Komm doch mal - Joy Delima - E-Book

Komm doch mal E-Book

Joy Delima

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Beschreibung

Ein tabubrechendes Memoir über Sex und darüber, was es heißt, heute eine junge Frau zu sein.

Joy Delima schreibt mit radikaler Offenheit und bestechendem Humor über die Erkundung der eigenen Sexualität, Orgasmusschwierigkeiten und die Tücken des Online-Datings und räumt dabei ganz nebenbei mit den Mythen von Entjungferung und weiblicher Lustlosigkeit auf. Denn was Delima deutlich macht: Frauen und Menschen mit Vulva haben sexuellen Appetit. Nur das männliche Gegenüber sorgt mitunter dafür, dass uns der Bissen im Halse stecken bleibt.

»Ich habe nie gelernt, über Sex zu reden. Deshalb werde ich jetzt darüber schreiben.«  

In einem intimen Dialog mit ihren Leser:innen werden wir Zeug:innen von Delimas sexuellem Erwachen und müssen uns dabei mehr als einmal an die eigene Nase fassen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 184

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Cover for EPUB

Über das Buch

»Aber wenn wir so viele waren und es so viel Redebedarf gab, warum zum Henker redeten wir dann nie darüber? Wo waren die echten Sexgeschichten?«

In ihren pointierten Kurzessays nimmt die Schauspielerin Joy Delima uns mit auf schreckliche erste Dates, in ihre typische Schulzeit als Millennial und unter die eigene Dusche.  Wenn sie von einem Pizza-Date mit einem süßen Italiener erzählt, das durch ihren Reizdarm vorzeitig beendet wird oder uns Einblicke in ihre emotionalen Therapiestunden gibt, muss man einfach lachen. Aber die ernsthaften Themen schwingen immer mit: Es geht um die Scham und die Angst, die auf Frauen und Menschen mit Vulva lastet, wenn sie versuchen, Bedürfnisse zu kommunizieren und Grenzen zu setzen, um die Orgasmuslücke (bei heterosexuellen Paaren kommen 92 Prozent der Männer beim Sex immer zum Höhepunkt, aber nur 36 Prozent der Frauen), den Einfluss von Pornokonsum und, vor allem, um die mangelnde Aufklärung über den weiblichen Körper. So untersucht sie konsequent die Auswirkungen der weiblichen Sozialisation anhand ihrer eigenen. Mit ihr erleben wir, was so viele Frauen und LGBTIQ* erleben müssen: Slutshaming, ständige Grenzüberschreitungen und sexualisierte Übergriffe.

Über Joy Delima

Joy Delima, geboren 1994, ist Schauspielerin, Theatermacherin und Kolumnistin für die niederländische Zeitschrift Volkskrant. Sie spielt Theater und hatte Hauptrollen in den Netflix-Produktionen »Dirty Lines« und »Happy Ending«.

Janine Malz, geboren 1984, ist freiberufliche Literaturübersetzerin aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen. Sie unterrichtet im M.A. Studiengang Literarisches Übersetzen an der LMU und engagiert sich im Münchner Übersetzer-Forum e.V. sowie im Verein deutschsprachiger LiteraturübersetzerInnen (VdÜ).

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Joy Delima

Komm doch mal

Über Einvernehmlichkeit, weibliche Lust-Scham und alles andere, was ich gerne früher gewusst hätte

Aus dem Niederländischen von Janine Malz

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Vorspiel

Darf ich mich vorstellen?

Ein Rücken voll Sperma

Genuss hat einen hohen Preis

Vulva-Nieser

Nein

Im Zeeman-Slip

Reptiliengehirn — *Triggerwarnung: Missbrauch*

Es heißt Vulva

Milady Candida

Yes, I May Destroy You

Wirst du denn feucht?

Fühlen

Kennst du das auch?

Und dann lacht man

Meine Schuld!

