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Johann Wergers "Pechstein" soll einer der besten deutschen Rieslinge werden. Doch am Tag vor der geplanten Ernte werden die Trauben aus dem Weinberg gestohlen. Monate später liegt Werger tot vor dem Haus seiner Geliebten. Gibt es einen Zusammenhang? Kommissar Badenhop, gerade von Hamburg in die Pfalz versetzt, steht vor einem Rätsel. Nicht zuletzt, weil er definitiv nichts von Wein versteht …
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Seitenzahl: 343
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Der 1951 in Landau geborene freie Weinjournalist, Unternehmensberater und Buchautor studierte Volkswirtschaftslehre und Jura in Frankfurt/Main. Nach dem Abschluss als Diplom-Volkswirt arbeitete er zunächst in der Marktforschung eines Großunternehmens und als Wirtschafts-Fachjournalist. Seit 1983 beschäftigt er sich regelmäßig mit Wein, war unter anderem ab 1986 sechs Jahre lang Chefredakteur der Fachzeitschrift »Weinwirtschaft« und machte sich 1993 als Journalist und Unternehmensberater selbstständig. Er lebt seit zwanzig Jahren wieder in Landau, ist verheiratet und hat drei Kinder.www.juergen-mathaess.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.
© 2012 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: photocase.de/lama-photography Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-141-1 Pfalz Krimi Originalausgabe
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EINS
Johann Werger fuhr seinen Defender bis dicht an den Traubenwagen, stieg aus und warf einen Blick in die sauber gestapelten Kisten.
»Verdammte Scheiße, Patrick«, brüllte er in den Weinberg.
Der junge Weinbauingenieur sprach gerade mit einer schwarzhaarigen, leicht korpulenten Helferin in merkwürdig bunten Kleidern. Er drehte sich um und fragte eher genervt: »Ist was passiert?«
Die keineswegs allzu entsetzte Reaktion brachte Werger erst recht auf die Palme.
»Was soll das? Kannst du denen nicht erklären, dass es mein Geld kostet, wenn diese Trottel die besten Trauben in den einfachen Wein schneiden?«
Patrick meinte achselzuckend, zwei neue Erntehelfer hätten anfangs zu viele Trauben abgeschnitten. Sie sprächen kaum Deutsch und hätten ihn anscheinend nicht ganz verstanden, als er ihnen erklärte, wie die heutige Vorlese ablaufen sollte: gesunde Trauben hängen lassen, Trauben mit Fäulnis ernten.
»Die machen das zum ersten Mal. Wahrscheinlich wollten sie es besonders gut machen und haben mehr weggenommen als nötig.«
Dann ließ er Werger stehen und kümmerte sich um den beladenen Erntewagen. Er kannte die rasch aufflammenden Wutausbrüche seines Chefs und nahm sie nicht sonderlich ernst. Der Alte würde sich genauso rasch wieder beruhigen. Was sie heute noch hängen ließen, versprach schließlich, ein sensationeller Wein zu werden.
Sein Chef pfefferte die Traube, die er gerade begutachtet hatte, zornig zurück in den Erntewagen. Werger meckerte noch ein paar Sekunden vor sich hin und zerrte ungeduldig am Reißverschluss seiner Jacke, bis sie sich endlich öffnen ließ und die warme Herbstsonne seinen Bauch wärmte. Sie hatte noch erstaunliche Kraft. Zweiundzwanzig Grad Mitte Oktober – optimal. Die dunkelgrünen Blätter würden noch eine Weile Sonne in Traubenreife verwandeln.
Wenn er ehrlich war, sah alles sehr gut aus. Sein Ärger verflog. Werger grinste vor sich hin. Er hatte sich damit abgefunden, dass er immer wieder fast aus dem Nichts in die Luft ging. Da er sein ungestümes Gemüt kannte, fiel es ihm nicht besonders schwer, sich dafür zu entschuldigen, wenn er seine Umgebung brüskiert hatte. Er stellte sogar fest, dass das manchmal seine Verhandlungsposition verbesserte, bei Geschäften ebenso wie im eigenen Betrieb.
»Man kann den guten und den bösen Cop in einer Person spielen«, hatte er einmal seiner Frau erklärt.
