Kükensommer - Anna Woltz - E-Book

Kükensommer E-Book

Anna Woltz

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Beschreibung

Ein Sommer, zwei neue Freunde und sieben Küken Endlich Sommerferien! Die zehnjährige Flora freut sich auf die Zeit ohne Schule und ohne nervige Mitschüler. Und dann läuft ihr auch noch ein Huhn zu. Tiere liebt Flora über alles. Nur dumm, dass ausgerechnet die vorlaute Evi und der immer gut gelaunte Nick von der Sache Wind bekommen. Oder doch nicht so dumm? Ganz langsam stellt Flora fest, dass es sehr schön sein kann, mit menschlichen Freunden ein Geheimnis zu teilen.

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Anna Woltz

Kükensommer

Aus dem Niederländischen von Bettina Bach und Eva Schweikart

Mit Illustrationen von Angela Glökler

Für Thijs

Meine Tante mag keine haarigen Viecher

Plötzlich war da ein schwarzes Kaninchen. Keine Ahnung, wo es herkam. Es sprang auf den niedrigen Tisch und machte sich über den Brautstrauß her. Von Hochzeiten verstehe ich gar nichts, aber mit Pflanzen kenne ich mich aus.

»Hör auf!«, rief ich. »Der Brautstrauß gehört meiner Tante.«

Ich hatte mich in das dämmrige Zimmer geflüchtet, weil draußen so viel los war. Meine vier Brüder in ihren schicken Anzügen spielten auf der Wiese Fußball. Mein Vater war noch mit dem Rosenbogen beschäftigt und meine Mutter redete mit meinen vielen Cousins und Cousinen. Es sind ganze fünfzig, weil in unserer Verwandtschaft jeder mindestens fünf Kinder bekommt.

Ich will später nur ein Kind haben. Ein Mädchen, glaube ich, weil ich nämlich nicht so recht weiß, was man mit Jungen anfangen kann. Dieses Mädchen braucht dann nie mit anderen Kindern zu reden. Es darf so viele Haustiere haben, wie es will, und wenn es gern in einem Baumhaus schlafen möchte, dann darf es das auch.

Aus dem Brautstrauß lugten grüne Halme heraus. Das Kaninchen hatte schon drei gegessen. Und mir würde man gleich die Schuld daran geben, das war ja klar.

»Kaninchen!«, sagte ich streng. »Hör auf zu essen.« Doch das Kaninchen gehorchte nicht.

Ich trat einen Schritt näher. »Pass auf, sonst pack ich dich!«

Es ließ sich nicht stören.

Ich legte die Hände um seinen flauschigen Kaninchenbauch. »Selber schuld.« Menschen sind mir manchmal unheimlich, Tiere nie.

Es war schwerer, als ich erwartet hatte. Schwer und warm und weich. Ich fühlte sein Herz unter meinen Fingern klopfen, legte die Wange an seine langen Ohren und hielt den Atem an. Für einen Moment gehörte das Kaninchen mir.

»Flora!«

Die Stimme meiner Tante erschreckte mich derart, dass ich das Kaninchen um ein Haar fallen ließ.

»Was…« Sie trug schon ihr weißes Kleid, ihr dunkles Haar war hochgesteckt. Auf dem Kopf hatte sie eine Art Gardine, die ihr über den Rücken wogte. Das sollte wohl hübsch aussehen, praktisch war es jedenfalls nicht. Sie konnte sich fast nicht bewegen. Sehr vorsichtig drehte sie sich um.

»Meine Nichte Flora hält ein schwarzes Kaninchen im Arm!«, rief sie den Leuten im Flur mit schriller Stimme zu. Ihre Stimme war nicht vorsichtig, aber die konnte das Kleid ja auch nicht zerknittern.

»Ich habe es doch nur da weggenommen«, sagte ich leise. »Es hat an den Blumen geknabbert…«

Tante Nina drehte sich sofort wieder um. »Das Kaninchen hat von meinem Strauß gefressen!«, schrie sie mit noch schrillerer Stimme. »Es hat meine Lilien angeknabbert!«

Ich sah mich unruhig um. Schreiende Menschen machen mich nervös. Zum Glück war die Pappschachtel, in der die Blumen gelegen hatten, noch da. Behutsam setzte ich das Kaninchen hinein und schloss den Deckel.

