König Lear - William Shakespeare - E-Book + Hörbuch

König Lear E-Book

William Shakespeare

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Beschreibung

"König Lear" gehört und zu berühmtesten (und grausigsten) Tragödien Shakespeares und ist eine exemplarische Darstellung von Generationenkonflikten, familiären Machtkämpfen, Intrigen und den extremen Emotionen, die sie freisetzen: Liebe und Hass, Angst und Wahnsinn. Die sogenannte Schlegel-Tieck-Übersetzung, zu der August Wilhelm Schlegel und - unter Mitübersetzer- und Herausgeberschaft von Ludwig Tieck - auch Dorothea Tieck und Wolf Heinrich Graf Baudissin beigetragen haben, ist im 19. Jahrhundert zu einem eigenständigen deutschen Klassiker geworden. Indem sich die Übersetzer der Literatursprache der deutschen Klassik im Gefolge Goethes und Schillers bedienten, schufen sie ein poetisches Übersetzungswerk von großer sprachlicher Geschlossenheit und weitreichender Wirkung. – Text in neuer Rechtschreibung. König Lear will sein Reich unter seinen drei Töchtern aufteilen, und zwar nach dem Maß ihrer Vaterliebe, die sie um die Wette bekunden sollen. Regan und Goneril überbieten sich in Liebesbezeugungen, die jüngste Tochter Cordelia erklärt nur schlicht ihre Liebe. Daraufhin enterbt sie ihr Vater. Regan und Goneril, die das Reich erben, verstoßen Lear. Cordelia kehrt als  Ehefrau des Königs von Frankreich mit einer Armee zurück, um ihren Vater zu unterstützen, wird aber besiegt und schließlich getötet. Am Ende stirbt aus Kummer auch Lear. "König Lear ist immer wieder als Shakespeares größtes Werk, als das beste seiner Stücke beschrieben worden, als die Tragödie, in der sich seine zahlreichen Fähigkeiten am zahlreichsten entfalten. Und wenn wir dazu verurteilt würden, all seine Dramen wegzugeben außer einem, würde die Mehrheit derer, die Shakespeare am gründlichsten kennen und schätzen, sich wahrscheinlich dafür aussprechen, König Lear behalten zu dürfen." A. C. Bradley

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Seitenzahl: 135

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William Shakespeare

König Lear

Übersetzt von Wolf Heinrich Graf Baudissin

Herausgegeben von Dietrich Klose

Reclam

Englischer Originaltitel: The Tragedy of King Lear

 

1950, 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Durchgesehene Ausgabe 2015

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961060-3

Inhalt

Die Tragödie von König LearPersonenErster AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneZweiter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneDritter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneSechste SzeneSiebente SzeneVierter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneVierte SzeneFünfte SzeneSechste SzeneSiebente SzeneFünfter AktErste SzeneZweite SzeneDritte SzeneZu dieser Ausgabe

Die Tragödie von König Lear

[6]Personen

LEAR, König von Britannien

König von Frankreich

Herzog von Burgund

Herzog von Cornwall

Herzog von Albanien

Graf von Gloster

Graf von Kent

EDGAR, Glosters Sohn

EDMUND, Glosters Bastard

CURAN, ein Höfling

Ein Arzt

Der Narr

OSWALD, Gonerils Haushofmeister

Ein Hauptmann

Ein Edelmann im Gefolge der Cordelia

Ein Herold

Ein alter Mann, Glosters Pächter

Bediente von Cornwall

Lears Töchter

GONERIL

REGAN

CORDELIA

Ritter im Gefolge des Königs, Offiziere, Boten, Soldaten und Gefolge

 

Die Szene ist in Britannien

[7]Erster Akt

Erste Szene

König Lears Palast.

(Kent, Gloster und Edmund.)

KENT.

Ich dachte, der König sei dem Herzog von Albanien gewogener, als dem von Cornwall.

GLOSTER.

So schien es uns immer; doch jetzt, bei der Teilung des Reichs, zeigt sich’s nicht, welchen der beiden Herzoge er höher schätzt. Denn so gleichmäßig sind die Teile abgewogen, dass die genaueste Forschung selbst sich für keine der Hälften entscheiden könnte.

