Killing November 1 - Adriana Mather - E-Book
SONDERANGEBOT

Killing November 1 E-Book

Adriana Mather

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Achtung, Sogwirkung! Hochspannung bis zur letzten Seite. November hat keine Ahnung, warum ihr Vater sie ohne Vorwarnung auf die geheimnisvolle Academy Absconditi schickt, ein Internat, regiert vom Geheimbund Strategia. Hier gilt die Regel: Informationen über die eigene Familie dürfen unter keinen Umständen preisgegeben werden. Keine Nachnamen, keine Anschrift und keine Details über Familienmitglieder. Als ein Mitschüler ermordet wird, fällt der Verdacht auf November. Bevor sie für schuldig erklärt oder sogar selbst zum Mordopfer wird, muss sie herausfinden, welche Rolle sie selbst in den bizarren Strategiespielen des Ordens spielt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

November ist so gut wie tot.

Sie weiß es nur noch nicht.

 

Die 17-jährige November hat keine Ahnung, warum ihr Vater sie ohne Vorwarnung auf die geheimnisvolle Academia Absconditi schickt, ein Internat, regiert vom Geheimbund Strategia. Hier gilt die eiserne Regel: Niemand darf Details über die eigene Familie verraten. Nicht mal den Nachnamen. Und auch die Unterrichtsfächer sind alles andere als gewöhnlich: Messerwerfen, Giftkunde und Psychologische Kriegsführung stehen auf dem Stundenplan. Als ein Mitschüler ermordet wird, fällt der Verdacht auf November. Doch sie ist unschuldig. Schnellstens muss November herausfinden, welche Rolle sie in den bizarren Strategiespielen des Ordens einnimmt – bevor sie selbst zum Opfer wird.

 

Ein Eliteinternat, ein Geheimbund und ein Mord – Spannung pur bis zur letzten Seite

 

 

 

Für meinen Sohn, Haxtun Wolf Mather,

den ich meinen Kleinen nenne,

der aber meine ganze Welt erhellt

EINS

Mein Name ist November Adley und ich wurde im August geboren. In jenem Sommer waren die Nächte in Connecticut ungewöhnlich kalt, so erklärt es mein Dad, und an dem Tag, an dem ich zur Welt kam, färbte sich unser Ahornbaum tiefrot wie sonst im Spätherbst – daher mein Name. Dad behauptet, im Licht der Morgensonne hätten die Blätter so intensiv geleuchtet, dass es aussah, als stünde unser Vorgarten in Flammen. Das ist auch einer der Gründe, meint er, warum ich so wahnsinnig gern im Wald bin. Ich bin nicht sicher, ob man das wirklich darauf zurückführen kann, aber die Geschichte ist irgendwie schön. Sie erinnert mich an eine Zeit, als die Welt noch sicher war und meine Familie ebenfalls.

Das Verstörendste daran ist, dass ich davor nie über Sicherheit nachgedacht habe, vor allem nicht über meine eigene. Mein Vater, Ex-CIA-Agent und jetzt Finanzdirektor, sagt mir oft, dass ich zu vertrauensselig bin, und dabei schüttelt er jedes Mal den Kopf, als könne er nicht fassen, dass wir verwandt sind. Was, wie ich ihm dann in Erinnerung rufe, voll und ganz seine Schuld ist, schließlich habe ich mein gesamtes Leben in derselben Kleinstadt unter denselben netten Leuten verbracht, die ungefähr so gefährlich sind wie ein Körbchen voller schlafender Katzenbabys. Dad hält dagegen, dass dieser Glaube an das Gute im Menschen zwar bewundernswert, aber ziemlich unrealistisch sei. Worauf ich ihn frage, was man denn bitte davon hätte, an das Böse im Menschen zu glauben. Er meint, ein gesundes Maß an Misstrauen würde mir helfen, auf jede erdenkliche Gefahr vorbereitet zu sein. Doch bis jetzt war das alles reine Theorie. Und um ehrlich zu sein, war ich nicht mal gestern, als Dad von einer unmittelbaren Bedrohung für unsere Familie geredet hat, so richtig überzeugt. Nein, bis vor ein paar Minuten hat nichts in meinem Leben auch nur auf die geringste Gefahr hingedeutet. Bis ich in diesem mittelalterlich wirkenden Raum aufgewacht bin, einer Art … Salon?

Ich runzele die Stirn. An der Wand neben mir steht ein bulliger Typ, allem Anschein nach ein Wachmann. Er sieht stur geradeaus, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, während ich die Tür inspiziere. Ich rüttele an dem schmiedeeisernen Riegel, so fest ich kann, und ramme sogar die Schulter gegen das dunkle Holz, aber die Tür gibt keinen Millimeter nach. Ich schnaube vor Anstrengung und sehe mich suchend im Zimmer um. Es gibt einen Kamin, in dem ein Feuer prasselt, und mit weinrotem Samt bezogene Möbel, die wahrscheinlich mehr gekostet haben als unser ganzes Haus. Aber keine Fenster und keinen anderen Ausgang als die Tür vor mir.

»Ich weiß, dass Sie mich hören können«, sage ich zu dem Wachmann, der bis jetzt sämtliche meiner Fragen ignoriert hat. Er ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, und mit seinem Ledergürtel und den ledernen Manschetten stellt er das Gladiatorenkostüm, das ich letztes Jahr zu Halloween getragen habe, locker in den Schatten. Ich spiele mit dem Gedanken, dicht vor seinem Gesicht mit den Fingern zu schnipsen, aber er ist mindestens anderthalb Köpfe größer als ich und seine Arme sind muskulöser als meine Beine.

Er bleibt stumm.

Ich probiere es noch mal anders. »Ihnen ist schon klar, dass ich minderjährig bin, oder? Sie dürfen mich nicht einsperren, auch nicht in diesem … Ich nehme an, dies hier ist das Internat, in dem ich unterkommen werde. Aber welches Internat sperrt bitte seine Schüler ein?« Dad hat gesagt, die Schule sei etwas speziell, aber dass ich dort in einem fensterlosen Raum gefangen gehalten werde, kann er ja wohl nicht gemeint haben.

In diesem Moment höre ich einen Schlüssel knirschen und die Tür schwingt auf. Ich senke die Schultern und öffne die Fäuste. Ein weiterer Wächter in derselben Montur wie der erste bedeutet mir, ihm zu folgen. Ich lasse mich nicht lange bitten. Leider kommt der erste Wächter auch mit, und als wir so im Gänsemarsch losgehen, fühle ich mich nicht freier als zuvor.

Der Wächter vor mir nimmt eine angezündete Fackel aus ihrem Halter an der grauen Steinwand, und ich checke schnell die Umgebung ab – kein Strom, hohe Gewölbedecken, schwere Holztüren mit Riegeln statt Türknäufen. Ich bin definitiv nicht mehr in den USA. Hier sieht es aus wie in den mittelalterlichen Burgen in Irland, über die ich mal eine Doku gestreamt habe. Trotzdem kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass Dad mich bis nach Europa schicken würde, geschweige denn, dass er sich das leisten könnte. Wir verlassen ja schon Pembrook nur selten – und den Bundesstaat Connecticut so gut wie nie.

Unterwegs fällt mein Blick auf imposante Wandteppiche, auf denen Ritter, Königshöfe und blutige Schlachten abgebildet sind. Und es ist totenstill ringsum. Kein Stimmengewirr, keine Motorengeräusche von vorbeifahrenden Autos.

Auf den Fluren ist es merklich kühler, und ich ziehe mir die Ärmel meines Pullis über die Finger, um nicht an den Händen zu frieren. Ich habe keine Ahnung, wo der Mantel, die Handschuhe und der Schal geblieben sind, die ich im Flugzeug abgelegt habe; in dem Zimmer, in dem ich aufgewacht bin, waren sie jedenfalls nicht. Wir gehen unter einem Torbogen hindurch und erklimmen eine Treppe mit ausgetretenen, ungleichmäßigen Steinstufen. Ich zähle drei Abschnitte und zwei Treppenabsätze, dann bleiben wir vor einer mit Eisennieten beschlagenen Tür stehen. Als der Wächter vor mir sie entriegelt, dringt warme Luft heraus.

Das antiquierte Büro erinnert mich an eine düstere Szene aus einem Maria-Stuart-Film. Die einzige Lichtquelle im Zimmer sind die unzähligen Kerzen in silbernen Armleuchtern und Wandhalterungen. Die Fenster sind hinter schweren Vorhängen verborgen, und im Kamin knistert ein Feuer, das den Raum mit dem Aroma von Holzrauch erfüllt.

Hinter einem uralt wirkenden Schreibtisch steht eine große, dünne Frau. Ihr braunes Haar ist dermaßen straff zu einem hohen Dutt frisiert, dass ich schon vom Hinschauen Kopfschmerzen bekomme. Sie wirkt deutlich älter als Dad, aber möglicherweise liegt das auch nur an ihrem strengen Auftreten.

Ihr Versuch eines Lächelns misslingt kläglich. »Willkommen in der Academia Absconditi. Ich bin Rektorin Blackwood. Du hattest hoffentlich eine angenehme Reise?« Ihre Stimme und ihre ganze Art verlangen unbedingten Gehorsam.

