Kleine Fluchten - Urs Augstburger - E-Book

Kleine Fluchten E-Book

Urs Augstburger

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Beschreibung

Rea liebt ihren Mann Peer. Und Peer liebt Rea. Eigentlich. Doch nach siebzehn Jahren Ehe flüchtet er sich in die Onlinewelt. Ist sie, Mutter und Professorin, für ihn noch begehrenswert? Und wer ist der Unbekannte, der ihr sinnliche Nachrichten schickt? In der Stadt am Alpenrand wühlt der Föhn den See auf – und die Menschen. Auch Rea, Mutter zweier Kinder, wird an einem stürmischen Sommerwochenende davongetragen. Bei einer Bergpartie, die langersehnte Abwechslung in die Ehe mit ihrem Mann Peer bringen soll, lässt sie sich auf einen Fremden ein, wird süchtig nach den erotischen Begegnungen im Netz. Zur gleichen Zeit verfällt Peer einer flüchtigen Geliebten, die er Jahre zuvor in der virtuellen Realität schon einmal getroffen hat. Aber während die Eltern ihre kleinen Fluchten genießen, kosten die Kinder von ungleich giftigeren Früchten. Urs Augstburger erzählt von kleinen Fluchten und großen Konsequenzen, von heutigen Versuchungen und zeitlosen Sehnsüchten.

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Seitenzahl: 476

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Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: ANZINGER | WÜSCHNER | RASP, München

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-98023-3

E-Book: ISBN 978-3-608-10813-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Für Anna und Mano

Sarebbe molto semplice

se almeno avessi un complice

con il quale condividere

questa avventura inutile

Il fatto più strano e illogico

è che nonostante che lo so

continuo a fare debiti con me

vivere non è facile

Sarebbe tutto semplice

se almeno avessi un complice

che mi facesse ridere

di tutte queste favole

Vivere non è facile, Vasco Rossi

1

Die Berührung des Lakens auf der nackten Haut erinnerte Rea an eine längst verlorene Leichtigkeit und erste Ferien am Mittelmeer. Der Südwind sirrte in den Stahljalousien des Hochhauses. Es war noch zu früh zum Aufstehen. Die diffuse Ahnung, der Tag würde nicht wie andere enden, hielt Rea wach. Oder weil sie nackt im Bett lag. Was sie sonst nie tat. Im Dunkeln tastete sie sich zur Kommode. Sie schlüpfte in Top und Slip, auf dem Rückweg stolperte sie über ihren Schlafanzug. Irgendwann in der Nacht war er auf dem Boden gelandet. Das bisschen Stoff half, Rea Richter schlief zusammengerollt wieder ein.

Draußen in der Morgendämmerung blinkten die Sturmlaternen, die Linienschiffe lagen vor Anker, die letzten verbliebenen Berufsfischer in den umliegenden Dörfern schliefen aus, als übten sie für später. Sogar der Doppelfischer, bekannt für seinen Starrsinn, zeigte sich nachgiebig. An diesem Morgen machte er bloß das Boot mit der Vogelscheuche klar und ließ es an einer Leine hinaustreiben. Die Winde fielen heftig in die fjordartigen Seearme ein, wühlten den schwarzen Wasserspiegel auf, zerrten der Vogelscheuche die Kleiderfetzen vom Gerippe. Über dem Seebecken erlangte der Föhnsturm neue Kraft und pfiff durch die staubigen Straßenschluchten der Stadt. Noch waren die Böen harmlos, sie rieben sich an den Hochhäusern, rissen die eine oder andere Plakattafel um und weckten jene mit leichtem Schlaf.

Im Dreispitz-Hochhaus wälzte sich Rea im Bett. Der Föhn hatte die Temperatur in die Höhe getrieben, jetzt klebte ihr der Stoff am Leib. Noch halb gefangen in den Traumresten der unruhigen Nacht stützte sie sich auf. Die Decke neben ihr war unberührt, wie oft in den letzten Monaten. Peer war kurz nach Mitternacht ins Zimmer gekommen. Unschlüssig hatte er neben seiner schlafenden Frau gestanden und war nach einem Blick auf den schmalen Streifen nackter Haut, den die Decke preisgab, im anderen Zimmer verschwunden.

Die Espressomaschine, schon wieder. Heute nervte sie das Geräusch. Peer leerte die zweite Tasse wie immer in einem Zug, kurz danach fiel die Wohnungstür ins Schloss. Als sei dies das Signal, schob Rea ihre nackten Beine über die Bettkante. Der Anblick irritierte sie. Sekundenlang und fast zärtlich strich sie mit den Fingern an der Außenseite der Oberschenkel entlang. Sie erinnerte sich nicht an ihre Träume, doch etwas daran war diese Nacht anders gewesen.

Tageslicht fiel als gelblicher Schimmer ins Zimmer. Sie versuchte, das Windgeräusch zu ignorieren, und fragte sich dabei, ob akustische Baumängel einklagbar waren. Die Nähe der Berge und des Sees wogen solche Nachteile allerdings auf, die Wohnungen in den Türmen gehörten zu den begehrtesten der Stadt. Großzügig bemessen waren sie auch. Das würde helfen, wenn die Griechen tatsächlich einfallen sollten.

Rea verdrängte den Gedanken.

Auf dem Nachttisch schaltete sich der Radiowecker mit Mirrors von Justin Timberlake ein. Reas aktuellem Lieblingslied. Ausnahmsweise traf sich ihr Geschmack mit dem ihrer Tochter. Sie wagte einige Tanzschritte zum leicht schleppenden Rhythmus, ihr Spiegelbild ließ sie innehalten. Ohne die ausgebeulte Pyjamahose wirkte sie verführerisch schlank, wie sie erstaunt feststellte. Ihre Freundin Nyima behauptete ja auch immer, sie sei noch so unwiderstehlich wie einst. Nur merkte Rea im Alltag wenig davon. Übermütig drehte sie eine weitere Pirouette zum Fenster. Dreizehn Stockwerke unter sich im Park sah sie die üblichen Hundebesitzer. Einer klaubte beiläufig einen frischen Haufen von der Straße, als mache es ihm nichts aus. Frühe Jogger wichen geübt den Hundeleinen aus. So sportlich sie selbst war, Laufen zu dieser Tageszeit hatte für Rea etwas Manisches.

Der Dreispitz-Park war in diesem Stadtteil der einzige grüne Flecken. Die Hauptverkehrsadern der Stadt begrenzten ihn auf allen drei Seiten. Schon frühmorgens stauten sich die Autos. Die Ringautobahnen der Stadt wurden gerade erneuert, an den Baustellen kam der Nahverkehr den Lastwagenkolonnen in die Quere, die sich in Richtung Alpenpässe wälzten. Von den drei Wohntürmen aus zogen sich die Häuserschluchten den Fluss entlang und gingen am Seebecken in eine Postkartenkulisse über. Die verbliebenen Hotels aus der Belle Epoque lockten noch immer beträchtliche Touristenströme in die Stadt. Darin sah Reas Schwester Paula offenbar ihre Chance. Nach über zehn Jahren wollte sie zurückkehren. Rea brachte allein der Gedanke daran auf die Palme. Typisch Paula. Ohne Arbeitsplatz, einfach auf gut Glück! Die Krise vertrieb sie aus Griechenland, doch vernünftiger war Paula deswegen nicht. Ihre Gedankenlosigkeit würde Rea, die Nachgiebigste der drei Richter-Schwestern, ausbaden müssen.

Die elektronische Jalousie klickte in die Halterung. Der See hatte heute die Farbe von gegossenem Blei, der Himmel war schwefelgelb. Die Felsen und Schrunden der Berge dahinter schienen zum Greifen nahe. Schon am Abend würde sie dort oben sein. Rea blickte zur S-Bahn-Station hinüber. Peer stand auf dem Bahnsteig. Wenn sie seine Haltung richtig deutete, war er von Nachrichten auf dem Handy absorbiert. Seit Peer selbständig war, arbeitete er noch mehr. Oder er versank gerade in einem seiner eigenen Games. Gestresst vom täglichen Spagat zwischen Arbeit und Kindern, hatte sie kein Gehör für das Jammern ihres Mannes. Ihr Kindskopf. Der ewige Spieler. Beim Gamen oder wenn er mit Moritz herumalberte, schien er keinen Tag älter als zu Beginn ihrer Beziehung vor siebzehn Jahren. Die Schnellbahn schoss aus dem Tunnel und hielt, Peer stieg ein.

Für einen Moment war es Rea, als beobachte sie einen Fremden.

Sie wandte sich ab. Ihre Zeit war heute noch knapper bemessen als sonst. Peers Firmenjubiläum fand im alten Kurhotel statt. Üblicherweise hätte sich Rea auf eine solche Abwechslung gefreut, diesmal nicht, sie hatte selbst ein volles Programm. Sie würde die letzten Bachelor-Filme ihrer Studenten sichten, sie beurteilen und kritisieren, dann die Kritisierten wieder aufrichten, Kopfwehtabletten schlucken, zurück durch die Stadt radeln, Gepäck und Moritz und Stina holen, diese bei ihrer Freundin abliefern, weiter in die Berge, hinauf zum Hotel, und das alles an einem Föhntag. Bei Südwind, der das Wasser aufwiegelte. Das Wasser und die Menschen, wie es in den alten Dörfern rund um den See hieß.

