Kein Keks für Kobolde - Cornelia Funke - E-Book
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Kein Keks für Kobolde E-Book

Cornelia Funke

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Beschreibung

Bestsellerautorin Cornelia Funke erzählt eine spannende, originelle Abenteuergeschichte um drei liebenswerte, pfiffige kleine Kobolde, die vom Winter überrascht werden. Für die drei kleinen Kobolde Neunauge, Feuerkopf und Siebenpunkt kommt der Winter früher als erwartet. Wo sollen sie jetzt ihre geliebten Ravioli, Äpfel und Kekse herkriegen? Es bleibt ihnen keine Wahl: Um nicht zu verhungern, müssen sie sich in allerlei Abenteuer stürzen. Als sie sich dann noch mit dem »weißen Kobold« anlegen, wird die Lage richtig brenzlig … Die von Cornelia Funke gemalten Bilder wurden liebevoll nachkoloriert. ›Kein Keks für Kobolde‹ wurde als 26-teilige Animationsserie für das Fernsehen verfilmt und wird unter dem gleichnamigen Titel ausgestrahlt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Cornelia Funke

Kein Keks für Kobolde

Mit Bildern der Autorin

Koloriert von Yvonne Ziegenhals-Mohr

FISCHER E-Books

Inhalt

Erster Teil1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. KapitelZweiter Teil1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel

Erster Teil

1. Kapitel

in dem die Geschichte an einem feuchten, kalten Herbstmorgen ihren Anfang nimmt

Ein feuchter, kalter Wind fuhr in Neunauges Höhle und weckte sie. Der Wind griff mit eisigen Fingern in die Blätter und Federn, unter denen Neunauge sich wohlig zusammengerollt hatte, und ließ sie auseinanderstieben.

Neunauge richtete sich verschlafen auf und gähnte ausgiebig. Dann blinzelte sie mit müden Augen nach draußen.

Ihre Baumhöhle lag hoch oben in einer alten Eiche, und im Winter konnte sie von dort durch die kahlen Bäume weit in den Wald hineinsehen. Aber noch war es nicht Winter. Es war Ende Herbst. Das bunte Laub war braun geworden, und einige Bäume streckten nur noch ihre nackten Äste in den grauen, wolkenschweren Himmel. Bisher waren die Tage und Nächte mild gewesen. Doch heute – heute konnte man zum ersten Mal den nahenden Winter spüren.

Vorsichtig lehnte sich Neunauge etwas hinaus und schnupperte die kalte, frische Morgenluft. Ja, sie konnte den Winter riechen, und sie konnte ihn sehen. Jeder Grashalm, jedes Blatt, jeder Zweig – alles war mit Raureif bedeckt. Zwischen den silbrigen Gräsern und graugrünen Stämmen der Bäume schwappte und schwebte kalter, grauer Nebel.

»Ich hab’s ja gewusst!«, knurrte Neunauge.l

Mürrisch räkelte sie sich, putzte die Nase in einem Blatt und strich mit den Händen über ihr Fell. Sonst schmiegte es sich seidig und glatt an ihren schmalen Körper und schimmerte in dunklem Braun. Aber heute sträubten sich die Haare in alle Richtungen wie bei einer alten Bürste.

»Ich habe es den anderen hundertmal gesagt«, schimpfte sie, während sie sich vorsichtig aus der schmalen Höhlenöffnung schob. Sorgfältig krallte sie Finger und Zehen in die spröde, frostige Rinde des Baumes und begann, flink an dem mächtigen Stamm hinunterzuklettern. Zwei Meter über dem Boden sah sie sich sorgsam in alle Richtungen um, dann glitt sie hastig auch noch das letzte Stück Stamm hinab. Unten angekommen, lief sie auf ein Dickicht von Farnwedeln zu und hockte sich zwischen den hohen Stängeln erst mal ins froststarre Gras. Wieder ließ sie die schwarzen Augen misstrauisch umherwandern. Sie hatte in den letzten Tagen einen Fuchs hier herumschleichen sehen, also war Vorsicht geboten. Angespannt lauschte sie in die morgendliche Stille, aber sie hörte nur den Wind durch das verwelkte Farnkraut streichen.

