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LAPIDARIUM ist ein Buch mit drei Theaterstücken, die sich der Dunkelmaterie im Mensch des frühen XXI. Jahrhunderts zuwenden: Folter, Terror, Suizid.
Im Gesellschaftsstück REICH DES TODES wird der politische Prozess gezeigt, der von 9/11, dem islamistischen Terroranschlag, zur systematischen Folter von Kriegsgefangenen in den US-amerikanischen Lagern von Guantánamo und Abu Ghraib geführt hat. Am Extremfall des Versagens demokratischer Herrschaft im führenden Staat der westlichen Welt, in den USA, zeigt sich beispielhaft POLITISCHE THEORIE.
Das Familienstück BARACKE verfolgt den Lebenslauf der Liebe, der vom Verliebtsein zu einem Kind führt, das Vater und Mutter erschafft, die Enge der kleinen neobürgerlichen Kleinfamilie, den Stumpfsinn, Gewalt im Inneren, im Keller des Hauses, Gewalt als politisch deklarierte Tat, bis hin zu den Morden, die der NSU, auch in Bezug auf die Taten der RAF, begangen hat. Die Energien, hier in Deutschland, die das hervorbringen: DIE ELEMENTAREN STRUKTUREN DER VERWANDTSCHAFT.
Das Ichstück LAPIDARIUM: Selbstporträt, Tagebuch der letzten Tage, Alter, Freundschaft, Tod. Der Tod erscheint dem Ich, die Sterbenden, die Toten, und mit den gegenwärtigen die früheren Jahre, Bilanz, im bayrischen Süden, Mai und November 2023, für Franz Xaver Kroetz. Wie wollen wir sterben, wie leben? Entwurf einer ANTHROPOLOGIE IN PRAGMATISCHER ABSICHT.
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Seitenzahl: 449
Irre. Roman
Krieg. Stücke
Hirn. Schriftzugabe
Kontrolliert. Geschichte
Festung. Stücke
1989. Material
Kronos. Berichte
V. Heute Morgen
Geschichte der Gegenwart
Rave. Erzählung
Jeff Koons. Stück
Dekonspiratione. Erzählung
Celebration. Texte und Bilder zur Nacht
Abfall für alle. Roman eines Jahres
VI. Schlucht
Frühes 21. Jahrhundert
Klage. Tagebuchessay
loslabern. Bericht
Johann Holtrop. Roman
elfter september 2010. Bilder eines Jahrzehnts
Lapidarium. Stücke
wrong. Textaktionen
und müßte ich gehen in dunkler Schlucht VI
Schlucht 5
Reich des Todes
Baracke
Lapidarium
Rainald Goetz
LAPIDARIUM
Stücke
Suhrkamp
welcome to the final show
HARRY STYLES
Politische Theorie
REGIERUNG
SELCH, Vizepräsident
PINSK, Privatsekretär
DR BANZHAF, Chefjustiziar
THURGAU, Geheimdienstdirektor
FR VON ADE, Sicherheitsberaterin
GROTTEN, Präsident
ROON, Kriegsminister
MRS GROTTEN, Ehefrau
DR SCHILL, Justizrat
DR KELSEN, Oberjustizrat
SEBALD, Justizminister
GEFÄNGNIS
BRAUM, Obergefreiter
CINDY, Wachsoldat
DARKOVA, Brigadegeneral
EVE, Soldat
TRENCK, Gefreiter
ATTA, Gefangener
HADES
Ashcroft, Addington, Ambuhl
Bush, Cheney
England, Frederick, Goldsmith, Graner, Harman, Yoo
Karpinski, Laura, Libby, Rice, Rumsfeld, Tenet
ZEIT In den Nullerjahren
ORT Im Krieg
PROLOG
ISCHLUCHT
1 Krieg
2 Staatszerstörung
3 Lager
IILEVIATHAN
1 Der Fürst spricht
2 The Girls
IIIWAS GESCHAH AM 4. NOVEMBER 2003
1 Die Morgenlage
2 Untersuchungsausschuß
3 Orgie
4 Was geschah am 28. April 2004
5 Nacht
IVDESASTRES DE LA GUERRA
1 Germania
2 Der Narr
3 The Dark Art of Interrogation
4 Die Charaktere
VDER PROZESS
1 Klage
2 Camp Justice
3 Beschluß
EPILOG
»hinabgestiegen in das Reich des Todes«TAUFE
da, da, da!
näher, tiefer, da
da sind sie, da kommen sie
da tanzen sie an
von vorn, von hinten, die helle
den kleinen, den weißen, den da, genau
den Punkt, den Knopf, den Hügel
gefaltet, gewogen, die Welt
und langsam, ganz leicht
langsamer, leichter
ja: alles Walzer jetzt!
im Walzertakt wogen beschwingt die Tänzer
die wiegenden Körper, die Schritte
die schwingen, die dritte, die lacht
und vorwärts, seitwärts, rundherum und
andersrum im Walzerschritt, wogen oben, toben
unten schwingen, singen, lachen
lässig prassen, leben lassen, damm
da da damm, damm da da damm
hinabgestiegen
wer was wie? ich nicht
in das Reich des Todes
wo Schatten, Schriften, Taten
weiterleben und sich wiederholen müssen
Qualen leiden, Durst, kein Schlaf
Haß, von oben gewollt
erlaubt und befohlen, Folter
zur Abwehr von Gefahr
ins Dunkle gehen
finster werden, böse
leise reden, dunkel handeln
darf ich bitten?
gern
sie nimmt seine Hand
er führt sie fort, sie tanzen
sie reden, er flüstert, sie lacht
wann?
morgen
gut
wer?
ich
sehr gut
ja
EIN MANNsteht am Fenster und schaut von oben über die Stadt hinweg, 96. Stock, World Trade Center, Vormittag, Sonnenschein, es ist Dienstag, der 11. September 2001. Da sieht der Mann ein Flugzeug aus der Ferne auf sich zufliegen, in einer weiten, nach links geneigten Kurve kommt das Flugzeug näher, wird schneller, weicht aber nicht zur Seite oder nach oben aus, es fliegt direkt auf den Mann, der im Hochhaus am Fenster steht, zu, er nimmt sein Telefon, um einen Freund anzurufen, dem er sagen will, was er da sieht, und in dem Moment, in dem er, von der rasend größer werdenden RIESIGKEIT der Spitze des Cockpits des lärmend herandonnernden Flugzeugs erschreckt, plötzlich in Panik vom Fenster wegstürzen und sich in Sicherheit bringen möchte, schlägt die Maschine mit einem gigantischen Krach direkt im Nebenfenster ein, explodiert, der Fliehende wird von hinten in die Luft gehoben und vom Feuerball der Explosion gegen einen Stahlträger geschleudert, das Handy fällt zu Boden, der angerufene Freund hebt ab und ruft, weil niemand sich meldet, aber Bersten, Krachen, Schreie und Rufe zu hören sind, immer wieder: hallo Tom! Was ist mit dir? Aber Tom ist tot, er antwortet nicht
HEILIGER GOTTdenkt der Mann im Cockpit, der das Flugzeug auf das Hochhaus zuzufliegen versucht, auf den Mann am Fenster, den er dort genau in der Mitte der silbrig schimmernden Fassade als klitzekleine Figur stehen sieht, Gott ist groß, Gott steh mir bei, er drückt das Flugzeug tiefer, hebt die Nase an, steuert leicht nach links, stärker, noch etwas mehr, und relativ schräg geneigt segelt das Flugzeug zuletzt herrlich schwer dem Paradies des Todes entgegen, das müßte gelingen, denkt der Mann und freut sich, ewig so fliegen, Heiliger Krieg, Tod und Verderben bringt er denen, die an Gott, den einzigen, nicht glauben, geliebte Eltern und Geschwister, betet für mich, lieber Gott, ruft er zuletzt und schiebt den Gashebel bis zum Anschlag nach vorn, wie er es bei einer verfehlten Landung zum Durchstarten machen würde, um mit maximalem Tempo, die Motoren hört er noch aufheulen, dort im Hochhaus bei dem vom Fenster wegstürzenden Mensch jetzt einzuschlagen, und die Himmel tun sich auf in dem Moment, das war es also, großer Gott, mein Gott, Zerschmetterung, noch leben letzte Zellen im Gehirn, die Beine werden nach unten aus dem Körper herausgerissen, der Torso von explodierendem Kerosin an die Armaturen geschleudert, dort zerquetscht, ohne daß der Gesamtsack der Haut dabei zerrissen würde, nur das Gesicht, der Kopf vorne, wird zu einer Masse aus Fleisch, Blut und Splittern von Knochen völlig zerdrückt, alle Körperteile von der Hitze im nächsten Augenblick verdampft, und der Mensch insgesamt auf die Art tot gemacht für immer, tot, Tod, komm herbei und hilf den Nochnichttoten aus dem Leben, Amen
