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Bessungen ist ein gewachsener, beschaulicher Stadtteil im Darmstädter Süden mit einer bunt gemischten Bevölkerung. Die Bewohner des Altbaus Kiesbergstraße 83 sind noch etwas bunter. Hier lernen Sie sie kennen und nehmen Teil an ihren Verrücktheiten, ihren Festen und ihren Zusammenstößen mit der Staatsgewalt: Die Russin Anastasia Rabimova, die nicht ist, was sie zu sein vorgibt. Die Griechin Artemis, die Waren verkauft, die dies ebenso wenig sind. Den schwulen Busfahrer Klaus, der früher Balletttänzer war, und die Lehrerin Selma, die über ihm wohnt und ihn mit Ariengesängen um fünf Uhr morgens nervt. Außerdem einen schönen Mechatroniker mit muslimischem Vollbart, eine Yogalehrerin und andere mehr. Sie tratschen und beschweren sich übereinander, die Polizei fährt regelmäßig vor, aber alle feiern sie miteinander Weihnachten - im Mai.
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Seitenzahl: 568
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Matthias Schmidt
Geschichten aus Darmstadt
Copyright: © 2017: Matthias Schmidt
Umschlag & Satz: Sabine Abels – www.e-book-erstellung.de
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
978-3-7439-7111-0 (Paperback)
978-3-7439-7112-7 (Hardcover)
978-3-7439-7113-4 (e-Book)
Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind unbeabsichtigt und rein zufällig.
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Ihr liebe Leut, ich sag Euch … Über das Viertel kann man nicht klagen, Bessungen, und über die Kiesbergstraße auch nicht. Hier wohnen ordentliche Menschen, die verheiratet sind und Kinder haben und Rente kriegen später, und nicht gegen die Richtung parken. Bei uns werden nicht dauernd Partys gefeiert, und immerzu kommen Ausländer ins Haus! Das gibt ´s nur bei denen auf der anderen Straßenseite …!
Ich, die Frau Scherer, die Witwe von dem Karl Scherer, der sein Leben lang beim Merck geschafft hat, ich wohne seit 45 Jahren im Haus Nummer 84. Genau gegenüber. Die auf der anderen Seite, Nummer 83 … da schüttelt man den Kopf. Lauter Verrückte, die haben von Moral und Anstand noch nie was gehört! Ich erzähl euch davon. Ich fang oben an, im vierten Stock. Nee, ich fang hinten an, im Gartenhaus. Da wohnt auch noch einer.
• DIETMAR LEMKE heißt der. Der ist 55 Jahre. Der hat sein Lebtag nicht gearbeitet. Sieht aus wie Rübezahl; ein Sonderling, sagt meine Nachbarin, welches die Frau Breidscheid ist, immer. Seine Mutter soll eine ganz Reiche sein und Aktien besitzen. Wer den sieht, der glaubt das niemals.
So. Und dann das Haus vorne. Der im vierten Stock rechts, das geht ja noch. Ein junger Mann,
• DOMINIK DOTZAUER. Der ist 26, der grüßt immer ganz freundlich und lacht. Der macht irgendwas mit Autos. Also der ist vielleicht ganz anständig, denk ich mal. Außer dass der halt so ´n Bart hat neuerdings, wie dene ihr Prophet, der Mohammed. Das gefällt mir nicht.
Ab jetzt wird ´s schlimmer. Neben dem, vierter Stock links, wohnt schon mal eine Ausländerin. Die heißt
• ARTEMIS KOUJEWETOPOULOU. Schon der Name, oder? Griechisch! Die ist 48. Eine schöne Frau ist sie, kann man nichts sagen. Nur: warum bleiben die nicht, wo sie hingehören!? Da scheint immer die Sonne und sie können jeden Tag Knoblauch essen und diesen Wein trinken, der nach Tannenbäumen schmeckt. Oder? Aber alle hier zu uns! – Die Frau ist eine richtige Geschäftsfrau. Der gehört ein Laden mit Andenken, wo sie die Doktorarbeit von der Angela Merkel verkauft, und noch eine Kneipe. Brasilianisch. Also, glaub ich. Was Ausländisches. Doch, brasilianisch. ´Nen Freund hat sie auch, aber der wohnt woanders.
Ein Stock drunter, da wohnt links die
• MARTINA BRANDT. Die ist 46. Die ist nie zu Hause, weil die immer so ein Zeug unterrichtet das wo aus Indien kommt und wo man Kerzen macht und ´nen Katzenbuckel, und wo es nach Räucherstäbchen riecht. Die is so ´ne Uffgestubbte, ziemlich klein und blond, und hat einen Hund und eine Katze.
Im dritten Stock rechts wohnt die Frau Meinhard, also
• DOROTHEA MEINHARD. Ihr Leut – die wohnt da schon immer. Die is 67. Ich weiß von allen, wie alt die sind!! Die ist ganz schön dick; die kocht gern. Politik macht sie auch. Sozi …!! … Na … man soll nicht schlecht über andere Leute reden. Ihre Tochter ist drüben aufgewachsen, war als Kind ein freches Balg. Einen Mann hat sie auch mal gehabt, aber nur ganz kurz. Wenn die sich angeschrien haben, musst ich die Fenster zumachen, so laut war das. Und die haben immer geschrien! War auch ein Ausländer! Spanier oder so; wenigstens kein Schwarzer. Außerdem … die ist ja verrückt. Die trägt immer einen Papagei auf ihrer Schulter durch die Gegend. Echt, kein Scheiß!! Als hätte sie einen Wohnwagen auf dem Heinerfest und tät die Zukunft voraussagen. Und wenn man mit der schwätzt, die kann nur über den Vogel babbeln. Über sonst nix.
Jetzt kommt der zweite Stock; links. Schon wieder Ausländer! Das ist eine Bagage da drüben. Türken! Eine ganze Familie, in einer Dreizimmerwohnung. Die Töchter sind schon ausgezogen. Ich erzähl ´s euch genau:
• EROL und FATIMA AKCELIK, 62 und 59. Er schafft beim Schenk, glaub ich. Sie ist Putzfrau – sagt man. Schwören tu ich ´s nicht. Die bleiben immer für sich und reden nicht viel, und da kann man ja nicht sagen: du, hör mal – stimmt das, dass Sie Putzfrau sind? Die Töchter heißen > Leyla, 29, und > Fulya, 27. Verheiratet; Gottseidank, wieder zwei weg von der Straße. Der Sohn,
• SAMI AKCELIK, 24, der wohnt noch bei den Eltern. Die Frau Breidscheid hat mir erzählt, er hat einen Pizzaservice. Nichts Genaues weiß man nicht.
Neben denen auf der rechten Seite … Die ist verrückt, die Frau.
• SELMA LIEBEHENSCHEL, 42. Lehrerin. Bei der dürften meine Enkelkinder nicht Dreisatz und Wurzelziehen lernen; bei der nicht! Die läuft immer rum mit so ´m Blick als wie … Ich red nicht schlecht über andere Leute!! Sie wissen schon … Drogen. Als ist die immer ganz woanders. Im Januar stand ihr Auto mal vor unserem Haus, beide Fenster vorne offen, und das hat geschneit wie blöd die ganze Nacht, das Auto war zugschneit dass man es suchen musste und ausbuddeln. Und alles rein nach innen. Mein Karl hat gesagt, wir klingeln bei der, die hat das vergessen … aber wir mischen uns nicht ein in anderer Leute Angelegenheiten!
Und der erste Stock. Links noch eine Frau ohne Mann, aber mit Kind,
• YVONNE WÄHLERT, 34. Die ist Kindergärtnerin. Die Tochter heißt
• LOTTE, 7
Daneben rechts … Jetzt wird’. kriminell, sag ich ihnen!! Aber die dürfen heute sogar heiraten:
• KLAUS HAMMER, 60. Der war mal am Theater. Balletttänzer – mmhh!! Jetzt sind Sie dran … Ein rosa Fahrrad hat er. Sie sehen schon, gelle? Der mag Männer. Außerdem ist er jetzt Busfahrer.
Die im Erdgeschoß, die sind erst eingezogen vor ein paar Jahren. Eine böse Frau! Hat Streit mit jedermann. Früher hat da so ein netter Mann gewohnt, in der Wohnung, der Herr Riesengeger, der hat immer Hammond-Orgel gespielt, wenn Kerb war, all die schönen Sachen von den Amigos und den Flippers, was die Leute halt gerne hören. Der war außerdem Versicherungsvertreter, und später im Haus drüben Hausmeister. Als er gestorben ist, kam die als Nachmieterin:
• ANASTASIA RABIMOVA, 75. Eine Russin! Was kann man da Gutes erwarten … Und ihr Mann,
• EKKEHARD KUHNERT, 57. Von dem kriegt man wenig mit, den sieht man kaum. Schafft auch nix, wie ´s scheint. Aber manchmal spielt der Klavier, wenn die Fenster offen stehen, richtig schöne Sachen, sogar von Marlene Dietrich und Zarah Leander. Da freu ich mich, und sing mit. Sind ja auch alle längst tot …
So, und wenn Sie jetzt wirklich lesen wollen, was die alles anstellen, dann legen sie los. Aber ´ne Geschichte aus ´nem Kirchenblättchen wird das nicht, das sag ich Ihnen …!