»Na gut«, murmelte sie, »dann wollen wir doch mal sehen, was die anderen dazu sagen, dass ich recht hatte. Von wegen, der Winter kommt diesmal spät.« Eilig begann sie, sich zwischen den Farnstielen hindurchzuschlängeln. »Sie hätten nur die Vögel beobachten müssen. Oder die Eichhörnchen.« Neunauge kletterte über Baumwurzeln, lief über weiches Moos und um große Maulwurfshaufen herum, zog sich mühsam an umgestürzten Baumstämmen hinauf und kämpfte sich durch knisterndes, gelbes Herbstgras. Sie kannte den Weg in- und auswendig, aber heute kam er ihr besonders lang und anstrengend vor. Das einzige Lebewesen, das ihr begegnete, war ein dickes Kaninchen, das gelangweilt vor seinem Bau saß. »Der Winter kommt!«, rief Neunauge ihm zu, aber es warf ihr nur einen schlechtgelaunten Blick zu und mümmelte weiter an ein paar trockenen Grasspitzen.

Schließlich hatte sie ihr Ziel erreicht.

Der Nebel hatte sich etwas gehoben, aber der Tag war immer noch grau und trübe, feucht und widerlich kalt. Neunauge schmiegte sich an ein schmales Baumstämmchen, kaum dicker als sie selbst, und lugte hinaus auf die große Lichtung, die vor ihr lag. Im Grunde war es nichts als eine schäbige, stoppelige Wiese mit großen, kahlen Flecken, auf denen nicht einmal ein paar Brennnesseln wuchsen. Sie war von dichtem Wald umgeben. Nur an einer Stelle war eine schmale Schneise in das Dickicht der Bäume geschlagen. Dort war ein großes Tor, und dahinter, das wusste Neunauge, fraß sich ein breiter Weg in den Wald. Neben dem Tor stand ein verwittertes Holzhaus. Darin wohnte der Braune mit seinem Hund. Neunauge und ihre Artgenossen nannten ihn den Braunen, weil er braune Haare und braune Haut hatte und immer braune Hemden trug. Vor dem Braunen musste man sich in Acht nehmen, das wussten sie alle. An diesem Morgen stand sein großer, schwarzer Wagen nicht vor seiner Hütte. Das bedeutete, dass er nicht zu Hause war. Beruhigt sah Neunauge sich weiter um. Es standen nur noch drei schmutzig weiße Wohnwagen auf der Lichtung. Manchmal waren es auch mehr. In den guten Zeiten waren es fast immer dreißig gewesen, aber die guten Zeiten waren schon lange vorbei.

»Verdammt!«, fluchte Neunauge und warf einen finsteren Blick auf die Wagen mit ihren Gardinen und Geranien hinter den Fenstern. Sie konnte zählen, so viel sie wollte. Es waren nur drei. Davon konnte sie nicht mal alleine leben, von den anderen Kobolden ganz zu schweigen. An Wintervorrat aber war überhaupt nicht zu denken. Und das machte ihr große Sorgen.

»Na, Neunauge«, sagte eine leise Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr sie herum. Vor ihr stand ein pechschwarzer Kobold mit struppigem, rotem Kopfhaar und giftgrünen Augen.

»Feuerkopf!«, zischte Neunauge ärgerlich. »Wo sind die anderen?«

Feuerkopf zuckte gelangweilt die Achseln. »Also bisher habe ich nur Siebenpunkt gesehen. Der hängt irgendwo da hinten rum. Die anderen hatten bei der Kälte wohl keine Lust, aus ihren Blättern zu kriechen.«

»Ich hab’s euch gesagt!«, fauchte Neunauge ihn an. »Der Winter kommt früh, habe ich gesagt. Die Wagen werden diesmal sehr früh verschwinden. Aber ihr wolltet mir ja nicht glauben.«

»Reg dich nicht auf!«, Feuerkopf kicherte und ließ sich auf einen Stein nieder. »Wir hatten schon oft einen frühen Winter und einen mageren Herbst. Und wir leben trotzdem noch.«

»Aber wir haben noch nie einen mageren Frühling, einen mageren Sommer und einen mageren Herbst gehabt.« Wütend funkelte Neunauge den schwarzen Kobold an. »In diesem Jahr waren insgesamt so viel Wagen da wie sonst manchmal in einem Monat!«

»Ich gebe zu, wir haben da ein kleines Problem«, sagte Feuerkopf und kratzte sich ausgiebig hinter den großen Ohren. »Aber nichts, was sich nicht lösen ließe.«

Einen Moment lang starrte Neunauge ihn wortlos an, ganz sprachlos über so viel Dummheit. Dann drehte sie sich kurzerhand um und marschierte in die Richtung, in der sie Siebenpunkt vermutete.