DER FOLTERERkommt herein, die Tür quietscht metallen, schlägt metallen zu, die Schergen treten aus dem Dunkel hervor, die Gesichter von schwarzen Kapuzen verhüllt, mit Löchern für Augen und Mund. Der Gefolterte liegt auf einer Matte am Boden, Boden und Wände aus Beton, kein Licht von außen, keine Fenster, eine Neonröhre brennt an der Decke, und über Seilzug werden dem Gefolterten die Arme nach oben gerissen, sein Oberkörper hängt schwer an den Armen, der Kopf nach vorn auf die Brust. Der Folterer, sympathisch fleischiger Kraftkerl mit Vollbart, rockerstyle, geht langsam auf den in der Mitte der Zelle von der Decke herunterhängenden Gefangenen zu und hebt am Kinn dessen Gesicht in die Höhe, ins Licht, schüttelt den Kopf. Na, na, na, was ist los?, sagt er, aber der Gefangene reagiert nicht. Schau mich an, du Ratte, sagt der Folterer leise und schnippt das blutig aufgequollene Gesicht des Gefangenen etwas in die Höhe, läßt es zurückfallen auf die Brust. Was?, sagt der Folterer, du willst nicht gucken? Das ist schlecht. Dabei schlägt er dem Gefolterten ansatzlos von unten mit der Hand so heftig ins Gesicht, daß es das Gesicht und an ihm den ganzen Mann hochreißt, der schreit auf, stürzt zurück, der Aufschrei wird ein Wimmern, das Wimmern ein Schnaufen, Stöhnen, Schnauben, Atmen, Ächzen, das Elend der geschundenen Kreatur. Der Folterer hebt den Kopf des Gefolterten an den Stirnhaaren hoch, reißt ihn mit einem Ruck ins Genick, ein Schmerzschrei gellt durch die Todeszelle, die das Recht auf Rache am Mörder der Vielen vollstreckt, Macht und Haß, und die Augen des Gefolterten gehen ganz langsam auf, aus großer Ferne kommt sein Blick. Du denkst, du bist stark, sagt der Folterer, MÖRDER!, schreit er plötzlich, dann wieder leise: aber du gehörst mir. Ich werde dich zertreten. Er läßt den Kopf des Gefolterten nach vorn fallen und macht den Schergen ein Zeichen, die ziehen mit ruckartigen Reißbewegungen die Arme so weit hoch und auseinander, bis es nicht mehr geht. Oder zerreißen, sagt der Folterer, dreht sich um und geht in seiner T-Shirt-Kluft, es ist auch sehr heiß in der Todeszelle, die Gesichter schwitzen, durch die quietschende Metalltüre kopfschüttelnd nach draußen
Weißblende, sehr hell, Wüstensand und Wüstenlicht, ganz kurz, die Weite einer echten Welt, Wind und Geräusche, Erleichterung.
hier bei den Rosen
hinter der Hecke
lockt mich ein Duft
heiterer, leise
öffne sie, scheide
Hecke, die wilde, verstecke
Schwarzblende, Stille, Ideenfabrik. Langsam hebt sich der Vorhang zum Ersten Bild. Reich des Todes, Schlucht. Büro des Vizepräsidenten, warme ruhige Farben, holzgetäfelte Wände. Dienstag, der 11. September 2001. Morgensonne fällt ins Führerhauptquartier.
SELCHBanzhaf, Pinsk, ich brauche
PINSKHerr Vizepräsident!
SELCHWo sind denn?
PINSKIn Rosen
SELCHAha, aha, und?
PINSKLäuft gut, französische Suite
SELCHSehr gut. Schreiben Sie! Generationen, Geschichte, gelebte Erfahrung, Schmach, Komma, kommen sie tiefer, werden sie schwächer, müssen sie raus. Punkt. Aber der Mensch, das sehe ich heute als Pragmatiker ohne Illusion, war früher auch nicht besser oder schlechter, dümmer oder heller als gestern, morgen oder heute
PINSKEtwas langsamer bitte
SELCHNatürlich
PINSKHeller als gestern Abend oder
SELCHAls gestern Morgen oder heute Abend
PINSKAch so, heute Abend
SELCHKönnen Sie nocheinmal lesen bitte
PINSKGenerationen, Geschichte, gelebte Erfahrung, aber der Mensch
SELCHMoment, da fehlt doch was
PINSKAch so, Erfahrung, Schmach, kommen sie tiefer
SELCHGenau. Schmach, Punkt, dann:
PINSKKommen sie tiefer, werden sie schwächer, müssen sie raus
SELCHRichtig, raus. Vielleicht noch nicht klar genug
PINSKStimmt, etwas dunkel ist die Stelle schon
SELCHGut, es ist eine Zusammenraffung größerer Prinzipien
PINSKEs ist sehr gerafft, ja
SELCHAuch groß
PINSKSicher, das Bild ist stark
SELCHTiefer, schwächer, raus, schwierig
PINSKSoll ich lassen oder ändern?
SELCHLassen. Schreiben Sie: Nicht der Mensch, sondern –
PINSKHerr Vizepräsident! Jetzt kriege ich hier einen roten Alarmbot
SELCHAmt und Institution, Politik und Bürokratie – was für ein Alarm denn
PINSKMit dringender Meldung, daß in
SELCHAha, wieso, was ist?
PINSKDa sind in
SELCHWas ist denn jetzt los?
PINSKFlugzeuge, Angriff, Sie müssen sofort
SELCHMüssen wieso? Warten Sie, halt
PINSKRunter, kommen Sie!
SELCHMoment, ich gehe selbst
Dann kam der Angeklagte auf die Situation im Unterbunker zu sprechen. In totaler Stille hätten die anwesenden Minister und Generäle die beiden Fernseher angeschaut, die den Angriff auf New York und Washington live übertragen haben, auch Pressesprecher, Redenschreiber, Justiziare und Personenschutzbeamte, insgesamt etwa fünfzehn Personen, seien in dem engen Notgefechtsstand im Unterbunker um den Tisch versammelt gewesen. Selch saß in der Mitte, sagte nichts, und auf den Gesichtern der Umstehenden flackerte der Schreck, Gefühle, Staunen, kaum geordnete Gedanken, manchmal habe einer seinen Kopf geschüttelt, war ein Wort zu hören.
Wille, Wut, Staub
Zwang, Wahn, entsende
FR VON ADEMein Gott
THURGAUFuck
FR VON ADEOh nein
THURGAUShit
ROONWer hat denn
SEBALDDen haben
FR VON ADEKann nicht die
PINSKSofortige sonst
CHORUSEs war ein Angriff ohne Beispiel, er traf Amerika ins Herz, als die brennenden Türme in sich zusammensanken, ruhig, langsam, auch erschreckend schön, Hunderte von Menschen dabei aus dem Leben in den Tod gerissen wurden, wurde die Welt Zeuge des Triumphs einer vom Glauben an Gott erfüllten Idee
SELCHWarum
THURGAUWir
PINSKHier sind sie
SELCHMoment
FR VON ADENehmen
SELCHBefehle
THURGAUDie Täter
PINSKIm
Not, Rache, alt
Tod, Terror, Krieg
#
BANZHAFSehe vor lauter Häusern die Angst nicht mehr, laufe vertrottelt, verstolpert, Moment, Schreck ruft, ich nicht, gleich da, Unfall passiert, Hölle gefühlt, Seele gesendet, Gott, weiß nicht, weiß nur, daß Schuld kommt, weil Wille stark da, Güte, laufe durch Schluchten von Wänden, Beton, Steine, Wald, will den Besiegten die Rache der Wahrheit erkämpfen, muß den Tod und die Toten der Feinde mitwollen dürfen, Herr, Gott, bist du dabei?
