Leben ist das, was du daraus machst - Andrea Hinze - E-Book

Leben ist das, was du daraus machst E-Book

Andrea Hinze

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Beschreibung

Entdecke das Herz hinter dem Egoisten - Ein Roman über Schicksal und Entscheidungen. Wie man es von einem Egoisten erwartet, stehen für Daniel stets seine persönlichen Bedürfnisse an erster Stelle. Romantiker mit ihrem Gerede vom Schicksal können ihm gestohlen bleiben. Bis eben dieses Schicksal ihn ins Visiur nimmt und es den attraktiven Briten auf eine Mission in ein beschauliches Dörfchen nach Deutschland verschlägt. Plötzlich ist Dan gezwungen, sein bisheriges Leben infrage zu stellen und, wie aus heiterem Himmel, trifft ihn die Erkenntnis, dass da, tief in ihm drin, doch etwas fehlt. Der fehlende Baustein zu seinem ganz persönlichen Glück. Zwar zeigt das Schicksal ihm auch direkt die Lösung auf, nur ist diese "schicksalhafte Begegnung" dummerweise bereits an seinen besten Freund vergeben! Daniel muss sich entscheiden. Entweder zerstört er das Glück seines Freundes oder er selbst ist es, der zerstört wird.

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Schon immer fasziniert vom gedruckten Wort, war mindestens ein Buch stets in ihrer Nähe. Im sagenumwobenen Thüringen aufgewachsen und später, über Umwege, in das geschichtsträchtige Berlin übergesiedelt, waren potenzielle Geschichten, die erzählt werden wollten, immer um sie herum. Zunächst als Erzieherin, später Journalistin, lebt sie heute ihre Kreativität in ihren eigen verfassten Geschichten aus und veröffentlicht sie auf Portalen, wie Wattpad, wo sie sich einer regen Leserschaft erfreut. Andrea Hinze lebt mit ihrer Familie im Norden von Berlin.

Inhaltsverzeichnis

1. Das Schicksal kann mich mal – oder doch nicht?

2. Peinliche Geständnisse

3. Das Streben nach dem Scheitern

4. Auf zu neuen Abenteuern

5. Blind Date

6. Ein Netz wird gesponnen

7. Willkommen in Schottland

8. Männer brauchen auch ihre Geheimnisse

9. Komm doch mal vorbei!

10. Neue Bekanntschaften

11. Willst du mich … du weißt schon

12. Achterbahnfahrt

13. Es rappelt in der Kiste

14. Wenn dir das Leben den Mittelfinger zeigt – sieh zu, dass du das Beste daraus machst

Zwei Monate später

15. Wollen wir das Kind mal beim Namen nennen

April 2025

16. Ist sie's oder ist sie's nicht?

17. Ich glaub`, ich treff’ 'ne Fee

18. Die berühmten drei Fragen

19. Zu 99,999 % bin ich glücklich

Drei Monate später

20. Pläne

21. Ähm … ich wollte dich was … fragen …

22. Geständnisse und Erinnerungen

23. Ich will ein Kind von dir!

24. Kinderkram

25. Tschüss Singledasein

26. Hallo Eheleben

27. Familienzuwachs der anderen Art

Vier Wochen später

28. So wie ein Blatt vom Baume fällt, so geht ein Mensch aus dieser Welt …

Sechs Monate später

29. Was kostet das Paradies?

30. Lass` die Stadt mal machen …

31. Oh, Verona, was machst du nur mit mir?

32. Der erste Krach

33. Mord, oder nicht Mord – das ist hier die Frage?

34. Gute Neuigkeiten

35. Die übliche Verdächtige

36. Allein die Dosis macht das Gift

Epilog

1.

Das Schicksal kann mich mal – oder doch nicht?

Darf ich Sie mal etwas fragen? Was halten Sie vom Schicksal?

Vollkommener Schwachsinn, oder? Als wären wir Marionetten, die an unsichtbaren Fäden von kosmischen Kräften geleitet, nur das tun, was uns vorherbestimmt ist. Angeblich ist es vorherbestimmt, wer, wen, wann und wo trifft. Wer glücklich und wer zerstört wird.

Von wegen.

Genau das dachte ich auch bis zu jenem Frühlingstag 2024, als ich auf dem Airport Glasgow das Schicksal in Person traf. Aber beginnen wir am Anfang.

Gequält lächelnd breitete ich die Arme aus und rief, »Überraschung.« Der Blick des alten Manns mir gegenüber wanderte von meinen Füßen bis hinauf zu meinem Gesicht, wo er ungläubig kleben blieb. »Was… was willst du denn hier?«

»Na hör mal«, lachte ich. »Ein Sohn wird doch wohl seinen alten Herrn besuchen dürfen?«

»Sohn?«

Ein nervöses Lachen kam mir über die Lippen. Sollte mein alter Herr auf seine alten Tage senil geworden sein und mich nicht mehr wiedererkennen? Doch er überraschte mich, indem er fortfuhr, »Daniel.

Was willst du hier?« Er seufzte. »Nach so vielen Jahren.«

»Ähm…« Ich sah mich um. »Ist ziemlich frisch hier draußen. Wäre es eventuell möglich, mich hereinzubitten?«

Schweigend machte der Alte auf dem Absatz kehrt, und schlurfte zurück ins Innere des Hauses.

»Na endlich«, murmelte ich und folgte ihm. Beinahe lautlos schloss sich die Tür hinter mir und sperrte die kalte Winterluft aus.

Im warmen Wohnzimmer deutete der Ältere mit dem Kinn auf das durchgesessene Sofa. Ich nahm platz und sah mich interessiert im Raum um. Viel hatte sich seit meinem letzten Besuch nicht verändert.

Ebendies stellte ich nun fest.

»Veränderungen kosten Geld«, brummte mein Gegenüber, der in dem einzeln stehenden Sessel vor dem Kamin platz genommen hatte.

»Und das hast du nicht, stimmts?«

»So sieht's aus.«

Ich verdrehte die Augen. »Lass mich raten, Mom ist schuld.«

Wie zu erwarten war, sprang mein Vater sofort an. »Diese Frau hat mir alles genommen.«

Seufzend entgegnete ich, »Ach bitte, Dad, nicht schon wieder die alte Leier. Ich hatte angenommen, dreizehn Jahre würden genügen, um dich über die Geschichte hinweg kommen zu lassen.«

»Wie könnte ich vergessen, dass meine Frau mich ausgenommen hat wie einen Weihnachtstruthahn? Dass sie, nachdem sie mir alles genommen hat, sich verdünnisierte und mir auch noch meine Söhne nahm.«

»Ich war doch schon vorher weg, Dad.«

»Ja, warst du. Du, mit deiner Abenteuerlust und deinem unbändigen Drang dich zu beweisen.«

»So bin ich eben«, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.

»Und, hat es dir etwas gebracht? Hast du deine Neugier auf die Welt befriedigt?«

»Ich wurde befriedigt, oh ja, aber dennoch zieht es mich jetzt zurück in die Heimat.«

»Du willst zurückkommen?«

»Wäre ich sonst hier?«, fragte ich und machte grinsend eine ausholende Geste.

Vater tat unbeteiligt. »Wer weiß schon, was in deinem Kopf vor sich geht?«

Schmunzelnd entgegnete ich, »Ich habe viel gesehen und gelernt. Das hat Spaß gemacht und mich, wie ich finde, im Leben weitergebracht, doch nun ist es an der Zeit, sesshaft zu werden.«

»Sesshaft?«, wiederholte mein Vater ungläubig. »Du?«

»Ja, ich. Was, traust du mir das nicht zu?«

»Nicht wirklich, nein.« Mein alter Herr lachte heiser. »Daniel Hopper ist nicht der Typ, sich zu entscheiden und eine feste Arbeit zu suchen.«

»Hey, du kennst mich doch gar nicht mehr«, widersprach ich halbherzig.

Dad fuhr ungerührt fort, »Redest vom sesshaft werden und kannst nicht einmal eine feste Partnerschaft vorweisen?«

Mit gesenktem Blick brummte ich, »Wie gesagt, du kennst mich nicht.«

»Stimmt genau«, stimmte Arthur mir zu. »Ich kenn dich nicht. Nicht mehr. Seitdem du damals abgehauen bist, um in dieser Universität Französisch zu studieren…« So abfällig, wie er das Wort Universität aussprach, merkte ich, dass er noch immer nicht viel von höherer Bildung hielt. »…Pha …Schwachsinn.«

»Ich gebe zu, das war Schwachsinn. Weshalb ich dann ja auch auf Archäologie umgesattelt habe.«

Vater sah mich an. »Und, hat dir das was gebracht?«

»Erfahrung, Selbstbewusstsein, Abenteuer…«

»Ein Abenteurer, das bist du«, unterbrach mich der Alte. »Warst du schon immer.«

»Und, was ist so schlecht daran, frag’ ich dich?«

Arthur blieb mir eine Antwort schuldig und starrte stattdessen schweigend in die Flammen im Kamin.

»Ich will mich nicht streiten«, lenkte ich ein. »Im Gegenteil. Ich meine es ernst. Ich habe vor, sesshaft zu werden. Vielleicht in Schottland, vielleicht anderswo. Ich weiß es nicht. Aber zuvor, das weiß ich genau, will ich meine Familie sehen. Will endlich wieder Kontakt haben.«

»Na, zumindest kann dir niemand absprechen, dass du Träume hast«, brummte Dad.

Ich beschloss, es zu überhören. »Zu Mom will ich morgen.«

»Tu das. Grüß die alte Hexe von mir.«

»Sprich nicht so von ihr!«

»Warum nicht? Die Alte hat mich betrogen, hintergangen und mir zu alledem alles genommen.«

Sie ließ meinen Blick schweifen. »Zumindest hast du das Haus behalten.«

Arthur lachte abfällig. »Ja, weil ihr neuer Kerl bereits ein eigenes hatte.