2. Kapitel

in dem von leeren Bäuchen die Rede ist und Feuerkopf einen unmöglichen Vorschlag macht

Siebenpunkt hockte zwischen ein paar Brennnesseln und war gerade dabei, mit dem Kopf zuerst in eine Mülltüte zu kriechen.

»Hallo, Siebenpunkt!«, begrüßte Neunauge ihn.

Aus der Mülltüte kam ein fürchterlicher Gestank, und sie verzog angeekelt das Gesicht. Siebenpunkt zog den Kopf aus dem Abfall und lächelte sie verlegen an.

»Hallo, Neunauge!«, sagte er.

»Ich brauche dich wohl nicht zu fragen, wie es mit deinem Wintervorrat aussieht, oder?«

»Miserabel!«, stöhnte Siebenpunkt. »Absolut miserabel!«, und verschwand erneut im Müllbeutel. Als er wieder auftauchte, hatte er nichts als ein stinkendes Fell und drei ziemlich alt aussehende Erdnüsse in der Hand.

»Wie willst du denn den Winter überstehen?«, fragte Neunauge.

»Vielleicht kommen ja bald noch ein paar Wagen«, meinte Siebenpunkt und knackte seine Erdnüsse.

»Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Na, dann können wir uns ja vielleicht auch noch was im Wald dazusuchen.«

»Was denn? Die paar Beeren, die die Menschen und die Vögel vergessen haben? Oder weißt du, was wir sonst noch essen könnten, ohne uns zu vergiften? Das haben wir doch alles längst gegessen. Ist doch immer viel bequemer gewesen, sich hier was zu holen.«

Siebenpunkt runzelte sorgenvoll die scheckige Stirn. »Ich werde schon jetzt oft nicht satt!«

»Ich auch nicht«, seufzte Neunauge.

»Der Braune hat bestimmt genug in seiner Hütte!«, sagte Feuerkopf hinter ihnen.

»Was redest du da für einen Blödsinn?« Ärgerlich drehte Neunauge sich zu ihm um. »Wir können froh sein, wenn er uns nicht hier draußen noch erwischt. Was hilft es uns, dass er etwas in seiner Hütte hat?«

»Ich dachte ja nur«, Feuerkopf zuckte die Schultern, »eh’ wir verhungern ...«

»Verhungern?« Siebenpunkt starrte den schwarzen Kobold entsetzt an.

»Na ja ...«

»Ich will nicht verhungern!«, sagte Siebenpunkt und schauderte. »Neunauge, meinst du auch, wir könnten verhungern?«

»Das meine ich schon eine ganze Weile!«, fuhr Neunauge ihn an. »Seit diesem verregneten Sommer habe ich von nichts anderem geredet. Aber ihr wolltet es ja nicht glauben.«

»Wir könnten uns in der Hütte des Braunen Proviant genug besorgen«, sagte Feuerkopf trotzig.

»Du spinnst völlig.« Neunauge warf einen nervösen Blick zu der Holzhütte hinüber. »Der Hunger hat dich wohl schon verrückt gemacht.«

»Der hat Schokolade da drin«, sagte Feuerkopf.

Siebenpunkt ließ seine trockenen Erdnüsse sinken. »Schokolade!«, flüsterte er.

»Ja«, Feuerkopf nickte, »und tütenweise diese gelben und roten und grünen Dinger.«

»Gummibären!«, flüsterte Siebenpunkt andächtig.

Neunauge verdrehte die Augen. »Na toll. Dann lebt mal den Winter über von Schokolade und Gummibären.«

»Er hat auch Käse und Wurst und Eier und Brot und jede Menge Konservendosen.«

»Du bist verrückt, total verrückt!« Neunauge stand auf. »Er hat auch einen Hund da drin, der jeden von euch beiden quer ins Maul nehmen könnte. Ich seh mich jetzt zwischen den letzten Wagen um, bevor die auch noch weg sind.«

»Kannst du vergessen!«, rief Feuerkopf hinter ihr her, aber sie störte sich nicht daran, sondern lief dorthin, wo einer der Wagen ganz dicht am Waldrand stand.

3. Kapitel

in dem Neunauge in eine sehr, sehr brenzlige Lage gerät

Es war ein riesiger, angerosteter Wohnwagen mit geblümten Vorhängen und einem hölzernen Namensschild über der Eingangstür. Er stand so dicht am Waldrand, dass eine große Buche ihre Äste und Zweige schützend über ihn hielt und ihm aus ihren herabgefallenen Blättern eine rostrote Mütze aufs Dach gesetzt hatte.