»Ich kann mich an meine Reise nicht erinnern«, sage ich. Unter ihrem Blick wird mir unbehaglich zumute, und ich picke einen Fussel von meiner Jeans. In dieser förmlichen Umgebung verpufft die Wutrede, die sich bis eben in mir angestaut hat. »Ich bin im Flugzeug eingeschlafen, und als ich aufwachte, lag ich auf einem Sofa in einem … Ehrlich gesagt bin ich etwas verwirrt …«

»Im Lehrerzimmer«, erklärt sie und bedeutet mir, mich auf einen Sessel vor ihrem Schreibtisch zu setzen. Unter ihrem schwarzen Blazer quellen überraschenderweise die Rüschen einer weißen Bluse hervor, was so gar nicht zu ihrem übrigen förmlichen Aussehen passt. Unwillkürlich frage ich mich, wie sie wirklich ist – steif, aber doch bemüht, umgänglich zu wirken, oder umgekehrt weich und bemüht, streng rüberzukommen. »Du warst eine ganze Weile nicht bei Bewusstsein.«

»Man hat mich da unten eingesperrt!«, stelle ich fest und rechne mit entrüstetem Widerspruch. Doch die Frau verzieht keine Miene. Ich drehe mich um. Die beiden Wachmänner sind immer noch da und flankieren jetzt die geschlossene Tür. Es ist nicht klar, ob sie die Rektorin schützen oder mich vom Weglaufen abhalten sollen. Vielleicht beides.

Blackwood nickt, als hätte sie meine unausgesprochene Frage gehört. »Die Wächter dürfen nicht mit den Schülern sprechen. Sie kommunizieren nur mit den Lehrkräften und Angestellten. Wie dem auch sei, zu dieser fortgeschrittenen Stunde sollten wir uns nicht mit unnötigem Geplänkel aufhalten, meinst du nicht auch?« Sie wirft einen Blick auf eine Wanduhr aus dunklem Metall, die an einen gotischen Turm mit offenem Uhrwerk erinnert.

Sie steht auf halb zwei, und aus der Bemerkung zu der »fortgeschrittenen Stunde« und angesichts der leeren Flure schließe ich, dass es halb zwei Uhr nachts ist, nicht nachmittags. »Moment … das kann nicht stimmen.« Ich schaue zwischen ihr und der Uhr hin und her, als wollte mir jemand einen Streich spielen. Dad hat mich kurz nach Mitternacht zum Flugzeug gebracht. Und ungefähr zwei Stunden später bin ich eingepennt. »Habe ich etwa vierundzwanzig Stunden geschlafen? Wie ist das möglich? Und warum bin ich nicht aufgewacht, als man mich hierhergebracht hat? Oder als das Flugzeug gelandet ist?«

»Es ist verständlich, dass du desorientiert bist. Die bedauerliche Nebenwirkung einer möglichst reibungslosen Anreise …«

»Nebenwirkung?« Mein Magen krampft sich zusammen, als ich die Möglichkeiten eingrenze, warum ich vierundzwanzig Stunden geschlafen habe. »Hat … hat mich jemand betäubt?« Meine Stimme wird ganz schrill und ich kämpfe gegen eine wachsende Panik an.

Ich rekapituliere die Ereignisse bis zu dem Punkt, an dem ich eingeschlafen bin. Das Letzte, woran ich mich klar und deutlich erinnere, ist, dass ich im Flugzeug eine Limonade getrunken habe. Dad hat mir bestimmt eine Million Mal eingetrichtert, nichts zu essen oder zu trinken, was ich nicht von einer Person bekommen habe, der ich vertraue. Aber von einer Stewardess kein Getränk anzunehmen, das ist ja, als würde ich in einem Restaurant ein Gericht ablehnen, das ich selbst bestellt habe.

In der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu erhalten, was hier gespielt wird, spähe ich zu Blackwood, aber ihre Miene ist vollkommen ausdruckslos. Sie scheint die Möglichkeit, dass mich jemand betäubt haben könnte, jedenfalls nicht besonders skandalös zu finden.

Ich stehe auf. Instinktiv will ich wegrennen. Nur habe ich keine Ahnung, wo ich bin, höchstens den vagen Eindruck, dass es irgendwo auf dem Land sein muss, weil es draußen so still ist. »Ms Blackwood, könnte ich das Telefon benutzen? Ich bin nicht sicher, ob … Ich müsste kurz telefonieren.« Ich linse zum Schreibtisch, kann dort aber keins entdecken.

»Bedaure, das geht nicht.«

»Das hier ist bestimmt eine sehr gute Schule, aber …«

Sie hebt die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen, als wüsste sie genau, was ich sagen will, wäre aber gerade nicht bereit, sich mit meinen unerheblichen Sorgen zu befassen. »Bevor du dieses Büro verlässt oder mit irgendjemandem sprichst, musst du die Regeln kennen und dich mit ihnen einverstanden erklären.« Sie macht eine Pause. »Außerdem hast du mich bitte mit ›Rektorin Blackwood‹ anzusprechen. Wir legen hier sehr viel Wert auf Umgangsformen.«

Sprachlos starre ich sie an. Dad hat mir gesagt, dass diese Schule mich vor seltsame Herausforderungen stellen würde, und obwohl ich das alles höchst verdächtig finde, vertraue ich ihm. Er würde mich nicht in Gefahr bringen. Gerade deswegen bin ich ja hier – damit ich nicht in Gefahr gerate. Ich lehne mich in dem Sessel aus abgewetztem Leder zurück und schlage ein Bein unter.

Blackwood quittiert die lässige Pose mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie starrt mich an und hebt das Kinn, als würde sie mich mit purer Willenskraft in die Höhe schweben lassen, wenn sie dazu in der Lage wäre. »Wir hatten nicht so plötzlich mit deiner Ankunft gerechnet. Es widerspricht unseren Gepflogenheiten, neue Schüler während des Schuljahres, geschweige denn mitten im laufenden Halbjahr aufzunehmen.« Sie sieht mich abwartend an.

»Danke, dass Sie eine Ausnahme gemacht haben«, sage ich artig, obwohl sich die Worte unangenehm steif anfühlen. Dass sie davon spricht, mich hier aufzunehmen, gefällt mir gar nicht – für meinen Geschmack klingt es zu sehr so, als wäre das hier eine langfristige Sache. Dad meinte, es sei nur für ein paar Wochen, zur Überbrückung, bis er das mit dem Einbruch bei Tante Jo geregelt hat. Dann könne ich nach Hause zurückkehren und alles würde wieder so sein wie vorher.

Blackwood schlägt ein Buch mit schwarzem Stoffeinband und Samt-Lesebändchen auf und überfliegt die Seite. »Bevor ich dir mehr über die Academia Absconditi und ihre Schülerschaft erzähle: Folgende drei Regeln sind strikt einzuhalten und gelten nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Lehrkräfte.« Sie faltet die Hände über ihren Unterlagen. »Die erste Regel lautet, dass du über dein Leben außerhalb dieser Mauern weder sprechen noch schreiben noch auf irgendeinem anderen Weg Andeutungen machen darfst. Nicht über die Stadt, in der du gewohnt hast, und nicht über die Menschen, mit denen du verwandt bist. Da du, wie ich hörte, einen ausgeprägten Hang zur Geselligkeit hast, möchte ich noch einmal mit Nachdruck betonen, dass du, solltest du gegen diese Regel verstoßen, nicht nur dich selbst, sondern auch deine Familie in Gefahr bringst.«

Ich kneife die Augen zusammen. »Wie soll ich denn meine Familie hier in Gefahr bringen? Diese Schule ist doch angeblich das Gegenteil von ge…«

»Soweit ich sehe, hast du ein sehr behütetes Leben geführt«, sagt Blackwood mit missbilligendem Blick. Meine Frage ignoriert sie geflissentlich. »Aber das wird sich mit der Zeit schon geben.«

Ich antworte nichts, weil ich nicht sicher bin, was sie damit meint und ob ich das überhaupt wissen will. Vielleicht hat sie recht und ich bin wirklich noch etwas desorientiert, vielleicht gibt mir aber auch eben dieses Gespräch das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo oben und wo unten ist.

»Die zweite Regel verbietet es dir, das Schulgelände zu verlassen«, fährt Blackwood fort. »Diese Lehranstalt liegt tief in einem Wald versteckt und ist durch unzählige Fallen geschützt. Sich über den Schutzwall hinauszuwagen ist nicht nur unklug, es ist lebensgefährlich.«

Ich setze mich kerzengerade auf. Aha! Das sind die Vorzüge der Schule, mit denen Dad mich rumgekriegt hat – Hindernisparcours durch den Wald, komplexe Rätselaufgaben, Messerwurf-Tricks. Es ist zwar total unheimlich hier, aber wenn es gleichzeitig Robin-Hood-mäßig abenteuerlich ist, kann ich ihm vielleicht die weite Anreise und Blackwood die Sache mit der möglichen Betäubung verzeihen. »Was für Fallen? Hat die schon mal jemand überwunden?«

»Nein. Nie«, sagt sie, als hätte sie die Frage schon zigmal beantwortet und wäre jedes Mal wieder genervt davon. Mein Blick wandert zu dem Wappen in Weinrot und Silber, das über ihr an der Wand hängt. Darunter steht ein Motto auf Latein: Historia Est Magistra Vitae. Bevor ich darüber nachdenken kann, wie die Übersetzung lauten könnte, spricht Blackwood weiter.