Reas morgendliche Kämpfe mit den Kindern bekam Peer fast nie mit, er war dann schon weg. In der S-Bahn hatte er Glück, ergatterte einen der letzten Sitzplätze. Dichtestress war das aktuelle Modewort für überfüllte Züge und verstopfte Straßen, und alles der übermäßigen Zuwanderung geschuldet, wollte man den rechtskonservativen Politikern glauben. Ausgerechnet die, die sich sonst an grenzenlosem Wachstum berauschen, dachte Peer. Er schälte sich umständlich aus seiner Kapuzenjacke. Das Handy signalisierte den Eingang einer Kurznachricht, genervt drückte er sie weg. Das Geschäftskonto seines Laptops vermeldete neununddreißig neue E-Mails seit dem Vorabend. Keine war dringend, aber keine konnte er ignorieren. Die Menge der anstehenden Aufgaben ließ Peer schwindeln. Wie jeden Morgen rang er mit der Versuchung, den Computer sofort wieder zuzuklappen. Er hatte sich oft gefragt, ob er diese Momente der Ohnmacht mit den anderen um ihn herum teilte. All die Klone mit müdem Blick und Outdoorjacken über grauen Businessanzügen. Getarnte Zeitdiebe! Unterschied er sich wirklich noch von ihnen, oder zog er sich nur anders an? Peer Großen hatte schon früh viel dafür getan, um der Arbeit aus dem Weg zu gehen. Das Informatikstudium hatte er in der sicheren Überzeugung absolviert, er würde danach Computerspiele designen, sich schon mit seinem ersten Wurf einen Namen machen und ein nicht zu knappes Einkommen für die nächsten zehn Jahre sichern. Kaum hatte er jedoch die Uni verlassen, war Rea schwanger geworden und die Zeit für Spiele abgelaufen.

Die S-Bahn fuhr in den Hauptbahnhof ein. Peer ließ sich vom Pendlerstrom in die unterirdische Passage treiben. Auf der anderen Seite löste er sich und spurtete zum Bus. Nach Atem ringend, fiel er in den Sitz. Er blickte auf den See hinaus. Die Sonnenstrahlen brachen in den Wolken und spiegelten sich grünlich im Wasser. Oft zog sich eine solche Stimmung über Tage hinweg, bevor der Südwind richtig loslegte. Manchmal fiel er auch irgendwann einfach in sich zusammen, und die Föhnphase endete unspektakulär.

Das war eher selten.

Während Peer durch die Playlisten scrollte, fiel ihm das griechische Verhängnis wieder ein. Die Ankunft von Paula und Nikos. Er freute sich auf die beiden, im Gegensatz zu Rea verstand er sich gut mit Paula. Er startete Griechischer Wein. Am Vorabend hatte er das Lied heruntergeladen. Zum einen sollte es Rea ärgern, in Wahrheit wollte Peer das Lied nur wieder einmal hören. Als Kind hatte es ihn zu Tränen gerührt. Er stöpselte sich die Hörer in die Ohren und lehnte sich zurück. Während der ersten Takte fiel ihm ein alter Mann auf, der am Seeufer eben etwas aus seiner vielfarbigen Plastiktasche holte. Es musste trockenes Brot gewesen sein, denn Sekunden später war er von Tauben und Möwen so eingekreist, dass er das Füttern wieder aufgab und sich, heftig hinkend, in Sicherheit brachte. Einige Meter weiter beobachtete Peer eine ältere Frau, deren Fahrrad gefährlich schlingerte. Der Wind zerrte am riesigen Sack mit Torferde auf ihrem Gepäckträger. Dann ging alles sehr schnell: Das Auto, das sie eben überholen wollte, streifte den Sack, so schien es zumindest, die Frau verschwand hinter dem Wagen. Peer war halb aufgesprungen, der Schreckensruf blieb ihm im Hals stecken. Er sah nur noch einige Fußgänger zur Unfallstelle eilen. Der Bus hatte schon wieder beschleunigt, er überquerte die Brücke zur anderen Flussseite. Peer ließ sich in den Sitz zurückfallen.

Was wollte sie bloß mit Blumenerde um diese Tageszeit?

Da war sie wieder, diese Beklemmung, wie immer bei Föhn.

Peer stieg aus. Sein früherer Arbeitgeber, der Outdoor- und Sportbekleider Nordstern, residierte seit Jahrzehnten an bester Adresse. Peer war zwecks kürzerer Wege gleich im Gebäude geblieben. Die Hoffnung, er würde seine Arbeit mit der Gründung eines eigenen Unternehmens selber bestimmen können, blieb unerfüllt. Dafür hätte er einen radikaleren Schnitt machen müssen, wusste er heute. Wie zuvor kümmerte sich Peer um die Informatik bei Nordstern, jetzt einfach als Auftragsnehmer. Lange würde er diese Arbeit nicht mehr alleine bewältigen können. Die Firma war überraschend zur Kultmarke geworden. Manchmal fragte sich Peer, wie er es früher geschafft hatte, den halben Tag im Second Life zu verbringen und die eigentliche Arbeit fast nebenbei zu erledigen. Das virtuelle Zweitleben und alles, was damit verbunden gewesen war, hatte Peer auf Druck seiner Frau irgendwann einstellen müssen, zu sehr hatte es das Familienleben gefährdet. Mittlerweile versagte sich Peer exzessives Surfen, er bastelte lieber an neuen Games. Vielleicht nicht mehr lange. Ein schwedischer Mischkonzern hatte Nordstern als Übernahmekandidaten ausgemacht, die Verhandlungen schritten voran. Peers Verträge waren diesbezüglich wasserdicht, aber was hieß das schon, wenn Manager mit der großen Kelle rührten. Die Ungewissheit und seine Überforderung waren auch der Grund dafür, dass er dem Wochenende in den Bergen eine etwas übertriebene Bedeutung gab. Dort würde er erstmals seine neue Ansprechpartnerin auf schwedischer Seite treffen. Ihren Namen hatte er wieder vergessen, Peer wusste nur noch, dass er nach einer Heavy-Metal-Sängerin geklungen hatte.

Wieder vibrierte sein Handy. Diesmal war es Rea, die wissen wollte, wohin er den kleinen Rollkoffer verstaut hatte.

Sie fand ihn tatsächlich im Putzschrank und trug den Koffer ins Schlafzimmer. Was trug man zu einem Jubiläumsdiner in einem Gebirgskurhotel? Etwas Schönes, hatte Peer ihre Frage lahm beantwortet. Früher hätte er ihr ein halbes Dutzend Vorschläge gemailt, inklusive der Farbe des Eyeliners. Passend zu ihren Dessous. Rea schob den Koffer zur Seite. Sie würde ihn erst kurz vor der Abfahrt packen, dann wäre sie pragmatischer. Sie ging zu Moritz hinüber. Kaum im Zimmer, stolperte sie über den Zauberkasten, den der Junge vor kurzem bekommen hatte und seither als bestes Geschenk der Welt betitelte. Der Kasten blieb immer da liegen, wo er seinen letzten Streich damit ausgeheckt hatte. Moritz war schon länger wach und unschlüssig gewesen, ob er zur Mutter ins Bett schlüpfen sollte. Seit sie meist allein schlief, duldete sie es. Heute war sie ihm zuvorgekommen. Blitzschnell drehte Moritz sich zur Wand und stellte sich schlafend. Rea lächelte. Das neueste Ritual der beiden. Sie musste es schaffen, dem Kleinen die Decke zu entreißen, erst dann war er zu Verhandlungen bereit. Sie versuchte es mit der Einlull-Taktik, ließ zur Täuschung die Matratze neben Moritz einige Mal wippen, unternahm aber nichts. Moritz kniff die Augen noch fester zusammen, das Lächeln unterdrückte er, immerhin schlief er ja.

Rea schaute auf die Uhr und rief in den Korridor hinaus nach Stina.

Das genervte Stöhnen im Nebenzimmer verriet, wie wenig vernehmungsfähig Reas Tochter auch heute Morgen war. Sie schuldete ihr noch eine Begründung für den Abwesenheitsschein, den sie unterschreiben sollte. Rea rieb sich die gereizten Augen. Der Wind in der Jalousie klang ein wenig wie das Schleifen von rauen Fingerkuppen auf metallenen Saiten. Sie hatte schon ewig nicht mehr gespielt. Soweit sie sich erinnerte, lag ihr Bass irgendwo drüben, begraben unter den Kleiderbergen ihrer Tochter.

Sie zerzauste die Haare des Kleinen, Moritz schlief angestrengt weiter. Rea zupfte an der Bettdecke. Der Junge hatte seine bisherige Taktik überdacht, die Decke war diesmal raffiniert um seine Beine gewickelt, der eine Zipfel unter seinen verschränkten Armen eingeklemmt. Als sie stärker daran zog, hob sie ihn mitsamt der Decke ein Stück hoch. Moritz konnte sich ein Glucksen nicht mehr verkneifen.

»Du bist ja wach!«, tat Rea überrascht. »Na warte, du!«

Moritz schrie vor Vergnügen auf. Rea zerrte ihn vom Bett herunter und passte auf, dass er sich nicht den Kopf stieß. Er plumpste auf den Teppich. Nach einigen fruchtlosen Versuchen hielt Rea unvermittelt still, Moritz linste unter seinen Haaren hervor, im selben Moment entriss sie ihm die Decke mit einem überraschenden Ruck. Wie jeden Morgen, versuchte Moritz das Spiel auszureizen, hechtete ohne Decke auf das Bett zurück. Doch Rea wurde energisch. In dosierten Abständen ließ sie Moritz seinen Willen, frühmorgens aber war das undenkbar. Schon jetzt war die Zeit knapp geworden.