Summer of Love

Consent

Echte Beschwerden

Ich bin noch Jungfrau

Monogames Fremdgehen

Needy

Das hat nichts mit Liebe zu tun

Dann komm halt einfach nicht

Kackspray

Der Wanderpokal von Rotterdam-Ost

Seinen Mann stehen

Richtiger Sex

Bisschen analen Kram machen

Beste Sexjahre

Lust auf Wurst?

Auch das noch

Panda-Punkte

Von nun an kannst du schwanger werden

Echt mal

Urlaubsvibrator

Pubermuskeltier

»Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu«

Ich nehme dich einvernehmlich

Die Nachsorge kommt hinterher

Bittere Enttäuschung

Marie-Claire-Virus

Schreckmoment

Oh my God, fuck me harder

Nicht meine Schuld

In der Puppenecke

Haben wir überhaupt noch Lust?

Nachsorge

Erläuterungen

Impressum

Vorspiel

Wenn ich leicht zum Höhepunkt käme, wäre dieses Buch wahrscheinlich nie entstanden. Dann gehörte ich vielleicht auch zu den Glücklichen, von denen alle sagen, sie strahlen so. Ich kenne so eine aus Amsterdam Oud-Zuid, die schon von der Vibration ihres eigenen Pupses zweimal kommt. Als ich ihr erzählte, dass ich fast nie beim Sex komme, war ihre Reaktion nur:

»O wow, echt? Na ja, vom Lecken kommen finde ich echt supi und so, aber ich komme lieber gleichzeitig bei der Penetration.«

Ich war mir nicht sicher, ob ich eifersüchtig war oder einfach nur voller Bewunderung, dass es jemanden wie sie gab. Wie weit musste das eigene Sexleben von der Realität des Durchschnitts abweichen, wenn das das Erste war, was einem dazu einfiel? Ich habe sie neulich nach Jahren bei einer Gala im Nederlands Dans Theater wiedergesehen.

Sie strahlt noch immer.

Lange habe ich geglaubt, alle Frauen seien wie sie, und jede:r in einer Beziehung hätte ein erfülltes Sexleben. Was macht man auch sonst zusammen? Menschen haben Sex, und dazu gehört nun mal ein Orgasmus. Jeder Körper kann kommen, nur meiner nicht, was heißt, er ist defekt. Es klingt vielleicht naiv, aber dazu muss man wissen, dass ich nie wirklich jemanden hatte, mit dem ich über Sex reden konnte, und dass ich nie wirklich aufgeklärt wurde, außer vielleicht darüber, wie die Befruchtung einer Eizelle funktioniert und wie man ein Kondom verwendet. Die Teenager und jungen Twenty-Somethings, die ich kannte und die darüber redeten, sprachen immer davon, wie großartig Sex sei. Dass dabei auch mal was schiefgehen oder nicht funktionieren würde oder meine Vagina furzen kann, hat mir nie jemand erzählt. In ihren Erzählungen klang es immer nach einem großen Feuerwerk der Lust und Begierde, und ich wollte unbedingt mitreden können. Als ich endlich Sex hatte und zu ihrem erlauchten Kreis gehörte, erzählte ich, es sei »fucking nice« gewesen. Ich glaube, einmal habe ich sogar behauptet, ich könnte squirten, dabei hätte ich nicht einmal sagen können, wo mein G‑Punkt lag. Mein Sex war also nicht fucking nice. Er war ziemlich oft fucking beschissen.

Mit zwanzig bereiteten meine damalige Klasse und ich an der Theaterakademie unsere Abschlussaufführung vor.

»Schreibt einen Text über eure tiefsten Ängste, und lest ihn der Klasse vor«, sagte der Regisseur. Und das taten wir.