»So kann man seine Charakterschwächen auch interpretieren«, hatte sie kopfschüttelnd geantwortet und ihm einen sanften Klaps auf den Hinterkopf gegeben. »Und ›spielen‹ ist bei dir ja wohl der falsche Ausdruck.«
Sicher, seine erste Aufregung war echt. Er musste sich rechtzeitig wieder unter Kontrolle bringen. Daran arbeitete er mit seinen achtundvierzig Jahren immer noch.
Hoffentlich blieben die Blätter grün. Sollten die Touristen mit ihren Herbstträumereien ruhig noch zwei Wochen auf bunte Blätter warten. Werger hatte nicht viel übrig für diese Wochenendurlauber. Sie fielen jeden Herbst scharenweise in die Pfalz ein, tranken gärenden »Federweißen« aus zylinderförmigen Schoppengläsern – er schüttelte sich bei dem Gedanken – und schwärmten vom herbstbunten Flickenteppich der Weinberge und des Waldes.
Er liebte seine Pfalz, auch den Herbst und die bunten Blätter. Aber mit diesem Geschäft hatte er nichts am Hut. Federweißen sollten die Feierabendwinzer und andere Kollegen anbieten, die ihre Feld-, Wald- und Wiesensorten unten hinter der Bahnlinie stehen hatten.
Denn er war Johann Werger, in fünfter Generation Weingutbesitzer in Forst. Er richtete sich auf und schritt kräftiger aus. Seine Familie besaß ausschließlich Riesling in ausgezeichneten Lagen wie Pechstein, Jesuitengarten, Ungeheuer oder Elster. Solche Perlen würde man nicht als trübe graubraune Kopfwehbrühe verkaufen. Sein Geschäft waren exzellente Weine für Liebhaber und Spitzenrestaurants.
Wergers Wut flammte wieder auf, als er an die ganz besondere Sorte Pfalzliebhaber dachte, die zu Hunderten gleich mit Körben im Kofferraum auftauchten und kiloweise wertvolle Trauben aus den Weinbergen holten, als seien diese eine kostenlose Zugabe der Pfalz an die liebenswerten Touristen. Fragte man sie, ob sie beim Bäcker auch Brötchen klauten, kamen sie mit der dümmlichen Entschuldigung, auf die paar Trauben käme es doch nicht an. Einmal hätte er einen dieser Idioten beinahe vermöbelt.
Keiner dieser unverschämten Banausen wusste zu schätzen, was er hier vor sich sah. Den Trauben, die jetzt noch hingen, fehlten etwa fünf bis sechs Oechsle. Den Vorhersagen zufolge würde es noch eine ganze Woche blauen Himmel und Sonne geben. Das sollte reichen. Er würde einen herausragenden Pechstein ernten, mit diesem leicht mineralisch-rauchigen Duft, den nur die allerbesten Weinberge im Pechstein hatten. Wie seiner, im mittleren Teil der Lage, wo das Flurstück früher »Mühlweg« hieß. Der heute geerntete Wein würde auch nicht schlecht schmecken, aber kein Vergleich zum Pechstein, seinem ganzen Stolz: das große Gewächs aus den Trauben, die man noch ein paar Tage hängen ließ. Es würde vielleicht sein bisher bester Riesling überhaupt werden.
Werger überschlug: Auf den fünfundfünfzig Ar hingen noch rund zweitausendfünfhundert Kilo. Zweitausendfünfhundert Flaschen exzellentes Großes Gewächs! Vielleicht könnte er erstmals in den Bestenlisten der Journalisten ganz vorn in der Pfalz stehen, noch vor Bürklins »Kirchenstück«, Christmanns »Idig« oder diesem Südpfälzer »Kastanienbusch« von Rebholz. Man sollte solche Vergleiche, sinnierte er weiter, fünf Jahre später durchführen. Dann brächte auch der Pechstein seine Tiefe und Aromenvielfalt voll zum Ausdruck, und es würde sich zeigen, wo in der Pfalz wirklich die besten Rieslinge wuchsen. Genau hier nämlich, wo er jetzt stand.
Stolz, als hätte er den Beweis bereits angetreten, streifte er noch ein paar Minuten durch den Weinberg, entfernte hier ein Blatt, da eine grüne Geiztraube und genoss den herrlichen Herbsttag sowie die Aussicht auf einen Pechstein, von dem man in der ganzen Pfalz, ja in ganz Deutschland sprechen würde.
