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Achtsamkeit ist der Königsweg zu einem sinnerfüllten, freudvollen und freien Leben. Wohl niemand kann uns besser zeigen, wie wir diese Ziele erreichen, als Thich Nhat Hanh, der die Praxis des achtsamen Lebens in die westliche Welt brachte. Einfühlsam und scharfsinnig widmet sich der weltberühmte Mönch den großen Themen unseres Daseins und macht die zeitlose Weisheit des Buddha anwendbar – damit wir jeden einzelnen Moment intensiv leben und wie ein kostbares Geschenk umarmen können.
»Die sieben elementaren Lehren in diesem Buch eröffnen einen Weg, der sowohl unser Leben als auch das unserer Familien, unsere Gesellschaft und unsere Welt verändern und heilen kann. Mit jedem einzelnen Schritt auf diesem Pfad gelangen wir zu mehr Freiheit, Freude und Frieden.« Thich Nhat Hanh
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Seitenzahl: 226
Thich Nhat Hanh: Leben ist, was jetzt passiert
Richtungsweisend für jeden spirituellen Sinnsucher bringt Thich Nhat Hanh sein Lebenswissen und seinen unermesslichen Erfahrungsschatz auf den Punkt. In sieben elementaren, einfach anwendbaren Lehren vermittelt er die Kunst der Achtsamkeit. Dieser Weg führt uns zu tiefen Einsichten, die uns von Angst, Ärger, Stress und falschen Vorstellungen über das Leben und den Tod befreien. So finden wir Frieden, Glück und Freiheit, die wir in jedem Augenblick unseres Lebens berühren und erfahren können.
THICH NHAT HANH
Leben ist,
was jetzt passiert
Das Geheimnis der Achtsamkeit
Aus dem Englischen übersetzt
von Jochen Lehner
Inhalt
Vorwort zur deutschen Ausgabe von Schwester Chan Duc
Vorwort von Schwester Chan Khong
Einleitung
1 Leerheit – das Wunder des Interseins
2 Zeichenlosigkeit – eine Wolke stirbt niemals
3 Absichtslosigkeit – in Gott ruhen
4 Unbeständigkeit – jetzt ist die Zeit
5 Nicht-Begehren – du hast genug
6 Loslassen – Transformation und Heilung
7 Nirvana ist jetzt
Schlussbetrachtung – Zeit zu leben
Nachwort – Ein Weg des Glücks
Über den Autor
Praxiszentren von Thich Nhat Hanh
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Ich habe Thầy (wie wir Thich Nhat Hanh liebevoll nennen) das erste Mal persönlich 1986 in meinem Heimatland England gesehen, als ich 37 Jahre alt war. Er ist mit Schwester Chan Khong aus Frankreich angereist und ich ging zum Flughafen, um sie zu empfangen. Sie haben mich voller Wärme und Freundlichkeit begrüßt und ich hatte schon in diesem Moment das Gefühl, dass sie beinahe ein Teil meiner eigenen Familie sind. Thầy hat mich – ebenso wie alle seine Schülerinnen und Schüler – über die Jahre hinweg mit dem Mitgefühl und der liebevollen Güte eines Vaters, einer Mutter oder eines Großvaters behandelt. Tatsächlich nennen ihn seine vietnamesischen Schüler oft »Sư Ông«, das wörtlich »Großvater-Lehrer« bedeutet. Thầy spricht seine Zuhörer und Schüler sehr persönlich und direkt an. Aus diesen Gründen haben wir uns entschieden, das englische »you« in diesem Buch mit »du« zu übersetzen.
Der englische Originaltitel dieses Buches lautet »The Art of Living« (»Die Kunst des Lebens« oder »Die Kunst zu leben«). Thầy wurde oft gefragt »Was passiert, wenn wir sterben?« und seine Antwort ist, dass wir wissen sollten, wie man auf eine tiefe Weise lebt und wie man tief schaut, um die wahre Natur von Geburt und Tod zu verstehen. Der deutsche Titel »Leben ist, was jetzt passiert« spiegelt diese Lehre ebenfalls wider, die besagt, dass wir die Natur des Lebens verstehen können, indem wir auf eine tiefe Weise im gegenwärtigen Moment leben; und das Leben zu verstehen bedeutet, den Tod zu verstehen. Leben ist nicht etwas, das einfach geschieht, wir können, ja wir sollen es aktiv gestalten. Oder wie Thầy in diesem Buch so prägnant formuliert: »Ob dieser Augenblick ein glücklicher ist oder nicht, liegt an dir. Du bist es, der den Augenblick zu einem glücklichen macht, es ist nicht der Augenblick, der dich glücklich macht.« Achtsamkeit ist eine Art zu leben, eine Kunst, ein Weg.
