. Zweitens zeigt der Verlauf der Einstiche, dass der Mörder wohl hinter seinem Opfer stand. Drittens sind die Einstiche unterschiedlich tief und unterschiedlich gefährlich. Einer im Bauch hat sicher stark geblutet und hätte zum Verbluten des Opfers geführt. Zwei weitere wurden durch Brustknochen gebremst. Der vierte traf das Opfer ins Herz und tötete es rasch. Der Pathologe vermutet nach der Art und Weise, wie der Täter zugestochen hat, dass es sich um keinen Profi handelt. Dennoch dürfte alles schnell gegangen sein. Der Mann hat sich wohl nicht mehr gewehrt.«

Gross schnaufte. »Na klar. Ein Profi, der den Mord plant, sucht sich einen anderen Platz aus, nicht gerade auf dem Festgelände, wo Leute rumlaufen könnten, und auch noch in unmittelbarer Nähe eines Zeltes. Das wäre dem zu gefährlich.«

Badenhop überging die altkluge Bemerkung seines Assistenten. »Es sieht jedenfalls so aus, als sei der Mann überfallen worden und nicht mit dem Mörder herumgelaufen. Noch interessanter sind zwei weitere Details. Im Urin des Opfers wurde Muscimol nachgewiesen. Und offensichtlich war unser Unbekannter doch nicht ganz allein unterwegs: Er hatte relativ kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr.«

»Aha, dann müssen wir uns wohl bei den Mädels in der Gegend durchfragen. Aber Muscimol …?« Gross sah Badenhop fragend an.