Kleider machen Leute - Gottfried Keller - E-Book + Hörbuch

Kleider machen Leute E-Book und Hörbuch

Gottfried Keller

3,8

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Kellers bekannteste, humorige Geschichte über einen "Hochstapler wieder Willen" Der arme Schneidergeselle Wenzel Strapinski kleidet sich immer gut. Als er in eine neue Stadt kommt, hält man ihn für einen Grafen. Irgendwie verpasst er von nun an alle Gelegenheiten, diese Verwechslung aufzuklären. Als sich dann auch noch eine Tochter aus "gutem Hause" einstellt, kann unser liebenswerter Hochstapler nicht mehr aus seiner neuen Haut. "Kleider machen Leute" gehört zu den bekanntesten Erzählungen der deutschsprachigen Literatur und diente als Vorlage für Filme und Opern. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 74

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Zeit:1 Std. 37 min

Sprecher:Eva Meckbach
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Gottfried Keller

Kleider machen Leute

Gottfried Keller

Kleider machen Leute

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962812-66-9

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Kleider machen Leute

An ei­nem un­freund­li­chen No­vem­ber­ta­ge wan­der­te ein ar­mes Schnei­der­lein auf der Land­stra­ße nach Gol­dach, ei­ner klei­nen rei­chen Stadt, die nur we­ni­ge Stun­den von Seld­wy­la ent­fernt ist. Der Schnei­der trug in sei­ner Ta­sche nichts als einen Fin­ger­hut, wel­chen er, in Er­man­ge­lung ir­gend­ei­ner Mün­ze, un­abläs­sig zwi­schen den Fin­gern dreh­te, wenn er der Käl­te we­gen die Hän­de in die Ho­sen steck­te, und die Fin­ger schmerz­ten ihm or­dent­lich von die­sem Dre­hen und Rei­ben. Denn er hat­te we­gen des Fal­li­ments ir­gend­ei­nes Seld­wy­ler Schnei­der­meis­ters sei­nen Ar­beits­lohn mit der Ar­beit zu­gleich ver­lie­ren und aus­wan­dern müs­sen. Er hat­te noch nichts ge­früh­stückt als ei­ni­ge Schnee­flo­cken, die ihm in den Mund ge­flo­gen, und er sah noch we­ni­ger ab, wo das ge­rings­te Mit­tag­brot her­wach­sen soll­te. Das Fech­ten fiel ihm äu­ßerst schwer, ja schi­en ihm gänz­lich un­mög­lich, weil er über sei­nem schwar­zen Sonn­tags­klei­de, wel­ches sein ein­zi­ges war, einen wei­ten dun­kel­grau­en Rad­man­tel trug, mit schwar­zem Samt aus­ge­schla­gen, der sei­nem Trä­ger ein ed­les und ro­man­ti­sches Aus­se­hen ver­lieh, zu­mal des­sen lan­ge schwar­ze Haa­re und Schnurr­bärt­chen sorg­fäl­tig ge­pflegt wa­ren und er sich blas­ser, aber re­gel­mä­ßi­ger Ge­sichts­zü­ge er­freu­te.

Sol­cher Ha­bi­tus war ihm zum Be­dürf­nis ge­wor­den, ohne dass er et­was Schlim­mes oder Be­trü­ge­ri­sches da­bei im Schil­de führ­te; viel­mehr war er zu­frie­den, wenn man ihn nur ge­wäh­ren und im stil­len sei­ne Ar­beit ver­rich­ten ließ; aber lie­ber wäre er ver­hun­gert, als dass er sich von sei­nem Rad­man­tel und von sei­ner pol­ni­schen Pelz­müt­ze ge­trennt hät­te, die er eben­falls mit großem An­stand zu tra­gen wuss­te.

Er konn­te des­halb nur in grö­ße­ren Städ­ten ar­bei­ten, wo sol­ches nicht zu sehr auf­fiel; wenn er wan­der­te und kei­ne Er­spar­nis­se mit­führ­te, ge­riet er in die größ­te Not. Nä­her­te er sich ei­nem Hau­se, so be­trach­te­ten ihn die Leu­te mit Ver­wun­de­rung und Neu­gier­de und er­war­te­ten eher al­les an­de­re, als dass er bet­teln wür­de; so erstar­ben ihm, da er über­dies nicht be­redt war, die Wor­te im Mun­de, al­so­dass er der Mär­ty­rer sei­nes Man­tels war und Hun­ger litt, so schwarz wie des letz­te­ren Samt­fut­ter.