#
THURGAUPräsident Grotten
FR VON ADEDer diese
PINSKIn einer bewegten
SELCHHabe ich so
FR VON ADEStille, Angst herrscht, der Krieg ist da, und keiner weiß, was das heißt, was zu tun ist, was droht, was gleich passieren wird, jede Eskalation scheint möglich, sogar ein Atomschlag, eine Rakete, die das Weiße Haus angreift, ein nächstes Flugzeug, von Terroristen gesteuert, das auf das Kriegsministerium zufliegt
SELCHIch als
PINSKDie Tat war
FR VON ADEUnd funktionierte
PINSKVerzeihung, das habe ich rein akustisch nicht verstanden
FR VON ADEDurch einen Zufall wurde der Befehl nicht weitergeleitet, das Passagierflugzeug, das nicht in der Gewalt von Terroristen war, nicht abgeschossen, der Vizepräsident hatte die Befehlsgewalt, die eigentlich dem Präsidenten vorbehalten ist, stellvertretend übernommen, eventuell unrechtmäßigerweise
THURGAUDie Bänder
SELCHIch mir mich
FR VON ADEIhn leise
SEBALDMit Freude Bösors
FR VON ADEKeiner sagt, was er denkt, Selch schaut die Fernsehbilder an und brütet vor sich hin, fast stumpf, gleichzeitig souverän, bringt einen spöttischen Halbsatz, der zeigt, daß er als Einziger auf die Situation vorbereitet ist, auf so etwas gewartet, ja, fast hingelebt hat
#
BANZHAFSage den Schwachen den Kampf an, sage der Vorsicht: aus jetzt, jetzt nicht, jetzt nicht mehr schweigen, handeln, führen, Taten bringen, Krieg, Telefon: ja, Präsident: nein, komme in saftige Sänften gekleidet, gemeuchelt daher, bring die Anmut mancher Gegend, läßt der Jugend ihr Brevier, jagte lustig, haßt Gestalten, die Verschwörer, Blut an ihren Händen, Herr, laß mich beten, finden, dienen, gib mir deine Gnade lang, laufe, laufe, deest inde, Schrift an Haus und Haus an Haus, Schluchten, Wolken, Nächte, Lichter, Zaudern aber, nein, laß mich zaudern nicht, gib mir dein Gesicht
#
SELCHSteht außer
BANZHAFEin wo mit
SELCHZur Hauptmittäterschaft beizutragen
BANZHAFBin ich natürlich
CHORUSEs war ein Angriff ohne Beispiel, er traf Amerika ins Herz, als die brennenden Türme in sich zusammensanken, ruhig, langsam, auch erschreckend schön, Hunderte von Menschen dabei aus dem Leben in den Tod gerissen wurden, wurde die Welt Zeuge des Triumphs einer vom Glauben an Gott erfüllten Idee der Kritik am Weltmodell des Westens
SELCHStellen Sie das ab, Pinsk, ich will diese Bilder nicht mehr sehen
THURGAUErniedrigung, an der die Welt sich freut
SELCHLassen Sie räumen, es reicht
PINSKIch muß jetzt alle Personen bitten
SELCHDanke, besser, souverän ist
BANZHAFWer entscheidet
THURGAUIrgendwo wird ja gejubelt, in irgendeinem Loch
SELCHGenau da müssen wir hin, in diese Finsternis hinein
PINSKDie Leitungen Sebald, Roon, Grotten sind jetzt bereit
BANZHAFFrau von Ade, Sie haben doch sicher noch draußen zu tun
THURGAUSteht Ihnen gut, gnädige Frau, wenn Sie so erstaunt schauen
FR VON ADEEin unfreundlicher Akt, den ich Präsident Grotten
BANZHAFIm Gegenteil, das werden Sie nicht, außerdem ist es rechtlich gar nicht die Frage, wenn ein einzelnes Flugzeug, das als Waffe des Gegners fungiert, weil Terroristen es in ihre Gewalt gebracht haben, ausgeschaltet werden muß, welche Fragen oder historische Analogien da aufgeworfen werden könnten oder können, der politische Akt der Entscheidung ist von derartigen Dingen gar nicht tangiert, und die beliebten Fragen der Menschlichkeit, ja, da rate ich zu großer Vorsicht, Menschheit, Leben, Ideale, das wird später, wenn die Handlungen angeordnet und durchgeführt worden sind, in den Debatten nachträglich endlos selbstgefällig hin- und hergewendet werden, wenn die Stunde derer, die im Nachhinein sowieso immer Recht gehabt haben, gekommen sein wird, aber das ist sie jetzt im Moment definitiv noch nicht
THURGAUSie zeigen da eine Skepsis
FR VON ADEWahrscheinlich ist
BANZHAFSie schaden damit auch dem Land und unserer Politik
SELCHRoon, Ihre in aller Öffentlichkeit
ROONDie Öffentlichkeit interessiert mich nicht, es ist mir egal, wie die Öffentlichkeit reagiert, man kennt ja das Schwankende der Stimmungen, dem alle sich unterwerfen, die Unvernunft der herrschenden Meinung, die nur gilt, bis der nächste Wind aufkommt, die nächste Blödheit, die Leute sind mitläuferisch und feige, leider, und der Journalismus zeigt immer wieder, daß er den Leuten genau darin gefallen will, genau so sein will wie sie, und warum?, aus den allersimpelsten eigenen Interessen, denn all das, was da überall zusammengeschrieben wird, muß sich ja verkaufen, und verkauft sich nur, wenn die Leute sich auch angenommen fühlen in dem, was sie sind und fühlen, genau so will der Journalismus sein, von wegen vierte Gewalt, Kontrolle, Kitsch! Das ist das Problem, wenn die Politik auf seiten vernünftiger Konzepte steht, dafür kriegt man von der Presse keine Unterstützung, womit natürlich nichts gesagt sein soll gegen die Freiheit der Presse, im Gegenteil, man hätte nur gern, daß die diese Freiheit auch öfter mal wirklich wahrnimmt, und nicht nur, besoffen vom eigenen Geschwätz, – aber was rede ich da, das bringt mich jedesmal derart in Rage, aber zu Recht, sage ich, völlig zu Recht!
BANZHAFDie Dinge der Vernunft sind der Öffentlichkeit nicht vermittelbar
THURGAUBesoffen vom eigenen Geschwätz, sagten Sie
ROONDas wäre für mich Zynismus, das lehne ich ab
SELCHAus Ihrer täglichen Nähe zu Grotten, Thurgau
THURGAUPolitik braucht Lüge, Staatssicherheit die Wahrheit, Wissen, Informationen, die wir menschlichen Quellen entnehmen oder per elektronischer Überwachung generieren, das zu sammeln ist die Aufgabe unseres Amtes, im Dienst der Gesellschaft, das wird gern vergessen, und wegen der dazu nötigen Geheimhaltung wird das Amt und die Person, die ihm vorsteht, oft zu skeptisch gesehen, dem trete ich auch öffentlich entgegen, auch mit Hilfe unserer Bürokratie, die selbst in Distanz zur Politik zu stehen hat, um funktionsfähig zu sein, zugleich an der Macht aber, wie Sie sagen, nahe genug dran sein muß, um ihren Auftrag, die Bürger des Landes zu schützen, erfüllen zu können, dabei der Beeinflussung durch die Mächtigen, die politische Interessen verfolgen, wiederum nicht zu sehr nachgeben darf, denn davon würden die Resultate der Ermittlungen entwertet, all dem habe ich mich immer widersetzt, seit ich in diesem Amt bin, und nicht unerfolgreich bisher, darf ich sagen
BANZHAFIm Fall von Staatsversagen, auf Sicherheit bezogen
SELCHStaatsnotstand muß man korrekterweise sagen
BANZHAFDer Imperativ, jetzt effektiv zu reagieren
PINSKJustizminister Sebald will noch
SEBALDErfahre von Frau von Ade von Maßnahmen rechtlich zweifelhafter Art, die bei uns im Ministerium ordnungsgemäß zu prüfen sein werden, ohne den abschließenden Bewertungen hier vorgreifen zu wollen, sind aus unserer Sicht die bestehenden Befugnisse für den Präsidenten rechtlich ausreichend und in dieser Form auch bindend, so daß eine Ausweitung in den Bereich verfassungsrechtlich fragwürdiger Bestimmungen käme, darauf muß ich bestehen, Ihnen diese Restriktionen vorzutragen, egal wie drängend der Moment oder die Lage aktuell auch sein mag oder mögen, ich hoffe, damit hilfreich sein zu können
BANZHAFImmer wieder erstaunlich, charakterlich
THURGAUDer Geisteszustand
BANZHAFDas Verständnis der Situation
PINSKMoment, meine Herren, Präsident Grotten, die Leitung steht jetzt
GROTTENKönnen Sie mich hören? Frau von Ade? Wo sind Sie denn alle?
SELCHHerr Präsident, Frau von Ade, die Leitung
PINSKDie Verbindung ist schwach
GROTTENEtwas lauter, was reden Sie denn da für ein Zeug?
SELCHDie Sympathometer schlagen noch zu wenig aus
GROTTENWas? Was soll denn das heißen? Was erlauben Sie sich, Selch!
SELCHEs ist zur Stunde zu gefährlich für Sie hier im Zentrum der Regierung
GROTTENFrechheit, Unsinn, ich komme sofort nach Hause, werde live sprechen zu meinem Volk
Die Angeklagten wurden dann gebeten, sich zu erheben. Präsident Grotten ist wegen Abwesenheit entschuldigt.
