Kritische Schriften - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Kritische Schriften E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Dieser Band beinhaltet folgende Schriften: Gedanken über die Herrnhuter Das Christentum der Vernunft Pope ein Metaphysiker! Über die Entstehung der geoffenbarten Religion Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott Durch Spinoza ist Leibniz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen Eine Parabel Anti-Goeze u.a.

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Kritische Schriften

Gotthold Ephraim Lessing

Inhalt:

Gotthold Ephraim Lessing – Biografie und Bibliografie

Gedanken über die Herrnhuter

Das Christentum der Vernunft

Pope ein Metaphysiker!

Über die Entstehung der geoffenbarten Religion

Über die Wirklichkeit der Dinge außer Gott

Durch Spinoza ist Leibniz nur auf die Spur der vorherbestimmten Harmonie gekommen

Eine Parabel

Anti-Goeze

Ernst und Falk

Daß mehr als fünf Sinne für den Menschen sein können

Gespräche über die Soldaten und Mönche

Die Religion Christi

Die Erziehung des Menschengeschlechts

Kritische Schriften, G. E. Lessing

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849625542

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

Gotthold EphraimLessing – Biografie und Bibliografie

Namhafter deutscher Dichter und unübertroffener Kritiker, geb. 22. Jan. 1729 zu Kamenz in der sächsischen Oberlausitz, wo sein Vater Prediger und später Hauptpastor war, gest. 15. Febr. 1781 in Braunschweig, bezog 21. Juni 1741 die Fürstenschule St. Afra in Meißen, auf der er eine gründliche Ausbildung in den alten Sprachen erwarb und bei dem Selbststudium, das nach dem gesunden Prinzip der Fürstenschulen verstattet war, sich mit Vorliebe zu den Charakterdarstellern und Dramatikern Theophrast, Plautus und Terenz wandte. Von poetischen Plänen und Entwürfen gehörte der Meißener Schülerzeit bereits eine erste Bearbeitung des später in Leipzig abgeschlossenen Lustspiels »Der junge Gelehrte« an. Auf der Universität Leipzig, die L. im Herbst 1746 bezog, fühlte er sich von den mittelmäßigen theologischen Vorlesungen keineswegs angezogen, weit mehr jedoch von den philologischen, besonders denjenigen Christs, sowie ferner von denen des Mathematikers und Naturforschers A. G. Kästner. Von Beziehungen zu Gottsched, der in Leipzig Professor war, hören wir nichts. L. setzte es gelegentlich einer Reise in die Heimat (Anfang 1748) bei seinen Eltern durch, das theologische Studium aufgeben zu dürfen, um sich der Medizin zu widmen und sich »nebenbei auf Schulsachen zu legen«. Doch auch in der Folge betrieb L. seine Studien nur unregelmäßig. Erfüllt von dem Wunsche, das Leben kennen zu lernen und sich von einseitiger Buchgelehrsamkeit frei zu halten, gab er sich den Freuden der Geselligkeit hin, pflegte nahe Beziehungen zum Theater und vervollkommte sich in weltläufigem Benehmen; auch kräftigte er seine Gesundheit durch fleißig betriebene körperliche Übungen. Doch des Jünglings bescheidene Mittel zerrannen schnell bei solcher Lebensführung, und er geriet in allerlei Fährlichkeit und in Schulden. Die Neigung, die er für das Drama schon aus Meißen mitgebracht hatte, wurde in Leipzig, wo Friederike Neuber und ihre Gesellschaft noch spielten, durch die Anschauung einer lebendigen Bühne derart gesteigert, daß die erste literarische Tätigkeit des jungen L., neben anakreontischen Versuchen und kleinen Sinngedichten, sich durchaus auf dramatische Arbeiten und Entwürfe richtete. Das neubearbeitete Lustspiel »Der junge Gelehrte« wurde von der Neuberschen Truppe ausgeführt. Von Lessings sonstigen dramatischen Jugendversuchen aus der Zeit bis 1750 sei noch erwähnt das ausgelassene Possenspiel: »Die alte Jungfer«, das er selber nicht der Aufnahme in seine Schriften würdigte, das Situationslustspiel »Der Misogyn«, ferner »Der Freigeist«, dessen Titelheld von einem ernsten und würdigen Geistlichen beschämt wird, und »Die Juden«, in denen L. sich gegen das herrschende religiöse und soziale Vorurteil erklärt. Anlehnungen an die ältere, speziell sächsische Lustspieldichtung lassen sich in all diesen noch jugendlich unbedeutenden Stücken bemerken; ihr Hauptverdienst besteht in dem flotten, pointierten Dialog. Nachdem im Frühjahr 1748 die Katastrophe der Neuberschen Schauspielergesellschaft eingetreten war, wurde dem jungen Autor und Studenten, der sich für einzelne Mitglieder der Truppe verbürgt hatte, der Boden in Leipzig zu heiß unter den Füßen. Er entwich vor seinen Gläubigern nach Wittenberg, wo er krank ankam. Kaum daß er die Erlaubnis seiner Eltern erhalten, auf dieser zweiten sächsischen Universität seine Studien fortzusetzen, so bedrängten ihn auch hier seine Gläubiger derart, daß er den Entschluß faßte, vorderhand seine Universitätsstudien abzubrechen, vom Ertrag seiner Stipendien seinen Gläubigern gerecht zu werden, für sich selbst aber in Berlin eine literarische Existenz zu suchen.