•Arheilger Mühlchen – Naturbadesee im Norden Darmstadts
•Bessungen – Darmstädter Stadtteil
•Böllenfalltor – Endhaltestelle Straßenbahn im Südosten hinterm Stadion, Ausfallstor zum Odenwald; Restaurant Bölle
•Bürgerpark – Park im Norden Darmstadt
•Café Chaos – etablierte Traditionsgaststätte mit Szenepublikum jeden Alters
•Darmstädter Echo, Echo – einzige verbliebene Darmstädter Tageszeitung
•Eberstadt – Ortsteil südlich von Darmstadt
•Grohe – Alteingesessener Bierausschank mit Brauerei und Biergarten in der Innenstadt
•Heinerfest – DAS große Darmstädter Volksfest Anfang Juli, mitten in der Innenstadt
•heinern – Darmstädter Dialekt sprechen
•Henschel – Bekanntes Darmstädter Konfektionshaus, ehemals Henschel & Robertz
•Hochzeitsturm – Darmstädter Wahrzeichen auf der Mathildenhöhe in Form einer Hand/fünf Finger, erbaut zur Hochzeit von Großherzog Ernst Ludwig und seiner Frau, Treue schwörend
•Knabenschule, eigentlich Bessunger Knabenschule – Kulturzentrum im Viertel
•Kranichstein – mehrheitlich von Ausländern bewohnte Hochhaussiedlung am Rande Darmstadts
•Krone – Eigentlich Goldene Krone, Diskothek und Kneipe in einem historischen Gebäude in der Innenstadt
•Ludwigshöhe – Berg mit Turm im Süden Darmstadts
•Mathildenhöhe – Jugendstil-dominierter Stadtteil und Wahrzeichen von Darmstadt mit Hochzeitsturm, Platanenhain, Künstlerkolonien (Museum) und russischer Kapelle
•Nordbad – Hallen- und Freibad
•Oberfeld – große freie Feldfläche im Norden Darmstadts; beliebtes Ziel für Spaziergänge
•Oberwaldhaus – Ausflugsziel/Restaurant, am Steinbrücker Teich
•Piffchen – Dialekt für 1/8 Glas Wein
•Prinzenberg – Darmstädter Hausberg im Süden
•Roßdorf – Nachbarort Darmstadts
•Stift – gängige Kurzform für Elisabethenstift, evangelisches Darmstädter Krankenhaus
•Vivarium – Darmstadts zoologischer Garten mit Nobel-Italiener
•Woog – Naturbadesee mitten in der Stadt
Dominik zieht aus!
Artemis, die neben ihm wohnt, hört es, als er sich am Morgen von seiner Freundin verabschiedet: „Wenn ich erst bei dir wohne, machen wir das anders“. Flugs erzählt sie es der ersten Person, die sie im Hausflur trifft; das ist Yvonne. Als sie in deren auf die Botschaft hin feucht werdende Augen blickt, muss sie ganz schnell weiter. Yvonne ist dabei, die Treppe zu schrubben, aber bei dieser Nachricht steht die Welt still. Sie möchte schnell hinter eine geschlossene Wohnungstür, bevor ihr Tränen in die Augen schießen, und hinter der eigenen wäre sie allein. In Dorotheas Wohnung im dritten Stock hört sie Radio-Geschrummel.
„Trink erst mal ´nen Kaffee“, beschwichtigt sie Dorothea. „Ich habe auch Hefezopf gebacken. Mit Quark!“
„Ich will nichts essen!“
„Hattet Ihr denn etwas miteinander?“
„Quatsch! Ich hab mich doch grad erst von ´nem anderen getrennt. Aber ich hat noch so viel vor mit dem …“
„Ich habe Hunger!“, krächzt Dorotheas Papagei. „Ich will Austern!“
Die halbe Hausgemeinschaft ist scharf auf Dominik – den schönsten Mann im Haus, groß und schlaksig mit einer rasierten Glatze, wie ´s heute Mode ist, mit großen dunklen Augen und immer flotten Sprüchen und einem coolen Lächeln auf den Lippen. Mechatroniker ist er. Sein dickes Motorrad steht meist in der Einfahrt im Hof. Nie hatte er eine wirklich lange feste Beziehung – bis vor ein paar Wochen. „Mir hat er erzählt, er ist bindungsunfähig. Weil seine Mutter bei ihm so mit Pampers gespart hat, als er ein Baby war“.
„Und mit dem hast du noch viel vor?!“
Erneuter Tränenfluss. „Heute schon gefickt?“, krächzt der Papagei.
Yvonne ist nicht eben Stadtmeisterin im Beziehungs-Management; das kann man nicht behaupten. Sie gibt sich Mühe, aber dann passt ´s doch nie, mit den Kerlen. Töchterchen Lotte stammt aus einer Ehe vor ihrem Einzug. „Hast du dem seine Freundin mal gesehen?“
„Die gibt ´s noch nicht lange. Fährt Taxi. Sie wohnt in Aschaffenburg“.
„Ganz schön weit weg. Der zerstech ich die Reifen! Ist sie hübsch?“
„Kennst du eine Frau, die über eine andere sagt, dass sie hübsch ist?“.
Ach, Dorlis Lebensweisheiten … „Ich hab Hunger!“, krächzt der Papagei.
Bei Martina hat Yvonne nur kurz Rast gemacht nach der Lagebesprechung bei Dorothea. Über Dominik war alles gesagt, und Dorli wechselte zu ihrem einzig wesentlichen Thema, dem Papagei Irene. Yvonne war nicht in der Lage, sich den Erörterungen über Irenes Stuhlgang und Mauser zu widmen. Ein andermal, wenn ihr Kopf freier ist. – Martina, die neben Dorothea wohnt, ist bereit, sich Yvonnes Lamento über Dominiks bevorstehenden Auszug noch einmal ganz von vorn anzuhören, zumal sie selbst gerne mit dem Hübschen flirtet. Nur steht sie dabei auf dem Kopf – was man einer Yogalehrerin im fortgeschrittenen Stadium wohl nachsehen muss. „Lass dich nicht ablenken, ich hör dir zu“, erklärt sie, und fordert Yvonne auf: „üb mit, das bringt dich auf andere Gedanken!“, während sie die Beine ins Spagat öffnet. Yvonne kann sich bei dem Anblick nur schwer auf ihr Unglück konzentrieren. Kopfstand, das zielt ebenso wie Irenes Befindlichkeiten an ihren momentanen Bedürfnissen vorbei.
Als Yvonne die Treppe in den ersten Stock runterkommt, in dem ihre Wohnung liegt, sieht sie erfreut, dass Klaus von der Arbeit zurück ist. Sie klingelt. Als sie einzog, hat ihre Mutter, die am Theater in Lübeck einst Kostüme schneiderte, sie auf den Regenbogen-Fußabstreicher vor Klaus´ Wohnung hingewiesen: „Freu dich, Liebchen! Am Theater waren meine besten Kollegen die Schwulen, und von denen waren die Tänzer am lustigsten!“ Dass Klaus selbst Balletttänzer ist, wusste sie damals nicht. Na ja – war: heute ist er Busfahrer. Klaus ist ein perfekter Nachbar; immer gut für ein Glas Wein oder um Zigaretten zu schnorren, wenn nach Mitternacht der Vorrat aufgebraucht ist, oder um Probleme zu wälzen, die bei ihm schnell zu Problemchen werden. „Wie siehst du denn aus!?“, fragt er auch gleich, als Yvonne eintritt.
Sie hat bei Dorothea genug geheult, deshalb genügt ein tiefer Seufzer: „aach!!! Hast du ´s gehört? Der Dominik zieht aus.“
„Oh! Hat er inzwischen bemerkt, dass er in Wirklichkeit schwul ist, und zieht nach Sitges, wovon er immerzu erzählt??“
„Er zieht zu seiner Freundin nach Ascheberch.“
„Aschaffenburg! Bayern!“; Klaus rümpft abfällig die Nase. „Da feiern sie alle naslang Marienfeiertage. Marie Empfängnis, Maria Verhütung, Maria Verlobung … Alles mit Prozession!“
„Scheint dich nicht sehr zu interessieren“.
Und ob Klaus das interessiert. Er hat ein Hobby: nachts vom Dachfirst, von dem Brett neben dem Schornstein aus, mit dem Feldstecher in Dominiks Wohnung im vierten Stock zu spannen, dessen schräge, ins Dach eingelassene Fenster ansonsten uneinsehbar sind. Doch das muss er Yvonne nicht auf die Nase binden. Wenn die wüsste, wie gut er über Dominik Bescheid weiß!
Als sie Klaus verlässt, haben sie jeder drei Gläser Weißwein intus und sie einen Schwips. Klaus kam von der Frühschicht, da ist ´s wurscht, und sie hat ihren freien Tag und noch zwei Stunden, bis Lotte von der Schule nach Hause kommt. Klaus´ Sprüche haben ihren Kummer bezüglich Dominiks Auszug etwas vermindert. Es passt ihr gar nicht, dass Sami die Treppe emporsteigt, als sie ihre Wohnungstür aufschließen will. „Hast du getrunken?“, fragt er stirnrunzelnd, anstatt einer Begrüßung.
