Kurzgeschichten - Kurd Laßwitz - E-Book

Kurzgeschichten E-Book

Kurd Laßwitz

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgenden Kurzgeschichten des deutschen Schriftstellers: Die Universalbibliothek Die Fernschule Der Traumfabrikant Prinzessin Jaja! Auf der Seifenblase

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Kurzgeschichten

Kurd Laßwitz

Inhalt:

Kurd Laßwitz – Biografie und Bibliografie

Die Universalbibliothek

Die Fernschule

Der Traumfabrikant

Prinzessin Jaja!

Auf der Seifenblase

Kurzgeschichten, K. Laßwitz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849624620

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Kurd Laßwitz – Biografie und Bibliografie

Philosophischer und belletristischer Schriftsteller, geb. 20. April 1848 in Breslau, verstorben am 17. Oktober 1910 in Gotha. Studierte in Breslau und in Berlin Mathematik, Physik und Philosophie, war 1875 Lehrer am Gymnasium in Ratibor und bekleidete ab 1876 eine Lehrerstelle am Gymnasium in Gotha; 1884 wurde er zum Professor ernannt. In seinen philosophischen Arbeiten hat er sich von dem früher eingenommenen subjektivistischen Standpunkt mehr entfernt und erstrebt eine erkenntnis-kritische Grundlegung der Wissenschaften im Sinne des Kantschen Idealismus. Er schrieb: »Atomistik und Kritizismus« (Braunschw. 1878); »Die Lehre Kants von der Idealität des Raumes und der Zeit allgemeinverständlich dargestellt« (Berl. 1883); »Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton« (Hamb. 1890, 2 Bde.); »G. Th. Fechner« (in »Frommanns Klassikern der Philosophie«, Stuttg. 1896, 2. Aufl. 1902); »Wirklichkeiten. Beiträge zum Weltverständnis« (Berl. 1900, 2. Aufl. 1903). Auf belletristischem Gebiet veröffentlichte er: »Bilder aus der Zukunft«, Erzählungen (3. Aufl., Bresl. 1879); »Seifenblasen«, moderne Märchen (3. Aufl., Weim. 1901); »Auf zwei Planeten«, Roman (2. Aufl., das. 1898, 2 Bde.); »Nie und Immer«, neue Märchen (Leipz. 1902).

Die Universalbibliothek

 »Nun setze dich endlich einmal her, Max«, sagte der Professor Wallhausen, »es ist wirklich nichts für deine Zeitschrift unter meinen Papieren. Was darf ich dir eingießen, Wein oder Bier?«

Max Burkel trat an den Tisch und zog die Augenbrauen bedächtig in die Höhe. Dann ließ er seine kräftige Figur behäbig auf dem Lehnstuhl nieder und sprach:

»Eigentlich bin ich Temperenzler geworden. Aber auf Reisen - ich sehe, ihr habt da so ein prächtiges Kulmbacher - ach, ich danke sehr, liebes Fräulein - nicht so voll! Na, wohl bekomm's, alter Knabe, verehrte Freundin! Prosit, Fräulein Briggen! Das ist riesig gemütlich, daß ich wieder einmal bei dir sitze. Aber, da hilft nun nichts, schreiben mußt du mir doch etwas.«

»Weiß augenblicklich wirklich nichts. Es wird überhaupt schon so entsetzlich viel Überflüssiges geschrieben und leider auch gedruckt -«

»Das brauchst du einem geplagten Redakteur wahrhaftig nicht erst zu sagen. Es fragt sich nur, was davon das Überflüssige ist. Darüber sind Publikum und Autor sehr verschiedener Ansicht. Und unsereiner trifft immer gerade das, was die Kritik für überflüssig hält. Ha, ich freue mich« - und er rieb sich vergnügt die Hände - »daß mein Vertreter noch drei Wochen für mich schwitzen muß.«

»Ich wundere mich«, begann die Hausfrau, »daß Sie überhaupt immer noch etwas Neues zu drucken haben. Ich dächte. es müßte nun so ziemlich alles durchprobiert sein, was Sie mit Ihren paar Lettern zusammenstellen können.«

»Das ist eigentlich wahr, Frau Professor - sollte man denken - aber, der menschliche Geist ist unerschöpflich -«

»In Wiederholungen - meinen Sie.«

»Gott sei Dank, ja!« lachte Burkel. »Aber doch auch an Neuem.«

»Und trotzdem«, bemerkte der Professor, »vermag man alles in Lettern darzustellen, was der Menschheit jemals gegeben werden kann an geschichtlichem Erlebnis, an wissenschaftlicher Erkenntnis, an poetischer Kraft, an Lehren der Weisheit. Wenigstens, soweit es sich in der Sprache ausdrücken läßt. Denn unsere Bücher vermitteln doch tatsächlich das Wissen der Menschheit und bewahren den Schatz, den die Arbeit des Denkens gehäuft hat. Die Zahl der möglichen Kombinationen gegebener Buchstaben ist aber begrenzt. Also muß alle überhaupt mögliche Literatur sich in einer endlichen Anzahl von Bänden niederlegen lassen.«

»Na, alter Freund, da redest du wohl wieder einmal mehr als Mathematiker denn als Philosoph. Wie soll das Unerschöpfliche endlich sein?«

»Erlaube, ich will dir gleich ausrechnen, wieviel Bände die Universalbibliothek haben wird.«

»Du, Onkel, wird's sehr gelehrt?« fragte Susanne Briggen.