Die Lehren in diesem Buch handeln von Keine-Geburt und Kein-Tod, aber sie sind keine Theorie. Es wird nicht erwartet, dass du etwas glaubst, sondern dass du Achtsamkeit und Konzentration benutzt, um zu sehen, wie die Dinge wirklich sind. Diese Lehren sind wie ein Finger, der zum Mond zeigt, oder wie ein Streichholz. Die Flamme Ihrer eigenen Einsicht wird das Streichholz verbrennen, das Sie dann nicht mehr brauchen.
Im allerersten Retreat von Thầy, das ich besuchte, sprach er schon über einige der Lehren wie Leerheit, Zeichenlosigkeit und Absichtslosigkeit, die in diesem Buch zu finden sind. Normalerweise hat Thầy erst in dem letzten Dharma-Vortrag eines Retreats über diese Lehren gesprochen, denn sie sind sehr tief und wundervoll und es wäre zu schwierig für uns sie zu verstehen, wenn wir zuvor nur einige wenige Stunden praktiziert haben. Aber wenn wir mit der Sangha für vier oder fünf Tage praktizieren, dann öffnen sich unser Herz und Geist und wir sind imstande, auch tiefere Lehren zu empfangen. Im letzten Dharma-Vortrag meines ersten Retreats hat Thầy ein Blatt Papier hochgehalten und fragte uns, ob wir eine Wolke darin sehen können. Und er fragte dann, wann das Blatt Papier geboren wurde. Daraufhin verbrannte er das Papier und fragte uns, ob die Wolke gestorben sei.
Dieses Buch hat viele Erläuterungen, die dir helfen werden, Achtsamkeit zu praktizieren. Um den größten Nutzen von den Lehren dieses Buches zu erhalten, solltest du zumindest einige der Achtsamkeitsübungen praktizieren, die hier beschrieben werden, während du dieses Buch liest. Lies langsam, ein kleines bisschen auf einmal, und wenn du eine Einsicht hast, dann lege das Buch kurz zur Seite und genieße dein achtsames Atmen, damit dein Körper und Geist die Einsicht empfangen können. Falls du, während du das Buch liest, aufstehen musst, um z. B. zur Haustür oder in die Küche zu gehen, dann geh achtsam zur Türe und genieße jeden Schritt.
Thầy hat das schreckliche Leiden von zwei Kriegen in Vietnam durchlebt und dieses Leiden führte nicht dazu, dass er verbittert oder verzweifelt wurde. Ganz im Gegenteil: Es hat zu großem Mitgefühl und Verstehen geführt. Wir alle haben die Fähigkeit, zu verstehen und mitfühlend zu sein, und dieses Buch hilft uns dabei, dass wir uns nicht vor dem Leiden fürchten, sondern sehen, wie wir Leiden nutzen können, um Mitgefühl zu entwickeln – zuerst für uns selbst und danach für andere.
Ich wuchs als Christin auf und benutzte das Wort »Gott«, ohne jedoch wirklich zu wissen, was dies bedeutet. Dieses Buch geht auch auf die Frage nach Gott ein, obwohl es von einem buddhistischen Mönch geschrieben wurde. Schon seit seiner ersten Reise in die USA in den 1960er-Jahren war Thầy in engem Kontakt mit christlichen Denkern und Praktizierenden, u.a. verband ihn eine tiefe Freundschaft mit Dr. Martin Luther King und Thomas Merton. Thầys Einsichten über das Christentum und insbesondere über Gott haben mir sehr geholfen, eine Tür zu eröffnen, um die Religion meiner Kind- und Jugendzeit besser zu verstehen und wertzuschätzen.
