Las Vegas - Mario Puzo - E-Book

Las Vegas E-Book

Mario Puzo

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Beschreibung

Mörderisches Spielfieber in Las Vegas! Gangster, Callgirls und Zuhälter, Sänger, Tänzer und Magier – sie alle bevölkern Las Vegas, die schillernde Stadt in der Wüste von Nevada. Was sie verbindet, ist der Traum vom schnellen, leicht erworbenen Reichtum und Glück. Las Vegas, das ist die amerikanische Metropole des Glücksspiels – gegründet und erbaut von Beauftragten der Mafia und des New Yorker Gangstersyndikats. Glückliche und erfolglose Spieler kommen aus allen Ländern der Erde hier zusammen. Mario Puzo, Autor des Weltbestsellers "Der Pate", entwirft in diesem atemlos fesselnden Roman ein ebenso spannendes wie funkelndes Kaleidoskop dieser bizarren Stadt, ihrer fiebrigen Atmosphäre und der bunt zusammengewürfelten Menschen, die sie bevölkern.

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Mario Puzo

Las Vegas

Ins Deutsche übertragen von Peter Diem

Edel eBooks

Einleitung

Schlechte Verlierer haben das Glücksspiel in Verruf gebracht. Seit Jahrhunderten. Schlechte Gewinner haben die Sache noch schlimmer gemacht. Frech behaupten sie, ihr Erfolg sei der Liebe Gottes zu verdanken, aber dann gehen sie hin und geben ihren ganzen heiligen Glücksgewinn für Schnaps, Huren und noch mehr Hasardspiel aus.

Dann gibt es da die moralisierenden Kiebitze: Sozialreformer, Kirchenmänner, Wirtschaftspolitiker und Theoretiker, auch Philosophen und Psychiater. Die Verdammung des Glücksspiels ist nahezu einhellig.

Und endlich gibt es die natürlichen Risiken des Spielens. Gezinkte Karten, falsche Würfel und teuflische Schiebungen bei den sonst doch so ›heiligen‹ Sportwettkämpfen.

Nimmt man all dies zusammen, so ist es erstaunlich, daß die Spielleidenschaft noch immer im Herzen der Menschen zu Hause ist. Doch die Wahrheit lautet, daß Spielen eine Art religiöser Urinstinkt unserer Spezies ist!

Der überkluge Mensch der modernen Zeit gibt sich einem primitiven Götzendienst in Form einer besessenen Selbsttäuschung hin, bei dem die Götzenbilder die Rouletteräder, lustig bemalte und rituell numerierte Spielkarten und Würfel aus Plastik sind, die vor Äonen aus den Knochen der Dinosaurier und Antilopen geschnitzt worden waren.

Mehr als jede andere menschliche Leidenschaft ist das Glücksspiel seit jeher ohne jede Milde, ohne jede Entschuldigung als Laster verurteilt worden. Trinker gelten als tragisch oder romantisch, Mörder als interessant. Den Vielfraß und den Casanova läßt man noch gelten, weil sie für ihr Geld doch wenigstens etwas bekommen. Den Politikern und den Geschäftsleuten, diesen Todfeinden des menschlichen Geistes, applaudiert man als Dienern und Baumeistern unserer Gesellschaft. Aber den Spieler verachtet man, halten doch die meisten Menschen das Spiel für ein törichtes Laster: Der Spieler wirft sein Geld zum Fenster hinaus.

Warum glaube ich dann, daß gerade das Glücksspiel meinen Charakter gebessert, mich vor dem Gefängnis bewahrt und mir geholfen hat, meine fünf Kinder auf recht angenehme Weise und, wie ich meine, nicht ganz erfolglos großzuziehen? Nun, weil das Spiel mir geholfen hat, meine Ehe dreißig Jahre zu erhalten, dadurch, daß ich von ihm so sehr in Anspruch genommen war, daß mir keine Zeit blieb, anderen Weibern nachzulaufen, und ich mich zu schuldbewußt fühlte, um es meiner Frau und meinen Kindern übelzunehmen, daß ich sie erhalten mußte. Das Spiel hat mich in Schulden gestürzt und mich dadurch gezwungen, mehr zu schreiben, und es hat meine Gesundheit gestärkt, indem es mich nötigte, Tennis in den Glücksspielorten zu lernen, um so den Spieltischen wenigstens etwas fernzubleiben.