Ein größeres. Eines, das den gehobenen Vorstellungen der Dame eher entsprach.«

»Mom und Stuart sind sehr glücklich. Noch immer«, warf ich ein.

»Ist mir vollkommen egal.«

»Schön.«

»Ja.«

Die nächsten Minuten verstrichen, ohne dass einer von uns etwas sagte.

Schweigend hingen wir unseren Gedanken nach, bis ich aus dem Stegreif heraus fragte, »Und, wie geht es dir so, Dad?«

Er zuckte die Schultern. »Es geht. Ich arbeite noch immer in der Baubude.«

»Als Schlosser?«

Er nickte.

»Cool.«

»Ich war noch nie arbeitslos. Dennoch war ich der feinen Dame irgendwann nicht mehr gut genug.« Letzteres fügte er kaum hörbar hinzu.

»Wer weiß schon, was in Mom's Kopf damals vorging?«, suchte ich die Situation zu entschärfen.

»Das kann ich dir sagen, ich war der Lady einfach nicht mehr fein genug.

Und im Bett lief es auch nicht mehr rund. Sie wollte es plötzlich immer här…«

»Stopp!«, unterbrach ich ihn und hielt mir demonstrativ die Ohren zu.

»Das will ich gar nicht hören, bitte.«

Mein Gegenüber schmunzelte. »Schon gut. Deine Mom und ich waren einfach…nicht mehr glücklich miteinander. Was jedoch kein Grund ist, mich dermaßen…«

»Zu hintergehen und dich auszunehmen, ich weiß schon.«

»Ja, genau.«

»Ich kann sie ja darauf ansprechen?«

»Lass es bleiben! Es ist so lange her. Da kräht kein Hahn mehr nach.«

»Und dennoch ärgerst du dich noch immer darüber?«, stellte ich nüchtern fest.

»Nur, wenn das Thema darauf kommt«, lenkte mein Vater schmunzelnd ein. Mit einem Mal wurde sein Wettergegerbtes Gesicht milder.

»Gabriela mag es ebenfalls nicht, wenn ich über vergangenes rede und mich aufrege.«

»Gabriela? Wer ist das?«

»Meine Freundin.«

Vor Erstaunen weiteten sich meine Augen. »Woah, Moment mal! Du hast eine Freundin?«

»Klar, warum nicht? Hast du geglaubt Eltern blieben ihr Leben lang allein nach einer Trennung? Junge, du musst scheinbar noch viel lernen.«

»Bullshit«, widersprach ich resolut. »Ich…ich bin nur überrascht.

Damit hatte ich nicht gerechnet.«

»Warum nicht? Ich bin siebenundfünfzig Jahre alt. Im besten Alter.«

Ich nickte lächelnd. »Ich weiß. Sorry. Ehrlich, ich freu’ mich für dich.«

Beteuerte ich und legte ihm freundschaftlich eine Hand auf das rechte Knie. »Wie lange seid ihr denn schon zusammen?«

»Beinahe sechs Jahre.«

»Krass.«

»Ja, krass. Und du?«

»Was ist mit mir?«

»Du hast auf all deinen Reisen keine kennengelernt, mit der du das Abenteuer Ehe oder zumindest feste Partnerschaft wagen wolltest?«

Stolz schüttelte ich den Kopf. »Nop. Kein Bock. Ich binde mich nicht so an eine Frau.«

In seinen nicht vorhandenen Vollbart brummelte er, »Sagt der, der eben noch behauptet hat, sesshaft werden zu wollen.« Lauter hakte er nach, »Warum nicht?«

»Da stell’ ich dir einfach mal die Gegenfrage. Warum sollte ich?«

»Weil es einen befriedigt, zu wissen, dass zu Hause jemand auf dich wartet. Dass es da jemanden gibt, der in guten wie in schlechten Zeiten zu dir hält.«

»Wie pathetisch«, brummte ich abfällig.

»Aber wahr«, widersprach mein Vater. »Als ich nach meiner OP wochenlang im Bett liegen musste, war es beruhigend für mich, dass Gabriela da war. Wir haben das zum Anlass genommen…«

»Moment«, unterbrach ich ihn erneut. »Welche OP denn?«

»Ich hatte mir den Oberschenkelhals gebrochen«, erklärte er und machte ein Gesicht, als hätte ein treu sorgender Sohn längst davon gewusst. Oder viel mehr noch. Dieser hätte selbstverständlich alles stehen und liegen lassen und wäre seinem Vater zu Hilfe geeilt.

»Wann war das denn?«

»Vorletztes Jahr.«

»Okay«, murmelte ich getroffen. Das hatte ich tatsächlich nicht gewusst.

Neugierig und egoistisch, wie ich nun einmal bin, hat mich nur mein nächstes Reiseziel interessiert. Zwar hatte ich meinen Eltern Postkarten und mitunter sogar mal einen Brief geschickt, das war's dann aber auch gewesen. An Weihnachten nach Hause kommen oder zu Geburtstagen Videotelefonie zu machen, kam für mich nicht infrage. Zudem gab es an den abgelegenen Orten, an denen ich mich in den vergangenen sechs Jahren aufgehalten habe, zumeist kein stabiles Internet.

»Hättest du ein wenig mehr Interesse gezeigt, müsstest du jetzt nicht solch ein bedröppeltes Gesicht machen«, legte Dad den Daumen auf die Wunde.

»Ja, ich weiß. Das tut mir auch leid. Ehrlich.«

»Schon gut. Ich habe ja, wie gesagt, Gabriela.«

»Sehr schön. Ist sie nett?«

»Und wie. Sie ist die beste Frau auf Erden.«

»Das klingt gut«, erwiderte ich und lachte. »Und es beruhigt, denn nun kann ich meine Suche nach der perfekten Frau gleich wieder einstellen.

Die ist schon vergeben.« Ich strahlte meinen Dad an.

Der erwiderte mit einem milden Lächeln. »Keine Sorge, mein Sohn, für dich gibt es da draußen auch die eine.«

Es gab eine Zeit, da hätte ich ihm das geglaubt. So in etwa im Alter von sechzehn Jahren. Doch die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es keine Frau es wert ist, sich näher auf sie einzulassen. Sie haben nichts gegen ein bisschen Spaß, lassen sich gern verwöhnen und machen die Beine breit, wenn man ihnen was weiß ich was verspricht. Doch keine der ich bisher begegnet bin, berührte mich tief in meinem Inneren. Keine Liebe auf den ersten Blick oder Ähnliches. Keine, mit der ich mir vorstellen konnte zusammenzuziehen oder gar eine Familie zu gründen. Trotz meiner mittlerweile dreiunddreißig Jahre.

»Und, was hast du jetzt vor?«, holte Dad mich in die Gegenwart zurück.

Ich schüttelte leicht den Kopf, um meine Gedanken zu ordnen und antwortete, »Mal sehen. Zunächst einmal klappere ich alle ab. Familie, Freunde, alte Bekannte. Und dann will ich mir ja noch einen Job suchen.«

»Und, was für eine Arbeit schwebt dir vor?«

Achselzuckend antwortete ich, »Ich dachte an Archäologie. Was ich schließlich auch einmal gelernt habe. Grabungshelfer werden doch immer gesucht.«

»In London, Kairo oder irgendwo in Afrika vielleicht. Aber doch nicht hier. Auf der Insel.«

Ich lachte ihm ins Gesicht. »Stimmt auch wieder. Wenn alle Stricke reißen, könnte ich aber auch Whiskey Sommelier werden?«

»Ich sag's ja, du bist ein Träumer«, brummte mein Vater. Kaum verständlich wiederholte er verächtlich, »Whiskey Sommelier.«

»Ach, Dad, mach dir keinen Kopf. Ich bin überall in der Welt klargekommen. Arbeit lässt sich überall finden, wenn man bereit ist, mit anzupacken. Und das bin ich.«

Arthur musterte mich. »Das sieht man. Du hast dich ziemlich… verändert.«

Ich ließ meinen Blick über meine Arme und den Oberkörper wandern.

»Tja, so was kommt von sowas, würde ich sagen«, erwiderte ich und lachte.

»Als Hänfling bist du fortgegangen und…und jetzt siehst du aus, als könntest du…«

»Ich weiß«, unterbreche ich sein Gestammel. »Die Arbeit im Hafen, auf dem Bau und in den Bergen war ein gutes Training.«

Zu meinem Körper ist zu sagen, dass er mein Tempel ist. Neben der Arbeit habe ich täglich Sport getrieben. Das Ergebnis kann sich wahrlich sehen lassen. Und zudem gefällt es den Ladys.

Jede von denen lügt, wenn sie behauptet, nur die inneren Werte zählen.

Jede Frau, egal, wie sie aussieht, schaut bei einem Mann als Erstes aufs Äußere. Das dauert nur wenige Sekunden, entscheidet jedoch, ob du weiter kommst oder ausscheidest. Steht vor ihr ein Adonis mit gestähltem Körper – Hot. Einer mit Bierbauch und Fünftagebart – Not.

Eine der Weisheiten, die dich das Leben lehrt.

»Jedenfalls wünsche ich dir Glück, bei all deinen Vorhaben. Und ich würde mich wirklich freuen, wenn dich deine Reisen nicht mehr so weit weg trieben, dass du mich regelmäßiger besuchen kannst. Deine Mutter denkt da sicherlich ähnlich.«

»Weiß nicht. Das kann ich sie ja auch noch fragen.«

»Mach das!«

»Weißt du eigentlich, was Ben macht?«

Dad sah mir in die Augen. »Dein Bruder ist im Gegensatz zu dir nicht abgehauen. Er lebt in Liverpool. Arbeitet als Zimmermann.«

»Immer noch?«, staunte ich ehrlich.