Unser größter Wunsch ist es, dass du die Zeit und die Bedingungen hast, um die Übungen dieses Buches genießen zu können und dadurch die Frucht der Nicht-Angst verwirklichen zu können. Falls du die Möglichkeit hast zu einem unserer Achtsamkeitspraxiszentren in Deutschland oder Frankreich zu einem Retreat zu kommen, wäre das wundervoll.
Schwester Chan Duc (True Virtue),
Leiterin der Praxis, Europäisches
Institut für Angewandten Buddhismus,
Waldbröl
Vorwort von Schwester Chan Khong
Das erste Mal habe ich einen Vortrag von Thich Nhat Hanh 1959 im Xa-Loi-Tempel in Saigon gehört. Ich war Studentin und voller Fragen über das Leben und den Buddhismus. Obwohl er noch ein junger Mönch war, so eilte ihm bereits der Ruf als Dichter und vollendeter Gelehrter voraus. Dieser erste Vortrag hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck. Ich hatte noch nie jemand so schön und tiefgründig sprechen hören und war beeindruckt über seine Kenntnisse, seine Weisheit und über seine Vision eines tief in den alten Lehren verwurzelten und zugleich auf die Bedürfnisse unserer Zeit abgestimmten praktischen Buddhismus. Damals beteiligte ich mich bereits an der Sozialarbeit in den Slums und träumte davon, die Armut lindern und zur Einleitung eines gesellschaftlichen Wandels beitragen zu können. Nicht alle unterstützten meinen Traum, aber »Thầy« bestärkte mich sehr darin. Er sagte mir, er sei sich sicher, dass jeder Mensch das Erwachen berühren könne durch die Arbeit, die er oder sie besonders gern tut. Wichtig sei vor allem, dass wir ganz wir selbst sind und so tief und achtsam leben, wie wir können. Ich wusste, dies ist der Lehrer, den ich gesucht hatte.
Fünfzig Jahre ist es mir seither vergönnt, Thich Nhat Hanhs Schülerin zu sein und seine Arbeit zu unterstützen: Den Aufbau von Programmen für die Sozialarbeit in Vietnam, die Friedensarbeit in Paris, die Rettung von Bootsflüchtlingen auf hoher See und schließlich die Einrichtung von Zentren für die Achtsamkeitspraxis in Europa, den USA und Asien. Ich konnte verfolgen, wie sich Thầys Art zu lehren entwickelte und vertiefte, wie er sie immer wieder an die veränderten Bedürfnisse und Anforderungen dieser Zeit anpasste. Nur zu gern widmete er sich dem Dialog mit führenden Wissenschaftlern, Medizinern, Politikern, Pädagogen, Geschäftsleuten und Pionieren der technischen Entwicklung. Stets ging es ihm um ein tieferes Verstehen der Herausforderungen unserer Zeit und die Entwicklung einer entsprechend angepassten, wirksamen Achtsamkeitspraxis. Immer wieder und bis zu seinem völlig unerwarteten schweren Schlaganfall mit achtundachtzig Jahren im November 2014 gelangte er zu bahnbrechenden Einsichten in die grundlegenden buddhistischen Lehren. Oft nahm er, durchdrungen von reiner Freude, nach seiner Gehmeditation den Pinsel zur Hand und hielt seine Einsichten in kurzen kalligrafischen Sätzen fest. Viele davon sind in diesem Buch zu finden.