»Moritz, jetzt komm! Was willst du essen?«

»Mami!!«

»Müsli oder Brot oder nichts?«

»Ich weiß nicht.«

»Butterbrot also.«

»Nein, Müsli!«

»Welches?«

»Ich weiß doch nicht!«

In der Küche standen fünf verschiedene Packungen mit Frühstücksflocken, alle angebrochen, weil Moritz seine Vorlieben so schnell wechselte wie die Werbespots neue Spielzeuge in den Schachteln ankündigten. Überhaupt bot ihm das Leben derzeit zu viele Möglichkeiten. Sein Gesicht verriet auch jetzt sein Dilemma.

Rea kam den Tränen zuvor. »Ich mache dir etwas bereit, kannst schon mal raten was. Nein, das nicht, hier sind die frischen Kleider.«

»Die mag ich nicht.«

»Dann kommst du zu spät.«

»Mir egal!«

»Dann sag dem Lehrer, du hättest absichtlich herumgetrödelt.«

»Tue ich nicht!«

»Eine SMS genügt.«

»Nein. Nein!! Wehe!«

»Moritz! Schon vergessen, was heute ist?«

Moritz schaute auf, verunsichert, ob er die Verweigerung auf die Spitze treiben sollte.

Rea zog die Tür hinter sich zu. Die Erinnerung an das Wochenende bei Nyima würde ihm Beine machen. Rea nahm es nicht persönlich, ihr fiel nur wieder einmal auf, wie schnell alles ging. Vor einem Jahr hatte Moritz sich geweigert, überhaupt woanders zu schlafen, heute gerieten ihm solche Wochenenden zum Abenteuer. Bei Reas verrückter Freundin ohnehin.

Stina stand derweil mit dem Gesichtsausdruck einer Schlafwandlerin bewegungslos vor dem Spiegel. Sie war erst halb angezogen. Frühstück brauchte sie nicht, das machte fett. Stina benötigte die Zeit für ihr Styling. Während sie ihre Garderobe zusammenstellte, überlegte sie, was die neuesten Meldungen zu bedeuten hatten. Leandra war wieder im Chat aufgetaucht. Die Baker-Girls hatten beschlossen, die Intrigantin endgültig auszuschließen, doch nun schien es, als zwinkere Leandras Smiley Stina höhnisch an. Gerade jetzt. Dirk hatte nur noch Augen für sie, da durfte ihr diese Bitch nicht in die Quere kommen! Die Aussicht auf das Treffen der Baker-Girls verlieh ihr einen Energieschub. Stina bürstete ihre Haare und packte danach die Tasche für das Wochenende bei Nyima. Die beiden Tage bei ihrer Patentante kamen ihr gerade recht, die hatte voll Erfahrung, nur sie konnte ihr die entscheidenden Tipps geben.

In der Küche bereitete Rea die Schokolademilch vor. Rituale wie mit Moritz hatte sie auch mit Stina gepflegt. Eben noch schien es gewesen zu sein, jetzt wurde ihr die Tochter bereits etwas fremd. Doch unverdrossen glaubte sie weiter, sie würden ohne große Schwierigkeiten durch die Pubertät kommen. Wenn es um ihre Tochter ging, war Rea oft blind und taub zugleich.

Zehn Minuten später fiel die Tür hinter Stina ins Schloss. Sie hatte mit ihrer Mutter keine zwei Worte gewechselt. Ganz anders Moritz. Beim Packen beschränkte er sich erst nach langer Diskussion auf eine seiner drei identischen Einschlafhilfen und steckte endlich Hooper 2 in den Rucksack.

Reas Handy fiepte. Sie drückte Paula weg. Dafür war nun wirklich keine Zeit.

»Moritz, wir müssen los.«

Sie öffnete die Tür, im selben Moment schreckte ein dumpfer Knall sie auf. Moritz warf den Kopf herum.

»Wieder weggeflogen?«, fragte Rea.

»Ich glaub nicht.«

»Mist.«

Die Spiegelung in der Glasfassade des Hochhauses war für Vögel fatal. Als sich die Tür des Lifts hinter ihnen schloss, zog Rea Moritz an sich. Sie war es, die Halt suchte. Die nächtliche Unruhe war zurückgekehrt.

2

Der Wagen nahm die letzten Serpentinen in Angriff. Rea und Peer waren noch in Diskussionen verstrickt. Auf der Fahrt hatte sie ihm von Paulas Anruf erzählt, den sie im Laufe des Morgens doch noch entgegengenommen hatte. Zu ihrem Entsetzen war ihre Schwester bereits unterwegs. Die Fähre musste mittlerweile auf dem griechischen Festland angekommen sein, im Laufe des kommenden Tages würde sie mit ihrem Sohn bei ihnen ankommen.

Rea hatte ihre Abwesenheit als Ausrede benutzt. Paula solle übers Wochenende ein Hotel nehmen oder mit Sophie abklären, ob der elterliche Hof der Richters im Tal, der gerade renoviert wurde und leer stand, wenigstens teilweise bewohnbar sei.

Peers Einwände ließ Rea nicht gelten. Sie eröffne doch nicht Hals über Kopf ein Flüchtlingslager, nur weil ihre Schwester wieder mal der Teufel ritt.

»Vielleicht haben sie gar keine Wahl!«, erwiderte Peer vorsichtig. Er wusste, dass rationale Argumente bei seiner Frau wenig zählten, wenn es um Paula ging.

»Das ist nicht der Punkt«, versetzte sie. »Weshalb meldet sie sich erst jetzt? Ist die Griechenland-Krise gestern ausgebrochen?«

»Sie musste sich wohl erst dazu durchringen.«

»Das beschließt keiner Hals über Kopf! Nikos ist fünfzehn. Was ist mit der Schule? Auch eine Stiefmutter trägt Verantwortung. Hier wartet keiner auf Paula. Und ihr Stelios bleibt alleine zurück? Das muss doch einen Grund haben? Jetzt, wo bei ihr alles schief läuft, sind wir ihr gut genug!«

»Nikos ist selbständiger, als es Stina je sein wird, das weißt du. Und die Hälfte der Probleme zwischen euch bildest du dir ein.«

»Du bist auf Paulas Seite, wie immer.«

Ein Wort führte zum nächsten, bald stritten sie über Belanglosigkeiten wie die Schränke, die Rea stets offen ließ, und die schmutzige Wäsche, die Peer nie zur Waschmaschine trug. Keiner gab nach, auch wenn beide wussten, dass sie wieder mal ein Scheinduell ausfochten. Im Grunde ging es um Reas Eifersucht auf Paula. Und um unberührte Betten.

Rea brauchte Bedenkzeit. Ihre Entscheidung konnte unabsehbare Auswirkungen haben. Nur so lange, bis wir etwas gefunden haben, Schwesterchen! äffte sie Paula in Gedanken nach. Was dachte sie sich bloß? Eine Wohnung finden in dieser Stadt, die aus allen Nähten platzte? Ohne Geld? Zum letzten Mal war Paula vor über zehn Jahren hier gewesen. Damals war sie noch in besetzten Häusern untergeschlüpft. Ihrem Mann Stelios hätte das gefallen, der würde dort seine nächste Band gründen und innerhalb weniger Wochen eine treue Fangemeinde um sich scharen.

Aber Stelios war wohlweislich auf seiner Insel geblieben. Nikos hingegen tat Rea leid, der Junge musste Paulas Bedenkenlosigkeit ausbaden.

Der Wagen nahm die letzten Kehren. Der Anblick, der sich ihnen bot, entschädigte sie ein wenig für den aufreibenden Tag. Das Kurhaus war ein gut erhaltenes Jugendstilhotel. Von den Engländern in der Frühzeit des Alpentourismus erbaut, thronte es dem Bergdörfchen gegenüber auf einer Anhöhe, eingebettet in einen Lärchenwald, der sich dunkel vom schwefligen Himmel abhob. Hier war der Wind schwächer, stellten die beiden fest, als sie aus dem Wagen stiegen, und die Luft weniger drückend als unten am Seebecken. Rea blieb stehen. Wie immer in solchen Momenten schimmerten Ahnungen von möglichen Filmanfängen auf, kaum angedacht, schon durchwirkt vom Bedauern, dass sie nie umgesetzt würden.

Sie drehte sich um die eigene Achse. Nach kurzem Suchen entdeckte sie eine bekannte Felsformation. Der Zwischenhof der Richters war nicht weit entfernt. Sophie, Reas älteste Schwester, bewirtschaftete ihn mit ihrer Familie jeweils bis Juli. Bald würden sie das Vieh hinauf zur Sommeralp treiben, zur letzten Ebene ihres Dreistufen-Betriebes. Rea wollte dann die Ferien auf dem Zwischenhof verbringen, dem eigentlichen Maiensäß der Richter-Familie. Sie konnte es kaum erwarten. Dort oben würde Stina mit Moritz wie einst durch die Wälder streifen. Und sie selbst würde Zeit finden, am Tisch vor der Scheune endlich mal einige Ideen aufzuschreiben. Die Kinder wurden größer, sie musste sich Freiräume schaffen, einen Ausgleich zum Unterricht finden.

»Gehen wir?« Peer klappte den Kofferraum zu.

