Leben mit dem Gabi-Monster - Lukas Kaahs - E-Book

Leben mit dem Gabi-Monster E-Book

Lukas Kaahs

4,8

Beschreibung

Eine Monsterfrau? Nur aus der Sicht eines Machos! Gabi ist natürlich kein Monster, sondern eine aufgeschlossene, emanzipierte junge Frau, die weiß, was sie will - und vor allem auch, was sie nicht will. Von Männern - insbesondere von Machos - hat sie sich noch nie beeindrucken lassen, da sie zu wissen glaubt, wie einfach diese Herren gestrickt sind. Leider ist auch eine moderne Frau vor Irrtümern nicht gefeit, denn Machos besitzen durchaus sensible Seiten, Geheimnisse, Schwächen und Sehnsüchte, die sie jedoch niemals einem weiblichen Wesen verraten würden. Somit treten beim Zusammenleben von Emanze und Macho gelegentlich Missverständnisse auf, welche dem trauten Zusammenleben einen gewaltigen Schuss Abenteuer verleihen.

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www.Lukas-Kaahs.de

Wer noch nie mit einem selbstsüchtigen Menschen des anderen Geschlechts zusammengelebt hat – aus finanziellen Gründen oder warum auch immer – weiß nicht, wie sehr ihn das Schicksal liebt.

Lukas Kaahs

Inhaltsverzeichnis:

Aller Anfang

Der Pickeltest

Sexy Ballvorbereitung

Reibeschnee und Lachsalven

Tag der Frau

Der harte Ritt

Gießkannenschlendertag

Zeltgegner geknackt

Der Mann, das Lustobjekt?!

Frühjahrsputz

Eifriger Besuch und süchtiger Besuchter

Abgetaucht und ausgeflippt

Massagen-Massaker

Zug um Zug

Waldeslust

Park & Nerv

Die Erinnerungslücke

Sommertrieb

Der paradiesische Zustand

Der Schokoschock

Vorfreude oder Überlebenskampf?

Crash und Sex und kein Gefühl

Von Charme, Moneten und Emanzen

Aller Anfang

Oder: Ein Zufall kommt selten allein

„Die ärmste Sau ist eindeutig die Mastsau.“ Gabi stochert nachdenklichen Blicks mit dem Nagel ihres kleinen Fingers in ihren Zahnlücken. „Ich schätze, ich werde Vegetarierin.“ Bedächtig befördert sie einen Krümel aus ihrem Mund, betrachtet den fast zu Brei gekauten Essensrest, der halb unter ihrem Fingernagel klebt und schiebt ihn beinahe zärtlich dorthin zurück, wo sie ihn hergepopelt hatte. Mit einem schmatzenden Geräusch löst sich ihr Finger von ihren fetttriefenden Lippen und fragend sieht sie mich an. „Was meinst du? Sollten wir unsere Ernährung umstellen? Denk nur mal an die armen Tiere.“

„Also ehrlich gesagt“, knurre ich, „nicht mal die ärmsten Schweine sind annähernd so arm wie ich! Außerdem – wäre ich Salat, würden mich diese borstigen Vierbeiner skrupellos und ohne Gefühlsduselei genussvoll verspeisen. Ohne zu fragen, ob mir das gefällt und ob ich arm bin. Es ist halt so auf dieser Welt. Fressen und gefressen werden. Ich und vegetarische Ernährung, das ist doch wohl der Gipfel! Soll ich anfangen Gras zu fressen? Ich bin doch kein Rindvieh!“ Gabi ist für meinen Geschmack mehr als überemanzipiert, da muss sie nicht auch noch diesen Ökoblödsinn mitmachen. Fleischlose Kost, weil Schweine arm sind – so ein Unfug!

Gabi mustert mich mit einem Kannichdirhelfenduarmertropf-Blick, zwischen Augenbrauen und Haaransatz befinden sich nur wenige Millimeter Haut. Dieses Geglotze! Wie ich es hasse! Gleich fängt sie wieder an mit ihrem…

„Kann ich dir irgendwie aus deiner mentalen Eintönigkeit helfen?“ – ich wusste es. Ich kenne diesen Satz, und ich kenne den dazugehörigen, armseligen Gesichtsausdruck. Ihren Sorgenmund sehe ich sogar mit geschlossenen Augen, und beim Tonfall ihrer Achduarmerwicht-Stimme läuft mir frostige Gänsehaut vom Hinterkopf bis ins Genick.