Es ist ein ganz besonderes Buch geworden, herausgegeben von seinen monastischen Schülern. Es birgt die Essenz all dessen, was er in den letzten beiden Jahren seiner Lehrtätigkeit über die Kunst des achtsamen Lebens gesagt hat. Insbesondere enthält es die bahnbrechenden Vorträge, die er im Rahmen des 21-Tage-Retreats gehalten hat, das im Juni 2014 in Plum Village in Frankreich stattfand. Das Thema war: »Was geschieht, wenn wir sterben? Was geschieht, wenn wir leben?«
Mich berührt es immer wieder tief, zu erleben, wie Thầy selbst all das lebt, was er lehrt. Er ist wahrlich ein Meister dieser Lebenskunst. Er liebt das Leben und hat bei allem, was er im Laufe so vieler Jahre erlebt hat – Krieg, Exil, Verrat und Krankheit – niemals aufgegeben. Er hat Zuflucht zu seinem Atem und zum Wunder des gegenwärtigen Augenblicks genommen. Thầy ist ein Überlebender, ein Lebenskünstler. Er hat überlebt dank der Liebe seiner Schülerinnen und Schüler und der ganzen Gemeinschaft, und Nahrung geben ihm dabei seine Meditation, das achtsame Atmen und die entspannenden Momente des Gehens oder Ruhens in der Natur. Ich konnte in Kriegs- und Notzeiten, aber auch in Zeiten des Friedens und der Harmonie mit eigenen Augen verfolgen, wie die Weisheit, von der auch dieses Buch spricht, Thầy die Möglichkeit gab, die Freuden und Leiden des Lebens furchtlos und mitfühlend, voller Vertrauen und Hoffnung zu bejahen. Ich wünsche dir gutes Gelingen bei der Umsetzung der Lehren dieses Buchs in deinem Alltag. Du folgst darin Thầys Spuren, um Heilsames, Liebe und Glück in dein eigenes Leben, in deine Familie und in die Welt zu tragen.
Schwester Chang Khong
Einleitung
Wir sind der Erde so nah, dass wir manchmal vergessen, wie schön sie ist. Aus der Ferne des Alls gesehen, wirkt unser blauer Planet wie ein von Leben erfülltes Paradies – das allerdings der unermesslichen Weite eines lebensfeindlichen Kosmos ausgesetzt ist. Bei der ersten Mondmission verschlug es den Astronauten die Sprache, als sie die Erde über dem wüstenleeren Horizont des Mondes aufgehen sahen. Wir wissen, dass es auf dem Mond keine Bäume, Flüsse und Vögel gibt, und bisher wurde noch kein Planet entdeckt, auf dem Leben wie auf der Erde existiert. Von Astronauten, die weit draußen in Raumstationen ihre Runden drehen, hören wir immer wieder, dass sie in ihrer Freizeit hauptsächlich die tief unten vorbeiziehende Erde bestaunen. Aus der Ferne betrachtet, sieht unsere Erde wie ein riesiges, atmendes Lebewesen aus. Die Astronauten sind überwältigt von ihrer Schönheit und empfinden große Liebe für die ganze Erde. Ihnen wird bewusst, dass Milliarden Menschen auf diesem kleinen Planeten leben, mit allem, was solch ein Leben an Freude, Glück und Leid mit sich bringt. Und angesichts von Gewalt, Krieg, Hunger und Umweltzerstörung steht ihnen sehr klar vor Augen, dass dieser wunderbare kleine blaue Planet, so zart und kostbar, unersetzlich ist. Ein Astronaut hat einmal gesagt: »Wir fuhren als Techniker zum Mond; wir kamen als Menschenfreunde zurück.«
In der Wissenschaft geht es darum, die Dinge zu verstehen. Sie macht uns ferne Sterne und Galaxien und unseren eigenen Platz im Universum verständlich, dieses innig verwobene Ganze aus Materie, lebenden Zellen und unserem eigenen Körper. Wissenschaft und Philosophie möchten die Natur der Existenz und den Sinn des Lebens ergründen.
Spiritualität ist auch ein Forschungs- und Studiengebiet. Wir möchten uns selbst, die Welt um uns herum und unser Dasein auf dieser Erde verstehen. Wir möchten herausfinden, wer wir eigentlich sind und wir möchten unser Leiden verstehen. Sobald das möglich wird, entsteht Raum für Akzeptanz und Liebe und dies bestimmt die Qualität unseres Lebens. Wir alle brauchen Verstehen und Liebe. Und wir alle möchten selbst verstehen und lieben.
Spiritualität ist nicht dasselbe wie Religion. Es ist der Weg, auf dem wir zu Glück, Verstehen und Liebe finden, sodass wir jeden Augenblick unseres Lebens wahrhaft leben können. Eine spirituelle Dimension in unserem Leben zu haben bedeutet nicht, dass wir dem Leben ausweichen oder abseits dieser Welt in reiner Glückseligkeit verweilen; vielmehr finden wir auf diesem Weg heraus, wie wir mit den Schwierigkeiten des Lebens umgehen und Frieden, Freude und Glück genau da finden können, wo wir sind, auf diesem wunderschönen Planeten.