Die neuen Besitzer hatten das Hotel sanft renoviert, nur auf einigen Etagen war das Notwendigste gemacht und der ursprüngliche Charme des Hauses erhalten worden. Der Treppenaufgang führte die beiden vom Garten in einen halbrunden Vorbau aus Quadersteinen, die alten Rundbogenfenster hatten dieselbe ziegelrote Farbe wie die Riegelstruktur im Gemäuer des obersten Stockwerkes. Peer füllte den Anmeldeblock aus. Als Rea das schlichte Restaurant neben der Rezeption sah, fühlte sie sich sofort wohler. Offensichtlich waren auch einfache Wanderer willkommen. Aus Neugier warf sie einen Blick in den hinteren Speisesaal. Der Kontrast verblüffte sie. Hoch über dem kunstvoll gefügten Parkettboden wölbte sich hier eine blassblaue Gewölbedecke mit Stuckaturen. Die Tische waren weiß gedeckt. Rea fragte sich, ob sie die passenden Kleider dabei hatte. Sie ging zu Peer zurück, der vor dem altmodischen Lift wartete und grüßend den ersten Bekannten zuwinkte, die schon beim Apéro an der Bar saßen. Rea schielte hinüber. Nur eine der Frauen trug ein langes Kleid. Das Essen sollte um acht beginnen, erinnerte Peer, wenn sie pünktlich kommen wollten, würden sie sich beeilen müssen. Rea spürte seine Unruhe, doch ihr fehlte die Energie, sich anstecken zu lassen. Immerhin waren sie rechtzeitig angekommen, wider Erwarten, es blieben ein paar Minuten, sich herzurichten, alles andere würde sich zeigen. Im Lift schickte sie Nyima eine SMS.

Wunderschönes Hotel

Genießt es.

Oh!

Was?

Foto kommt.

Nicht schlecht.

Badewanne mit Löwenfüßen. Mach was draus!

Bei euch?

Unterwegs ins Kino.

Trotz Sturm?

Mach dir keine Sorgen.

Gib durch, wenn Moritz schläft.

Ich geb durch, wenn er nicht schläft. Und: Suicidal…

Zu alt dafür

Blödsinn

Heute schon

Rea und Nyima waren seit ihrer Jugend befreundet, gesimste Andeutungen reichten ihnen meist zur Verständigung. Rea rieb sich die Schläfen. Zu alt und zu angeschlagen … Sie hätte einiges dafür gegeben, den Abend ungestört in diesem Zimmer verbringen zu dürfen. In der Badewanne, ein Glas Rotwein auf der Ablage neben dem Wannenrand. Sie knöpfte im Badezimmer die Jeans auf und ließ sich auf die Toilette plumpsen. Im Zimmer ging Peer geschäftig auf und ab, sicher war er schon bald bereit. Das eiserne Band um ihren Kopf zog sich zusammen. Sie wischte sich ab, drückte auf die Spülung, wühlte in ihrem Necessaire, drückte eine weitere Schmerztablette aus der Verpackung. Dann ging sie ins Zimmer hinüber, wo Peer tatsächlich im Anzug an der Tür stand. Entgegen ihrer Vermutung war es ihm allerdings recht, dass Rea noch nicht bereit war.

»Warum so angespannt?«, fragte Rea.

»Bin ich nicht«, fuhr er auf. »Ein bisschen, vielleicht. Die Übernahme ist beschlossen, das wird hier verkündet. Und einige der Schweden sind da. Deswegen. Ich geh schon mal runter und schau mich um. Du musst ja noch duschen.«

Ihr war, als hörte sie einen vorwurfsvollen Unterton heraus.

»Hab ich doch schon, nach der Arbeit.«

Rea suchte vergeblich seinen Blick. Es war wieder einer dieser Momente, in denen sich das Unausgesprochene zwischen den beiden auftürmte.

»Warte auf mich«, sagte Rea. »Ich will nicht alleine hinuntergehen.«

Sie zog die Bluse über den Kopf und stand in einem ihrer ausgeleierten Baumwolltops da. Genau das hatte Peer befürchtet.

»Komm halt nach, ich bin in der Bar.«

Abrupt öffnete er die Tür und zog sie heftig hinter sich zu. Rea zuckte beim Knall zusammen und fragte sich, was jetzt wieder geschehen war. Fast widerwillig war sein Blick an ihrem Körper haften geblieben, doch das aufblitzende Interesse war sofort in Resignation übergegangen.

Rea massierte mit kreisenden Bewegungen ihre Schläfen, bevor sie die Stoffhose und das kurze Kleid, das sie dazu kombinieren wollte, aufs Bett legte. Mit den legginsartigen Hosen sah das Kleid ein bisschen weniger aufregend aus, trug aber dem Anlass Rechnung. Die auffälligen, geschnürten Highheels würden den Kontrapunkt setzen und hoffentlich auch Peer überraschen. Ochsenblutrot hatte die Verkäuferin die Farbe genannt. Die Schuhe bestimmten letztendlich die erotische Ausstrahlung jeder Frau, war Rea Richter überzeugt.

Sie hatte sich auf die Dessous aus Nyimas neuester Kollektion gefreut, aber für die Fahrt wären die Mikrotextilien einfach zu unbequem gewesen. Rea nahm sie aus dem Koffer. Die Suicidal-Linie also, die Empfehlung war klar gewesen. Nyima Samten musste es wissen, sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt seit der Kunstschule ausschließlich mit den eigenen Dessous, die sie via Internet vertrieb. Bei den Zwanzigjährigen war Samten in kürzester Zeit zur Kultmarke geworden. Nyima hielt den Hype um ihre Stücke mit raffinierten Werbeaktionen aufrecht. Ihr tibetischer Name war wie geschaffen für ein Label, ihre asiatischen Züge und die etwas dunklere Haut machten sie zum perfekten Modell in eigener Sache. Noch heute posierte sie selbst. Die Vorteile des Internets nutzte sie konsequent für ihre Kampagnen, ihre Käuferinnen band sie gleich mit ein. Wer genügend Mut hatte, sich in ihren Stücken fotografieren und filmen zu lassen, am besten in aller Öffentlichkeit, wurde zur Markenbotschafterin und kam zu vielbeachteten Auftritten. Online oder bei Modeschauen, die bejubelte Happenings waren. Der Geschäftserfolg basierte darauf, dass die Käuferinnen die Farbe und die Stoffe baukastenartig selber zusammenstellen konnten, Nyima nähte mit ihren mittlerweile drei Angestellten die Stücke dann nach den Bestellwünschen. Hergestellt wurde so nur, was bereits verkauft war. Eine verblüffend einträgliche Geschäftsidee.

Rea hatte Peers Gesichtsausdruck missverstanden und schloss den Koffer wieder. Sie war offensichtlich zu alt für Nyimas minimalistische Entwürfe, da konnte ihre Freundin noch lange das Gegenteil behaupten. Baumwollslip und Spaghettitop taten es auch, beides mittlerweile ein Klassiker, Nicole Kidman sei Dank. Und bequem dazu. Sie schlüpfte in die Kleider und legte den Halsschmuck an, den Peer ihr diesen Winter zu ihrem siebzehnjährigen Jubiläum geschenkt hatte. Rea betrachtete sich im Spiegel. Niemals hätten sie beide damals gedacht, dass sie so lange zusammen sein würden. Eigentlich eine verblüffende Leistung.

Aber nicht alle ihre Träume hatten sich erfüllt. Sie warf es Peer nicht vor, sie war selbst schuld. Ihre Zeit kam noch, sagte sie sich, ohne sich einzugestehen, wie oft sie sich schon vertröstet hatte. Wenn sie ausnahmsweise einen Moment für sich hatte, kam Rea schnell ins Sinnieren. Auch jetzt hatte Peer schon längst das Zimmer verlassen, und erst die krachend laute Toilettenspülung nebenan riss Rea aus ihren Gedanken. Sie benetzte die Finger und drückte ihre Frisur in die richtige Form, sie zog den Lidstrich nach, nahm die Handtasche, warf sich das Jäckchen über, das zum Kleid gehörte, dann ging sie ihren Mann suchen. Die widerstrebend anerkennenden Blicke zweier Frauen beim Lift bestätigten Rea, dass sie richtig angezogen war.

Peer saß mit Hans Althaus, seinem Ansprechpartner in der Firma, am Tresen der Bar. Die schwedische Delegation war noch beim Apéro mit dem Verwaltungsrat der Nordstern. Er solle sich bloß keine Sorgen machen, hatte ihm Althaus versichert, und den Abend einfach genießen. Für ihn bleibe ohnehin alles beim Alten. Die Larsson habe schon nach ihm gefragt.

»Wer?«

»Dordi Larsson, die IT-Chefin von Lindmark.«

Die Heavy-Metal-Sängerin, dachte Peer amüsiert, sagte aber nur: »Ein ungewöhnlicher Name.«

»… für eine ungewöhnliche Frau. Wirst du gleich selber sehen.«

Peer wollte nachfragen, gleichzeitig sah er Rea, die eben aus dem Lift kam. Er winkte ihr zu. Die Bar war mittlerweile mit Nordstern-Angestellten gut gefüllt. Das Unternehmen hatte am Hauptsitz etwas über hundert Angestellte. Viele kannte Peer aus der Zeit, als er noch direkt beim Unternehmen angestellt war, aber seither hatte sich die Belegschaft fast verdoppelt. Hans Althaus hatte ihm versichert, die Übernahme würde einen weiteren Schub einleiten.

