Kleider machen Leute - Gottfried Keller - E-Book

Kleider machen Leute E-Book

Gottfried Keller

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Beschreibung

In "Kleider machen Leute" präsentiert Gottfried Keller eine meisterhaft geschichtete Novelle, die die Themen Identität, soziale Klassen und die Macht der äußeren Erscheinung erkundet. Die Erzählung folgt dem schüchternen Schneidergesellen Wenzel Strapinski, dessen schicke Kleidung ihn prompt in die Welt der Reichen und Schönen katapultiert. Kellers literarischer Stil, geprägt von realistischer Schilderung und psychologischer Tiefe, lädt den Leser dazu ein, die Ironie und die gesellschaftlichen Normen des 19. Jahrhunderts zu reflektieren. Die Novelle spiegelt die kulturellen Strömungen der damaligen Zeit wider und opponiert gegen die Annahme, dass das äußere Erscheinungsbild gleichbedeutend mit dem inneren Wert ist. Gottfried Keller, ein bedeutender Vertreter des Realismus, wurde 1819 in Zürich geboren und erlebte eine Vielzahl von sozialen Umbrüchen. Sein eigenes Leben, geprägt von Armut und dem Streben nach Bildung, fließt vielfältig in seine Geschichten ein. Kellers Auseinandersetzung mit Themen wie Identität und Schicksal findet in "Kleider machen Leute" eine prägnante und tiefgründige Ausdrucksform, die von seinen Erlebnissen und der Beobachtung der menschlichen Natur zeugt. Dieses Buch ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die sich für gesellschaftliche Fragen und die Facetten menschlicher Identität interessieren. Kellers scharfsinnige Analyse der menschlichen Psyche und die brillante Ironie in seiner Erzählkunst machen "Kleider machen Leute" zu einem zeitlosen Werk, das auch heute noch zum Nachdenken anregt. Es ist eine Empfehlung für Leser, die die Nuancen des sozialen Lebens und die subtile Beziehung zwischen Schein und Sein verstehen möchten.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Gottfried Keller

Kleider machen Leute

Vom Schneider zum Grafen
 
EAN 8596547770428
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

An einem unfreundlichen Novembertage wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern drehte, wenn er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihn ordentlich von diesem Drehen und Reiben. Denn er hatte wegen des Falliments irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich verlieren und auswandern müssen. Er hatte noch nichts gefrühstückt als einige Schneeflocken, die ihm in den Mund geflogen, und er sah noch weniger ab, wo das geringste Mittagbrot herwachsen sollte. Das Fechten fiel ihm äußerst schwer, ja schien ihm gänzlich unmöglich, weil er über seinem schwarzen Sonntagskleide, welches sein einziges war, einen weiten dunkelgrauen Radmantel trug, mit schwarzem Samt ausgeschlagen, der seinem Träger ein edles und romantisches Aussehen verlieh, zumal dessen lange schwarze Haare und Schnurrbärtchen sorgfältig gepflegt waren und er sich blasser, aber regelmäßiger Gesichtszüge erfreute.

Solcher Habitus war ihm zum Bedürfnis geworden, ohne daß er etwas Schlimmes oder Betrügerisches dabei im Schilde führte; vielmehr war er zufrieden, wenn man ihn nur gewähren und im stillen seine Arbeit verrichten ließ; aber lieber wäre er verhungert, als daß er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er ebenfalls mit großem Anstand zu tragen wußte.

Er konnte deshalb nur in größeren Städten arbeiten, wo solches nicht zu sehr auffiel; wenn er wanderte und keine Ersparnisse mitführte, geriet er in die größte Not. Näherte er sich einem Hause, so betrachteten ihn die Leute mit Verwunderung und Neugierde und erwarteten eher alles andere, als daß er betteln würde; so erstarben ihm, da er überdies nicht beredt war, die Worte im Munde, also daß er der Märtyrer seines Mantels war und Hunger litt, so schwarz wie des letztern Sammetfutter.