»Ja, immer noch. Benjamin war schon immer der Bodenständigere von euch beiden.«

»Stimmt.«

»Besuchst du ihn auch?«

»Klar.«

»Dann grüß ihn schön und frag, wann er sich mal wieder sehen lassen will? Ist schon 'ne Weile her, dass er hier war.«

»Ihr habt regelmäßigen Kontakt?«

»Sicher. Wie gesagt, er ist der Vernünftigere.«

Ich lachte trocken.

»Wo wohnst du eigentlich während deines…Aufenthalts?«

Ich zuckte die Schultern. »Im Hotel. Dafür reicht mein Geld gerade noch.«

»Was denn, keine Kumpel mehr hier, auf deren Couch du schlafen kannst?«

»Zu denen müsste ich auch erst mal den Kontakt wieder aufleben lassen.«

»Hm.«

»Ich nehme an, es wäre nicht möglich, auf deiner Couch eine Nacht zu schlafen?«

»Bist du etwa erst heute angekommen?«, staunte Arthur.

»Doch.«

»Und wo ist dein…na ja, dein Kram?«

»Welcher Kram denn? Ich war auf Weltreise. Da schleppe ich doch keine Stehlampe oder mein Bett mit mir herum«, schmunzelte ich. »Alles, was ich besitze, ist in meinem Auto.«

»Ein Auto hast du aber?«

»Klar«, entgegnete ich mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Und das war ich auch. Man kann mir vieles nachsagen, aber nicht, dass ich ein uneigennütziger Menschenfreund wäre. Bei all den Jobs der letzten Jahre habe ich mir meine Arbeit vernünftig bezahlen lassen. Allenfalls der letzte war meine Geste der Großzügigkeit. Umsonst stellte ich meine Arbeitskraft zur Verfügung. Dem Allgemeinwohl zugute. Womit sollten mich die Ureinwohner auch schon bezahlen? Die kennen nur Naturalien.

In diesem Sinne hatte ich des Öfteren nachts Besuch in meiner Hütte und wurde tagsüber gut verpflegt. Und weil man in der Pampa kaum Möglichkeiten hat Geld auszugeben hat sich eine ordentliche Summe angespart. Von eben jener habe ich, kaum britischen Boden unter den Füßen, mir einen Traum erfüllt und einen Audi R8 gekauft. Ein Sportwagen, der unmissverständlich klarmacht, dass ich eventuell an einer Partnerin, jedoch nicht an Familiengründung interessiert bin.

»Du sagst das mit so einem gewissen Etwas in der Stimme. Was hast du denn für ein Auto?«, wollte Vater wissen.

Stolz erkläre ich es ihm.

»Wie kannst du dir den leisten? Du bist Arbeitslos. Wovon willst du das Benzin bezahlen?«

Ich zuckte die Schultern. »Wird schon werden. Noch bin ich nicht pleite.«

»Das wirst du aber sein, sobald du dir eine Wohnung mietest«, grummelte der Alte.

Ich winkte ab. »Ich weiß eh noch nicht, ob ich in der Gegend oder sonst wo bleiben werde?«

»Also willst du doch wieder weg?«

»Vielleicht. Wenn, dann bleibe ich aber in der Nähe.«

»Das wäre schön.«

Ich schenkte meinem Dad ein Lächeln.

In diesem Moment hörten wir, wie die Haustür geöffnet wurde.

»Das wird Gabriela sein«, meinte Arthur.

Tatsächlich war es die Freundin meines Vaters. Als wir einander vorgestellt wurden und sie meine Geschichte erfuhr, war sie es, die darauf bestand, dass ich die nächsten Tage bei ihnen wohnen sollte.

Dieses Angebot nahm ich nur allzu gerne an. Da die einzige Zweitoption mein Audi gewesen wäre. Der Wagen fährt sich zwar klasse, doch als Übernachtungsmöglichkeit ist er ungeeignet.

Später, mitten in der Nacht, lag ich auf besagtem Sofa und starrte mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zur Zimmerdecke hinauf, und resümierte mein bisheriges Leben.

Ja, ich habe erlebt, wovon andere ihr Leben lang nur träumen. Bin viel gereist, in der Welt herumgekommen.

Nach dem Studium der französischen Sprache, tagsüber in Wort und Schrift im Hörsaal, nachts im Bett praktisch mit verschiedenen Kommilitoninnen, begann ich, später ein weiteres Studium, nämlich das der Archäologie. Dabei wurde meine Abenteuerlust geweckt und ich beschloss, mir die Welt anzusehen. Nie hatte es mir am nötigen Mut gefehlt. Auch nicht an der Zuversicht, dass schon alles gut gehen wird.

So veräußerte ich mein gesamtes Hab und Gut, kaufte mir einen Wanderrucksack, Zelt, Schlafsack und was man sonst so braucht und machte mich zu meiner ersten Station, Bergen in Norwegen, auf. Dort blieb ich eine Weile. Lernte die Sprache und verdiente mir auf einem Fischkutter und im Hafen das nötige Geld, um über die Runden zu kommen. Von dort aus ging es weiter nach Frankreich. Schließlich sollten meine im Studium erlernten Sprachkenntnisse auch Anwendung finden. Nachdem ich einige Zeit, genauer gesagt zweieinhalb Jahre, dort als Türsteher in einem Pariser Bordell gearbeitet habe, hier verdiente ich ordentlich, ging es für mich über den großen Ozean nach Nordamerika.

Bald schon merkte ich, dass dies tatsächlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten war. Ich schuftete in einem privaten Security Dienst und arbeitete mich hoch, bis ich keine Lust mehr hatte. Ich bildete mir ein, die Rufe nach einer sinnvolleren Tätigkeit zu hören. Per Flugzeug ging es für mich zu meiner bisher letzten Station. Nach Südamerika, wo ich, gemeinsam mit vielen ambitionierten Helfern einem Stamm Yanomami dabei half, Hütten und eine Schule zu bauen. Besagte gute Tat.

Doch dann entdeckte ich etwas, was mich nach Europa hat zurückkehren lassen. Mein ehemals bester Freund hatte ebenfalls die Koffer in Schottland gepackt und in Deutschland ein neues Leben begonnen. Das jedoch war es nicht, was mich dazu bewog, zurückzukommen. Ein Hoch auf Smartphones, das Internet und die sozialen Medien. Denn durch sie erfuhr ich von Sams neuem Leben und vor allem, mit wem er sich ebendieses teilte. Stolz teilte mein Kumpel der Welt mit, dass er nun endlich eine feste Freundin hätte. In der Tat war das das erste Mal, nach dreiunddreißig Jahren, dass Sam Macrae eine Frau für so wichtig hielt, dass er öffentlich bekundete er sei in festen Händen.

Zeit meines Lebens hielt ich mich für einen rational denkenden, vernünftigen Menschen. Doch dann klickte ich auf das Instagram Profil dieser Frau – und alles wurde anders.

Sie war so schön und so vollkommen und passte absolut nicht in mein Beuteschema. Und dennoch fühlte ich mich von ihr angezogen. Ein innerer Drang, mehr über sie zu erfahren. Ihre Stimme zu hören und herauszufinden, ob sie damit mein Herz berühren kann. Ich musste einfach wissen, ob sie so witzig ist, wie ihr Profil dem Betrachter Glauben schenkt. Ob ihre Intelligenz mit der meinen mithalten kann. Sie steht auf Sam. Ob sie mich dann ebenfalls sympathisch findet? Er und ich waren stets gleich. Gleicher Humor, dieselben Interessen und selbst äußerlich ähneln wir uns. Wenn sie auf große blonde Briten steht, habe ich ebenso gute Chancen wie er.

Wochenlang versuchte ich sie mir aus dem Kopf zu schlagen, doch immer wieder erwischte ich mich selbst dabei, mein Smartphone in den Händen zu halten und sie zu stalken. Ich erstellte sogar ein neues Profil, um ihr heimlich folgen zu können, um ja keinen neuen Post von ihr zu verpassen. Ich spielte sogar mit dem Gedanken nach Deutschland, in dieses Nest in dem die beiden leben, zu fliegen, nur um sie heimlich zu beobachten und all meine Fragen zu beantworten. Bis vorletzten Freitag schaffte ich es sogar diesem Drang zu widerstehen. Doch als ich ihren neuesten Post las, sie hatte im Wald eine Leiche gefunden – Was verdammt ging denn da ab? - erwachte in mir ein Beschützerinstinkt, den ich so noch nie an mir gespürt habe. Ich brach in Südamerika meine Zelte ab, packte meinen Kram zusammen und buchte das nächst beste Flugticket nach Frankfurt am Main. Kaum dort angekommen erschien mir mein Vorhaben dann doch aber dämlich. Wie würde Sam reagieren, wenn ich an seiner statt seinen Freundin beistand? Na klar, er würde mir die Fresse polieren. Ich würde es zumindest, wenn ich an seiner Stelle wäre. Also änderte ich meine Pläne, kaufte ein weiteres Ticket, dieses Mal nach Glasgow, und hier liege ich nun – auf dem Rückenschmerz verursachenden alten Sofa meines Vaters.

2.

Peinliche Geständnisse

Obwohl sie ihre Gastfreundschaft für mehrere Tage angeboten hatten, machte ich mich schon am nächsten Tag auf den Weg nach Liverpool.