Doch jetzt machte Tante Nina erst recht große Augen. »Das Kaninchen färbt ab!«

Ich glaube, man hörte sie nicht nur im Flur, sondern sogar bis nach Japan. Aber da konnte man sie zum Glück nicht verstehen.

»Floras Kleid ist voller Haare«, rief meine Tante. »Mein Blumenmädchen ist ein haariges Viech! Und haarige Viecher kann ich überhaupt nicht ausstehen…« Sie schüttelte den Kopf und die Gardine wogte mit. »Wie soll ich denn jetzt heiraten, mit diesem angeknabberten Brautstrauß?«

Ich wollte schon sagen, dass sie ja nicht den angeknabberten Brautstrauß heiraten müsse, sondern ihren Bräutigam. Den glatzköpfigen Hans. Zum ersten Mal war ich froh, dass der Mann keine Haare hatte. Ein Glatzkopf ist ideal für eine Braut, die haarige Viecher nicht ausstehen kann.

Das alles hatte ich sagen wollen, doch dann machte meine Tante plötzlich einen Schritt zur Seite, und ich sah, dass jemand hinter ihr stand. Eine sehr blonde Frau und ein sehr blonder Mann. Die beiden hatte ich gestern schon gesehen, als wir alle zusammen für die Hochzeit geprobt hatten.

Schnell schaute ich zu Boden. Ich fühlte, wie ich rot wurde. Die beiden betrachteten mein rosa Kleid mit den Puffärmeln. Und die weichen schwarzen Haare auf meinem Bauch. Ich sah aus wie Zuckerwatte. Wie Zuckerwatte voller Haare.

»Komm mit, Nina, meine Liebe.« Die blonde Frau zog meine Tante hinter sich her. Sofort war klar, dass diese Frau hier auf der Hochzeit das Sagen hatte. Sie drehte sich noch kurz um.

»Kümmerst du dich um Flora, Nick?«

»Klar«, sagte jemand mit aufgeweckter Stimme.

Erst in diesem Moment sah ich, dass auch noch ein Junge im Flur stand. Sein Anzug war genauso grau und ordentlich wie der seines Vaters, sein Haar genauso blond. Und seine Krawatte war so blau wie der Himmel über einer Wiese voller Kornblumen.

Niemand fragte mich, ob ich wollte, dass der Junge sich um mich kümmerte. Die Erwachsenen verschwanden und ließen mich mit dem ordentlichen Nick und einem Kaninchen in einer Pappschachtel zurück.

Die Schnauze voll von Hochzeiten!

Der ordentliche Junge und ich standen uns gegenüber. Nur wir beide in einem dämmrigen Zimmer. Ich hörte meine Cousins draußen auf dem Rasen schreien und meine Cousinen flüstern. Sommerkleider raschelten. Der weiße Stoff des Festzeltes flatterte.

»Du kommst nach den Ferien in die fünfte Klasse, oder?«, fragte Nick. Seine Stimme klang höflich, als wäre er zu Besuch. »Zu Herrn Fink?«

Ich schaute zu Boden und runzelte die Stirn. Woher wusste er das? Woher wusste der Junge, in welche Klasse ich kam? Ich wollte auf keinen Fall über die Schule reden. Jetzt waren Sommerferien, die Schule gab es nicht.