Dann setzte er sich in seinen Defender und fuhr nach Hause. Er musste etwas erledigen, das er grundsätzlich selbst in die Hand nahm. Für den Nachmittag hatte sich ein Journalist aus Japan angemeldet. Das musste vorbereitet werden: die richtigen Probeflaschen, eine Auswahl internationaler Bewertungen seiner besten Weine. Und das mitten im Herbst. Man konnte diese Journalisten nicht einfach abweisen, wenn sie störten. Der japanische Markt war wichtig geworden.
Hoffentlich sprach der Mann wenigstens anständiges Englisch, damit er nicht ständig peinlich nachfragen musste. Aber Strafe musste sein. Werger grinste vor sich hin. Er würde den Kerl nach der obligatorischen Weinverkostung in eine Weinstube einladen und ihm Leberknödel mit Sauerkraut vorsetzen. Mal was anderes als Sushi. Sein Pechstein, dachte er noch, wäre für beides zu schade.
Patrick Zehner war froh, bei Werger arbeiten zu können, auch wenn der kein ganz einfacher Charakter war. Man musste sich an seinen Jähzorn gewöhnen. Im Grunde war er in Ordnung, seine Frau Doris sowieso. Und Werger war nicht nur irgendein Mitglied im angesehenen Verband Deutscher Prädikatsweingüter. Seine trockenen Rieslinge zählten nach Ansicht des Gault Millau ebenso wie nach Meinung seiner VDP-Kollegen zu den besten der Pfalz. Im Keller und im Weinberg wurde nichts dem Zufall überlassen. Der alte Keller war vor wenigen Jahren durch einen technisch hochmodernen Neubau ergänzt worden. Viel Platz, optimale Abläufe, kühlbare Gär- und Lagerräume, eine Batterie blitzender Stahltanks in allen Größen, computergesteuerte Kühlung. Hier konnte man gut arbeiten.
In Forst gefiel es dem gebürtigen Nackenheimer. Mit siebzehn hatte er noch Sozialarbeiter werden wollen. Doch dann nahm ihn sein Vater, ein Genossenschaftswinzer, zu einer Bordeauxprobe mit. Ein 90er Lynch-Bages ließ ihn nicht mehr los. Er wollte mehr darüber wissen, wie Wein schmecken kann. Bald half er sogar freiwillig in den Weinbergen. Schließlich entschied er sich für ein Studium in Geisenheim. Vielleicht, so spukte es in seinem Kopf herum, könnte er sich eines Tages mit den Weinbergen des Vaters selbständig machen. Zuerst aber galt es, einige Jahre Erfahrungen zu sammeln.
Vor einem Jahr hatte er hier seine erste Anstellung gefunden. Die Pfalz, das musste er als Rheinhesse zugeben, hatte schon was. Auch wenn es ihn wurmte, dass die Pfälzer gegenüber den Nachbarn ziemlich überheblich auftraten. Doch die Kombination von Pfälzerwald, der gleich hinter den besten Weinlagen anfing, gepflegten Dörfern, Eß- und Trinkkultur und einer Qualitätsentwicklung im Weinbau, die mit vorbildlicher Zusammenarbeit und Kollegialität zu tun hatte, das alles gefiel Patrick. Auch Forst. Dicht an die Haardt geschmiegt, eines der schönsten Weinstraßendörfer mit alter Bausubstanz, die unübersehbar bewies: Hier wuchsen schon in früheren Jahrhunderten angesehene, gut bezahlte Weine.
Patrick dachte an gemütliche Weinstuben wie »Spindler« oder »Acham-Magin«, aber auch an das nahe Mannheim, wo man manchmal schön versacken konnte. Schließlich der Wald, die Reben, eine Weinlandschaft wie gemalt. Und Mädels? Kein Grund zur Klage, selbst die Zahl der Weinbautechnikerinnen nahm jährlich zu.
Wohlgestimmt näherte er sich dem oberen Pechstein. Die letzten Tage waren optimal gewesen – Sonne, Sonne, Sonne und kühle Nächte. Eine letzte Kontrolle sollte darüber entscheiden, ob man die Trauben heute Nachmittag oder morgen ernten würde.
