King - Er wird dich lieben - T. M. Frazier - E-Book

King - Er wird dich lieben E-Book

T. M. Frazier

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Beschreibung

Sie erinnert sich an alles - und würde am liebsten alles wieder vergessen!

Als Doe zum ersten Mal dem berühmt-berüchtigten Brantley King gegenüberstand, hätte sie nie gedacht, dass sie sich eines Tages in ihn verlieben könnte. Völlig verloren und ohne Erinnerung daran, wer sie ist oder woher sie kommt, hatte sie genug andere Probleme. Doch auf der Suche nach ihrer Vergangenheit wurde King ihr Beschützer, ihr Geliebter, ihr Freund und ihre ganze Welt. Doch jetzt hat King sie verraten - einer Familie überlassen, die sie nicht kennt, und in ein Leben geworfen, das nicht mehr ihres ist. Doe muss sich entscheiden zwischen allem, wonach sie so lange gesucht hat, und dem Mann, der ihr nun den Rücken gekehrt hat ...

Band 2 der KING-Reihe von T. M. Frazier

"Superheiß und so bad!” Kylie Scott, Spiegel-Bestseller-Autorin

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Seitenzahl: 370

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungZitatProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. KapitelEpilogDankDie AutorinT.M. Frazier bei LYXImpressum

T. M. FRAZIER

King

Er wird dich lieben

Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann

Zu diesem Buch

Als Doe zum ersten Mal dem berühmt-berüchtigten Brantley King gegenüberstand, hätte sie nie gedacht, dass sie sich eines Tages in ihn verlieben könnte. Völlig verloren und ohne Erinnerung daran, wer sie ist oder woher sie kommt, hatte sie genug andere Probleme. Doch auf der Suche nach ihrer Vergangenheit wurde King ihr Beschützer, ihr Geliebter, ihr Freund und ihre ganze Welt. Doch jetzt hat King sie verraten – einer Familie überlassen, die sie nicht kennt, und in ein Leben geworfen, das nicht mehr ihres ist. Doe muss sich entscheiden zwischen allem, wonach sie so lange gesucht hat, und dem Mann, der ihr nun den Rücken gekehrt hat …

Für meinen Popop.Und für jeden, der jeden Tagohne die Liebe seines Lebens leben muss.

Wenn die Liebe deines Lebens geht,ist der Mensch fort,

doch die Liebe besteht.

T. M. FRAZIER

Prolog

King

Im Schnitt beträgt die Zeit zwischen zwei Inhaftierungen bei einem Berufsverbrecher ein halbes Jahr.

Ich war erst drei Monate draußen.

Ich hatte erwartet, Max in diesem Wagen vorzufinden. Stattdessen schloss sich kaltes Metall um meine Handgelenke, und dieses Arschloch besaß die Frechheit zu lachen, als er die Handschellen so fest zuzog, dass es verdammt schmerzte.

Ich zuckte aber nicht zusammen. Die Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Ziemlich grob drückte er meinen Kopf hinunter und schob mich energisch in den alten Streifenwagen. Ich landete auf der Seite, und meine Wange knallte gegen den klebrigen Sitz. Es roch nach Kotze und falschen Entscheidungen. Meine Hände prickelten, weil das Blut nicht mehr richtig in ihnen zirkulierte.

Dieses Arschloch konnte von Glück sagen, dass ich Handschellen trug.

Drei Jahre. Drei verdammte Jahre hatten sie mich schon eingebuchtet, und jetzt würden sie mich noch sehr viel länger dabehalten.

Bei einer Entführung würde ich nicht mit einem Klaps auf die Hand davonkommen, schon gar nicht bei meinem langen Vorstrafenregister. Ich hatte mir geschworen, nie wieder dorthin zurückzugehen, aber Versprechen hatte ich noch nie besonders gut halten können.

Doch im Grunde machte ich mir einen feuchten Dreck daraus. Sollte das System mich doch schlucken. Jetzt gehörte ich zu ihnen, aber ich gehörte ihnen verdammt noch mal nicht. Ich würde ihnen niemals gehören.

Ich gehörte ihr.

Mit meinem Herzen und meiner verdammten schwarzen Seele.

Jeden verdammten Tag würde ich meinen kratzigen orangefarbenen Overall tragen und mich mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht in die Essensschlange einreihen. Ich würde mit den Bösesten der Bösen Karten spielen und höflich zu den Wärtern sein, damit sie hin und wieder Nachsicht mit mir übten. Nachts, wenn ich mit meinem Schwanz in der Hand allein in meiner fensterlosen Zelle lag, würde ich daran denken, wie es war, sie in meinem Bett zu haben. Wie ihre unschuldigen, großen Augen mich anblickten, wenn ich mich in ihr bewegte, wie sie den Rücken wölbte und ihren Arsch an mich presste, als ich sie immer wieder kommen ließ.

Ich redete mir ein, dass ich ihr nichts zu bieten hatte, aber das stimmte nicht.

Ich hatte ihr Liebe zu bieten.

Die Kleine. Doe. Ray. Wie ihr verdammter Name auch immer lauten mochte. Ich liebte sie mehr, als es normal, vernünftig und gesund war, und ich würde in diesem verfickten Knast mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht verfaulen, solange ich nur wusste, dass es meinem Mädchen gut ging.

Aber das wusste ich eben nicht. Ich konnte es nicht wissen.

Ich hätte verdammt noch mal damit rechnen müssen, dass dieses Arschloch meine Pläne durchkreuzen würde.

»Der berüchtigte Brantley King«, sagte dieses Schwein mit einem breiten Grinsen im Gesicht, als er sich auf den Fahrersitz setzte. Das Leder quietschte unter seinem Gürtel wie Plastik, als er die Tür schloss und den Motor anließ. »Man sollte meinen, du hättest deine Lektion inzwischen gelernt, Junge.«

Er lachte und schüttelte den Kopf. Offensichtlich bereitete es diesem Typ ein krankes Vergnügen, dass er es gewesen war, der mir die Handschellen angelegt hatte.

»King«, stellte ich herausfordernd richtig. Niemand außer ihr nannte mich Brantley.

»Verzeihung?«, fragte er und blickte mich im Spiegel mit erhobenen Brauen an.

Ich richtete mich auf dem Sitz auf und starrte ihn an, als könnte ich direkt in seine dreckige Seele blicken. »Ich heiße King, Arschgesicht.«

Die Wut in mir nahm gewaltige Ausmaße an. In diesem Augenblick bemerkte ich, dass der Detective nicht auf die Hauptstraße abbog, sondern auf dem schmalen Weg blieb und geradeaus in den Wald fuhr.

Dieser Typ war kein verdammter Cop. Ich entdeckte seine Knarre; er hatte sie auf das Armaturenbrett gelegt. Es war eine Judge, nicht die Art Pistole, die zur Standardausrüstung der Polizei gehörte. Dieser Typ brachte mich nicht ins Gefängnis.