Im November 1748 kam L. in dürftigem Auszug und völlig mittellos in Berlin an; das Nötigste erwarb er zunächst durch Ordnung der Rüdigerschen Bibliothek, durch Übersetzungen für Buchhändler und auch für Voltaire, dessen Prozeßschriften im Streithandel mit dem Juden Hirsch L. in deutscher Sprache redigierte, ferner durch literarische Besprechungen für die »Vossische Zeitung«, für die er vom April 1751 an ein Bei blatt: »Das Neueste aus dem Reiche des Witzes«, herausgab (genaues Verzeichnis darüber von Muncker in Houbens »Bibliographischen Repertorium«, Bd. 2, Berl. 1905). Hier beginnt sich bereits sein klarer, scharfer, durch Gleichnisse und überraschende Wendungen belebter Prosastil zu entwickeln; die Selbständigkeit seines Urteils zeigt sich besonders gegenüber neu auftauchenden Größen der Literatur, wie Rousseau, Diderot und Klopstock. In Gemeinschaft mit seinem Freunde Christlob Mylius begann er die kurzlebige Zeitschrift »Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters« (Stuttg. 1750), die namentlich durch einen Aufsatz über Plautus bemerkenswert ist, dessen »Trinummus« L. damals u. d. T.: »Der Schatz« bearbeitete. Seine lyrischen Versuche sammelte er als »Kleinigkeiten« (Stuttg. 1751). Im Dezember 1751 entschloß er sich, Berlin zu verlassen, die Universität Wittenberg abermals zu beziehen, um den Magistergrad zu erwerben. In jugendlicher Neugier und Unbedachtsamkeit ließ er sich die Indiskretion zu schulden kommen, ein Manuskript Voltaires gegen dessen Wissen und Willen auf die Reise mitzunehmen, infolge wovon ein Zerwürfnis zwischen ihm und Voltaire eintrat. In Wittenberg, am Stammsitz des Luthertums, beschäftigte er sich, durch die reichhaltige Bibliothek unterstützt, mit Reformationsgeschichte sowie mit Gelehrtengeschichte und Bibliographie im allgemeinen. Er vollendete damals eine Reihe von Aufsätzen, die er »Rettungen« überschrieb, und in denen sich eine charakteristische Richtung seines Geistes frühzeitig offenbart; L. verteidigt eine Reihe von Männern, hauptsächlich aus dem Reformationszeitalter, gelehrt und scharfsinnig gegen Vorwürfe, die herkömmlich gegen sie erhoben wurden, darunter auch Gegner Luthers, wie Cochläus und Lemnius, ferner Horaz, bei dessen Verteidigung er darlegt, man dürfe nicht alles ernsthaft nehmen, was ein lyrischer Dichter von sich selber berichtet. Auch hat er sich in Wittenberg, durch das Studium Martials angeregt, mit Vorliebe der Epigrammendichtung gewidmet. Noch vor Ablauf des Jahres 1752 kehrte L., nachdem er zum Magister promoviert worden, nach Berlin zurück, schrieb hier wiederum Kritiken für die »Vossische Zeitung« und begründete eine neue »Theatralische Bibliothek« (Berl. 1754–58), die uns noch deutlicher als seine frühere dramaturgische Zeitschrift erkennen läßt, wie er sich durch selbständiges Nachdenken und ausgebreitete Lektüre von dem herkömmlichen französischen Klassizismus allmählich befreite. Nach Mylius' frühem Tode (1754) befreundete er sich immer enger mit Nicolai und Mendelssohn, später auch mit Ramler. Als die Berliner Akademie die Preisaufgabe stellte, das philosophische System des Dichters Pope zu untersuchen, verfaßte er mit Mendelssohn die Schrift »Pope ein Metaphysiker!« (Danzig 1755), in der er dartat, daß der Vortrag eines konsequenten philosophischen Systems dem Wesen der Dichtkunst widerspreche. Sein ausgebreitetes Wissen, sein genialer Einblick in den Kern aller poetischen und literarischen Aufgaben und sein unerschrockener Freimut begannen gefürchtet zu werden, seitdem er, frech herausgefordert, mit seinem überaus scharfen »Vademecum für Herrn Samuel Gotthold Lange, Pastor in Laublingen« (Berl. 1754) an dem seichten und flüchtigen Horaz-Übersetzer und in ihm an der ganzen behaglichen und platten Mittelmäßigkeit in der damaligen schönen Literatur ein Exempel statuiert hatte. Damals faßte er auch seine bisherige Wirksamkeit in der ersten Sammlung seiner »Schriften« (Berl. 1753–1755) zusammen. Band 1 enthält »Lieder und Epigramme«, Band 2 »Kritische Briefe«, größtenteils durch Umarbeitung der Aufsätze im »Neuesten aus dem Reiche des Witzes« entstanden, jedoch mit Hinzufügung einiges Neuen, z. B. des merkwürdigen Tragödienfragments »Samuel Henzi«, in dem L. einen Stoff aus der jüngsten Vergangenheit behandelt, Band 3 »Rettungen«, Band 1–6 »Dramen«, darunter »Miß Sara Sampson« (1755), mit der er im Anschluß an den englischen Familienroman und Lillos »Kaufmann von London« das bürgerliche Trauerspiel in Deutschland begründete. War auch die Führung der Handlung in diesem Drama noch sehr anfechtbar, der Dialog oft breit und rührselig, die Charakteristik der Hauptperson frischen Lebens bar, so zeugten doch einzelne Szenen und namentlich das Charakterbild der Lady Marwood von einer Kraft und Eigenart, die alle Zeitgenossen übertraf.