Mom's Adresse war noch dieselbe und so stand ich, dank einem herrlichen Staus, erst fünf Stunden später vor ihrem Haus. Ich gebe zu, ein wenig aufgeregt, wie sie wohl auf mein unangekündigtes Erscheinen reagieren würde, war ich schon. Doch meine Sorge war unbegründet.

»D-daniel? Heilige Muttergottes, bist das wirklich du?«

Ich setzte mein breitestes Grinsen auf, breitete die Arme aus und antwortete, »Hi, Mom.«

Sofort zog mich die kleine Frau in eine feste, herzliche Umarmung. »Wie lange ist das her? Eine Ewigkeit«, schniefte sie an meiner Brust.

Meine großen Hände lagen schwer auf ihren Schulterblättern. »Ich weiß, Mom. Tut mir leid.«

Giulietta löste sich von mir, trat einen Schritt zurück und sah zu mir auf.

»Macht nichts. Jetzt bist du ja wieder da. Komm herein!« Mit diesen Worten trat sie beiseite und ließ mich eintreten.

In der geräumigen Wohnküche nahmen wir uns gegenüber, an dem Esstisch platz. Im Gegensatz zu Vaters Haus hatte sich in diesem einiges verändert. Es schien, als hätte es eine Verjüngungskur durchgemacht.

Eine Kur aus Echtholz, Chrom und Glas. Giulietta bemerkte meinen bewundernden Blick und erklärte, »Benjamins Werk. Er hat hier einiges erneuert.«

»Das sehe ich. Sieht klasse aus.«

»Danke.« Sie selbst ließ ebenfalls den Blick schweifen. »Ja, es war an der Zeit, mal etwas zu verändern.« Ihr Blick traf wieder mich. »Oje, bitte entschuldige, ich habe dir noch gar nichts zu trinken angeboten. Du bist nach der Reise sicherlich durstig.«

Nachdem ich mit Kaffee und einem Glas Wasser versorgt war, setzte sie sich wieder zu mir. »Wie geht es dir? Was zieht dich zurück in die Heimat? Zuletzt warst du in…Südamerika, nicht wahr?«

Ich nickte und nahm einen Schluck. »Stimmt genau. Ja, ich fand, es war an der Zeit zurückzukehren.«

»Für immer oder…?«

»Für immer«, bestätigte ich meiner Mutter mit einem schiefen Grinsen.

»Das ist wunderbar. Ehrlich.« Sie drückte meine Hand. »Ich…wir haben dich so sehr vermisst.«

»Ich euch auch«, log ich.

Mom quittierte es mit einem seligen Lächeln. »Erzähl!«

»Was willst du hören?«

»Alles«, erwiderte sie und lachte herzlich. »Ich will alles erfahren, was mein Sohn in den vergangenen sechs Jahren so erlebt hat.«

»Das wird aber ein längerer Bericht«, grinste ich.

Sie winkte ab. »Macht nichts. Ich habe Zeit.«

»Es ist gerade einmal mittags. Musst du nicht zur Spätschicht oder so?«

Sie grinste wissend. »Hier hat sich auch einiges ereignet, während du weg warst. Ich arbeite jetzt von zu Hause aus und habe so den Luxus, mir meine Zeit selbst einteilen zu können.«

»Wirklich? Was tust du denn jetzt?« Früher war meine Mutter Sekretärin in einem Hospital.

»Ich schreibe.«

»Das hast du doch schon immer getan«, wunderte ich mich.

Giulietta lachte. »Das ist richtig. Doch nun schreibe ich nur noch aus reinem Vergnügen. Ich verfasse Bücher.«

»Bücher?«, staunte ich. »So wie eine Schriftstellerin?«

»Genau so«, antwortete sie und lachte erneut herzlich.

»Cool.«

»Ja, das ist es.«

»Aber, verdient man damit denn genug Geld?«

»Echt jetzt, gerade du fragst mich, ob ich genug Geld verdiene? Wer hat denn in den vergangenen Jahren von der Hand in den Mund gelebt?«

»Ich. Doch ich bin keineswegs mittellos, Mom.«

»Wo wir wieder bei deinem Bericht wären. Los, erzähl endlich. Ich bin gespannt darauf, meinen Sohn wieder kennenzulernen.«

Tatsächlich kostete es etwas mehr als eine Stunde Zeit, meine Mutter auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen. Schließlich urteilte sie, im Gegensatz zu Dad, »Wirklich toll! Ich beneide dich um die Erfahrungen, die du sammeln konntest und um deine Erinnerungen.«

»Danke.«

»Und, wie geht es jetzt weiter? Möchtest du in England bleiben?«

Ich nickte. »Ja. Ich…ich habe vor mir eine Arbeit zu suchen und…«

»Du willst dir eine Arbeit suchen?«

»Ja.«

»Als was? Deine Französisch-Kenntnisse wirst du hier kaum anwenden können. Und Archäologen werden hier, meines Wissens ebenfalls nicht gerade gesucht.«

»Ich weiß. Ich habe inzwischen einige Erfahrung auf dem Bau gesammelt. Eventuell dort?«

»Dann musst du dich bei deinem Bruder melden. Er hat eine eigene Firma, weißt du?«

»Eine eigene Firma?« Das war mir tatsächlich neu. »Seit wann das denn?«

Mom lachte und erklärte, »Seitdem sein ehemaliger Chef in den Ruhestand gegangen ist und einen Nachfolger für seine Firma gesucht hatte.«

Erstaunt hakte ich nach, »Das kostet doch sehr viel Geld? Woher hatte Ben das?« Er wird doch wohl kaum derart sparsam gelebt haben.

»Stuart hat ihm ausgeholfen.«

»Stuart also?«

»Du wirkst so erstaunt?«, schmunzelte Mutter.

»Nun ja…«

»Auch dahin gehend hast du einiges verpasst. Stuarts Reederei hat vor einigen Jahren einen Großauftrag bekommen. Sie sollten für einen Scheich eine Jacht bauen. Etwas ganz großes, protziges. Das taten sie und der Käufer war derart zufrieden, dass er die Reederei weiterempfahl. Es folgten weitere Aufträge wie dieser und…nun ja, seitdem macht die Firma sehr viel Gewinn. Und dank Stuarts gutem Gespür für Wertanlagen vermehrt dieser sich stetig.«

»Das…das ist ja…toll«, urteilte ich und musste gegen das Erstaunen ankämpfen.

»Was auch der Grund ist, weshalb ich kein Geld mehr verdienen muss, um mir das alles hier leisten zu können.« Jetzt, wo sie es ansprach, fiel mir auf, wie gut sie aussah, wie gepflegt und wie teuer ihre Kleidung schien. Mom sah aus, wie eine First Lady. Ganz anders als wie ich sie in Erinnerung hatte. Bei meinem Weggehen vor sechs Jahren war sie noch Giulietta Hopper. Mittendrin in der Scheidung. Ihre Hochzeit mit Stuart Carpenter hatte ich ebenso verpasst, wie all die Veränderungen.

»Du siehst gut aus«, platzte es aus mir heraus.

Schüchtern lächelnd bedankte sie sich. »Danke, Daniel.«

»Ich freue mich für euch.«

»Danke.«

»Na, dann hoffe ich mal, dass ich ebenso erfolgreich durchstarte«, erklärte ich und zweifelte selbst am allermeisten an meinen Worten.

Doch Mom, wäre nicht Mom, wenn sie nicht antworten würde, »Natürlich schaffst du das. Wie gesagt, frage deinen Bruder bezüglich einer Anstellung!«

»Das werde ich tun.«

»Warte, ich gebe dir seine Adresse.« Giulietta stand auf, hielt dann jedoch inne und wandte sich erneut mir zu, »Apropos, wo wohnst du zurzeit?«

»Dieselbe Frage hat mir gestern auch Dad gestellt.«

Interessiert nahm sie wieder platz und fragte, »Du warst bei deinem Vater?«

Ich nickte zustimmend. »Jup. Und ich soll dich schön grüßen.«

»Sollst du nicht, da bin ich mir sicher«, erwiderte sie und lachte. »Aber egal. Ich weine diesem Mann keine Träne nach.«

»Glaube mir, er dir auch nicht.«

»Ja, unsere Scheidung war nicht gerade…nun ja, sie war nicht einfach.

Aber das ist Vergangenheit.«

»Hm.«

»Wie geht es ihm denn?«

»Es geht ihm gut. Er hat eine Freundin.«

»Ich wette, ich kann ihren Namen erraten.«

Erstaunt blickte ich meiner Mutter ins Gesicht. »Wie das?«

»Heißt sie Gabriela Hoffmann?«

»Ihren Nachnamen kenne ich nicht, doch mit dem Vornamen …hast du recht. Woher…?«

Mom seufzte und erklärte mit trauriger Stimme, »Mit ihr war er schon während unserer Ehe zusammen.«

»War er? Soll das heißen…?«

Sie nickte. »Ja, genau. Sie war seine Sekretärin und Geliebte. Jahrelang.«

»Okay. Das wusste ich nicht.«

»Woher auch? Ihr Kinder habt noch weniger davon mitbekommen als ich. Eines musste man eurem Vater lassen, sie haben sich sehr diskret verhalten.«

Dies ließ ich unkommentiert.

»Und, wie hat er auf deine Rückkehr reagiert?«

»So erfreut mich zu sehen, wie du es warst, war er nicht. Er ist skeptisch, ob ich es tatsächlich durchziehe und hier bleibe. Seine Meinung von mir ist alles andere als hoch.«

»Ein Grund mehr, es ihm zu beweisen, meinst du nicht?«

Das meinte ich.