Dies ist ein Buch über Las Vegas. Es zu schreiben, wurde ich doch wohl ausgewählt, weil ich im Rufe stehe, ein ›unheilbarer‹ Spieler zu sein. Schreibe ich also über Las Vegas, so geht dies nicht, ohne ein wenig persönlich zu werden. Über die erstaunliche ›Geburt‹ und Entwicklung von Las Vegas kann man nur berichten, wenn man auch über das Glücksspiel, wie es seit Anbeginn der Geschichte existiert, schreibt, über die Niedertracht, die es in das menschliche Herz gesät, und die Tragödien, die es bei ungezählten Millionen verursacht hat. Was aber sonst unerwähnt bleibt, das sind der Trost und die Freude, die das Spiel ebenso vielen Menschen bedeutet, die sonst in Welten ohne Hoffnung leben – womit man sich abfinden kann – aber auch ohne Träume, die für unser Leben unentbehrlich sind.

Dies soll keine Rechtfertigung des Glücksspiels sein. Auch keine Verherrlichung von Las Vegas und seiner Spielkultur. Aber es ist ganz gewiß auch keine moralische oder soziale Verurteilung. Es ist lediglich die Erkenntnis, daß der Spieltrieb einer der Urtriebe der Menschheit ist. Gewiß verursacht das Spiel eine Menge Leid – das tun aber auch der Krieg, der industrielle Fortschritt, die organisierten Religionen und die Sexualität. Was aber besagt das schon? Vielleicht wären wir wirklich ohne das Spiel glücklicher, doch solch ein Gedanke ist völlig irrelevant. Wir können das Glücksspiel nicht mehr loswerden. Und da ist und bleibt der beste Ort, sein Geld zu verlieren, eben Las Vegas.

Um aber einigermaßen ehrlich zu bleiben, wird dieses Buch auch zu erklären versuchen, warum die Menschen das Spiel so lieben; warum es so vielen Leuten das Leben erträglich macht und warum – obwohl man auf die Dauer stets der ›Verlierer‹ ist – doch die kurzfristigen Gewinne es für alle so verlockend machen, den ›unheilbaren‹ Spieler ausgenommen.

Las Vegas selbst ist der große Wettgewinn, das erlebte Mirakel. Ein Akt des Glaubens, wenn auch vielleicht einer des Teufels. Nichts rechtfertigt die Existenz dieser Stadt da draußen in der einsamen Wüste von Nevada. Aber die vielen Megawatt seiner Neonlichter erleuchten einen Ort, der das Mekka für Millionen von Menschen ist. Sie kommen, um zu spielen, und hoffen auf Wunder. Dabei freilich wird dieses Buch ihnen nicht helfen.

IWildnis und Neonlicht

Die Fahrt der ›Mayflower‹, die auslief, um die Neue Welt zu kolonisieren, wurde durch eine Lotterie in England finanziert. Soviel über Amerikas puritanisches Erbe.

Einer der zwölf Apostel wurde durch das ›Los‹, also durch eine Art von Lotterie, ausgewählt. Es war aber nicht etwa Judas.

Von George Washington wissen wir, daß er nie log. Aber er hasardierte mit allem, überall und jederzeit. Die Nacht, in der er über den Delaware setzte, um die Hessen zu überfallen, war vielleicht die einzige Nacht im ganzen Revolutionskrieg, in der er nicht Karten spielte oder würfelte. (Dennoch hielt er das Spiel für ›schlecht‹, denn in einem Armeebefehl untersagte er den einfachen Soldaten das Glücksspiel.) Die berühmten Universitäten Yale, Harvard und Dartmouth wurden mit Geldern aus Lotterien errichtet. Dasselbe gilt für die ersten Kirchen der Puritaner in der Neuen Welt und für die ersten Schulen und Brücken. Die Revolutionsarmee, mit der Amerika seine Unabhängigkeit gewann, wurde ebenfalls aus Lotterien finanziert.