Als er be­küm­mert und ge­schwächt eine An­hö­he hin­auf­ging, stieß er auf einen neu­en und be­que­men Rei­se­wa­gen, wel­chen ein herr­schaft­li­cher Kut­scher in Ba­sel ab­ge­holt hat­te und sei­nem Herrn über­brach­te, ei­nem frem­den Gra­fen, der ir­gend­wo in der Ost­schweiz auf ei­nem ge­mie­te­ten oder an­ge­kauf­ten al­ten Schlos­se saß. Der Wa­gen war mit al­ler­lei Vor­rich­tun­gen zur Auf­nah­me des Ge­päckes ver­se­hen und schi­en des­we­gen schwer be­packt zu sein, ob­gleich al­les leer war. Der Kut­scher ging we­gen des stei­len We­ges ne­ben den Pfer­den, und als er, oben an­ge­kom­men, den Bock wie­der be­stieg, frag­te er den Schnei­der, ob er sich nicht in den lee­ren Wa­gen set­zen wol­le. Denn es fing eben an zu reg­nen, und er hat­te mit ei­nem Bli­cke ge­se­hen, dass der Fuß­gän­ger sich matt und küm­mer­lich durch die Welt schlug.

Der­sel­be nahm das Aner­bie­ten dank­bar und be­schei­den an, wor­auf der Wa­gen rasch mit ihm von dan­nen roll­te und in ei­ner klei­nen Stun­de statt­lich und don­nernd durch den Tor­bo­gen von Gol­dach fuhr. Vor dem ers­ten Gast­ho­fe, Zur Waa­ge ge­nannt, hielt das vor­neh­me Fuhr­werk plötz­lich, und al­so­gleich zog der Haus­knecht so hef­tig an der Glo­cke, dass der Draht bei­na­he ent­zwei­ging. Da stürz­ten Wirt und Leu­te her­un­ter und ris­sen den Schlag auf; Kin­der und Nach­barn um­ring­ten schon den präch­ti­gen Wa­gen, neu­gie­rig, welch ein Kern sich aus so un­er­hör­ter Scha­le ent­hül­len wer­de, und als der ver­dutz­te Schnei­der end­lich her­vor­sprang in sei­nem Man­tel, blass und schön und schwer­mü­tig zur Erde bli­ckend, schi­en er ih­nen we­nigs­tens ein ge­heim­nis­vol­ler Prinz oder Gra­fen­sohn zu sein. Der Raum zwi­schen dem Rei­se­wa­gen und der Pfor­te des Gast­hau­ses war schmal und im üb­ri­gen der Weg durch die Zuschau­er ziem­lich ge­sperrt. Moch­te es nun der Man­gel an Geis­tes­ge­gen­wart oder an Mut sein, den Hau­fen zu durch­bre­chen und ein­fach sei­nes We­ges zu ge­hen – er tat die­ses nicht, son­dern ließ sich wil­len­los in das Haus und die Trep­pe hin­an­ge­lei­ten und be­merk­te sei­ne neue selt­sa­me Lage erst recht, als er sich in einen wohn­li­chen Spei­se­saal ver­setzt sah und ihm sein ehr­wür­di­ger Man­tel dienst­fer­tig ab­ge­nom­men wur­de.

»Der Herr wünscht zu spei­sen?« hieß es. »Gleich wird ser­viert wer­den, es ist eben ge­kocht!«

Ohne eine Ant­wort ab­zu­war­ten, lief der Waag­wirt in die Kü­che und rief: »In drei Teu­fels Na­men! Nun ha­ben wir nichts als Rind­fleisch und die Ham­mel­keu­le! Die Reb­huhn­pas­te­te darf ich nicht an­schnei­den, da sie für die Abend­her­ren be­stimmt und ver­spro­chen ist. So geht es! Den ein­zi­gen Tag, wo wir kei­nen Gast er­war­ten und nichts da ist, muss ein sol­cher Herr kom­men! Und der Kut­scher hat ein Wap­pen auf den Knöp­fen, und der Wa­gen ist wie der ei­nes Her­zogs! Und der jun­ge Mann mag kaum den Mund öff­nen vor Vor­nehm­heit!«

Doch die ru­hi­ge Kö­chin sag­te: »Nun, was ist denn da zu la­men­tie­ren, Herr? Die Pas­te­te tra­gen Sie nur kühn auf, die wird er doch nicht auf­es­sen! Die Abend­her­ren be­kom­men sie dann por­tio­nen­wei­se, sechs Por­tio­nen wol­len wir schon noch her­aus­krie­gen!«

»Sechs Por­tio­nen? Ihr ver­ge­sst wohl, dass die Her­ren sich satt­zues­sen ge­wohnt sind!« mein­te der Wirt, al­lein die Kö­chin fuhr un­er­schüt­tert fort: »Das sol­len sie auch! Man lässt noch schnell ein hal­b­es Dut­zend Ko­te­let­tes ho­len, die brau­chen wir so­wie­so für den Frem­den, und was er üb­riglässt, schnei­de ich in klei­ne Stück­chen und men­ge sie un­ter die Pas­te­te, da las­sen Sie nur mich ma­chen!«

Doch der wa­cke­re Wirt sag­te ernst­haft: »Kö­chin, ich habe Euch schon ein­mal ge­sagt, dass der­glei­chen in die­ser Stadt und in die­sem Hau­se nicht an­geht! Wir le­ben hier so­lid und eh­ren­fest und ver­mö­gen es!«