Mutter fuhr mit einem weniger anstößigem Thema fort, »Ich schreibe dir jetzt mal Benjamins Adresse auf. Und da ich annehme, dass du in Liverpool keine Wohnadresse hast, werde ich dir das Gästezimmer herrichten.«

»Das musst du doch nicht, Mom.«

»Was für eine Mutter wäre ich, wenn ich meinen eigenen Sohn in einem Hotel statt in meinem Haus schlafen ließe?«

»Okay. Ich danke dir. Danke euch«, beeilte ich mich zu berichtigen.

»Meinst du, Stuart ist deiner Meinung?«

»Was sollte er dagegen haben, dass du erst einmal hier wohnst?«

»Wohnen? Es war doch gar nicht die Rede vom einziehen.«

»Ich bitte dich, Daniel, wo willst du denn sonst hin? Hotels kosten Geld und ich nehme mal an, dass du nicht gerade darin schwimmst.«

»Schwimmen nicht gerade, das ist wahr, aber…«

»Keine Widerrede«, fuhr sie mir über den Mund. »Du bleibst erst einmal hier. Ich musste so lange auf meinen Sohn verzichten, da werde ich einen Teufel tun und dich so schnell wieder gehen lassen.«

Schmunzelnd sah ich meiner Mutter nach, als sie den Raum verließ. Ich stand ebenfalls auf und schlenderte langsam durch den Raum. Die Creme weißen Küchenschränke harmonierten hervorragend mit dem Chrom und Messing der Armaturen, Zierleisten, Töpfe und Pfannen. Die Wand zum Garten hatte man durch eine Fensterfront ersetzt, welche nun den Blick auf einen, im Winterschlaf befindlichen, Garten freigab.

Eine schmiedeeiserne gewendelte Treppe führte in der hinteren Zimmerecke in das obere Stockwerk. Ich ließ diese links liegen und sah mich stattdessen im Flur und dem Wohnzimmer um. Allein diese beiden Räume bildeten das Erdgeschoss. Von früheren Besuchen in Stuarts Haus wusste ich, dass im ersten Stock das Wannenbad, das Masterschlaf- und das Arbeitszimmer war. Unter dem Dach, im zweiten Obergeschoss, befanden sich zwei Gästezimmer und ein weiteres Bad.

Wäre ich damals nicht an die Uni gegangen, wäre ich ebenso wie Ben mit hier eingezogen. Mein Sieben Jahre jüngerer Bruder hatte keine Wahl, kam mit seinem Stiefvater jedoch immer blendend klar und freute sich auf einen Neuanfang in Liverpool. Ich dagegen sperrte mich gegen einen Umzug und den Weggang von Vater. Erst heute habe ich begriffen, weshalb Giulietta Arthur verlassen hatte. Damals nahm ich es ihr krumm. Ich wollte meinen Vater nicht verlassen und so weit weg ziehen. Ich glaube, das war auch der Grund, weshalb ich, kaum siebzehn, an die Universität von Sterling ging.

Noch am selben Abend klingelte ich an der Haustür meines Bruders.

Auch der hatte sich inzwischen wohnlich vergrößert. Vom Jugendzimmer, was mein letzter Stand war, zu einem schmucken Reihenhaus in New Brighton. Dem SUV in der Auffahrt entnahm ich, dass Mom recht hatte und Ben freitags pünktlicher als an anderen Wochentagen Feierabend machte. Auf mein Klingeln reagierte dennoch zunächst niemand. Erst nachdem ich zwei weitere Male den Daumen auf den Klingelknopf gepresst hatte, wurde die Haustür aufgerissen und ein tropfnasser, halb nackter Benjamin Carpenter starrte mir wütend entgegen. »Was?«, fauchte er.

Grinsend verschränkte ich die Arme vor der Brust und lehnte mich gegen eine der beiden Säulen, die das Vordach stützten. »Empfängst du immer in diesem Aufzug deine Gäste?«

»Daniel?«

»Ah, er erkennt mich noch«, scherzte ich.

»Na klar.« Ben sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Offensichtlich war es doch nicht seine bevorzugte Art, die Haustür zu öffnen und er wollte den Nachbarn keine Peepshow bieten, obwohl er sich sehen lassen konnte. Mein jüngerer Bruder hatte nicht nur seinen Wohnraum vergrößert. »Komm rein!«

Ich folgte ihm ins Innere des Hauses. »Seit wann bist du wieder im Land?«, fragte Ben und fuhr sich mit der Hand durch das nasse Haar.

»Sorry, ich stand unter der Dusche.«

»Das sehe ich«, erwiderte ich schmunzelnd. »Seit einigen Tagen erst.«

»Okay. Ich… setz du dich mal ins Wohnzimmer! Da gleich links. Ich geh’ und zieh mir mal was an.« Seine Hand deutete auf eine verschlossene Tür. Ich nickte schweigend und betrat das ausgewiesene Zimmer.

Bald darauf kehrte Ben zurück, dieses Mal komplett bekleidet und bot mir zunächst einmal etwas zu trinken an.

Mit je einem Glas Whiskey in den Händen setzten wir uns auf die Couch.

»Jetzt erzähl mal, was hat dich hierher verschlagen?«

Zum dritten Mal innerhalb weniger Tage erzählte ich meine Geschichte und erhielt dieselbe Reaktion wie bei Mom. »Klasse. Da freue ich mich aber!«

»Ich bin auch froh, wieder hier zu sein. Reisen ist ja schön und gut, doch nichts geht über die Heimat.«

»Heimat?«, wiederholte er ungläubig. »Liverpool ist doch gar nicht deine Heimat.«

»Sie kann es aber werden, meinst du nicht?«

»Das ist dein Wunsch?«

Ich nickte zustimmend. »Ich hab` vor, hierzubleiben und mir einen Job zu suchen.«

»Einen Job? Welchen denn?«

»Deshalb bin ich hier.«

Konsterniert zog mein Bruder die Augenbrauen hoch. »Ich hatte angenommen, die Sehnsucht nach deinem Bruder sei es gewesen?«

»Auch, das ist wahr. Aber Mom hatte vorgeschlagen, ich solle bezüglich eines Jobs mal bei dir nachfragen.«

»Mom?«

»Jup.«

»Du warst bei ihr?«

»Bei ihr und bei unserem Dad.«

»Okay«, erwiderte Ben leise.

»Und, hast du Arbeit für mich?«

»Woran denkst du da? Du weißt schon, dass ich eine Baubude habe?

Eine Zimmerei.«

»Ist mir bekannt, ja.«

»Meines Wissens hast du Französisch studiert.«

»Und Archäologie, genau«, ergänzte ich.

»Ich brauche weder Dolmetscher noch Grabungshelfer, sondern Männer, die anpacken können.«

»Sehe ich so aus, als könne ich das nicht?«, fragte ich ihn und deutete mit einem Nicken auf meinen Körper.

Ben nickte anerkennend. »Du hast ganz schön zugelegt.«

»Das macht die Arbeit auf Fischkuttern und im Hafen. Aber auch auf dem Bau habe ich gearbeitet.«

»Was hast du da gemacht?«

»Klempner -, Maurer und Zimmermannsarbeit.«

»Gut. Mir fehlt tatsächlich zurzeit ein Mann«, murmelte er nachdenklich und musterte mich erneut. Schließlich erklärte mein Bruder, »Na gut, wir versuchen es. Komm am Montag in die Firma!«

»Klasse, ich danke dir.«

»Wo wohnst du?«

»Bei Mom und Stuart.«

Er schmunzelte. »Und du meinst, das geht gut?«

»Ist ja nur vorübergehend. So bald wie möglich suche ich mir etwas Eigenes.«

»Wofür du jedoch Geld brauchst«, ergänzte der vernünftige Benjamin nüchtern.

»Genau. Daher…«

»Verstehe.«

»Ich bin jedoch nicht so arm, dass ich meinen Bruder und neuen Boss nicht auf ein paar Gläser einladen könnte. Wie sieht's aus, Bruder, gehen wir was trinken?«

»Heute?«

Ich nickte. »Klar.«

Ben wirkte unentschlossen. »Claire kommt bald heim.«

»Claire? Wer ist das? Deine Freundin?«

»Ja, genau. Sie ist Ärztin.«

»Eine Ärztin. Wow.«

»Ja, für Kinder.«

»Apropos. Habt ihr welche?«

»Was, Kinder? Nee«, keuchte Ben und ich war mir nicht ganz sicher, ob vor Erleichterung oder vor Trauer.

»Was nicht ist…«, murmelte ich kaum hörbar. Lauter fragte ich stattdessen, »Und, wollen wir?«

Ben sah auf seine Armbanduhr. »Okay. Ich leg’ ihr einen Zettel hin.«

Gesagt, getan und bald darauf verließen Ben und ich sein Haus. Ich gebe zu, ich war etwas eifersüchtig auf meinen Bruder. Auf seinen Erfolg und das, was er erreicht hatte. Sodass ich nicht umhinkam, ihn gleichfalls ein wenig zu beeindrucken. Zwar fuhr er einen nicht gerade preiswerten SUV, jedoch mit meinem Audi konnte der nicht mithalten. So lenkte ich ihn gekonnt zum Straßenrand vor seinem Haus, wo mein Wagen geparkt stand und drückte die Türöffnung.

»Wow, ist das deiner?«, staunte Ben wie beabsichtigt.

»Jup. Gerade erst eine Woche in meinem Besitz.«

»Aber…« Er sah mich über das blaue Autodach hinweg an. »…wie kannst du dir solch einen Schlitten leisten? Ich denke, du bist arm wie eine Kirchenmaus?«

»Das habe ich nie gesagt«, stellte ich richtig. »Nein, ich habe Geld, nur reicht es eben nicht ewig. Außerdem bin ich nicht der Typ dafür untätig herumzusitzen. Ich brauche Beschäftigung.«

»Verstehe. Gut, die kannst du haben.«

»Prima. Los, steig ein!«

Staunend sah er sich im Inneren des Autos um, betastete vorsichtig die beigefarbenen Ledersitze und strich andächtig mit den Fingerkuppen über das Armaturenbrett. Ihn zu beeindrucken, war mir gelungen.