Diese Tatsachen führe ich einfach deshalb an, um zu zeigen, daß das Glücksspiel kein widernatürliches Laster, die Stadt Las Vegas – so hoffe ich doch – keine Erfindung des Teufels und auch nicht unamerikanisch ist. An der Meinung, Las Vegas sei die rohe, geldgierige Hauptstadt des Sex und der Sünde, vulgär in seiner Architektur und Atmosphäre, läßt sich ohnehin nichts ändern. Und zwar, weil das Gegenteil zu schwer zu beweisen ist. Dies ist einfach ein Buch über Las Vegas als der Traumwelt des Genusses, die einen Urtrieb der menschlichen Natur befriedigt.

Es gilt der alte Satz: Alles zu seiner Zeit. Es gibt eine Stunde für Champagner und eine für Coca-Cola; eine für französische Küche und eine für Pizza; für James Joyce und für Agatha Christie; eine für Wollust und eine für echte Liebe. Einmal zieht man sich für zwei Wochen in ein Kloster zurück, und ein anderes Mal steht einem eben der Sinn nach drei wilden Tagen in Las Vegas mit Glücksspiel, Saufen und leichten Mädchen. So ein Buch über Las Vegas kann also nicht schaden. Und wer weiß – unter Umständen kann man Weisheit ebenso durch Hingabe an das Laster wie durch Übung der Tugend erwerben. Vielleicht lernt man gerade daraus ein wenig.

Um zum Kern zu kommen, zuerst einige grundlegende Tatsachen. So sehr ich Las Vegas liebe, muß ich doch gleich sagen, daß es keine Chance gibt, nach längerem Aufenthalt diese Stadt als Gewinner zu verlassen. Es ist einfach so, daß der prozentuelle Hausvorteil oder edge, wie wir Spieler ihn nennen, durch ehrliches Spielen nicht aufgeholt werden kann. Ich will damit nicht sagen, daß die Kasinos von Betrügern geführt würden. Im Gegenteil. Kasinos sind die ersten ehrlichen Spielstätten in der Geschichte der Menschheit – und das Glücksspiel ist so alt wie unsere Zivilisation.

Dieses Buch ist also keine Anleitung zum Gewinnen. Es gibt dafür keine Methode, kein System. Es will Ihnen nur zeigen, wie man sich in Las Vegas nicht umbringt. Und das ist im Grunde ganz einfach: Unterschreiben Sie niemals einen Schuldschein. Stellen Sie prinzipiell keinen Scheck aus, sondern spielen Sie bloß mit dem Geld, das Sie in der Tasche haben.

Sicherlich werden Sie auch das eine oder andere Mal gewinnen, vielleicht sogar fünf-, sechs- oder siebenmal hintereinander. Aber schließlich wird alles wieder weg sein. Denken Sie daran, daß eine Pechsträhne weitaus tödlicher ist, als eine Glückssträhne nützlich sein kann. Das ist eigentlich alles, was Sie über Las Vegas wissen müssen. Später werden wir uns ein wenig mit Systemspielen beschäftigen. Da wünsche ich viel Glück.

Erinnern wir uns, daß Las Vegas vor dreißig Jahren noch eine Kleinstadt war, in der es einige Spielkasinos im Wildweststil gab, in denen man mit einem Gewinn von fünfzigtausend Dollar die Bank sprengen konnte. Heute ist Las Vegas eine Großstadt mit einem riesigen Komplex von luxuriösen Kasinohotels im Wert von etwa einer Milliarde Dollar, der jährlich an die zwei Milliarden Dollar Gewinne auszahlt. Vergessen Sie aber nie: Das Geld, mit dem diese Milliardenanlage errichtet worden ist, stammt aus den Taschen der Verlierer.