#
GROTTENIch dachte, ich höre nicht richtig, ich fragte nach, ich verzog keine Miene, ich wußte, daß ich gefilmt werde, und schaute ins Nichts, gefaßt, es gibt diese Urfreude in mir, angeschaut zu werden, das gehört sich nicht, ich weiß, das erheitert mich, ein Lächeln tritt auf mein Gesicht, das kann ich nicht verhindern, obwohl klar ist, daß es inadäquat wirkt, auch unsympathisch, gerade in ernsten Situationen, das ununterdrückbare Belustigtsein, daß ich es geschafft habe, von den Leuten als der Führende angeschaut zu werden, ihr Führer, öffentlich vorzuzeigen, ist falsch, aber verrückterweise, es funktioniert, die Leute sehen, wie ich den Ernst der Lage, von mir selbst belustigt, darstelle, und das gefällt ihnen, die von sich selbst belustigte Aufführung von Ernst ist genau das Richtige, der Nichternst, Heiterkeit, Erleichterung, die Nase geht ein bißchen hoch, und Puder, Quaste und Perücke, da bin ich, ja, wo ist die Rede, die ich halte, geben Sie sie her!
geduldig beugt sich der Dämon
über die nächtliche Stadt
SELCHJetzt, aber nur für kurze Zeit, könnten gewisse Korrekturen am Staatsgefüge, die schon lange überfällig sind, möglich sein, der Augenblick ist da, man muß ihn sofort nutzen, bevor die Lage sich wieder zu sehr klärt, ein neues Recht, ein starker Staat, der auch auf Krieg angemessen reagieren kann, wir brauchen dazu neue Kompetenzen in der Staatsspitze, gegen jeden Feind unserer Macht, das gilt für Feinde im Inneren des Landes, wie für jede Art von Angriff von außen, den exekutiven Organen kommen in diesem Fall von Staatsnotstand uneingeschränkte Rechte zu, zur Überwachung, zur Festnahme, zur Aussetzung der üblichen Garantien, das Militär, unsere Dienste, alle Organe der Staatssicherheit müssen als ausführende Gewalt dabei völlige Rechtssicherheit haben, das zum Schutz unseres Landes Notwendige veranlassen zu dürfen, auch die Justizbeamten, die diese Revolution textlich auszuarbeiten haben, alle, jeder soll wissen, daß das, wenn es auch notwendigerweise im Geheimen durchgesetzt werden muß, rechtlich richtig, vom Recht gedeckt und so auch von ganz oben, von hier, von mir so gewollt ist, haben Sie das, Pinsk
BANZHAFDie Texte sind fertig, sie müßten über das Justizministerium kommen, der nominell zuständige Beamte ist Oberjustizrat Kelsen, leider kein angenehmer Typ, engstirnig, arrogant, der paßt hier nicht, dabei gibt er sich betont skeptisch, wissenschaftlich, es ist bei ihm ähnlich wie mit Sebald, ein arroganter Legalismus, der einem auf die Nerven geht, der nächste Spezialist wäre Justizrat Schill, der Mann ist jung und ehrgeizig, gut zugänglich, vielleicht nehmen wir den, den kann man damit auch aufbauen und fördern
SELCHSprechen Sie ihn an, wir beauftragen ihn direkt
SCHILLWas kann ich für Sie tun, Herr Chefjustiziar?
BANZHAFSie können uns helfen, Ihrer Karriere auch
PINSKWir brauchen Ihre Expertise, und zwar sofort
SCHILLSehr schön, aber meine Karriere läuft eigentlich gut
SELCHFrau von Ade muß gesondert bearbeitet werden
BANZHAFDie wunderbare Frau von Ade, aber der Präsident hört auf sie, eine groteske Liaison, Thurgau könnte ihr vielleicht drohen, Drohen, Trösten, Schimpfen, Schlagen, wenig taugliche Varianten, Roon macht ihr Angst, aber Roon hat selber Angst, das ist unser Problem, wir sind von Angsthasen und Feiglingen umzingelt, das stachelt mich zusätzlich an, ich kann meinen Auftritt aber auch jederzeit zügeln
SELCHTun Sie das, was wollen Sie denn schon wieder, Pinsk?
PINSKGeheimdienstdirektor Thurgau bedrängt mich, Ihnen zu sagen
SELCHDann holen Sie ihn doch endlich herein!
BANZHAFUnd bestellen Sie mir Schill in mein Büro!
wie Höllenfeuer steigt unter ihm
der erleuchtete Nebel aus den Straßen auf
KELSENNun setzen wir ein mit einer Definition, die uns nach Deutschland, in die zwanziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts zurückführt, in die Situation einer Politologie, die zuerst nervös, dann hysterifiziert auf das politische Beben der damaligen Zeit nach dem Großen Krieg, dem später sogenannten Ersten Weltkrieg, reagiert hat. Es war das Jahrzehnt, in dem die Tragödie des ganzen Jahrhunderts zusammengesetzt und zum Brodeln gebracht wurde, eine Hexenküche, salopp gesagt, von Gift, Agonalität und Kreativität, in der die Essenzen von Güte und Menschenverachtung, in Reinform destilliert, miteinander in Kontakt und zur Explosion gebracht worden sind. Die Lebenswelt der großen Stadt, von der Literatur propagiert, wird für die Soziologie, die Philosophie und eben auch die Politologie zum Vorbild, nicht nur scharf und genau zu denken, sondern vitriolhaft, maximal zugespitzt, finalistisch. Auch die bürgerlichen Denker wollen jetzt plötzlich so unversöhnlich und zerstörerisch denken, wie wenige Jahre zuvor Lenin in Staat und Revolution. Und so kam es, daß ein hochtalentierter Spieler, Spießer, Mitläufer und Karrierist, der Staatsrechtler Carl Schmitt, mit seinen brillant dezisionistisch geschriebenen Studien, die eigentlich keine Analysen sein wollten, sondern Dekrete, Proklamationen, Texte der Wirkung in der Realität, wie es sonst nur Urteile im Gerichtsprozeß sind, zum einflußreichsten Denker, ja, irrerweise tatsächlich DENKER seiner Zeit, aufsteigen konnte, der alle anderen zwang, in seiner Begrifflichkeit zu denken, von ihr und von ihm unterjocht. Das sind die zwanziger Jahre, ein charakterlich schwacher Mensch, eher haltlos vom Naturell der Primärpersönlichkeit her, macht sich in seinen staatstheoretischen Texten zum unbesiegbaren, kriegerischen Typ, jeder Gedanke eine MG-Salve, jede Idee eine Schrapnellexplosion, jeder Einzelsatz, exponiert gestellt, eine niederrauschende Guillotine. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Falsch. Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus. Unsinn. Die spezifisch politische Unterscheidung ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Falsch, erst recht falsch, ganz im Gegenteil. Politik ist die Sphäre, die diese Unterscheidung aussetzt, wenn sie Rede, Verhandlung, Parlament und bürokratischen Prozeß der Machtzersplitterung und demokratiehaft durchwirkten Gesellschaftlichkeit des Politischen anstrebt. Und immer neu, wenn die Idee des Prinzipats, der Führung aus einer Hand, der Diktatur also attraktiv wird, was heute allerdings niemand mehr, auch kein Diktator, als eben dies bezeichnen will, kommt die gleiche Freude an der hysterischen Simplifikation mit auf, die vor fast einhundert Jahren die Komplikationen der Politik beseitigen, das Politische dabei zerstören wollte, um statt dessen Bürgerkrieg und Sieg in diesem Krieg als absolute Herrschaft zu errichten. Und so auch jetzt
THURGAUDa ist die Liste für die Verhöre, wir haben mit höchstem Druck
SELCHMich interessiert nur die Effektivität
FR VON ADEDie Maßnahmen sind hart an der Grenze
SELCHDer Präsident ist mit der Liste einverstanden
FR VON ADESie haben Schlafentzug, Sie haben Stehen, Hängen, es ist richtig, es handelt sich um Eingriffe, die den Körper des Verhörten betreffen, ohne dabei Wunden zu hinterlassen, das ist sicher nicht falsch, aber wenn Sie die Beschallung mit Lärm oder extrem lauter Musik dazunehmen, extrem helles Licht, das zu Boden Stoßen, das Hinstoßen an Wände, Hunger, Schläge, das soll ja alles erlaubt sein, Eingriffe in die Orientierung, ins Vertrauen, Scheinexekutionen
BANZHAFStop, Scheinexekutionen sind ausdrücklich verboten
FR VON ADEIch will mich als einzige all dem nicht verschließen, wenn wir uns sicher sind, daß es wirklich nur diesen Weg gibt, die Gefangenen im Verhör zur Aussage zu bewegen, ich habe von Justizminister Sebald anderes dazu gehört, die Spezialisten seiner Behörde berichten von genau gegenteiligen Methoden, auf Gespräche zu setzen, Vertrauen aufzubauen, Wissen, Kultur und Lebensumstände der Verhörten einzubeziehen, mit Freundlichkeit dabei vorzugehen
BANZHAFEs geht, Frau Sicherheitsberaterin, um die Sicherheit des Landes
FR VON ADEIhr Hohn ehrt mich, Herr Banzhaf, er trifft mich aber nicht, denn ich bin, wie gesagt, gar nicht gegen die vorgeschlagenen neuen, verbesserten Verhörmethoden, es geht mir nur darum, daß wir uns wirklich im Klaren sind darüber, in welche Nähe zum weltweit gültigen Folterverbot wir damit kommen, daß wir uns diese Entscheidung keinesfalls zu leicht machen dürfen, wenn wir eine solche Philosophie aus der Mitte des Lebens über die des Geistes stellen
BANZHAFWas hat denn das mit Philosophie und Geist zu tun!