»Die dritte Regel lautet: Wenn du einen Mitschüler oder eine Mitschülerin verletzt, wenden wir bei der Bestrafung das Prinzip ›Auge um Auge‹ an. Sämtliche Kämpfe müssen unter Aufsicht des Lehrpersonals stattfinden.«

Die freudige Aufregung, die ich bei der Erwähnung des mit Fallen gesicherten Waldes verspürt habe, löst sich in nichts auf, und ich merke, wie sich meine Stirn in Falten legt. Dad zufolge ist mein Aufenthalt hier eine reine Vorsichtsmaßnahme. Er müsse ein paar Wochen bei Tante Jo bleiben und könne nicht auf uns beide gleichzeitig aufpassen. Ich solle ihm vertrauen. Ich bin davon ausgegangen, dass er sich wie immer viel zu viele Sorgen macht. Aber wenn mir hier Gefahr droht, dann ist an der ganzen Sache etwas faul. In meinem Magen bildet sich ein winziger Knoten. Nicht von der Sorte, die einen sofort umhaut, sondern eher die Sorte, die in den dunklen, stillen Momenten, in denen man mit sich allein ist, heimtückisch weiterwächst.

Ich schaue wieder von den verhängten Fenstern zu der bewachten Tür. »Versteht sich das nicht von selbst … dass man andere nicht verletzen soll?«

»In den letzten Jahren gab es hier eine ungewöhnlich hohe Zahl von Todesfällen. Also nein, es versteht sich nicht von selbst«, sagt sie so sachlich, als informiere sie mich über den Speiseplan in der Cafeteria.

Meine Kehle ist auf einmal wie ausgedörrt. »Todesfälle? Was meinen Sie damit? Wie heftig geht es hier im Unterricht zu? Wie kommen die Schüler denn genau zu Tode?«

Blackwood bedenkt mich mit einem Blick, als wäre ich ein lästiges streunendes Hündchen, das sie unter keinen Umständen streicheln würde. »Unser Stundenplan sieht keine gewöhnlichen Fächer zur Studienvorbereitung vor. Wir bieten sehr viel mehr. Die Akademie baut auf den Fertigkeiten und individuellen Stärken der einzelnen Schülerinnen und Schüler auf. Beim Messerwerfen zum Beispiel geht es nicht nur um Präzision. Es wird aus der Bewegung heraus und unter Druck trainiert. In Täuschung und Verstellung üben wir sowohl das Durchschauen solcher Manöver bei anderen als auch euer eigenes Geschick im Verstellen. Statt Fremdsprachenunterricht bieten wir einen Akzente-Kurs und das Wahlpflichtfach ›Kulturelle Normen‹ an, damit ihr euch von Land zu Land bewegen könnt, ohne eure Herkunft zu verraten. Diese Schule zu besuchen, ist ein Privileg, kein Recht. Unsere Lehrkräfte sind absolute Koryphäen und unsere handverlesene Schülerschaft kommt aus aller Welt. Achtzehn Professorinnen und Professoren wohnen und arbeiten hier, und du, November, bist unsere einhundertste Schülerin. Die Plätze an unserer Schule sind heiß begehrt. Und das ist auch jedem bewusst.« Das klingt wie eine Warnung: Ein Fehltritt und ich fliege in hohem Bogen raus. »Du wirst einen psychologischen und physischen Einstufungstest absolvieren, bevor wir entscheiden, welche Fächer am besten zu dir passen.« Blackwood lehnt sich zurück. Die Kerzen in dem Halter auf ihrem Schreibtisch werfen Schatten auf ihr Gesicht.

Academia Absconditi – der Name hat definitiv lateinische Wurzeln, denke ich und schon rattert mein Gehirn los. Absconditi leitet sich wohl vom Verb »abscondere« ab, das bedeutet »verbergen« oder »verstecken«. Dann könnte man den Namen mit »die verborgene Akademie« oder »Akademie der Versteckten« übersetzen. Ich spüre, wie meine Augenbrauen in die Höhe wandern, während ich versuche, das alles zu verarbeiten. Ich bin nicht sicher, ob ich es aufregend oder gruselig finden soll, auf eine Geheimschule voller Messer werfender, in Akzenten geschulter Verstellungskünstler zu gehen.

Wie um Blackwoods vielsagende Pause zu betonen, beginnen die Kerzen im Raum zu flackern, und als sie weiterspricht, beschleicht mich das unheimliche Gefühl, dass sie meine Gedanken lesen kann. »Die Akademie ist ihrem Namen treu. Die Außenwelt weiß nichts von ihrer Existenz. Nicht einmal deine Eltern, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht als Schüler hier waren, wissen, wo sie sich befindet.«

Hm, immerhin hat Dad nicht gelogen, als er meinte, er könne mir nicht genau sagen, wohin er mich schickt. Ist es möglich, dass mein Vater hier auf der Schule war? Es ist schon komisch, dass er nichts dergleichen erwähnt hat, aber er erzählt ja sowieso nie von seiner Kindheit. Undenkbar ist es also nicht.

»Wie du vielleicht bemerkt hast, gibt es hier keinen Strom, auch keinen Internetanschluss und keinerlei Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen«, fährt Blackwood fort. »Elternbesuche werden über die Schule organisiert und nach unserem Ermessen genehmigt. Klar so weit?«

Ich starre sie an. Das erklärt, warum hier kein Telefon steht und sie mich keinen Anruf machen lassen wollte. Aber diese extreme Isolation lässt eigentlich nur zwei Rückschlüsse zu. Entweder wird das hier das intensivste Überlebenstraining meines Lebens, oder meiner Tante Jo ist etwas viel Schlimmeres zugestoßen als das, was Dad als Einbruch dargestellt hat, und er wollte mich möglichst weit weg haben, während er sich damit auseinandersetzt, was wirklich passiert ist. Bei dem Gedanken bekomme ich Herzklopfen; ich will nicht glauben, dass er so etwas Wichtiges vor mir geheim halten würde.

»Klar«, sage ich vorsichtig.

»Und erklärst du dich mit den Regeln einverstanden?«

»Was bleibt mir anderes …« Ich räuspere mich. »Ja.«

»Sehr gut«, sagt Blackwood und atmet geräuschvoll aus, als sei sie froh, das hinter sich gebracht zu haben. »Mit siebzehn kommst du spät zu uns. Die meisten Schülerinnen und Schüler werden im Alter von fünfzehn Jahren aufgenommen, gelegentlich auch noch mit sechzehn. Du wirst dich anstrengen müssen, wenn du dich hier schnell einfügen willst. Allerdings hat man mir versichert, dass du über die notwendigen Fähigkeiten verfügst, nicht nur mit den anderen mitzuhalten, sondern sie sogar zu übertreffen.« Ihren Worten zum Trotz blickt sie mich ausgesprochen skeptisch an. »Halte dich dennoch erst mal zurück. Beobachte deine Mitschüler und lerne daraus. Gib dich möglichst wenig mit ihnen ab. Sei pünktlich und höflich. Und vor allem möchte ich dir zu bedenken geben, dass wir hier keine Unruhestifterin gebrauchen können.«

Ich würde lachen, wenn es denn lustig wäre. Sie hat gerade das glatte Gegenteil von mir beschrieben.

»Für die Analyse deiner Fähigkeiten ist Dr. Conner zuständig«, fährt sie fort. »Er wird dir helfen, dich zurechtzufinden. Für heute solltest du dich zurückziehen. Morgen früh wird Dr. Conner mit den Einstufungstests beginnen.« Sie weist auf die beiden Wächter. »Diese Herren werden dich nun zu deinen Räumen bringen. Layla, deine Mitbewohnerin, wird dir in der ersten Woche alles zeigen. Sie ist angewiesen worden, dir die wesentlichen Dinge zu erklären, und ich habe volles Vertrauen in ihre Gründlichkeit. Sie ist eine unserer besten Schülerinnen.«

»Wie schreibt sich Layla?«, erkundige ich mich beiläufig. Endlich sehe ich eine Möglichkeit, an Informationen zu kommen, ohne direkt danach zu fragen.

Blackwood zögert und misst mich mit einem seltsamen Blick.

»L-A-Y-L-A«, buchstabiert sie schließlich, klappt das Buch zu und erhebt sich.

Ich stehe ebenfalls auf. Mir liegen noch mehr Fragen auf der Zunge, aber ihre Miene macht unmissverständlich klar, dass sie kein Interesse daran hat, das Gespräch fortzusetzen.

»Danke, Rektorin Blackwood. Gute Nacht.«

Sie nickt knapp und ich gehe zur Tür. Der Wächter mit der Fackel hebt den Riegel und ich folge ihm auf den Flur hinaus. Er überragt mich deutlich, dabei bin ich mit meinen 1,75 Metern nicht gerade klein. Wieder setzt sich einer an die Spitze und der zweite geht hinter mir.

Das einzige Geräusch kommt von meinen Stiefeln, die über den Boden scharren. Die Schritte der Männer sind auffällig leise, während wir eine Treppe hinuntergehen und einen Gang betreten. Vor uns erstrecken sich zu beiden Seiten hölzerne Bogentüren mit schmiedeeisernen Beschlägen, die weder mit Nummern noch mit Namen gekennzeichnet sind. An der dritten Tür auf der linken Seite bleibt der Wächter vor mir stehen und klopft an. Eine Sekunde später vernehme ich das gedämpfte Schaben eines Eisenriegels und die Tür schwingt auf.

Das Mädchen dahinter hat dunkelbraune Augen, volle rote Lippen und langes schwarzes Haar, das ihr bis zur Hüfte fällt, so glatt und glänzend, dass sich der Fackelschein darin spiegelt. Nachdem sie mich von Kopf bis Fuß gemustert hat, zieht sie die Augenbrauen zusammen, was an Blackwoods säuerliche Miene erinnert.