Nachdem wir diese Dinge einmal beim Namen genannt haben, will ich nun von etwas ganz anderem sprechen. Drei Tage Las Vegas können zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden. Das setzt freilich voraus, daß Sie berühmte Museen, die Freude am Lesen, gutes Theater, klassische Musik, anregende Vorträge großer Philosophen, erstklassiges Essen, ausgezeichnete Weine und wahre Liebe aus Ihrem Gedächtnis streichen. Und zwar zur Gänze streichen. Nur für drei Tage. Glauben Sie mir, diese Dinge werden Ihnen nicht abgehen. Denn: Ihr werdet sein wie die Kinder!

Las Vegas ist heute vielleicht eine der bekanntesten Städte der ganzen Welt. Reisen Sie durch die Kulturzentren Europas, sprechen Sie mit einem beliebigen Taxifahrer oder Hotelkellner über Las Vegas, und Sie können seines aufrichtigen Interesses sicher sein. Reisen Sie in den Fernen Osten, nach Japan oder Hongkong, und die Menschen werden über Las Vegas sprechen und über ihre Hoffnung, eines Tages dorthin zu kommen. Nicht, um dort ihr Glück zu machen, sondern nur um es zu sehen.

Die Ironie besteht darin, daß Las Vegas keinerlei Existenzberechtigung besitzt, außer, daß dort das Glücksspiel gesetzlich erlaubt ist. Es ist eine Wüste inmitten des Nichts. Es besitzt keinerlei Vorzüge des Klimas oder der Natur, hat keine alte Geschichte und keine landschaftlichen Reize, um den Touristen zu bezaubern. Im Grunde genommen müßte es noch immer eine staubige Kleinstadt sein, mit einem bankrotten Bumslokal als Kasino und ein paar verlotterten Motels. Ja wirklich, von Rechts wegen müßte es noch immer ein Provinznest mit einem winzigen Bahnhof sein anstatt einer kleinen Hauptstadt mit einem Flugplatz, auf dem jährlich Tausende Düsenmaschinen starten und landen. Wie ist es zu diesem Wunder gekommen? Um es ganz offen und ehrlich zu sagen: Las Vegas ist das Produkt von Männern, denen man nachsagt, sie seien die raffiniertesten Verbrecher, die Amerika oder sogar die ganze Welt je hervorgebracht hat. Und es ist kein geringer Tribut, den man der verblüffenden Alchemie des demokratischen Kapitalismus Amerikas zollen muß, wenn man feststellt, daß sich das ganze Unternehmen zu einer der achtbarsten Errungenschaften unserer Gesellschaft entwickelt hat, so dekadent diese Gesellschaft auch sein mag.

Es mag Menschen geben, denen Las Vegas ein Greuel ist und die es am liebsten ausgelöscht sehen würden. Aber sie müßten mich vorher überzeugen, daß die Erdölgesellschaften grundanständig sind, die Börse kein Schwindel und die Lateinamerikapolitik der USA nicht verrückt ist. Außerdem müßten sie mir nachweisen, daß die Demokratische Partei und die Republikanische Partei ehrlicher sind als die Mafia.

Das Glücksspiel war immer ein sehr wichtiger und keineswegs nur destruktiver Teil meines Lebens. Las Vegas wurde mein Mekka, das ich im Jahre 1964 endlich erreichte. Das ist möglicherweise eine zu persönliche Bemerkung für ein Buch über Las Vegas, aber ich sollte nicht anders über das Glücksspiel zu schreiben beginnen, auch auf die Gefahr hin, daß man dadurch auf einen seichten Charakter schließen könnte (woran etwas Wahres wäre). Ich muß sogar zugeben, daß das Spiel zu gewissen Zeiten meines Lebens einen absolut zerstörerischen Einfluß auf mich ausübte. Das Schreiben meines zweiten Romans nahm zehn Jahre in Anspruch, teilweise, weil ich soviel Zeit mit Spielen zubrachte, teilweise aber auch, weil ich soviel Zeit darauf verwenden mußte, meine Familie zu ernähren. Und dennoch – obwohl mich das Spiel manchmal aus der Verzweiflung gerettet hat, hat es mich doch nie selbst in Verzweiflung gestürzt. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß ich meist nicht viel zu verlieren hatte. Und als dies schließlich doch der Fall war, schränkte ich mich im Spielen ein. Ich halte die Behauptung, daß das Spiel das Leben vieler Menschen zerstört hat, durchaus für wahr. Aber dasselbe gilt für den Schnaps, die Frauen, die große Liebe, für den Patriotismus, die Kunst, für das Gesetz trotz all seiner Größe und für die Religion.