„Nein, du kannst mir nicht helfen – oder doch!“ Wütend starre ich mit dem schärfsten meiner scharfen Blicke in Gabis Augen. „Vergiss diese Mitleidstour, vergiss den Vegetarierquatsch, aber vergiss nicht, täglich ordentlich zu kochen.“ Ihr Augenaufschlag wächst mit der Lautstärke meiner Stimme. „Ordentlich heißt: mit ordentlich Fleisch! Und überhaupt finde ich es zum Kotzen, wenn du dir mit den Griffeln im Maul rumfuhrwerkst. Für sowas gibt’s Zahnstocher!“

Gabis dunkle Pupillen werden noch eine Spur dunkler, und der großäugige Kalbsblick verwandelt sich in ein zusammengekniffenes, kaltglitzerndes Schlangenstarren. Ein untrügliches Zeichen für mich zu verschwinden, denn jetzt ist Gabi wütend. Wenn Gabi wütend ist, wirft sie gerne wahllos mit Gegenständen, und nachdem sich auf dem reich gedeckten Tisch jede Menge Wurfgeschosse in ihrer Reichweite befinden, ist die Situation für mich durchaus brenzlig. Als Mann muss man wissen, wann es Zeit ist zu gehen, besonders, wenn man mit einer unausgeglichenen, gewaltbereiten Emanze zusammenlebt und ein sensibler Typ ist.

Lässig erhebe ich mich vom Stuhl, noch lässiger drehe mich um und schaffe mindestens vier Schritte, ehe der gläserne Pfefferstreuer haarscharf an meinem linken Ohr vorüberzischt und polternd an der Wand abprallt. „Nix getroffen…“, blitzartig – dank meines unwahrscheinlichen Reaktionsvermögens – beuge ich meinen Oberkörper nach vorne, und mit einem Riesensprung erreiche ich die Küchentüre, die sich jedoch nach innen öffnet. Fluchtwege, die eine rasche Flucht verhindern, sind mir seit jeher ein Gräuel, und schlagartig – im wahrsten Sinne des Wortes – weiß ich, warum.

Der Schlag, den Gabi in der Birne hat, ist nichts im Vergleich zu dem, den ein Teller zustandebringt, der glaubt ein Ufo zu sein und voll in der Gegend des siebten Lendenwirbels eines Mannes sein Flugziel erreicht. Oh Gott, tut das weh! Polternd stürzt das Wurfgeschoss hinter mir zu Boden, und halb betäubt vor Schmerz vernehme ich Gabis Hintergrundgekeife: „Ich koch’ dir gleich ordentlich, du Miesmacho! Jeden Tag willst du nichts als fressen, jawohl, ordentlich fressen, fressen, fressen! Na warte Kerl, jetzt koche ich höchstpersönlich und zwar ebenfalls ordentlich…“

Ich fühle Gabis Kochkunst deutlich an und in meiner Wirbelsäule, überdeutlich, um genau zu sein. Außerdem habe ich die Schnauze voll von ihrem Gezeter, und darüber hinaus zerschellt ein weiterer Teller unmittelbar neben mir an der Wand. Ich beschließe also, mich zu verbröseln, um damit die Auseinandersetzung vorerst zu beenden.

Rückblende:

Seit genau zehn Tagen wohnen wir beide zusammen, Gabi und ich. Gabi hat sich bereit erklärt, weder in der gemeinsamen Wohnung noch in meinem Auto zu rauchen. Ich musste versprechen, mit der Klobürste Freundschaft zu schließen. Wie gesagt, wir haben zehn Tage platonische Wohngemeinschaft hinter uns, und es kommt mir vor, als wären es zehn Jahre. Vor drei Jahren lernten wir uns kennen. Obwohl – kennen lernten wir uns damals nicht, wir trafen uns. Zufällig – und ebenfalls schmerzhaft. Waren die damaligen Schmerzen etwa ein Omen für mein weiteres Zusammenleben mit Gabi? Das sollte sich herausstellen.