Er wollte mich umlegen.

Es war höchste Zeit.

Meine Mädels brauchten mich.

Und vor allem brauchte ich sie.

Der Schwachkopf hatte mir die Hände vor dem Körper gefesselt. Schon das hätte mir verraten müssen, dass etwas nicht stimmte. Ein echter Cop würde so etwas nie tun, es sei denn, er transportiert einen nicht gewalttätigen Straftäter.

Der ich nicht war.

Mit der Kette, die meine Handschellen miteinander verband, drückte ich den Hals des falschen Detectives gegen die Kopfstütze und zog mit aller Kraft, bis es sich anfühlte, als würden meine Oberarmmuskeln explodieren.

Seine Hände ließen das Lenkrad los, er ruderte wild mit den Armen und versuchte, mich am Kopf zu treffen, aber ich wich ihm aus, indem ich mich hinter den Sitz duckte.

Der Wagen kam vom Weg ab und raste hüpfend über eine Stelle mit kniehohen Wurzeln.

Der Druck hinter meinen Augen wuchs, während ich an den Handschellen zerrte. Ich ließ erst locker, als der Wagen krachend zum Stehen kam und jedes Leben aus seinem Körper gewichen war.

Der falsche Cop hatte recht. Ich würde immer der berüchtigte Brantley King bleiben.

Aber das war für mich in Ordnung, denn der Senator hatte einen Denkzettel verdient. Niemand nahm sich, was mir gehörte, ohne dafür in Form von Blut, Schweiß oder einer Pussy zu bezahlen.

Er nahm mir mein Mädchen weg. Er wollte mir mein Leben nehmen.

Und dafür würde er mit Blut bezahlen.

1. Kapitel

King

Rache ist süß.

Sagt man jedenfalls. Aber erst, als ich aus dem Wrack kroch und mir Glassplitter aus der Haut pulte, wurde mir klar, wie viel Wahrheit in diesem Sprichwort steckt.

Ich hatte den Geschmack der Rache praktisch auf der Zunge, ich sabberte geradezu vor Vorfreude auf den Moment, in dem ich dem Senator einen der Riemen an meinem Arm um seinen verdammten Hals legen konnte, weil er mich beschissen hatte.

Es war erst wenige Minuten her, dass ich einen Menschen getötet hatte.

Aber es war schon lange her, dass ich daran Spaß gehabt hatte.

Durch meine Venen floss genug Adrenalin, um einen Toten wieder zum Leben zu erwecken.

Und ich war high davon.

Ich ernährte mich davon.

Es war, als hätte ich meine Nase in eine Schüssel mit Koks gesteckt und so lange inhaliert, bis ich mich unbesiegbar fühlte.

Wie ein verdammter Gott.

Und ich hatte auch nicht vor, wieder runterzukommen, solange die Scheiße, die ich gebaut hatte, nicht wieder in Ordnung gebracht war. Jedes Arschloch, das womöglich die Eier hatte, sich mir in den Weg zu stellen, tat mir jetzt schon leid.

In diesem Moment hörte ich es zum ersten Mal.

Ihn.

Preppy.

Zeit, diesen Schwanzlutschern zu zeigen, dass sie sich mit dem falschen Typ von der falschen Seite des verdammten Trailerparks angelegt haben. Ich hörte Preppys Stimme so deutlich in meinem Kopf, als würde er neben mir stehen.

Verdammte Scheiße, ich wurde offenbar wahnsinnig.

Als ich es endlich aus dem Wald bis zum Haus geschafft hatte, stieg Bear gerade von seiner Maschine. Er sah mich und warf seine Zigarette auf den Boden. Die Stirn in Falten gelegt, die Fäuste geballt, marschierte er mit wütenden Schritten auf mich zu. »Hör zu, Arschloch, ich will mich nicht prügeln, aber die Art, wie du diesen Bullshit hier abziehst, ist nicht in Ordnung. Sie verdient etwas Besseres als das, etwas Besseres, als so beschissen belogen …« Bear unterbrach sich, als er den Dreck und das Blut sah, mit denen ich besudelt war. »Was zum Teufel ist denn mit dir passiert?«

Ich ignorierte die Frage, schob ihn beiseite, rannte auf das Haus zu und die Verandatreppe hoch. Ich riss die Tür so heftig auf, dass die obere Türangel ausriss und die Schrauben auf die Veranda fielen. »Kleines!«, rief ich. Ein Teil von mir hoffte, dass sie es irgendwie fertiggebracht hatte hierzubleiben. Aber in der Sekunde, in der ich das Haus betrat, wusste ich, dass sie weg war. Ich konnte die Leere spüren. »Fuck!«, brüllte ich und schleuderte einen der Küchenstühle durch den Raum. Er prallte auf den gläsernen Kaffeetisch, dessen Platte in der Mitte zersprang, und schlug schließlich ein Loch von der Größe eines Basketballs in die Rigipswand.

Bear war mir ins Haus gefolgt. »Erzählst du mir, was passiert ist, oder willst du lieber noch ein bisschen das verdammte Haus einreißen?« Ich schob mich an ihm vorbei in die Garage. Ich brauchte meine Maschine und ein paar Ausrüstungsgegenstände.

Die Art Ausrüstung, für die man Munition braucht.

»Nichts, was ein verdammter Leichensack nicht wieder in Ordnung bringen könnte.«

Eine Handschelle war immer noch verschlossen, die andere baumelte offen an meinem Handgelenk, beschmiert mit dem Blut des falschen Bullen. Als das Arschloch tot und das Auto gegen den Baum gekracht war, kroch ich sofort nach vorne. Zum Glück hatte der Idiot die Handschellenschlüssel noch in der Tasche.

»Das sehe ich«, sagte Bear. »Wo zum Teufel ist Doe?« Der allzu fürsorgliche Ton in seiner Stimme ging mir irgendwie auf die Nerven, aber darum würde ich mich später kümmern.

Wenn ich mein Mädchen wiederhatte.

»Der ehrenwerte Herr Senator hat mich gelinkt. Da war keine Max. Und als ich die Kleine das letzte Mal gesehen habe, hat sie geschrien und um sich getreten, während ich von einem Kerl, der mich umbringen sollte, weggeschafft wurde.« Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sie sich gegen den Griff des Senators gewehrt hatte, und ich sah rot. »Mach ein paar Anrufe«, sagte ich knapp. »Finde raus, wo er sie hingebracht haben könnte.«

»Fuck.« Anstatt sein Handy herauszuholen, beugte Bear sich nach vorn und stützte die Hände auf die Knie.