L. vertauschte im Oktober 1755 Berlin wieder mit Leipzig und konnte bald darauf seinen Berliner Freunden von einer Aussicht melden, über die er große Genugtuung empfand: er sollte als Reisebegleiter eines jungen Leipziger Patriziers, Winkler, Ostern 1756 eine auf drei Jahre berechnete Bildungsreise nach den Niederlanden, England, Frankreich, Italien antreten. Er bereitete sich ernsthaft auf die Reise vor, die in der Tat 10. Mai angetreten wurde und L. durch das nördliche Deutschland nach den Niederlanden führte, wo von Amsterdam aus die vorzüglichsten Städte besucht wurden. Der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges aber und die Besetzung Leipzigs durch preußische Truppen trieben Winkler nach Leipzig zurück, wohin ihm L. notgedrungen folgen mußte. Da es hier rasch zu einem Zerwürfnis zwischen L. und seinem seitherigen Genossen kam, das in einen erst nach Jahren (1764) zu Lessings gunsten erledigten Prozeß auslief, so sah sich der Schriftsteller, der auf drei Jahre der Sammlung und Muße gehofft hatte, wieder auf seine Feder angewiesen und mußte mehr als je zuvor zu Übersetzungen, Korrekturen und andern Notbehelfen greifen. Zunächst hielt ihn der Verkehr mit dem preußischen Major Ew. v. Kleist (dem Dichter) in Leipzig zurück; als aber dieser im Mai 1758 zur preußischen Feldarmee ging, zog es auch L. wieder nach Berlin. Hier lebte er von 1758–60 unter den Eindrücken der Taten und Wechselfälle des Siebenjährigen Krieges. Mit seinen Freunden vereinigte er sich zur Herausgabe eines neuen kritischen Organs für Besprechung der neuern deutschen schönwissenschaftlichen Literatur: der »Briefe die neueste Literatur betreffend« (Berl. 1759–65, 24 Bde.), für die er besonders 1759 tätig war; hervorzuheben sind die Briefe, in denen er Wieland und Klopstock bespricht, die Gottschedsche Richtung in der dramatischen Literatur bekämpft, Shakespeare als den größten dramatischen Dichter feiert und eine Szene aus seinem unvollendeten Faustdrama mitteilt (Brief 17). Er veröffentlichte nebenbei drei Bücher seiner »Fabeln« in Prosa nebst Abhandlungen, in denen er zum erstenmal nicht nur als Kritiker, sondern auch als Theoretiker auftrat (Berl. 1759), und das kleine, in einer knappen, scharfen Prosa abgefaßte Trauerspiel »Philotas« (das. 1759), in dem sich trotz dem antiken Schauplatz der Handlung doch die patriotische Erregung der Zeit widerspiegelt. Auch schrieb er damals sein erst später aus Lessings Nachlaß von Eschenburg (1790) veröffentlichtes »Leben des Sophokles«, gab »Logaus Sinngedichte« (Leipz. 1759) heraus und übertrug »Das Theater des Herrn Diderot« (Berl. 1760, 2 Bde.), die verwandten Bestrebungen des französischen Kritikers und Dichters teils richtig würdigend, teils überschätzend. Die Unsicherheit seiner Lage, der erneut wiederkehrende Wunsch, sich größern Arbeiten in aller Muße und ohne Rücksicht auf ihre frühere oder spätere Vollendung widmen zu können, veranlaßten L., eine Stellung als Sekretär des Generals Tauenzien, des Gouverneurs von Schlesien, anzunehmen und im Herbst 1760 nach Breslau zu gehen. Wenn auch die Freunde darüber den Kopf schüttelten, daß sich L. in eine Flut von ganz unliterarischen, militärischen und bürgerlichen Geschäften hineingestürzt habe und er selbst in einigen Briefen über die Last ermüdender, unbedeutender Beschäftigungen, erlogener Vergnügen und Zerstreuungen klagte, so ward ihm doch der mehrjährige Aufenthalt in Breslau fruchtreich: während die Freunde, zumal nach dem Heldentode des von L. tief betrauerten Kleist (1759), dem rastlos vorwärts strebenden nicht mehr viel zu bieten vermochten, konnte er hier »in sich selbst Wurzel fassen«, sich in ernste Studien, z. B. des Spinoza und der Kirchenväter, versenken, lebendiger Wirklichkeit, die ihn umgab, die poetische Seite abgewinnen und fand Gelegenheit, nicht nur seine Familie reichlich zu unterstützen (was er übrigens auch in seinen dürftigsten Lagen über seine Kräfte hinaus getan), sondern auch eine beträchtliche Bibliothek zu sammeln, die er freilich schon in den nächsten Jahren als Notpfennig betrachten und wieder veräußern mußte. Die wichtigsten Erträgnisse der (bis 1765 währenden) Breslauer Zeit waren das Lustspiel »Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück« (Berl. 1767) und »Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie« (das. 1766, erster Teil; der zweite ward nie vollendet): ersteres das klassische Lustspiel der Deutschen, nach Goethe »die wahrste Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges, die erste aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion«; letzterer eine der ästhetisch-kritischen Hauptschriften Lessings, durch die er die Überschätzung der beschreibenden Poesie beseitigte, die Handlung in der Poesie und damit die dramatische und erzählende Dichtung in ihr Recht einsetzte und nach der literarischen Seite hin klärend und grundlegend im höchsten Sinne wirkte. Der Satz, daß der Dichter nicht malen solle, gehört seitdem, um mit Vischer zu reden, »zum A B C der Ästhetik«.

Trotz der literarischen Stellung, die L. nach diesen Werken einnahm, wollte sich eine seiner Natur entsprechende bürgerliche Stellung für ihn nicht finden. Er war 1765 nach Berlin zurückgekehrt, wo man ihm Hoffnungen auf eine Berufung als Bibliothekar gemacht hatte. Als diese Hoffnung trotz wertvoller Fürsprache des einflußreichen Obersten Quintus Icilius an dem Widerstand Friedrichs d. Gr. gescheitert war, erschien ihm Berlin als eine »verzweifelte Galeere«; er sehnte sich hinweg und nahm daher mit Freuden eine Aufforderung an, seine Kräfte dem »Nationaltheater« zu widmen, das man soeben in Hamburg errichtete. Als Dramaturg der neuen Bühne begab er sich im April 1767 nach Hamburg, das ihm als Stadt schon beim ersten Sehen sehr behagte. Seine Hauptaufgabe sollte die Abfassung einer kritischen Zeitschrift sein, die »jeden Schritt begleiten sollte, den die Kunst sowohl des Dichters als des Schauspielers tun würde« und als »Hamburgische Dramaturgie« in der Tat 1. Mai 1767 ins Leben trat. Die schlecht vorbereitete und schlecht geleitete, vom unreifen Publikum jener Tage noch schlechter unterstützte Unternehmung brach indes schon nach kurzer Zeit zusammen; ihr größter Ruhm bleibt, zu Lessings »Dramaturgie« den äußern Anlaß gegeben zu haben. Während ihres Erscheinens entfernte sich L. immer mehr von seiner ursprünglichen Absicht. In den ersten 25 Nummern (Stücken) kritisiert er eingehend die Schauspieler, namentlich Ekhof. Später wurde ihm diese Seite seiner Tätigkeit, die er mit großem Glück durchgeführt hatte, durch kleinliche Empfindlichkeiten, besonders der ersten Schauspielerin der Bühne, Frau Hensel, verleidet. Er sprach nur noch über die Dichter, und zwar sehr eingehend, indem er die Gelegenheit benutzte, den reichen Schatz seiner Gedanken über die dramatische Kunst, namentlich seine Ansichten über Aristoteles' »Poetik«, über Shakespeare, über die französische Tragödie und ihr Verhältnis zu Shakespeare und zum antiken Drama ausführlich darzulegen. Der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Stücken und den besprochenen Aufführungen wurde immer größer, das letzte Stück (im April 1768) behandelte eine Ausführung, die nach Lessings Angabe am 28. Juli, in Wahrheit am 11. Aug. 1767 stattgefunden hatte. So wurde die »Dramaturgie«, wie L. mit Recht bemerkt, etwas andres, als man anfangs beabsichtigt hatte, aber wahrlich nichts Schlechteres. Nach dem Scheitern des Theaters setzte L. noch kurze Zeit hindurch Hoffnungen auf den Erfolg eines Verlagsgeschäfts, das er mit Chr. Gode begründet hatte. Als auch dieser ausblieb, fand L., daß es ihm unmöglich sein werde, »des Sperlings Leben auf dem Dach« in dem geliebten Hamburg fortzusetzen, und entschloß sich im Herbst 1769, die ihm angetragene Stellung als Bibliothekar der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel anzunehmen. Die letzte Zeit in Hamburg war durch die Abfassung der »Briefe antiquarischen Inhalts« (Berl. 1768–69) bezeichnet gewesen. In ihnen wurde der ränkesüchtige Professor Chr. A. Klotz, der sich als Führer einer literarischen Clique hohler und anmaßlicher Gesellen hervorgetan, mit unglaublicher Schärfe, aber auch mit gründlichster Gelehrsamkeit angegriffen. Auch die Untersuchung: »Wie die Alten den Tod gebildet« (Berl. 1769) ging aus den Klotzschen Händeln hervor. Kurz vor seiner Abreise von Hamburg hatte L. dann noch die Freude, dort mit Herder zusammenzutreffen.