Die Praxis der Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht im Buddhismus hat viel vom Geist der Naturwissenschaft. Wir verwenden hier jedoch keine kostspieligen Apparaturen und Messinstrumente, sondern bedienen uns des klaren Geistes und der Stille, um offen und unvoreingenommen die Realität zu erkunden und tiefe Einblicke zu gewinnen. Wir möchten wissen, woher wir kommen und wohin wir gehen. Vor allem aber möchten wir glücklich sein. Die Menschheit hat viele hochtalentierte Künstler, Musiker und Architekten hervorgebracht, aber wie viele von uns haben die Kunst gemeistert, einen Moment des Glücks hervorzubringen – für uns selbst und für die Menschen um uns herum?
Wie alle Lebewesen dieser Erde sind wir stets auf der Suche nach den idealen Umständen, unter denen wir unser Potenzial am besten entfalten können. Dabei wollen wir aber nicht nur überleben. Wir möchten leben. Aber was bedeutet es eigentlich, lebendig zu sein? Und was bedeutet es zu sterben? Was geschieht, wenn wir sterben? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es Reinkarnation? Werden wir unsere Lieben wiedersehen? Haben wir eine Seele, die in den Himmel, ins Nirvana oder zu Gott eingeht? Fragen dieser Art bewegen jeden in seinem Herzen. Manchmal finden wir Worte dafür, manchmal bleiben sie unausgesprochen, aber sie sind immer da, ihr Ziehen bleibt in unseren Herzen jedes Mal spürbar, wenn wir über unser Leben nachdenken, wenn wir an geliebte Menschen oder an unsere alt werdenden oder kranken Eltern oder an bereits Gestorbene denken.
Wie können wir anfangen, Antworten auf solche Fragen über Leben und Tod zu finden? Eine überzeugende Antwort, die richtige Antwort, muss beweiskräftig sein. Es ist nicht eine Frage des Vertrauens oder des Glaubens, sondern des tiefen Schauens. Zu meditieren bedeutet, tief zu schauen und Dinge zu sehen, die andere nicht sehen, einschließlich der falschen Anschauungen, auf die unsere Leiden zurückzuführen sind. Wer sich von diesen falschen Anschauungen zu lösen vermag, kann die Kunst meistern, glücklich in Frieden und Freiheit zu leben.
Die erste falsche Ansicht, von der wir uns befreien müssen, liegt in der Vorstellung, wir seien ein separates Selbst, das vom Rest der Welt getrennt ist. Wir neigen dazu, uns als ein separates Selbst zu sehen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren wurde und irgendwann sterben muss und dazwischen – in der Zeit, die wir »mein Leben« nennen – gleichbleibend ist. Solange wir diese falsche Ansicht haben, leiden wir und fügen anderen in unserer Umgebung, anderen Lebewesen und unserer kostbaren Erde Schaden zu. Die zweite Anschauung, zu der viele neigen, ist, dass wir nur dieser Körper sind und dass wir aufhören zu existieren, wenn wir sterben. Dadurch sind wir nicht nur blind für unsere vielfache Verflochtenheit mit der Welt um uns herum, sondern auch für die vielfältigen Weisen, in denen wir nach dem Tod fortgeführt werden. Die dritte falsche Anschauung liegt in dem Glauben, dass alles, was wir suchen und uns wünschen – sei es Glück, der Himmel oder Liebe –, nur außerhalb von uns und in einer fernen Zukunft zu finden ist. So jagen wir diesen Dingen vielleicht ein Leben lang nach oder warten auf sie und realisieren nicht, dass sie in uns zu finden sind, genau hier im gegenwärtigen Moment.