„Und? Was dagegen?“
„Es ist noch nicht mal Mittag.“
Es war blödsinnig, vor drei Monaten mit dem Sohn der Nachbarn von obendrüber anzubandeln, das ist Yvonne schon länger klar. Für ein paar Nächte, okay; dabei hätte sie ´s belassen sollen. Sami steht völlig unter dem Kommando seiner Mutter, das ganze Haus bekommt jede Wellenbewegung zwischen ihnen mit, und weder ist es eine Beziehung, noch ist es keine.
Sami will wie selbstverständlich mit ihr in die Wohnung. „Geht heut nicht, Sami. Ich hab Wäsche und Hausputz, ich muss mich um den Haushalt kümmern.“
„Macht nix“, sagt Sami; „Mama hat schon gekocht.“
Das ist der Grund!, denkt Yvonne; deshalb läuft ´s nicht. Statt dass er mal auf irgendetwas beharrt. Wie hat Klaus das ausgedrückt: `der war nie ein richtiger Junge, und der wird auch nie ein richtiger Mann’.
Klaus Hammer hat die ganze Woche über Frühschicht, und er möchte Ruhe und eine Stunde schlafen, als er am Donnerstag die Haustüre aufschließt. Aber schon am Briefkasten hört er die Verrückte über sich, die wieder Opernarien schmettert; „Ha ha ha hahahahaaaa, ha ha ha ha hahaha …“ `Troubadour`. wie schön; trotzdem wird er dieser Irren den Hals umdrehen. Lehrerin, und dieser Lärm! Besteht darauf, `Fräulein` genannt zu werden, `Fräulein Liebehenschel`. In welcher Zeit lebt die denn. Wenn das noch lange so weitergeht, hat sie gelebt. – Er kocht sich einen Tee und wartet, ob sie zur Besinnung kommt. Passiert gelegentlich. Dann korrigiert sie wohl Klassenarbeiten. Kunst und Religion; was ´ne Mischung!! Ist sie damit fertig, wird sie die Wohnung saugen, mit einem Staubsauger, der der Straßenreinigung zu laut wäre. Heute hat Klaus genug!! – Sie ist zu `Carmen` gewechselt, der Habanera, zu `die Liebe von Zigeunern stammet`. als Klaus die Treppe hinaufstapft und klingelt.
„Hören Sie augenblicklich auf mit dem Geschrei, Sie Asoziale!! Diesmal rufe ich die Polizei!“, droht Klaus, während er bereits wieder die Treppe runterstampft.
„Und Sie hatten vorgestern Nacht wieder Herrenbesuch!“
„Eifersüchtig?“
„Auf Ihre Mafiagestalten? Bei Ihnen piept ´s wohl!“
Im Parterre geht die Wohnungstür auf mit einem Ruck, bei den Türken neben Fräulein Liebehenschel etwas leiser. „Lassen Sie sie doch mal zeichnen, im Kunstunterricht.“
„Unverschämt! Auch noch alles Ausländer!“
„Sie wären doch für einen Nordkoreaner dankbar!“ Was man sich anhören muss, von dieser Frau! Er wird die Prämie erhöhen, auf 2000.-€; und er wird einen Anschlag am Schwarzen Brett neben der Haustüre anbringen, jawohl: `2000.-€ Belohnung für den Überbringer der frohen, glaubwürdigen Botschaft, dass die Asoziale im 2. Stock auszieht`. Wird er.
Wenn im Darmstädter Stadtteil Bessungen im September Kirmes ist und sonntags der Umzug durchs Viertel zieht, passiert es wieder und wieder, dass Passanten in den kleinen Vorgarten des Hauses Kiesbergstraße 83 kommen, wohin die Hausgemeinschaft die Holzbänke aus dem Hinterhof geräumt und Tische mit Kuchen und Getränken aufgestellt hat, und auf Verdacht hin nachfragen, ob eine Wohnung frei ist oder wird – so anheimelnd sieht das Anwesen von außen aus. Und da ist noch nichts über seine Bewohner gesagt: über Dorothea Meinhard, 67 inzwischen, die am längsten von allen hier wohnt, stramm sozialistische Gewerkschaftssekretärin mit ausladenden Rubens-Formen und inzwischen schmerzenden Gelenken, die stöhnen unter den Treppen bis in den dritten Stock. Über die Yogalehrerin Martina Brandt in der Wohnung neben ihr, die Griechin Artemis Koujewetopoulou im vierten Stock, die ein obskures Ladengeschäft in der Innenstadt betreibt, die Kindergärtnerin Yvonne Wählert aus dem ersten, … und all die anderen.
Die übrigen Häuser des Straßenzuges grenzen direkt an das Trottoir; nur dieses eine hat ein kleines Vorgärtchen, in dem auf einem wild wuchernden Stück Gras eine knorrige alte Eiche steht – der einzige Baum in der ganzen Straße. Er schluckt viel Licht, wächst immer noch und breitet sich aus, aber das Vorhaben, ihn zu fällen, wurde wiederholt von wütenden Protesten der Anwohner abgeschmettert. Über den Rasen ragt der Balkon der Wohnung im Parterre, vollgestellt mit Blumentöpfen, hinter denen eine nicht zu konkretisierende Plastik hervorragt; – oder ist das gar keine Kunst, und kann weg? Das Gärtchen wird eingegrenzt von einer niedrigen Backsteinmauer mit einem verrosteten Zaun darauf. Links davon der Hofeingang, in dem hinter dem Tor in einem Fahrradständer dreimal so viele Fahrräder stehen, wie das Haus Bewohner hat; manche mögen aus Bismarcks Zeit stammen. Regelmäßig beschließt die Hausversammlung, dass aufgeräumt und ausgemistet werden müsse, woraufhin in den folgenden Tagen ein paar der platten Räder aufgepumpt werden. – Dem Fahrradstilleben schließt sich ein schlauchartiger Tunnel an, über dem Klaus Hammers gut besuchtes Schlafzimmer liegt. Am Ende des Hofganges geht es rechts ins Treppenhaus. Geradeaus gelangt man durch ein uraltes, stets offenstehendes Holztor mit gläsernen Butzenscheiben in den großen, ausladenden Garten. Was würden Passanten, die das Vorgärtchen neugierig macht, erst zu diesem Idyll im Hinterhof sagen! Unter einem Mirabellenbaum steht lauschig eine Holzbank mit einem Bänkchen für die Füße, neben ihm ein Kirschbaum, dahinter Holunderbüsche. Der größte Teil des Gartens ist mit wild wucherndem Rasen bedeckt, dazwischen hier ein Beet und da eines, Küchenkräuter, Stiefmütterchen. Ein vor langer Zeit gepflasterter Weg führt zu den Mülltonnen rechts hinten am Zaun, vorbei an einer Einbuchtung in den Rasen, wo sich an zwei großen Tischen, kaum fallen im März die ersten wärmenden Sonnenstrahlen in den Hof, die Bewohner zu allen Tag- und Nachtzeiten begegnen. Yvonne isst gerne hier mit Tochter Lotte zu Abend, Dominik raucht eine Tüte und trinkt eine Flasche Bier, Klaus sitzt hier nachts nach der Spätschicht, vor sich ein Tablett mit einem Wein und Kerzen, und sinnt nach über den vergangenen Tag und die Männer und die Schönheit seines Lebens an sich. Ganz hinten vor der Mauer wohnt in einem langgestreckten Gartenhaus der Sonderling Dietmar Lemke. – Das 1908 erbaute Haus, vom Bombenhagel ´44 verschont, ist solide erhalten und besser isoliert als viele komfortable Neubauten (Klaus, der unter Fräulein Liebehenschel wohnt, hat eine davon abweichende Meinung). Zum chaotischen Charme trägt bei, dass alle Wohnungen unterschiedlich geschnitten sind, manche mit Balkons, die von Martina gar mit einer Terrasse, die oberen Stockwerke mit einem Blick ins Ried bis zum Rhein oder bis nach Frankfurt. Trotzdem hat es natürlich seine Unzulänglichkeiten. Man heizt mit Kohle und Briketts wie in der DDR der 70er Jahre. Der Schornsteinfeger, der das sicherheitstechnisch abnimmt, muss von irgendwoher geschmiert sein. „In Bessungen stehen ungefähr 30 solche Altbauten“, erklärte er Yvonne einst, „aber der hier toppt alle. So ein Chaos herrscht nirgendwo.“ Klaus versucht seit zwei Jahren, im Wohnzimmer den Einbau eines kleinen Kamins genehmigt zu bekommen, aber damit beißt er beim Schornsteinfeger auf Granit. „Was der sich anstellt!“, muffelt Klaus. „Ich habe zwei Jahre in Lissabon gewohnt, da hat im Winter bei den vier Heizlüftern im Wohnzimmer mal ein Kabel Feuer gefangen, das lief draußen an der Hauswand entlang. Meinst du, da hätten sie zur Sicherheit gleich das ganze Viertel abgerissen?? Diese beamtige deutsche Gründlichkeit – lächerlich!!“
Durch die Jahre hat das Haus die unterschiedlichsten Allianzen des Sich-Nicht- und Sich-Mögens erlebt. Klaus, genervt von Selma Liebehenschel, ist hingegen seiner Nachbarin Yvonne durch regelmäßigen Kaffeeklatsch-Intimitäten-Austausch recht zugetan. Dorothea und Martina teilen prinzipiell gute Nachbarschaft, die jedoch kriegsähnliche Krisen erfuhr, als Martinas Kater Tick zuerst Dorlis buntgefiedertem Papagei Sigmar im Treppenaus auflauerte und ihn verspeiste und nur Monate später, mit einem olympiareifen Sprung von Balkon zu Balkon, die Nachfolgerin erwischte – die „Mach das Licht aus!“ und „Komm ins Bettchen!“ sagen konnte. – „Das ist so in der Natur!“, kommentierte Martina ungerührt. „Ein Tier frisst das andere. Hätte sie ihnen mal nicht die Flügel stutzen sollen. Wir sind nicht dazu da, in Gottes Schöpfung einzugreifen.“ – Dorothea mangelte es vollkommen an Verständnis für diese Thesen, und es brauchte Wochen, bis sie allmählich wieder ein paar Worte mit Martina wechselte. Auf Tick hat sie seitdem ein besonders wachsames Auge. Martinas Golden Retriever hält sie für weniger gefährlich. – Artemis und Martina teilen sich als einzige im Haus eine Putzfrau. „Dieses Treppenhaus liebe ich“, kommentierte diese mal. „Wenn ich das schrubbe und mir vorstelle, wer da schon alles rauf- und runtergelaufen ist, und was das alles erlebt hat! Die Kaiserzeit! Hitler! Adenauer!“
„Zarah Leander! Brigitte Bardot!“, ruft Klaus aus dem ersten Stock nach oben, denn sein Geschichtsbild orientiert sich an anderen Idolen.