SELCHWir werden den Staat, meine Herren, in eine robuste Verfassung bringen, damit er auf die neuen Bedrohungen effektiv reagieren kann, wir werden die Rechtsstellung des Präsidenten stärken, die gesamte Befehlskette verbessern, das gilt es jetzt umzusetzen, in der dazu nötigen Vertraulichkeit, mit Ihrer Unterstützung in den Ministerien und Behörden, unter Einbeziehung etwaiger Widerstände, gehen wir an diese ehrenvolle Arbeit, Volk und Vaterland zu schützen
Büro von Oberjustizrat Dr. Kelsen, assistierender Justizrat Dr. Schill kommt herein, eine Kladde in der Hand.
KELSENUnd das sind also Ihre berühmten Schwarzen Hefte
SCHILLGenau, das sind meine Schwarzen Hefte, finde ich schön
KELSENUnd da schreiben Sie das alles hinein, Ihre Fürchterlichkeiten
SCHILLWas mir so durch den Kopf geht, ja, so ist das
KELSENDas ist ja furchtbar, gar nicht schön
SCHILLEs sind doch nur Ideen
KELSENUmso schlimmer
SCHILLHaben Sie Präsident Grottens letzte Rede gesehen?
KELSENNatürlich, er wirkt immer noch angeschlagen
SCHILLDer Präsident flattert, wie kann das sein?
KELSENEr ist verwirrt, er will Stärke zeigen, er hat Angst
SCHILLAber das ist doch alles völlig falsch
KELSENEr will die Leute beruhigen, das ist richtig
SCHILLEr ist unsicher, er kann doch nicht unsicher sein
KELSENUnd Sie haben mit Banzhaf gesprochen?
SCHILLJa, vertraulich, mit Banzhaf, Pinsk war dabei
KELSENWas schlägt Banzhaf vor?
SCHILLEr schlägt ja nichts vor, er –
KELSENIch weiß, er ist immer sehr entschieden
SCHILLdenkt schnell und weiß genau, was er will
KELSENDas stimmt, womit wurden Sie konkret beauftragt?
SCHILLEs gehe um Rechtsmodifikationen, so hieß es, um schnell reagieren zu können, das betrifft Befehle, Waffen, Nachrichten, Prozesse vor Gericht, die ganze Kette des Handelns der Regierung, und von meiner Seite aus geht es vorallem darum, die Rolle des Präsidenten neu zu definieren und verfassungsrechtlich hinreichend robust auszuarbeiten, damit in dem Fall von Staatsnotstand, wie er durch den Krieg aktuell gegeben ist, dem Präsidenten umfassende Kompetenzen garantiert sind, die Details sollen, wie gesagt, vorerst vertraulich bleiben
KELSENAber wer redet denn von Krieg?
SCHILLAlle, jeder
KELSENIch nicht, dieser verfehlten Zuspitzung sollten wir uns widersetzen
SCHILLGut, vielleicht sprechen Sie selbst noch einmal direkt mit Selch
KELSENUnd Sie machen diese Ausarbeitungen, bis wann?
SCHILLDas Gutachten heute, morgen der Befehl, in drei Varianten
KELSENHat Minister Sebald Kenntnis von dem Auftrag?
SCHILLNein, er gilt als Pedant und Querulant, der stört
KELSENDas ist falsch, Sie müssen Sebald unbedingt informieren
SCHILLEs ist die Geheimanordnung von Banzhaf, von Selch veranlaßt
KELSENWir dürfen uns nicht derartig instrumentalisieren lassen
SCHILLGut, was schlagen Sie vor? Was ordnen Sie an?
KELSENEs ist einfach: Folgen Sie dem Recht
Dr. Schill lacht auf, wirft beide Arme in die Höhe, macht eine Verbeugung vor seinem direkten Vorgesetzten Dr. Kelsen, der die ironische Geste annimmt, und verläßt das Büro. Kelsen stellt den Ton seines bisher stumm geschalteten Fernsehers wieder an. Sondersendung, Kommentare, in endloser Wiederholung, die Opfer, die Retter, die Täter, der Terror. America is under attack. Tatsächlich reden vom ersten Tag an alle nicht nur von einem Angriff durch Terroristen, sondern ganz direkt und explizit von: Krieg. Der Krieg gegen den Terror hat sofort begonnen.
CHORUSEs war ein Angriff ohne Beispiel. Er traf Amerika ins Herz. Als die brennenden Türme in sich zusammensanken, ruhig, langsam, auch erschreckend schön, Hunderte von Menschen dabei aus dem Leben in den Tod gerissen wurden, wurde die Welt Zeuge des Triumphs einer vom Glauben an Gott erfüllten Idee
der Tod, der Tod, der Tod ist da
wann kommt Dr. Schnabel?
STIMMENna ná, na na náa
ohá, la la lá
PINSKEs ist interessant, man nimmt mich nicht ernst, hält mich für intrigant, gut, sage ich, wem das gefällt, mich so zu etikettieren, ich habe ein völlig anderes Bild von mir selbst, würde mich als genauen Beobachter sehen, empfänglich für Signale zwischen den Menschen, ich schaue mir an, was sich abspielt, sage wenig und registriere ununterbrochen, was im Raum da ist an heimlichen Wünschen, Kontakten, an Blicken, Berührungen, Gesten, dem wende ich mich zu, selber bereit, auch verschwiegenere Sehnsüchte zu erfüllen, all das ist im Reich der Affoiden, der ultranormalen Alphamänner, unter denen ich mich bewege, ein derartiger Affront, der auch einen so verrückten Idealisten wie Banzhaf dauerhaft irritiert, das beunruhigt diese Männer, Empfänglichkeit, da wird man dann irgendwie abqualifiziert, wo ich in echt doch nur – aber ah, da ist sie, da kommt sie, da schwebt sie verzaubert heran
MRS GROTTENPinsk, mein Guter, habe ich Sie warten lassen?
PINSKAuf nichts warte ich lieber als auf unser
MRS GROTTENSch sch, sch sch
PINSKOh ah, ja ja ja
STIMMENna ná, na na náa
ohá, la la lá
Kurz darauf betrat der Führer der SS-Wachmannschaften, RATTENHUBER, den Raum.
Schreie, Stille, Schreie
gefesselt, erniedrigt, Gequälte
BRAUMJe besser man die Leute behandelt, umso unverschämter werden sie, das ist leider die Erfahrung, und wenn es um wichtige Gefangene geht, wie bei Mahasim oder diesem Atta, wo Informationen abgeschöpft werden, an denen möglicherweise viele Hunderte oder gar Tausende von Leben hängen, Staatsbürger unseres Landes, die durch uns gerettet werden können, da legt man dann auch gewisse übertriebene Rücksichtnahmen ab, gerade weil klar ist, daß diese neuen Methoden der Befragung, richtig angewendet, höchst effektiv wirksam sein können, dann gießt man da das Wasser hinein in den, in sein Gesicht, und ich muß sagen, er tut mir nicht leid, es macht mir auch Spaß, wenn er dann, nachdem er fast erstickt ist, zu reden anfängt und die Informationen liefert, die wir brauchen, das tut er nämlich, er fängt zu reden an, ist so, sorry, ist Fakt
STIMMENja jaa, ja ja jaa
life is live, la la la, life life life
er haut sie
sie haut ihn
er haut ihn
sie haut sie
la la la
hau mich, du, hau mich
ich will nicht, du mußt
gib mir, sag, laß mich
hau hau hau, hau hau mich du
ah ah ah
hau mich, Haut
Lust mich mach, rede
nicht, schweig mich kaputt
kaputt
#
BRAUMGefällt dir? Film schön?
CINDYSchon, aber böse
BRAUMWillste denn auch mal?
CINDYWillst du denn?