»Was ist, verdammt noch mal?«

Bear rieb sich die Nase. »Hör mal, es gibt einen Grund, warum ich hier bin. Außer dir wegen dem Mist mit Doe in den Arsch zu treten, meine ich. Ich glaube, bevor du dieses Problem mit ein paar Kugeln löst, solltest du wissen, dass es vielleicht gar nicht der Senator war, der dich umlegen lassen wollte«, sagte er und richtete sich wieder auf. Er lehnte sich an die Wand und zündete sich eine Zigarette an.

»Was zum Teufel soll das heißen? Er hat mich von dem Typ verhaften lassen. Natürlich war er es.«

Bear schüttelte den Kopf. »Der Senator ist ein Problem, aber keineswegs unser einziges Problem. Vor knapp zwanzig Minuten hat Rage angerufen, und du weißt, der Lutscher hat seine Augen und Ohren überall. Er sagt, die Sache mit Isaac ist noch nicht vorbei. Noch lange nicht.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und die Asche seiner Zigarette fiel auf den Teppich.

»Ich hab dem Arschgesicht das Hirn persönlich rausgeblasen. Für mich sah das ziemlich endgültig aus«, widersprach ich.

»Um Isaac geht’s nicht, den fressen die Würmer. Aber irgendjemand ist stinksauer, weil Isaac jetzt zu tot ist, um weiterhin in Florida seinen Stoff für ihn zu verticken. Jemand, der keine Hemmungen hat, ganze Familien abzuschlachten, um an die Leute heranzukommen, die sich mit ihm angelegt haben.«

Ich erstarrte. Ich wusste genau, von wem er sprach. »Eli.«

»Ja, Mann«, bestätigte Bear. »Und wäre ich ein Spieler, würde ich mein gesamtes Geld darauf setzen, dass Eli dich noch lieber tot sehen will als Does liebender Vater.«

Eli Mitchell war derjenige, bei dem Isaac immer sein Drogengeld abliefern musste. Okay, zumindest war es so gewesen, bevor Preppy, Bear und ich Isaac und den größten Teil seiner Leute kaltgemacht hatten. Mit seiner dicken Sonnenbrille und der gedrungenen Statur traute Eli niemand auch nur die Hälfte von dem Bullshit zu, den er an jedem verdammten Tag erledigen ließ.

Wenn man ein Kaninchen aus seinem Bau jagen will, wirft man eine Rauchbombe hinein. Elis Version einer Rauchbombe war es, jeden umzubringen, den man jemals geliebt hat, bis man sich zeigte und er einen schließlich auch noch töten konnte.

»Mein Nachrichtendienst sagt, dass Eli noch in Miami ist, aber er wird reagieren, und zwar bald. Der Club hat sich aus Angst vor dem Gegenschlag eingeigelt. Pops ist tierisch angepisst.«

»Erst Isaac und jetzt dieser verdammte Eli«, sagte ich. »Man kommt echt nicht zum Luftholen. Manchmal denke ich, ich wäre besser im Knast geblieben.«

»Ich versteh dich ja, Mann. Geht mir genauso. Das hier ist kein Bikerscheiß mehr. Das ist Kartellscheiß. Größer, gemeiner … tödlicher«, sagte Bear. »Und ich habe keinen sicheren Platz für Grace. Ich weiß, sie war dir eine bessere Mutter, als es deine Schlampe von leiblicher Mutter jemals sein konnte, aber Pops’ Arsch ist gerade extrem dünnhäutig. Er will nicht, dass jemand Zivilisten mit in den Club bringt, und in der jetzigen Situation schon gar nicht, aber wir müssen was Sicheres für sie finden, wo sie eine Weile bleiben kann.« Bear blickte zu mir hoch, und plötzlich begriff ich, was er mir zu sagen versuchte.

»Ich habe niemanden, der nicht im Club ist und mir so nahesteht, dass sich ein Mord lohnen würde. Im Gegensatz zu dir«, sagte er.

Die Kleine.

»Fuck!«, schrie ich, als mir klar wurde, dass ich sie nicht nach Hause bringen konnte. Ich drehte mich um und boxte so hart gegen die Wand, dass ein Riss durch die Rigipsplatte lief. Der Schmerz schoss mir bis in die Schulter hinauf, aber er war leichter zu ertragen als das Gefühl, das darunterlag. Das Gefühl des Versagens. »Ich bin schuld, dass Prep tot ist. Ich hätte ihn niemals mit dieser Gewächshaussache anfangen lassen dürfen. Ich hätte …« Ich fuhr mir durch die Haare. Es war zu viel, um alles aufzuzählen. Die vergangenen Monate waren bis oben hin angefüllt mit Glück, Trauer und Bedauern. Es gab so viel, das ich gerne ungeschehen gemacht hätte. Ich hatte gedacht, dass Max alles war, was mir im Leben fehlte. Aber jetzt waren es Max, die Kleine … Preppy.

Und egal, was ich tat und wen ich noch tötete, Prep würde niemals zurückkommen.

»Was hast du vor, Mann?«, fragte Bear.

»Wir müssen ihn erwischen, bevor er uns erwischt … heute Nacht«, sagte ich und knackte mit den Fingerknöcheln. Keine Zeit mehr für Trauerfeiern. Ich musste noch ein paar Leute umbringen.

»Gewagte Aktion, Mann.«

»Mag sein, aber ich muss zuerst die Kleine finden. Vielleicht kann ich sie da nicht rausholen, aber ich muss zu ihr. Ich muss ihr sagen, was los ist.«

Bear nickte. »Ich kann rauskriegen, wo sie ist und ihr eine Nachricht zukommen lassen«, bot er an.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das muss ich persönlich mit ihr klären. Sonst hört sie gar nicht erst zu.«

»Das verstehe ich. Denn wenn ich sie wäre, dann hätte ich jetzt Lust, dir deine verdammten Eier abzuschneiden«, sagte Bear.

Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. Er sollte das bisschen Geduld, das ich noch hatte, besser nicht überstrapazieren. »Okay, ich krieg raus, wo sie ist«, murmelte Bear und zog sein Handy aus der Tasche. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf dem Fensterbrett aus und zündete sich gleich eine neue an. »Diese ganze Scheiße ist verdammt gewagt, Mann. Hast du einen Schlag auf den Kopf gekriegt oder was?«

Ich trat auf die Veranda hinaus, beugte mich über die Brüstung und atmete die salzige Nachtluft ein. »Ja, so was Ähnliches. Ich habe dasselbe Problem wie die Kleine.«

»Und das wäre?«, fragte Bear und lehnte sich seitlich an die Brüstung.

»Wir haben beide vergessen, wer wir eigentlich sind, verdammt.«

Bear tippte ein paar Zahlen ein, und ich konnte das Freizeichen hören, als er sich das Handy ans Ohr hielt. »Und? Weißt du es jetzt wieder?«

»Ja, ich weiß es wieder.«

»Und wer bist du?«, fragte Bear.