»Aber Suse, für eine junge Dame, die eben aus der Pension kommt, ist doch nichts zu gelehrt?«

»Danke schön, Onkel, aber ich fragte eigentlich nur, um zu wissen, ob ich mir meine Handarbeit dazu holen soll, weil - ich dann besser nachdenken kann, weißt du.«

»Aha, Schlauköpfchen, du wolltest eigentlich wissen, ob ich eine sehr lange Rede halten werde. Ich denke gar nicht dran. Doch du könntest mir einmal dort den Bogen Papier vom Schreibtisch geben und den Bleistift.«

»Bringen Sie nur auch gleich die Logarithmentafel mit«, bemerkte Burkel trocken.

»Um Gottes willen«, wehrte die Hausfrau.

»Nein, nein, ist nicht nötig«, rief der Professor. »Und mit der Handarbeit brauchst du nicht zu protzen, Suse.«

»Hier hast du eine bequemere«, sagte die Hausfrau und schob ihr die Schale mit Äpfeln und Nüssen hin.

»Danke«, antwortete Susanne, und ergriff den Nußknacker. »Nun nehme ich's mit deinen härtesten Nüssen auf.«

»Jetzt kann erst einmal unser Freund reden«, begann der Professor. »Ich frage: Wenn man sich knapp einrichtet und auf besondere ästhetische Darstellung durch verschiedene Schriftgattungen verzichtet, auch mit einem Leser rechnet, der es nicht zu bequem haben will, dem es nur auf den Sinn ankommt -«

»Aber den gibt's ja gar nicht.«

»Nun, nehmen wir ihn an. Wieviel Lettern wird man für die gesamte schöne und Unterhaltungsliteratur brauchen?«

»Na«, sagte Burkel, »beschränken wir uns auf die großen und kleinen Buchstaben des lateinischen Alphabets, die gebräuchlichen Interpunktionszeichen, die Ziffern und - nicht zu vergessen - das Spatium -«

Susanne blickte fragend von ihren Nüssen auf.

»Das ist die Type für den Zwischenraum, wodurch der Setzer die einzelnen Worte auseinanderhält und die leer bleibenden Stellen ausfüllt. Das wäre also nicht zuviel. - Aber für wissenschaftliche Bücher! Was habt ihr Mathematiker für eine Masse Symbole!«

»Da helfen wir uns durch Indizes, durch kleine Zahlen, die wir oben oder unten an die Buchstaben des Alphabets setzen, wie a0, a1, a2 usw. Dazu brauchen wir nur noch eine zweite und dritte Reihe der Ziffern von 0 bis 9. Ja dadurch könnte man sogar bei ausreichender Verabredung beliebige fremdsprachliche Laute darstellen.«

»Meinetwegen. Ich will auch das deinem Idealleser zutrauen. Dann schätze ich, daß wir allerdings nicht mehr als etwa hundert verschiedene Zeichen nötig haben, um alles Denkbare durch die Schrift ausdrücken zu können.«

»Nun, sieh mal an. Und wie stark wollen wir einen Band machen?«

»Ich meine, man kann schon recht erschöpfend über ein Thema schreiben, wenn man einen Band von fünfhundert Seiten damit anfüllt. Denken wir uns auf der Seite etwa 40 Zeilen mit 50 Buchstaben (wobei natürlich Spatien Interpunktion usw. stets mitgezählt sind), so bekommen wir 40 x 50 x 500 Buchstaben für einen solchen Band, das gibt - - Ja, das kannst du lieber ausrechnen.«

»Eine Million«, sagte der Professor. »Wenn man also unsere 100 Zeichen, beliebig oft wiederholt, in irgendeiner Ordnung so oft zusammenstellt, daß sie einen Band von einer Million Buchstaben füllen, so wird man irgendein Schriftwerk bekommen. Und wenn man alle möglichen Zusammenstellungen sich denkt, die überhaupt in dieser Weise rein mechanisch gemacht werden können, so hat man genau sämtliche Werke, die jemals in der Literatur geschrieben worden sind oder in Zukunft geschrieben werden können.«

Burkel schlug den Freund kräftig auf die Schulter.