Es gibt drei grundsätzliche Praxisformen, mit denen wir uns von diesen falschen Ansichten befreien können, nämlich die Konzentration auf die Leerheit, die Konzentration auf die Zeichenlosigkeit und die Konzentration auf die Absichtslosigkeit. Sie sind in allen Schulen des Buddhismus bekannt und werden als die »Drei Tore der Befreiung« bezeichnet. Diese drei Konzentrationen geben uns eine tiefe Einsicht darüber, was es bedeutet, lebendig zu sein und was es bedeutet, zu sterben. Mit ihrer Hilfe können wir Gefühle wie Kummer, Angst, Einsamkeit und Entfremdung transformieren. Sie besitzen die Kraft, uns von falschen Anschauungen zu befreien, sodass wir auf eine tiefe Weise leben und uns dem Sterben und Tod ohne Angst, Ärger und Verzweiflung stellen können.
Darüber hinaus können wir die Erfahrung von vier weiteren Konzentrationen erkunden: auf Unbeständigkeit, Nicht-Begehren, Loslassen und Nirvana. Diese vier finden sich im Sutra vom vollen Gewahrsein des Atems, einem wunderbaren frühbuddhistischen Text. Die Konzentration der Unbeständigkeit befreit uns von der Neigung, so zu leben, als würden wir und unsere Lieben immer hier sein. Bei der Konzentration auf das Nicht-Begehren nehmen wir uns die Zeit, um uns hinzusetzen und herauszufinden, was Glück eigentlich ist. Wir entdecken, dass wir eigentlich schon mehr als genug Bedingungen haben, um glücklich zu sein – genau hier und im jetzigen Moment. Mit der Konzentration auf das Loslassen können wir schmerzliche Gefühle auflösen und so unser Leiden transformieren. Wenn wir bei allen diesen Konzentrationen tief schauen, können wir den Frieden und die Freiheit von Nirvana berühren.
Diese sieben Konzentrationen sind von höchst praktischem Wert. Zusammen helfen sie uns, zur Wirklichkeit aufzuwachen und wert zu schätzen, was wir haben, sodass wir wahres Glück im Hier und Jetzt berühren können. Und sie verhelfen uns zu der Einsicht, die wir brauchen, sodass wir die Zeit, die wir haben, als sehr kostbar ansehen, uns mit unseren Liebsten versöhnen und unser Leiden in Liebe und Verstehen verwandeln. Darin besteht die Kunst zu leben.
Wir müssen unsere Achtsamkeit, Konzentration und Einsicht verwenden, um zu verstehen, was es bedeutet, lebendig zu sein und was es bedeutet, zu sterben. Wissenschaftliche und spirituelle Entdeckungen oder Erkenntnisse können wir als »Einsichten« bezeichnen und die Praxis, mit der wir diese Einsichten bewahren und vertiefen, als »Konzentration«.
Die Einsichten der Wissenschaft und Spiritualität bieten uns im 21. Jahrhundert die Chance, die Grundursachen menschlicher Leiden zu bezwingen. Während im 20. Jahrhundert noch Individualismus und Konsum das Bild beherrschten, rückt jetzt die Erkenntnis der Verbundenheit und Interdependenz aller Dinge in den Mittelpunkt, begleitet von Bemühungen um neue Formen der Solidarität und des Miteinanders. Bei der Meditation über die sieben Konzentrationen haben wir Gelegenheit, alles im Licht wechselseitiger Abhängigkeit zu sehen. Das befreit uns von falschen Anschauungen und durchbricht die Barrieren des unterscheidenden Denkens. Die Freiheit, die wir suchen, ist nicht die Freiheit, die selbstzerstörerisch ist oder anderen oder der Umwelt schadet, sondern die Freiheit, die uns von Einsamkeit, Zorn, Hass, Angst, Begehren und Verzweiflung befreit.
Die Lehre des Buddha ist klar, wirkungsvoll und leicht zu verstehen. Sie eröffnet uns eine Lebensform, die nicht nur uns persönlich, sondern der ganzen Menschheit nützt. Wir entscheiden heute über das Geschick unseres Planeten. Der Buddhismus ist die klarste Formulierung des Humanismus, die wir je gehabt haben. Es sind unsere Einsichten und unser Handeln, die uns retten werden. Wenn wir zu unserer wahren Situation aufwachen, wird es eine kollektive Veränderung in unserem Bewusstsein geben und dann besteht Hoffnung.