Im entscheidenden Moment sah mich die Klasse, der ich seit vier Jahren angehörte, erwartungsvoll an. Mein Text begann damit, dass ich von meinen Urängsten erzählte. Davon, dass ich früher schwer gemobbt worden war und wie ich mich seither hasste und fürchtete, niemand würde mich je lieben, sollten meine Eltern und meine Schwester sterben. Das war zwar nicht gelogen, aber ich schleppte dieses Gefühl seit meiner Kindheit mit mir herum. Ich kannte es und trug meinen Text daher relativ nüchtern vor. Es kam erst Bewegung in die Sache, als ich mich bereits dem Ende näherte und plötzlich heftig weinend mein größtes Geheimnis preisgab:

»Ich habe einfach Angst, dass ich niemals in der Lage sein werde, Sex zu genießen, wisst ihr? Dass ich keine richtige Frau bin und das auch nie sein werde, weil ich nicht komme.«

Ich weinte peinlich drauflos, während meine Klassenkamerad:innen, die vor mir an der Reihe gewesen waren, ungerührt von ihren toten Eltern oder ihren Augenkrankheiten erzählt hatten, deretwegen sie vielleicht irgendwann erblinden würden. Aber ich konnte nichts daran ändern: Meine allergrößte Angst war damals, irgendjemand würde entdecken, dass ich nicht imstande war zu kommen. Nur mein damaliger Freund, mein Ex und ich wussten davon. Und nun dreizehn andere Menschen, inklusive des Regisseurs, der mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, einen Monolog über meine Angst zu schreiben und diesen in der Aufführung vorzutragen. Vor Publikum. In Anwesenheit meiner Mutter, meiner Schwester, meines Vaters, der Mutter und der Schwester meines Freunds, meiner Dozent:innen und jüngeren Kommiliton:innen, die damals noch ein wenig zu mir aufschauten.

»Okay«, piepste ich. »Ich mach’s.«

Wochen später stand ich auf der Bühne bei unserer Premiere, und meine Familie saß natürlich in der ersten Reihe. Mein Monolog begann mit einer Figur, die verdächtig der Glücklichen aus Oud-Zuid ähnelte, obwohl ich sie damals noch nicht mal kannte. Ich spielte eine Frau, die erzählte, wie oft sie am Tag zuvor gekommen war, beim Sex, aber auch beim Kuchenessen und anderen Dingen, die nichts mit Sex zu tun hatten. Während die Frau das alles erzählte, kam sie erneut, weil sie so ein orgiastisches Wesen war. Und gerade, als sie kam, unterbrach ich den Monolog mit den folgenden Sätzen: »Ich bin Joy, und ich bin wütend. Denn das ist nicht meine Geschichte, sondern die einer Person, die sie nicht selbst erzählen kann.«

Danach spielte ich mich selbst und gestand alles. Dass ich nicht imstande bin zu kommen, wie mir nach der Penetration die Vagina wehtut, erzählte von der Scham und der Einsamkeit. Ich löste mich ein für alle Mal aus dem Klammergriff, in dem mich das Geheimnis all die Zeit gefangen gehalten hatte. Zum ersten Mal fühlte ich mich frei. Als ich nach der Aufführung ins Foyer wankte, ängstlich vor der Reaktion auf meinen Monolog, stand plötzlich eine nervöse junge Frau vor mir.

»Ich wollte dir nur kurz sagen, dass ich mich total in deiner Geschichte wiedererkenne. Mir geht’s genauso. Wie schön, das auch mal von anderen zu hören.«

What the fuck?

Kurz darauf tippte mir ein Junge an die Schulter. »Meine Freundin hat damit auch ihre Schwierigkeiten, also mit dem Kommen. Aber wir versuchen es weiter. Irgendwann findest du bestimmt jemanden, der sich Zeit dafür nimmt.«

Eine toughe Frau mit Piercings wartete winkend auf mich. »Mädel, glaub mir, lass dir ein Klitpiercing stechen. Ich hatte genau dasselbe Problem wie du, aber seit ich das Ding hab, komme ich ständig, hahaha!«

Ich war also nicht allein? Und noch wichtiger: Brauchte ich ein Klitorispiercing?