»Also, wohin jetzt?«

Ben erklärte es mir und ich startete den Wagen.

In einer Bar, Bens Lieblingspub, bestellten wir zwei Scotch und setzten uns an eines der Fenster. Inzwischen war es dunkel geworden und Regentropfen prasselten von außen gegen die Scheibe.

»So, wo wir das geschäftliche nun hinter uns gebracht haben, will ich jetzt alles über deine Ärztin wissen!«, eröffnete ich das Gespräch.

Ein stolzes Lächeln umspielte Bens Mundwinkel, als er mir nun jede Einzelheit der Beziehung zu seiner Langzeitfreundin berichtete. Bereits seit drei Jahren waren sie ein Paar und im Frühjahr zusammengezogen.

Mutter soll begeistert von ihr sein und ich wäre es wohl auch, wenn ich Claire kennenlerne.

»Und, was gibt es diesbezüglich von dir zu berichten? Hältst du es wie die Seemänner? In jedem Hafen eine Braut«, scherzte mein jüngerer Bruder.

»No way. Da gab es in all den Jahren nie etwas Festes.«

»Ehrlich? Du bist jetzt, wie alt, vierunddreißig?«

»Dreiunddreißig«, stellte ich richtig. »Na und?«

»Ich meine nur…«Mein Gegenüber zuckte die Schultern. »…klingelt da nicht die biologische Uhr oder so etwas?«

»Meines Wissens klingelt die nur bei Frauen«, brummte ich dunkel.

»Nee, ich habe kein Interesse an einer festen Freundin.« Lüge, strafte mich mein gewissen. Eine gab es, mit der ich mir das vorstellen könnte.

Zumindest bildete ich mir das ein – auch wenn ich besagte Frau noch nie live zu Gesicht bekommen habe. »Und Kinder…oh mein Gott, auf keinen Fall.«

»Kinder sind doch toll. Claire will welche.«

»Schön für sie. Und du?«

»Ich auch. In der Weihnachtszeit lese ich den Kids auf ihrer Station vor.

Du weißt schon, die, die über die Feiertage im Krankenhaus bleiben müssen. Das macht großen Spaß und gibt mir ein gutes Gefühl.«

»Und dadurch meinst, du wärst du ein guter Vater? Weil es dir Spaß macht, vorzulesen.«

»Bullshit. Natürlich nicht«, widersprach mein Bruder. »Ich mag Kinder und wünsche mir welche. Nur habe ich erst letztes Jahr die Firma übernommen und muss mich noch behaupten. Jetzt, wegen der Elternzeit auszufallen kann ich mir nicht leisten.«

»Du würdest zu Hause bleiben?«

»Klar. Claire liebt ihren Job und möchte sicherlich nicht länger als nötig ausfallen.«

Naiv und abhängig, wie damals schon. Und das vollkommene Gegenteil von mir. Niemals würde ich mir von einer Frau derart auf der Nase herumtanzen oder mir vorschreiben lassen, was ich zu tun hätte.

Dennoch antwortete ich ausweichend, »Verstehe. Dann darf ich mich also über einen Neffen oder eine Nichte in ein paar Jahren freuen?«

»Du darfst.«

Am darauffolgenden Montag stand ich pünktlich vor meines Bruders Firmengelände. Mom war begeistert zu hören, dass Benjamin mir eine Chance geben wollte und auch dass wir uns nach der langen Trennung noch immer so gut verstanden. Stuart hatte ich inzwischen auch getroffen. Von seiner Geschäftsreise kehrte er am Sonntagnachmittag zurück und war ebenso erfreut wie Mom mich zu sehen.

Selbstverständlich dürfte ich bei ihnen wohnen, solange ich wollte. Doch ich hatte andere Pläne. In meinen Augen ist ein Kerl, der mit dreiunddreißig noch bei seinen Eltern lebte, kein echter Mann. Als ich Sonntagnacht im Bett lag, kam ich mir bereits, wie ein Teenie vor. Ich musste da raus, so schnell wie möglich.

Ben ließ mich zunächst einmal leichte Tätigkeiten verrichten. Wollte, wie er sagte, erst einmal sehen, was ich so drauf hätte. Offenkundig bewies ich ihm, dass mein Wissen weit über simple Schneidearbeiten oder Ausmessen reichte und bereits am Dienstag fuhr ich mit ihm mit auf eine Baustelle.

Die Woche lief gut. Für die Kollegen war ich die wahr gewordene Arbeitserleichterung und auch das Bruderverhältnis festigte sich wieder.

Beinahe schien es, als sei ich nie weg gewesen. Am kommenden Samstag verabredeten wir uns erneut zum Ausgehen. Mit einem Unterschied. Dieses Mal würde Claire mit dabei sein. Sie war wohl schon sehr gespannt auf Benjamins Bruder und seine Reiseberichte.

Da mein Auto nur ein Zweisitzer war, trafen uns direkt vor dem Pub.

Claire und Ben warteten bereits, als ich auf sie zu geschlendert kam. Die Pupillen der Freundin weiteten sich, als sie mich sah und mit halb geöffnetem Mund starrte sie mich unverhohlen an.

»Claire, Darling, das ist Dan«, stellte Ben uns vor. »Ben, das ist meine Liebste.«

»Hey, cool dich kennenzulernen«, sagte ich artig und reichte ihr die Hand, welche sie ungeachtet links liegen ließ. Noch immer war Claires Blick auf meinen Oberkörper fixiert.

»Ähm …Schatz, wollen wir dann mal hineingehen?«, meldete sich Ben aus dem Off. »Ist ziemlich kalt heute.«

Endlich kam Bewegung in seine Freundin. An der Hand ließ sie sich ins Innere des Pubs ziehen. Ich folgte ihnen mit einem milden Lächeln auf den Lippen.

Kaum hatte ich jedoch drinnen, mich meiner Jacke entledigt, war das Staunen zurück. Der Wirkung meines Körperbaus auf die Frauenwelt war ich mir vollends bewusst. Ben jedoch schien völlig überfordert zu sein. »Ähm…was…was wollt ihr trinken?«

»Lass mal. Ich mach’ das schon«, entschied ich kurzerhand, stand auf und ging zur Bar, um den beiden einen Moment Zeit zu geben, die Sache zu klären.

Tatsächlich nahm Claire sich zusammen, als ich an unseren Tisch zurückkehrte. Freundlich distanziert waren die Blicke, die sie mir ab und zuwarf. Ich erwiderte sie wissend lächelnd. Fast schon schüchtern bat sie mich von meinen Reisen zu berichten, was ich auch gern tat. Von den Naturwundern und Erfahrungen, die ich unter den jeweiligen Einwohnern hatte, machen dürfen berichtete ich gerne.

Als Claire später einmal auf der Toilette verschwand, raunte Ben mir zu, »Du hast sie scheinbar ganz schön…beeindruckt.«

Peinlich berührt antwortete ich, »Unbeabsichtigt. Ich kann nichts dafür.«

»Solch ein Aussehen kommt doch nicht von ungefähr.«

»Nein, das kommt durch harte Arbeit und Disziplin.«

Ben nickte verständig. »Schon die Frau des Bauherren diese Woche war ganz…begeistert.«

Ich zuckte entschuldigend die Schultern.

»Und bei dieser Wirkung, die du auf Frauen hast, willst du mir weismachen, dass du nicht eine Freundin hattest in den vergangenen Jahren?«

»Hatte ich auch nicht.«

»Seltsam. Mit deinem Aussehen müssen dir die Frauen doch zu Heerscharen hinterherlaufen?«

»Vielleicht tun sie das ja auch. keine Ahnung.«

»Du hast gar kein Interesse«, stellte mein jüngerer Bruder fest. Und mit einem mal sah ich Erkenntnis in seinem Blick aufblitzen. »Ich verstehe.«

»Was verstehst du?«, frage ich und leere mit einem Zug mein Glas.

Herrlich warm brannte sich der Whiskey meine Speiseröhre hinunter.

»Du bist schwul«, platzte mein Bruder etwas zu laut heraus. Ohne hinzusehen spürte ich die Blicke der Leute der benachbarten Tische in meinem Rücken. »Bist du bescheuert? Halts Maul!«

»Was denn? Ist doch keine Schande mehr. Heutzutage«, lachte Ben und fuhr sich mit der Hand durch das kurze Blondhaar.

»Ich bin nicht schwul. Klar?«

»Nicht?« Abschätzig musterte er mich über den Tisch hinweg.

»Was? Willst du etwa behaupten, ich sehe schwul aus?«

Er zuckte die Schultern. »Nun ja…«

»Na, vielen Dank auch.«

»Beweis es!«

»Beweisen? Was?«

»Dass du nicht schwul bist«, schlug er grinsend vor. »Reiß dir eine Frau auf. Für die Nacht. Oder fürs Wochenende. Wie du willst.«

»Spinnst du? Ich fick’ doch nicht irgendeine Tussi, nur damit mein Bruder zufriedengestellt ist. Wenn du so gerne fremde Frauen flachlegst, mach mit deiner Claire Schluss und tue es selbst.«

»Jetzt spinnst du wohl total. Ich liebe Claire«, empörte er sich.

»Schön für dich«, knurrte ich zur Antwort.