Der Luxus von Las Vegas ist für jedermann zu haben, unabhängig von Rasse, Klasse, Religion, Aussehen oder anderen Dingen. Alles, was man benötigt, ist ein bißchen Geld. Dafür bekommt man eine Ahnung von königlichem Luxus, von schönen Frauen, die dem Harem eines Sultans wohl anstünden, und von spektakulären Shows mit den bekanntesten Stars aus der Welt des Schlagers, des Tanzes und des Films.

Das einzige, was es in Las Vegas nicht gibt, ist Kunst. Dafür aber viel Religion. In Las Vegas gibt es im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Kirchen als in jeder anderen Stadt der Welt.

Es spielt keine Rolle, wenn die Küche das internationale Niveau nicht erreicht und der Service zu wünschen übrigläßt. Es macht nichts aus, daß viele der faszinierenden glitzernden Shows nur selten ein Körnchen ungetrübter Schönheit oder echten Vergnügens enthalten. Alles ist ein Traum, nichts entspricht der Realität. Diese Stadt ist ein Zufluchtsort vor der Wirklichkeit, vor drückenden Sorgen, vor wahrer Empfindung. Und deshalb ist es irgendwie richtig und angemessen, daß Las Vegas von einer Wüste umgeben ist. Von einer Wüste, die gewissermaßen als cordon sanitaire fungiert.

Ich habe Las Vegas immer geliebt. Aber obwohl ich dort sogar einmal meinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, hielt ich es doch tatsächlich nie länger als drei oder vier Tage aus. Deswegen würde ich aber auch nicht dafür eintreten, daß das Glücksspiel in allen Bundesstaaten legalisiert wird. Dies ist keineswegs die Ansicht eines verstockten Puritaners, sondern die eines Mannes, der das Spiel liebt und es sein ganzes Leben lang genossen hat. Vielleicht liegt es daran, daß ich erst irgendwohin reisen muß, wenn mich das Spielfieber packt. Ich würde in Panik geraten, wenn ich ständig in einer Stadt leben müßte, in der die Spielbanken rund um die Uhr offenhalten.

Las Vegas steht mit seinem durchlaufenden Spielbetrieb einzigartig da. Alles ist auf das Spiel ausgerichtet. Sonst gibt es kaum etwas zu tun. Im Sommer ist es für Tennis im Freien zu heiß, und im Winter ist es zu windig. Man spielt also viel Golf und wettet dabei auf den Sieger. Mit dem Erfolg, daß es wahrscheinlich auf dem Golfplatz ebenso viele Reinfaller gibt wie im Kasino. Sehenswürdigkeiten gibt es kaum. Man kann zum Hoover-Staudamm fahren, das wär’s aber auch schon. Höchstens noch ein bißchen Bootfahren auf dem Lake Mead oder ein kleiner Reitausflug. Und natürlich am Swimming-pool liegen, der nie mehr als zwei Minuten vom jeweiligen Kasino entfernt ist.

Auf den Bahamas werden die Kasinos erst um ein Uhr nachmittags, in Puerto Rico sogar erst um acht Uhr abends geöffnet. Aber dort überall ist das Klima fantastisch, der Strand und das Meer wunderbar. So spielt man eben ein wenig Tennis, schwimmt in der warmen, blauen See, ißt spät zu Abend, und auf einmal ist es elf Uhr. Um vier Uhr morgens schließen die Kasinos. Da bleiben nur fünf Stunden, die Besucher um ihr Geld zu bringen. In so kurzer Zeit kann man zwar ganz schön angeknabbert werden, aber schon bei einer Spur Vorsicht gerät man kaum in Gefahr, sich komplett zu ruinieren. Anders in Las Vegas: Ein 24-Stunden-Spiel kann selbst denjenigen um sein Vermögen bringen, der nur 1-Dollar-Jetons setzt.