KENT.

Ist das nicht Euer Sohn, Mylord?

GLOSTER.

Seine Erziehung ist mir zur Last gefallen: ich musste so oft erröten, ihn anzuerkennen, dass ich nun dagegen gestählt bin.

KENT.

Ich verstehe Euch nicht.

GLOSTER.

Seine Mutter und ich verstanden uns nur zu gut, und dies Einverständnis verschaffte ihr früher einen Sohn für ihre Wiege, als einen Mann für ihr Bett. Merkt Ihr was von einem Fehltritt?

KENT.

Ich kann den Fehltritt nicht ungeschehen wünschen, da der Erfolg davon so anmutig ist.

GLOSTER.

Doch habe ich auch einen rechtmäßigen Sohn, einige Jahre älter als dieser, den ich aber darum nicht [8]höher schätze. Obgleich dieser Schelm etwas vorwitzig in die Welt kam, eh’ er gerufen ward, so war doch seine Mutter schön, es ging lustig her bei seinem Entstehen, und der Bankert durfte nicht verleugnet werden. Kennst du diesen edeln Herrn, Edmund?

EDMUND.

Nein, Mylord.

GLOSTER.

Mylord von Kent: gedenke sein hinfort als meines geehrten Freundes.

EDMUND.

Mein Dienst sei Euer Gnaden gewidmet.

KENT.

Ich muss Euch lieben, und bitte um Eure nähere Bekanntschaft.

EDMUND.

Ich werde sie zu verdienen suchen.

GLOSTER.

Er war neun Jahre im Auslande, und soll wieder fort. Der König kommt!

(Man hört Trompeten.)

(König Lear, Cornwall, Albanien, Goneril, Regan, Cordelia und Gefolge treten auf.)

LEAR.

Führt ein die Herrn von Frankreich und Burgund,

Gloster!

GLOSTER.

    Sehr wohl, mein König!

(Gloster und Edmund ab.)

LEAR.

Derweil enthülln wir den verschwiegnen Vorsatz.

Die Karte dort! – Wisst, dass wir unser Reich

Geteilt in Drei. ’s ist unser fester Schluss,

Von unserm Alter Sorg’ und Müh’ zu schütteln,

Sie jüngrer Kraft vertrauend, während wir

Zum Grab entbürdet wanken. Sohn von Cornwall,

Und Ihr gleich sehr geliebter Sohn Albanien,

Wir sind jetzund gewillt, bekannt zu machen

Der Töchter festbeschiedne Mitgift, dass

Wir künftgem Streite so begegnen. –

[9]Die Fürsten Frankreich und Burgund, erhabne

Mitwerber um der jüngern Tochter Gunst,

Verweilten lange hier in Liebeswerbung

Und harrn auf Antwort. – Sagt mir, meine Töchter

(Da wir uns jetzt entäußern der Regierung,

Des Landbesitzes und der Staatsgeschäfte), –

Welche von euch liebt uns nun wohl am meisten?

Dass wir die reichste Gabe spenden, wo

Verdienst sie und Natur heischt. Goneril,

Du Erstgeborne, sprich zuerst!

GONERIL.

    Mein Vater,

Mehr lieb ich Euch, als Worte je umfassen,

Weit inniger als Licht und Luft und Freiheit,

Weit mehr, als was für reich und selten gilt,

Wie Schmuck des Lebens, Wohlsein, Schönheit, Ehre,

Wie je ein Kind geliebt, ein Vater Liebe fand.

Der Atem dünkt mich arm, die Sprache stumm,

Weit mehr, als alles das, lieb ich Euch noch.

CORDELIA

(beiseit).

Was sagt Cordelia nun? Sie liebt und schweigt.

LEAR.

All dies Gebiet, von dem zu jenem Strich,

An schatt’gen Forsten und Gefilden reich,

An vollen Strömen und weit grünen Triften,

Beherrsche du: dir und Albaniens Stamm

Sei dies auf ewig. Was sagt unsre zweite Tochter

Die teure Regan, Cornwalls Gattin? Sprich!

REGAN.