Führen wir uns also vor Augen, wie die sieben Konzentrationen – tiefe Einsichten in die Wirklichkeit – unsere Situation und unser Leiden beleuchten. Wenn du beim Lesen auf dir fremde Dinge stößt, dann atme einfach. Dieses Buch ist eine Reise, die wir gemeinsam unternehmen, wie ein Waldspaziergang, bei dem wir die Wunder unserer kostbaren Erde bestaunen. Wir werden hier auf einen Baum mit besonders schöner Rinde stoßen und dort beeindruckende Felsformationen oder abseits des Weges leuchtendes Moos entdecken, und dann wünschen wir uns, dass auch unsere Weggefährten in den Genuss solcher Schönheit kommen. Gelegentlich werden wir auf dem Weg gemeinsam sitzen und picknicken oder etwas später auf unserer Reise aus einer klaren Quelle trinken. So ist dieses Buch gemeint. Von Zeit zu Zeit werden wir innehalten und uns ausruhen, etwas Kleines trinken oder einfach zusammensitzen, und die Stille zwischen uns wird bereits vollkommen sein.
Stille
In Plum Village, dem Zentrum für Achtsamkeitspraxis in Frankreich, in dem ich lebe, hatten wir früher eine überdachte Terrasse, die wir »Regen-Lausch-Veranda« nannten. Wir hatten sie eigens zu diesem Zweck gebaut: einfach nur um dem Regen zu lauschen und an nichts denken zu müssen. Das hilft, damit Gemüt und Verstand tatsächlich still werden können.
Es ist nicht schwierig, innere Stille zu erreichen. Du brauchst mit deiner Aufmerksamkeit nur bei einer einzigen Sache zu bleiben. Solange du ausschließlich dem Regen lauschst, denkt dein Kopf über nichts anderes nach, und du musst die Stille nicht eigens erzeugen. Du entspannst dich einfach und lauschst dem Regen. Je länger das gelingt, desto tiefer wird die innere Stille.
Wir sitzen still da, und in diese Stille können sich uns die Dinge so zeigen, wie sie wirklich sind. Wenn der Körper entspannt ist und der Geist zur Ruhe kommt, dann können wir klar sehen. Wir werden ruhig und klar wie ein Bergsee, in dessen unbewegter Oberfläche sich der blaue Himmel, die Wolken und die Gipfel ringsum genauso spiegeln, wie sie sind.
Solange wir unruhig sind und unser Geist sich nicht »gesetzt« hat, erkennen wir die Wirklichkeit nicht in aller Klarheit. Dann sind wir wie der See an einem windigen Tag, zu aufgewühlt, um deutliche Spiegelbilder zu zeigen. Sobald wir jedoch in die Stille zurückfinden, können wir tief schauen und anfangen, die Wahrheit zu erkennen.
Übung: die Kunst des Atmens
Achtsames Atmen ist eine wunderbare Möglichkeit, im Körper und bei den Gefühlen Ruhe einkehren zu lassen sowie Stille und Frieden wiederherzustellen. Achtsam zu atmen ist nicht schwierig, jeder kann es, sogar Kinder.
Wenn wir achtsam atmen, bringen wir Körper und Geist in Harmonie, wir konzentrieren uns auf das Wunder des Atems. Unser Atem ist so schön wie Musik.
Beim Einatmen weißt du, dass du einatmest. Du sammelst deine gesamte Aufmerksamkeit auf das Einatmen. Du atmest ein, und im ganzen Körper breiten sich Frieden und Harmonie aus.
Auch beim Ausatmen weißt du, dass du ausatmest. Auch dabei entstehen Ruhe und Entspannung, du lässt los. Du gestattest allen Muskeln in deinem Gesicht und deinen Schultern, sich zu entspannen.
Das Ein- und Ausatmen geschieht ohne Zwang, es bedarf keinerlei Anstrengung. Du brauchst dich nicht einzumischen, du lässt dem Atem seinen natürlichen Lauf und Rhythmus.
Stell dir beim Ein- und Ausatmen vor, dass jemand einen langen Ton auf der Violine spielt und mit dem Bogen hin und her über eine Saite streicht. Es klingt wie ein ununterbrochener Ton. Wollten wir den Atemverlauf zeichnen, würde er wie eine Acht und nicht wie eine gerade Linie aussehen: Das Ein- und Ausströmen des Atems geht kontinuierlich vor sich. Dein Atem wird selbst zur Musik.