„Die Friedensbewegung! Die APO!“, setzt Dorli hinzu, die Klaus´ Stimme für die von Dietmar gehalten hat.
So ist immer Stimmung im Haus, vorwiegend gute. Diese Balance hat erst der Einzug von Frau Rabimova und Herrn Kuhnert im Erdgeschoss ins Wanken gebracht.
Selma Liebehenschel ist sich so gut wie sicher, dass sie gestern Abend mit dem Vater eines Schülers telefoniert hat. Nur: worum ging es, und welcher war ´s? Der Vater von Can wegen der Fünf in Kunst, oder der von Paul wegen der Beschwerde der Englischlehrerin? Oder hat sie gar nicht telefoniert und bildet sich das ein, wie vor zwei Monaten, als sie eine Mutter auf eine Mail ansprach, die dann nirgendwo zu finden war und von der diese nichts wusste? Selma ist dazu übergegangen, keine Schuldgefühle mehr zu akzeptieren wegen dieser Vorkommnisse. Das liefert immer neue Gründe, ein Likörchen zu trinken, und sie möchte eher weniger als mehr davon; ist ihr doch der Satz „Mein ganzes Leben ist ohnehin im Arsch“ zu regelmäßig rausgerutscht letzthin – wobei sie es vornehmer ausdrückt, sagt sie es laut.
Sie ist eine von nur dreien im Kollegium ihrer Schule, die weder eine Festanstellung haben noch beamtet sind; aber sie ist mit 42 die älteste. Und es ist ihre dritte Schule in den letzten neun Jahren. Sie hatte sich fest vorgenommen, dass es diesmal besser laufen sollte mit Schülern und Kollegen; geklappt hat es nicht. Sie wird gemieden von den anderen Lehrern und gemobbt von den Schülern. Obwohl sie sie sich solche Mühe gibt!!, malt großflächige Webeplakate im Stil von `Geiz ist geil` in der Neun und der Zehn und lässt im Religionsunterricht mit verteilten Rollen die Szene nachspielen, wie Calvin beim Konstanzer Konzil verbrannt wurde. Also, ließ; der Pfarrer, mit dem sie sich in die Religionsstunden teilt, hat bei der Gesamtkonferenz ein Riesen-Trara darum gemacht, dass gar nicht Calvin, sondern Jan Hus in Konstanz verbrannt wurde. Die Schüler hatten die Szene trotzdem mit großer Freude aufgeführt!
Sie hat auch im Haus einen schweren Stand. Bleibt eher für sich, wird nie eingeladen, wenn Yvonne, Martina oder Dominik im Hof zwanglos grillen. Sie haben ihr die Party zu ihrem Master-Diplom nicht verziehen, die sie nach draußen in den Garten verlegte mit Livemusik und allen ehemaligen Kommilitonen, die nach Mitternacht ihre eiserne Ration von fünf Flaschen Johnny Walker entdeckten und erst in den frühen Morgenstunden die Kiesbergstraße verließen. Ja, es stimmt: ihr war die Fete nach drei Uhr morgens über den Kopf gewachsen. Überall Anwohner, die aus den Fenstern hingen und „Ist endlich Ruhe!“ schrien und „Ist da mal Schluss! Unverschämtheit!!“; damit konnte sie nicht umgehen, und hat bald darauf mit einem Freund das Weite gesucht und bei dem übernachtet. Am nächsten Tag erst erfuhr sie von den letzten Gästen, die im Morgengrauen das Lied mit dem Refrain `Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land, hahahahaha` wörtlich genommen hatten. Blöd halt, dass Yvonnes Tochter Lotte, damals zweieinhalb, die erste auf dem Hof war am Sonntagmorgen.
Ihr Handy klingelt. Das Festnetztelefon hatte sie auf stumm geschaltet nach dem zweiten Anruf ihrer Mutter. War ja klar, dass sie ´s jetzt mobil probiert. „Ich telefoniere auf der anderen Leitung, Mutter. Ich ruf dich zurück.“
„Lüg nicht, du telefonierst überhaupt nicht. Du hast abgelegt. Wenn das das Ergebnis unserer Erziehung ist …“
„Was gibt es denn so wichtiges.“
„Wegen übermorgen. Du hast gesehen, dass ich auf der Einladung `halb vier` geschrieben habe. Pünktlich halb vier, nicht irgendwann nach fünf, wie du es gerne auslegst. Und frag nicht wieder nach einem Glas Wein beim Kaffeetrinken; die Leute denken noch, du trinkst.“
Ihre Mutter wird 75. Selma möchte nicht hingehen, nicht zu diesem Geburtstag und auch nicht mehr zu diesen frühen Abendessen sonntags um halb sechs, auf denen ihre Mutter besteht. Aber bevor sie sich aus diesen Zwängen befreit, hat sie andere, wuchtigere Aufgaben zu lösen. „Bist du noch dran?“
„Ja, Mutter. Ist Gerd auch da?“
„Nicht dieses Thema!“ Die Stimme Wilma Liebehenschels kündigt weinerlich von Verletzung; Selma bleibt unbeeindruckt. „Andere Kinder freuen sich, wenn ihre verwitweten Mütter nach Jahren des Alleinseins ein kleines Glück erleben. Dass du mir das nicht gönnst, hätte mir klar sein sollen.“
„Es dreht sich nicht um dein kleines Glück, sondern um Gerd. Ich mag ihn nicht.“
„Du musst ihn nicht mögen. Begegne ihm simpel mit etwas Respekt und Höflichkeit.“
„Einem ehemaligen Stasi-Offizier, der darauf auch noch stolz ist? Dem soll ich mit Respekt begegnen?“
„Das reimst du dir zusammen! Eine erfundene Geschichte.“
„Willst du sagen, dass Elena lügt?“ Elena ist die zwei Jahre jüngere Schwester, reich mit einem Staatssekretär verheiratet, der außerdem reich geerbt hat. Sie wohnen in einer Villa mit parkähnlichem Garten vor den Toren Frankfurts, in Dreieich-Buchschlag, und Selma bekommt schon Pickel, wenn sie an den großbürgerlichen Reichtum nur denkt.
„Elena?“
„Elena hat er seine Stasi-Uniform gezeigt und ihr vorgeschwärmt, wie großartig die Ausbildung in Moskau war, und dass es im Westen nichts Vergleichbares gab. Wird sie ausgerechnet für mich so eine Geschichte erfinden?“
„Das fantasierst du! Du weißt doch am Sonntag nicht mehr, was du am Freitag erzählt hast.“
„Danke, Mutter.“
„Und zieh dich manierlich an. Frau Hild ist da, und Frau Lesser. Markus Hild soll Kirchenpräsident werden! Nimm nicht so ein aufdringliches Parfum.“
Selma hat genug: „und benimm dich deiner Tochter gegenüber anständig, Mutter! Ich habe es satt, von dir klein gemacht zu werden! Satt, satt, satt!!“
Das Schluchzgewitter setzt ein: „warum straft mich Gott mit einer Tochter, die nichts im Leben auf die Reihe kriegt und nur darüber nachdenkt, wie sie ihren armen alleinstehenden Mutter eins auswischen kann“.
Selma legt auf. Es muss weit kommen, bis sie sich das wagt. - Bis vor drei Jahren, als Pfarrer Liebehenschel an Darmkrebs starb, war das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter auch nicht ungetrübt, aber durch den sprunghaften, unberechenbaren Vater, den Selmas Mutter vergötterte, eher klein dimensioniert. Die Konflikte setzten ein bald nach dem Tod des Vaters, mit Wilma Liebehenschels verstärkten Ansprüchen an den Berufsweg ihrer Tochter, der Unzufriedenheit über deren Nichterfüllung und auch dem Ärger darüber, dass Selma nicht im Traum daran dachte, sich zu verehelichen. Ihre Marotte, auf der Anrede `Fräulein` zu bestehen, ist wohl auch ein Protest gegen Mutters Manipulationsversuche. Aber „Selma und Heiraten … womöglich bleibt mir da eine weitere Enttäuschung erspart“, kommentierte die Mutter das in Selmas Beisein Frau Hild gegenüber. Elena, wenn sie denn mal miteinander reden, rät ihrer Schwester dringend zu einer Therapie: „da kannst du all diese Defekte reparieren lassen, Liebes!“, als handele es sich bei ihrem Seelenleben um einen ramponierten Automotor.