»Rea, meine Frau.«

»Wie konntest du mir diese Schönheit vorenthalten?«

Mit gespielter Grandezza deutete Althaus einen Handkuss an.

»Wir haben uns auch schon getroffen«, sagte Rea. »An einem Weihnachtsessen?«

»Dieses Gesicht hätte ich doch niemals vergessen!«

Seine Beiläufigkeit und der scherzhafte Unterton machten erträglich, dass er zu dick auftrug. Rea war froh, in der Menge jemanden getroffen zu haben, den sie zu kennen glaubte. Peer beugte sich zu Rea und flüsterte ihr ins Ohr, ihr Spaghettiträger mache sich unter dem Kleid vielleicht besser. Sie schielte auf ihre Schulter hinab und versteckte ihn etwas irritiert. Über ihr sonstiges Aussehen verlor Peer kein Wort, nicht mal die spektakulären neuen Schuhe bemerkte er, im Gegensatz zu anderen an der Bar. Rea ließ den Blick über die stetig größer werdende Gruppe schweifen. Sie und Peer verbrachten ihre Tage in komplett verschiedenen Welten, fiel ihr wieder einmal auf. Im Grunde wusste sie nichts über die Arbeit ihres Mannes. Oberflächliches vielleicht, aber nichts von dem, was sie im Kern ausmachte. Vor den neuesten Entwicklungen hatte er zu Hause kaum je ein Wort über die Arbeit verloren. Über die eigene sprach Rea mehr, was nicht hieß, dass er ihre beruflichen Sorgen verstand. Sie hörte mit einem Ohr zu, wie Althaus und Peer darüber spekulierten, wann die Übernahme der Schweden verkündet würde. Eine Serviererin kam vorbei, sie nahm ein Champagnerglas. Noch während sie mit den anderen anstieß, fiel ihr wieder ein, dass sie sich wegen des Schmerzmittels etwas zurückhalten sollte.

Drüben bei der Rezeption kam Bewegung in die Leute. Sie machten einer seltsam zusammengewürfelten Gruppe Platz. Die meisten trugen edle Anzüge, mit Ausnahme zweier sportlich-verwegener Typen. Zumindest den einen kannte hier jeder, der Norweger war der derzeit beste Rennläufer im Skizirkus. Der Zweite, Dan Reisinger, war in Freeride-Kreisen bekannt, und dort eine Kultfigur. Seine gewagten Videos führten die Hitlisten auf YouTube und allen einschlägigen Sites an. Er hatte Nordstern zu Glaubwürdigkeit im stetig wachsenden Freeride-Markt verholfen. Reas Aufmerksamkeit verlagerte sich auf die einzige Frau in der Gruppe. Eine eher zierliche Gestalt, aber ihr schwarzes Kleid war so schlicht und perfekt, dass es ihr sofort auffiel. Es betonte jeden Muskel ihres trainierten Körpers. Die Blicke der Männer an der Bar wanderten von Rea weg zu ihr. Nur Peer schien immun, er war darin vertieft, die letzten Nüsschen aus der Schale zu picken. Die Frau löste sich von ihren Begleitern, steuerte zu Reas Erstaunen direkt auf sie zu und blieb mit erwartungsvollem Gesicht vor ihnen stehen. Sie war jünger als Rea, doch nicht so jung wie Rea auf den ersten Blick geglaubt hatte.

»Hi Peer!« Sie schaute kurz zu Althaus hin. »Du bist doch Peer?«, vergewisserte sie sich. Nur ein leichter Singsang verriet ihre Herkunft.

Althaus nickte eifrig, als hätte sie ihn angesprochen. Peer reichte der Frau, die offensichtlich Dordi Larsson war, die Hand. Irritiert registrierte er den harten Kontrast zwischen den blonden Haaren und ihrer dunklen Haut. Er kannte sie nicht, aber ihr Gesicht wirkte seltsam vertraut.

Rea hatte erstaunt beobachtet, wie herzlich die Unbekannte ihren Mann begrüßte.

»And this is your wife, I guess!«

Peer nickte.

»So glad to meet you! I’m Dordi. Love your shoes!«

Rea kam Peer zuvor und nannte ihren Namen. Dordis Händedruck war kräftig, fast männlich, das gefiel Rea. Ebenso die fröhliche und unkomplizierte Art, mit der sie sich nun mit den Umstehenden bekannt machte.

Ihr Begleiter mit den militärisch kurz geschnittenen, schneeweißen Haaren, der Rea zuvor schon aufgefallen war, wollte sie entführen. Dordi stellte ihn ihr flüchtig als Matteo vor.

»Nachher am selben Tisch?«, fügte sie hinzu.

Mühelos wechselte Dordi Larsson von Englisch zu Deutsch.

Hans Althaus, entzückt über die Vorstellung, die ebenso attraktive wie einflussreiche Frau an seinem Tisch zu wissen, schob seinen Barhocker zurück. Es sei Zeit, sich ihre Plätze im Speisesaal zu sichern.

»Woher kennt die mich?«, fragte ihn Peer leise und noch immer verwundert.

»Sie ist ziemlich gut, gewöhn dich dran.«

Die Kombination von Alkohol und Schmerzmitteln wirkte. Rea spürte, wie die Anspannung des Tages wich. Die anregende Wirkung des Champagners verhinderte, dass ihre Müdigkeit nach der schlaflosen Nacht Überhand gewann. Im Gegensatz zu Peer gelang es ihr jedoch nicht, sich auf die Tischgespräche zu konzentrieren. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen und sich ihren Gedanken überlassen. Sie kehrten immer wieder zu einem amerikanischen Kurzfilm zurück, den sie heute ihren Schülern gezeigt hatte. Die Filmemacherin verfolgte darin in einer fiktiven Geschichte vier ganz unterschiedliche Frauen durch eine Nacht. Die eine, die Schüchterne, verbringt den Abend in ihrer Wohnung, bereitet sich dort auf den Besuch ihres Liebhabers vor, der nie kommen wird. Ihre Bemühungen, sich möglichst vorteilhaft zurechtzumachen, werden erst hektisch, dann manisch und enden schließlich im Zusammenbruch, als der Mann nicht erscheint. Zwei der Frauen sind zusammen unterwegs, mischen einen Club auf, lassen nichts aus, um zu ihrem Rausch zu kommen, während die Vierte, die unscheinbare, sich ebenfalls in den Club schmuggelt. Sie selbst traut sich nichts, doch jede Beobachtung von Anzüglichkeiten führt sie in Gedanken weiter und setzt sich dabei an die Stelle der Beobachteten. Einige gefährlich erotische Momente später lösen sich ihre Träume in nichts auf, sie findet sich in der Realität wieder. Die Frauen waren etwas zu klischiert gezeichnet und eher Projektionen, didaktische Konstruktionen gar, das hatte sie vor den Schülern kritisiert. Eigentlich hatte sie den Film nur als Beispiel einer gelungenen Parallelmontage zeigen wollen, aber viele der Bilder hatten sich ihr eingebrannt. Das geschah Rea Richter in der Flut der Filme, die sie sich anschauen musste, eher selten.

Althaus bemerkte Reas Zerstreutheit, immer mal wieder versuchte er, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Er war sichtlich angetan von seiner Frau, stellte Peer auf der anderen Seite des Tisches fest. Die Komplimente an der Bar hatte er noch als launige Begrüßungsworte interpretiert, mit denen Althaus das Eis brechen wollte. Doch je mehr er dem Wein zusprach, und das tat er seit dem Hauptgang ausgiebig, umso offensichtlicher machte er Rea den Hof. Die wiederum merkte es nicht mal, dachte Peer missmutig. Früher hätte ihn das ja beruhigt, umschwärmt wie seine attraktive Frau immer gewesen war. Nun wünschte er sich fast, sie würde sich mehr auf solche Avancen einlassen. Rea war nicht die einzige Schweigsame am Tisch. Bei Dan Reisinger, den Dordi angeschleppt hatte, gehörte das zum Style. Er war so wortkarg wie todesmutig, er redete nur, wenn man ihn ansprach. Und nur, wenn die Antwort auf die Frage in zwei Sätzen zu schaffen war. Als hätte er seine Sprachfähigkeiten auf Handygewohnheiten optimiert, formulierte er seine Äußerungen nach Twitterlänge. Er beherrschte immerhin sein Handy virtuos, machte sich keine Mühe, das Gerät zu verstecken, schrieb einhändig und blind, in einer Geschwindigkeit, die selbst Peer neidisch machte.

Dan Reisinger hatte sich anfangs bei den Snowboardern einen Namen gemacht. Als der Freeride-Boom dank der neuen Breitskier auch auf den Alpinsport übergriff, hatte er auf zwei Bretter gewechselt, war zu einem der ersten Skicross-Stars geworden, nur um auch dort wieder auszubrechen. Reisingers Äußeres half bei der Internetvermarktung. Die krausen Haare trug er schulterlang, heute hatte er sie im Nacken nachlässig zusammengebunden, die sonnengegerbte Haut machte den Achtundzwanzigjährigen deutlich älter. Zu Beginn seiner Karriere war die Verbindung von Reisinger und Nordstern ein Zufall gewesen, heute tat die Firma alles, um ihren berühmten Werbeträger zu halten. Seine Karriere hatte den Freerider nicht wesentlich verändert. Gesprächiger wurde er nur, wenn er mit seinesgleichen in den Bergen unterwegs war. Anlässe wie dieses Firmenjubiläum blieben lästige Pflicht. Früher hatte er sich geschickt darum gedrückt, mittlerweile war er vertraglich dazu verpflichtet.