Obwohl sie nichts als ein weißes Nachthemd trägt, komme ich mir in meinen schäbigen, von meinen ständigen Touren im Wald verdreckten Stiefeln und dem schlabberigen Zopfmuster-Pulli auf einmal vor, als wäre ich diejenige, die nicht angemessen angezogen ist.

»Layla, richtig?«, sage ich, betrete den Raum und lächle, in der Hoffnung, so das Eis zu brechen. »Wie ich höre, wohnen wir zusammen. Ich bin November.« Ich strecke ihr die Hand hin, aber anstatt sie zu nehmen, knickst sie lediglich kurz. Ich kann mir ein überraschtes Auflachen nicht verkneifen. Ihr Blick wird hart und sie verriegelt mit einem groben Ruck die Tür hinter mir.

»Tut mir leid. Ich wollte nicht lachen. Ehrlich. Ich habe bloß nicht mit einem Knicks gerechnet. Schwamm drüber, ja?« Innerlich kann ich meine beste Freundin, Emily, schimpfen hören, dass ich immer im dümmsten Moment loslache.

»Schon vergessen«, sagt sie. Es klingt gezwungen höflich.

Das Zimmer, das sie mir zeigt, verstärkt meinen ersten Eindruck, dass wir in einer alten Burg irgendwo in Europa sind. Jetzt, wo ich nicht mehr eingesperrt bin, kann ich das mittelalterliche Flair besser bewundern. Die Kerzenhalter an den steinernen Wänden sehen aus, als könnten sie tausend Jahre alt sein. Es gibt einen großen offenen Kamin, ein größeres und ein kleineres Sofa, beide mit hellgrauem Samt bezogen, und einen Esstisch vor einem Fenster, das hinter schweren weinroten Vorhängen verborgen ist. Das Grau und Weinrot erinnert mich an die Farben des Wappens in Blackwoods Büro. »Oh Mann«, flüstere ich.

»Dein Schlafzimmer ist da«, sagt Layla nüchtern und zeigt auf eine Tür zu meiner Rechten, die etwas schmaler ist, aber ansonsten genauso aussieht wie die Tür, durch die ich gerade gekommen bin. Laylas Gesicht ist vollkommen ausdruckslos.

Layla, denke ich. Ein Name, der im Mittelalter beliebt wurde und etwas mit einem Gedicht aus dem siebten Jahrhundert zu tun hat. Ich bin ziemlich sicher, dass er aus dem Arabischen kommt, und wenn Blackwood mir die richtige Schreibweise genannt hat, ist er wahrscheinlich ägyptisch. Das Knifflige ist, dass er je nach Schreibweise eine leicht andere Bedeutung hat … »Du, ähm, weißt du eigentlich, dass Layla ›die in der Nacht Geborene‹ heißt?« Ich drehe mich zu ihr um, aber sie ist nicht mehr da. Verblüfft starre ich auf die geschlossene Tür, die meiner gegenüberliegt. Auf der anderen Seite knirscht ein Riegel. Ich habe sie nicht mal weggehen hören. Sie ist keine Emily, so viel ist klar. Die bestimmt schon bei uns zu Hause vor der Tür stand und wissen wollte, wo ihre beste Freundin steckt und warum ich nicht auf ihre Nachrichten antworte. Ich wünschte, Dad hätte mir erlaubt, wenigstens ihr Bescheid zu geben.

Ich stoße die Tür zu meinem Schlafzimmer auf – meiner vorübergehenden Bleibe. Auf dem Nachttisch an meinem Bett steht eine angezündete Kerze neben einer Karaffe und einem Trinkglas, und es gibt eine Kommode mit einem Wasserbecken, an dem ich mich wohl waschen soll. Am Fußende des Betts, das einen aus Holz gezimmerten Himmel und ein aufwendig geschnitztes Kopfteil hat, liegt ein weißes Nachthemd bereit, das haargenau so aussieht wie Laylas. Leider ist mein Gepäck nirgendwo zu sehen, und ich bin zu erschöpft, um mich auf die Suche danach zu begeben. Ich schlüpfe aus den Stiefeln und meiner Jeans, werfe sie in einem Haufen auf den Boden und setze mich aufs Bett. Es fühlt sich an, als würde ich in einem riesigen Kissen versinken.

Ich umfasse schon den Saum meines Pullis, um ihn mir über den Kopf zu ziehen, lasse es dann doch bleiben und schiebe die Beine unter die Decke. Nachdem ich die Kerze ausgeblasen habe, sinke ich rückwärts in den flauschigen Kissenberg. Erst jetzt packt mich das Heimweh.

Ich atme aus und starre an den hölzernen Betthimmel. Ein paar Wochen lang halte ich es überall aus, rede ich mir ein. Ich habe das Fußballcamp in den letzten Sommerferien überstanden, obwohl es auf dem Platz nach verfaultem Kohl gestunken hat. Dann werde ich das hier ja wohl auch überleben.

ZWEI

Ich stopfe ein weißes Leinenhemd in eine schwarze Leggings, die bei meiner Rückkehr aus dem Bad mysteriöserweise für mich bereitlagen. Dann betrachte ich mich in dem Frisierspiegel über der Kommode. Das einzig Vertraute ist mein langer Zopf. Ansonsten sehe ich aus, als hätte ich mich für ein Gauklerfestival als Pirat verkleidet. Emily würde sich totlachen, wenn sie mich so sehen würde. Echt schade, dass ich hier kein Telefon haben und ihr kein Foto schicken darf.

Da klopft es an meiner Schlafzimmertür.

»Herein!«, rufe ich und die Tür geht auf.

Layla trägt das gleiche Piratenoutfit, nur dass sie darin viel graziler wirkt als ich. Ihr Haar hat sie zu einem hohen, glatten Pferdeschwanz gebunden, der ihr bis ins Kreuz fällt. Ihre Erscheinung ist fast noch majestätischer als gestern Nacht. »Wenn wir nicht bald losgehen, kommen wir zu spät«, teilt sie mir mit. »Und ich verspäte mich nie.«

»Ich meistens schon«, sage ich in herzlichem Ton. »Vielleicht übst du ja einen guten Einfluss auf mich aus.«

Sie runzelt die Stirn.

»Weißt du, woher die Sachen kommen?« Ich zeige auf meine Schnürstiefel mit den schwarzen Senkeln. »Als ich aus dem Bad kam, lagen sie auf der Truhe am Fußende meines Betts.«

Ihr Stirnrunzeln vertieft sich. »Vom Dienstmädchen.«

»Vom Dienstmädchen?« Ich stocke. »Machst du Witze?« Dad hat nie auch nur eine Putzhilfe eingestellt und jetzt habe ich ein Dienstmädchen? Das Schulgeld muss ihn seine gesamten Ersparnisse gekostet haben. Der Knoten, der sich letzte Nacht in meinem Magen gebildet hat, zieht sich schmerzhaft zusammen. An dieser ganzen Sache stimmt definitiv irgendwas nicht.

Layla strafft die Schultern, was ich bei ihrer sowieso schon kerzengeraden Haltung nicht für möglich gehalten hätte. »Keineswegs.«

Oh Mann. Die ist ja steifer als meine neunzigjährige Physiklehrerin. »Und weißt du zufällig auch, was mit meinen Klamotten passiert ist?«, frage ich. »Also den Sachen, die ich aus …« – ich erinnere mich an Regel Nummer eins – »… von zu Hause mitgebracht habe. Ich kann mein Gepäck nirgends finden.«

»Persönliche Gegenstände sind auf dem Schulgelände verboten. Rektorin Blackwood hält sie unter Verschluss.«

»Sogar meine Kosmetik und meine …«

»Alles.«

Ich grummele in mich hinein. Den Kissenbezug mit den Kiefern drauf vermisse ich schon jetzt; das Bettwäsche-Set stand monatelang ganz oben auf meiner Wunschliste. Und den Schal, den Emily mir letztes Jahr gestrickt hat und den ich seither ständig trage, obwohl er ein bisschen schief geworden ist. Sämtliche vertrauten kleinen Bestandteile meines Alltags sind irgendwo weggesperrt, wo ich nicht an sie rankomme.

»Apropos verboten. Was soll eigentlich diese ganze Geheimniskrämerei?«, frage ich.

Layla sieht mich misstrauisch an. »Warum fragst du mich das?«

Mir war natürlich klar, dass sie mir nicht gleich alle Insider-Informationen über diese Schule auftischt, so streng, wie Blackwoods Regeln sind, aber eine so abwehrende Reaktion habe ich nun auch nicht erwartet. Jetzt bin ich erst recht neugierig. Ich setze das entwaffnende Lächeln auf, mit dem ich bisher immer ans Ziel gekommen bin. »Weil ich gehofft habe, dass du es mir erklären könntest.«

»Lass die Albernheiten.« Sie hebt das Kinn, dreht sich um und rauscht zur Tür hinaus, alles in einer einzigen fließenden Bewegung. Es würde mich nicht wundern, wenn sie diesen theatralischen Abgang extra geprobt und nur auf eine passende Situation gewartet hat, in der sie ihn anwenden kann.

Ich folge ihr in unseren Salon. Sie öffnet einen hohen Schrank, holt zwei bodenlange schwarze Kapuzenmäntel heraus und reicht mir einen.