»Ich bin der verdammt böse Junge.«

2. Kapitel

Doe

Schockiert.

Sprachlos, mit offen stehendem Mund. Überwältigt. Betäubt.

Aber vor allem war ich schockiert, als ich in diesem Auto saß.

Ich hatte tausend Fragen, war aber nicht in der Lage, auch nur eine einzige davon zu stellen.

Und natürlich schaffte ich es auch nicht, mich mit den beiden Männern gutzustellen, die behaupteten, zu meiner Familie zu gehören. Für mich waren sie einfach nur Fremde, die mich mit Waffengewalt gezwungen hatten mitzukommen.

Ein kleiner Junge mit blonden Locken und Augen, die so eisblau waren wie meine.

Ein kleiner Junge, der mich Mommy nannte.

Seit ich ohne jede Erinnerung aufgewacht war, war mein Leben ein Tohuwabohu unglaublicher Ereignisse, die sich zu einem riesigen Knoten verschlungen hatten. Immer, wenn ich naiv genug war zu glauben, dass ich den Knoten entwirren könnte, zog er sich noch weiter zusammen. Schließlich war er so fest und unauflöslich, dass ich keine Chance mehr sah, im Leben noch irgendetwas Sinnvolles zu Stande zu bringen.

Es war mies von ihnen, den Jungen mitzubringen. Nur seinetwegen hielt ich still und war nicht in der Lage, meine vielen Fragen zu stellen. Ich hatte Angst, ihn mit einem falschen Wort zu erschrecken und für sein ganzes Leben zu traumatisieren.

Die Stille in der Limousine war ohrenbetäubend. Es war so leise, dass ich sicher war, man würde meinen inneren Aufruhr hören, wenn man nur genau genug darauf achtete. Als wir auf den Highway fuhren, was das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt eine Erleichterung.

Der Mann, der behauptete, mein Vater zu sein, saß auf dem Beifahrersitz. Seine Ausstrahlung war steif und steinhart. Sein Anzug hatte keine einzige Falte, geschweige denn Schweißflecken, und trotz der Hitze und der Feuchtigkeit behielt er seine Jacke an. Allmählich kam der Anzug mir wie ein selbstständiges, atmendes Wesen vor. Er war einfach zu perfekt. Es hätte mich nicht gewundert, wenn irgendwo in den Ärmeln ein faltiger Außerirdischer gesteckt hätte, der den Senator, oder was auch immer dieses Wesen in dem Anzug war, kontrollierte.

Auf dem Vordersitz vibrierte ein Handy. »Price«, bellte der Senator in den Hörer. Er murmelte ein paar Worte, drückte dann auf einen Knopf über sich und schloss die verdunkelte Trennscheibe, die die Vordersitze von der Rückbank trennte.

Ich saß auf dem Rücksitz, eine Armlänge entfernt von dem Jungen, der sich als Tanner vorgestellt hatte.

Mein Freund?

Nein, ihr Freund.

»Weißt du …«, flüsterte mir Tanner mit einem schelmischen Ausdruck in den kastanienbraunen Augen zu, »… solche wie er sind der Grund dafür, dass der Begriff Begrüßung am Telefon in Vergessenheit geraten ist.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln, und Tanner blickte wieder aus dem Fenster.

Den größten Teil der einstündigen Fahrt starrte ich Tanners Profil an, sobald ich mir sicher war, dass er es nicht bemerkte. Ich durchforstete die Rollkartei meines kaputten Hirns nach der Karte für Tanner und meine Gefühle für ihn.

Tanner sah gut aus, auf eine frische Art, als wäre er gerade einer Zahnpasta-Reklame entsprungen. Aber wenn ich ihn ansah, dachte ich nur, dass er eben … nett aussah. Und obwohl er in meinem Alter war, war er immer noch ein Junge.

Ein Wort, mit dem ich … ihn niemals beschreiben würde.

Ich konnte jetzt nicht an ihn denken. Ich wollte nicht. Das alles war zu viel, um es zu verarbeiten. Kings Betrug, seine Verhaftung. Ich konnte das nicht verarbeiten. Aber als ich wieder zu Tanner hinüberblickte, musste ich die beiden einfach vergleichen. Tanner war reine Haut und Sonnenschein, groß und schlank, als hätte er seinen Körper durch viele Runden im Swimmingpool trainiert. King war sonnengebräunt und tätowiert, mit einem ständig drohenden Donnerwetter im Blick. Sein muskulöser Körper machte den Eindruck, als hätte er jahrelang mit dem Teufel selbst gerungen.

Ich wusste, dass Tanner mich ansah, wenn ich ihn nicht gerade selbst anstarrte, ich spürte seinen Blick, als würde er mir ein Loch in die Wange brennen. Aber jedes Mal, wenn ich den Kopf zu ihm drehte, wandte er den Blick ab und tat so, als würde er aus dem Fenster sehen.

Und dann war da noch der kleine Junge.

Der Gedanke, dass ich seine Mutter sein sollte, war vollkommen lächerlich.

Bestenfalls unglaublich.

Aber merkwürdigerweise war der Kleine der Einzige in dem Wagen, der mir vertraut vorkam.

Mein Vater, mein Freund, mein Sohn. Die Limousine war mit Mitgliedern meiner angeblichen Familie besetzt, und dennoch sagte mir mein Instinkt, dass ich mich – mit Ausnahme des Kleinen – mit jeder Meile weiter von meiner wahren Familie entfernen würde.

KING.

Vielleicht war alles eine Lüge gewesen. Jedes einzelne Wort. King hatte mir gesagt, dass er mich liebte. Vielleicht war auch das eine Lüge. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte.

Sei nicht nur am Leben. Lebe! Das hatte er gesagt.

Also lebte ich.

Und ich liebte.

Die Wut auf King, weil er mich angelogen hatte, war in der Sekunde verflogen, als ich die Enttäuschung in seinem Gesicht darüber sah, dass Max nicht in diesem Auto saß.

Aber als ihm der Detective die Handschellen anlegte, fühlte ich wieder nichts als blinde Wut.

Ich wollte für King kämpfen. Ich wollte diejenige sein, die ihm seine Tochter zurückgab. Ich wollte ihm alles geben, was in meiner Macht stand. Stattdessen musste ich in den Armen des Senators wie betäubt die schreckliche Szene beobachten, die sich vor mir abspielte, als sie King wegschafften. Meine Eingeweide fühlten sich an, als würden sie zerquetscht, während sie King in den Wagen des Detectives stießen und ihn zu irgendeiner fensterlosen Zelle brachten.

Es war mein Ernst gewesen, als ich dem Senator sagte, dass King mich gerettet hatte. Und damit meinte ich nicht, dass er mich vor Ed oder sogar Isaac gerettet hatte.