Selma gießt sich einen großzügig berechneten Gin-Tonic ein. Sie muss die Klassenarbeiten über Martin Luthers Thesen zur Reformation korrigieren, unbedingt! Die liegen seit zehn Tagen auf ihrem Schreibtisch. Ehe Direktorin Rumpf wieder mosert, weil Eltern sich beschwert haben. Aber … morgen; noch vor der Schule. Jetzt fährt sie erst mal in die Stadt, ins Industriegebiet. Erneut das Handy; eine unterdrückte Nummer. „Ja?“
„Was hast du mit Mutter gemacht!?“
„Was soll ich denn mit ihr gemacht haben??!“
„Sie hat geweint, herzerweichend.“
„Elena: Mutter weint grundsätzlich bei jedem Satz, in dem mein Name fällt.“
„Wirst du eigentlich noch erwachsen, bevor du alt wirst? Hör zu, Rolf und ich haben uns überlegt, Mutter eine Reise zu schenken. Nach Rom. An einem Tag, an dem sie eine Messe mit dem Papst besuchen kann. Zwei …“
„Spinnt ihr? Mutter ist evangelisch.“
„Und? Sie schwärmt für den Papst, und außerdem findet sie es wahnsinnig spannend, dass Gerd konvertiert … Also … Katholisch geworden ist. Nach der Vergangenheit.“
„Ich möchte diesen Namen nicht hören.“
„Er ändert sich! Und zu Mutters 75stem.“
„Vater würden die Haare zu Berge stehen.“
„Vater ist tot.“
„Sein Leben lang hat er gegen jede Art politischer Diktatur angekämpft, das DDR-System eingeschlossen. Und außerdem von der Ohlystraße als unserem Erbe gesprochen. Und dann kommt dieser Kerl daher. Mutter heiratet den noch.“
„Das gönnst du ihr nicht, was?“
„Diesen Fettwanst?“
„Magersucht ist auch kein ästhetischer Anblick.“
„Ich bin nicht magersüchtig.“
„Nein, magersüchtig nicht. Und jetzt hör zu, ich habe keine Zeit für diese unsinnigen Gespräche. Der Vorschlag ist, wir wollten dich mit ins Boot nehmen. Flug und drei Nächte, schönes Essen, ein Ausflug ans Meer nach Ostia. Was Mutter halt Freude macht. Für die zwei zusammen. Wir fliegen mit, Rolf und ich. Vielleicht Miriam auch, aber damit hast du nichts zu tun, das zahlen wir natürlich.“
„Das meinst du nicht im Ernst!“
„Du willst also nicht. Hätte ich mir denken können. Warum hab ich gefragt. Bis Samstag dann.“ Und es klickt in der Leitung.
Selma braucht noch einen Gin-Tonic. Sie schüttelt sich. Trotzdem, vielleicht hat Elena Recht, und sie sollte eine Therapie machen. Das ist kein Zustand, dass sie schon am frühen Nachmittag trinkt. Wenigstens ist Elena nicht noch einmal auf das Thema `Erbe` eingestiegen, wie beim letzten Mal: „wo nimmst du diese Idee her, dass Eltern eine Verpflichtung haben, ihren Kindern zum Abschied Geld übrig zu lassen!?“ Die hat gut reden! Haus und Garten, in dem sie wohnt und in dem ihre Miriam `so unbelastet vom Lärm der Großstadt, den Abgasen und den Gefahren, die dort lauern` aufwächst, „übrig gelassen“ von Herrn Staatssekretär Senior!! Sie ist gar nicht so wild auf die Wohnung der Eltern in der Ohlystraße, zehn Minuten Fußweg von ihr, und das Grundstück drum rum. Aber Vater hatte immer davon als dem `Erbe der Mädchen` gesprochen; und das soll sich unwidersprochen dieser Gerd unter den Nagel reißen? – Sie geht ins Bad, um sich zu schminken. `Du bist alt geworden`. hat eine Bekannte neulich ganz sachlich festgestellt, wahrscheinlich ohne es böse zu meinen. Selma gibt ihr fast Recht, als sie in den Spiegel schaut. Ihr scharf geschnittener schwarzer Pagenkopf, der gefällt ihr. Aber diese harten Falten rechts und links vom Mund und um die Augen nicht. Und sie ist auch zu dünn geworden, ausgemergelt. – Jetzt fährt sie erst mal ins Casino im Industriegebiet. Die Spielhalle in der Eschollbrücker Straße wäre ihr lieber, die ist nicht so weit, dahin könnte sie sogar laufen. Aber wenn sie da auf Schüler trifft … Nee! Echt nicht.
Auf der Darmstädter Schwulenszene war Klaus Hammer früher ein wilder Feger. Er wäre das heute noch; es gibt bloß keine Darmstädter Schwulenszene mehr. Seine 60 Jahre sieht man ihm nicht an. Beim Duschen rasiert er sich routinemäßig eine Glatze, was ihn bulliger und männlicher erscheinen lässt, als er ist, und wodurch das verräterische Grau in den ausfallenden Haaren verschwindet. Seine Zwangsneurose, mindestens drei Mal die Woche Sport treiben zu müssen, unterstützt ebenso sein noch jugendliches Image. Bedenkt ihn eine Verkäuferin bei `Henschel` mit einem gutgelaunten „Wir werden schon was für Sie finden, junger Mann“, hört er selbst keine Ironie heraus und frönt ungebremst seinem Faible für Orange und Gelb. Und die Busfahrer-Berufskleidung triggert den schwulen Uniform-Fetischismus. Kurz: er hat auf freier Wildbahn immer noch einen Stein im Brett. Im Haus ist er als Schwuler integriert und empfand sich selbst nie ungewöhnlicher als jemand, der rote Haare hat oder über 1,95 groß ist. Er liebt es, schwul zu sein!!, und stets bat er Gott darum – als er noch an ihn glaubte, es im nächsten Leben wieder sein zu dürfen. Er hatte längere Beziehungen, zwei davon hier in der Kiesbergstraße, wo er mit Dorothea und Dietmar zu den Ureinwohnern zählt; doch scheint das Single-Dasein für ihn passender.
Mit seinem besten Freund Dynamite-Daisy sitzt er letzte Woche bei ein paar Gläsern Wein und verkündet: „das klappt heute noch genau wie früher: vier verschiedene Männer in jeder Woche sind immer noch drin.“ – Diese Freundschaft gibt es seit den lange zurückliegenden Balletttänzer-Tagen. Dynamite – Daisy heißt im wirklichen Leben Sven Bunk und ist eine platinblonde, schrille Tunte.
„Gib nicht so an, Herzchen, nicht vor mir. Du überschätzt dich.“
„Wetten dass?“
„Jede Woche vier andere Kerle? Vielleicht zweimal im Jahr! Aber nicht als Standard!“
„Ich schwör ´s dir. Vier in der Woche, 16 im Monat. Locker. Eher mehr.“
„Wetten wir um einen Abend im Tigerpalast“, dem Frankfurter Varieté, schlägt Sven vor. „Mit Dinner und Sekt“.
„Dafür mach ich mir den Stress nicht. Um was richtig Großes.“
„Ein Wochenende in London. Flug, Hotel, eine Musicalaufführung. Mir egal. Ich gewinne sowieso.“
„Für zwei.“
„Für uns zwei. Der Verlierer zahlt. Also du. Darauf freu ich mich! Aber es wird nicht geschummelt! Ein Foto als Beweis, bei jedem Akt; mit Datum. Einen Monat lang. Auf dem Handy.“
„So machen wir ´s. Bist du auch dabei? Wettest du das gleiche dagegen? Einen mehr?“
„Mmh …“ Sven lehnt sich mit eleganten, weit ausholenden Armbewegungen in seinem Stuhl zurück. „Ich bin heutzutage eher das Hausmütterchen. Mach du mal. Wetten wir beim nächsten Mal, wer die bessere Ananas-Marzipanbuttercremetorte bäckt“.
„Ab Montag.“
„Und keine Tricksereien!“
Vor 20 Jahren wäre es keinerlei Problem gewesen! Da traf man sich im Herrngarten, im Hauptbahnhof und am Marktplatz. Im Pornokino. Regelmäßig ergaben sich Kontakte im Hallenbad unter der Dusche. Und heute?? Das Netz!! Nichts als das Netz! Nicht mal eine provinzielle Schwulenkneipe hat sich in Darmstadt gehalten, und im Nordbad hat er seit Jahren mit niemandem mehr angebandelt.
Über `Planet Romeo` chattet er in den ersten Tagen der Wette mit dem einen und dem anderen Mann und wird mit einem Kerl aus Mainz handelseinig. Der Typ möchte den ganzen Weg nach Darmstadt rüberkommen. Klaus findet den Aufwand schräg und ist skeptisch, aber er hat telefoniert mit einer sichtbaren Nummer, und das scheint Klaus vertrauenswürdig. Ein grauhaariger, lockiger Ehemann, der auf seinen Profilbildern rund und wohlgenährt in die Kamera lächelt, durchaus Klaus´ Geschmack. Aber was kann man erwarten von diesen Dating-Profilen, auf denen man bis ins Detail anklickt, was man sexuell zu tun bereit ist, und dann die Person dafür sucht. Ein sexueller Pizza-Service, `extra scharf und Rucola statt Salami` eingeschlossen. Klaus ist dankbar, dass er dem Mainzer das Prädikat `Schon gar nicht sooo schlecht` erteilen kann; in seiner Ballettausbildung war das die optimalste Bewertung, die einer der russischen Lehrerinnen vergab.