Mit wieselflinken Schritten flitzte Neunauge hinter dem Buchenstamm hervor und unter den Bauch des Wohnwagens. Der Braune war zwar offenbar nicht zu Hause, aber ein Kobold konnte nicht vorsichtig genug sein. Neunauge sah sich um.

In dem dämmrigen Licht war außer ein paar vereisten Pfützen nichts zu entdecken. Nur ein paar leere Bierdosen lagen herum, eine zerrissene Plastiktüte und jede Menge dreckiger, halbverrotteter Papiertaschentücher. Nichts! Absolut nichts! Nicht mal eine Apfelkröse, an der man noch ein bisschen knabbern könnte. Kein angebissenes Butterbrot oder eine alte Käserinde. Verdammter Mist!

Neunauge huschte hinter eins der großen Räder und lugte vorsichtig hervor. Nur ein paar Meter entfernt lag die Stelle, an der die Menschen manchmal Feuer machten, um Fleisch darüber zu braten. Bei der Erinnerung an die wunderbaren Gerüche, die dann über die Lichtung zogen, lief der hungrigen Neunauge das Wasser im Mund zusammen. Manchmal fanden sich dort noch Kartoffeln oder Fleischreste in der kalten Asche. Da hatte Feuerkopf bestimmt noch nicht nachgesehen. Es war reichlich riskant, denn es gab keinerlei Deckung – nur kahle Erde und niedriges Grün. Aber der Hunger kniff und biss in ihrem Magen, und außerdem hätte sie Feuerkopf zu gern bewiesen, dass sie schlauer und mutiger war als er.

Ihr Blick wanderte hinüber zu den anderen Wagen. Bei dem einen drang Licht unter den zugezogenen Vorhängen hervor. Doch er stand ganz am anderen Ende der Lichtung. Der andere war da schon bedrohlicher, denn er war nur wenige Menschenschritte von dem Feuerplatz entfernt. Aber trotz des düsteren Morgens brannte dort kein Licht – ein gutes Zeichen, fand Neunauge.

Sie warf noch schnell einen Blick zur Holzhütte. Auch die war dunkel. Neunauge biss sich auf die Lippen. Dann sprang sie mit einem geschmeidigen Satz hinter dem dicken Reifen hervor, jagte tief gebückt über die kahle Erde und warf sich keuchend hinter einen der großen Steine, die die Feuerstelle umgaben. In seinem Schutz blieb sie erst mal liegen.

Die Lichtung lag immer noch totenstill im grauen Morgenlicht da, ein bisschen so, als wäre mit dem ersten Frost die Zeit stehengeblieben. Neunauge richtete ihre scharfen Koboldaugen auf den Waldrand. Fast hätte sie laut losgelacht. Zwei erstaunte Augenpaare starrten von dort in ihre Richtung. Na, denen hatte sie was zu sehen gegeben! Ein leises Kichern konnte sie sich nicht verkneifen. Noch nie hatte sich ein Kobold bei Tageslicht an die Feuerstelle getraut.

Wie eine kleine, pelzige Schlange schob sich Neunauge in die Mitte des Steinrings. Asche und Holzkohle bedeckten die kalte Erde. Sie schnüffelte und stöberte umher, aber anscheinend hatte der Hund des Braunen alles Interessante bereits aufgefressen. Es roch so stark nach ihm, dass sich Neunauges Nackenfell sträubte und sie fürchtete, jeden Moment seinen heißen Atem im Nacken zu spüren. Aber immer noch war alles still, mäuschenstill.

Da – plötzlich drang ihr doch noch ein interessanter Geruch in die Nase. Sie schob sich noch ein Stückchen weiter – und wirklich: Da lagen zwei Kartoffeln in der Asche. Ziemlich große sogar. Sollte sie die hier essen? Unmöglich. Viel zu gefährlich. Also mitnehmen. Aber wie?

Neunauge hockte sich auf die Knie und schlug ihre Krallen in eine von den runzligen Dingern, zog sie heran und klemmte sie sich unter den Arm. Ja, das würde gehen!