Althaus machte den Gastgeber und bezog alle am Tisch in das Gespräch ein. Vor allem wollte er auch mal das Wort an Dordi Larsson richten, die etwas von ihm entfernt saß.

»Ich darf es ja fast nicht laut sagen, aber ich bin wohl der einzige Nichtskifahrer hier am Tisch«, begann er, und seine zu muntere Stimme verriet, dass er eigentlich nicht wusste, was er fragen wollte. »Kann mir mal jemand die Faszination dieses Sports erklären? Ich krieg immer nur die Klagen von überfüllten Pisten zu hören, von zunehmender Raserei, Knieverletzungen und fatalen Zusammenstößen.«

Rea verabschiedete sich innerlich. Es war Frühsommer, der Föhn lähmte sie und wühlte sie zugleich auf, nichts lag ihr derzeit ferner als Skifahren und Schnee, so innig sie den Sport sonst liebte. Ganz anders Dordi, bei ihr löste die Frage eine Flut von erstaunlichen Assoziationen aus.

»Es beginnt schon mit der Auswahl des Hanges, Hans. Viele Freerider lieben es, wenn das Gelände von Beginn weg steil wegbricht. Ich mag es, wenn der Berg am Anfang etwas sanfter abfällt, wenn er dir erst etwas Zeit lässt und erst nach dreißig, vierzig Metern steiler wird, so dass du Zeit hast, deinen Rhythmus zu finden, bevor der Hang vor dir ins Leere, ins Unbekannte abfällt. Dort weißt du nicht, was dich erwartet, aber du bist schon im Flow, bist auf alles vorbereitet, weißt, wie der Schnee beschaffen ist, wie sich der Ski darin verhält, wie viel Kraft du brauchst, wie viel dir bleibt. Und dann nimmst du die Geräusche wahr!«

»Geräusche?«, fragte Althaus nach, nicht ahnend, was folgen würde.

»Ich sehe schon, Hans, dir fehlt die Vorstellungskraft. Schließ die Augen für einen Moment, stell ihn dir zuerst mal vor, diesen Hang! Frisch eingeschneit. Siehst du das Glitzern der Schneekristalle? Dieses vollendete Weiß, diese weich geschwungenen Formen! Du richtest die Spitzen langsam gegen unten, du stößt ganz leicht einmal ab, du hörst erst nur deinen Atem, der sofort schneller geht, dann das Windgeräusch, und je mehr Fahrt du aufnimmst, umso deutlicher vernimmst du das feine Zischen der Laufflächen, zugleich spürst du das, was du hörst, als leichte Vibration, fühlst die Reibung der Skier und den Widerstand, den dir der Hang, der Schnee zu Beginn noch bietet. Deine Bewegungen werden schneller, aber nie hektisch, sie bleiben harmonisch, der Hang fällt unter dir ins Nichts, das Adrenalin schießt durch deinen Körper, das Gleiten wird zum Schweben, die Schwünge katapultieren dich aus dem Schnee, es ist, als explodiere tief in dir die Freude. Manchmal ist das der Moment, in dem ich sie herausschreie, während jeder Muskel in deinem Körper diese rhythmische Bewegung unterstützt, links, rechts, links– die Spur, die du ziehst, ist der Bogen einer Melodie, und viel später, wenn du unten bist, wenn es vorbei ist, wenn du nur noch dein Keuchen hörst und der Schneestaub auf deinem Gesicht schmilzt und du zurückschaust auf die Linie, die du in den Hang gezeichnet hast, dann hörst du ihn noch immer, den Nachhall dieser Melodie.«

Dordi schaute Althaus in vollendeter Unschuld an.

»Verstehst du es jetzt, Hans?«

Althaus lächelte verlegen. Wohl jeder am Tisch hatte Dordis Anspielungen verstanden. Auch Peer saß mit halb offenem Mund da, er allerdings aus einem anderen Grund. Er meinte jedes ihrer Worte schon einmal gehört zu haben. Der Moment erinnerte ihn an jene Doppelbelichtungen, die sie in ihrer Jugend mit analogen Fotoapparaten gemacht hatten. Er musterte Dordi, ihre dunkle Haut, die hellen Haare. Déjà-vu-Erlebnisse hatte Peer auch sonst gelegentlich, aber dieses hier war von einer Intensität, die ihn irritierte. Rea bekam die Verwirrung ihres Mannes nicht mit. Sie beobachtete gerade Dan und Dordi, die wie auf ein geheimes Zeichen in den Vorraum hinausgegangen waren. Dort stand Dordis Freund Matteo, der Mann mit den hellen Augen und den weißen Haaren. Er schien sich gerade zu verabschieden. Die Lippen, die er zuerst und in vertrauter Beiläufigkeit küsste, waren zu Reas Verwunderung jene von Dan.

3

Das Essen und der Wein zeigten Wirkung, eine seltsame, flirrende Stimmung verbreitete sich im Saal, wie so oft bei Südwind. Auch Rea spürte eine seltsame Unruhe, hatte Lust, etwas Ungehöriges zu sagen. Dan Reisinger kehrte Arm in Arm mit Dordi zurück und widmete sich sofort wieder dem Handy. Rea suchte Augenkontakt mit Peer. Vergeblich, ihr Mann starrte mit seltsam leerem Gesicht auf die Tischplatte, die Finger seiner linken Hand ließen das leere Weinglas sanft rotieren.

»Der Mann eben im Eingang«, sagte Rea plötzlich zu Dan, »der mit den weißen Haaren. Dordis Freund. Woher kenn ich den?«

»Matteo?«, fragte Dan zurück. »Mein Agent.«

»Agent?«

Dan sprach nicht weiter. Die schroffe Ablehnung provozierte Rea. »Hast du beim Skifahren eigentlich ähnliche… nun: Erlebnisse wie Dordi?«

»Es gibt immer eine weibliche und eine männliche Sicht.«

»Dann jetzt die männliche, bitte!«

»Bei ihm sind es ja mittlerweile eher Expeditionen, nicht nur Abfahrten«, vermittelte Althaus. Er wollte sich Rea in Erinnerung rufen. Zugleich lehnte er sich hinüber und schenkte ihr Wein nach, was sie mit einer halbherzigen Geste stoppte.

»Also: Welches war dein intensivstes Erlebnis?«

»Die Reise zum weißen Horizont«, sagte Reisinger, überrascht von Reas Hartnäckigkeit.

»Klingt spannend.«

»Nicht sehr.«

»Erzähl!«

»Ein Freund von uns führt in Grönland ein Guesthouse«, erklärte Reisinger widerwillig. »Tiroler. Ist dort hängen geblieben, hat sich eine Existenz aufgebaut. Betreibt mit den Inuit eine Ausgangsstation für Expeditionen. Vor drei Jahren wurde er krank. Die Lunge. Und er verlor das Augenlicht. Wir beschlossen, ihm seinen letzten großen Wunsch zu erfüllen. Er wollte noch einmal den weißen Horizont sehen, der ihn einst dazu bewogen hatte, sich in Grönland niederzulassen. Die Risiken bei Expeditionen ins Inlandeis sind groß. Es gibt dort Eisbären, aber keine Fluchtmöglichkeit. Und tödliche Schneestürme. Das Zeitfenster für unsere Expedition wurde kleiner, die nächste Front kündigte sich bereits an. Wir zogen dennoch los. Drei Inuit, mein Freund, ich und ein befreundeter Künstler, der auch medizinische Kenntnisse hat.«

Er verstummte, als hätte ihn jemand daran erinnert, dass er normalerweise nicht mehr als zwei Sätze hintereinander sagte.

»Mit Skiern und Schlitten, oder wie?«

»Ja. Nach dem zweiten Nachtbiwak waren wir weit von der Küste entfernt. Ein halber Tagesmarsch fehlte noch. Der Zustand meines Freundes verschlechterte sich. Es war klar, dass es nicht mehr weitergeht. Wir mussten ihn an einen sicheren Ort bringen, bevor Sturmwinde aufkamen. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Zwei der Inuit zogen los, um ein Boot zu holen, wir brachten unseren Freund in die nächstgelegene Bucht. Sie war unbewohnt, aber eisfrei. Dort hofften wir, die Inuit würden mit dem Boot noch rechtzeitig kommen. Taten sie. Kaum hatten sie uns abgeholt, fielen die Temperaturen, und der Wind frischte auf.«

Zur Ernüchterung der Zuhörenden lehnte sich Dan Reisinger im Stuhl zurück. Die Geschichte endete offensichtlich ohne Pointe.

»Dein Freund?«, fragte Rea.

»Er ist vor einigen Monaten gestorben.«

So einfach ließ sie sich nicht abspeisen.

»Und der weiße Horizont?«, wiederholte sie ihre Ausgangsfrage. Ihre Hartnäckigkeit entlockte Dordi ein Lächeln. Sie hatte Dan und Rea schon die ganze Zeit über beobachtet. Jetzt nahm sie das Handy, tippte einige Zeilen, immer wieder unterbrochen von Blicken zu Dan und Rea hin.