Plötzlich schien ihm noch eine zweite Möglichkeit meiner Abstinenz einzufallen. »Es gibt da eine. Hab’ ich recht? Eine, die dir sehr wohl etwas bedeutet. Von wegen, du bist nicht an einer festen Partnerschaft interessiert. Irgendwo da draußen gibt es eine Frau, auf die du es abgesehen hast. Und es gibt zwei Möglichkeiten, weswegen du jetzt hier, statt bei ihr bist.«

»Ach, ist das so?«, tat ich unbeteiligt.

»Ja. Entweder, sie hat noch keine Ahnung, dass es dich gibt. Du himmelst sie aus der Ferne an und hast dich bisher nicht getraut sie anzusprechen oder…«

Scheiße. Wie konnte er nur so genau ins Schwarze treffen? Dunkel knurre ich, »Was kommt denn jetzt?«

»Oder…«, fuhr mein Bruder fort, »…sie ist bereits vergeben und du verzehrst dich deswegen.«

»Ich verzehre mich? Dein Ernst? Wo lebst du denn?«

Ben zuckte gelangweilt die Schultern. »Und, welche der beiden Möglichkeiten trifft zu? Du brauchst es gar nicht abzustreiten, denn ich sehe es dir an, dass ich zumindest mit einer Möglichkeit recht habe.«

Einen kurzen Moment lang überlegte ich alles abzustreiten, doch was würde das nützen? Ben würde, wenn ich verneine, mich weiter versuchen zu verkuppeln oder weiter in mich dringen. Und irgendwann fände er die Wahrheit doch heraus. Gemeinsam mit Mom war er schon immer eine unbesiegbare Einheit gewesen, im Kampf gegen einen lügenden Daniel.

In diesem Moment kam Claire zurück an den Tisch. »Bitte entschuldigt, vor den Klos war eine lange Schlange. Was habe ich verpasst?«

Ben sah zu ihr auf und erklärte grinsend, »Dan wollte gerade von seiner Freundin berichten.«

»Freundin?«, hakte sie interessiert nach. Schlaues Kerlchen, so schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen unterband er jedwedes Interesse seiner Freundin an meiner Person, weil ich schließlich so gut wie vergeben war. Für eine Frau stellte dieser Umstand zumeist ein größeres Hindernis als für uns Männer dar. Und zum anderen hatte er mit ihr eine Verbündete, mir die Informationen aus der Nase zu ziehen.

Und tatsächlich sprang sie gleich mit auf den Zug auf. »Ehrlich? Erzähl doch mal! Wie heißt sie? Wohnt sie auch hier in Liverpool oder hast du sie auf einer deiner Reisen kennengelernt?«

Seufzend fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht. Definitiv würde ich für meine peinliche Beichte einen weiteren Whiskey benötigen.

Nachdem dieser vor mir stand und ich etwas hatte, woran ich mich klammern konnte, begann ich zu berichten, »Du hast recht, Ben, da gibt es tatsächlich jemanden.«

Dieser klatschte in die Hände. »Wusste ich es doch.«

»Ihr Name ist Pauline.«

»Pauline«, wiederholte Claire. »Entweder ist sie Französin. Aber du hast den Namen nicht französisch ausgesprochen, daher nehme ich an, sie ist Deutsche?«

»Ist sie. Sie kommt aus Berlin, lebt jetzt aber auf dem Land.«

»Berlin. Cool.«

»Hm.«

»Und wie habt ihr euch kennengelernt? Du hast von keiner Reise nach Deutschland berichtet«, stellte Ben folgerichtig fest.

»Internet«, erwiderte ich kurz angebunden.

»Verstehe. Und…na ja, habt ihr euch denn dann überhaupt schon einmal getroffen? Ich meine, wenn du noch nie in Deutschland warst.«

»Das und noch eine weitere Kleinigkeit ist das Problem«, gab ich zu.

»Problem?«, echot mein Bruder.

»Ja, Problem«, bestätigte ich. »Pauline weiß zum einen nicht einmal, dass es mich gibt. Zum anderen ist sie die Frau meines besten Kumpel.«

»Was?«, keuchte Ben. »Das…bester Kumpel? Warte, wie hieß der noch gleich? Du hast damals oft von ihm gesprochen und er war auch mal mit in Liverpool.«

»Sam Macrae.«

»Genau. Sam. Und der ist mit dieser Pauline zusammen? Woher weißt du das, wenn ihr euch noch nie getroffen habt?«

»Wie gesagt, Internet. Ich folge ihr auf Insta.«

»Das ist schräg«, urteilte Ben und Claire nickte schweigend. »Und irgendwie gruselig.«

»Blödsinn. Ich verfolge einfach nur was sie so tun.«

»Und für diese, dir vollkommen fremde Frau, sparst du dich auf?«, brachte Ben es auf den Punkt.

»Ich spare mich nicht auf. Ich bin einfach nur an keiner anderen interessiert«, stellte ich meine Situation klar.

»Was dasselbe ist.«

Ich brummte etwas Unverständliches.

»Wenn sie die Frau deines Freundes ist«, mischte Claire sich ein.

»Müsste das doch für dich ein Hinderungsgrund sein, die Finger von ihr zu lassen und deine Bemühungen einzustellen?«

»Welche Bemühungen denn? Ich habe doch noch gar nichts getan.«

»Aber du willst«, meinte Ben nüchtern. »Gib es zu! In deinem Kopf hast du bereits einen genauen Plan.«

Wie richtig er damit lag, gab ich an dieser Stelle nicht zu. Nur, »Ich wollte sie tatsächlich bereits besuchen fahren, habe es mir aber im letzten Moment anders überlegt.«

»Und wie wolltest du es anstellen? Einfach dort aufkreuzen und sie mit deinem Körper und deinem Charme bezirzen?«

Claire nickte nachdenklich.

»Ich hatte gehofft, sie…na ja, irgendwie…«

»Du wolltest sie ihm ausspannen. Gib es zu! Deinem besten Kumpel«, blaffte Ben.

»Das wäre echt das Letzte. Das kannst du nicht machen.«

»Habe ich ja auch nicht. Eben aus diesem Grund«, verteidigte ich mich.

»Inzwischen kommt mir diese Idee selbst auch total mies vor.«

»Gut so. Such dir eine andere. Es gibt so viele Frauen auf der Welt. Such dir eine, die noch keinem anderen Mann gehört.«

»Leichter gesagt als getan, wenn deine Gedanken nur noch von der einen beherrscht werden. Und immer wenn du die Augen schließt, ihr Gesicht siehst und auch sonst nur noch an sie denken kannst. Wenn der einzige Gedanke, der dich beherrscht, der ist, ob du eine Chance bei ihr hättest und verteufelt sein willst, wenn du es nicht wenigstens versucht hast.«

»Oh man, du bist ja wirklich verknallt«, urteilte Ben schmunzelnd und warf seiner Freundin einen bedeutungsvollen Blick zu. Diese nickte milde lächelnd.

Ernüchtert stellte ich fest, dass mein Bruder wohl recht hatte.

»Schöne Scheiße. Ich bin verloren«, murmelte ich leise.

3.

Das Streben nach dem Scheitern

Die Wochen vergingen, in denen ich mich mehr und mehr in der Firma meines Bruders einbrachte, neue Freunde fand und den Kontakt zu alten wiederherstellte. Ich verstand mich gut mit Claire und Ben. Wir gingen öfter zusammen aus. Zudem fand ich eine kleine Wohnung in der Innenstadt von Liverpool, die ich jedoch nur spärlich einrichtete. Denn noch immer war mein Herz und Hirn nicht vollkommen überzeugt davon, wirklich für immer hierzubleiben. Als die Dienstpläne für Weihnachten anstanden, trug ich mich freiwillig ein. Ich würde Weihnachten durcharbeiten und so den Familienvätern und Partnern ein schönes Fest im Kreise ihrer Liebsten ermöglichen. Dafür jedoch nahm ich mir die Tage an und um Silvester frei. Sams Eltern betrieben noch immer in Dumfries ein Hotel. Wenn ich mich recht erinnere, war Sam sogar als Geschäftsführer vorgesehen. Ein Umstand, der offensichtlich inzwischen nicht eingetroffen war. Wie könnte er auch in Schottland ein Hotel leiten und zeitgleich in diesem Nest in Deutschland ein Café betreiben? Doch so lange ich ihn kenne, hat er keine der berühmt-berüchtigten Silvesterpartys im Hotel der Macrae's ausgelassen. Meine Hoffnung war es, dass er auch in diesem Jahr, gemeinsam mit Pauline, anreisen würde. Also machte ich mich rechtzeitig im Auto auf den Weg in den schönen Süden Schottlands. Ich beschloss, der guten alten Zeiten und der Einfachheit halber, mich direkt im Hotel einzumieten. Für einen alten Freund der Familie hatte man dort sicherlich noch ein Zimmer frei.

Der Parkboy strahlte über das ganze Gesicht, als ich ihm die Autoschlüssel in die Hand drückte und mir meine Tasche über die Schulter warf. Meine Umgebung inspizierend, schlenderte ich in dem alten Backsteingebäude direkt auf die Rezeption zu. Die junge Blondine dahinter hob den Blick, kaum, dass ich davor zum Stehen gekommen war. »Guten Tag«, begann sie freundlich und stockte abrupt. »Daniel Hopper? Bist du das wirklich?«

Mein Hirn benötigte ein paar Sekunden länger, mein Gegenüber wiederzuerkennen. »Eliza? Eliza…ähm…«

Mit einer lässigen Handbewegung wischte sie sich ihren langen Zopf über die Schulter. »Evans. Ja, das bin ich.«

»Cool«, brachte ich recht dümmlich hervor. Peinlich. Eine alte Flamme nach so langer Zeit wiederzutreffen. Noch peinlicher, weil mein Schwanz bereits in jeder ihrer Körperöffnung gesteckt hatte. »Was…was tust du denn hier?«

Konstatiert sah sie zu mir auf und verschränkte trotzig die Arme vor der Hand. »Du meinst, was ich hier unten zu suchen habe? Du hättest mich wohl eher in einem der Zimmer beim Putzen vermutet?«

»Ähm…ja…nein, natürlich«, widersprach ich rasch. »Sorry. Ich bin nur so…so überrascht dich hier zu sehen. Ich hätte gedacht…«

»Was denn? Dass ich inzwischen verheiratet und weggegangen wäre?«

»Ja, genau«, nahm ich ihr Ausredeangebot an.