In der Tasche seines Parkas spürte er die Oechslewaage. Ein paar Beeren musste man auf Zuckergehalt prüfen. Sie sollten bei etwa achtundneunzig Oechsle liegen. Wichtiger war ihm wie jedem guten Winzer der Geschmack. Darauf freute er sich richtig. Was großen Wein geben sollte, war schon am Stock beeindruckend.
Schon auf den letzten Metern sah er die gelbgrünen Beeren mit einzelnen braunen Sonnenfleckchen gleich vorn am ersten Rebstock der Zeile. Trauben wie gemalt. Er probierte zwei oder drei davon. Sie schmeckten wunderbar aromatisch, süß, doch die Säure gab ihnen eine zauberhafte Eleganz. Optimale Reife. Köstlich, aber das war nur die Kür gewesen. Der erste Stock hatte eine exponierte Position zur Sonne und war nicht repräsentativ.
Der junge Weinbauingenieur musste ein paar Proben aus der Mitte des Weinbergs holen. Patrick lächelte. Sie würden garantiert nicht schlechter schmecken.
Was dann passierte, dauerte nicht länger als ein paar Sekunden. Er erlebte den Augenblick langsam wie in Zeitlupe. Zuerst richtete er seinen Blick auf den nächsten Stock und musste seinem Chef erstaunt nachträglich recht geben. Einer der Helfer hatte tatsächlich einen ganzen Stock abgeerntet. Wie blöd! Dabei wurde denen doch wirklich langsam und sorgfältig erklärt, dass es nur ums Ausschneiden ging und die besten Trauben hängen bleiben sollten.
Er drehte seinen Kopf nach rechts. Noch ein leerer Stock! Waren die Rumänen denn bescheuert! Sie wussten doch genau … Im nächsten Moment wurde sein Blick hektisch. Mit großen Schritten rannte er durch den Weinberg, durch die Laubwand auf die nächste Zeile, stierte nach rechts, nach links.
Dann blieb er stehen, wie vom Schlag getroffen. »Das kann doch gar nicht …«
Er beendete den Satz nicht. Im ganzen Weinberg sah er perfekte Stöcke mit grünen Blättern und einer professionell entlaubten Traubenzone. Nur Trauben sah er nicht. Keine einzige. Hatte Werger die Ernte schon gestern angeordnet? Das war unmöglich. Er, Patrick, organisierte den Ernteablauf. Und Werger hatte ihn ja gerade vor einer halben Stunde in den Pechstein geschickt, um die Reife zu prüfen.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Die ersten Stöcke! Sie waren nicht abgeerntet! Jemand hatte ein Interesse daran, dass nicht jeder vorbeilaufende Dörfler auf den ersten Blick sah, was hier geschehen war: Die Trauben waren gestohlen worden. Der beste Pechstein, den es je gab? Das war nun nicht mehr möglich. Patricks Knie wurden weich. Er griff in die Tasche und kramte hektisch nach seinem Handy. Werger würde völlig durchdrehen.
Traubenklau in Forst. Geschätzte zweitausendachthundert Kilo. Es klang, als empörte sich die ganze Pfalz über diese Ungeheuerlichkeit. Jan Badenhop hatte die Information beim Mittagessen aufgeschnappt. Der Neue im Neustadter Kommissariat ging mit seinen Kollegen mittags in eines der Restaurants oder einen der Schnellimbisse um den alten Marktplatz in der Innenstadt. Die ganze Woche schon hatten sie in der Mittagspause draußen in der Sonne gesessen. Im Oktober.
Gestern hatte seine Frau Ingrid vielsagend erklärt: »Wenigstens das Wetter ist hier besser als in Hamburg.« Das gab er jetzt lieber nicht zum Besten. Seine Kollegen waren alle Pfälzer. Selbst er hatte ihr einen missbilligenden Blick zugeworfen. Ihm gefiel es hier.
Badenhops Vater war schon mit achtundfünfzig Jahren einem Krebsleiden erlegen. Seine Mutter hatte ihn während der letzten Monate liebevoll, geradezu aufopfernd gepflegt. Nach seinem Tod brauchte sie geraume Zeit, bis sie wieder bereit war, am gesellschaftlichen Leben mehr als nur pflichtgemäß teilzunehmen. Deshalb überraschte es Badenhop, als sie ihm eines Tages mitteilte, sie wolle sich endlich einen Lebenswunsch erfüllen und Cuzco sowie Machu Picchu besuchen. Noch überraschter war er, als sie ihm bald nach der »wundervollen« Reise mitteilte, sie erhielte Besuch von einem »sehr angenehmen Herrn« aus ihrer Reisegesellschaft.