Ich bin vom selben Stoff wie meine Schwester

Und schätze mich ihr gleich. Mein treues Herz

Fühlt, all mein Lieben hat sie Euch genannt;

[10]Nur bleibt sie noch zurück: denn ich erkläre

Mich als die Feindin jeder andern Lust,

Die in der Sinne reichstem Umkreis wohnt,

Und fühl in Eurer teuren Hoheit Liebe

Mein einzig Glück.

CORDELIA

(beiseit.)    Arme Cordelia dann! –

Und doch nicht arm; denn meine Lieb’, ich weiß,

Wiegt schwerer als mein Wort.

LEAR.

Dir und den Deinen bleib als Erb’ auf immer

Dies zweite Drittteil unsers schönen Reichs,

An Umfang, Wert und Anmut minder nicht,

Als was ich Gon’ril gab. Nun unsre Freude,

Du jüngste, nicht geringste, deren Liebe

Die Weine Frankreichs und die Milch Burgunds

Nachstreben; was sagst du, dir zu gewinnen

Ein reichres Drittteil, als die Schwestern? Sprich!

CORDELIA.

Nichts, gnäd’ger Herr!

LEAR.

Nichts?

CORDELIA.

Nichts.

LEAR.

Aus nichts kann nichts entstehn: sprich noch einmal.

CORDELIA.

Ich Unglücksel’ge, ich kann nicht mein Herz

Auf meine Lippen heben; ich lieb Eur’ Hoheit,

Wie’s meiner Pflicht geziemt, nicht mehr, nicht minder.

LEAR.

Wie? Wie? Cordelia! Bessre deine Rede,

Sonst schadst du deinem Glück.

CORDELIA.

    Mein teurer Herr,

Ihr zeugtet, pflegtet, liebtet mich; und ich

Erwidr’ Euch diese Wohltat, wie ich muss,

Gehorch Euch, lieb Euch und verehr Euch hoch.

[11]Wozu den Schwestern Männer, wenn sie sagen,

Sie lieben Euch nur? Würd’ ich je vermählt,

So folgt dem Mann, der meinen Schwur empfing,

Halb meine Treu’, halb meine Lieb’ und Pflicht.

Gewiss, nie werd ich frein wie meine Schwestern,

Den Vater nur allein zu lieben.

LEAR.

Und kommt dir das von Herzen?

CORDELIA.

    Ja, mein Vater!

LEAR.

So jung und so unzärtlich?

CORDELIA.

So jung, mein Vater, und so wahr.

LEAR.

Sei’s drum. Nimm deine Wahrheit dann zur Mitgift:

Denn bei der Sonne heilgem Strahlenkreis,

Bei Hekates Verderben, und der Nacht,

Bei allen Kräften der Planetenbahn,

Durch die wir leben und dem Tod verfallen,

Sag ich mich los hier aller Vaterpflicht,

Aller Gemeinsamkeit und Blutsverwandtschaft,

Und wie ein Fremdling meiner Brust und mir

Sei du von jetzt auf ewig. Der rohe Skythe,

Ja der die eignen Kinder macht zum Fraß,

Zu sätt’gen seine Gier, soll meinem Herzen

So nah stehn, gleichen Trost und Mitleid finden,

Als du, mein weiland Kind.

KENT.

    O edler König!

LEAR.

Schweig, Kent!

Tritt zwischen den Drachen nicht und seinen Grimm;

Sie war mein Liebling, und ich hofft’ auf Trost

[12]Von ihrer sanften Pflege. Fort! mir aus den Augen! –

Sei Friede so mein Grab, als ich von ihr

Mein Vaterherz losreiße. – Ruft mir Frankreich!

Wer rührt sich? Ruft Burgund! – Ihr, Cornwall und Albanien,

Zu meiner Töchter Mitgift schlagt dies Drittteil. –

Stolz, den sie Gradheit nennt, vermähle sie!