Aber für den, der das Spiel liebt, wirklich liebt, ist Las Vegas das Größte. In Europa wird ja viel zu langsam und zu vornehm gespielt, das ist schon fast kein Spielen mehr. Da fehlt jene nervöse Spannung, wie sie an den Crap-Tischen, beim Würfelspiel, in Las Vegas herrscht, bei dem ein Adrenalinschock den anderen jagt. In Las Vegas dreht sich das Rouletterad mindestens fünfmal so schnell wie in Cannes, und Baccara spielt man mit dem gleichen Tempo.

Man kann durchaus der Meinung sein, daß die Erregung von Las Vegas pervers ist. Aber die Lust am Spiel hat den Menschen seit Anbeginn der Geschichte verzaubert und muß daher irgendein Grundbedürfnis des Menschen befriedigen. Nun, auf jeden Fall ist es heute zu spät, Las Vegas loszuwerden. Wohl drohte einmal die Gefahr, daß die Bürger von Nevada durch eine Abstimmung Las Vegas wieder in Vergessenheit zurückfallen lassen würden. Diese Gefahr besteht aber nicht mehr, seitdem 28 Prozent der Arbeitskräfte im Bereich der Spielbanken beschäftigt sind.

Vor nicht allzulanger Zeit trugen sich die Bundesregierung und der Kongreß mit dem Gedanken, die Spielkasinos ihrer Verbindungen zur Unterwelt wegen überhaupt zu verbieten. Auch Robert Kennedy hielt Las Vegas für eine anrüchige Sache.

Wollte man jedoch das Glücksspiel in Las Vegas durch Bundesgesetz verbieten, so gingen über eine Milliarde Dollar an Investitionen und Einkommen verloren. Und das ist in einer demokratisch-kapitalistischen Gesellschaft nicht möglich. Man denke nur an die Zigarettenindustrie.

Die Art, wie ich in das Spiel im Kasino ›eingeführt‹ wurde, war so romantisch, wie es sich ein Schriftsteller nur wünschen kann. Im Jahre 1939 hatte man mich in ein Lager des Naturschutzkorps nach Lovelock, Nevada, geschickt. Außerhalb der Stadt, in der sich unser Lager befand, gab es zwei Bordelle mit den schönen Namen ›Zu Hause‹ und ›Jo Ann’s‹. (Wieso erinnere ich mich überhaupt an diese Namen nach fast vierzig Jahren?) Sagte in einem Film in den Kinos der Stadt ein Schauspieler: »Wir treffen uns bei mir zu Hause«, kreischte das Publikum vor Vergnügen. Lovelock lag nur wenige Stunden von Reno entfernt, das damals die Spielerstadt war.

Eines Tages in jenem Jahr 1939 saß ich, der Teenager aus New York, in Reno im Kasino, das mit seinen ziegelroten Wänden auf Hölle dekoriert war: Die Serviererinnen trugen Teufelsschwänze, dick getuschte Wimpern und Mützchen mit Teufelshörnern. Sündhaft. Sündhaft. Sündhaft. Ich gab meine letzten drei Dollar für ein hübsches Animiermädchen aus, zahlte ihr irgendeinen harmlosen Drink, ohne zu ahnen, daß sie für zwei weitere Dollar mit mir ins Bett gegangen wäre. Sie war so schön, daß mir nicht im Traum eingefallen wäre, daß sie eine Nutte sei. In dieser Nacht schlief ich einige Stunden auf Holztischen im Hinterzimmer, das speziell für bankrotte Spieler reserviert war. Heute freilich weiß ich, daß ich nie ein wirklich ›hoffnungsloser‹ Spieler gewesen bin. Ein vom Spielteufel wirklich besessener Spieler hätte auch mit seinen letzten drei Dollar sein Glück beim Würfeln versucht und sie niemals für Drinks oder für eine Nacht mit einem hübschen Mädchen ausgegeben.