Als er bekümmert und geschwächt eine Anhöhe hinaufging, stieß er auf einen neuen und bequemen Reisewagen, welchen ein herrschaftlicher Kutscher in Basel abgeholt hatte und seinem Herren überbrachte, einem fremden Grafen, der irgendwo in der Ostschweiz auf einem gemieteten oder angekauften alten Schlosse saß. Der Wagen war mit allerlei Vorrichtungen zur Aufnahme des Gepäckes versehen und schien deswegen schwer bepackt zu sein, obgleich alles leer war. Der Kutscher ging wegen des steilen Weges neben den Pferden, und als er, oben angekommen, den Bock wieder bestieg, fragte er den Schneider, ob er sich nicht in den leeren Wagen setzen wolle. Denn es fing eben an zu regnen, und er hatte mit einem Blicke gesehen, daß der Fußgänger sich matt und kümmerlich durch die Welt schlug.

Derselbe nahm das Anerbieten dankbar und bescheiden an, worauf der Wagen rasch mit ihm von dannen rollte und in einer kleinen Stunde stattlich und donnernd durch den Torbogen von Goldach fuhr. Vor dem ersten Gasthofe, zur Waage genannt, hielt das vornehme Fuhrwerk plötzlich, und alsogleich zog der Hausknecht so heftig an der Glocke, daß der Draht beinahe entzweiging. Da stürzten Wirt und Leute herunter und rissen den Schlag auf; Kinder und Nachbaren umringten schon den prächtigen Wagen, neugierig, welch ein Kern sich aus so unerhörter Schale enthülsen werde, und als der verdutzte Schneider endlich hervorsprang in seinem Mantel, blaß und schön und schwermütig zur Erde blickend, schien er ihnen wenigstens ein geheimnisvoller Prinz oder Grafensohn zu sein. Der Raum zwischen dem Reisewagen und der Pforte des Gasthauses war schmal und im übrigen der Weg durch die Zuschauer ziemlich gesperrt. Mochte es nun der Mangel an Geistesgegenwart oder an Mut sein, den Haufen zu durchbrechen und einfach seines Weges zu gehen – er tat dieses nicht, sondern ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe hinan geleiten und bemerkte seine neue seltsame Lage erst recht, als er sich in einen wohnlichen Speisesaal versetzt sah und ihm sein ehrwürdiger Mantel dienstfertig abgenommen wurde.

»Der Herr wünscht zu speisen?« hieß es, »gleich wird serviert werden, es ist eben gekocht!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief der Waagwirt in die Küche und rief »Ins drei Teufels Namen! Nun haben wir nichts als Rindfleisch und die Hammelskeule! Die Rebhuhnpastete darf ich nicht anschneiden, da sie für die Abendherren bestimmt und versprochen ist. So geht es! Den einzigen Tag, wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, muß ein solcher Herr kommen! Und der Kutscher hat ein Wappen auf den Knöpfen, und der Wagen ist wie der eines Herzogs! Und der junge Mann mag kaum den Mund öffnen vor Vornehmheit!«

Doch die ruhige Köchin sagte: »Nun, was ist denn da zu lamentieren, Herr? Die Pastete tragen Sie nur kühn auf, die wird er doch nicht aufessen! Die Abendherren bekommen sie dann portionenweise, sechs Portionen wollen wir schon noch herauskriegen!«

»Sechs Portionen? Ihr vergeßt wohl, daß die Herren sich satt zu essen gewohnt sind!« meinte der Wirt, allein die Köchin fuhr unerschüttert fort: »Das sollen sie auch! Man läßt noch schnell ein halbes Dutzend Kotelettes holen, die brauchen wir sowieso für den Fremden, und was er übrigläßt, schneide ich in kleine Stückchen und menge sie unter die Pastete, da lassen Sie nur mich machen!«