Nach jeder Vorstellung kamen Leidensgenoss:innen auf mich zu, um sich Luft zu machen. Ich hatte das Gefühl, Geschichten zu hören, die sie, genau wie ich, noch nie mit anderen geteilt hatten. Aber wenn wir so viele waren und es so viel Redebedarf gab, warum zum Henker redeten wir dann nie darüber? Wo waren die echten Sexgeschichten?

Diese Erfahrung machte etwas mit mir. Ich entdeckte, dass eine Stärke darin liegt, sich verletzlich zu zeigen. Mein größtes Geheimnis und alles, wofür ich mich schämte, hatte ich offen auf den Tisch – beziehungsweise auf die Bühne – gelegt, und ich lebte noch. Oder vielleicht hatte ich vielmehr dank all dem gerade erst angefangen zu leben. Außerdem hatte meine Verletzlichkeit die der anderen hervorgelockt, und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, das ich in ihren Augen sah und in meiner Brust spürte, machte mir klar, dass ich nicht länger mit diesem Geheimnis leben wollte. Unsere Geschichten wollten erzählt werden. Ich habe mir damals vorgenommen, stets aus dieser Verletzlichkeit und Ehrlichkeit heraus zu handeln und mich nicht mehr aufhalten zu lassen von Tabus, die uns die Gesellschaft eingeredet hat. Klar, manchmal spüre ich sie noch, die Grenzen der gesellschaftlichen Normen, die Einschränkungen als Frau in der Öffentlichkeit, aber woran ich mich festhalte, ist das Wissen, dass ich mit den Dingen, die ich erlebe, nicht allein bin.

Wir sind nicht allein.

Darf ich mich vorstellen?

Als ich einundzwanzig war und gerade aus meiner ersten Beziehung kam, hatte ich mein erstes Tinderdate. Na ja, eigentlich war es nur ein besseres Sexdate. Die Beziehung zu meinem ersten Partner war auf sexueller (wie emotionaler und intellektueller) Ebene gescheitert, und so begab ich mich auf eine Mission, sexuelle Erfahrungen mit anderen zu machen. Mein Date war vierunddreißig und hatte einen so spezifischen Beruf, dass ich ihn hier nicht nennen kann. Wir hatten bereits ein total verkrampftes erstes Date in einer Kneipe gehabt, bei dem er mir mindestens fünfzehnmal auf die Brüste starrte, nach zehn Minuten meine Hand ergriff und sie dann einfach nicht mehr losließ. Hinterher schwor ich mir, nie mehr Kontakt mit ihm aufzunehmen, aber mein Selbstwertgefühl war damals ziemlich gering, und er war so lieb – ständig erkundigte er sich per Whatsapp, wie es mir ginge, sagte, dass ich schön aussehe, wollte nach meiner Abfuhr mit mir befreundet bleiben, weil er so gern mit mir rede, und beantwortete meine Whatsapp-Nachrichten so schnell, dass ich beschloss, es einfach mit ihm zu tun. Später würde ich herausfinden, dass das das übliche Vorgehen von Männern ist, die mit dir in die Kiste wollen, etwas, das ich inzwischen als the bare minimum bezeichne, aber diesen Begriff kannte ich damals noch nicht. Ich plante das Sexdate eine ganze Woche im Voraus.

[20:46] Ich:Ich glaub, ich will doch mit dir ins Bett

[20:46] Er:Wie schön, dass du es dir anders überlegt hast;)

[20:49] Ich:Kannst du nächste Woche Mittwochabend?

[20:50] Er:Klar. Freu mich, Joy;)

Am Samstag hatte ich dann eigentlich schon keine Lust mehr. Aber ich wusste nicht, wie ich ihm das beibringen sollte, und hatte das Gefühl, ihm den Sex schuldig zu sein.