»Du, auf die Universalbibliothek abonniere ich. Dann habe ich ja sämtliche zukünftigen Bände der Zeitschrift schon fix und fertig in der Druckvorlage. Ich brauche mich um keine Beiträge zu kümmern. Das ist ja prachtvoll für den Verleger, das ist die Ausschaltung des Autors aus dem Geschäftsbetriebe! Ersatz des Schriftstellers durch die Kombinationsmaschine, Triumph der Technik!«

»Wie?« rief die Hausfrau. »Alles ist in der Bibliothek? Auch der ganze Goethe? Die Bibel? Die Gesamtausgaben der Werke aller Philosophen, die nur je gelebt haben'?«

»Und sogar mit sämtlichen Lesarten, auf die noch kein Mensch gekommen ist. Du findest da auch sämtliche verlorenen Schriften des Platon oder des Tacitus und die Übersetzungen dazu. Ferner sämtliche zukünftigen Werke von uns beiden, alle vergessenen und noch zu haltenden Reichstagsreden, den allgemeinen Weltfriedensvertrag, die Geschichte der darauffolgenden Zukunftskriege.«

»Und das Reichskursbuch, Onkel!« rief Susanne. »Das ist doch dein Lieblingsbuch.«

»Gewiß, und deine sämtlichen deutschen Aufsätze bei Fräulein Grazelau.«

»Ach, hätte ich doch das Buch schon im Pensionat gehabt! Aber ich denke, es handelt sich immer um einen ganzen Band -«

»Erlauben Sie, Fräulein Briggen«, fiel Burkel ein, »vergessen Sie nicht die Spatien. - Jedes kleinste Verschen kann einen Band für sich bekommen, das übrige ist dann leer. Und wir können auch die längsten Werke darin haben, denn wenn sie in einem Bande nicht Platz finden da suchen wir einfach die Fortsetzung in einem andern.«

»Na, ich danke für das Heraussuchen« sagte die Hausfrau.

»Damit hat es auch seinen Haken«, begann der Professor schmunzelnd, indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte und den Rauch seiner Zigarre behaglich mit den Blicken verfolgte. »Es könnte zwar scheinen, als ob das Heraussuchen dadurch erleichtert würde, daß die Bibliothek auch ihren eigenen Katalog enthalten muß -«

»Nun also -«

»Ja, aber wie willst du den herausfinden? Und wenn du einen Band gefunden hättest, so wärest du auch nicht weiter, denn es sind ja nicht bloß die richtigen, sondern auch alle möglichen falschen Titel und Signaturen darin.«

»Teufel auch, das ist wahr!«

»Hm! Es gibt da so einige Schwierigkeiten. Nehmen wir z.B. den ersten Band unserer Bibliothek zur Hand. Die erste Seite ist leer, die zweite ebenfalls, und so fort, alle 500 Seiten.

Es ist nämlich der Band, worin das Zeichen des Spatiums einmillionenmal wiederholt ist -«

»Da kann wenigstens kein Unsinn darin stehen«, warf Frau Wallhausen ein.

»Ein Trost! Nun der zweite Band, auch leer, alles leer, bis auf der letzten Seite, ganz unten, an der millionsten Zeichenstelle ein schüchternes a steht. Im dritten Bande ist es wieder so, nur daß das a um eine Stelle vorgerückt ist, an letzter Stelle steht jetzt wieder das Spatium. Und so schiebt sich das a in jedem Bande um eine Stelle weiter nach vorn durch eine Million Bände. bis es im ersten Band der zweiten Million glücklich die erste Stelle erreicht hat. Weiter steht nichts in diesem interessanten Bande. Und so geht es durch die ersten hundert Millionen unserer Bände, bis alle hundert Zeichen ihren einsamen Weg von hinten nach vorn durchlaufen haben. Ein gleiches wiederholt sich dann mit aa oder mit irgend zwei anderen Zeichen in allen möglichen Stellungen. Ein Band bringt nur Punkte, einer nur Fragezeichen.«

»Na«, sagte Burkel, »diese inhaltlosen Bände würde man ja bald erkennen und ausscheiden -.

»Hm, ja - aber das Schlimmste kommt erst, wenn man einen scheinbar vernünftigen Band gefunden hat. Du willst z. B. etwas im »Faust« nachsehen und triffst auch wirklich den Band mit dem richtigen Anfang. Und wenn du ein Stückchen gelesen hast, geht es auf einmal weiter: »Papperle, happerle, nichts ist da!«, oder einfach »aaaaa« . . . Oder es beginnt eine Logarithmentafel, aber auch von der weiß man nicht, ob sie richtig ist. Denn in unserer Bibliothek steht ja nicht nur alles Richtige, sondern auch alles Falsche. Durch die Überschriften darf man sich nicht irreführen lassen. Ein Band fängt vielleicht an: »Geschichte des Dreißigjährigen Krieges« und geht weiter:

»Als Fürst Blücher die Königin von Dahomey bei den Thermopylen geheiratet hatte . . .«