Es war jener Tag, an dem Weihnachtsgeschenke gekauft werden, also der 24. Dezember – vormittags. Einen saukalten Dezember hatten wir damals, ich erinnere mich gut. Schnee gab es zwar noch keinen, jedenfalls keinen, der liegen blieb, aber der Winterwind fegte tagelang durch die Stadt und immer wieder schauerte es Schnee und Regen. Riesenpfützen schwappten wohin man sah, und nicht einmal die weihnachtlich geschmückten Straßen konnten die triste Ansicht aufhellen. Es kam einfach keine festliche Stimmung auf bei mir, zumal meinem Alfa Romeo dieses Wetter auch absolut nicht zusagte. Und wenn meinem Alfa etwas nicht zusagt, sagt es mir erst recht nicht zu. Mein Alfa ist mein Stimmungsbarometer, mein Lebensinhalt, meine Geliebte, mein Augenstern. Die täglichen Startschwierigkeiten meines Traumwagens taten mir in der Seele weh und waren der Grund, warum ich mich überhaupt auf dem Weg in das Einkaufszentrum befand. Ich wollte vor den Feiertagen noch rasch eine neue Batterie kaufen. Rasch kaufen war gut gedacht, jedoch undurchführbar. Es gab keinen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Geschäftseingangs, und alles, was fünfzig Meter Fußmarsch bedeutet, ist schlicht unzumutbar. Erst recht, wenn Dezember im Kalender steht und Feuchtigkeit aus dem Himmel fällt.

Also drehte ich eine Parkplatzrunde nach der anderen, in der Hoffnung, dass sich irgendeiner dieser fußfaulen Mitmenschen bequemt, seinen Einkauf zu beenden, sich in seine Karre zu schwingen und endlich einen Platz für mich, bzw. meinen Alfa freizumachen. Um dreizehn Uhr schlossen damals die Geschäfte – ich hatte also noch locker eine halbe Stunde Zeit und drehte eine Platzrunde nach der anderen, der Sekundenzeiger der Alfauhr an der Mittelkonsole rundete beflissen mit.

Unmöglich sind für mich jene Leute, die am letzten Tag, auf den letzten, nein, allerletzten Drücker noch Geschenke einkaufen müssen. Lauter fantasielose, faule Säcke, die außerdem zu bequem sind, fünf Meter zu Fuß zu gehen und ihre Rostlauben mitten vor dem Geschäftseingang parken. Eine Schweinerei so was! Ich war ziemlich sauer, genauer gesagt stinksauer. Zehn Minuten vor Ladenschluss war es, als ich eine Tussi beobachtete, die mit hochgestelltem Mantelkragen und eingezogenem Kopf auf eine Karre zuwackelte, welche sich auf einem meiner bevorzugten Parkplätze befand.

Endlich ein gemütliches Plätzchen für den Alfa, es wurde auch höchste Zeit. Die Tussi kramte in ihren Taschen. Sie wird doch nicht so blöd sein und den Schlüssel erst unmittelbar vor der Autotüre suchen? Sie war so blöd! Und sie trödelte zum Gotterbarmen.

Ich wartete mit dem Alfa etwa fünf Meter vor der voraussichtlich frei werdenden Parklücke und beobachtete abwechselnd Madame Umstandskramer und Alfa-Sekundenzeiger. Beide verständlicherweise mit wachsender Ungeduld.

Es war vier Minuten vor Ladenschluss, als die Tussi endlich rückwärts aus der Parklücke rangierte. Wie der Blitz stellte ich den Alfa auf den freien Platz, Motor aus, raus zur Tür, rein in die Kaufhalle – alles in rekordverdächtiger Zeit.

Ein schleimig-freundlicher, dämlich grinsender, weiß bekittelter Kaufhausangestellter beschrieb mir nach diskret-auffälligem Blick zur Uhr den Weg zum Autobatterieregal und wünschte mir ein frohes Fest. Ich konnte ganz gut auf ein frohes Fest verzichten, wenn ich nur schnell das passende Regal mit der passenden Batterie fände. Das Regal entdeckte ich in relativ kurzer Zeit, Batterien gab’s da jedoch keine. Zumindest keine für einen Alfa Romeo, Alfetta GTV, 2 Liter, Baujahr 1978. Verdammter Mist!

Hätte ich nicht so lange auf einen Parkplatz warten müssen, wäre ich noch rechtzeitig in ein anderes Geschäft gekommen. So blieb nur die Hoffnung auf frostfreie Feiertage, deren Temperaturen gnädig mit meiner alten Autobatterie umgingen, damit sie den hochwertigen Alfamotor auch nördlich des ewigen Italiensommers zum Leben erwecken kann.