Unter jedem Arm eine Kartoffel, richtete sie sich vorsichtig auf und lief wieder zu einem der großen Steine. Von Siebenpunkt und Feuerkopf war nichts zu sehen. Na, egal. Die warteten wahrscheinlich schon hinter dem Wohnwagen auf sie. Mit triumphierendem Grinsen schob sie sich aus der Deckung und begab sich, leicht taumelnd unter ihrer schweren Last, auf den Rückweg. Sie sah hinüber zum Haus des Braunen. Nichts. Auch die Wohnwagen standen weiter stumm und verschlafen da. Dann richtete sie den Blick auf ihr Ziel, den schützenden Schatten hinter dem großen Rad. Sie blieb stocksteif stehen. Zuerst wollte sie die Kartoffeln fallen lassen. Aber ihre Krallen wollten die wertvolle Beute einfach nicht freigeben. So stand sie nur wie angewurzelt da, mitten auf der offenen Lichtung. Aus der Dunkelheit unter dem Wohnwagenbauch starrten sie zwei riesige, gelbgrüne Augen an.

Sie hatte die Katze vergessen. Katzen hört man nicht. Aber sie hätte sie riechen müssen!

»Verdammt!«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. Sie wagte sich nicht zu rühren. Sie wusste nur zu gut, im selben Augenblick würde die Katze springen.

Na, mach schon!, dachte Neunauge.

Und die Katze sprang. Ihr getigerter Körper schoss aus dem Schatten hervor, raste wie der Blitz an der fassungslosen Neunauge vorbei und jagte den Stamm einer schlanken Buche hinauf, als wäre der Teufel hinter ihr her. Als sie oben zwischen den rostroten Blättern verschwunden war, hörte Neunauge sie wütend fauchen.

»Schnell!«, hörte sie Feuerkopfs Stimme, und sein roter Schopf erschien für einen Augenblick hinter dem Wohnwagenreifen. »Steh da nicht rum!«, zischte er. »Komm!«

Die Betäubung fiel von Neunauge ab, und so schnell sie konnte, wankte sie mit ihrer wertvollen Last auf den schützenden Wohnwagen zu. Dort nahmen Feuerkopf und Siebenpunkt ihr die Kartoffeln ab, und zu dritt rannten sie, so schnell sie konnten, ein Stück in den Wald hinein.

Sie flüchteten zu Siebenpunkts Behausung, einem großen, schon lange verlassenen Kaninchenbau ganz in der Nähe des Campingplatzes. Der einzige offene Eingang lag gut versteckt unter der kahlen Krone eines umgestürzten Baumes, die von riesigen Brennnesseln und Brombeergestrüpp durchwuchert war.

Keuchend erreichten die drei Kobolde den toten Baum. Hastig zwängten sie sich zwischen den dornigen Brombeerranken und abgestorbenen Ästen zu dem dunklen, kleinen Eingang vor. Siebenpunkt zerrte das Stück Schaumstoff heraus, mit dem er das Loch immer verstopfte, und dann verschwanden die drei in der sicheren Dunkelheit.

»Wartet, ich mache Licht!«, sagte Siebenpunkt.

Erschöpft ließen die anderen beiden sich in die weichen Blätter fallen, mit denen Siebenpunkt sein ganzes Haus gepolstert hatte.

»Licht?«, fragte Feuerkopf. Selbst Tagkobolde wie Neunauge, Siebenpunkt und Feuerkopf können im Dunkeln recht gut sehen.

»Ich finde Licht gemütlich«, sagte Siebenpunkt und fummelte an einer großen Röhre herum. Sie steckte zur Hälfte in einem der vielen Gänge, die aus der Höhle hinausführten.

»Achtung!«, rief er, und eine große, runde Lichtscheibe erleuchtete die Höhle mit mattem Licht.

»Was, zum Teufel, ist das denn?« Neugierig kam Feuerkopf näher und betastete mit seinen Fingern die leuchtende Scheibe.

»Hab’ ich unter einem Wohnwagen gefunden«, meinte Siebenpunkt stolz. »War ganz schön anstrengend, sie hierherzuschleppen!«

»Das ist eine Taschenlampe«, sagte Neunauge und begann, einer der Kartoffeln die runzelige Haut abzureißen. Sie hatte sich von ihrem Schreck schon wieder ziemlich erholt. »Und jetzt erzählt mal, wie ihr das mit der Katze geschafft habt. Ich schätze, ich habe es euch zu verdanken, dass ich nicht fein zerkaut in ihrem Magen sitze.«

»Keine Ursache«, sagte Feuerkopf. »Wir haben dich sowieso nur gerettet, damit die schönen Kartoffeln nicht verlorengehen.«

»Das stimmt überhaupt nicht!« Siebenpunkt schüttelte energisch den struppigen Kopf.