Er hatte mich vor mir selbst gerettet.

Niemals hätte ich damit gerechnet, mich in King zu verlieben.

Mein Kidnapper, mein Peiniger, mein Liebhaber, mein Freund, meine Welt.

Aber so war es.

Der Junge auf meinem Schoß bewegte sich. Er hatte die Nase an mich gepresst, und der herausströmende Atem wärmte mir durch den Stoff meines Shirts den Bauch.

Ich hatte Fragen. So viele, dass mir der Kopf schlimmer brummte als damals, nachdem Nikki auf mich geschossen hatte. Am liebsten hätte ich die Fragen abgefeuert wie ein Maschinengewehr, aber ich wollte den pausbäckigen Jungen, dessen Wimpern beim Schlafen seine Wangen berührten, nicht erschrecken. Ich fuhr ihm mit den Fingern durch die weichen Locken, worauf er schläfrig und zufrieden seufzte.

»Ich kann nicht glauben, dass du es wirklich bist, Ray. Ich habe geglaubt, dich niemals wiederzusehen, und nun sitzt du hier neben mir. Erinnerst du dich jetzt an mich? Oder an ihn? An irgendetwas?«, fragte Tanner. Ich blickte auf und sah in die schönen, kastanienbraunen Augen aus meinem Traum. Das Einzige aus meinem früheren Leben, woran ich mich erinnerte.

Ich schüttelte den Kopf. »Nur an deine Augen. Ich habe von ihnen geträumt. Einmal«, gab ich zu.

»Du hast also von mir geträumt, ja?« Tanner zog vielsagend die Augenbrauen hoch. Er stupste mich mit dem Ellbogen in die Seite, und ich wich vor dem ungewohnten Kontakt zurück. »Tut mir leid«, sagte er, als er sah, wie ich mich verkrampfte. »Ist Gewohnheitssache.«

»Schon in Ordnung«, sagte ich, obwohl ich mir nicht sicher war, ob das auch stimmte. »Aber bitte erzähl mir etwas über ihn.«

Tanner blickte liebevoll auf den Jungen hinunter. »Was denn?«

»Na ja, wie alt ist er? Du sagst, ich bin achtzehn. Wann ist all das passiert? Und wie?«

»Wie?« Tanner lachte nervös. »Nun, Ray, wenn ein Mann und eine Frau sich ganz doll liebhaben …« Er verstummte, als er sah, dass ich nicht lächelte. »Tut mir leid. Ich bin so sehr daran gewöhnt, mit dir herumzublödeln. Du bist so ziemlich die Einzige, die meine Witze versteht. Jedenfalls warst du das mal.« Tanner fuhr sich mit der Hand durch die Locken und seufzte. Er fummelte an der Steppnaht des Ledersitzes herum.

Das Auto hielt vor einem zweistöckigen Haus mit leuchtend pinkfarbener Stuckverkleidung. Die Eingangsterrasse war von hohen Säulen umgeben und mit rosa Plastikflamingos und Gartenzwergen in allen Größen vollgestellt. Selbst in die lange Auffahrt waren fächerförmige Rillen gefräst, die in derselben grellen Farbe gestrichen waren. Der Rasen war mit noch mehr Plastikflamingos zugemüllt. Ungefähr dreißig Springbrunnen in allen möglichen Stilrichtungen waren wahllos über den Hof verteilt.

»Hier wohne ich«, sagte Tanner und öffnete die Wagentür. Als er mir den kleinen Jungen vom Schoß nahm, zog sich mein Herz zusammen.

»Moment mal, wohin gehst du?«, fragte ich mit einem Anflug von Panik.

»Es war ein langer Tag für ihn. Früher hat er meistens bei dir geschlafen, aber seit du verschwunden bist, wohnt er bei mir«, sagte Tanner. Obwohl ich mich nicht an den Kleinen erinnern konnte, war ich ein wenig enttäuscht, dass er nicht bei mir blieb. Tanner schien meine Enttäuschung zu spüren, denn er fügte hinzu: »Ich verspreche dir, dass ich bald wiederkomme. Gewöhne dich erst einmal ein, dann reden wir weiter.«

Der Senator stieg auf der Beifahrerseite aus dem Wagen.

»Warte!«, rief ich. Tanner drehte sich um. »Wie heißt er überhaupt?« Ich deutete auf den Jungen, dessen Wange auf Tanners Schulter ruhte und der fest schlief, obwohl er ganz schön durchgeschüttelt worden war.

Tanner lächelte. »Samuel.«

Mir blieb beinahe das Herz stehen.

Samuel.

Preppys Name war Samuel.

»Aber wir nennen ihn Sammy«, sagte Tanner.

»Tanner«, ermahnte der Senator ihn mit herablassender Stimme. Er setzte sich neben mich auf den Rücksitz. Sofort war die Verachtung, die ich Sammy zuliebe unterdrückt hatte, wieder da. Und als wir auf die Straße hinausfuhren, feuerte ich endlich meine Fragen ab. »Warum haben Sie King verhaften lassen?«, fragte ich, unfähig, die Verbitterung in meiner Stimme zu verbergen. »Er hat mich aufgenommen, mir Unterschlupf gewährt. Bevor ich ihm begegnet bin, habe ich auf der Straße gelebt und um Schutz und Nahrung gekämpft. Meine einzige Freundin war eine obdachlose Nutte, und die hielt mich für die Bedauernswertere von uns beiden!«

Der Senator verzog keine Miene; meine Leidensgeschichte schien ihn nicht im Geringsten zu berühren. Stattdessen justierte er einen Manschettenknopf und tippte auf seinem Handy herum. »Brantley King ist ein Schwerverbrecher, ein Betrüger und Mörder«, stellte er fest, ohne aufzublicken. »Was für eine Beziehung auch immer ihr deiner Meinung nach hattet – es war eine Farce. Eine gerade noch legale Farce, nebenbei bemerkt. Ich hatte wirklich gehofft, dass er mich nur aus der Reserve locken wollte, als er andeutete, dass ihr beiden … miteinander intim wart, aber jetzt sehe ich, dass er die Wahrheit gesagt hat. Der Mann kam einzig und allein mit der Absicht zu mir, dich als Pfand für das zu benutzen, was er wollte. Sonst nichts. Er hat dich, einen Teenager, ausgenutzt, und er hat versucht, mich zu betrügen. Jetzt ist er, wo er hingehört, und bekommt, was er verdient. Und in Zukunft will ich davon nichts mehr hören, mein Fräulein.«

»Er wollte nur seine Tochter zurück«, widersprach ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn dieser Mann glaubte, er hätte das Gespräch ein für alle Mal beendet, dann hatte er sich geschnitten.