Interessiert befühle ich die mit Samt gefütterte Wolle. In den Taschen stecken Handschuhe. »Ist das ein Cape?«

»Es ist ein Umhang«, korrigiert sie mich, »und die Qualität ist tadellos.«

Auf der linken Seite des Umhangs, ungefähr auf Höhe des Herzens, entdecke ich das Wappen, das ich in Blackwoods Büro gesehen habe. Es ist mit silbernem und weinrotem Garn gestickt. »Historia Est Magistra Vitae«, lese ich laut. Lateinische Wortstämme kann ich locker aus dem Ärmel schütteln – das habe ich meiner Faszination für die Herkunft von Namen zu verdanken –, aber in Grammatik bin ich eine absolute Niete. »Geschichte, Lehrerin, Leben?«

»Die Geschichte ist die Lehrerin des Lebens – das Motto der Academia Absconditi«, sagt Layla und seufzt ergeben, als langweilte sie die Antwort schon jetzt. »Die Farbe Weinrot steht für Geduld im Kampf. Die Farbe Silber symbolisiert den Frieden. Die Eiche steht für hohes Alter und große Stärke. Die Fackel für Wahrheit und Intelligenz. Und die Sphinx für Allwissenheit und Geheimhaltung.« Noch bevor sie den letzten Satz beendet hat, öffnet Layla die Bogentür und geht, ohne sich umzudrehen, auf den Korridor hinaus.

Ich folge ihr und schließe die Tür hinter uns. Im Gang ist es heller als gestern Nacht, aber die Luft ist immer noch kühl und alles hier macht einen etwas düsteren Eindruck. Während ich in den Umhang schlüpfe, denke ich über das Wappen nach.

Das waren ziemlich gewichtige Symbole, die Layla da eben runtergerattert hat. Hinter diesem Schulmotto steckt definitiv mehr als eine abgedroschene Phrase. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Komisch, dass jemand sich Farben ausgesucht hat, die sowohl »Geduld im Kampf« als auch »Frieden« bedeuten. Das ist doch in sich widersprüchlich. Und ich kenne mich mit Wappen zwar nicht besonders gut aus, weiß aber, dass die Sphinx vor allem in der ägyptischen und der griechischen Kultur eine wichtige Rolle spielt. »Noch mal zu dieser Geheimhalterei …«

»Nein.«

Ich betrachte Layla von der Seite und frage mich, was passieren würde, wenn sie meinem Vater begegnete. Ich wette, die beiden würden sich in Grund und Boden starren und keine zwei Worte verlieren. Sie ist eindeutig die Sorte Mädchen, die so tut, als würde sie niemals furzen, und vor Entgeisterung ohnmächtig wird, wenn sie doch mal einen fahren lässt. Ich lache.

Layla wirbelt zu mir herum. »Was?«

Kurz bin ich versucht, es ihr zu sagen. »Hör zu, wir wohnen hier zusammen, oder nicht? In dieser, ähm, Burg, sag ich mal. Zumindest für die nächsten paar Wochen, bis wir über die Ferien nach Hause fahren …« Und nie mehr wiederkommen.

Sie schnaubt. »Ich fahre in den Ferien nie nach Hause.«

Ich sehe ihr forschend ins Gesicht, kann aber keine Gefühlsregung entdecken. Wenn ich in den Ferien nicht nach Hause fahren könnte, wäre ich am Boden zerstört. »Okay, aber meinst du nicht auch, dass wir das Beste daraus machen sollten?«

Layla kehrt mir den Rücken zu und biegt in einen steinernen Gang ein, in den eine Reihe von schmalen Bogenfenstern gehauen sind. Die Mauer ist so dick, dass man in den Fensternischen bequem sitzen könnte. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich früher Bogenschützen in die Öffnungen gezwängt und feindliche Angreifer mit Pfeilen beschossen haben.

Layla übergeht meine nette kleine Plauderei einfach. »Es dauert eine Weile, bis man sich in diesem Gebäude zurechtfindet«, sagt sie. »Es ist sehr verwinkelt, aber man kann sich daran orientieren, dass es außen ein Rechteck bildet. Wenn man der Außenmauer folgt, findet man eigentlich immer wieder dahin zurück, wo man hinwill.«

Ich komme mir vor wie in einer Unterhaltung mit Agnes, der Kassiererin in unserem Supermarkt, die andauernd in sich hineinsummt und nie zuhört, wenn ihr jemand eine Frage stellt. Sie sagt dann jedes Mal, was ihr gerade durch den Kopf gegangen ist, anstatt die Frage zu beantworten. Emily und ich behandeln sie wie einen Glückskeks. Wenn sie uns mitteilt, dass die Artischocken außer Rand und Band sind oder dass Kartoffelkeime aussehen wie Zombiefinger, fassen wir das als Zeichen des Unheils auf, aber wenn sie von einer neuen Eiscreme-Lieferung redet, steht uns ein wunderbarer Tag bevor.

»Und wenn du in einen Innenhof oder Garten gelangst, befindest du dich irgendwo in der Mitte des Rechtecks«, leiert Layla in monotonem Ton herunter, als lese sie aus einer Broschüre vor. »Das gesamte Gebäude ist dreistöckig, bis auf einen Turm, der vier Stockwerke hat.«

»Blackwoods Büro«, sage ich, stolz, mir wenigstens ein Detail der Umgebung gemerkt zu haben.

»Ja.« Überrascht wirft sie mir einen flüchtigen Blick zu. »An dem Turm kannst du dich orientieren. Denk ihn dir als den nördlichen Eckpunkt. Der Wohntrakt der Mädchen liegt östlich davon. Direkt gegenüber, im Westflügel des Gebäudes, befindet sich der Wohntrakt der Jungen.«

Unterwegs zähle ich die Türen und Abzweigungen und präge mir hier einen Riss im Stein, dort eine besonders steile Stufe ein. Ich war immer das Kind, dem auf dem Rummel alle anderen nachgelaufen sind, weil ich nur eine Runde drehen musste, um mir zu merken, wo welche Bude und welches Fahrgeschäft liegt. Dad sagt, das kommt davon, dass ich den Wald hinter unserem Haus, in dem die räumliche Orientierung Millionen Mal schwerer ist als in einem Gebäude oder auf einem Rummel, in- und auswendig kenne.

Am Ende des Korridors geht Layla drei Stufen hinunter und biegt nach links ab. »Ich nehme an, der Stundenplan hier wird anders als das sein, was du gewohnt bist. Manche Stunden folgen direkt aufeinander, aber meistens haben wir Pausen dazwischen, weil die Fächer uns körperlich viel abverlangen. Montag bis Freitag sind die Tage sehr voll, am Wochenende haben wir ein bisschen mehr Freizeit. Aber die Lehrer können jederzeit spontan einen Wettkampf ansetzen oder eine Aufgabe stellen.« Sie schiebt ein loses Haar zurück in ihren Pferdeschwanz. »Jetzt betreten wir den Nordflügel, in dem die Klassenräume und die Büros der Lehrer liegen.« Sie wedelt mit der Hand in Richtung Wand. »Und im Südflügel sind die Gemeinschaftsräume – der Speisesaal, die Bibliothek, die Waffenkammern und so weiter.«

Ich bleibe jäh stehen. »Moment. Was für Waffenkammern?«

Sie bleibt ebenfalls stehen. »Wir haben eine recht umfangreiche Schwertersammlung. Und die Bögen und Messer gehören zum Besten, was man in dem Bereich bekommt.«

Erfreut horche ich auf. Mit einem echten Schwert habe ich noch nie gekämpft. Dad hat mir immer welche aus Holz gegeben, wenn ich trainieren wollte, was ich so oft getan habe, dass mir etliche kaputtgegangen sind. Und eine ganze Kammer voller Messer? Da bin ich sofort dabei.

»Die Gifte hingegen lassen zu wünschen übrig«, murmelt Layla und fährt, nun wieder an mich gewandt, fort: »Aber darüber brauchen wir jetzt noch nicht zu reden, in den Flügel des Gebäudes kommen wir erst heute Mittag.«

»Moment mal …« Mein Lächeln erstirbt. »Gifte?«

»Ich habe gehört, dass sie den Giftkunde-Lehrplan im kommenden Halbjahr erweitern wollen, dann könnte das besser werden.« Das sagt sie ganz sachlich.

Soweit ich das sehe, gibt es nur zwei Gründe, Gifte auf den Lehrplan zu setzen: weil man sie einzusetzen gedenkt oder weil man glaubt, dass man ihnen zum Opfer fallen könnte. Beides gefällt mir ganz und gar nicht. »Wozu haben wir denn Giftkunde?«

Sie sieht mich an, als hätte ich sie nicht mehr alle. »Du findest Messer aufregend, wunderst dich aber, warum wir Giftkunde haben? Wenn du einen auf unbekümmert und ahnungslos machen willst, musst du noch deutlich überzeugender werden.«

Ich starre sie an. »Messerwerfen, Bogenschießen und Schwertkampf sind Fertigkeiten. Gifte setzt man nur ein, wenn man anderen Schaden zufügen will.«

»Aha. Und Messer setzt man ein, wenn man mit anderen kuscheln will«, sagt Layla nüchtern und geht weiter. »Du hast jetzt einen Termin beim Leiter des Einstufungsverfahrens. Sein Büro ist hier am Ende des Flurs.«

Ich fasse sie am Handgelenk, aber bevor ich sie richtig festhalten kann, hat sie ihren Arm schon weggezogen. Sie funkelt mich böse an – die erste echte Regung, die ich an ihr erlebe. »Wehe, du machst das noch mal.«

»Deinen Arm anfassen? Tut mir leid. Aber unterbrich die Tour bitte mal kurz. Ernsthaft. Was soll das mit den Giften und dieser archaischen Auge-um-Auge-Regel?« Mein ungutes Gefühl verstärkt sich stetig, und ich habe immer mehr den Eindruck, dass hier etwas vor sich geht, über das ich Bescheid wissen sollte, von dem ich aber keine Ahnung habe. »Und was ist mit diesen Todesfällen an der Schule? Blackwood hat so was erwähnt. Ich weiß, dass ich nicht fragen darf, wer die anderen Schüler sind und so was, aber kannst du mir wenigstens ein bisschen was verraten? Sollte ich nervös sein?«

Eine Sekunde lang wirkt Layla ehrlich verwirrt. »Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.«

»Die Wahrheit. Was versprechen sich unsere Eltern davon, uns auf eine von der Außenwelt isolierte Schule zu schicken, an der alle Regeln mit unmittelbaren Gefahren zu tun haben?« Dass ich keinen blassen Schimmer habe, wo ich bin, passt mir ganz und gar nicht, aber noch schlimmer finde ich die Vorstellung, dass mein Dad bestimmte Dinge vor mir geheim gehalten hat.