Die kaufhauseigene, superangenehme, samtweiche Lautsprecherstimme wünschte allseits fröhliche Weihnachten und blabla, meine Stimmung war jedoch alles andere als weihnachtlich. Eher Halloween-mäßig. Jedenfalls tat man gut daran, mich nicht anzusprechen. Vor allem nicht laut – und vor allem nicht blöd!

Übellaunig marschierte ich durch den Warmluftstrom an der Ausgangstüre. Draußen hatte es mittlerweile zu nieseln begonnen, und der Wind blies noch eine Spur ungemütlicher. Sportlich sprintete ich die paar Meter zu meinem Auto, riss die Fahrertüre auf und ließ mich schwungvoll in den brettharten Schalensitz fallen. Brettharte Schalensitze verursachen, wenn sie stürmisch benützt werden, blaue Flecken in der hinteren Lendengegend und wirken sich normalerweise nicht sonderlich positiv auf eine festliche Weihnachtsstimmung aus. Einen trainierten, muskelbepackten Typen wie mich, konnte jedoch solch eine Lappalie nicht ernsthaft nerven. Ich bin das gewöhnt.

Der Alfa sprang nach dem zweiten Startversuch an, und krachend keilten die Zahnräder des Rückwärtsgangs im Getriebe. Alfarückwärtsgänge krachen immer, das hat mit der Stimmung des Fahrers nichts zu tun. Ein italienisches Auto darf sich, im Gegensatz zu Frauen im allgemeinen, gewisse Macken erlauben, besonders wenn es so wunderschön ist, wie meine feuerrote GTV.

Der Gang war drin, die Ausfahrt jedoch versperrt. Offenbar hatte ein autofahrender Weihnachtsmann sinnigerweise seinen Schlafplatz direkt hinter meiner Parkbucht gewählt. Na so ein Saukerl! Kalte Weihnachtswut stieg in mir auf. Gang raus, Handbremse rein, Türe auf und auf den Penner losstürmen, vollzog sich innerhalb eines Augenblicks. Mit einem Ruck zog ich die Fahrertüre des Parkplatzbehinderers auf, und mit einem weiteren Ruck quetschten sich meine Augen aus den Höhlen. Der Parkplatzbehinderer war eine Parkplatzbehinderin – und was für eine! Langes, dunkles Haar umrahmte ein solariumgebräuntes Gesicht. Ebenfalls dunkle, matt schimmernde, grün-braune Augen, eine zierliche kleine, leicht nach unten gebogene Nase sowie volle, hell geschminkte Lippen, beherrschten das ovale Gesicht. Um die fünfundzwanzig Jahre alt, schätzte ich spontan. Sie rauchte ein Zigarillo und blies mir den Qualm ins Gesicht. Irgendwie kam mir dieses Mädel bekannt vor, aber mein mieses Menschengedächtnis untersagte jegliche Erinnerung, zumal der Zigarillodunst mein Haupt wie eine Nebelwand umwaberte und die Aussicht erheblich trübte.

„Du bist doch nach mir auf diesen Parkplatz gefahren“, stellte sie mit wohlklingender, melodischer Stimme fest. Ach, daher kannte ich sie, sie war eine Alfa Romeo-Bewunderin. Ihr Blick bohrte sich tief in meine Augen und ein wohliger Schauer rann über meinen Rücken. Augenblickliche Geilheit könnte man das nennen, falls es so etwas gibt.

„Ich weiß nicht“, stotterte ich ein wenig heiser, „ich stehe hier seit etwa zehn Minuten. Wieso willst du das wissen?“

Ihr Blick wurde eine Spur kälter, die Stimme forsch. „Sieh doch mal unter deine Karre, ich möchte gerne wissen, was du da siehst.“

Hat sie „Karre“ gesagt? Ist die Tussi noch zu retten? Karre – zu einer Alfetta GTV, Baujahr ’78? Welch ein Frevel! Welch eine Unverschämtheit!

Ungerührt laberte die Tussi weiter. „Hast du was an den Ohren, Mann? Steht da und giert mich an. Unter deine Karre sollst du glotzen, na los! Oder brauchst du eine Extra-Einladung?“

Sie hatte wieder „Karre“ gesagt. Diese unzivilisierte Schneegans wagte es tatsächlich, eine rote, frischgeputzte, beinahe unbezahlbare GTV wiederholt zu beleidigen. Ungerührt sog die Tussi an ihrem Zigarillo und blies mir erneut eine fette, übel riechende Qualmwolke ins Gesicht. Es war mir voll egal, wie diese Frau aussah, auch meine anfängliche Spontangeilheit war restlos verflogen. Ich wusste nur eins: In diesem Auto saß meine Todfeindin. Eine Person, die einen Alfa Romeo nicht von einem Kaffernbüffel unterscheiden konnte, war es nicht wert, von mir angegeilt zu werden. Und deren Anliegen kümmerten mich nicht die Bohne. Solch ein Mensch existiert in meiner Wahrnehmung nicht!