In Wolfenbüttel, wo L. sein Amt im Frühjahr 1770 antrat, begann er eine Reihe von Veröffentlichungen aus den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek, von denen die Schrift über »Berengarius Turonensis« (Braunschw. 1770) den Anfang machte, während sich die Abhandlungen und Fragmente »Zur Geschichte und Literatur« (das. 1773–81, 6 Bde.) über eine Reihe von Jahren erstreckten. Wie wertvoll einzelne dieser Publikationen auch sein mochten, so war es für die deutsche Literatur wichtiger, daß L. gleich in der ersten Zeit nach seiner Niederlassung in Wolfenbüttel ein poetisches Meisterwerk wie seine Tragödie »Emilia Galotti« (Berl. 1772) vollendete, deren Anfänge ins Jahr 1757 zurückreichen. Hier erscheint die Charakterzeichnung, die packende Lebenswahrheit, die epigrammatische Knappheit der Sprache auf gleicher Höhe wie in »Minna von Barnhelm«, die Diktion ist sogar geistreicher und gedankenhaltiger als in irgend einer andern Dichtung Lessings; dagegen wird gegen die tragische Lösung der Verwickelung jederzeit ein gewisser Einwand der Logik und Empfindung übrigbleiben, was die Wahrheit der Goetheschen Worte nicht aufhebt, daß in diesem Drama eine ungeheure Kultur enthalten sei. Auch ließ L. damals den ersten Band einer neuen Sammlung seiner »Vermischten Schriften« erscheinen (1771), der außer kleinern Gedichten auch eine eindringende und scharfsinnige Abhandlung über das Epigramm enthält. Leider gestalteten sich die Lebensverhältnisse Lessings nicht danach, ihm Lust und Mut zum poetischen Schaffen zu erhöhen. Er hatte das Amt in dem »stillen Winkel« Wolfenbüttel mit deshalb übernommen, weil er, wie es scheint zum erstenmal im Leben, den starken Wunsch empfand, sich zu vermählen. Die Witwe eines ihm befreundeten Hamburger Kaufmanns, die geistesklare, willenskräftige Eva König (geb. 22. März 1736 in Heidelberg), wurde seine Verlobte. Da sie aber das ausgebreitete Geschäft ihres verstorbenen Gatten zu leiten und zu liquidieren hatte, um ihren Kindern einen Teil ihres Vermögens zu retten, und sich die Entscheidung dieser Dinge jahrelang hinzog, da inzwischen auch er mit mancherlei Mißhelligkeiten zu kämpfen hatte, so schlossen die Jahre zwischen 1771 und 1776 vielerlei bittere Erfahrungen und trübe Stimmungen für L. ein. Pläne, eine andre Stellung zu gewinnen, kamen über den ersten Entwurf nicht hinaus. Im Anfang 1775 riß sich L. für kurze Zeit von Wolfenbüttel los, ging über Dresden und Prag nach Wien, wo er seine Verlobte nach langer Trennung wiedersah. Die Aufnahme, die er in Wien in allen Kreisen und selbst bei der Kaiserin Maria Theresia fand, war durchaus ehrenvoll. Trotzdem sehnte er sich nach Wolfenbüttel zurück, weil sich die Aussichten für eine endliche Verbindung mit Eva König günstiger gestaltet hatten. So nahm er es mit geteilter Empfindung auf, daß ihn Prinz Leopold von Braunschweig aufforderte, als Reisegefährte mit ihm Italien zu besuchen. Er glaubte es seinem Verhältnis zum braunschweigischen Hof und seiner Zukunft schuldig zu sein, dem Verlangen des Prinzen zu willfahren. Die ursprünglich auf wenige Monate berechnete Reise, die sich bis nach Neapel und nach Korsika ausdehnte, und von der L. erst 23. Febr. 1776 in Braunschweig wieder eintraf, genoß er so unter eigentümlichen Umständen und, da die Korrespondenz mit Eva König völlig ins Stocken geriet, nur halb; tiefere Eindrücke der Reise auf sein geistiges Leben können nicht nachgewiesen werden. Nachdem er im Sommer 1776 eine mäßige Gehaltserhöhung und den Titel eines Hofrats erhalten, fand im Oktober d. J. auf dem York bei Hamburg seine Hochzeit statt. Ein friedvolles, glückliches Jahr (1777) war L. beschieden. Im Januar 1777 unternahm er eine Reise nach Mannheim, wo man ihm Hoffnungen auf eine Anstellung als Dramaturg gemacht hatte, die sich indessen nicht erfüllten. Am 10. Jan. 1778 starb Eva L. infolge der Geburt eines Sohnes, der nur wenige Stunden am Leben geblieben war. In tiefster Erschütterung sah sich L. wiederum und tiefer als zuvor vereinsamt. Noch in dem Jahre des Verlustes seiner Frau ward er in neue härtere und erbittertere Streitigkeiten als je zuvor verwickelt. In seinen Publikationen aus den handschriftlichen Schätzen der Bibliothek zu Wolfenbüttel hatte er schon 1774 ein Bruchstück: »Von Duldung der Deisten, Fragment eines Ungenannten«, mitgeteilt, dem er 1777 und 1778 weitere »Fragmente« (die Offenbarung, die Geschichte der Auferstehung etc. betreffend) folgen ließ. Verfasser des Manuskripts war der 1768 verstorbene Gymnasiallehrer Sam. Hermann Reimarus in Hamburg, ein rationalistischer Deist nach dem Muster der englischen und französischen Deisten und Freidenker des 18. Jahrh. L., der auch in andern den Drang zur Wahrheit am höchsten achtete, stimmte keineswegs mit den Anschauungen des Fragmentisten unbedingt überein. Als indes die unduldsamen Zionswächter der alten Orthodoxie begannen, die Beschuldigung gegen ihn zu schleudern, daß er »feindselige Angriffe gegen unsre allerheiligste Religion« verfaßt und unter seinen Schutz genommen, als namentlich der Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze gegen L. zu polemisieren begann, nahm dieser den hingeworfenen Fehdehandschuh auf und verfocht das Recht der Skepsis gegenüber dem geistlosen Buchstabenglauben, pfäffischer Verdammungssucht und hochmütigem Dünkel. Die Streitschriften Lessings: »Nötige Antwort auf eine sehr unnötige Frage«, »Axiomata«, »Anti-Goeze« (sämtlich Braunschw. 1778), ausgezeichnet durch Schärfe der Logik, hinreißende Beredsamkeit und unvergleichlichen Reiz des Stiles, überlebten den Kampf und seinen Anlaß. Am Ende wurde L., da er nicht zu besiegen war, durch Denunziationen bei seiner Regierung zum Schweigen gebracht und so genötigt, »seine alte Kanzel, das Theater« noch einmal zu besteigen, um ein letztes Work zu gunsten der Toleranz und des Humanitätsgedankens zu sprechen. Auf Subskription ließ er die Dichtung »Nathan der Weise« (o. O. 1779) erscheinen. Hier kehrte L. zur Form der gebundenen Rede zurück und wählte die Form des fünffüßigen Jambus, die er bis dahin nur in unvollendet gebliebenen Entwürfen (»Kleonnis«, »Fatime«) verwendet hatte. Dies Drama hat seine Stärke nicht in der straffen Schürzung und Lösung der Handlung. sondern neben der meisterhaften, psychologisch tiefen Charakteristik wirkt das Pathos edelster Gesinnung und reinster Überzeugung mit unwiderstehlicher Gewalt. Der »Nathan« war Lessings letzte große dichterische Tat. Im nächsten Jahr veröffentlichte er noch die Schrift »Die Erziehung des Menschengeschlechts« (Berl. 1780; vgl. Knittel, G. E. Lessings »Erziehung des Menschengeschlechts«, Vened. 1893) und vollendete »Ernst und Falk, Gespräche für Freimaurer« (Wolfenb. 1778–80), in beiden die Hauptideen wiederum darlegend, die ihn in den letzten Jahren erfüllt und bewegt hatten. Seine physische Kraft war seit dem Tode seiner Gattin gebrochen, flackerte bei einzelnen Ausflügen nach Hamburg und Braunschweig gleichsam nur wieder auf. Bei einem Besuch in Braunschweig erkrankte und starb er 15. Febr. 1781. Den ersten Nachruf, der seinem ganzen Verdienst gerecht wurde, widmete ihm Herder in Wielands »Merkur«.