Auch Badenhop fand den pensionierten Geologen sympathisch, obwohl er sich wunderte, dass die distinguierte Hamburgerin sich mit dem offenherzigen Pfälzer gut verstand. Er wirkte auf den ersten Blick tatsächlich »ein wenig rustikal«, wie Badenhops Frau nach der ersten Begegnung im gediegenen Eppendorfer Café Lindtner anmerkte.
Mehr als eine Bekanntschaft musste es aber doch gewesen sein. Das stellte man spätestens fest, als die aufgeblühte Frau Badenhop immer häufiger in die Pfalz reiste, eines Tages gar ihre Wohnung in Hamburg aufgab und wenig später den lebenslustigen Pfälzer heiratete. Ihre eher augenzwinkernde Begründung lautete: »Er kannte die Inkas und ihre Kultur besser als unser Reiseführer und hat mir so schöne Geschichten erzählt! Ich wusste, mit diesem Mann würde ich mich nie langweilen.«
Das lag nun schon mehr als zehn Jahre zurück. Bereut hatte sie es nie. Badenhop, der ein sehr enges und vertrautes Verhältnis zu seiner Mutter unterhielt, besuchte das Paar hin und wieder.
»Lass dich hierher versetzen. Die Gegend ist wunderschön«, sagte sie ihm eines Tages, als er von unangenehmen Ränkespielen und Grabenkämpfen im Hamburger Kommissariat erzählte.
Badenhop, dem es nie eingefallen wäre, wegen persönlicher Befindlichkeiten Abstriche an korrekter und zielgerichteter Arbeit zu machen, litt sehr unter dieser Situation. Trotzdem hatte er über die Idee seiner Mutter gelacht. Als jedoch sein Stiefvater bei einem Autounfall ums Leben kam und seine Mutter in Depressionen fiel, zugleich die berufliche Situation in Hamburg immer verfahrener schien, während man in Neustadt einen Leiter der neuen Abteilung Kapitalverbrechen suchte, brachte er das Thema in den Familienrat ein.
»Nur, weil ich sehe, dass du dich hier aufreibst«, beschied ihn seine Frau. »Deine Mutter hätte schließlich auch wieder nach Hamburg kommen können.«
»Du weißt, wie sehr sie ihren Garten mittlerweile liebt«, hatte er erwidert.
Ihre beiden halbwüchsigen Söhne Jens und Hendrik meckerten erheblich über die Aussicht, dass »wir da unten in der Provinz wohnen sollen, aus der dieser Kurt Beck mit seinem komischen Nuscheldialekt und diese ätzende Katzenberger kommen«.
Badenhop verbuchte Beck als Pluspunkt für seine Söhne. Die wenigsten Jugendlichen wussten mit Politikernamen etwas anzufangen. Katzenberger kannte er nicht einmal selbst. Er fragte nicht nach.
Seine Frau sagte nur: »Ihr werdet ja wohl mit beiden nichts zu tun haben.«
Die Beschwerden seiner Söhne schienen ihm und seiner Frau vergleichsweise verhalten. Da sie altersgemäß nahezu über alles meckerten, was ihnen zu Hause geboten wurde, nahm man ihre Einwände mit dem angemessenen Ernst zur Kenntnis, hielt sie aber nicht für ausschlaggebend.
So kam es, dass der gebürtige Hamburger hier in der Herbstsonne saß. Er wunderte sich nicht mehr über die vielen Gespräche um Trauben und Wein. Dieses Thema, so viel war sicher, lief ziemlich an ihm vorbei. Weinliebhaber gab es zwar überall. Aber er gehörte ganz sicher nicht dazu. Zum Glück war sein Kollege Hochdörffer mit dem Traubendiebstahl befasst.
Seine Kollegen waren ihm sympathisch – geradeheraus, ein wenig grob und direkt im Ton vielleicht, aber herzlich. Ehrlich vor allem. Das Kommissariat war keine Schlangengrube, wie er es in der Großstadt erlebt hatte. Trotzdem fühlte sich Badenhop nach ein paar Wochen noch nicht richtig angekommen. Er gehörte nicht dazu. Ganz anderer Menschenschlag hier unten. Fast südländisch. Gaben sie ja selbst zu.