»Man bekommt nicht immer, was man will«, sagte der Senator mit ausdrucksloser Stimme. Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, als hätte ich sie schon öfter gehört. »Und was glaubt dieser Bursche eigentlich, wie viel Macht ein Senator hat? Das Äußerste, was ich für ihn hätte tun können, wäre ein Empfehlungsschreiben für das Vormundschaftsgericht gewesen. Oder ein Anruf bei Richter Fletcher, falls der überhaupt noch zuständig ist.«

»Warum haben Sie sich dann auf den Handel eingelassen? Bringen Sie mich zurück!«, verlangte ich. »Ich kenne Sie überhaupt nicht. Bringen Sie mich zurück!«, schrie ich und fasste nach dem Türgriff. Es war mir egal, dass der Wagen sich wieder bewegte und die Straße entlangraste. Ich öffnete die Tür weit genug, um die unter mir vorbeirauschende Schotterstraße zu sehen. Der Senator griff über mich hinweg, zog die Tür wieder zu und verriegelte sie.

»Ramie, mach dich nicht lächerlich. Du kannst nirgendwohin zurück. Willst du wirklich deinen Sohn verlassen?«, fragte er und hob eine Braue.

Fuck.

»Tanner hat gesagt, Sie hätten überall erzählt, ich sei in Paris, damit Sie nicht zugeben mussten, dass Ihre Tochter eine Ausreißerin ist. Hätten Sie nicht lieber nach mir suchen sollen, anstatt Lügen in die Welt zu setzen?« fragte ich, die Hand immer noch an der Tür. »Wenn Sie all das wüssten, würden Sie an meiner Stelle dann noch hierbleiben wollen?«

Der Senator seufzte. »Wir haben nach dir gesucht, Ramie. Aber wir wussten nichts von dem Gedächtnisverlust. Als wir dich nicht finden konnten, dachten wir, dass du nicht gefunden werden wolltest. Und außerdem geht es hier nicht nur um dich. Du bist nicht die Einzige, die unter diesem Debakel zu leiden hatte. Also denk lieber erst mal nach, bevor du andere Leute beschuldigst.«

»King hat mich nicht entführt. Ich will, dass Sie die Anklage fallenlassen. Ich will nicht, dass er wieder ins Gefängnis geht«, verkündete ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Augen des Senators wurden schmal. »Weißt du was? Geh zu dem Spezialisten, den ich kontaktiert habe. Versuche ernsthaft, wieder in dein altes Leben zurückzufinden. Versuche dich zu erinnern, bevor du alles wegwirfst, um die First Lady von … Logan’s Beach zu werden.« Er sprach Logan’s Beach aus, als hätte der Ort einen schlechten Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber er fuhr fort.

»Gib der Sache einen Monat Zeit. Einen Monat, in dem du mit aller Kraft an deiner Genesung arbeitest. Wenn du danach immer noch zurückgehen willst, lasse ich alle Anklagen gegen ihn fallen, und mein Fahrer bringt dich zu ihm. Mit einem Empfehlungsschreiben an das Familiengericht, mit dem er um das Sorgerecht für seine Tochter kämpfen kann. Das ist der Deal.« Er rückte seine Krawatte zurecht. »Der Einzige, den ich dir anbieten kann.«

»Ich soll Ihren Deals trauen, nach allem, was Sie mit King gemacht haben?«, erwiderte ich.

»Ramie, dieser Mann ist ein Schwerverbrecher! Er hat all seine Rechte verwirkt, um Himmels willen. In meinen Augen ist er kein Bürger dieses Staates mehr. Und ich mache keine Deals mit Kriminellen. Du bist meine Tochter.« Er blickte von seinem Handy auf. »Ich würde dir niemals etwas versprechen, was ich nicht auch halten will.«

Aber ich traute ihm nicht. Kein bisschen. Schließlich war er ein verdammter Politiker. Aber was blieb mir schon übrig? Er hatte recht, ich konnte tatsächlich nirgendwohin zurück. Und dann war da noch diese allgegenwärtige, nagende Neugier, endlich herauszufinden, wer ich wirklich war. Wie mein früheres Leben ausgesehen hatte. »Okay«, lenkte ich ein. »Aber ich habe noch mehr Fragen. Über mich, über …« Das Telefon des Senators klingelte. Wieder bellte er seine Begrüßung in den Hörer, und unser Gespräch war endgültig beendet.

Ich war mir nicht sicher, welche Art Beziehung ich zu meinem Vater gehabt hatte, aber ich hatte so eine Ahnung, dass er nicht der Typ Vater war, der mich beim Volleyballspielen anfeuerte oder mir bei den Mathehausaufgaben half.

Ein paar Minuten, nachdem wir Tanner und Sammy abgesetzt hatten, verkündete der Senator: »Wir sind da.« Das Handy verschwand in seiner Jacke. Riesige Palmen, mindestens sechs Meter hoch, säumten die U-förmige Auffahrt. In der Biegung hielten wir an, direkt vor einer großen, offenen Veranda im Südstaaten-Stil mit weißer Brüstung.

Ich legte den Kopf in den Nacken und starrte das Haus an. »Hier wohnen Sie?«

»Nein, hier wohnen wir«, stellte der Senator richtig. »Du, deine Mutter, ich, Sammy und Nadine, die Haushälterin. Und wenn ich nicht hier bin, bin ich oben in Tallahassee oder D. C.«

Der Senator beugte sich über mich, öffnete die Tür und bedeutete mir, auszusteigen. Die Sonnenstrahlen, die zwischen den Palmblättern hindurchschienen, blendeten mich.

Das Haus war nicht so groß und palastartig, wie ich mir das Haus eines Politikers vorgestellt hatte. Es war eher von der kleineren Sorte, mit einer makellosen, weißen Verkleidung, auf der blaue Fensterläden Akzente setzten. Auf der Veranda versprühte ein Schaukelstuhl alten Südstaaten-Charme. Neben der Eingangstür wehte eine amerikanische Flagge. An den Bäumen hingen Windspiele und klingelten hypnotisch bei jedem Luftzug. »Trautes Heim, Glück allein«, sagte der Senator trocken.

Nein. Es mochte sein, dass ich hier gewohnt hatte, aber es fühlte sich absolut nicht nach einem Zuhause an.

Es stand noch nicht einmal auf Pfählen.

»Nadine wird dich in dein Zimmer bringen«, sagte der Senator und nickte einer Frau in mittleren Jahren mit olivfarbener Haut und einem braunen Haarknoten zu, die gerade aus dem Haus kam. Sie trug eine schwarze Hose und ein weißes, kurzärmeliges Poloshirt. »Nadine weiß über die Situation Bescheid. Sie kann dir all deine Fragen beantworten.« Der Senator schien zufrieden zu sein. Er wirkte, als hätte er gerade einen neuen Angestellten seinem Boss vorgestellt. »Erinnerst du dich an Nadine, Ramie?«

»Nein, ich erinnere mich an niemanden«, sagte ich kurz angebunden.