Euch beide kleid ich hier in meine Macht,

Vorrang der Würd’ und allerhöchsten Glanz,

Der Majestät umgibt. Wir, nach der Monde Lauf,

Mit Vorbehalt allein von hundert Rittern,

Die ihr erhaltet, wohnen dann bei euch,

Nach Ordnung wechselnd. Wir bewahren nur

Den Namen und des Königs Ehrenrecht; –

Die Macht,

Verwaltung, Rent’ und alle Staatsgewalt,

Geliebte Söhn’, ist euer. Des zum Zeugnis

Teilt diesen goldnen Reif.

KENT.

    Erhabner Lear,

Den ich als meinen König stets geehrt,

Geliebt als Vater und als Herrn begleitet,

Als höchsten Hort einschloss in mein Gebet, –

LEAR.

Der Bogen ist gespannt, entflieh dem Pfeil! –

KENT.

Er falle nur, ob auch die Spitze

Ins Herz mir bohrt. Sei Kent nur ohne Sitte,

Wenn Lear verrückt. Was tust du, alter Mann?

Meinst du, dass Pflicht zu reden scheut, weil Macht

Zum Schmeicheln sinkt? – Die Ehre fordert Gradheit,

Wenn Kön’ge töricht werden. Bleibe Herrscher,

Und mit der besten Überlegung hemme

Die frevle Eil. Mit meinem Leben bürg ich,

[13]Die jüngre Tochter liebt dich minder nicht

Noch ist der ohne Herz, des schwacher Klang

Nicht Hohlheit widertönt.

LEAR.

Schweig, Kent, bei deinem Leben.

KENT.

Mein Leben galt mir stets nur als ein Pfand

Zu wagen gegen deinen Feind; gern opfr’ ich’s

Für deine Wohlfahrt.

LEAR.

    Aus den Augen mir!

KENT.

Sieh besser, Lear, und lass mich immer bleiben

Den Zielpunkt deines Auges.

LEAR.

Nun beim Apoll! –

KENT.

    Nun beim Apollo, König,

Du rufst vergeblich deine Götter an.

LEAR.

O Sklav’! – Abtrünn’ger!

(Legt die Hand ans Schwert.)

ALBANIEN UND CORNWALL.

    Teurer Herr, lass[t] ab! –

KENT.

Tu’s, töte deinen Arzt und gib den Lohn

Der schnöden Krankheit. Nimm zurück die Schenkung,

Sonst, bis der Kehle Kraft versagt zu schrein,

Sag ich dir, du tust Unrecht.

LEAR.

    Höre mich,

Rebell, bei deiner Lehnspflicht, höre mich!

Weil du zum Wortbruch uns verleiten wolltest

(Den wir noch nie gewagt), und stolz verwegen

Dich drängtest zwischen unsern Spruch und Thron

(Was unser Blut und Rang nicht dulden darf),

Sprech ich als Herrscher jetzt, – nimm deinen Lohn.

Fünf Tage gönnen wir, dich zu versehn

Mit Schirmung vor des Lebens Ungemach:

Am sechsten kehrst du den verhassten Rücken

[14]Dem Königreich, und weilt am zehnten Tag

In unserm Lande dein verbannter Leib,

So ist’s dein Tod. Hinweg! Bei Jupiter,

Dies widerruf ich nicht.

KENT.

So leb denn wohl, Fürst. Zeigst du so dich, Lear,

Lebt Freiheit auswärts und Verbannung hier.

Dir, Jungfrau, sei’n die Götter mächt’ger Hort,

Die richtig denkt und sprach das rechte Wort.

Eu’r breites Reden sei durch Tat bewährt,

Dass Liebeswort willkommne Frucht gebärt,

Fahrt wohl, ihr Fürsten all’: Kent muss von hinnen,

Im neuen Land ein Schicksal zu gewinnen.

(Er geht ab.)

(Gloster kommt zurück mit Frankreich, Burgund und Gefolge.)

GLOSTER.

Hier sind Burgund und Frankreich, hoher Herr!

LEAR.

Fürst von Burgund,

Zu Euch erst sprech ich, der mit diesem König

Um unsre Tochter warb. Was als das Mindste

Erwartet Ihr als Mitgift, oder steht

Von Euerm Antrag ab?

BURGUND.

    Erhabner König,

Mir g’nügt, was Ihr freiwillig habt geboten,

Und minder gebt Ihr nicht.