Es interessierte ihn nicht wirklich, aber er wollte sich ein wenig am Gespräch beteiligen. Deshalb fragte er in die Runde: »Was zahlt man eigentlich den Winzern für ein Kilo Trauben?«
»Mein Schwiegervater hat seinen Dornfelder bei Anselmann abgeliefert«, erklärte der blonde, etwas pausbackige Kriminalassistent Kevin Gross und nippte an seiner Cola. »Ich glaube, er hat was von ein Euro zehn das Kilo gesagt.«
Badenhop schüttelte den Kopf. Sollte er sagen, was ihm durch den Kopf ging?
»Dann wäre der Schaden des Diebstahls … na, ungefähr dreitausend Euro? Bei solchen Beträgen wird in Hamburg kaum ermittelt.«
Vielleicht hätte er doch besser geschwiegen. Er spürte förmlich, wie sich die Stimmung veränderte. Am Tisch wurde es augenblicklich still. Man sah sich an. Mitleidig oder beleidigt? Halt, hätte er am liebsten gesagt. Ich wollte doch nicht den überheblichen Großstädter raushängen lassen. Im gleichen Moment begannen alle zu lachen, als hätte er einen Witz erzählt.
»Lieber Kollege aus Fischkopfhausen«, dozierte Bernd Hochdörffer, wie er Kommissar, Pfälzer und schon fünfzehn Jahre im Dienst. »Zahlt man bei euch da oben an der windigen und kalten Küste für ein Kilo Goldbarsch auch nicht mehr als für ein Kilo wilden Steinbutt?«
Die ganze Runde lachte erneut.
Ich habe noch gar nicht bemerkt, dass Hochdörffer sich mit Fisch auskennt, war Badenhops erster Gedanke.
»Ach so«, sagte er laut, »die gestohlenen Trauben waren mehr wert als die von Kevins Schwiegervater.«
Noch ein Lacher, eher befreiend diesmal.
»Gut kombiniert, Watson«, schob Hochdörffer nach. »Ein bisschen mehr wert, ja. Aber nicht nur das. Es handelt sich um Riesling aus dem Pechstein, einer der besten Lagen der Pfalz. Es ist der wertvollste Weinberg des Weinguts. Von dort kommt sein Großes Gewächs, sein bester Wein. Den verkauft er nicht nur für zweiunddreißig Euro die Flasche, sondern kommt damit auch ins Gespräch. Wenn er den nicht mehr hat, spielt er ein Jahr lang in der zweiten Liga, obwohl er gar nichts dafür kann. Das ist wohl der Grund dafür, dass er den Dieb am liebsten umbringen möchte. So, wie ich den Kerl erlebt habe, traue ich es ihm beinahe zu.«
Das leuchtete Badenhop ein. Trotzdem beruhigte ihn der Gedanke, dass er nicht für Diebstahl, sondern für Kapitalverbrechen zuständig war. Der Traubenklau samt entsprechender Weinbau-Details ging ihn nichts an.
Der schlanke Norddeutsche mit Einser-Examen der Polizeihochschule war ein scharfsinniger, erfahrener Kommissar. Dass er sich hier irrte, konnte er freilich noch nicht wissen. Heute, an diesem warmen Oktobertag, erwartete er von seinem Berufsleben nichts als Entführungen, Totschlag, Mord und Ähnliches. Wein gehörte nicht dazu.
ZWEI
Kommissar Bernd Hochdörffer war über den Traubenklau gut informiert. Schließlich hatte er sich persönlich auf den Weg nach Forst gemacht, gleich nachdem der Anruf von Doris Werger eingegangen war. Er wollte die Situation selbst einschätzen können. Na ja, er hielt sich immer gern dort auf, wo es gutes Essen und Trinken gab. Doch hier standen professionelle Gründe im Vordergrund. Man konnte sich denken, dass der Fall einigen Wirbel auslösen würde, wenn die Presse davon Wind bekam. Und das war wahrscheinlich. Wo Werger schon den Schaden hatte, würde er vermutlich wenigstens dafür sorgen, dass er überall in der Presse auftauchte.
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