»Ei der Tau­send, ja, ja!« rief die Kö­chin end­lich et­was auf­ge­regt, »wenn man sich denn nicht zu hel­fen weiß, so op­fe­re man die Sa­che! Hier sind zwei Sch­nep­fen, die ich den Au­gen­blick vom Jä­ger ge­kauft habe, die kann man am Ende der Pas­te­te zu­set­zen! Eine mit Sch­nep­fen ge­fälsch­te Reb­huhn­pas­te­te wer­den die Lecker­mäu­ler nicht be­an­stan­den! So­dann sind auch die Fo­rel­len da, die größ­te habe ich in das sie­den­de Was­ser ge­wor­fen, wie der merk­wür­di­ge Wa­gen kam, und da kocht auch schon die Brü­he im Pfänn­chen; so ha­ben wir also einen Fisch, das Rind­fleisch, das Ge­mü­se mit den Ko­te­let­tes, den Ham­mel­bra­ten und die Pas­te­te; ge­ben Sie nur den Schlüs­sel, dass man das Ein­ge­mach­te und das Des­sert her­aus­neh­men kann! Und den Schlüs­sel könn­ten Sie, Herr, mir mit Ehren und Zu­trau­en über­ge­ben, da­mit man Ih­nen nicht al­ler­or­ten nach­sprin­gen muss und oft in die größ­te Ver­le­gen­heit ge­rät!«

»Lie­be Kö­chin, das braucht Ihr nicht übel­zu­neh­men! Ich habe mei­ner se­li­gen Frau am Tod­bet­te ver­spre­chen müs­sen, die Schlüs­sel im­mer in Hän­den zu be­hal­ten; so­nach ge­schieht es grund­sätz­lich und nicht aus Miss­trau­en. Hier sind die Gur­ken und hier die Kir­schen, hier die Bir­nen und hier die Apri­ko­sen; aber das alte Kon­fekt darf man nicht mehr auf­stel­len; ge­schwind soll die Lie­se zum Zucker­beck lau­fen und fri­sches Back­werk ho­len, drei Tel­ler, und wenn er eine gute Tor­te hat, soll er sie auch gleich mit­ge­ben!«

»Aber, Herr! Sie kön­nen ja dem ein­zi­gen Gas­te das nicht al­les auf­rech­nen, das schläg­t’s beim bes­ten Wil­len nicht her­aus!«

»Tut nichts, es ist um die Ehre! Das bringt mich nicht um; da­für soll ein großer Herr, wenn er durch un­se­re Stadt reist, sa­gen kön­nen, er habe ein or­dent­li­ches Es­sen ge­fun­den, ob­gleich er ganz un­er­war­tet und im Win­ter ge­kom­men sei! Es soll nicht hei­ßen wie von den Wir­ten zu Seld­wyl, die al­les Gute sel­ber fres­sen und den Frem­den die Kno­chen vor­set­zen! Also frisch, mun­ter, spu­tet Euch al­ler­seits!«

Wäh­rend die­ser um­ständ­li­chen Zu­be­rei­tun­gen be­fand sich der Schnei­der in der pein­lichs­ten Angst, da der Tisch mit glän­zen­dem Zeu­ge ge­deckt wur­de, und so heiß sich der aus­ge­hun­ger­te Mann vor kur­z­em noch nach ei­ni­ger Nah­rung ge­sehnt hat­te, so ängst­lich wünsch­te er jetzt, der dro­hen­den Mahl­zeit zu ent­flie­hen. End­lich fass­te er sich einen Mut, nahm sei­nen Man­tel um, setz­te die Müt­ze auf und be­gab sich hin­aus, um den Aus­weg zu ge­win­nen. Da er aber in sei­ner Ver­wir­rung und in dem weit­läu­fi­gen Hau­se die Trep­pe nicht gleich fand, so glaub­te der Kell­ner, den der Teu­fel be­stän­dig um­her­trieb, je­ner su­che eine ge­wis­se Be­quem­lich­keit, rief: »Er­lau­ben Sie ge­fäl­ligst, mein Herr, ich wer­de Ih­nen den Weg wei­sen!« und führ­te ihn durch einen lan­gen Gang, der nir­gend an­ders en­dig­te als vor ei­ner schön la­ckier­ten Türe, auf wel­cher eine zier­li­che In­schrift an­ge­bracht war.

Also ging der Man­tel­trä­ger ohne Wi­der­spruch, sanft wie ein Lämm­lein, dort hin­ein und schloss or­dent­lich hin­ter sich zu. Dort lehn­te er sich bit­ter­lich seuf­zend an die Wand und wünsch­te der gol­de­nen Frei­heit der Land­stra­ße wie­der teil­haf­tig zu sein, wel­che ihm jetzt, so schlecht das Wet­ter war, als das höchs­te Glück er­schi­en.