»Herr Fink ist nett«, sagte Nick. »Ich war dieses Jahr in seiner Klasse.«

Endlich sah ich ihn an. Seine Augen waren genauso blau wie seine Krawatte. Genauso blau wie der Himmel über…

Mit einem Mal fühlte ich mich, als hätte ich zu viel Zuckerwatte gegessen. Als hätte ich mein ganzes Kleid auf einmal verschluckt. Der Junge war in derselben Schule wie ich! Nach den Sommerferien kam er in die sechste Klasse. Und ich hatte ihn nicht einmal erkannt, weil die blöden Vorhänge geschlossen waren und weil ich mir Leute nie richtig ansehe…

Jetzt verstand ich auch, warum er sofort von der Schule angefangen hatte. Dieser Nick war das also. Der Junge, der jeden Morgen ganz locker mit dem Hausmeister quatschte. Der Nick, der sogar die strenge Lehrerin der dritten Klasse zum Lachen bringen konnte. Alle Jungen wollten mit ihm Fußball spielen. Und alle Mädchen waren in ihn verliebt.

Na ja, fast alle. Ich natürlich nicht.

»Wir haben Ferien!«, sagte ich. Es klang ein bisschen verärgert. Aber er sollte begreifen, dass ich überhaupt nicht über die Schule reden wollte.

»Ja. Super, oder?«, erwiderte Nick.

Er knöpfte sein Jackett auf. Um den Bauch trug er eine knallgrüne Tasche. So eine, wie dicke Männer sie im Urlaub tragen.

»Da ist alles drin, was man auf einer Hochzeit braucht.«

Er machte die Tasche auf und holte eine große Rolle Klebeband heraus. Ich sah ihn an. Sein Vater und seine Mutter organisierten Hochzeiten, das wusste ich. Aber dass er ihnen dabei half, wusste ich nicht. Ich fragte mich, ob die Kinder in der Schule sich über ihn lustig machen würden, wenn sie von der grünen Hüfttasche wüssten. Dann betrachtete ich sein fröhliches Gesicht und seine Sommersprossennase. Und war mir sicher, dass sie es nicht tun würden.

Nick wickelte sich ein Stück von dem Band mit der klebrigen Seite nach außen um die Hand. Und fing plötzlich an, mir mit der Klebehand über den haarigen Bauch zu reiben.

»Hey!«, rief ich und trat einen Schritt zurück.

Doch er machte einfach einen Schritt nach vorn.

»Ich bin schon fast fertig«, entgegnete er so ruhig, als würde er einem Baby oder einem ängstlichen Käfer gut zureden. »Die Haare bleiben alle am Klebestreifen kleben. Gleich bist du kein haariges Viech mehr.«

Ich sagte nichts. Am liebsten hätte ich die Arme verschränkt, aber das ging nicht. Dann würde ich an Nicks Klebeband hängen bleiben. Ich verhakte die Finger hinter dem Rücken.

»Hast du das neue Mädchen schon gesehen?«, fragte er leise, während er sich ein frisches Stück Klebeband um die Hand wickelte.

»Welches neue Mädchen?« Ich wunderte mich, dass er einfach weiter mit mir redete.

»Ich weiß nicht…« Er zögerte. »Sie ist gerade erst hergezogen und benimmt sich ganz merkwürdig. Sie spricht nur mit ihrem Vater, mit mir redet sie nicht. Und sie hat rote Haare.«

»Woher kennst du sie dann?«, fragte ich. Jetzt redete ich genauso leise wie er.

»Sie ist hier. Auf der Hochzeit, meine ich«, antwortete er und vergaß ganz, mir über den Bauch zu reiben.

»Heute? Auf der Hochzeit meiner Tante?«

Er nickte.

»Wieso?«

Er schüttelte den Kopf. Was sollte das heißen? Wusste er es auch nicht? Oder wollte er es mir nur nicht sagen? Mit ernster Miene rieb er mir erneut über den Bauch.

»Hast du die Hochzeitstorte schon gesehen?«, fragte er dann, als wäre nie die Rede gewesen von einer Neuen mit roten Haaren.

»Nein.«

»Sie ist wunderschön.« Vor lauter Begeisterung klopfte er mir auf den Bauch, um die letzten Haare wegzubekommen. »Deine Tante hat einen guten Geschmack. Und sie wusste genau, was sie wollte: wie viele Stockwerke die Torte haben sollte, was für Pferde die Kutsche ziehen sollten, dass sie im Freien und mit einem champagnerfarbenen Festzelt feiern wollte, dass die Kleider der Brautjung…«

»Jetzt hör doch mal auf!«, rief ich laut.