LEAR.

    Mein würd’ger Herzog,

Als sie uns wert war, schätzten wir sie so;

Nun ist ihr Preis gesunken. Seht, da steht sie:

Wenn etwas an der kleinen, schmucken Larve

[15]Oder sie ganz mit unserm Zorn dazu,

Und weiter nichts, Eur’ Hoheit noch gefällt,

So nehmt sie, sie ist Eu’r.

BURGUND.

    Mir fehlt die Antwort.

LEAR.

Herr!

Wollt Ihr mit allen Mängeln, die ihr eigen,

Freundlos und neuverschwistert unserm Hass,

Zur Mitgift Fluch, durch Schwur von uns entfremdet,

Sie nehmen oder lassen?

BURGUND.

    Herr, verzeiht,

Mit der Bedingung endigt jede Wahl.

LEAR.

So lasst sie; bei der Macht, die mich erschuf,

Ich nannt’ Euch all ihr Gut. (Zu Frankreich.) Ihr, großer König, –

Nicht so weit möcht ich Eurer Lieb’ entwandern,

Euch zu vermählen, wo ich hasse. Lenkt

Zu besserm Ziel, ich bitt Euch, Eure Wünsche,

Als auf dies Wesen, das Natur errötet

Anzuerkennen.

FRANKREICH.

    Wahrlich, dies ist seltsam! –

Dass sie, die eben noch Eu’r Kleinod war,

Der Inhalt Eures Lobs, Balsam des Alters,

Eu’r Bestes, Teuerstes, in diesem Nu

So Unerhörtes tat, ganz zu zerreißen

Solch reichgewebte Gunst. Traun, ihr Vergehn

Muss unnatürlich, ungeheuer sein,

Oder die Liebe, deren Ihr Euch rühmtet,

Ist tadelnswert. So schlimm von ihr zu denken,

Heischt Glauben, wie Vernunft ihn ohne Wunder

Mir nimmer einimpft.

CORDELIA.

    Dennoch bitt ich, Herr

[16](Ermangl’ ich auch der schlüpfrig glatten Kunst,

Zu reden nur zum Schein: denn, was ich ernstlich will,

Vollbring ich, eh’ ich’s sage), dass Ihr zeugt,

Es sei kein schnöder Makel, Mord noch Schmach,

Kein zuchtlos Tun, noch ehrvergessner Schritt,

Der mir geraubt hat Eure Gnad’ und Huld.

Nur, weil mir fehlt – wodurch ich reicher bin –

Ein stets begehrend Aug’ und eine Zunge,

Die ich mit Stolz entbehr, obgleich ihr Mangel

Mir Euern Beifall raubte.

LEAR.

    Besser wär’s,

Du lebtest nicht, als mir zur Kränkung leben!

FRANKREICH.

Ist es nur das? Ein Zaudern der Natur,

Das oft die Tat unausgesprochen lässt,

Die es zu tun denkt? – Herzog von Burgund,

Was sagt Ihr zu der Braut? Lieb’ ist nicht Liebe,

Wenn sie vermengt mit Rücksicht, die seitab

Vom wahren Ziel sich wendet. Wollt Ihr sie?

Sie selbst ist Ihre Mitgift.

BURGUND.

    Hoher Lear,

Gebt mir den Anteil, den Ihr selbst bestimmt,

Und hier nehm ich Cordelia bei der Hand

Als Herzogin Burgunds.

LEAR.

Nichts! Ich beschwor’s, ich bleibe fest.

BURGUND.

Dann tut mir’s leid, dass Ihr zugleich den Vater

Verliert und den Gemahl.

CORDELIA.

    Fahr hin, Burgund! –

Da Wunsch nur nach Besitz sein Lieben ist,

Werd ich nie seine Gattin.

FRANKREICH.

Schönste Cordelia, du bist arm höchst reich;

Verbannt höchst wert; verachtet höchst geliebt! –

[17]Dich nehm ich in Besitz und deinen Wert.

Gesetzlich sei, zu nehmen, was man wegwarf.