»Auf dem Inlandeis, wo es keine einzige Geländeerhebung mehr gibt, nur Weiß, weißes Eis, so weit das Auge reicht, und darüber ein weißer Himmel, da lässt sich nicht mehr sagen, wo der Horizont verläuft und wo der Himmel beginnt, was oben und was unten ist. Ein Ort der Ruhe. Unendlichkeit. Wie eine Nahtoderfahrung.«

Das Abgehackte war für einen Moment aus Dans Sätzen verschwunden.

»So weit seid ihr ja gar nicht gekommen«, sagte Rea.

»Nein.«

»Dann macht deine Geschichte keinen Sinn.«

»Ich habe verstanden, was meinen Freund dorthin gezogen hat. Verstörend schön sei es, hat er gesagt.«

Sie waren wieder zurück bei den Twittersätzen, veredelt allerdings durch eine ungewohnte Wortkombination. Verstörend schön, wiederholte Rea. Sie wartete auf ein beschwichtigendes Lächeln in seinem Gesicht, es kam nicht. Ein seltsamer Mensch, dachte Rea. Sie wollte noch etwas anfügen, als plötzlich Aufruhr entstand. Die Gäste an den anderen Tischen waren schon auf den Beinen.

»Auf zum nächsten Horizont, Rea«, sagte Dordi, die sofort ihr Handy weggesteckt hatte, da sie den anstehenden Programmpunkt kannte. »Die Überraschung wartet auf dem Dach!«

Moritz schläft, Stina will mir noch was erzählen.

Um diese Zeit?

Ging nicht früher, weil unter Frauen, sagt sie. -)

??!

Wir müssen jetzt aufs Dach.

Nordstern ist immer Outdoor.

Sehr outdoor.

Wenigstens spannend?

Ich halte es noch aus.

Rea hatte die Wartezeit vor dem Lift für eine kurze Unterhaltung mit Nyima genutzt. Als sie das Handy wieder ausmachen wollte, fror das Display kurz ein, dann flackerte es, fast so, wie Reas alter Geschäftscomputer nach dem Einschalten. Das Signal war hier oben schwach, das mochte der Grund sein. Dan Reisinger allerdings schien sein eigenes Funknetz zu haben. Fast ununterbrochen hämmerte sein Daumen auf den Bildschirm seines Oversize-Handys. Ein internetsüchtiger Adrenalinjunkie auf Sinnsuche, dachte Rea, die ihn dabei beobachtete. Wie immer bei außergewöhnlichen Begegnungen waren Reas filmische Instinkte geweckt. Reisingers Erzählung vom weißen Horizont sah sie bereits in Bildern vor sich.

Sie lehnte sich zurück, einen der High Heels leicht an die Wand gestellt, sich nur halb bewusst, wie aufreizend ihre Pose war. Südwind. Eine wohltuende Mattheit dämpfte ihre Wahrnehmung. Althaus verstrickte sie in die nächste Schäkerei, während der Lift weitere zwölf der hundertfünfzig Gäste hinaufbrachte. Einige wenige wie Peer und Dordi hatten sich für die Treppe entschieden, Rea wartete lieber. Etwas benommen trat sie endlich in den Lift. Oben gelangten sie durch eine niedrige Tür auf das Dach hinaus.

Peer nahm Rea in Empfang. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Dordi sich zu den Anzügen gesellte. Er hatte sie beim Hinaufgehen gegoogelt, noch immer irritiert, weil er sie zu kennen glaubte. Aber nichts von dem, was er über sie las, stellte eine Verbindung zu ihm her. Er irrte sich offenbar. Peer führte Rea ganz nach vorn zu den letzten freien Plätzen am gusseisernen Geländer. Es würde sich lohnen, vorne zu stehen. Das Feuerwerk habe mehr gekostet als der Rest des Anlasses, hatte Dordi ihm verraten.

Rea legte den Kopf zurück. Selbst der Nachthimmel hatte eine gelbliche Färbung. Als ihr Blick den ersten Raketen folgte, wurde ihr leicht schwindlig. Rea hatte schon immer körperlich auf den Föhnwind reagiert, doch selten so stark wie heute. Ihre Gedanken waren auch jetzt unstet und diffus. Kaum explodierten über ihr die Sprengkörper, mischten sich wieder Bilder des Films vom Morgen in die fallenden Funken. Die Leute, die weiter hinten auf dem Dach standen, schlossen zu ihnen am Geländer auf. Rea Richter wurde es sonst schnell zu eng. Jetzt spürte sie zwar, wie sie immer mehr eingeschlossen wurde, aber heute machte es ihr nichts aus. Sie lehnte sich mit den Hüften leicht gegen das Geländer, ihre Schuhe gaben ihr ein gutes Gefühl. Sie wiegten Rea in der Illusion, hinter ihr würden alle ihre endlosen Beine bewundern. Sie lächelte, ließ sich in ihre Erschöpfung fallen, das Kaleidoskop der Farben zog Schlieren, zugleich veränderte sich die Intensität des Feuerwerks.

Die Detonationen vibrierten in Reas Brustbein nach, weshalb sie die erste Berührung kaum wahrnahm. Sie rückte unwillkürlich näher ans Geländer. Die nächste Dreifach-Explosion, grell funkelten die herunterfallenden Magnesiumpartikel. Diese gefielen ihr besonders. Wieder berührte sie etwas hinten am Oberschenkel. Warum drängen sich die auch so nach vorn, fragte sich Rea träge, die brauchen doch bloß hochzuschauen! Sie wich aus, die Berührung blieb. Sie wollte sich umdrehen und eine Entschuldigung entgegennehmen, aber etwas hielt sie zurück. Rea schielte zu Peer hinüber. Seine Hand war es nicht. Hätte sie auch überrascht. Wer stand hinter ihr? In neun von zehn Fällen hätte sie das Spiel beendet. Heute war der zehnte, alles erlaubt bei Südwind. Wer es auch sein mochte. Aber wenn sie schon spielten, dann nach ihren Regeln! Einen Moment lang stand sie noch still, dann legte sie den Kopf ins Genick, als wollte sie die ganze Pracht des Feuerwerks genießen, drückte sich dabei etwas vom Geländer weg und machte einen halben Schritt rückwärts. Die Berührung am Oberschenkel blieb, der Druck verstärkte sich leicht, und die Ahnung eins Duftes umgab sie. Dann zuckte sie unmerklich zusammen. Aus der Berührung war ein sanftes Streifen geworden. Da, wieder! Die Hand wanderte höher. Ziemlich keck! Rea stellte fest, dass sie erregt war, nicht empört. Trotzdem wich sie der Berührung aus. Seine Enttäuschung spürte sie fast physisch. Rea ließ ihn ein wenig zappeln. Sie hatte ihn an der Angel, er war ihr ausgeliefert, er wusste, sie könnte ihn mit einem einzigen Satz bloßstellen, der Belästigung anprangern. Sie genoss den Moment. Sie war es, die bestimmte, diese Erkenntnis ermutigte sie zusätzlich. Rea verlagerte das Gewicht wie zufällig auf das andere Bein, doch diesmal blieb der Kontakt aus. Sie bewegte sich noch ein wenig. Komm schon, du hast doch gespürt, wie dünn der Stoff ist! Einmal noch, ich will es! Nichts. Gab er schon auf? Rea wartete einige Sekunden, dann ließ sie die Handtasche von der Schulter rutschen, um einen Grund zu haben, sich gebückt halb umzudrehen. Hinter ihr stand niemand. Die nächste Reihe war über einen Meter von ihr entfernt, zwei Pärchen staunten dort in den Himmel.

Sie bereute, dass sie ausgewichen war, und fragte sich im nächsten Moment, ob die Fantasie mit ihr durchgegangen war. Die Schmerzmittel in Verbindung mit dem Alkohol?

Sie stand wieder auf.

»Was suchst du da unten?«, fragte Peer. »Schau dir das an!«

Hoch über ihnen brannte sich eine nordsternrote Siebzig in den Nachthimmel.

Nyima Samtens Ahnung, dass ihrer Freundin Rea unruhige Zeiten bevorstanden, verdichtete sich. Wäre ihre Patentochter etwas älter gewesen, hätte sie sich Stinas Schwärmerei lächelnd angehört und wäre darauf eingegangen. Nun aber wog sie ab, ob das, was sie hörte, noch im grünen Bereich lag, gleichzeitig versuchte sie, sich an ihre eigene frühe Teenagerzeit zu erinnern. Stina wollte offensichtlich Tipps verschiedenster Art für das erste Mal. Mit vierzehn! Dirk hieß der Junge. Die Fülle von Fragen über geeignete Signale und passende Orte machte Nyima noch hellhöriger.

»Du solltest das mit deiner Mutter besprechen.«

»Nie im Leben.«

Nyima seufzte innerlich. Schon waren sie auf Sperrgebiet.

»Sie war auch mal so jung wie du.«

»Kann nicht sein.«

»Nicht?«, machte Nyima, nur halb amüsiert.

»Sie hat doch keinen Plan. Sie sagt sowieso, es sei zu früh.«

»Und das findest du nicht?«

»Hallo?!« Stina fragte sich nun ernsthaft, ob auch Nyima die falsche Beraterin war.

»Weißt du, was mir auffällt, meine Große: Irgendwie willst du ein bisschen viele Details wissen. Fast so, als müsste das Ganze nach einem Plan ablaufen.«

»Ist doch klüger!«, sagte Stina trotzig.

»Klüger wäre, du sagst ihm gleich, es sei dein erstes Mal.«

»Nie im Leben.«

Allmählich wurde Stinas Lieblingsfloskel nervig. »Du machst dir zu viel Druck. Für ihn ist es vielleicht auch das erste Mal.«

Stinas Prusten erübrigte eine Antwort.