Und er hat nicht vergessen, den Bub zu fotografieren.
Ein Blick vom Dach in Dominiks Reich wird aufregender sein, denkt er bei sich, und zieht eine weite Windjacke über seinen Trainingsanzug, in deren Tasche das große Fernglas Platz hat. Er schleicht auf Zehenspitzen durchs dunkle Treppenhaus; hinter der Holztür neben Artemis` Wohnung führt eine Stiege zu einer Dachluke, die sich direkt vor einer schmalen Bank neben dem Schornstein öffnet – seinem nächtlichen Lieblingsplatz. Man kann von hier aus auch in Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehen, in das des schwarzen Studenten von der Elfenbeinküste; aber die Wohnung zu seinen Füßen ist seit Monaten sein persönlicher Favorit.
Dominik hat nichts an außer einer knappen, wildgemusterten Unterhose. Er skypt an dem Bartischchen mit dem hohen Hocker davor, an dem er manchmal einen Kaffee trinkt und dazu eine Kippe raucht. Der große Rechner auf dem Schreibtisch ist ebenfalls eingeschaltet. Auf dem Laptop erkennt Klaus Dominiks Freundin Johanna. Sie giggeln und kichern; einmal steht Dominik kurz vom Hocker auf und dreht sich um, zieht die Unterhose runter und zeigt seinen Hintern in die Kamera. Mist!!!!, das kam so überraschend, dass Klaus mit dem Fernglasschwenken nicht schnell genug nachkam. – Johanna wird bald darauf mit Küsschen und anderen Liebesbeteuerungen verabschiedet. Klaus registriert, dass sie nicht bemerken konnte, dass Dominik auch auf dem großen Rechner skypt. Er schaltet den Laptop aus und wechselt augenblicklich nach drüben. Klaus kann auch diesen Schirm einsehen: abwechselnd zwei bärtige Typen, eindeutig Araber, dazwischen Bilder von verschiedenen LKWs. Dominik spricht englisch, lauter als mit Johanna. Klaus hört ihn gut durch das offene Fenster im Dach, doch ist sein Englisch ist nicht gut genug, um etwas zu verstehen. Er hegt seit Wochen einen vagen, furchtbaren Verdacht!!, angestoßen von einem bärtigen Araber, der Dominik mehrmals besucht hat und den er in der Woche drauf zweimal an einem Stand in der Innenstadt hat Korane verschenken sehen, zusammen mit zwei anderen Vollbärtigen, die arabische Jellabas trugen und weiße Käppis, und mit den Passanten diskutieren wollten. Diese großen arabischen Schriftzeichen quer über dem Bildschirm erhärten seine Vermutung. Dominik trägt seit geraumer Zeit ebenfalls einen Bart; Vollbart!! Das ist inzwischen Mode selbst bei `Lidl`. Auszubildenden, klar; nur liegt eben dieser Koran neben dem Rechner. Für Klaus riecht das verflucht nach … Sie warnen immerzu davor, in Talkshows!, und zeigen junge Männer aus Dortmund und aus Kreuzberg, die im Irak mit schweren Waffen rumballern! Man muss doch nur zwei und zwei zusammenzählen, und es kommt Salafismus heraus! Islam! Terror! Klaus scheint es, dass er einem gruslichen Geheimnis auf der Spur ist: dieser niedliche Dominik … auf dem Weg in einen nahöstlichen Krieg?? Er lässt das Fernglas sinken. Ihm wird ganz seltsam.
Dominik macht sich beim Skypen Notizen auf einem Schreibblock neben der Tastatur. Klaus weiß nicht, was er davon halten soll. Per se … Er hatte mal was mit einem Kerl, der am gleichen Nachmittag aus dem Zuchthaus entlassen worden war. Er ist großzügig mit den Randerscheinungen des Lebens. Aber ein Terrorist, und noch dazu ein Nachbar!! Am liebsten möchte er sofort von seinem Hochsitz runtersteigen und Yvonne alles brühwarm erzählen. Aber dann müsste er die Quelle preisgeben; das käme nicht gut. – Er ist nicht mehr so gespannt darauf, Dominik aus der Unterhose steigen zu sehen. Und der lässt sich heute sowieso Zeit damit; betätigt stattdessen intensiv einen Taschenrechner und schreibt Summen auf einen Block. Könnte gut sein, dass die Araber Bomben bestellen, mutmaßt Klaus, und er soll sie liefern; in alten Autos versteckt. Das ist ein Haus! Er fährt sich nachdenklich mit einer Hand über seine Glatze. Eine Nachbarin aus dem Reich des Zaren, eine die mit Bauteilen des Eiffelturms handelt, und jetzt ein Bombenbauer. Man macht schon was mit. Wenn er bloß nicht plant, sich selbst in die Luft zu sprengen! -
Am Dienstag hat Klaus Frühschicht und ist groggy danach. Drei Unfälle auf dem Cityring, keine Ruhepause, zwei Busse ausgefallen und seiner ewig proppenvoll … Am Theater war ´s echt schöner! Er schläft eine Stunde nach der Arbeit. Dann drängt die Zeit, die Wette zu gewinnen; also wieder `Planet Romeo`. Zwei Stunden dusseliges Rumchatten mit unentschlossenen Huschen; nervt!! Schließlich lässt er sich ein auf `Lederboy, versatile, 36`. Als der Kerl die Treppe raufkommt, würde er am liebsten schnell die Tür zuschmeißen. Nicht eines der Fotos im Netz hat entfernt Ähnlichkeit mit diesem magersüchtigen Hungerhaken im Ringelpulli mit einer von Elton Johns Margeriten-Sonnenbrillen. Klaus versucht, die Aktion gleich im Flur zu tätigen. Er will die Wette nicht schon am zweiten Tag kicken. Hinterher duscht er ausgiebig und möchte es schnell vergessen; schnell!! Aber: er hat ein eindeutiges Foto; mit Datum!!
Die Parterrewohnung war von jeher für einen Hausmeister vorgesehen. Als der letzte starb vor sechs Jahren, stellte sich das Paar Rabimova/Kuhnert händchenhaltend und lächelnd für diesen Posten vor. – „Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe!“ Herr Schymanski von der Verwaltung in Regensburg hatte seine Zweifel. „Sie wären Ansprechpartner für Schornsteinfeger und Handwerker und müssten eventuelle neue Mieter betreuen, und Hof und Garten müssen wöchentlich gefegt werden und Schnee geschippt im Winter.“ Ein Blick auf Ekkehard Kuhnert, der Mitte der 50 sein mochte, und dessen Goldkettchen, das altrosa Hemd und die Sankt-Pauli-Kappe zeugte von Herrn Schymanskis Skepsis. Die sehr viel ältere Frau an seiner Seite in dem grauen Schneiderkostüm mit der Vogelnestfrisur, die geschminkt war wie für eine Fernsehgroßaufnahme mit dicken schwarzen Balken über den Augen, steigerten seine Zweifel.
„Schauen Sie nicht auf meine Mann; ich mache alles. Bin ich starke Frau. Mein Vater war Partisan in Krieg; Onkel gleiche. Ich kann bauen Kleiderschrank und hacken Holz. Alles. – Ich werde in diese Haus für Ordnung sorgen!“ Letzteres äußerte sie zwei Wochen später; da war der Mietvertrag schon unterschrieben.
„Darauf hat das Haus gewartet“, kommentierte Klaus´ Freund Dynamite Daisy. „Alle freuen sich darauf“.
Anastasia Rabimova gönnte sich keine Atempause und ging die Aufgabe unverzüglich an. Ab sofort war das Hoftor um 19 Uhr verschlossen. Fahrräder mussten in Reih und Glied aufgestellt werden, sonst verbog sie die Vorderräder zu Achtern. Martinas Hund verjagte sie mit Steinwürfen aus dem Garten, und ging Besuch an ihrer Wohnungstür im Parterre vorbei, öffnete sie ihre Türe und kommentierte alle Fremden. Jede Concierge aus einer französischen Filmkomödie der 50ger war ein Friedensengel im Vergleich zu ihr, sodass das Paar ihren verantwortungsvollen Posten bald wieder verlor und das Haus Kiesbergstraße 83 ohne Hausmeister weiterwerkelte – und auch nicht unterging. Die Vereinbarung, die die im großen Ganzen friedvolle Hausgemeinschaft traf, war der Hausbesetzerszene der wilden 70ger entlehnt und hieß `Jeder ist für alles verantwortlich`. übersetzt: keiner tut irgendetwas. Die Mülltonnen wurden geleert, die Treppen zuweilen geputzt, für den Mirabellenbaum und die Rosen hinten im Garten übernahm Dorothea das Patronat, das sie auch vorher schon mit selbsternanntem Mandat innehatte. Ansonsten hätte Pipi Langstrumpf ihre Freude an dem Anwesen gehabt. Die zweimonatige Rabimova-Diktatur war überstanden. Die Generalin selbst sann hinter ihren Tüllgardinen auf Rache.