Wie seltsam, Götter! Meiner Liebe Glühn

Und Ehrfurcht muss aus kaltem Hohn erblühn.

Sie musste Erb’ und Glück bei dir verlieren,

Um über uns und Frankreich zu regieren.

Kein Herzog von Burgunds stromreichen Auen

Erkauft von mir die teuerste der Frauen!

Den Harten gib ein mildes Abschiedswort,

Das Hier verlierst du für ein bessres Dort.

LEAR.

Du hast sie, Frankreich, sie sei dein; denn nie

Hatt’ ich solch Kind und nimmer grüße sie

Mein altes Auge mehr. Folg deinen Wegen

Ohn’ unsre Lieb’ und Gunst, ohn’ unsren Segen.

Kommt, edler Fürst Burgund!

(Trompetengetön. Lear, Burgund, Cornwall, Albanien, Gloster und Gefolge gehn ab.)

FRANKREICH.

Sag deinen Schwestern Lebewohl.

CORDELIA

(beiseit).

Des Vaters Edelsteinen! – (laut) Nassen Blicks

Verlässt Cordelia euch. (Beiseit.) Ich kenn euch wohl,

Und nenn als Schwester eure Fehler nicht

Beim wahren Namen. (Laut.) Liebt denn unsern Vater

Ich leg ihn euch ans vielberedte Herz: –

(beiseit) Doch ach, wär’ ich ihm lieb noch wie vor Zeiten,

Wollt’ ich ihm einen bessern Platz bereiten.

(laut) So lebt denn beide wohl!

REGAN.

Lehr uns nicht unsre Pflichten.

GONERIL.

    Dem Gemahl

Such zu genügen, der als Glücksalmosen

[18]Dich aufnahm. Du verschmähst der Liebe Band,

Mit Recht entzieht sich dir, was du verkannt.

CORDELIA.

Was List verborgen, wird ans Licht gebracht,

Wer Fehler schminkt, wird einst mit Spott verlacht,

Es geh Euch wohl!

FRANKREICH.

    Komm, liebliche Cordelia!

(Frankreich und Cordelia gehen ab.)

GONERIL.

Schwester, ich habe nicht wenig zu sagen, was uns beide sehr nahe angeht. Ich denke, unser Vater will heut Abend fort.

REGAN.

Ja, gewiss, und zu dir; nächsten Monat zu uns.

GONERIL.

Du siehst, wie launisch sein Alter ist; was wir darüber beobachten konnten, war bedeutend. Er hat immer unsere Schwester am meisten geliebt, und mit wie armseligem Urteil er sie jetzt verstieß, ist zu auffallend.

REGAN.

’s ist die Schwäche seines Alters: doch hat er sich von jeher nur obenhin gekannt.

GONERIL.

Schon in seiner besten und kräftigsten Zeit war er zu hastig: wir müssen also von seinen Jahren nicht nur die Unvollkommenheiten längst eingewurzelter Gewohnheiten erwarten, sondern außerdem noch den störrischen Eigensinn, den gebrechliches und reizbares Alter mit sich bringt.

REGAN.

Solch haltungsloses Auffahren wird uns nun auch bevorstehen, wie diese Verbannung Kents.

GONERIL.

Dergleichen Abschiedskomplimente wird’s noch mehr geben, wie zwischen Frankreich und ihm: bitt Euch, lasst uns zusammenhalten. Behauptet unser Vater [19]sein Ansehn mit solchen Gesinnungen, so wird jene letzte Übertragung seiner Macht uns nur zur Kränkung.

REGAN.

Wir wollen es weiter überlegen.

GONERIL.

Es muss etwas geschehen, und in der ersten Hitze.

(Sie gehn ab.)

Zweite Szene

Schloss des Grafen Gloster.

(Edmund mit einem Briefe.)

EDMUND.

Natur, du meine Göttin! Deiner Satzung

Gehorch ich einzig. Weshalb sollt’ ich dulden

Die Plagen der Gewohnheit und gestatten,

Dass mich der Völker Eigensinn enterbt,

Weil ich ein zwölf, ein vierzehn Mond’ erschien

Nach einem Bruder? – Was Bastard? Weshalb unecht?