Lessings Persönlichkeit gehört zu denen, die lebendig und fruchtbar nachwirkend im Bewußtsein ihres Volkes bleiben. Sein Streben und Schaffen ist für die Entwickelung des geistigen Lebens der Deutschen, ja man darf sagen aller heutigen Kulturvölker, von unermeßlichem Einfluß gewesen. Sein poetisches Talent bewährte sich ganz überwiegend auf dem dramatischen Gebiet. Lessings lyrische Gedichte stammen zum größten Teil aus seinen Jünglingsjahren und stehen hinter den besten Leistungen seiner Zeitgenossen zurück. Unter seinen sämtlichen kleinen Reimereien hat nur das Lied: »Gestern, Brüder, könnt ihr's glauben« sich im Gedächtnis der Nachkommen erhalten. Lehrhafter Scherz und lehrhafter Ernst sind neben der Präzision und Reinheit des Ausdrucks das Beste, was wir in seinen oft epigrammatisch zugespitzten lyrischen Erzeugnissen antreffen. Höher stehen seine Fabeln, obwohl auch bei ihnen seine der Weitschweifigkeit und behaglichen Breite von damals bewußt entgegengesetzte Knappheit und Kürze das Hauptverdienst ist. Auch seine Epigramme, die sich meist an überlieferte Motive anlehnen, überragen die bessern gleichzeitigen nur in einzelnen schärfern Pointen. Die poetische Produktion auoll bei L. nicht unmittelbar aus dem Gefühl. Er selbst hat bekanntlich in einer viel erörterten Stelle der »Dramaturgie« sich das dichterische Genie abgesprochen. »Ich fühle«, sagt er dort, »die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigne Kraft sich emporarbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt: ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir herauspressen.« Doch ist zu erwägen, daß L. sich hier wie anderwärts in absichtlich schroffen Gegensatz gegen das neue Geniewesen stellt, das bald darauf in der Sturm- und Drangperiode zur Herrschaft gelangte und die messende und abwägende Tätigkeit des poetischen Künstlers geringschätzte. Größere, ja unvergängliche Verdienste hat sich L. auf dem Felde der poetischen Theorie und Kritik erworben. Seiner reformatorischen Tätigkeit in der Literatur steht die in der Theologie bedeutsam zur Seite. Schon die Wittenberger »Rettungen« zeigen L. bemüht, die Freiheit prüfender Forschung in Glaubenssachen als heiliges Recht der Menschheit zu vindizieren. Der weitere Entwickelungsgang Lessings, den wir an der Hand einiger, erst nach seinem Tode veröffentlichter Aufsätze, wie »Gedanken über die Herrenhuter« und »Christentum der Vernunft«, verfolgen können, mußte ihn von jenem Punkt aus notwendig zum Bruch mit der Offenbarung führen. Immer mehr lernte er den Wahn, daß die echte Religiosität ohne kirchliche Orthodoxie unmöglich sei, vom Standpunkt der Logik und der Humanität aus als töricht und verderblich erkennen. Zu einer in sich einstimmigen und abgeschlossenen Weltanschauung hat er sich jedoch nicht durchgerungen; in der Hauptsache schloß er sich wie die meisten seiner Zeitgenossen an Leibniz an; in der letzten Zeit schenkte er auch Spinozas Philosophie größere Aufmerksamkeit. Aber die kritische Negation überwog durchaus bei L. Was seinen Schriften unvergänglichen Wert verleiht, ist nicht sowohl die Darlegung einer gefestigten philosophischen oder religiösen Überzeugung, als die vernichtende Abwehr aller den Menschengeist fesselnden Dogmatik. Anderseits war ihm die Geringschätzung des Kirchenglaubens durch Halbgebildete durchaus zuwider; er kannte die theologische Literatur zu gründlich, um nicht Achtung vor der darin aufgespeicherten Geistesarbeit zu hegen.