„Bitte“, wie ein sanft säuselnder Wind wehte ihre rauchige Stimme durch meinen Gehörgang. „Bitte, bitte!“ Flehend gefaltete Hände streckten sich mir entgegen. Die Stimme hallte in meinen Gehirnwindungen wider und jagte mir abermals einen wohligen Schauer über den Rücken. Erotik pur knisterte wie das Kaminfeuer an einem lauschigen Winterabend. „Bärenfell“ schoss es mir durch den Kopf, „Strapse, Schampus und Lachsbrötchen…“

„Ja verdammt noch mal, Kerl!“ Wild zerrte die Tussi an meinem Ärmel. Der Kuschelabend zerplatzte in meinem Schädel, die unangenehm-saukalte weihnachtliche Realität war wieder da. „Beweg endlich deinen Arsch und wirf einen Blick unter dein Auto!“

Auto, aha. Das hörte sich doch gleich ganz anders an. Darüber konnte man mit mir reden. Eine eisige Windböe fegte eine Ladung Nieselregen in mein Genick. Fröstelnd zog ich meine Jacke enger um die Schultern. Sauwetter!

„Na, wird’s?“ Ja, ja, nerviges Weibsbild. Was sollte schon sein unter meinem Auto? Hatte ich etwa den Weihnachtsmann überfahren? Oder hatte sie den Tank ihrer Rostmühle verloren und ich parkte darüber?

Mit vor Kälte schlotternden Knien ging ich zum Alfa und bückte mich unter die hintere Stoßstange. „Was soll sein, Tussi, ich seh’ nix!“

„Weiter vorne, Kerl, auf der Fahrerseite.“ Die Kleine nervte. Sah prima aus, aber nervte. Typisch Weib! Wieder ging ich in die Knie und beugte mich an der Fahrertüre unter mein Auto. Verflucht noch mal, da lag wirklich etwas – verbeult und verpackt in Weihnachts-Geschenkpapier. War ich etwa der Zerstörer dieses Pakets? Das hätte ich doch bemerkt – als alter Fahrprofi und mit meiner Routine. Vielleicht hat die Tussi das Paket unter den Alfa gelegt, um einen Grund zu haben, mit mir anzubandeln? Ja bestimmt, so muss es gewesen sein.

Vorsichtig zog ich das nasse, zerquetschte und schmutzige Etwas unter dem Auto hervor. Blaues Weihnachtspapier mit goldenen Sternchen und braunen Reifenspuren. Echt originell.

„Ist es das, was du möchtest?“ Fragend wedelte ich mit der Weihnachtsgeschenkruine Richtung Tussi. „Genau, das möchte ich“, klang ihre Stimme durch den Regenwind. „Was ist das?“ fragte ich naiverweise und reichte ihr das Paket ins Auto. „Das Weihnachtsgeschenk für meine Großmutter, du Blindgänger! Vermutlich ist es mir beim Einsteigen aus der Tasche gerutscht, und idiotischerweise bist du mit deiner Mistkarre drübergeprescht wie die wilde Sau. Ich hab dir genau zugesehen, konnte es aber nicht mehr verhindern.“ Hatte dieses vermaledeite Weib „Mistkarre“ zu meinem Auto gesagt? Jetzt reichte es mir endgültig! Kein Mensch bezeichnet meine GTV drei Mal ungestraft als Karre – mit oder ohne Mist vorne dran! Da raste ich aus. Da werde ich zur blutrünstigen Bestie, egal wer vor mir steht, sitzt oder flüchtet.

Mein rechter Arm hob sich reflexartig, und die flache Hand wollte – sich Erleichterung verschaffend – auf das Dach des Tussiautos hämmern. Dabei bemerkte ich die aufgerissenen Froschaugen der Tussi und ihren flackernden Blick. „Bekommt sie immer Froschaugen wenn es für sie unkontrollierbare Reaktionen gibt?“, dachte ich. „Wie mag sie wohl aussehen wenn sie einen Orgasmus hat?“ Ich weiß noch genau, dass mir dieser Gedanke durch die Birne geisterte, bevor ein heißer Schmerz meinen Nacken entflammte und es schwarz um mich wurde.