»Hier ist es weniger gefährlich als irgendwo sonst«, sagt Layla, als hätte ich auch noch ihren letzten Funken Verstand beleidigt.

»Das kommt mir aber nicht so vor.«

Sie beugt sich zu mir und senkt die Stimme. »Du sollst aufhören, das Unschuldslamm zu spielen, hab ich gesagt.«

»Ich spiele nichts.« Ich zögere. Mein Instinkt sagt mir, dass ich sie fast so weit habe. »Es tut mir leid, falls ich dich verärgert habe, aber da mein Dad nicht hier ist, den ich mit Fragen löchern könnte …«

»Sprich leiser.« Ihr Ton ist herrisch und grimmig. Sie späht über ihre Schulter in den leeren Gang und stößt mich dann überraschend heftig in das Treppenhaus zurück, aus dem wir gerade gekommen sind. »Vielleicht ist das tatsächlich nicht gespielt. Vielleicht hast du wirklich keine Ahnung. Aber Dummheit bringt dich auch nicht weiter.« Ihre Stimme ist kaum lauter als ein Flüstern und der Vorwurf eindeutig.

»Warum sollte ich mich absichtlich ahnungslos geben? Was um alles in der Welt hätte ich davon?«

»Indem du deinen Vater und nur deinen Vater ins Spiel gebracht hast«, zischt sie, ohne auf meine Frage einzugehen, »hast du mir verraten, dass deine Mutter wahrscheinlich tot ist. Damit weiß ich etwas über dich. Dazu lässt deine Aussprache eindeutig auf eine amerikanische Herkunft schließen. Die Kleidung, die du bei deiner Ankunft gestern getragen hast, legt nahe, dass du in einer nördlichen Klimazone lebst, und dem Stil der Kleider nach zu urteilen würde ich eher auf eine ländliche Gegend tippen, keine Großstadt. Deine Gesichtszüge sind südeuropäisch, ich tippe mal auf Süditalien, wenn ich nach deinen Haaren und deinen Augen gehe. Also bleiben nur noch eine Handvoll Familien übrig, zu denen du gehören könntest. Soll ich weitermachen?«

Ich starre sie an. Wer – oder was – ist dieses Mädchen? »Familien? Welche Familien?«

Laylas Augen weiten sich und sie ballt die Hände zu Fäusten. »Du bist laut, du bist leichtsinnig, und mir würde es im Traum nicht einfallen, dir irgendwelche Auskünfte zu geben. Gut gespielt, aber du hast verloren.« Ihre Worte sind schneidend.

»Warte …«

»Für mich ist dieses Gespräch zu Ende«, sagt sie. »Ich fasse es einfach nicht, dass Rektorin Blackwood dich mir als Mitbewohnerin zugeteilt hat.« Sie geht mit schnellen Schritten davon.

Verdammt. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Charme bringt mich nicht weiter, hartnäckiges Nachfragen genauso wenig. Resigniert hebe ich beide Hände. »Hör zu, ich will dich wirklich nicht nerven. Ehrlich. Meine beste Freundin sagt immer, ich rücke anderen so lange auf die Pelle, bis ich sie damit vergraule. Ich kann verstehen, dass du mir nicht vertraust. Ich werde mich bemühen, das Ganze locker anzugehen und dich nicht mit Fragen zu bombardieren. Aber ich spiele dir nichts vor und ich habe keine Ahnung, wobei ich ›verloren‹ habe.«

Bevor sie antworten kann, gehen die Türen um uns herum knarzend auf, und Schüler strömen auf den Gang hinaus, alle in den gleichen weißen Hemden, engen schwarzen Hosen und Umhängen wie wir. Ist gerade eine Stunde zu Ende gegangen? Ich habe es nicht läuten hören. Während ich Gebrüll, Gelächter und Geschubse beim Unterrichtswechsel gewohnt bin, gibt es hier nur geflüsterte Unterhaltungen und bedachte Bewegungen.

Layla schlängelt sich durch die unheimlich stillen Schüler. Die Blicke, die mir zugeworfen werden, sind so verstohlen, dass ich, würde ich nicht gezielt darauf achten, glauben würde, niemand hätte mich bemerkt. Das glatte Gegenteil von dem unverhohlenen Glotzen und Tuscheln, mit dem Neue an meiner Schule in Pembrook empfangen werden.

Ein Schaudern überläuft mich. Irgendetwas ist hier verstörend anders. Dads Entscheidung kommt mir immer fragwürdiger vor. Vielleicht ist das Ganze ein Test, mit dem er mir endgültig meine zu große Vertrauensseligkeit vor Augen führen will. Fast höre ich ihn sagen: »Schau hin. Schau dir alles genau an und sag mir, ob ich recht habe – die Leute haben immer etwas zu verbergen.« Das Komische ist, dass wir zwar immer unterschiedlicher Meinung waren, ob wir anderen Menschen vertrauen können, aber ich trotzdem den Eindruck hatte, er sei insgeheim stolz darauf, wie sehr ich an das Gute im Menschen geglaubt habe. Vielleicht habe ich mich da getäuscht.

»Layla«, sagt ein Junge, der auf uns zukommt und mich damit jäh aus meinen Gedanken reißt. Er sieht ihr verblüffend ähnlich, nur dass sie zehn Zentimeter kleiner und er zehn Zentimeter größer ist als ich. Aber sie haben beide dieselbe majestätische Ausstrahlung. »Sieh mal einer an«, fährt er fort. »Müsstest du nicht schon bei der Einstufung sein?«

Offenbar hat Layla ihm bereits heute Morgen von mir erzählt. Entweder das, oder sie wussten von irgendwoher, dass ich hierherkomme, was mich noch mehr beunruhigt. Wenn es hier weder Telefon noch Internet gibt, können sie nur davon gewusst haben, wenn das alles schon Tage im Voraus arrangiert worden ist, also mehrere Tage, bevor ich es selbst wusste.

»Mildernde Umstände.« Layla sieht mich an, als wäre ich ein undefinierbares Gericht aus der Cafeteria. »Ash, das ist November, meine neue Mitbewohnerin. November, Ash.«

»Layla mit einer Mitbewohnerin. Wer hätte gedacht, dass dieser Tag je kommt?« Er sieht mich prüfend an und ich weiche instinktiv einen Schritt zurück. Unter seinem Blick fühle ich mich irgendwie entblößt – als hätte er einen gnadenlosen Scheinwerfer auf den Pickel gerichtet, von dem ich gehofft hatte, dass keiner ihn bemerkt. Sein Ton ist warm, nicht kalt wie Laylas, und dennoch wirkt seine Begrüßung kein bisschen herzlich.

»Du hattest bis jetzt keine Mitbewohnerin?«, frage ich. Blackwood hat zwar erwähnt, dass es nur hundert Schüler gibt, und zudem scheint das Gebäude riesig zu sein. Daher verwundert es nicht, dass manche Schüler ihre Wohnräume für sich allein haben. Aber so trist, wie hier alles wirkt, wäre das doch ziemlich einsam.

»Wir sind nicht alle dafür geeignet«, erwidert Layla, was sich eher wie eine Warnung als eine Erklärung anhört.

»Layla kümmert sich bestimmt gut um dich?«, schaltet sich Ash ein und wechselt so das Thema, bevor ich Layla weiter mit Fragen löchern kann. Je mehr er sagt, desto mehr Ähnlichkeiten zu Layla fallen mir auf – die Art, wie sie die Augenbrauen zusammenziehen, die markanten Wangenknochen, sogar der Verlauf ihres Haaransatzes.

»Absolut, ich habe von ihr eine ganz hervorragende Führung bekommen«, bestätige ich. »Aber bislang mache ich leider nicht sehr gut mit. Ich nerve sie andauernd mit Fragen.« Ich verstumme kurz, während ich überlege, was ich über ihn weiß. »Ist Ash die Kurzform von … Ashai?«

Sein Lächeln wirkt auf einmal etwas gezwungen. »Richtig. Es überrascht mich, dass Layla dir von mir erzählt hat. Das sieht ihr gar nicht ähnlich.«

Das kannst du laut sagen. »Hat sie auch nicht. Aber Ash ist in der Form ja kein ägyptischer Name. Und da Layla einen ägyptischen Namen hat, dachte ich mir, deiner müsste auch aus Ägypten kommen. Ihr seid doch Geschwister, oder?« Es macht mir nicht so einen diebischen Spaß wie sonst, wenn ich das tue. Stattdessen habe ich das Gefühl, etwas furchtbar Falsches gesagt zu haben.