Lächelnd erklärte Eliza mir, »Die Zimmermädchenzeit habe ich hinter mir gelassen. Mrs Brown hat meine Qualitäten erkannt und mich für den Posten als Rezeptionistin vorgeschlagen. Und nach einer Umschulung und einer halbjährlichen Probezeit hat mich Mister Macrae schließlich hier eingesetzt.«

»Gratuliere«, murmelte ich. »Ehrlich.«

»Und, was hast du so getrieben?«

»Ich war viel auf Reisen. Hab mal hier, mal dort gearbeitet.«

»Hast du nicht Spanisch oder so etwas studiert? Ich habe mich damals schon gefragt, warum man das studiert.«

»Französisch.«

»Darin warst du auch ohne Studium schon gut«, erwiderte sie und zwinkerte mir zu. Entsetzt spürte ich, wie ich rot wurde. Aus dem kleinen schüchternen Mädchen, was gemeinsam mit Sam und mir durch die Betten gesprungen war, ist eine toughe junge Frau geworden.

Auch Eliza schien zu bemerken, dass unser Gespräch an dem Punkt angekommen war, an dem man sich lieber in ein Separee zurückzog.

»Minty, würdest du bitte kurz mal für mich übernehmen?«, fragte sie an eine junge Asiatin gewandt. Die Angesprochene nickte und stellte sich an ihrer statt hinter den Tresen.

»Komm mit!«, flüsterte Eliza und strich mit den Fingerspitzen über meine Brust, als sie an mir vorüberging. Der laszive Blick würde mich ihr überallhin folgen lassen, doch als wir uns Minuten später in zwei Sesseln niederließen, war die Lust auch schon wieder verschwunden.

Offensichtlich jedoch nicht bei ihr. Eliza hätte wohl nichts dagegen, alte Zeiten wieder aufleben zu lassen. »Erzähl, hast du eine Freundin?«, war daher auch ihre erste Frage.

Ich schüttelte den Kopf.

Sofort leuchteten ihre Augen etwas mehr.

»Vergiss es«, nahm ich ihr jedoch rasch wieder den Wind aus den Segeln. »Ich hab’ da jemanden im Auge.«

»Ach so«, erwiderte sie ernüchtert. »Und weshalb bist du hier? Trefft ihr euch hier im Hotel, um gemeinsam ins neue Jahr zu starten?«

»Nee. Ich bin nur zum Feiern hier und…um alte Freunde wiederzusehen.«

»Na, eine alte Freundin hast du ja schon gefunden«, sagte sie frech.

Ich quittierte dies mit einem sexy Lächeln. »Hm.«

»Ich freue mich wirklich, dich mal wiederzusehen. Zu lange schon habe ich euch Jungs nicht mehr gesehen.«

»Sam also auch nicht?«, hakte ich neugierig nach.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, auch ihn nicht.«

»Na ja, das wird sich wohl in den nächsten Tagen ändern. Er kommt doch sicherlich zur Party?«

»Zur Silvesterparty?«

Ich nickte.

»Da wäre ich schon sehr überrascht.«

»Inwiefern?«

»Weißt du es gar nicht?«

»Was denn verdammt?«

»Er und sein alter Herr sind zerstritten. Mehr als fünf Jahre ist es her, dass er das letzte Mal hier war.«

»Wirklich?«

Eliza nickte erneut.

»Der alte Macrae wollte, dass er die Geschäfte hier übernimmt, doch sein Sohn hatte andere Pläne. Der wollte sich nicht fest binden, wie es schien.«

»Jetzt hat er es doch auch getan?«, wunderte ich mich.

»Wieso?«

»Er hat ein Café. In Deutschland.«

»Wirklich?«

»Jup.«

»Habt ihr Kontakt?«

»Leider nein. Ich bin aber auch noch nicht so lange zurück in England.«

»Das musst du mir mal genauer erzählen! Wir können uns ja mal treffen?«

»Gern.« Ich schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. »Wir finden sicher mal Zeit in den nächsten Tagen?«

»Sicher. Du willst also ein paar Tage bleiben?«

»Ja, gern. Wenn ihr noch ein Zimmer freihabt?«

»Für dich sicher. Mrs. Macrae wird sich freuen, dich zu sehen. Für sie gehörtest du damals schon zur Familie.«

Beim Gedanken an Sams Mutter musste ich schmunzeln.

»Sie und ihr Mann werden kommen. Doch auf Sam musst du sicher verzichten. Obwohl…« Irgendwas schien ihr wieder einzufallen.

»Was ist?«

»Vor ein paar Wochen rief hier eine Frau an, die behauptete, die Freundin von Sam Macrae zu sein.

»Wirklich? Hieß sie Pauline?«

Eliza überlegte und nickte schließlich. »Ja, ich glaube, das war ihr Name.

Du kennst sie?«

»Nein. Aber ich weiß, dass sie Sams Freundin ist. Weshalb hatte sie denn hier angerufen? Wollte sie ein Zimmer reservieren?«

Eliza lachte. »Nein. Sie faselte etwas von einer Einladung. Ich glaube, sie wollte, dass sich die Macrae's wieder vertragen.«

»Ist das so?«

Sie nickte zustimmend. »So habe ich es verstanden.«

»Okay. Und, waren sie inzwischen hier in Schottland oder…«

»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Macrae's gerade erst dort waren.«

»In Deutschland?«

»Ja, genau.«

Ich sah mich in dem alten Büchersaal um. »Und wer hält inzwischen hier die Stellung?«

»Man merkt, dass du längere Zeit nicht hier warst«, erwiderte die Blondine und lachte. »Der alte Roarke hat sich schon im letzten Jahr beinahe vollständig aus dem Geschäft zurückgezogen. Sein Neffe leitet jetzt das Hotel.«

Konzentriert versuchte ich mich an dessen Namen zu erinnern, doch der wollte mir beim besten Willen nicht einfallen. »Wer war das gleich noch mal?«

»Jacob Macrae. Er ist beileibe nicht die erste Wahl, doch die einzige Chance, die der Alte hatte.«

»Warum? was spricht gegen ihn?«

»Wo fange ich da nur an?«, grinste mein Gegenüber.

»So schlimm?«

»Schlimmer. Wenn er nicht bald mal seinen Geschäftssinn entdeckt oder zumindest seine Spielsucht zügelt, dürfte die Zeit des Hotels gezählt sein.«

»Das klingt gar nicht gut«, stimme ich ihren Ausführungen zu. »Wäre schade um den alten Kasten.«

»Das wäre es in der Tat.«

»Aber ist nicht unsere Baustelle. Du meinst also, es ist unwahrscheinlich, dass Sam hier aufkreuzt?«

Eliza zuckte die Schultern. »Natürlich könnte es sein, dass sie sich aussprechen und plötzlich wieder eitel Sonnenschein herrscht. Und dass sie alle zusammen herkommen, um nach einem gemeinsamen Weihnachtsfest Silvester zu feiern, doch ich war noch nie ein derart optimistischer Mensch.«

Na ja, ich erinnere mich da an eine kesse Frau, die vollkommen optimistisch war, dass beide Männer nicht nein sagen würden, wenn sie ihnen einen Dreier vorschlagen würde. Aber, das ist wohl eine andere Geschichte.

»Okay. Schade. Dann muss ich mir wohl doch mal Urlaub nehmen und ihn in Deutschland besuchen.«

»Was arbeitest du denn? Und wo?«

»In der Baubude meines Bruders als Zimmermann.«

»Aha. Und das ist es jetzt, was du machen willst?«

Tja, das ist eine gute Frage.

Ich brachte also Silvester ohne Sam und Begleitung, jedoch nicht allein hinter mich. Eliza, noch immer vollkommen fasziniert, mich nach so vielen Jahren wiederzusehen, klebte förmlich an mir. Und ja, ich tat ihr den Gefallen, sie in meinem Hotelzimmer richtig durchzunehmen. Sie bettelte ja geradezu darum. Und da es auch bei mir bereits einige Zeit her war, spielte ich nur allzu gern den Toyboy.

Das neue Jahr begann, wie das alte aufgehört hatte. Ich arbeitete verbissen, festigte tagsüber meinen Ruf als guter Handwerker und stalkte abends zu Hause per Smartphone Pauline. Einer ihrer Posts entsetzte mich dermaßen, dass ich zunächst einmal einem Spirituosengeschäft einen Besuch abstatten musste. Halbwegs benebelt las ich erneut den Post mit ihrer freudigen Neuigkeit und starrte auf das Foto ihrer Hand. Doch es war nicht die zarte helle Haut ihrer kleinen Hand, sondern vielmehr das Vorhandensein eines Verlobungsrings mit einem beschissenem Diamanten darin. »Fuck!«, schrie ich ins Leere.

»Das darf doch nicht…die kennen sich, wie lange? Ein paar lausige Monate.«

Ich musste mich irgendwem anvertrauen und da dafür allein mein Bruder infrage kam, rief ich ihn an und bat um ein Treffen. Allein, ohne Claire, wenn es ginge.