BRAUMJa klar, la la la
CINDYGut, wenn du mich von oben
BRAUMVon hinten, du Nutte, hau rein
CINDYDas nicht, so nicht
BRAUMDu willst es doch auch
CINDYNur deine Liebe
BRAUMDann mach schon, los
CINDYWeiß nicht, ich kann nicht
#
Dann kam der Angeklagte auf die Situation im Sarkophag zu sprechen. Es sei alles viel weniger schlimm gewesen, als es später auf den Bildern ausgeschaut habe, sie hätten nachts wenig zu tun gehabt und sich gelangweilt und dort im Betontrakt für Sonderbehandlung gemeinsam mit den Häftlingen dann diese berühmten Spiele aufgeführt, Nacktspiele, Türme aus Leibern, Schreie, Hundegebell, am Menschenfleisch zu lecken, zum Spaß, Exkremente zu verschmieren, ein bißchen onanieren, ist das denn etwa böse? schon wieder so total verboten! Was? Und an der Scham der Wilden hätten sie sich alle, und übrigens die Wilden selber auch, die auch!, ein bißchen aufgegeilt, ja gut, schlimm, aber doch wohl: vielleicht auch ein bißchen menschlich, nicht so unbeschreiblich fürchterlich, wie später dargestellt im Aufschrei.
el eruptin enteral
perpeton vestalin
akro testabar hasteton
lobisat olfaktat
EVELiebste Sue, ich schreibe dir, weil ich dir erzählen muß, wie es hier im Lager ist, von Dingen, die nicht gut sind, auch nicht einfach zu erzählen, wir arbeiten hier in Nachtschicht, von vier bis vier, vier Uhr nachmittags bis vier Uhr früh, dauernd werden in dieser Zeit neue Gefangene gebracht, obwohl unser Trakt schon komplett überbelegt ist, dann geht es los mit den Behandlungen, die Gefangenen sollen von uns für die Verhöre bereit gemacht und vorbereitet werden, damit sie den Befragern weniger Widerstand leisten und besser befragt werden können, mach ihn bißchen locker, heißt die Anweisung der Befrager, die übrigens keine Uniform tragen, auch ihre Namen sollen wir nicht kennen, Leute aus den Geheimdiensten, auch von privaten Firmen, die ihre Wünsche äußern, keine Befehle, weil sie offiziell Befehle nicht geben dürfen, wen man sich als nächstes vorzunehmen hat, und dann werden diese Gefangenen, zum Teil sind das auch Jugendliche, fast noch Kinder, auch ziemlich alte Leute, alles, das sind keine Soldaten, illegitime Kämpfer heißen sie, da fällt alles darunter, auch Frauen, und die müssen von uns dann also weich gemacht werden, für das Verhör vorbereitet, angeblich wissen die Gefangenen von geheimen Plänen der Aufständischen, und diese Pläne sollen dann aus denen herausgefragt werden, zur Not mit Gewalt, es ist auch alles genau geregelt, was man machen darf und was nicht, allerdings werden die Regeln auch dauernd geändert, es ist verwirrend, meistens bin ich traurig, ich habe viel Sehnsucht nach dir, jetzt will ich für heute schließen, morgen schreibe ich mehr, ich bete, daß du mich in deinem Herzen trägst, wie ich dich in meinem, deine Eve
ephedrin muezin
marcomar versantin
perpeton vestalin
strophantin carbonat
Beton, Pfützen, Schmutz
das größte Gefängnis der Welt
Todeszelle. Der Gefangene wird vorgeführt, mit Stahlketten an Füßen und Händen gefesselt, eine Papiertüte über den Kopf gezogen. Der Folterer reißt ihm die Tüte vom Kopf, schreit ihm ganz aus der Nähe in das vor Angst starre Gesicht die Worte: du Nutte, du Ratte, du elende Null!
ATTAAh, ich
TRENCKMoment
BRAUMWas denn, was ist?
TRENCKDas ist doch Atta
BRAUMJa klar, ja und, ja eben
ATTAIch rede, ich weiß nicht, ich bitte
BRAUMDer kriegt heute richtig
TRENCKHat der denn heute überhaupt Plan?
BRAUMIst doch egal, der Plan bin ich
TRENCKAlso genehmigt
ATTABitte nicht, heiliger Gott, nicht schon wieder ich
BRAUMAuch noch frech werden, was? Cindy! Komma her!
CINDYJa, da, was ist?
BRAUMMach mal! mach den mal vorne voll
CINDYOben? unten? hinten? wo?
ATTAHeilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder
CINDYWillst du Schwanz lutschi?
BRAUMLeg dich hin, du Stricher, auf den Bauch!
#
Was haben Sie von dem Vorfall
selber mitbekommen?
Man hat eigentlich nichts gehört und wenig gesehen, zwei Befrager hatten Taschenlampen dabei, es war Nachtschicht, gegen zwei, halb drei, draußen war es noch dunkel, ich ging hinter Braum her, sie hatten uns gerufen, wir waren im Chillout gesessen und hatten Videos angeschaut, wir gingen durch die erleuchteten Gänge von Trakt IV, wo Zivilisten und Neuankömmlinge nach der Erstaufnahme untergebracht sind, hinüber in den Bunker vor Trakt A, dort sind die Verhöre, in den Zellen dort sind die Gefangenen, die kriegswichtiges Wissen haben, um dieses Wissen geht es in den Verhören, die Leute vom Geheimdienst haben uns gelobt: Ihr müßt sie demütigen, ihr macht das gut, es ist Krieg, draußen in der Stadt sterben unsere Leute, das Gefängnis selber wurde auch beschossen, fast jede Nacht, die Verhältnisse waren bestialisch, die Hitze, der Gestank, die Detonationen, dauernd Angst.
Welchen Auftrag bekamen Sie
dann dort und von wem?
Im Bunker waren die Lichter an den Decken ausgeschaltet, man hörte die Ventilatoren der Klimaanlage rauschen, aus den Verhörzellen weiter hinten kamen manchmal Rufe, auch Schreie, wir wurden von den Befragern, die Jeans trugen, dann eingewiesen und bekamen den Gefangenen Atta zur Behandlung für die nächsten zwei Stunden zugeteilt, danach sollte er wieder verhört werden, wir sollten ihn für diese zweite Verhörrunde etwas auflockern, auflockern, wiederholte Braum, sehr gern, die Befrager gingen weg, und Braum schaute mich an, gehen wir rein, sagte er und zeigte auf die Zelle, wir schlagen ihn einfach tot, das sagte er wahrscheinlich, um mich zu erschrecken, dabei fuchtelte er mit dem Lichtstrahl seiner Taschenlampe durch das Gitter ins Zelleninnere, wo hinten in der Ecke der Gefangene auf den Boden gekauert saß und mit angsterfülltem Blick in unsere Richtung schaute, dieser Blick, von dunklem Haar umgeben, erregte mich, stärker als der Porno, den wir gerade gesehen hatten, Braum ging rein, ich hinter ihm, sein massiger Rücken bewegte sich im Dunklen vor mir auf und ab, ich hatte jetzt richtig Lust.
Welche Lust meinen Sie,
Lust worauf?
Auf die Behandlung, man merkt ja, daß diese Leute geschlagen werden wollen, aber wir schlagen sie nicht, wir reizen sie, wir stoßen sie rum, wir langen sie an, die wollen dann beten, aber wir lassen sie nicht beten, auch die Bilder, das Blitzlicht, die Dokumentation der Behandlung, das sind alles psychische Dinge, die Erniedrigung, das Brechen des Willens, die Entkernung der Leute, das sind ja Terroristen, stolze Männer, mit einem unglaublich aufgeblasenen Ego, da läßt man dann schon ziemlich brutal die Luft raus, und man selber triumphiert, das ist einfach ein irrer Kick, gegenüber diesen Bergen von nacktem Fleisch von Männern, die sich da vor einem winden am Boden und winseln wie Hunde, eigentlich ist das alles eine ganz natürliche Sache, die mit dem Bösen, wie man meint, viel weniger zu tun hat als mit der allerdirektesten Lust, dem Spaß am Leben, deswegen paßt das so gut zum Krieg, in der Situation ist einem das alles völlig klar, danach natürlich nicht mehr, da wirkt das, auch auf einen selber, völlig irr, gestört, kaputt, ich verstehe, daß die Leute sagen: und das sollen wir sein? unser Land, unsere Werte? Nein, das ist völlig klar, daß man da von draußen sagt, das ist kaputt, das war KAPUTTEREN, aber Folter? die ham ja alle mitgemacht.
Und du? was denkst du
über die Unsterblichkeit der Seele?
#
CINDYOder rein stecki, von hinten, mit Flasche?
BRAUMSpring ihm ins Kreuz, er hat es verdient
ATTAAh aua, ich
BRAUMMach mal Foto, Eve, da zuckt er so schön
EVEMit dir oder mit Cindy?
BRAUMTrenck! komm her, du auch
TRENCKLaß mal
ATTAJetzt und in der Stunde unseres Todes
EVEAmen
CINDYWas betet der da?