Ash sieht nicht mich, sondern nur Layla an. »Du hast ihr gesagt, dass wir aus Ägypten kommen?«

Aha, das mit den Geschwistern habe ich schon mal richtig erkannt.

Layla streckt das Kinn vor. »Natürlich nicht.«

Sie starren sich einige lange Sekunden in die Augen. Auch wenn sie kein Wort miteinander wechseln, ist offenkundig, dass sie dabei lautlos kommunizieren.

Dann schaut Ash zu mir. »Ich habe heute Nachmittag frei. Vielleicht kann ich mich ja eurem Rundgang anschließen oder sogar für Layla einspringen, falls sie eine Pause braucht?«

Mein erster Impuls ist, abzulehnen, mich bei Layla zu entschuldigen und zu versprechen, ab jetzt den Mund zu halten, wenn sie mich nur nicht an ihn abschiebt.

Zum Glück schüttelt Layla den Kopf. »Du weißt, dass ich für sie verantwortlich bin«, erinnert sie ihn.

Gut, das hat sie jetzt nicht gerade schmeichelhaft formuliert, dennoch werfe ich ihr einen dankbaren Blick zu.

»Na, dann sehen wir uns wohl nachher beim Mittagessen. Ach, und Layla …« Er hält mehrere zu einem kurzen Zopf geflochtene Kiefernnadeln in die Höhe.

Layla sieht in der Tasche ihres Umhangs nach, während Ash triumphierend grinst. »Fünf zu vier«, sagt sie. Ich höre eine ganz leichte Verstimmung heraus. »Du hast gewonnen.«

Ash deutet eine kleine Verbeugung vor uns beiden an, dann verschwindet er in dem Strom dieser seltsamen Schüler, die sich allesamt eher wie Spione benehmen. Im direkten Kontakt ist seine eindringliche Art nicht leicht auszuhalten, aber als er davongeht, merke ich, dass es genauso schwer ist, ihm nicht nachzusehen. Ich bin nicht sicher, ob mich das neugierig macht oder einschüchtert.

DREI

Ich setze mich auf eins der weinroten Sofas im Einstufungsbüro, das hauptsächlich von dem Feuer in dem großen offenen Kamin erhellt wird. An den Wänden hängen Porträts von griesgrämig dreinschauenden alten Männern und Frauen, Holzbalken führen kreuz und quer über die Decke. Ich scharre mit dem Stiefel über einen verblichenen Teppich und sehe aus dem hohen schmalen Fenster, hinter dem nichts als dicke Äste zu erkennen sind.

Dr. Conner stellt ein silbernes Tablett mit dampfend heißem Brot, Butter und Marmelade auf den Tisch vor mir ab. Prompt knurrt mir der Magen. Es gibt kaum etwas Köstlicheres auf der Welt als frisches Brot. Und ich weiß nicht mal, wie viel Zeit vergangen ist, seit ich zuletzt etwas gegessen habe.

»Also, November, ich werde dir jetzt eine Reihe von Fragen stellen«, sagt Dr. Conner, während er sich auf das Sofa mir gegenüber setzt. Sein Akzent klingt britisch, und wie Blackwood trägt er ein schwarzes Jackett, nur mit einem weinroten Einstecktuch. Ich würde ihn ungefähr so alt wie meinen Vater schätzen, vielleicht sogar ein paar Jahre jünger.

»Das Wichtigste ist, dass du ehrlich antwortest.« Dr. Conner schlägt die Beine übereinander und öffnet eine lederne Mappe. »Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir die richtigen Fächer für dich wählen, immens. Da wir nach Beginn des Schuljahrs für gewöhnlich keine Schüler mehr aufnehmen, vor allem nicht in deiner Altersstufe, fehlt uns die Zeit, deine Stärken und Schwächen so gründlich und in aller Ruhe zu ermitteln, wie es eigentlich vorgesehen ist.«

»Klar. Schießen Sie los«, erwidere ich, während mein Hirn seine eigenen Ermittlungen anstellt. Conner – das kommt von»cunnere«, einem alten angelsächsischen Wort für »der Versucher, der Prüfer«, was wiederum auf cun, untersuchen, zurückgeht. »Hat Ihnen meine alte Schule Zeugnisse von mir geschickt?«

Er hebt eine Augenbraue. »Aber nein. Ich kann dir versichern, dass uns keinerlei Informationen darüber vorliegen. Und alles, was wir in diesem Büro besprechen, ist vertraulich und wird nur für Unterrichtszwecke verwendet. Niemand außer mir und Rektorin Blackwood hat Zugriff auf deine Akte.«

Die Warnungen von Layla und der Rektorin kommen mir in den Sinn. Dachte er, ich wollte nur herausfinden, welche persönlichen Daten sie von mir haben?

»Ah, gut. Dann fangen wir doch gleich an«, schlage ich vor, nun etwas weniger forsch.

Er streicht über seinen kurzen Bart und mustert mich stirnrunzelnd. »Bist du introvertiert oder extrovertiert?«

»Extrovertiert. Zu hundert Prozent«, gebe ich zurück.

»Hast du irgendwelche Verletzungen, die dich zurzeit in deinen Bewegungsmöglichkeiten einschränken?«

»Nö. Keine Verletzungen.«

»Wie steht es mit deinem Gleichgewichtssinn – kannst du an einer Felskante entlanggehen, auf einem Ast balancieren oder über ein Seil laufen?«

Ich merke, dass ich die Stirn krausziehe, während ich überlege, was die Frage soll. Das klingt nicht nach einer Einstufung für ein Schulfach, eher nach Extremsport. »Auf einem Ast balancieren. Gibt es hier denn Seiltänzer an der Schule?«

»Und deine Kletterkünste?«, fragt Conner, ohne auf meine Frage einzugehen.

»Hervorragend.«

Er sieht kurz auf. »Wie hervorragend?«

Allmählich habe ich den Eindruck, dass keine seiner Fragen mit meinen schulischen Leistungen zu tun haben wird. »Auf Bäume kann ich am besten klettern, aber ich komme auch problemlos an Felswänden hoch oder an Masten … Ich kann an allem hochklettern, das eine strukturierte Oberfläche hat und mir einen Halt bietet. Das ist eine Art …« Ich beiße mir auf die Zunge, bevor ich damit rausplatzen kann, dass meine Freunde in Pembrook eine Wette laufen haben, worauf ich alles klettern kann und wie schnell. Regel Nummer eins, ermahne ich mich.

Er hebt die Augenbrauen. »Nacht oder Tag?«

»Beides ist okay.«

»Nacht oder Tag?«

»Wirklich, für mich geht beides.«

»Freut mich, dass du das glaubst« – er klingt ganz und gar unerfreut –, »aber wenn ich dir zwei Optionen nenne, erwarte ich, dass du dich für eine entscheidest.«

Ich setze mich anders hin, obwohl meine Position eigentlich ganz bequem war. »Nacht.«

»Warum?«, fragt er und sieht mich prüfend an.

»Na ja …« Ich stocke. »Es macht mir nichts aus, wenn es dunkel ist, und manchmal kann das ganz nützlich sein.«

Er nickt und notiert sich etwas. Bei seinen bizarren Fragen würde ich inzwischen wirklich gern sehen, was er sich da aufschreibt.

»Welcher deiner Sinne ist deiner Ansicht nach am stärksten ausgeprägt?«

»Hm, also, da muss ich überlegen.« Als ich klein war, hat Dad sich ein Spiel für uns ausgedacht, bei dem sich einer von uns die Augen verbinden und dem anderen fünf Minuten lang vom Haus weg in den Wald hinein folgen musste. Der Sehende lief im Zickzack und im Kreis herum, um den Blinden zu verwirren, aber wenn der trotzdem zum Haus zurückfand, hatte er gewonnen. Ich schaffte das, indem ich die Ohren spitzte und die Bäume berührte. Dad behauptete felsenfest, er folge seiner Nase, was ich ihm nie wirklich abgenommen habe. Mit solchen Parcours-Strategie-Spielen kam er an, nachdem meine Mom gestorben war. Damals war ich sechs. Von da an machten wir an langen Wochenenden immer Camping-Ausflüge, bei denen er mir alle möglichen Tricks beibrachte – eigentlich waren es Überlebensfertigkeiten, auch wenn sie für mich damals nur lustige Outdoor-Spiele waren. Er hat es nie zugegeben, aber ich glaube, er wollte, dass ich mich dabei körperlich und mental verausgabe, damit ich nicht so viel nach meiner Mutter frage.

Conner räuspert sich. »Nächste Frage.«

»Moment, ich habe die Antwort.«

Er sieht mich vielsagend an. »Ich sagte, nächste Frage, November.«

»Eine Kombination aus Tast- und Hörsinn«, verkünde ich schnell, bevor er weitersprechen kann. Nicht weil ich die Frage unbedingt beantworten wollte, sondern weil ich mir nicht gern den Mund verbieten lasse.

Er reagiert nicht. »Würdest du lieber auf einen Baum klettern, in See stechen oder schmerzfrei sein?«

Ich zögere. Dad hat mir solche Persönlichkeitsfragen manchmal zum Spaß gestellt. Ich habe ihn immer damit aufgezogen, dass das bestimmt eine Marotte aus seiner Zeit bei der CIA ist. Aber was hat das bitte zu besagen, ob ich gern in See steche, welcher meiner Sinne der stärkste ist und ob ich ein Nacht- oder Tagmensch bin?

»Das ist keine schwere Frage«, sagt Conner, und meine Gedanken beginnen zu rasen.