Es machte mich wahnsinnig. Jetzt redete Nick endlich mal mit mir und ich hatte ausgerechnet ein Zuckerwattekleid mit Puffärmeln an. Und gleich müsste ich vor Tante Nina hergehen, während alle mich ansahen, und Rosenblätter streuen. Aber nicht etwa mit vollen Händen, sondern immer nur ein paar Blättchen, damit sie wie kleine Elfen hinabschwebten. Das hatte Nicks Mutter mir gestern mindestens fünfmal vorgeführt. Und dann würden die wunderschönen hellrosa Blütenblätter von meiner Tante zertrampelt.

»Was…«, sagte Nick.

»Ich hasse das!«, rief ich. »Ich sehe total albern aus in diesem Kleid und es sind viel zu viele Leute da. Alle starren mich an und kichern und erzählen irgendwelche Geschichten von Ringen und Schleiern und Liebe. Ich kann Hochzeiten nicht ausstehen!«

Plötzlich guckte er ganz anders.

»Das glaub ich nicht«, widersprach er mir. »Niemand kann Hochzeiten nicht ausstehen.«

Er nahm den Klebestreifen von seiner Hand und knüllte ihn zusammen.

»Dein Bauch ist wieder sauber.« Er zuckte die Schultern. »Schönen Tag noch.« Und weg war er.

»Ich schon!«, rief ich ihm hinterher. In voller Lautstärke, sodass man mich bis nach Japan hören konnte. Was blieb mir anderes übrig? Ich hatte sowieso schon alles verdorben. »Ich kann Feste sowieso nicht ausstehen, erst recht keine Hochzeiten!«

»Ich auch nicht«, sagte ein Mädchen. Es stand in der Tür und hatte leuchtend rote Haare.

Völlig durchgeknallt

»Bist du mit Nick befreundet?«, fragte das rothaarige Mädchen.

»Nein.«

»Gut. Dann darfst du vielleicht meine Freundin werden.«

Sie trat näher. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, der im Juli so blass war. Sie war kleiner als ich und ganz dünn.

»Bist du reich?«, fragte sie und strich dabei mit der Hand über die Rückenlehne eines Stuhls.

»Nein.«

»Ich schon.« Sie wanderte zum Sofa weiter und strich über die dunklen Polster. »Ist dein Vater der Chef von sehr vielen Leuten?«

»Nein«, sagte ich wieder.

»Meiner schon.« Sie fuhr mit der Hand über die Geranien auf der Fensterbank. »Ist deine Mutter tot?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber meine Mutter ist tot.« Sie ließ die Hand über die Wand gleiten. »Schon seit sieben Jahren.«

»Bist du blind?«, fragte ich.

Sie blieb stehen. »Was?«

»Ich hab bloß so gedacht … Weil du alles mit der Hand anfasst. Da hab ich gedacht, dass du vielleicht blind bist.« Das stimmte überhaupt nicht, ich hatte nur Lust gehabt, es zu sagen.

»Nein«, sagte das Mädchen, »bin ich nicht.«

Ich verschränkte die Arme. »Hast du vier Brüder?«

»Nein.«

»Ich schon. Wohnst du schon dein ganzes Leben hier im Dorf?«

»Nein.«

»Ich schon. Heißt du Flora?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Aber ich heiße Flora«, sagte ich.

Da musste sie lachen. Ihre oberen Schneidezähne standen ein bisschen schief.

»Das ist witzig. Gut, du darfst meine Freundin sein.«

Ich verstand überhaupt nichts mehr. »Ich heiße Evi«, sagte das Mädchen. »Du bist die Erste hier im Dorf, die nicht komisch ist. Außer dir sind alle völlig durchgeknallt. Finde ich jedenfalls. Das sind die Leute in der Stadt auch, aber da kennt man sie wenigstens nicht. Das ist besser.«

»Meinst du? Dann sind sie durchgeknallt und dazu noch unbekannt. Das ist noch viel unheimlicher.«

Evi zuckte die Schultern. »Ach…«, sagte sie bloß.