Da ich Narr meine gesamte Barschaft von 23 Dollar vertan und kein Geld mehr für die Heimreise hatte, ging ich hinunter zur Bahnstation. Einige gutmütige Arbeiter ließen mich zu sich auf eine Lokomotive, die nach Lovelock fuhr, um ein paar Güterwaggons abzuholen. Ich stand neben dem Lokführer. Nie werde ich diese Fahrt in der Morgendämmerung durch die Wüste vergessen. Ein halbwüchsiger, bankrotter Spieler, der gerade noch rechtzeitig zum Frühstück ins Lager zurückkommt; kein Geld in der Tasche, keine Sorgen im Kopf; überwältigt von der frischen Morgenluft und der aufgehenden Sonne. Zwei Jahre später war ich nicht mehr in einem Naturschützerlager, sondern in einem Ausbildungslager der Armee, das Land stand im Krieg. Viele weit wichtigere Dinge sollten auf mich zukommen, dennoch habe ich diese Fahrt durch die Wüste niemals vergessen.

Um richtig zu beginnen, muß ich einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen. Dieser Teil des Landes hatte früher den Mexikanern gehört, und die Vereinigten Staaten stahlen es ihnen. (Man stoße sich nicht am Wort ›stehlen‹, schließlich und endlich ging ja alles gut aus. In diesem Buch werden keine moralischen Urteile gefällt.)

Im Jahre 1776 jedenfalls, als die amerikanischen Kolonien ihren Freiheitskrieg gegen England begannen, hißten ein gewisser Padre Escalante und seine Truppe spanischer Soldaten die Fahne ihres Landes über einer grünen Oase mitten in einer schier endlosen Wüste. Sie nannten den Ort Las Vegas, was im Spanischen soviel wie Die Wiesen bedeutet. Jene Spanier, die weiter nach Norden vordrangen und den gebirgigen Teil des Staates entdeckten, nannten die gesamte Region Nevada, also verschneit. Gibt es auf spanisch kein Wort für ›Wüste‹?

Nachdem wir das Gebiet den Mexikanern abgenommen hatten, die vorher schon die Spanier vertrieben hatten, wurde Las Vegas hauptsächlich von nackten Paiute-Indianern bewohnt. Diese gaben sich stundenlang dem Vergnügen hin, Knöchelchen und bemalte Stäbchen in einem Würfelspiel über den Sand zu rollen und bei den Wetten ihre Frauen und Pferde einzusetzen. (Könnten das besondere Klima und selbst der Boden den Spieltrieb im Menschen nähren?) Jedenfalls schickte 1855 der Mormonenführer Brigham Young einige seiner besten und zugleich brutalsten Leute nach Las Vegas, um die Indianer zu ›bekehren‹ und das Gebiet in blühendes Farmland zu verwandeln.

Die Mormonen waren in jener Zeit dafür bekannt, gute Farmer und noch bessere Schützen zu sein. Aber selbst sie konnten der heißen Sonne und dem Spielfieber der Indianer auf die Dauer nicht standhalten. Nach drei Jahren gaben die Mormonen auf und kehrten nach Salt Lake City zurück. Später stellte sich heraus, daß sie einen großen Fehler gemacht hatten, denn unter dem heißen Sand lag unsagbarer Reichtum an Gold und Silber.

Aber 1955, hundert Jahre später, übersiedelte ein Mormone, der junge Bankier E. Parry Thomas, von Salt Lake City nach Las Vegas. Während es den Leuten Brigham Youngs nicht gelungen war, aus der Wüstenoase etwas Brauchbares zu machen, zauberte Parry Thomas aus dem Wüstensand die Metropole des Glücksspiels hervor.