L. steht als der mannhafteste Charakter der deutschen Literaturgeschichte da; sein Leben ist ein fast ununterbrochener Kampf gewesen. Die gewaltige geistige Kraft, die ihn zu diesem befähigte, zeigte sich auch in seiner leiblichen Erscheinung ausgeprägt. Eine ungemeine Freundlichkeit und ein vollkommen anspruchsloses Wesen zeichneten ihn trotz seiner so entschiedenen Eigenartigkeit aus. Tiefe Abneigung gegen Unwahrhaftigkeit und Heuchelei, gegen alles leere Scheinwesen machte einen der hervorstechendsten Grundzüge seines Wesens aus. Nicht hoch genug wissen die Freunde seine Unterhaltungsgabe zu rühmen: sehr begreiflich, wenn man erwägt, mit welch wunderbarer Meisterschaft der Darstellung L. als Schriftsteller auch den trockensten Materien eine Anziehungskraft zu leihen verstand, die uns noch heute für Schriften und Bildwerke, die im übrigen längst verschollen sind, das lebendigste Interesse abgewinnt. Der Stil keines Schriftstellers ist so anregend wie der Lessings. Wir vernehmen in seinem Vortrag, nach Vilmars treffender Charakteristik, »ein geistreiches, belebtes Gespräch, in welchem gleichsam ein Gedanke auf den andern wartet, einer den andern hervorlockt, einer von dem andern abgelöst, durch den andern berichtigt, gefördert, entwickelt und vollendet wird; Gedanke folgt auf Gedanke, Zug um Zug, im heitersten Spiel und dennoch mit unbegreiflicher Gewalt auf uns eindringend, uns mit fortreißend, beredend, überzeugend, überwältigend«. – Unter den Bildnissen Lessings behaupten das angeblich von Tischbein gemalte wahrscheinlich aus der Breslauer Zeit herrührende (jetzt in der Berliner Nationalgalerie befindlich), das für Gleim angefertigte Halberstädter, dem Maler May zugeschriebene Porträt und das von A. Graff 1771 in Berlin gemalte den obersten Rang. Statuarisch verherrlichen ihn das bekannte Meisterwerk Rietschels in Braunschweig, die sitzende Statue von Schaper auf dem Gänsemarkt in Hamburg (seit 1880) und die Statue von Otto Lessing im Berliner Tiergarten. In seiner Vaterstadt Kamenz wurde zu seinem Andenken 1826 das Lessing-Stift, ein Hospital für Bedürftige aller Konfessionen, gegründet.

[Ausgaben, Briefwechsel.]L. hat nach der ersten Sammlung seiner »Schriften« (1753–55, s. oben) keine Gesamtausgabe veranstaltet; die Ausgabe, deren erster Band 1771 erschien, wurde erst nach seinem Tode von seinem Bruder fortgesetzt (Berl. 1771–94, 30 Bde.); sodann (hrsg. von Schink, mit Biographie) daselbst 1825–26, 30 Bde.; später folgten die »Gesammelten Werke« (Leipz. 1841 u. ö.). Die erste philologisch korrekte Ausgabe der »Sämtlichen Schriften« war die von Lachmann (Berl. 1838–40, 13 Bde.; 2., verschlechterte Ausg. von W. v. Maltzahn, Leipz. 1853–57, 12 Bde.; 3., gute Ausg. von Muncker, das. 1886–1904, Bd. 1–17 und Bd. 19, auch die Briefe enthaltend). Wertvoll ist auch die Hempelsche Ausgabe, namentlich in den von Boxberger, Redlich und Schöne besorgten Teilen (Berl. 1868–79, 20 Tle.). Noch andre Ausgaben veranstalteten Gosche und Boxberger (illustriert, Berl. 1875–76, 8 Bde.), H. Göring (Stuttg. 1885, 20 Bde.), Muncker (das. 1886, 6 Bde.), Boxberger-Blümner (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, das. 1883 ff., 14 Bde.). Eine Auswahl, besorgt von F. Bornmüller, erschien in Meyers Klassikerausgaben (Leipz. 1884, 5 Bde.); eine Ausgabe der drei dramatischen Hauptdichtungen, mit Einleitung, von H. Hettner (das. 1869). Der Briefwechsel Lessings wurde gut von Redlich (in der Hempelschen Ausgabe; auch separat, Berl. 1884; Nachträge 1886) und von Muncker (in seiner großen Ausgabe der Werke, s. oben) veröffentlicht, der Briefwechsel zwischen L. und seiner Frau von Schöne (2. Aufl., Leipz. 1886) neu herausgegeben. Lessings »Übersetzungen aus dem Französischen Friedrichs des Großen und Voltaires« veröffentlichte E. Schmidt (Berl. 1892). Von Einzelausgaben und Erläuterungsschriften zu einzelnen Werken seien erwähnt: die »Abhandlungen über die Fabel«, hrsg. von Prosch, Wien 1890 (vgl. A. Fischer, Lessings Fabelabhandlungen, kritische Darstellung, Berl. 1891); »Laokoon«, herausgegeben von Cosack (4. Aufl., das. 1890), von Blümner (2. Aufl., das. 1880); »Hamburgische Dramaturgie«, herausgegeben von Schröter und Thiele (Halle 1877–78; Ausg. für Schule und Haus, das. 1895); vgl. Cosack, Materialien zu Lessings »Hamburgische Dramaturgie« (2. Aufl., Paderb. 1891); K. Werder, Über Lessings. Nathan' (Berl. 1892); F. Naumann, Literatur über Lessings ›Nathan‹ (Dresd. 1867).