Mittwoch. D‑Day. Vor lauter Aufregung hatte ich den ganzen Tag Durchfall. Ich schickte meiner besten Freundin eine Whatsapp mit seiner Telefonnummer, seinem Namen und seiner Adresse, für den Fall, dass er sich als Serienmörder herausstellen sollte, erzählte meinen Eltern, ich würde zu besagter bester Freundin gehen, und fuhr mit dem Auto meines Vaters zu seinem Haus. Das Outfit, das ich gewählt hatte, glich eher einem Kostüm. Ein enges dunkelgraues Kleid mit tiefem Dekolleté, Strumpfhose, schwarze High Heels und roter Lippenstift. Wenn ich heute darüber nachdenke, wollte ich wohl erwachsen und verführerisch wirken und mich selbst davon überzeugen, dass das, was ich tat, meinem freien Willen entsprang, meinem eigenen Verlangen, und dass Sex mit fremden älteren Männern etwas war, das alle jungen Frauen und älteren Mädchen taten.

»Das ist völlig normal, du bist keine Schlampe, du bist keine Schlampe, du bist keine Schlampe.«

Ich klingelte, die Tür ging auf, und oben auf dem Treppenabsatz steckte er den Kopf durch die Tür.

Drinnen war es extrem ungemütlich, und es fehlte jegliche stimmungsvolle Beleuchtung. In seinem Wohnzimmer standen eine Couch und ein Sessel, und absurderweise nahm ich auf dem Sessel Platz, weit weg von ihm. Es fühlte sich an, als wäre ich beim Vorsprechen für so einen schlechten deutschen Gangbang-Porno. »Warum setzt du dich nicht neben mich?«

Ich lachte etwas verschämt und nahm auf der Couch Platz. Nach ein paar Schlucken Rotwein und einem Gespräch über das schöne Wetter und so Kram küsste er mich. Sein Stoppelbart kratzte auf meiner Haut, und seine Hände untersuchten gierig meinen Körper. Ehe ich mich versah, war ich nackt und er dank mir ebenfalls. Keine zwei Minuten später fingerte er mich und sagte nach fünfzehn Sekunden:

»Komm schon.«

Mit großen Augen sah ich ihn an, während er mich noch immer ziemlich grob fingerte und mein Körper im Rhythmus seiner Finger mitruckelte. War das sein Ernst? Er hatte meine Klitoris nicht mal berührt. Eigentlich hätte ich sagen wollen, dass es so bestimmt nicht klappen würde und ich sowieso nur schwer kam, aber stattdessen geriet ich angesichts seines fest entschlossenen Blicks in Panik, fing an zu stottern und versuchte zum ersten Mal in meinem Leben, einen Orgasmus zu faken.

»Ahhh, ahh, ahhh, jahahaa. AAAAH!«

Ich glaube nicht, dass er mir die Nummer abkaufte.

»Du willst es bestimmt mit Kondom machen?«, fragte er kurz darauf leicht irritiert.

»Ähm ja«, antwortete ich schuldbewusst und stieß ein unbeholfenes Lachen aus.

Was folgte, war eine kurze Pornodarbietung, bei der ich einmal sogar von der Couch fiel, weil er mich so hart fickte, während ich mich die ganze Zeit eigentlich nur fragte, wann in Gottes Namen ich wieder nach Hause durfte.

Als ich hinterher endlich mit vom Stoppelbart aufgescheuertem Kinn im Auto saß, lachte ich erleichtert:

»What the fuck, ist das dein Ernst? Komm schon?! Was für ein Arsch.«

Ich schämte mich zutiefst und redete hinterher mit niemandem darüber.

Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Joy Delima, und ich habe kein großartiges Sexleben.

Ich komme so gut wie nie, es fällt mir noch immer schwer, beim Sex zu kommunizieren und ich habe nie gelernt, herauszufinden, was mir gefällt oder für meine Bedürfnisse einzustehen, wenn es die andere Person nicht für mich tut. In der Schule brachte man mir bei, dass Kondome vor Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft schützen und dass Männer versuchen werden, mich ohne Kondom zu penetrieren, aber wie ich für mich selbst einstehe und Grenzen setze oder wie Sex überhaupt funktioniert, erfuhr ich nicht.