TRENCKIch glaub, es reicht, ich geh dann mal
BRAUMMir reichts noch lange nicht
ATTAIn deine Hände, oh Herr
BRAUMHör auf zu beten, sonst hau ich dich platt
EVEWieso, ist doch schön, was er da sagt
BRAUMUnd jetzt rauf auf die Kiste, rein in den Poncho
CINDYUnd wieder Strom, für Elektroaktion
ATTABefehle ich meinen Geist
Todeszelle. Schreie, Wimmern, Lärm der Körperteile, wie sie aufeinanderprallen, es klatscht, der Kopf ist eine Melone, die auch aufspringen kann, wenn die stumpfe Gewalt dagegen zu groß ist, es kracht auf schlimme Art, die Täter erschrecken, der Gefangene stürzt bewußtlos in sich zusammen. Tot? Der Folterer schreit: Und jetzt auch noch hier Scheiße bringen! Was! Dabei tritt er mit seinem Springerstiefel dem Gefangenen ins Gesicht, der Kopf, es kracht, oh, ah, Moment. Der Vorhang fällt.
Der Vorhang hebt sich, Büro von Justizrat Dr. Schill, die Szene Sarkophag wird wiederholt, Bild und Ton, Text und Taten, Schill schaut zu.
SCHILLJa gut, das sind die Bilder
BRAUMLeben geht schon noch, Blut läuft
EVEVielleicht doch ein Fall fürs Krankenhaus
BRAUMHau ihm nochmal ins Gesicht
CINDYWach auf, stinkende Ratte
SCHILLNicht schön, nein, wobei
BRAUMSonst mach ich dich endgültig platt
CINDYTritt ihm in den Bauch
BRAUMMach du, dann ich
CINDYSteh auf, Drecksau, tote
SCHILLHaben Sie mal Machiavelli gelesen?
EVEEr schlägt ihn da
BRAUMSie da, ich da
CINDYEr tritt ihm ins Gesicht
BRAUMSie schlägt ihn richtig weich
SCHILLBacon, Hobbes, de Sade? sich näher mit dem Kokain beschäftigt, dem Sadomasochismus, der Gewalt, wenn alle einverstanden sind?, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man sich mit dem gesunden Menschenverstand normalerweise nicht unbedingt richtig vorstellen kann oder auch nur vorstellen möchte, aber was heißt da schon gesund?, auf diese Fragen müßten die Zeugen dieser Schrecklichkeiten vielleicht doch hingewiesen werden, sozusagen phrophylaktisch
Oberjustizrat Dr. Kelsen steht in der offenen Tür im Hintergrund und beobachtet, wie Dr. Schill auf das reagiert, was sie beide sehen, tritt dann ins Zimmer.
KELSENHaben Sie das gesehen
SCHILLNatürlich, schrecklich
KELSENWas sagen Sie dazu?
SCHILLGut, was soll ich sagen?
KELSENDas kann doch nicht erlaubt sein
SCHILLAber wer erlaubt denn so etwas?
KELSENDer von Ihnen geschriebene Geheimbefehl
SCHILLNein, ganz falsch
KELSENDie von Ihnen gegebene Definition
SCHILLWir sagen ja eindeutig: keine Folter
KELSENUnd erlauben damit diese Exzesse von Gewalt
SCHILLDas ist nicht korrekt, das ist falsch
KELSENPhysische und psychische Gewalt
SCHILLSie interpretieren den Text falsch
KELSENDas ist nicht meine Interpretation, sondern die der Wirklichkeit
SCHILLGut, wenn das wirklich so ist, was schlagen Sie vor?
KELSENSie müssen Ihre Analyse sofort revidieren
SCHILLAber der Befehl ist längst unterschrieben
KELSENWir werden wegen dieser Dinge alle ins Gefängnis gehen
SCHILLDas glaube ich nicht, wir sagen ja ausdrücklich: keine Folter
KELSENNicht was wir sagen, ist entscheidend, sondern was geschieht
langsam, fahl und finster
Qualen, Ängste, Schuld
Lagerleiterin General DARKOVA geht in ihren SS-Stiefeln, ihrer schwarzen Lederuniform, eine Reitgerte in der rechten Hand, die linke hinten auf den Rücken gelegt, im Generalgefechtsstand auf und ab, mit der Reitgerte schlägt sie wie automatisiert gegen ihre Stiefel, während sie redet, schlägt gegen die Möbel, auf den Tisch, pa! pa! zsch!
DARKOVAAls General müssen Sie auch Scharlatan sein können, das ist Napoleon, kann auch sein Clausewitz oder Hitler, die Hauptkampfhandlungen sind jedenfalls beendet, die Revolution ist da, jetzt wird der Staat hier völlig neu errichtet, from scratch, und wir sind dabei in diesem großen Augenblick und werden später einmal sagen können, daß wir dabeigewesen sind, das sind erst einmal die grundlegenden Fakten, nun haben wir hier Probleme des Alltags, das will ich nicht verschweigen, zwischen den Wachmannschaften und den Agenten der Dienste, die in der Ordnung des Befehlens außerhalb der militärischen Struktur stehen, da kommt es zu Konflikten, Reibereien, teils sind das Mißverständnisse, teils Schludrigkeiten, selten auch böse Absicht, und meine Aufgabe als Chef des ganzen Lagers ist es dann, hier moderierend einzugreifen, und so sieht das aus: Dienstplan-Besprechung, Gespräch Strategie, bestelle Kommando, empfehle Klage, Beschwerdebefehl
sie zeigt auf ihre Geige
sie zeigt den Helm, den Busch
DARKOVAMan kann nicht sagen, daß es wenig Arbeit wäre, aber es macht Spaß, die Herausforderung ist gigantisch, klar, aber das ist der Mensch, die Mission, die Überzeugung, das Richtige zu wollen und zu tun, die beste Gesellschaft der Welt, die den zurückgebliebenen Ländern unsere idealen Herrschaftsformen bringt, ob das jetzt Diktatur heißt, wie damals in Deutschland, was abgeschafft wurde, oder Demokratie, wie heute bei uns, ist eine Frage für Spezialisten der Politologie, da halte ich mich als Praktiker des Militärischen – Moment, ich höre Schreie, von draußen, aha, ja, das gibt es, da muß man dazusagen, das ist auch nicht ganz selten, nein, solche Schreie sind unter den gegebenen Bedingungen natürlich nie völlig zu vermeiden, aber Schreie dieser Art, solche Schreie, wie jetzt hier
Schreie, Stille, Schreie
leise, alt, gestört
DARKOVAWas man da hört, so ist es doch selten, daß es derart fast ins Tierische geht, das klingt nicht gut, muß man sagen, das klingt nach Todesangst, das ist dann schlecht, das dürfte so nicht sein, solche Schmerzensschreie einer gequälten Fleischlichkeit, im Übrigen, muß man auch sagen, ist das natürlich dann auch verboten, daß solche Schreie vorkommen, wogegen man auch etwas unternehmen müßte, ja, hat dann wohl doch aufgehört, gottseidank, ist auch besser so
sie hält inne, lauscht, pah
schlägt mit der Peitsche auf den Tisch
DARKOVAUnd wenn dann die Stunden und Gedanken ineinander übergehen, auch das gehört zur Wahrheit dieser Stelle, an die man hinbefohlen ist, hier im Sarkophag, von oben, da kommt auch keine Antwort, das will auch keiner hören, die Stille, das macht einem manchmal mehr Angst als die Schreie, wenn es plötzlich still wird, ganz still, dann ist vielleicht etwas passiert, was nicht passieren hätte sollen, unschön, schlimm, vielleicht sogar richtig schrecklich, vieles, wo man sich fragt, ob Gott das wirklich sieht oder vielleicht doch nicht genau genug bedacht hat, bei der sogenannten Erschaffung der Welt, aber der Mensch hofft, heißt es doch, solange er lebt, egal wie schlaflos, kaputt, von noch kaputteren Verhältnissen gar nicht zu reden, da hilft dann auch oft Lektüre nichts mehr, ohne daß man den Mut bei alledem aber trotzdem: auch nicht sinken lassen dürfte oder wollte, daß alle da draußen, wenn es die überhaupt noch gibt, das auch mal wissen, wie es hier ausschaut bei uns, American Tapferkeit, General Darkova, ich grüße die Welt
gebrüllte Befehle, Gestank
das größte Gefängnis der Welt
STIMMENna na, na na naa
life is life, live is life
la la, la la laa, weee –
are the champions
we – are the champions
even though I walk throughthe valley of the shadow of death
BUSH, 9/11
wer sind denn diese Wilden
die Menschen essen?
wo wohnen die? was denken sie?
was glauben die denn, wer sie sind?
BANZHAFSlevogt, Svengast, Schulze, Rom
PINSKVerzeihung, wie sagten Sie bitte?
BANZHAFDer Verteiler für die Rede
PINSKAch da, Drusil, Anselm, Wensor, Klimt
SELCHHat Grotten die Rede jetzt bekommen?