»Er hat recht!« Feuerkopf grinste. »Stimmt nicht. Das mit der Katze war so: Wir waren dabei, dich bei deinem todesmutigen Unternehmen zu beobachten, als Siebenpunkt plötzlich etwas sehr Unerfreuliches bemerkte. Dieser kleine, getigerte Katzenteufel hatte es sich unter dem Wohnwagen bequem gemacht und wartete dort genüsslich darauf, dich zu verspeisen. Das konnten wir natürlich nicht zulassen. Also sind wir hinter den Wohnwagen geschlichen, und ich hab’ den Hund des Braunen nachgemacht – genauso, wie es klingt, wenn er zornig und hungrig ist. Ungefähr so!« Feuerkopf legte den Kopf in den Nacken und ließ ein tiefes, bedrohliches Knurren hören. Es klang so echt, dass Siebenpunkt und Neunauge ein Schauder über den Rücken lief.

»Alle Achtung!«, sagte Neunauge. »Darauf wäre ich auch reingefallen. Ein Glück, dass ich das nicht gehört habe. Sonst hätte ich bestimmt gedacht, Hund und Katze hätten es auf mich abgesehen. Aber jetzt«, sie kratzte das letzte Stückchen Schale von ihrer Beute, »jetzt gibt’s erst mal was zu essen. Das haben wir uns schließlich hart verdient.«

Genüsslich gruben sie ihre scharfen Krallen in die weichen Kartoffeln und stopften Brocken für Brocken in ihre leeren Bäuche. Von den beiden Kartoffeln blieb nicht das klitzekleinste Bröckchen über. Und zum ersten Mal seit vielen Tagen und Nächten rollten die drei Kobolde sich zufrieden und satt zum Schlafen zusammen.

4. Kapitel

worin Siebenpunkt etwas erzählt, was er eigentlich schon lange weiß

Mit vollem Bauch schläft es sich besser als mit leerem. Als Siebenpunkt, Feuerkopf und Neunauge wach wurden, hatten sie einen Nachmittag, einen Abend und eine ganze Nacht verschlafen.

Der neue Morgen war kein bisschen freundlicher als der letzte. Als die drei ihre spitzen Nasen aus Siebenpunkts Höhle streckten, schlug ihnen feuchtkalte Winterluft entgegen.

Fröstelnd krochen sie ins Freie. Feuerkopf kletterte in die abgestorbene Baumkrone und hockte sich dort gähnend auf einen dicken Ast. Die anderen folgten ihm.

Missmutig starrten sie zur Sonne hinauf, die nur ein milchiger Fleck am grauen Himmel war.

»Sieht fast so aus, als wäre sie weiter weg als sonst!«, meinte Neunauge. »So klein und blass sieht sie aus.«

»Hoffentlich verlässt sie uns nicht ganz!«, knurrte Feuerkopf und schüttelte sich. »Es ist jedes Jahr dasselbe. Alle kriegen einen dicken Winterpelz, nur ich nicht.«

»Na ja«, Neunauge strich über sein dickes, schwarzes Fell, »ich finde, du kannst dich nicht beklagen.« Sie seufzte und räkelte sich. »Es ist ein wunderbares Gefühl, endlich mal wieder satt zu sein!«

»Ja, wunderbar!« Siebenpunkt nickte und schmatzte zufrieden.

»Und damit wir den ganzen Winter über so wunderbar satt bleiben«, meinte Feuerkopf, »sollten wir uns noch etwas Proviant aus der Hütte des Braunen holen.«

»Jetzt fängst du schon wieder an.« Ärgerlich blitzte Neunauge ihn von der Seite an. »Es ist zu gefährlich!«

»Und was war das, was du gestern gemacht hast?«

»Das ... war was anderes.«

»Ich glaube«, Siebenpunkt räusperte sich verlegen, »ich glaube, es gibt da noch eine andere Möglichkeit, an Wintervorrat zu kommen ...«

Überrascht sahen die anderen beiden ihn an.

»Und was wäre das?«, fragte Feuerkopf.

»Ich hab’ seit einiger Zeit einen kleinen Aussichtsplatz in einer alten Ulme«, erzählte Siebenpunkt, »direkt an der Lichtung. Ganz friedlich. Windgeschützt und schön warm, wenn die Sonne scheint. Ich sitze auch abends oft da. Gucke mir an, was auf der Lichtung vor sich geht, halte ein Schwätzchen mit den Raben, na ja ... Dabei ist mir aufgefallen, dass der Wohnwagen am Waldrand wohl schon länger unbewohnt sein muss. Nur der Braune geht ab und zu hin, rüttelt an der Tür und guckt durch die Fenster.«

»Und?« Feuerkopf wurde ungeduldig.