Der Senator verdrehte die Augen. »Dein bedenkliches Benehmen hat offensichtlich weniger gelitten als dein Gedächtnis. Nadine ist … nun, Nadine ist hier sozusagen das Mädchen für alles. Sie ist seit deiner Geburt bei uns. Aber wir reden später weiter.« Mit einem knappen Nicken setzte sich der Senator wieder in den Wagen und fuhr das Fenster hinunter. »Egal, was du davon hältst. Es ist gut, dich wieder hier zu haben, Ramie.«

»Sie verschwinden?«, fragte ich ungläubig. »Einfach so?«

»In ein paar Tagen bin ich wieder da. Ich habe Termine. Deine Mutter ist auch nicht da, sie ist auf der Beautyfarm … wieder einmal. Wir werden uns bald unterhalten.« Das Auto fuhr los.

»Mr Scheißcharakter«, murmelte ich. Nadine lachte laut auf und schlug sich dann die Hand vor den Mund. »Aber in einer Hinsicht hat er recht«, sagte sie mit leichtem Südstaaten-Akzent. »Dein bedenkliches Benehmen hat sich wirklich nicht verändert.«

Nadine stieg vor mir die Treppe hoch. Sie öffnete die Tür und machte einen Schritt zur Seite, um mich eintreten zu lassen. »Sie kennen mich also gut, habe ich das richtig verstanden?«

»Mädchen, ich kannte dich schon, als du noch in den Windeln gelegen hast. Ich kenne dich am allerbesten von allen hier«, sagte sie mit einem Lächeln. Ich glaubte ihr. »Und jetzt komm, wir besorgen dir etwas zu essen, und dann lasse ich dich allein, damit du dich an dein Zimmer gewöhnen kannst.«

Ich folgte Nadine wie ein verlorenes Entlein. Ich hasste dieses Gefühl. Seit ich auf der Straße gelebt hatte, hatte ich mich nicht mehr so hilflos gefühlt, und ich hatte mir geschworen, mich nie wieder so zu fühlen. Aber hier war ich und folgte einer Fremden durch ein unbekanntes Haus, weil ich keine andere Wahl hatte.

Nein, man hat mir keine andere Wahl gelassen, rief ich mir wieder ins Gedächtnis. Sicher, ich hätte mir ein Taxi rufen und verschwinden können, aber es gab sowieso nur einen Ort, an den ich zurückkehren konnte.

Aber dort war niemand mehr.

Selbst wenn King nicht auf dem Weg ins Gefängnis wäre: Würde er mich noch wollen, nachdem er immerhin bereit gewesen war, mich wegzugeben?

Würde ich nach alldem noch dort sein wollen?

Ich wollte noch nicht darüber nachdenken.

Im Inneren des Hauses bestanden alle Böden aus dunklem Holz, und die Wände waren in einem hellen Taubengrau gestrichen. Es war geschmackvoll, aber nicht erdrückend. Gemütlich, aber modern.

Ich hasste es.

»Ein bisschen schlicht für das Haus eines Senators, oder?«, fragte ich.

Nadine schloss die Tür hinter mir. Ich stand in einem kleinen Foyer, das auch als Hausflur diente, und nahm die Umgebung in mich auf.

»Er ist ein aufstrebender Politiker«, erklärte sie. »Im Gegensatz zu vielen anderen Kandidaten aus diesem Staat hat er kein altes Geld im Rücken. Er war Programmierer. Dass er heute da ist, wo er ist, liegt an seinem Wahlprogramm und nicht an seinem Bankkonto«, sagte Nadine. »Und das ist heutzutage selten.«

»Sie scheinen ihn zu mögen«, sagte ich überrascht.

Sie schüttelte den Kopf. »Das hat nichts mit Sympathie zu tun. Er musste Niederlagen einstecken. Das müssen wir alle. Aber Ehre, wem Ehre gebührt.« Wieder ging sie voran und zeigte mir den Weg. »Seine Fähigkeiten als Vater mögen zu wünschen übriglassen. Aber wenn es um Politik geht, hat dieser Mann einige bemerkenswerte Dinge erreicht.«

Wir gelangten zum Mittelpunkt des Hauses. Küche, Ess- und Wohnzimmer waren offen gebaut, und die Küche lag in einer hinteren Ecke. Die Schränke waren hoch, grau-weiß, die Arbeitsplatten glänzten schwarz. »Setz dich.« Nadine wies mit dem Kopf auf einen der Barhocker vor der Theke. Aber ich stand einfach nur da und begann allmählich zu begreifen, was hier gerade vor sich ging. Ich hatte mich immer gefragt, wie das Haus, in dem ich aufgewachsen war, wohl aussehen mochte, und jetzt stand ich mittendrin. Dennoch verspürte ich keinerlei Erleichterung, wie ich es mir eigentlich vorgestellt hatte.

Ich stand immer noch unter Schock. War wütend. Verbittert. Höllisch verwirrt.

Aber erleichtert?

Nein.

Nadine holte Zutaten aus den verschiedenen Schränken und stellte den Gasofen an. »Setz dich hin, Mädchen. Ich mache dir etwas zu essen. Du kannst mich alles fragen, was du willst. Ich weiß doch, wie gerne du Fragen stellst.« Sie grinste breit und wischte sich die Hände an der Schürze ab, die sie sich umgebunden hatte.

»Nun, daran hat sich wirklich nichts geändert«, sagte ich und setzte mich. »Man hat mir in den letzten Monaten oft gesagt, dass ich zu viele Fragen stelle.«

Nadine schlug ein Ei in eine Schüssel. »Aber verändert hast du dich. Das spüre ich.«

»Nicht zu meinem Vorteil vermutlich?« Ich seufzte.

»Das würde ich nicht sagen.« Sie kam näher zu mir und stützte sich mir gegenüber mit den Ellbogen auf die Theke. »Eigentlich glaube ich … ja, ich glaube, es gefällt mir.«

»Was ist denn anders an mir?«, fragte ich.

Nadine schürzte die Lippen. »Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber, glaub mir, sobald ich weiß, was es ist, werde ich es dir sagen.« Sie streckte die Hand aus und zwickte mich in die Nase. Dann zwinkerte sie und ging zurück zum Ofen, wo sie mit einem Holzlöffel irgendwelche Zutaten umrührte.

»Das ist nicht fair«, sagte ich. Es klang weinerlicher, als mir lieb war. »Jeder hier kennt mich, aber für mich ist jeder hier ein Fremder. Im Grunde bin ich sogar mir selbst fremd.«

»Kind, ich sage es ja nicht gern, aber hat dein Vater etwa einen warmherzigen Eindruck auf dich gemacht?« Nadine nahm einen Schöpflöffel aus einer Schublade.

»Nein«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.