[Biographische Literatur etc.]Die erste ausführliche Biographie Lessings schrieben Danzel u. Guhrauer: »L. Sein Leben und seine Werke« (Leipz. 1850–54, 2 Bde.; Danzels Anteil wertvoll, aber schwerfällig, Guhrauers von weit geringerer Bedeutung; 2. Aufl. von v. Maltzahn und Boxberger, Berl. 1880); das beste Werk ist Erich Schmidts »L., Geschichte seines Lebens und seiner Schriften« (das. 1884 bis 1892, 2 Bde.; 2. Aufl. 1899). Mehr populäre Haltung haben die Lessing-Biographien von A. Stahr (9. Aufl., Berl. 1886, 2 Bde.), Düntzer (Leipz. 1881, fast ausschließlich den äußern Lebenslauf darstellend), Baumgartner (Freib. 1877, ultramontan), Borinski (Berl. 1900), Ernst (Stuttg. 1903), Kiy (Halle 1904) und die unnötigerweise auch in deutscher Sprache bearbeiteten englischen von Sime (Lond. 1877; deutsch von Strodtmann, Berl. 1879) und Helen Zimmern (Lond. 1878; deutsch, Celle 1878). Aus der übrigen Literatur über L. sind noch folgende Schriften hervorzuheben: Fr. Schlegel, Lessings Geist aus seinen Schriften (Leipz. 1804, 3 Bde.); Kuno Fischer, L. als Reformator der deutschen Literatur (Stuttg. 1881, 2 Bde.; 4. Aufl. 1896); Cherbuliez, Etudes de littérature et d'art (Par. 1873); Grucker,Histoire des doctrines littéraires et esthétiquesen Allemagne, Bd. 2: Lessing (Nancy 1896); über Lessings Philosophie und Weltanschauung: Hebler, Lessing-Studien (Bern 1862); R. Mayr, Beiträge zur Beurteilung Lessings (Wien 1880); Ritter, Lessings philosophische und religiöse Grundsätze (Götting. 1847); Rehorn, Lessings Stellung zur Philosophie des Spinoza (Frankf. 1877); Spicker, Lessings Weltanschauung (Leipz. 1883); Wundt, L. und die kritische Methode (in den »Essays«, das. 1885); über Lessings Theologie: K. Schwarz, L. als Theologe (Halle 1854); Bergmann, Hermäa (Leipz. 1883); Reinkens, L. über Toleranz (das. 1883); Dühring, Die Überschätzung Lessings und dessen Anwaltschaft für die Juden (Karlsr. 1881); Nieten, Lessings religionsphilosophische Anschauungen bis zum Jahre 1770 (Dresd. 1896); Sell, Die Religion unsrer Klassiker (Tüb. 1904); ferner: Kont, L. archéologue (Par. 1894); Gottschlich, Lessings aristotelische Studien (Berl. 1876); Crouslé, L. et le goût françaisen Allemagne (Par. 1863); Belling, Die Metrik Lessings (Berl. 1887); Düsel, Der dramatische Monolog in der Poetik des 17. und 18. Jahrhunderts und in den Dramen Lessings (Hamb. 1897); Bulthaupt, Dramaturgie des Schauspiels, Bd. 1 (10. Aufl., Oldenb. 1904); Kettner, Lessings Dramen im Lichte ihrer und unsrer Zeit (Berl. 1904); Saitschick, Genie und Charakter. Shakespeare, L., Schopenhauer, R. Wagner (das. 1900); Kalischer, L. als Musikästhetiker (Dresd. 1889); Mönckeberg, L. als Freimaurer (Hamb. 1880); P. Albrecht, Lessings Plagiate (das. 1891 ff., unvollendet); B. A. Wagner, Lessingforschungen (Berl. 1881, Untersuchungen über anonym Erschienenes aus Lessings Jugendzeit); E. Consentius, Der Wahrsager. Zur Charakteristik von L. und Mylius (Leipz. 1900), L. und die Vossische Zeitung (das. 1902) und Freigeister, Naturalisten, Atheisten. Ein Aufsatz Lessings im »Wahrsager« (das. 1899); Braun, L. im Urteile seiner Zeitgenossen (Berl. 1884–97, 3 Bde.).

Lessings jüngerer Bruder, Karl Gotthelf, geb. 1740 in Kamenz, gest. 17. Febr. 1812 als Münzdirektor in Breslau, verfaßte eine Biographie seines Bruders Gotthold (1793) und einige dramatische Dichtungen, z. B.: »Der stumme Plauderer«, »Die Mätresse« (Neudruck, Heilbr. 1887) u.a., die gesammelt als »Schauspiele« (Berl. 1777–80, 2 Bde.) erschienen. Von H. L. Wagners »Kindermörderin« veranstaltete er eine eigenmächtige Umarbeitung. Vgl. Wolff, Karl Gotthelf L. (Berl. 1886). – Ein andrer Bruder, Theophilus, mit dem L. in Wittenberg zusammen studierte, geb. 12. Nov. 1732, seit 1778 Konrektor in Chemnitz, gest. 6. Okt. 1808, erwarb sich einigen Ruf als lateinischer Dichter. Vgl. Kirchner, Theophilus L. und das Chemnitzer Lyzeum (Chemn. 1882).

Gedanken über die Herrnhuter

 – – oro atque obsecro ut multis injuriis jactatam atque agitatam aequitatem in hoc tandem loco confirmari patiamini.

Cicero pro Publ. Quintio

1750

Die Siege geben dem Kriege den Ausschlag: sie sind aber sehr zweideutige Beweise der gerechten Sache: oder vielmehr sie sind gar keine.

Die gelehrten Streitigkeiten sind eben sowohl eine Art von Kriegen, als die kleinen Zuzus eine Art von Hunden sind. Was liegt daran, ob man über ein Reich oder über eine Meinung streitet; ob der Streit Blut oder Dinte kostet? Genug man streitet.

Und also wird auch hier der, welcher Recht behält, und der, welcher Recht behalten sollte, nur selten einerlei Person sein.

Tausend kleine Umstände können den Sieg bald auf diese, bald auf jene Seite lenken. Wie viele würden aus der Rolle der Helden auszustreichen sein, wenn die Wirkung von solchen kleinen Umständen, das Glück nämlich, seinen Anteil von ihren bewundernswürdigen Taten zurücknehmen wollte?

Laßt den und jenen großen Gelehrten in einem andern Jahrhunderte geboren werden, benehmt ihm die und jene Hülfsmittel, sich zu zeigen, gebt ihm andre Gegner, setzt ihn in ein ander Land; und ich zweifle, ob er derjenige bleiben würde, für den man ihn jetzo hält. Bleibt er es nicht, so hat ihn das Glück groß gemacht.

Ein Sieg, den man über Feinde davon trägt, welche sich nicht verteidigen können oder nicht wollen, welche sich ohne Gegenwehr gefangen nehmen oder ermorden lassen, welche, wann sie einen Gegenstreich führen, aus Mattigkeit durch ihren eigenen Hieb zu Boden fallen; wie ist so ein Sieg zu nennen? Man mag ihn nennen, wie man will; so viel weiß ich, daß er kein Sieg ist; außer etwa bei denen, die, wenn sie siegen sollen, ohne zu kämpfen siegen müssen.

Auch unter den Gelehrten gibt es dergleichen Siege. Und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht die Siege unserer Theologen, die sie bisher über die Herrnhuter erhalten zu haben glauben, von dieser Art wären.

Ich in auf den Einfall gekommen, meine Gedanken über diese Leute aufzusetzen. Ich weiß es, sie sind entbehrlich; aber nicht entbehrlicher, als ihr Gegenstand, welcher wenigstens zu einem Strohmanne dient, an dem ein junger und mutiger Gottesgelehrter seine Fechterstreiche in Übung zu bringen, lernen kann. Die Ordnung, der ich folgen werde, ist die liebe Ordnung der Faulen. Man schreibt wie man denkt: was man an dem gehörigen Ort ausgelassen hat, holet man bei Gelegenheit nach: was man aus Versehen zweimal sagt, das bittet man den Leser das andremal zu übergehen.