Sie setzte sich aufs Sofa und zog die dünnen Beine an. Ich konnte ihre Unterhose sehen.

»Dieser Nick ist garantiert der Seltsamste von allen hier«, sagte sie entschieden. »Weißt du, wie der mit Nachnamen heißt? Pelikan. Das ist doch kein Name!«

Ich antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig.

»Weißt du, was Nick Pelikan in seiner freien Zeit macht?«, fragte Evi. »Auf Hochzeiten gehen. Zusammen mit Papa Pelikan und Mama Pelikan. Um ihnen zu helfen. Er macht alles: Lachshäppchen servieren, Servietten falten, Brautjungfern trösten, zaubern, mit kleinen Kindern jonglieren … Letzte Woche hat er sogar Querflöte gespielt, ehrlich! Er musste in einer roten Uniform mit goldenen Troddeln vorne auf dem Kutschbock sitzen. Und Querflöte spielen. Kannst du dir das vorstellen: Nick Pelikan mit einer Flöte im Schnabel?«

Evi war das seltsamste Mädchen, das ich je getroffen hatte. Aber ich hörte ihr atemlos zu.

»Woher weißt du das alles?«

Sie zog ihren glänzenden Rock über die Knie und seufzte. Noch nie hatte ich jemanden so tief seufzen hören. Ich war mir sicher, dass sie sich nur wichtigmachen wollte.

»Mein Vater will wieder heiraten«, sagte sie. »Aber das geht gar nicht, weil er nämlich noch mit Mama verheiratet ist. Trotzdem will er heiraten. Eine Frau, die noch lebt. Das findet er praktisch.«

Sie zog die Nase hoch. »Ich fände es auch praktisch, wenn Mama noch leben würde. Aber deshalb suche ich mir doch nicht einfach eine neue Mutter. Schon gar nicht Josien.«

Darauf hatte ich keine Antwort. Meine Beine waren müde, aber ich wagte nicht, mich zu setzen. Dann würde das Kleid zerknittern. Bestimmt war es fast schon Zeit für die Rosenblätter. Zeit für die Torte und den Champagner und die ewige Liebe.

Im Flur erklangen schnelle Schritte.

»Evi?« Eine Frau mit kurzen blonden Haaren und rotem Gesicht steckte den Kopf zur Tür herein.

Evi rührte sich nicht.

»Da bist du ja!«, sagte die Frau. Sie war ein bisschen außer Atem.

»Hallo, Josien«, sagte Evi kühl. Plötzlich fiel mir auf, wie affektiert sie redete. Ein richtiges Stadtmädchen.

»Unser Geschenk hat sich aus dem Staub gemacht!« Josien klang überhaupt nicht affektiert, im Gegenteil. Sie kam eindeutig vom Land, das hörte man sofort an ihrem Akzent. Sie sah mich an. »Kind, das ist aber ein hübsches Kleid! Gehörst du zur Hochzeitsgesellschaft? Dann kannst du mir bestimmt helfen. Ich wollte dem Brautpaar einen Deutschen Riesen schenken. Ich kenne die Leute zwar nicht, aber Deutsche Riesen sind so kuschelig und überhaupt nicht anspruchsvoll, finde ich. Eigentlich mag ich Hühner noch lieber. Ich bin ganz verrückt nach ihnen, aber Hühner sind nicht jedermanns Sache. Geschmäcker sind verschieden, sage ich immer, und…«

»Jetzt sei doch mal still«, sagte Evi. »Als ob Flora sich für die Viecher interessieren würde!«

Josiens rotes Gesicht wurde noch etwas röter. Ihr lag eine Antwort auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter.

»Deutsche Riesen sind doch Kaninchen, oder?«, fragte ich.

Josien nickte und ich zeigte auf die Blumenschachtel.

»Das Kaninchen hat am Brautstrauß geknabbert, deshalb hab ich es da reingetan. Aber, ehrlich gesagt, meine Tante Nina fällt wahrscheinlich in Ohnmacht, wenn sie es geschenkt bekommt…«