Schuhe, nichts als Schuhe um mich herum. Mühsam hob ich den Kopf, um mich zu orientieren. Wo war ich? Was war geschehen? Unsanft zerrten mich hilfreiche Hände an der Jacke hoch. „Scheißkerl, wolltest du das Auto verbeulen?“ Ich sah nur ein riesiges, Glühweindunst verströmendes Maul vor mir. Ein Brechreiz stieg plötzlich, unerwartet und unkontrollierbar in mir hoch, wohlverdautes Frühstück verließ meinen Körper, und das Glühweinmaul verschwand mit grässlichem Fluchen, das so gar nicht in die weihnachtliche Heilig-Abend-Stimmung passte.

Langsam kam ich zu mir – und auf die Beine. Mein Nacken schmerzte höllisch, und auch mit dem Solarplexus schien etwas nicht ganz in Ordnung zu sein. Abgesehen davon, sahen meine Klamotten aus, als wären sie mit Begeisterung durch eine Güllegrube gefetzt worden. Der Typ mit der Glühweinfresse hatte mir ordentlich eins übergebraten – dachte er etwa, ich wolle die Tussi prügeln? So etwas kommt bei mir niemals vor! So ein Irrer!

„Fröhliche Weihnachten“, bemerkte die Tussi süffisant und warf mir das zerstörte Paket vor die Füße. Lässig lehnte sie an ihrem Auto, ihre Haare klebten nass an den Wangen. Ja, das Paket, ich erinnerte mich. „Leck mich am Arsch, fröhliche Weihnachten“, krächzte meine Stimme. Sogar das Sprechen schmerzte.

Ich vermutete damals, dass mich wohl hinterrücks ein Zug überfahren hatte. So lädiert war ich schon seit Ur- bzw. Schulzeiten nicht mehr. Aber ich war schon immer hart im Nehmen, also verkniff ich mir unkontrollierte Schmerzlaute. Außerdem war zu viel Publikum anwesend, das auf eine weitere Sensation lauerte. Ohne Eintrittsgeld jedoch keine Show, das war schon immer meine Devise.

Die umstehenden Gaffer verzogen sich allmählich, weil es nun nichts Gaffbares mehr gab. „Was ist eigentlich Wichtiges drin, in diesem Dreckspaket?“ Kühl starrte ich der Tussi in die Pupille. „Stollen“, kam die knappe Antwort. „Stollen?“ Ich verdächtigte meine Ohren, noch nicht ganz fit zu sein. „Stollen“, wiederholte ich, „hast du wirklich Stollen gesagt?“

„Ja, klar Mann. Stollen. Christstollen für meine Oma für unter den Christbaum.“ „Für Oma für unter den Christbaum, aha.“ Ich glaubte zu träumen. „Und wegen diesem Teigfetzen inszenierst du einen derartigen Aufstand?“ Die Tussi grinste säuerlich. „Was heißt Aufstand? Es ist eine Frechheit, fremde Weihnachtsgeschenke zu überfahren, egal, um was es sich dabei handelt. Außerdem, was soll ich Oma jetzt geben? Die Geschäfte sind zu, und in etwa fünf Stunden ist Bescherung.“

„Bescherung“, entgegnete ich, „die hab’ ich jetzt schon. Klamotten hin, Körper lädiert, Auto beleidigt. Schlimmer kann’s heute kaum noch werden.“ „Doch“, grinste die Tussi, „es wird noch schlimmer. Du schuldest mir ein Weihnachtsgeschenk und zwar hier und jetzt und sofort.“

„Tolle Sache, du Quarkquatscherin. Willst du meine Jacke haben? Sie ist fast neu, parkplatzteererprobt und leicht zu reinigen. Die schenkst du deiner Oma als Windabweiser, damit sie keine Zugluft bekommt, falls du sie genauso anbrüllst wie mich.“

Es erfolgte unerwarteterweise keine heftige Reaktion auf diese Aussage. Stattdessen streckte sie mir ihre Griffel hin, die Handfläche nach oben. Meine Vorahnung, dass sie sogleich irgendwelche irrwitzigen Forderungen an mich stellen würde, erwies sich als goldrichtig.