So wurden Pornos zu meinem Unterricht. Dort lernte ich, dass Kommen zum Sex dazugehört und dass so ein Orgasmus leicht von der Hand geht. Mann fickt Frau, Frau kommt stöhnend, Mann kommt lautlos, und was mit dem Sperma passiert, bestimmt er. Aber wie man tatsächlich so einen Orgasmus erreicht, wusste ich nicht. Denn als ich zum ersten Mal einen Porno sah, hatte ich noch nie masturbiert.

Nun, da ich auf diese Zeit zurückblicke, bereue ich das, denn ich hätte es der jüngeren Joy so sehr gegönnt, dass sie ihren Körper in ihrem eigenen Tempo entdeckt. Dass sie einfach an sich selbst herumgefummelt hätte, weil es sich gut anfühlt. Ich hätte mir für sie gewünscht, dass sie spielerisch ihre eigene Sexualität entdeckt hätte.

Aber mein jüngeres Ich tat nur, was es in diesen Pornos sah. Verzweifelt versuchte ich, einen Orgasmus herbeizuführen, indem ich immer wieder in hohem Tempo über meine Klitoris rubbelte. Abend für Abend probierte ich es, aber es passierte nichts. Die Panik nahm zu, denn es bestand das Risiko, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich kam nicht und konnte es niemandem erzählen, denn dann hätte ich zugeben müssen, dass ich das nur wusste, weil ich einen Masturbationsmarathon hinter mir hatte, und das musste ich unter allen Umständen verheimlichen.

Ein paar Jahre später las ich im Tina-Forum oder in der Hit-Zeitschrift, oder vielleicht war es auch in der Fancy, dass Mädchen zur Selbstbefriedigung mitunter einen Duschkopf zu Hilfe nehmen. Am selben Abend noch probierte ich es aus.

Übrigens, mit »dem Duschkopf« ist nicht das ganze Ding mit all den feinen Strahlen gemeint. Nein, man musste den Duschkopf abdrehen, damit man einen einzigen Wasserstrahl hatte, und den sollte man laut Forum auf die Klitoris richten.

Ich las in den Erfahrungsberichten der Mädchen, dass es sich gut anfühlte, wenn dieser Strahl kalt war, also probierte ich das kurzerhand aus. Doch das fühlte sich nach einer Weile an, als hätte ich einen brain freeze an der Klitoris. Allmählich gab ich die Hoffnung auf, als selbst das lauwarme Wasser bei mir nichts zu bewirken schien, bis ich plötzlich in der Ferne ein angenehmes Gefühl näher kommen spürte. Ich erschrak ein wenig, wie wenn man nach jahrelanger Übung eine schwierige Yogastellung beinahe hinkriegt. Nun war Präzisionsarbeit und höchste Konzentration gefragt. Warmes Wasser, den Wasserdruck variieren, noch wärmeres Wasser, etwas tiefer, ein Stück nach links, härterer Strahl, Konzentration.

Plötzlich fühlte es sich an, als ob sämtliches Blut und Bewusstsein in meinem Körper langsam in meine Klitoris hinuntersackten. Ich bestand nur noch aus meiner Klitoris, was sich wahnsinnig gut anfühlte.

Dann stellte sich ein Gefühl ein, von dem ich sicher wusste, auch wenn es das erste Mal war, dass es mich diesmal woanders hinführen würde. Es fühlte sich an, als ob sich etwas aufbaute, genau wie man weiß, dass sich ein Kribbeln in der Nase zu einem Nieser entwickelt. Der Prozess dauerte ziemlich lange, und hier und da musste ich noch ein paar Anpassungen vornehmen, aber letztlich fühlte es sich über lange Zeit gut an. Meine Muskeln spannten sich an, ich hörte auf zu atmen, und eigentlich war es, als würden mein Körper und die Zeit einen Moment lang stillstehen. Bis etwas platzte. Ich war zu einem großen rosa Luftballon geworden, und jemand hatte ein Loch in mich gepikst, so fühlte es sich an.