Thomas hat die Weitsicht und den Mut, gewaltige Kredite für den Bau fantastischer Paläste in der Wüste von Nevada zu riskieren. (Natürlich hat er damit für sich und seine Freunde sehr viel Geld verdient, es wird auf etwa 30 Millionen Dollar geschätzt.) Zu ihm geht man, wenn man irgendein Geschäft in Vegas anfangen will, ob es nun der Bau eines Hotels ist oder das Anlegen von Kapital oder ein Kredit. Er half Howard Hughes, dessen Hotelimperium in Vegas zu errichten, und es heißt, er sei einer der wenigen, die Hughes in natura auf dem Boden von Nevada gesehen haben. Thomas ist aber auch der Architekt der gesellschaftlichen und der kommunalen Struktur von Las Vegas. Was wäre geschehen, wenn er hundert Jahre früher gekommen und der Mann gewesen wäre, der mit jenen spielenden Indianern zu verhandeln gehabt hätte? Aber besser später als niemals. Es ist irgendwie nett zu wissen, daß Las Vegas erst richtig erblühte, als ein Mormone kam.

Doch im Jahre 1849 lockte der berühmte Goldrausch unzählige Menschen aus dem Osten nach Kalifornien. Sie waren so gierig, daß sie über die sagenhafte gold- und silberhaltige Erzader von Comstock in Nevada einfach hinwegmarschierten. Das ist ganz typisch: Menschen, die sich den Goldsuchern anschließen, sind geborene Spieler, und Spieler versäumen für gewöhnlich den Anschluß. Aber im Jahre 1859 hatten einige von ihnen Glück – wie Spieler eben doch auch manchmal Glück haben – und stolperten über die Goldgrube von Comstock. Und so ließen sich schließlich ziemlich viele Menschen in Nevada für mehr oder weniger ständig nieder. Daß sie die Indianer bei nächstbester Gelegenheit schnurstracks in die Wüste jagten, versteht sich ja fast von selbst.

Im Jahre 1864 zählte Nevada ungefähr vierzigtausend Einwohner. Sie bildeten rechtlich gesprochen noch immer ein selbständiges ›Territorium‹ und haßten die Bundesgesetzgebung. Nach einem der Bundesgesetze stand dem Bezirksstaatsanwalt für jede Verurteilung eines Spielers eine Prämie von hundert Dollar zu. Die Bürger von Nevada wollten so bald als möglich die Anerkennung als vollberechtigter Bundesstaat erreichen, um die direkte Verwaltung durch die Bundesregierung loszuwerden und in Ruhe spielen zu können, bevor ein Großteil der Bevölkerung ins Kittchen wanderte.

Wer sie letztlich vor dem Gefängnis bewahrte, war eine der erlauchtesten Gestalten der amerikanischen Geschichte: Abraham Lincoln, Präsident der Vereinigten Staaten. Er bediente sich dabei – man glaubt es kaum – eines ganz üblen Tricks. Im Jahre 1864 benötigte Lincoln bei der Abstimmung über die Sklavenbefreiung nämlich die Stimmen Nevadas. Nach dem Gesetz waren für die Anerkennung 127 000 Einwohner notwendig. Nevada hatte weniger als ein Drittel. Lincoln ersuchte deshalb den Kongreß um ein Sondergesetz, das auch beschlossen wurde. Auf diese Weise wurde Nevada zum Bundesstaat erhoben. Die ganze Sache war sicherlich nicht zimmerrein, diente aber einem guten Zweck. Woraus sich die Moral ergibt, daß Gutes auch auf krummen Wegen erreicht werden kann. Wenn das aber stimmt, warum sagt man dann immer, daß Las Vegas seinen Ruhm und seinen Wohlstand allein dem bekannten Mörder und Gangster Bugsy Siegel verdanke?

Die Stadt Las Vegas wurde offiziell am 15. Mai 1905 nach einer öffentlichen Versteigerung von Grundstücken der bekannten Eisenbahngesellschaft Pacific Railroad gegründet. Die Eisenbahn brachte damals reiche Kalifornier umsonst nach Las Vegas, damit sie dort ihr Geld für wertloses Wüstenland hinauswerfen konnten. Die Gesellschaft verkaufte die Grundstücke für je fünfzehnhundert Dollar und kassierte das Geld, frohlockend wie ein Zigeuner bei einem Taschenspielertrick. Natürlich konnte niemand ahnen, daß dieselben Grundstücke schon nach fünfzig Jahren für eine Million Dollar verkauft werden würden.