Das ging so ein Jahr lang, in dem Anastasia Rabimova das Treppenhaus mit Hirschgeweihen dekorierte, Martinas Katze Tick entführte und an einer Tankstelle an der Heidelberger Straße aussetzte, wo man sie zwei Wochen später abgemagert und verstört aus einem Lüftungsschacht befreite, und mehrere one-night-stands von Artemis Koujewetopoulou und Klaus Hammer auf Nimmerwiedersehen verscheuchte. Traf ein Mitbewohner sie im Hausflur, drehte sie sich demonstrativ um und bückte sich, woraufhin man zwangsläufig ihren dicken Hintern bestaunen musste; kurzum: die Harmonie im Haus war erheblich gestört.
An Weihnachten hatte Klaus Hammer von dem Kriegszustand genug. Zwar hatte Frau Rabimova gerade wieder die Polizei gerufen, weil er gegenüber dem Haus gegen die Fahrtrichtung geparkt hatte, aber `Kling Glöckchen Klingelingeling` und die Weihnachtsmänner in der Fußgängerzone hatten sein Gemüt derart besänftigt und versüßt, dass er am 23. eine teure Flasche Rotwein in glitzerndes Geschenkpapier einwickelte und eine Karte dranhängte. Frau Rabimova kniete gerade vor ihrer Wohnungstür und schrubbte die Dielen. „Fröhliche Weihnachten!“, sagte Klaus laut.
„Für mich??“ Sie drehte sich erschrocken um.
„Für Sie! Weihnachten ist ein Anlass, mal Schluss zu machen mit dem Zoff“. Er war sich dessen nicht sicher gewesen, aber sie nahm die Flasche tatsächlich mit einem Murmeln entgegen, und Klaus stieg ins falsch geparkte Auto und fuhr zum Feiern mit Freunden nach Mainz.
Als er am 26. zurückkam, war die Überraschung an ihm: auf seinem Regenbogen-Fußabstreicher stand ein liebevoll mit Folie eingepacktes Paket, angehängt eine Karte von rotem, parfümierten Papier: `Wenn der Sohn Gottes von einer Jungfrau geboren wird und die Engel des Herren ihn singend umschweben, ist die Zeit gekommen, dass die Menschen sich küssen und versöhnen, und Zar Nikolaus II ist mitten unter ihnen (Weisheit). Wir wünschen Ihnen gesegnete Feiertage, Herr Hammer. Ihre Nachbar Anastasia Rabimova/Ekkehard Kuhnert`. Und Zimtsterne, Marzipankartoffeln und Lebkuchen, die für zwei Großfamilien gereicht hätten. Klaus schmunzelte, auch über die riesige leere Krippe aus Stroh, die am 5. Januar den gesamten Vorplatz vor Rabimovas Wohnung einnahm und über den mit vollen Einkaufstüten zu steigen seine tänzerische Vergangenheit noch einmal zum Einsatz brachte. „Sie ist russisch-orthodox“, raunte Dorothea ihm zu; „die feiern Weihnachten zwei Wochen später“. Am 6. Januar lag frühmorgens eine nackte Babypuppe in der Krippe.
Klaus` Flasche Rioja schien das Eis gebrochen zu haben. Frau Rabimova begann, auch andere Hausbewohner zu grüßen und mit Dorothea Meinhard gelegentlich ein Schwätzchen zu halten, besonders wenn diese mit ihrem Papagei auf der Schulter durch die Gegend lief – wobei sie Irenes Frage „Heute schon gefickt?“ unbeantwortet ließ.
Selma sitzt nach der siebten Stunde im Werkraum und korrigiert Hefte, als Noah Buzawasi plötzlich im Türrahmen steht. Um zu sehen, ob sie hier ist, muss er durchs Schlüsselloch geschaut und die Tür so leise geöffnet haben, dass sie nichts gehört hat. Er grinst statt einer Begrüßung, kommt zum Pult und stützt die Ellbogen auf die Tischplatte, schaut sie erwartungsvoll an.
„Noah, das …“
Sein Gesicht nähert sich wie in Zeitlupe dem ihren. Als sich ihre Lippen berühren, bleibt er passiv, tut sonst nichts. Sie schaut aus erschrocken offenen auf seine geschlossenen Augen, gibt dann ihrem ersten Impuls nach, steht auf und schließt die Türe ab. Setzt sich wieder hin. Noah hat das Kinn in die Hände gestützt. „Das geht nicht!“, unentschlossene Abwehr in Körperhaltung und Stimme.
„Freuen Sie sich nicht, dass Sie mich sehen?“, sagt er rau, mit dieser Stimme zwischen noch-Stimmbruch und schon-wuchtiger Männlichkeit. Er trägt ein hellgrünes Poloshirt und eine enge Kette aus weißen Plastikperlen um den Hals, die einen scharfen Kontrast zu seiner schwarzen Haut bilden. Hatte er beides auch in Würzburg an. Da hatte er sie ähnlich still überrumpelt.
Sie hatte schon vor der Klassenfahrt das Gefühl, dass er mit ihr flirtet, aber sie hielt es für Halluzinationen. Was sollte ein gerade 15jähriger Achtklässler an seiner 42jährigen, vergrämt aussehenden Klassenlehrerin finden! – In der Jugendherberge fädelte er es so ein, dass er bei den Mahlzeiten neben ihr saß, und strich da mal zufällig mit seinem nackten Unterarm an ihrem entlang oder ließ dort sein Bein beim Essen gegen ihres gedrückt. Sie hatte ihres auch nicht weggezogen, ja! Er ist ein Jahr älter als die meisten in der Klasse, ein hochaufgeschossener, schlaksiger Afrikaner mit wuscheligen schwarzen Locken, der wenig redet und mittelmäßig im Unterricht ist. Mit seiner stillen, ernsten Art eher ein Außenseiter, obwohl ein paar der Mädchen ihn anhimmeln. Er ist im Kongo geboren und mag Traumatisches erlebt haben. Die Eltern, des Deutschen weit weniger mächtig als Noah selbst, verschließen sich beharrlich allen Versuchen der Klassenlehrerin, diesbezüglich Details zu erfahren, über Flucht oder Lebensumstände früher.
In Würzburg stand er am ersten Abend gegenüber ihrem Zimmer im Gang, als sie nach elf im Hof noch eine rauchen wollte. Er musste auf sie gewartet haben, schon länger. Er sagte nichts, kam auf sie zu und drückte sich sanft gegen sie. Sie könnte behaupten, er habe sie, groß und kräftig, wie er war, in ihr Zimmer geschoben und ihr Gewalt angetan; aber das hätte mit der Wahrheit nichts zu tun gehabt. Sie bewegten sich eng aneinandergedrückt, sie rückwärts, in ihr Zimmer. Er schloss die Tür. Seine schüchternen, hingehauchten Küsse auf ihre Augen und ihre Stirn, die Berührungen, mit denen er ihren Rücken und ihren Hintern streichelte, erinnerten sie an die ersten ungeübten Versuche dieser Art, als sie 17 war. Jetzt gerade ist es ähnlich. Die Situation hat etwas Fremdes, Unwirkliches. Noah ist der erste Mann seit fast zwei Jahren.
Er stellt sich hinter ihren Stuhl und umarmt sie, wozu er etwas in die Knie gehen muss. Küsst sie auf den Hals, die Schulter.
„Noah, das geht nicht.“
„Bitte“, flüstert er leise. „Bitte“.
„Aber …“
„Darf ich mit zu Ihnen kommen?“
„Das geht nicht! Wenn uns jemand sieht“.
„Vorgestern ging es auch.“
„Da wusste ich einen Grund. Da hättest du zwei schwere Gemälde abholen können, die ich allein nicht tragen kann.“
Sie hatte sich gut 20 verschiedene Erklärungen und Entschuldigungen ausgedacht, falls Noah jemand in der Kiesbergstraße 83 hätte sehen sollen, quasi schon auf Halde. – Sie nimmt ihn an die Hand und zieht ihn ans hintere Ende des Raumes, wo sie die Vorhänge zuziehen kann. So sehr sie seine Liebkosungen entflammen – entspannen kann sie sich nicht. Solange der Schlüssel im Schloss steckt, kann niemand sie überraschen; aber jedem, der käme, wäre klar, dass von innen abgeschlossen ist. – Uuhhh, sie fühlt sich wie die Mimi im zweiten Akt der `Boheme`. während Noah ihr Kleid aufknöpft. Das mit ihm, das ist für den Moment, eine kurze Sache; endlich, nicht unendlich. Wie die Gin-Tonics am Nachmittag …
Beim dritten Mann der ersten Woche kommt Klaus der Zufall zu Hilfe, oder ein bisschen Schummelei. Die Wette hieß nicht `Vier völlig fremde, unbekannte Männer` – oder??? In einem Nest wie Darmstadt! Da hätte der Gewinn mehr sein müssen als nur ein lumpiges Wochenende in London. Da wäre eine ganze Woche Seychellen angebracht.