Auf einen Baum klettern bedeutet wahrscheinlich, dass man einfach seinen Spaß haben oder im Moment leben will. In See stechen? Alles hinter sich lassen, weil man mit seiner gegenwärtigen Situation unzufrieden ist. Schmerzfrei sein … Abgesehen von der wörtlichen Bedeutung weiß ich nicht so recht, worauf das hindeuten soll.

Conner zupft an seinem Bart.

»Schmerzfrei sein«, sage ich, obwohl auf einen Baum klettern auf mich viel eher zutrifft. Aber unbeschwerte Lebensfreude scheint mir das Letzte zu sein, worauf an dieser Schule Wert gelegt wird.

Er brummt. »Und dein räumliches Vorstellungsvermögen?«

»Ordentlich.«

»Deine Kondition?«

»Ich habe immer viel Sport getrieben … also ziemlich gut, würde ich sagen.«

»Codes?«

»Ob ich die knacken kann?« Himmel, der Typ verliert echt kein Wort mehr als nötig.

»Dechiffrieren oder erstellen.«

Ich zucke die Schultern. »Keine Erfahrung.«

Er schaut mich kurz an, und ich habe den Eindruck, er glaubt mir nicht. »Okay, gut. Damit haben wir zumindest ein paar Anhaltspunkte für die Fächerauswahl.«

Fächerauswahl – mittlerweile ist ziemlich klar, dass die Fächer, von denen Blackwood und Layla gesprochen haben, nicht irgendwelche AGs sind, sondern die Kernfächer. Zwar trauere ich Englisch oder Mathe nicht nach, aber es ist schon ein Schock, dass eine Schule, die eigentlich auf ein Studium vorbereiten sollte, überhaupt keine akademischen Fächer unterrichtet.

Conner legt die Ledermappe auf den Tisch und wirft einen Blick auf das Frühstückstablett, das ich nicht angerührt habe. »Willst du kein Marmeladenbrot?«

»Danke, ich möchte nichts. Sie können gern ohne mich essen«, sage ich und bemühe mich, der Versuchung zu widerstehen, indem ich nicht hinsehe.

»Du bist doch sicher hungrig. Du hast noch nicht gefrühstückt«, sagt er mit einem Lächeln.

Nachdem ich im Flugzeug offensichtlich betäubt worden bin, rühre ich davon keinen Bissen an. Ich sehe ihm herausfordernd in Gesicht. »Das ist ein Einstufungstest, und Sie prüfen mich gerade, oder nicht? Da kann ich nicht anders, als dieses Essen für einen Teil der Prüfung zu halten. Und ich bin nicht sicher, ob ich herausfinden will, was drin ist.«

Sein Gesichtsausdruck verändert sich, als hätte er etwas gefunden, wonach er gesucht hat. »Du bist misstrauisch. Oder vielleicht traust du nur mir nicht.«

Kurz bin ich irritiert. Das ist das erste Mal, dass mich jemand als misstrauisch bezeichnet. Und dieser Kommentar ist irgendwie anders als die vorherigen – als fühle er mir auf den Zahn, anstatt einfach nur Informationen abzufragen. »Ich mache nicht gern denselben Fehler zweimal«, sage ich vorsichtig.

Er reagiert nicht sofort, und ich sehe ihm an, wie es in ihm rattert, während er die Erkenntnisse über mich einordnet. Es ist ein unangenehmes Gefühl, so analysiert zu werden, ohne zu wissen, worauf er eigentlich achtet und welche Art von Schlüssen er daraus zieht.

Conner lehnt sich auf dem Sofa zurück, und seine entspannte Haltung wirkt fast einladend, als würde ich mit einem Freund meines Vaters plaudern, nicht mit einem wortkargen Prüfer. Ach, Dad. In einem plötzlichen Anfall von Heimweh krampft sich mein leerer Magen zusammen.

»Wie viel weißt du über die Akademie, November?«, fragt Conner.

»Sehr wenig.« An seinem Blick merke ich, dass er das für die Wahrheit hält.

»Rektorin Blackwood hat mich gebeten, dir etwas über die Geschichte unserer Schule zu erzählen und darüber, was hier von dir erwartet wird«, sagt er, und ich beuge mich vor.

»Ja, bitte.« So, wie die Dinge stehen, bin ich für jede noch so kleine Information dankbar.

Er faltet die Hände auf dem Schoß. »Aber«, erklärt er mit Nachdruck, »dieser kurze Überblick kann keinesfalls das breite Wissen der ersten beiden Schuljahre ersetzen, das dir fehlt.«

Ich habe den Eindruck, er will mich warnen, was mich verblüfft. Warum nehmen sie mich dann überhaupt auf, wenn ich so viel Stoff verpasst habe?

»Doch bevor wir darauf zu sprechen kommen – Rektorin Blackwood hat dir die Regel Nummer eins klargemacht, nicht wahr?«

»Niemals persönliche Informationen über sich selbst oder die eigene Familie preisgeben.«

Conner nickt. »Wir bitten dich außerdem, bei Mitschülern, die du wiedererkennst, besondere Vorsicht walten zu lassen. Uns ist bewusst, dass es unvermeidlich ist, hier auf bekannte Gesichter zu treffen. Aber gerade in den Momenten, in denen du dich am sichersten fühlst, bist du am angreifbarsten.« Wieder habe ich den Eindruck, dass er auf meine Reaktion lauert.

»Kein Problem«, versichere ich ihm. »Ich kenne hier keinen.«

Er sieht mich länger an und räuspert sich. »Na dann. Also … Die Akademie wurde von dem allerersten Rat der Familien als Elite-Lehranstalt für ihre besten und klügsten Kinder konzipiert. Zum ersten Mal arbeiteten sämtliche Familien gemeinsam auf ein Ziel hin. Damals kamen sie überein – und diese Übereinkunft gilt immer noch –, dass die strategische Kompetenz und die Sicherheit ihrer Kinder Vorrang vor politischen Angelegenheiten haben sollten.«

Hier steige ich endgültig aus. Welche politischen Angelegenheiten? Aber noch bevor ich den Mund aufmachen kann, spricht er weiter.

»Den genauen Gründungszeitpunkt kann ich dir nicht nennen, da das Geheimhaltungsgebot die Überlieferung mancher Informationen verhindert hat. Viele gehen aber davon aus, dass sie vor etwa 1500 Jahren gegründet wurde, ungefähr tausend Jahre, nachdem sich die drei ursprünglichen Familien gebildet hatten. Was ich dir hingegen sagen kann, ist, dass die Academia Absconditi sich schon seit dem Jahr 1013 in diesem Gebäude hier befindet.« Er hebt das Kinn ein Stück höher, als wäre das ein Grund, stolz zu sein.

Familien – schon wieder dieses Wort. Als ich Layla danach gefragt habe, hat sie so getan, als wollte ich sie absichtlich ärgern. Conner scheint ebenfalls anzunehmen, dass ich weiß, was damit gemeint ist, und ich bin unschlüssig, ob ich ihn in dem Glauben lassen soll. Schließlich nicke ich mit wissender Miene.

»Es gibt eine Reihe von Pflichtfächern, die alle Schüler belegen«, sagt Conner. »Darüber hinaus wählt ihr Zusatzfächer wie Akzente, Kampfsport, Verschlüsselung, Boxen, Bogenschießen und Gartenbaukunst. Auch wenn es in jedem Jahrgang stärkere und schwächere Schüler gibt, unterscheidet sich das Niveau zwischen der Elementarstufe, also den ersten beiden Schuljahren, und der Oberstufe ganz erheblich. Wenn ein Schüler der Elementarstufe den Übertritt in die Oberstufe nicht meistert, darf er nicht bleiben.« Conner macht eine vielsagende Pause, die mir offenbar die Tragweite seiner Worte bewusst machen soll.

»Das heißt, mit siebzehn bin ich wahrscheinlich im dritten Jahr und damit in der Oberstufe?«, frage ich.

»Richtig. Man hat uns versichert, du seist physisch stark genug, um mitzuhalten. Aber das wichtigste Fach, das allem Unterricht hier zugrunde liegt, ist Geschichte. Bedauerlicherweise hast du den Stoff von zweieinhalb Jahren verpasst, der nicht nur die jeweilige Historie der ursprünglichen Familien behandelt, sondern auch die wesentlichen historischen Ereignisse, auf die sie Einfluss genommen haben. Die Strategie, die wir im Zusammenhang mit diesen historischen Ereignissen analysieren, wird die Grundlage deiner Ausbildung sein. Rektorin Blackwood hofft darauf, dass deine Privatlehrer dir genug Wissen vermittelt haben, damit du die anderen Schüler nicht bremst. Wie gesagt, herausragende Leistungen werden vorausgesetzt.«

Die Geschichte ist die Lehrerin des Lebens: Jetzt leuchtet das Schulmotto natürlich ein. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass Dad mich umbringen würde, wenn ich wegen so einem abstrusen Fach von dieser Privatschule fliege, für die er mit Sicherheit ein Schweinegeld bezahlt hat. Ich reibe die Hände. »Und wenn ich selbstständig ein bisschen was nacharbeite, nur zur Sicherheit? Gibt es denn ein Buch, das ich lesen könnte?«

Conner sieht mich so lange mit gerunzelter Stirn an, dass ich irgendwann verlegen hüstele. »Ich fürchte«, sagt er und löst sich endlich aus seiner seltsamen Starre, »wenn dir nicht klar ist, dass es von dieser Geschichte keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, wirst du hier unmöglich unter deinen Mitschülern überleben können.«

Das Wort überleben