Wenn wir so atmen, ist das Achtsamkeit, und wenn du diese Achtsamkeit aufrechterhältst, wird Konzentration oder Sammlung daraus. Wo auch immer es Konzentration gibt, kommt es zur Einsicht, zu einem Durchbruch, der unser Leben reicher an Frieden, Verstehen, Liebe und Freude werden lässt.
Bevor wir fortfahren, wollen wir für einen Augenblick gemeinsam die Musik unseres Atmens genießen.
Ich atme ein und genieße mein Einatmen.
Ich atme aus und genieße mein Ausatmen.
Beim Einatmen komme ich mit meinem ganzen Körper in Einklang mit dem einströmenden Atmen.
Bei Ausatmen kommt mein ganzer Körper im ausströmenden Atem zur Ruhe.
Beim Einatmen genießt mein ganzer Körper den Frieden meines Einatmens.
Beim Ausatmen genießt mein ganzer Körper die Entspannung meines Ausatmens.
Ich atme ein und genieße
die Harmonie meines Einatmens.
Ich atme aus und genieße
die Harmonie meines Ausatmens.
1
Leerheit – das Wunder des Interseins
Leerheit heißt: erfüllt sein von allem, aber leer von einer separaten Existenz.
Stell dir eine Blume vor; es kann eine Orchidee, eine Rose oder ein bescheidenes kleines Gänseblümchen am Wegrand sein. Beim Blick in die Blüte erkennen wir, dass sie voller Leben ist. Der Erdboden ist in ihr, der Regen, der Sonnenschein. Sie ist auch voll von Wolken und den Ozeanen und Mineralien. Sie enthält sogar Raum und Zeit – tatsächlich ist der ganze Kosmos in dieser kleinen Blüte präsent. Nähmen wir irgendeines dieser »Nicht-Blumen-Elemente« weg, wäre die Blume nicht mehr da. Ohne die Bodennährstoffe könnte die Blume nicht wachsen, ohne Regen und Sonnenschein würde sie sterben. Nähmen wir sämtliche Nicht-Blumen-Elemente weg, wäre nichts Substanzielles mehr da, was »Blume« genannt werden könnte. Somit sagt uns unsere Beobachtung, dass der gesamte Kosmos in der Blume gegenwärtig und sie leer von einer gesonderten, separaten Eigenexistenz ist. Eine Blume kann nicht für sich allein existieren.
Auch wir sind erfüllt von so vielen Dingen, aber »leer von« einem für sich existierenden Selbst. Wie die Blume enthalten auch wir Erde, Wasser, Luft, Sonnenlicht und Wärme. In uns sind Raum und Bewusstsein, ebenso wie unsere Vorfahren, Eltern und Großeltern, Bildung, Nahrung und Kultur. Der ganze Kosmos versammelt sich, um die wunderbare Manifestation hervorzubringen, die wir sind. Nehmen wir irgendeines dieser »Nicht-Wir-Elemente« weg, wird sich zeigen, dass kein »Wir« mehr da ist.
Leerheit: das erste Tor der Befreiung
Leerheit oder Leere ist nicht als ein Nichts zu verstehen. Dass wir leer sind, bedeutet nicht, dass wir nicht existieren. Damit etwas voll oder leer sein kann, muss es zunächst einmal vorhanden sein. Wenn du eine Tasse als leer bezeichnest, muss eine Tasse da sein, die leer sein kann. Auch wir müssen zunächst vorhanden sein, damit gesagt werden kann, wir seien »leer von« einem dauerhaften separaten Selbst.
Es ist etwa dreißig Jahre her, dass ich ein Wort für unsere tiefe Verbundenheit mit allem anderen gesucht habe. Mir gefiel das Wort »Miteinander«, aber schließlich wählte ich »Intersein«. Das Wort »sein« ist für sich allein insofern missverständlich, als wir nicht für uns allein sein können. »Sein« ist immer »Inter-sein«. Wenn wir das Präfix »Inter« mit dem Verb »Sein« kombinieren, erhalten wir ein neues Verb »inter-sein«. Intersein bildet die Realität treffender ab. Wir inter-sind miteinander und mit allem Leben.