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Die Herausforderung: leben, statt gelebt zu werden
Viele Jahre lang lebte Walter Kohl ein Leben im Schatten eines übermächtigen Namens – als „Sohn vom Kohl“. Die Belastungen der CDU-Parteispendenaffäre und der Freitod seiner Mutter wurden für ihn schließlich zur existenziellen Prüfung. Doch er entdeckt einen Weg, um die Herausforderung seines Lebens zu meistern: Durch einen Prozess bewusster Versöhnung schließt er Frieden mit der eigenen Vergangenheit, mit den Eltern und mit sich selbst. So öffnet sich für ihn ein neuer Weg zu Selbstbestimmung und persönlicher Erfüllung.
Ein Buch, das Mut macht, sich aus fremdbestimmten Lebensumständen zu lösen und den eigenen Weg zu gehen.
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Seitenzahl: 328
Für Kyung-Sook
Mitte Juli 2001. Wenige Tage zuvor war meine Mutter verstorben. Wie tot fühlte auch mein eigenes Leben sich an. Der Mensch, der mich bedingungslos geliebt und dem ich zutiefst vertraut hatte, der stets meine große Stütze gebildet hatte, dieser Mensch war nun gegangen. Ganz plötzlich und unerwartet. Es war ein eisiger Schock, der eine tiefe Kluft in meine Seele schlug.
Ihr Tod ließ schlagartig alle Räder meines bisher so beschäftigten Alltags stillstehen. Dinge, die noch wenige Stunden zuvor unglaublich wichtig erschienen, lösten sich in Minuten förmlich in Luft auf. Wohl kaum ein anderes Ereignis zwingt so zum Nachdenken über unser Leben wie der Tod eines geliebten Menschen.
Auch wenn anfänglich Trauer und Schmerz alle meine Gefühle überwältigten, so erkannte ich doch mit der Zeit, dass der Tod meiner Mutter eine wichtige Botschaft auch für mein Leben enthielt. Ihr Scheiden wurde zum Weckruf, mich mit dem eigenen Schicksal endlich in rückhaltloser Ehrlichkeit auseinanderzusetzen und mir keine Lasten aufbürden zu lassen, die ich letztlich nicht tragen kann – und darf. Er war auch eine Aufforderung, nicht weiter die Rolle eines Opfers einzunehmen, sondern meine Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen: zu leben, statt gelebt zu werden.
Damals, im Sommer jenes traurigen Jahres, war ich allerdings noch nicht in der Lage, diese Botschaft in ihrer vollen Tragweite zu erkennen. Zum Schock des blitzartig eintretenden Verlustes kamen eine Reihe persönlicher Schwierigkeiten, die mich zunehmend drückten. Ich hatte sie mir selbst zuzuschreiben, denn sie waren die Folge meiner Fehlentscheidungen in der Vergangenheit. Privat steckte ich in der Sackgasse, und beruflich war meine Entwicklung zum Stillstand gekommen. Ich war 38 Jahre alt, theoretisch auf der Höhe meiner Möglichkeiten, praktisch aber stand ich mit dem Rücken zur Wand. Ich fühlte mich niedergedrückt und ausgepumpt, hoffnungslos verstrickt in ein scheinbar unentwirrbares Netz von Kräften außerhalb meiner Kontrolle. Ich war tief verunsichert in meinem Denken und Fühlen, mein Dasein reduziert auf ein passives Funktionieren nach außen hin und ein mechanisches Reagieren im Innern. Ich lebte gleichsam neben mir selbst.
Und ich fühlte mich allein, ganz allein. Sogar in der Gegenwart jener Menschen, die ich liebte, fühlte ich mich allein. Nachdem meine Mutter gegangen war, hatte ich dieses bodenlose Gefühl des Alleinseins kennengelernt. Eine Empfindung, vor der man zunächst steht wie vor einer unbegreiflichen Tatsache. Dieses Alleinsein ist mehr als Einsamkeit, es geht noch weit tiefer. Denn selbst in der Einsamkeit ist Verbundenheit mit anderen Menschen, wenigstens in Gedanken und Gefühlen, vorhanden, gibt es noch einen Halt. Dieses tiefste, vollständige Alleinsein aber ist halt- und trostlos. Es ist wie der Sturz in ein bodenloses schwarzes Loch. Eine Erfahrung, die kein Außen kennt, denn man haust ausschließlich in seinem Innern, und da ist nur eines: Leere.