»Also nicht. Jungs machen sich trotzdem noch ganz andere Sorgen. Timing-Sorgen. Planen können die gar nichts.«

»Dirk hat Ahnung.«

»Als hätte der das schon oft getan!«

»Hat er wohl!«

»Ach ja? Wie alt ist er?«

Stina schwieg und bestätigte damit Nyimas Verdacht.

»Raus damit.«

»Neunzehn«, sagte sie leise.

Nyima fiel ins Sofa zurück.

»Das ist… illegal!«

»Wen stört’s?«

»Schieb mir mal mein Handy rüber.«

Sie googelte nach dem Schutzalter und fand auf Anhieb die gesetzlichen Bestimmungen. Offenbar war es auch eine Frage des Altersunterschiedes zwischen zwei Jugendlichen.

»Pech gehabt.«

»Was jetzt?«, fragte Stina genervt.

»Du bist unter sechzehn, dann dürfte er höchstens drei Jahre älter sein, rechtlich gesehen könnte er dafür ins Gefängnis wandern.«

»Wen stört’s!«, sagte Stina wieder, nicht wirklich verunsichert.

»Niemand, wenn alles gut läuft. Die Polizei, wenn mal etwas weniger gut läuft.«

»Alles nur Theorie«, gab Stina zurück. Doch Nyima sah, wie es in ihr zu arbeiten begann.

»Warte wenigstens, bis du selbst so weit bist.«

»Hallo?«

»Knutscht rum, macht die halben Sachen, die sind doch schon heiß genug. Lern deinen Körper besser kennen.«

Nyima kam sich vor wie ihre eigene Pflegemutter. Von ihr hatte sie in Stinas Alter auch nie etwas angenommen. Heute wusste sie, wie schwierig und verletzend es für die Mutter gewesen war, von Nyima ständig zu hören, sie lasse sich nichts sagen, sie sei ja sowieso nicht ihre richtige Mutter. Was Nyima sich jetzt, da sie die Güte ihrer Pflegemutter erst richtig erfasste, nicht recht verzeihen konnte. Vielleicht, dachte Nyima, sollte sie Stina gegenüber eher die Haltung einer älteren, erfahrenen Schwester einnehmen. Nur wusste sie nicht, wie man das machte. Nyima war das einzige Kind der Pflegefamilie geblieben, erst mit Rea hatte sie so etwas wie eine Schwester gefunden. Stina würde ohnehin durchschauen, wenn sie nur eine Rolle spielte wie eben. Besser, sie wies sie ganz konkret und energisch auf einige Dinge hin.

»Woher kennst du ihn?«

»Vom Street Dance. Er ist der beste.«

»Das Leben ist kein Dancemovie.«

»Hab ich gar nicht gewusst!«, gab sie schnippisch zurück.

»Dafür ein bisschen was über Kondome?«

»Wer nicht.«

»Werden wir gleich sehen.«

Mit einem unguten Gefühl ging Nyima erst ins Schlafzimmer, dann in die Küche. Eine Zucchini war der einzige geeignete Übungsgegenstand, den sie fand. Sie versagte sich eine weitere SMS an Rea. Von ihr würde Stina eher etwas annehmen als von ihrer Mutter. Vielleicht fand sie so heraus, weshalb es gerade dieser Junge sein musste.

Am nächsten Morgen fand sich Rea in widersprüchliche Gefühle verstrickt. Die unerwartete nächtliche Leidenschaft zwischen ihr und Peer verblasste schneller als die Erinnerung an die Berührung auf dem Dach. Schweigend saßen die beiden nun im Restaurant beim Frühstück. Glücklicherweise gehörten sie zu den Ersten, noch setzte sich niemand mit leicht gezwungenem Lächeln zu ihnen, was bei solchen Gelegenheiten sonst unumgänglich war. Bei der zweiten Tasse Kaffee meinte Peer, er müsse vor der Mitarbeiterinformation zur Übernahme noch mit Hans Althaus sprechen. Rea kam das gelegen. Am Mittag stand ein Climbing-Kurs in der Kletterhalle auf dem Programm, zuvor wollte sie die Gegend erkunden. Der Föhn war wieder stärker geworden, und neuen Kopfschmerzen würde sie nur entgehen, wenn sie sich draußen bewegte.

Sie küsste Peer zum Abschied. Seine Hand glitt kurz über ihren Rücken und weiter. Ebenso ungewöhnlich war, wie begehrlich Peer seiner Frau hinterherschaute. Ein seltsames Gefühl der Ohnmacht erfüllte ihn.

Als Rea auf den Lift wartete, kam Dordi Larsson die Treppe herunter. Sie grüßte Rea herzlich und fragte sie, wie sie den Abend gefunden hatte.

»Es ist immer interessant, Peers berufliches Umfeld besser kennenzulernen, er erzählt wenig von der Arbeit.«

»Ist doch bei allen Männern so! Und das Feuerwerk? Dir hat es offenbar besonders gut gefallen.«

Rea war über die Formulierung so überrascht, dass ihr zuerst nichts einfiel. Dordi Larssons Gesichtsausdruck war offen und unergründlich zugleich.

»O ja, sehr… eindrücklich! Mit der Siebzig zum Schluss.«

»Die Feuerwerksmacher konnten uns keine Garantie dafür geben, dass die Zahl lesbar sein würde. Aber wo hat man schon eine Garantie. Sehen wir uns beim Klettern?«

»Ja.«

Rea betrat den Lift. Was um alles in der Welt…? Hatte Dordi etwas gesehen? Die Erinnerung an die Berührung auf dem Dach beschleunigte ihren Puls. Sie rief sich zur Ordnung. Es war ein Moment gewesen, nicht mehr, und erklärbar, viel länger hätte sie es gar nicht zugelassen. Sie begriff selbst nicht, weshalb sie so viel Aufheben darum machte. Wichtiger war das danach gewesen. Sie verließ den Lift und betrat ihr Zimmer. Die Laken waren noch immer zerwühlt. Nackt hatte sie nach dem Fest dort gelegen, so wie am Morgen dieses verwirrenden Tages, sie war eingedöst und nur halb aufgewacht, als Peer sich zu ihr gelegt hatte, ohne Licht zu machen, glücklicherweise. Sie hatten sich nur gespürt, nicht gesehen. Es hatte sich anders angefühlt. Als wären sie Fremde. Die Dunkelheit hatte ihrer Fantasie zusätzliche Räume geöffnet, Peers begabte Finger hatten sie stets noch ein Stück weiter geführt, dorthin, wo der Unbekannte wartete.

Alles erlaubt bei Südwind.

Rea schlüpfte in die Trekkingschuhe, nahm die Bauchtasche mit ihrem Allergien-Notfallset, steckte die Sonnenbrille ins Haar und schloss das Zimmer hinter sich zu. Diesmal lief sie das Treppenhaus hinunter, ihre Hand auf dem Lauf des kunstvoll verzierten Jugendstilgeländers. Draußen auf der Terrasse standen Dordi Larsson, Dans Manager Matteo, der offensichtlich wieder da war, und Reisinger selbst. Sie winkten Rea zu, diese nahm den Weg zum Lärchenwald.

Jedes Mal, wenn sich die Bäume lichteten und der Blick auf die Berge und den darunterliegenden See frei wurde, blieb sie kurz stehen. Der Himmel war von einem Schleier bedeckt, er machte die Sonne zu einer fahlen Scheibe, die Wolkenschlieren nahmen die Farbe gebrannter Erde an, ihre schwefelgelben Ränder fächerten die Sonnenstrahlen in Bahnen auf. Der Föhn wirkte wie ein Vergrößerungsglas, die Grate und Felsschrunden auf der anderen Seeseite zeichneten sich gestochen scharf ab. Rea zog das Handy heraus und machte einige Histamatic-Bilder der ungewöhnlichen Lichtstimmung. Sie schickte eines an Nyima, zusammen mit der Frage, ob alles rund liefe. Die Übermittlung des Fotos dauerte. Sie behielt das Handy in der Hand, während sie weiter wanderte.

Moritz schlägt Gamerekorde, Stina schläft aus. Du?

Durch den Wind

Südwind?

Suicidal wäre doch angebracht gewesen

Oh-oh. Wurde Zeit

Nicht was du denkst

Schlimmer also

Verwirrend

Ich will jedes Detail hören

Ja ja

Alles erlaubt…

Ich weiß

Der Weg führte aus dem Wald hinaus und wand sich danach steil ansteigend durch die Alpwiesen. Sie war gar nicht mehr weit vom Zwischenhof der Richters entfernt. Noch flatterte die Fahne im Wind, die verriet, dass der Hof bewohnt war. Rea schrieb ihrer Schwester einen SMS-Gruß aus der Nähe, obwohl sie vermutete, dass Sophie ihr Handy frühestens am Abend einschalten würde. Auf der nächsten Anhöhe entdeckte sie eine kleine Sennhütte. Rea beschloss, dort zu rasten und dann umzukehren. Die Hütte war bereits für den Sommer vorbereitet, das Gärtchen aufgeräumt, keine Spuren mehr vom langen Bergwinter. Die Fensterläden standen offen, als sollte die Sonne die Stube schon mal aufwärmen. Fast wehmütig schaute Rea hinein. Sie konnte es kaum erwarten, selbst auf die Alp zu ziehen.