Meine Beine begannen zu zittern, und ich musste mich in der Dusche festhalten, damit sie nicht nachgaben. Die Muskeln in meiner Vagina zogen sich zusammen, und nach etwa zehn Sekunden war meine Klitoris so empfindlich, dass ich den Wasserstrahl abwenden musste. Da wusste ich sicher: Das war mein erster Orgasmus.

Ich musste ganz leise sein, aber ich schrie es beinahe von den Dächern, so glücklich war ich. Ich war nicht defekt, und das Problem war gelöst.

Dass ich nun noch immer nicht wusste, wie genau mein Körper funktionierte, vergaß ich ehrlich gesagt vor lauter Begeisterung. Der Duschkopf wurde zum festen Bestandteil meiner Masturbationsroutine, ohne ihn kam ich nicht mehr zum Orgasmus.

Mit achtzehn kam ich dann mit einem Jungen zusammen. Penetration war in meinen Augen die letzte Möglichkeit, ohne Hilfsmittel zum Orgasmus zu kommen. Wenn ich endlich mit Partnersex und Penetration loslegen würde, würde es auf jeden Fall klappen. Genau wie bei den Frauen in den Pornos.

Aber als ich mit achtzehn beschloss, dass es endlich Zeit sei für Sex und ich mich mit absurd hohen Erwartungen zu meiner allerersten Penetration hinlegte (dazu später mehr), spürte ich nichts. Ich kam zu keinem Orgasmus, und laut stöhnen, wie ich es erwartet hatte, musste ich auch nicht. Ich lag da und geriet in Panik. Es stimmte also doch etwas nicht mit mir. Das hier war mein letzter Rettungsanker. Wenn es schon nicht mit dem Klitorisgerubbel klappte, dann musste es doch mit dem Penetrieren klappen. Aber als selbst das nicht zu funktionieren schien, wusste ich mir keinen Rat mehr.

Ich habe mich so ziemlich meine ganze Jugend über für mein Sexleben geschämt. Das Masturbieren, das Nicht-kommen-Können, das obsessive Pornogucken und der misslungene Sex gaben mir ein Gefühl der Einsamkeit. Denn ich hatte nicht gelernt, wie man über Sex spricht. Ich wusste nicht, dass es okay war, als Frau den Sex auch genießen zu wollen. Ich wusste nicht, dass es beim Sex nicht um Penetration gehen muss und ich ein Mitspracherecht habe. Auch dass ich Nein sagen kann, wenn ich zuvor Ja gesagt habe, wusste ich nicht. Und dieses Bewusstsein wünsche ich allen. Denn seit ich offen über die dunklen Seiten meiner Sexualität rede, ob nun auf der Bühne, auf meinem Instagram-Profil oder in der Kneipe, wird mir klar, dass ich damit nicht allein bin. Inzwischen habe ich gelernt, aus der Verletzlichkeit eine Stärke zu machen. Dass ich niemals in der Lage sein werde, Sex so richtig zu genießen oder ohne Probleme zu kommen, ist noch immer eine große Angst von mir, aber ich schäme mich jetzt nicht mehr dafür.

Sex ist eine Erkundungsreise. Selbst heute, wo ich meine Grenzen kenne, kommt es noch immer viel zu oft vor, dass diese überschritten werden und ein übler Nachgeschmack zurückbleibt. Selbst als ich mit vierundzwanzig das erste Mal in meinem Leben die Anatomie der gesamten Klitoris sah und lernte, dass »Vagina« nur den Hohlraum bezeichnet, der die Vaginalöffnung mit der Gebärmutter verbindet, selbst da wusste ich nicht, wie ich die Vulva und die beinahe zehn Zentimeter lange Klitoris liebkosen musste.

Aber ich lerne es. Ich masturbiere. Ich spreche offen darüber und probiere mich aus.