Es sollte geraume Zeit dauern, bis dieses bleierne, alle Lebendigkeit erstickende Grundgefühl weichen würde. Ich musste einen langen, beschwerlichen Weg der inneren Erneuerung gehen. Sein Ausgangspunkt lag dort, wo meine wichtigsten Schicksalsfäden geknüpft wurden: im engsten Familienkreis.
Es gehörte für mich zur täglichen Routine, unseren Sohn zum Kindergarten zu fahren. Danach bestieg ich gewöhnlich die Regionalbahn, um zur Arbeit nach Frankfurt zu gelangen. Dieser Tagesbeginn war wie ein Rest von heiler Welt für mich, nachdem der Tod meiner Mutter auch noch zu einem nationalen Medienereignis geworden war, das erbarmungslos über unsere Familie hereinbrach. Auch an einem Kind von fünf Jahren ging all das nicht spurlos vorbei. Dennoch war es in der Lage, sich weiterhin unbefangen seinem Alltag zu widmen. Die Gemeinschaft mit meinem Sohn tat mir gut. Sie schenkte mir Leichtigkeit und Liebe.
Doch dieser Morgen war anders. Schon sehr früh hatte sich die Atmosphäre mit schwüler Sommerhitze aufgeladen. Eine stickige Stille lastete auf allem, wie vor einem kräftigen Gewitter. Das Gemüt zweier sich nahestehender Menschen in jener Situation erweist sich vielleicht als besonders empfänglich für atmosphärische Stimmungen, jedenfalls verharrten wir heute, ganz anders als sonst, gemeinsam in stummer und angespannter Nachdenklichkeit.
Wir hatten etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da geschah es. Aus dem Nichts ereilte mich seine Frage, wie ein Schlag in den Nacken:
»Papa, ist das Leben schön?«
Ich glaube nicht, dass dahinter eine lange Überlegung steckte. Es platzte aus ihm heraus, einfach so. Dennoch offenbarte die Frage ein feines Gespür für die Situation. Mit dem unverbildeten Sensorium eines Kindes, das die Probleme der Erwachsenen noch nicht zu seinen eigenen gemacht hat, aber sehr wohl schon um sie weiß, hatte mein Sohn den Nagel auf den Kopf getroffen. Er empfand klar und deutlich, dass vieles um ihn herum nicht in Ordnung war, dass es Streit gegeben hatte, dass Unsicherheit und Spannungen das Leben unserer Familie beherrschten. Und er fasste die gesamte Lage – wie es wohl nur ein fünfjähriges Kind vermag – aus seiner ureigenen Sicht in einer verblüffend präzisen Frage zusammen. Einer Frage, die für mich als seinem Vater mit der unausgesprochenen Bitte um eine ebenso präzise Antwort verbunden war. Doch damit erwischte er mich nicht nur auf dem falschen Fuß, nein, diese Frage zog mir förmlich den Boden unter den Füßen weg.
Es gibt im Leben Momente, die so viel Energie in sich bergen, dass man ihre Kraft und Bedeutung nicht sogleich erfassen und in sich aufnehmen kann. Wenn wir diese Momente annehmen, dann können sie zu echten Wendepunkten auf unserem Lebensweg werden. Als die Frage meines Sohnes wie in großen Lettern geprägt im Raume stand, wusste etwas tief in mir, dass es kein »Weiter so!« mehr geben, dass ich mich nun nicht mehr mehr vor mir selbst verstecken konnte … Nach dieser Frage konnte ich nicht länger vor mir selbst weglaufen, konnte ich nicht länger mit geschlossenen Augen durchs Leben gehen. Durch sie wurde ich endlich zur Ehrlichkeit mir selbst gegenüber gezwungen. Ich konnte einfach nicht mehr länger ausweichen, diese Frage zwang mich dazu, mir endlich Klarheit über mein Leben zu verschaffen.