Ich werde sehr weit auszuholen scheinen. Allein, ehe man sichs versieht, so bin ich bei der Sache.

Der Mensch ward zum Tun und nicht zum Vernünfteln erschaffen. Aber eben deswegen, weil er nicht dazu erschaffen ward, hängt er diesem mehr als jenem nach. Seine Bosheit unternimmt allezeit das, was er nicht soll, und seine Verwegenheit allezeit das, was er nicht kann. Er, der Mensch, sollte sich Schranken setzen lassen?

Glückselige Zeiten, als der Tugendhafteste der Gelehrteste war! als alle Weisheit in kurzen Lebensregeln bestand!

Sie waren zu glückselig, als daß sie lange hätten dauern können. Die Schüler der sieben Weisen glaubten ihre Lehrer gar bald zu übersehen. Wahrheiten, die jeder fassen, aber nicht jeder üben kann, waren ihrer Neubegierde eine allzuleichte Nahrung. Der Himmel, vorher der Gegenstand ihrer Bewunderung, ward das Feld ihrer Mutmaßungen. Die Zahlen öffneten ihnen ein Labyrinth von Geheimnissen, die ihnen um so viel angenehmer waren, je weniger sie Verwandtschaft mit der Tugend hatten.

Der weiseste unter den Menschen, nach einem Ausspruche des Orakels, in dem es sich am wenigsten gleich war, bemühte sich die Lehrbegierde von diesem verwegenen Fluge zurückzuholen. Törichte Sterbliche, was über euch ist, ist nicht für euch! Kehret den Blick in euch selbst! In euch sind die unerforschten Tiefen, worinnen ihr euch mit Nutzen verlieren könnt. Hier untersucht die geheimsten Winkel. Hier lernet die Schwäche und Stärke, die verdeckten Gänge und den offenbaren Ausbruch eurer Leidenschaften! Hier richtet das Reich auf, wo ihr Untertan und König seid! Hier begreifet und beherrschet das einzige, was ihr begreifen und beherrschen sollt; euch selbst.

So ermahnte Sokrates, oder vielmehr Gott durch den Sokrates.

Wie? schrie der Sophist. Lästerer unserer Götter! Verführer des Volks! Pest der Jugend! Feind des Vaterlandes! Verfolger der Weisheit! Beneider unsers Ansehens! Auf was zielen deine schwärmerische Lehren? Uns die Schüler zu entführen? Uns den Lehrstuhl zu verschließen? Uns der Verachtung und der Armut Preis zu geben?

Allein was vermag die Bosheit gegen einen Weisen? Kann sie ihn zwingen, seine Meinung zu ändern? die Wahrheit zu verleugnen? Beweinenswürdiger Weise, wenn sie so stark wäre. Lächerliche Bosheit, die ihm, wenn sie es weit bringt, nichts als das Leben nehmen kann. Daß Sokrates ein Prediger der Wahrheit sei, sollten auch seine Feinde bezeugen, und wie hätten sie es anders bezeugen können, als daß sie ihn töteten?

Nur wenige von seinen Jüngern gingen den von ihm gezeigten Weg. Plato fing an zu träumen, und Aristoteles zu schließen. Durch eine Menge von Jahrhunderten, wo bald dieser, bald jener die Oberhand hatte, kam die Weltweisheit auf uns. Jener war zum göttlichen, dieser zum untrüglichen geworden. Es war Zeit, daß Cartesius aufstand. Die Wahrheit schien unter seinen Händen eine neue Gestalt zu bekommen; eine desto betrüglichere, je schimmernder sie war. Er eröffnete allen den Eingang ihres Tempels, welcher vorher sorgfältig durch das Ansehen jener beiden Tyrannen bewacht ward. Und das ist sein vorzügliches Verdienst.

Bald darauf erschienen zwei Männer, die, trotz ihrer gemeinschaftlichen Eifersucht, einerlei Absicht hatten. Beiden hatte die Weltweisheit noch allzuviel praktisches. Ihnen war es vorbehalten, sie der Meßkunst zu unterwerfen. Eine Wissenschaft, wovon dem Altertume kaum die ersten Buchstaben bekannt waren, leitete sie mit sichern Schritten bis zu den verborgensten Geheimnissen der Natur. Sie schienen sie auf der Tat ertappt zu haben.

Ihre Schüler sind es, welche jetzo dem sterblichen Geschlechte Ehre machen, und auf den Namen der Weltweisen ein gar besonders Recht zu haben glauben. Sie sind unerschöpflich in Entdeckung neuer Wahrheiten. Auf dem kleinsten Raum können sie durch wenige mit Zeichen verbundene Zahlen Geheimnisse klar machen, wozu Aristoteles unerträgliche Bände gebraucht hätte. So füllen sie den Kopf, und das Herz bleibt leer. Den Geist führen sie bis in die entferntesten Himmel, unterdessen da das Gemüt durch seine Leidenschaften bis unter das Vieh herunter gesetzt wird.

Allein mein Leser wird ungeduldig werden. Er erwartet ganz was anders, als die Geschichte der Weltweisheit in einer Nuß. Ich muß ihm also sagen, daß ich bloß dieses deswegen vorangeschickt, damit ich durch ein ähnliches Beispiel zeigen könne, was die Religion für ein Schicksal gehabt hat: Und dieses wird mich weit näher zu meinem Zwecke bringen.

Ich behaupte also: es ging der Religion wie der Weltweisheit.

Man gehe in die ältesten Zeiten. Wie einfach, leicht und lebendig war die Religion des Adams? Allein wie lange? Jeder von seinen Nachkommen setzte nach eignem Gutachten etwas dazu. Das Wesentliche wurde in einer Sündflut von willkürlichen Sätzen versenkt. Alle waren der Wahrheit untreu geworden, nur einige weniger, als die andern; die Nachkommen Abrahams am wenigsten. Und deswegen würdigte sie Gott einer besondern Achtung. Allein nach und nach ward auch unter ihnen die Menge nichts bedeutender und selbst erwählter Gebräuche so groß, daß nur wenige einen richtigen Begriff von Gott behielten; die übrigen aber an dem äußerlichen Blendwerke hängen blieben, und Gott für ein Wesen hielten, das nicht leben könne, wenn sie ihm nicht seine Morgen- und Abendopfer brächten.

Wer konnte die Welt aus ihrer Dunkelheit reißen? Wer konnte der Wahrheit den Aberglauben besiegen helfen? Kein Sterblicher. Teos apo mhxanhs.