»Nun, fremd wart ihr beiden euch eigentlich immer schon. Also ist zumindest in dieser Hinsicht alles beim Alten geblieben«, meinte sie lächelnd.

Ich biss mir auf die Unterlippe. »Hm … ist das gut oder schlecht?«

Nadine zuckte mit den Schultern.

»Und meine Mutter? Welche Frau besucht denn eine Beautyfarm, wenn ihr vermisstes Kind nach Hause kommt?« Es gab keinen Grund, meine Verbitterung zu verstecken, denn ich war verbittert.

Nadine zuckte zusammen, als hätte sie gehofft, dass ich nicht nach meiner Mutter fragen würde. Sie konzentrierte sich auf das, was auch immer sie da zusammenrührte. »Beautyfarm ist hier ein Codewort. Es bedeutet, dass sie sich irgendwo in einem Hotel eingenistet hat oder in einer Entzugsklinik oder wo sie sonst ihre geschundene Leber hätschelt.« Sie wischte sich die Hand an dem Handtuch auf ihrer Schulter ab. »Ich meine … ich wollte nur …«

Damit hatte ich bereits genug über meine Mutter gehört, und als Nadine sich entschuldigen wollte, schnitt ich ihr das Wort ab. »Was machen Sie da?«, fragte ich und beugte mich vor.

»Dein Lieblingsessen: Frühstück zum Abendbrot!« Mein Herz schlug schneller, als sie etwas Teig aus einer Schüssel schöpfte und ihn in die heiße Pfanne gab. Dann drehte sie den Inhalt der Pfanne mit einem Pfannenwender um, und plötzlich sah ich Preppy in seiner roten Lieblingsspitzenschürze an ihrer Stelle stehen.

»Pfannkuchen«, flüsterte ich, und mein Herz schlug noch schneller. Plötzlich wurde mir schwindlig. Vor meinen Augen tanzten Sterne, und ich hielt mich an der Theke fest, um nicht vom Hocker zu fallen.

Nadine kam zu mir und stellte einen Teller mit drei perfekt runden, vor Sirup tropfenden Pfannkuchen vor mich hin. Ein Stück Butter schwamm obenauf, bevor es ganz zerschmolz und verschwand. Der süße Geruch erfasste meine Sinne und erweckte all das Leid und den Schmerz in mir wieder zum Leben, den ich in der Nacht gespürt hatte, in der ich meinen Freund sterben sah.

»Magst du keine Pfannkuchen mehr?«, fragte Nadine, die meine Reaktion falsch interpretierte.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht«, sagte ich. Es fiel mir unglaublich schwer, überhaupt etwas über die Lippen zu bringen.

»Was ist dann dein Problem, mein kleines Mädchen?«, fragte Nadine und legte mir besorgt eine Hand auf die Schulter.

Ich antwortete nicht.

Ich konnte es nicht.

Deshalb leistete ich auch keinen Widerstand, als sie mich an ihre weiche Brust zog und meinen Kopf streichelte. In den Wochen nach Preppys Tod hatte ich mir zu große Sorgen um King gemacht, um auch nur zu bemerken, dass ich niemals richtig um meinen Freund getrauert hatte. Und auch, dass ich weinte, wurde mir erst bewusst, als ich spürte, wie meine Schultern zuckten.

»Warum die Tränen?«

»Wegen …«, stieß ich hervor.

»Wegen was?«

»Wegen der … Pfannkuchen.«

3. Kapitel

Doe

Nadine hielt mich im Arm, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Sie hatte den Teller weggeschoben, als wären die Pfannkuchen tatsächlich der Grund für meine Tränen gewesen.

Wir kamen überein, dass ich einfach nur genug Schlaf brauchte. Also führte sie mich die Treppe hinauf zu einem Zimmer am Ende des Korridors.

Mein Zimmer.

Weiße Spitzenvorhänge, hellblaue Wände und eine tuntig wirkende rosa Steppdecke. Ein grau-weißer Kronleuchter mit elektrischen Kerzen hing über einem mit Plüschtieren übersäten Bett. Ich sah mich um und musste unwillkürlich an ein anderes kleines Schlafzimmer in einer anderen, nicht allzu weit entfernten Stadt denken. Eins mit einer dünnen Matratze, der gemütlichsten blassblauen Decke überhaupt und einem Ventilator mit einem abgebrochenen Propellerblatt, das von einer Begegnung mit Preppys Kopf stammte, als er einmal enthusiastisch auf dem Bett herumgesprungen war.

Mein Herz machte einen kleinen Satz.

In diesem – meinem – Zimmer hing eine Pinnwand aus Kork über einem schlichten weißen Schreibtisch. Ein paar Zeichnungen auf Blättern aus einem Notizbuch waren daran befestigt. Langsam spazierte ich durch das Zimmer und führ mit der Hand über die leicht strukturierte Tapete, den glänzenden Stoff der Zierkissen auf dem Platz am Fenster und schließlich über die Zeichnungen selbst. Es waren hauptsächlich Landschaften, aber auch ein paar Porträts befanden sich darunter, auf denen ich Sammy und Tanner erkannte. In der Mitte der Pinnwand hing eines, auf dem sie beide abgebildet waren. Sie saßen unter einem Baum und strahlten irgendjemanden an – vermutlich mich.

»Du zeichnest gerne. Dein Vater hat beinahe eine Herzattacke bekommen, als du ihm eröffnet hast, dass du auf die Kunstschule gehen willst«, sagte Nadine, die in der Tür stand. »Das alles muss ganz schön hart für dich sein.«

Ja, und zwar aus mehr Gründen, als du glaubst.

Ich spürte Nadines Blick auf mir, als ich auf der Suche nach etwas Vertrautem durch das Zimmer ging.

»Diesen Gesichtsausdruck kenne ich«, sagte sie.

»Und was für ein Gesichtsausdruck soll das sein?«

Ich nahm eine Zeichnung von der Pinnwand, ging zum Erkerfenster hinüber und hielt sie gegen das Licht. Die Zeichnung des Ausblicks stimmte in allen Einzelheiten, vom Fensterrahmen und den Kissen mit den Knöpfen über den teuren Rasen und die vereinzelt stehenden Eichen bis hin zu dem Baum, der das Fenster teilweise verdeckte. Nadine betrat das Zimmer und setzte sich auf den Rand des Bettes. Ich kehrte ihr weiterhin den Rücken zu und fuhr fort, die Zeichnung mit der Realität zu vergleichen.

»Traurigkeit. Du bist ein wunderschönes Mädchen, aber Trauer steht dir nicht.« Ich drehte mich um und bekam gerade noch den Rest von Nadines bekümmertem Lächeln mit.

Ich legte die Zeichnung auf den Tisch. »Soll ich ehrlich sein? Ich weiß nicht, was ich von all dem hier halten soll.«