BANZHAFEr hat das Gefühl, er hätte sie selbst geschrieben
PINSKEr hat sie seiner Frau sogar schon vorgetragen
BANZHAFWoher wollen Sie das denn wissen, Pinsk
SELCHUnd wie ist es mit den neuen Bildern?
BANZHAFFür Fortgeschrittene, leider
PINSKDie letzten sind noch in der Nachmontage
SELCHDann kann Thurgau sie morgen in der Morgenlage zeigen
Schwarzblende, Stille, Verdacht, Lüge, Krieg. Über der Hinterbühne fällt der Vorhang, dann rauscht der Vorhang wieder hoch, der nächste Akt, ein neuer Tag, der Kriegsrat tritt zusammen, Zitadelle Zitadelle, Zitadelle Kabinett.
SELCHDer Tag der Macht, Pinsk, da lang
PINSKGnädige Frau, meine Verehrung
FR VON ADEGuten Morgen, Herr Privatsekretär
SELCHIm Königreich der Nacht, kurz Stille
BANZHAFEin Komplott von Lumpen und Betrügern
FR VON ADEHerr Chefjustiziar, wie bitte?
BANZHAFDes Teufels Sekretär, sie sagt nichts mehr
SELCHUnd Finsternis regiert, der Tod, nicht wir
FR VON ADEDas sind starke Thesen
PINSKPolitik, Frau von Ade, politische Theorie
ROONAh, da kommen sie, die finsteren Füchse, die Herren Verschwörer
PINSKVor lauter Schlauheit immer in Angst vor der Schlauheit der anderen
BANZHAFHerr Kriegsminister, die Totentafeln des heutigen Morgens
SELCHUnd wer reißt das Maul wieder am weitesten auf?
ROONAber der Löwe bin immer noch ich
FR VON ADESoll man sich davor jetzt fürchten?
SEBALDIch nehme gerne noch eine von diesen köstlichen Mozartkugeln
BANZHAFAuch mit Ihnen, Sebald, ist der Präsident wenig zufrieden
SEBALDWas? Was reden Sie denn da! Ich habe erst gestern mit Frau von Ade
BANZHAFJa eben, über Frau von Ade, nein nein, so geht das nicht
ROONIch spuckte ihr nicht ins Gesicht, ich küßte ihr nicht die Füße, sie schaute mich länger an als erlaubt, aber ich reagierte nicht, ich schaute in ihre Richtung, aber durch sie hindurch, sagte nicht nichts, sondern an niemanden gerichtet: so so, sie senkte den Blick, sie sollte sich verachtet fühlen, bevor irgendetwas für sie Verstehbares geschehen wäre, ich ging auf sie zu, ohne sie anzusehen, sie wartete, wollte selbst auch auf mich zugehen, sah aber, daß ich sie umrennen würde, und wendete sich, um mir auszuweichen, rückwärts zur Seite, ich schaute nach hinten und trat gleichzeitig in genau den Raum ein, wo eben noch sie mit ihrer Brust gewesen war, und schrie, als ich mich von ihr abdrehte, ihren Namen ins Nichts: Frau von ADE!
BANZHAFMänner mit spitzen weißen Kapuzen, Herr Justizminister –
ROONWollen Sie mal wissen, wie Folter jetzt definiert ist, offiziell!
BANZHAFstehen im Garten und heben eine Grube aus
SEBALDSo billig geht das nicht mehr, mit dem Angstmachen
SELCHUnd wer kommt da hinein?
BANZHAFDer Herr Justizminister etwa, ganz allein?
PINSKAchtung, da ist er, Grotten, sein Auftritt
FR VON ADEHerr Präsident! Guten Morgen
SELCHBitte nehmen Sie Platz, meine Herren, Pinsk!
PINSKHerr Vizepräsident!
SELCHSie können Präsident Grotten dann kommen lassen
PINSKPräsident Grotten, kommen lassen, sehr wohl
STIMMENwe are the champions
la la, la la laa, na na, na na naa
GROTTENGehen wie ein Dummkopf, reden wie ein Depp, das mögen die Leute, sonst noch was? Komme dazu, Besprechung, Verachtung, Befehl, zeige Führung, macht Schwanz hoch, Kopf steht, Rede, rede nicht laut, aber WIE, wie ich rede, WIE ich jovial bin, das wirkt so gut ja nur, weil ich insgesamt am Boden dieser EINEN Anweisung stehe: sind Sie morgen in Ehren entlassen, oder in Unehren, je nachdem, können Lose verkaufen, Reiher verkünden, Wichte ansagen, alles, egal, aber weg, dieses: weg, weg mit dem, weg da, WEG! Das ist schon sehr wichtig, das ist ungemein hilfreich im Alltag
STIMMENwe are the champions
ba, ba ba baa, la, la la laa
GROTTENSo, ich will dann, Kamera steht, wir können. Aufbau, Tisch, Flagge. Maske und Kothurn. Sonst noch was? Wille, Blick, fit. Los jetzt, ihr Deppen
Kamera läuft, Ton ab, was?
Ton ab, Kamera läuft, und bitte
GROTTENDer Fürst spricht. Ich, Präsidentikus, Führer, Kaiser und Gott, befehle. Du sollst die Bösen, die uns angegriffen haben, jagen, überall auf der Erde, in keinem Winkel soll ein Böser sich noch versteckt halten und sicher fühlen können, in Höhlen, Palästen, Dschungeln und Wüsten sollst du sie suchen und finden, sie aus ihren Erdlöchern und Kanalrohren herausziehen, aus ihren Burgen und Sicherhäusern, den Bunkern und Hochsitzen, aus ihren Betten wirst du sie reißen und sie von ihren Eßtischen wegholen, du wirst sie packen mit eiserner Faust, an den Haaren, den Füßen, am Kopf, an der Hand, nimm sie und wirf sie zu Boden, wirf sie so schlimm zu Boden, daß sie im selben Moment wissen, daß sie von dort unten nie mehr hoch kommen werden in ihrem Leben, daß sie im Dreck dieser Erde liegen für immer, und diesen Dreck in ihren Mund hineingesteckt bekommen, bis sie nicht mehr können, reden und sich verraten werden, bis sie verrecken, davor sollst du sie aber lange Zeit und viele Jahre in grausamen Kerkern gefangen halten, anschwarzen Orten, in dunklen Löchern, dort quälen und verhören, sie befragen und beschimpfen, sie schlagen, erniedrigen, ertränken und töten, aber nur fast, die Angst, wieder ins Gesicht geschlagen zu werden, soll größer in ihnen sein als der letzte Wille ihrer Kreatur, doch noch weiter leben zu wollen, sie sollen Qualen der Seele erleiden, die kein Böser sich böser erträumen könnte, Elend, Hunger, Haß auf Nahe, Freunde, und die Anbetung der letzten Ratte, die du werden sollst, die sie beherrscht und erniedrigt, quält, schlägt, bepißt und beschimpft, immer wieder, so schlimm, wie du kannst, soll sie so zwingen, selbst zur noch niedereren Ratte zu werden, in ihrer Verehrung für dich, ihren Peiniger, so daß sie sich selbst am meisten verachten müssen, weil sie zu schwach sind, dich zu verachten, weil sie gezwungen sind, dich zu verehren, bis du ihnen schließlich, abends, wenn dir danach ist, in ihr Gesicht, das vor Durst fast am Sterben ist, hineinscheißen wirst, die Scheiße ihnen mit deinem Stiefel in ihren Mund hineintreten und in die Nase hineinstecken wirst, und das wird das einzige Essen und Trinken gewesen sein, das sie, weil sie Böse sind, die uns angegriffen haben, an diesem Tag zu essen und zu trinken bekommen haben werden, aber das wissen sie noch nicht, denn du wirst ihnen sagen, daß sie dir danken sollen für die Scheiße, die du auf sie darauf geschissen hast, um ihnen so zu essen zu geben, und nachdem sie dir im Liegen mit letzter Kraft gedankt haben werden, wirst du ihnen befehlen aufzustehen und zum Essenholen zu kommen, und wenn sie dann, hungernd und dürstend, vorallem von Durst gequält, vor der Wand mit der Essensnische stehen und dort hingehen wollen, um sich das Essen aus der Nische herauszunehmen, wirst du sie von hinten mit aller Gewalt gegen diese Betonwand schleudern, so fest, daß ihr Gesicht neben dem Essen in der Nische auf dem Beton klatschend aufschlägt, sie aufschreien vor Schmerz, Enttäuschung, Wut, zu Boden stürzen, von wo du ihnen mit einem saloppen Hopla aufhelfen wirst, da gehts lang, und in dem Moment, wo sie den mit Pisse gefüllten Trinkbecher zu ergreifen meinen, wirst du sie wieder, mit dem nächsten Hopla, mit aller Gewalt von hinten an die Wand hinsto