Der Zufall heißt Luca und ist ein italienischer Gabelstaplerfahrer, den er seit 15 Jahren kennt. Nähergekommen sind sie sich beim Autofahren an drei aufeinanderfolgenden roten Ampeln, kein Witz; als das Grinsen an der vierten breiter wurde, machte Luca eine fragende Kopfbewegung, „Zu dir?“. So fing ´s an. Seitdem steht er in regelmäßigen Abständen zu den unterschiedlichsten Zeiten vor der Tür. Klaus weiß, dass er inzwischen vier Kinder hat mit einer 20 Jahre älteren Frau, dass er aus Bari stammt und mit 16 alleine nach Deutschland kam. Ein kleiner, dunkler Kerl, übergangslos vom Jungen zum Mann in mittleren Jahren mutiert. Freundlich und unkompliziert, was es Klaus leicht macht, ihn immer mal vor- oder hinterher um einen Gefallen zu bitten, der technisches know-how erfordert, eine Deckenlampe aufhängen oder die Klospülung reparieren. Im Bett legt er sich eher lang und lässt sich bedienen, wird aktiver nur, wenn Klaus ihm vorher einen großen Whisky eingeschenkt hat. Heute gibt ´s keinen; es ist noch nicht mal zwölf.
So soll ´s sein!, freut sich Klaus später, als Luca wieder fort ist und er sich die Beweis-Fotos für Dynamite-Daisy betrachtet. Er ist dankbar für ihn und die vier, fünf anderen Männer, mit denen es auf dieselbe oder ähnliche Art abläuft. Wie gut er doch sexuell versorgt ist, auch ohne Beziehung. Dass Frauen dieses Schema nicht öfters in ihr Leben integrieren! Wie viele kennt er, die immerzu unbefriedigt jammern, und wie leicht ließe sich das beheben!
Am Nachmittag hat Klaus einen Termin beim Orthopäden. Der hat vor drei Wochen Klaus´ Ersinnen nach einer Krankmeldung abgeschmettert; diesmal ist Klaus entschlossen, die zwei Semester Schauspielunterricht während der Ballettausbildung zum Tragen kommen zu lassen. Hat er nicht sogar die Heilige Johanna gespielt – im Weihnachtsmärchen? „Sie haben meine Röntgenbilder“, probiert er es erneut. „Das ist ganz eindeutig, haben Sie selber gesagt, Arthrose zweiten Grades. Ich habe höllische Schmerzen.“
„Ich kann sie wegen Hüftarthrose nicht wochenlang berufsunfähig schreiben.“
„Warum nicht?“
„Weil das nichts mit Ihrem Beruf zu tun hat.“
„Und ob es das hat. In Zürich, da hatten wir vier Wochen hintereinander Doppelvorstellung, und im zweiten Akt hatte ich fünf Mal den Fisch. Mit Alicia Renshaw. Das war keine Elfe, kann ich Ihnen säuseln. Der Fisch geht so“, und er steht auf und demonstriert Doktor Brackwitz den Fisch, eine schwierige Partnerfigur des klassischen pas de deux. „Da liegt die Partnerin mit ihrem ganzen Gewicht auf meiner Hüfte, so“, und er lehnt sich exzessiv in die so höllisch schmerzende linke Hüfte hinein, „und ich muss mich noch nach unten und zur Seite biegen, sonst haut sie mit dem Kopf auf dem Boden auf.“ Er ist leicht außer Atem, als er sich wieder hinsetzt.
„Schön, schön, aber Sie sind ja nun seit 15 Jahren Busfahrer.“
„Und?“
„Sie werden kaum Fahrgäste auf den Tisch heben …“
„In den Fisch!!“
„Also, da hineinheben, wo ihr Kopf den Boden berührt.“
„Sie verstehen mich nicht. Ich bin Künstler.“
„Für die Kunst, ein Lenkrad zu bewegen, sind sie fit genug.“
„Ich komme mit diesen Schmerzen nicht auf den Fahrersitz!“
„Kaufen Sie sich eine Packung Voltaren. Und einen kleinen Hocker.“
Mit diesem Mann hat ´s keinen Sinn. Er wird sich einen anderen Orthopäden suchen, einen kunstsinnigeren. Diesen hier, Brackwitz … Ehering, pah! Vermutlich ist er insgeheim schwul!
Das mit dem Fisch war nicht gelogen; aber ein überragend begnadeter Tänzer war Klaus Hammer nicht. Es waren eher Theater in der Provinz. In Fernsehshows ist er aufgetreten, Biolek, Wunschkonzert. Er war immer so stolz darauf! Jetzt merkt er häufiger, wie Jüngere – sogar Schwule! – diese wunderbaren großen Fernsehabende, die es heute gar nicht mehr gibt, ganz offen belächeln! Wenn die wüssten von seinen großen Erfolgen mit Mary Roos, und Joy Fleming …
Die Sonne scheint und wärmt, und im `Café Bellevue` im Martinsviertel trinkt er einen Milchkaffee und isst ein riesiges Stück Torte, draußen auf der Straße. Diese zurückgelehnte Atmosphäre eines Vorfrühlingsnachmittags, zum Mittag davor einen braungebrannten Proll mit dicken Oberschenkeln – was will man mehr! Da steckt man einen unbotmäßigen Arzt locker weg. – Klaus beschließt, den Weg zurück bis nach Bessungen zu Fuß zu gehen. Da entdeckt man hier noch einen Laden mit witzigen Postkarten und dort eine Kaffeekanne. Von der Hüftarthrose spürt er seit Wochen nichts mehr; irgendwie zum Stillstand gekommen. – In der Schleiermacherstraße passiert er eine verrottet aussehende Halle, von deren Holzwänden der weiße Verputz blättert und deren Tore offenstehen. Mag eine Scheune gewesen sein, als das Viertel noch ein Dorf war. Jetzt steht darin ein großer alter Laster ohne Kennzeichen, und Klaus betrachtet versonnen einen Mann mit nacktem Oberkörper in der Hocke, der mit Werkzeug bewaffnet an einem Rad schraubt und dessen herab gerutschte Jeans ein breites Stück bunte Unterhose freigibt. Als er sich umdreht, ist es Dominik. Seine Mundwinkel zucken kurz, als sei er bei einer Gaunerei ertappt worden. Er hat sich jedoch sofort wieder im Griff. „Ay!“, sagt er in seiner vertraut fröhlichen Art, richtet sich auf und kommt auf Klaus zu. Will ihm die Hand geben, zieht diese aber nach einem Blick auf seine ölverschmierten Finger zurück. „Was machst ´n du hier im Viertel!? Nix zu tun?“
„Den Nachmittag frei.“ Der Kerl ist einfach zu hübsch! Diese Muckis, aus der Nähe! „Und was wird das?“, mit einem Blick auf den Lastwagen.
„Ei, weißt doch … Mechatroniker. Das mach ich hier.“
„Im Haus heißt ´s immer, du hast nur so exklusive Jobs, bei teuren Firmen, und Privatleuten.“
„Mal so mal so …“
Die Suzuki hat er in diesem Schuppen nicht verdient. Oder doch??? – Sie small-talken fünf Minuten; „ich würd dir ´n Bier anbieten, aber ich bin im Druck. Die Karre muss fertig werden. Sorry. Ich mach mal weiter.“
Ein schwarzer Bart, illegale Hinterhofwerkstatt, arabisches Fernsehen … Die Beweise sind erdrückend!, folgert Klaus beim Weitergehen: Terrorismus! Al-Kaida! Und sein Nachbar mittendrin. Oi oi oi!! Klaus weiß nicht, was er davon halten soll. Er raucht erst mal eine auf ´ner Bank im Herrngarten. Angst hat er keine vor Dominik, dazu ist der zu freundlich. Wiederum … Weiß man doch, das sind dann die grausamsten! Würde mich nicht wundern, wenn er hinter dem LKW Bomben bastelt. Dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht; ihm kommt eine ganz andere Idee. Wenn er ´s umsichtig anstellt … Dominik ist erpressbar, ganz klar!! Wenn ich das geschickt einfädele, könnte Dominik in ein, zwei Wochen bei der Wette dabei sein. Er hatte mal einen ägyptischen Polizisten; aber einen Terroristen – und das in Darmstadt …
Da hat Dominik extra eine Garage in einem ganz anderen Stadtteil angemietet, weil die Hausbewohner nicht alles wissen müssen – und dann wird er von seinem schwulen Nachbarn entdeckt! Er mag den ja gern und vermutet nicht, dass der viel spekuliert oder tratscht, aber nötig war ´s echt nicht. Und jetzt? Lässt er bei dem herrlichen Märzwetter das Tor zur Straße offen und riskiert, dass ihn als nächstes Dorothea Meinhard enttarnt? Der Laster ist ganz legal gekauft; dass kein Nummernschild dran ist, sagt gar nichts. Der Anhänger auf dem Hof hinten war nicht zu sehen … Er beschließt, sich nicht allzu viele Gedanken zu machen, und fährt fröhlich pfeifend mit der Arbeit fort. Zwischen den wuchtigen Hinterrädern wird er eine Ladefläche für Materialkisten einbauen; die werden wie große Ölwannen aussehen. Und die doppelte Plane auf dem Dach, auf die Idee ist er richtig stolz. Wenn er sich ranhält, müsste er in zwei, drei Wochen mit allem fertig sein – fit für die Reise in den Orient! Johanna hat er bis jetzt nicht eingeweiht. Er plant, sich zwei Tage vor dem Trip knapp zu verabschieden und ihr von unterwegs eine mail zu schicken. Je weniger Aufsehen, desto besser.