In jenem Moment jedoch, konfrontiert mit einer scheinbar simplen Frage, deren Ungeheuerlichkeit ich nur dumpf, aber fast physisch empfand, fühlte ich mich völlig überfordert. Ich gab meinem Sohn eine Antwort, deren Unüberlegtheit und Oberflächlichkeit geradezu erschreckend war und für die ich mich sogleich schämte. Ich muss gestehen, ich weiß nicht einmal mehr, was genau ich gesagt habe. Es war mein letzter verzweifelter Versuch, dem Spiegel auszuweichen, in den ich nun doch würde blicken müssen.
Sein skeptischer Blick zeigte unmissverständlich, dass mein Sohn mir nicht so recht glaubte. Zwischen uns beiden stand ein betroffenes, fast peinliches Schweigen, eine Beklemmung, geboren aus Verunsicherung, Sprachlosigkeit und Überforderung. Doch hier war nichts mehr zu reparieren, nicht jetzt jedenfalls. Mein kleiner Junge hatte mich geprüft – und ich war durchgefallen. Er hatte mich dermaßen aus den Angeln gehoben, dass ich am ganzen Körper zitterte. Ich musste anhalten. Tränen liefen mir übers Gesicht. Wir saßen eine kurze Weile einfach so da, wortlos.
Kindlicher Pragmatismus ist ein wirksames Hausmittel zur Linderung wenigstens der Symptome, wenn nicht der Ursachen elterlicher Verzweiflung. Nach kurzer Zeit schon wurde er ungeduldig.
»Bitte fahr mich jetzt zum Kindergarten.«
Dort lieferte ich ihn dann auch wenige Minuten später ab. Er stieg aus dem Auto, verabschiedete sich mit einer Umarmung, die etwas fester war und ein wenig länger dauerte als gewöhnlich, und lief zu seinen Freunden, wahrscheinlich heilfroh darüber, seinen Vater in dieser wenig ersprießlichen Stimmung hinter sich lassen zu dürfen. Ich hatte die Fassung immer noch nicht ganz wiedergewonnen. Meine Gedanken spielten verrückt, mein Puls raste, und kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Schon musste ich erneut anhalten, fürchtend, den Anforderungen des starken Berufsverkehrs nicht gewachsen zu sein. Da saß ich nun, den Wagen in einem Feldweg geparkt. Ich war so aufgewühlt, als ob eine Lawine tief in meinem Innersten losgetreten worden wäre. Länger als eine halbe Stunde verweilte ich so, und in meinem Kopf hämmerte es immer wieder und wieder:
Papa, ist das Leben schön?
Im tiefsten Innern wusste ich, dass sich gerade etwas für mich sehr Wichtiges und zugleich Wertvolles zugetragen hatte. Mein Sohn hatte mich etwas ebenso Einfaches wie Bedeutsames gefragt, wie ein unbestechlicher Richter den Augenzeugen eines Geschehens befragt, das für alle Beteiligten von allergrößtem Belang ist. Ich hatte mir selbst unwiderlegbar vor Augen geführt, dass ich mich selbst betrog. Dass ich mich vor der eigenen Verantwortung für mein Leben drückte, dass ich zu einer Hülle ohne Inhalt geworden war, dass die Fremdsteuerung von mir Besitz ergriffen hatte.
Die Ereignisse der vergangenen Wochen hatten meinen alten Überzeugungen den Boden entzogen. Binnen weniger Minuten zwischen halb acht und halb neun Uhr morgens an jenem brütend heißen Julitag 2001 war alles anders geworden. Mit einem Mal und unwiderruflich war klar:
Dieses Leben, dein Leben, das ist ganz bestimmt nicht schön. Es ist eine Farce! Du bist ein Abziehbild der Vorstellungen und Erwartungen anderer Menschen. Du bist alles andere als dein eigener Herr.
In dieser Stunde begannen meine faulen Kompromisse, meine mantrahaften, bis zur Perfektion eingeübten Entschuldigungen vor mir selbst zu zerbrechen. Ich wusste zwar noch nicht, was ich tun sollte, was ich ändern müsste. Aber eines wusste ich: Ich durfte und würde nicht mehr so weitermachen wie bisher. Ich fühlte mit allen Fasern meines Wesens, dass eine mächtige Kraft an mir zu ziehen und zu stoßen begonnen hatte. Eine Kraft, die mich in eine neue Richtung drängte, auf ein Ziel hin, das mir noch gänzlich unbekannt war, wie die Wellen den Schwimmer hinaus aufs Meer ziehen, so sehr er sich auch dagegen stemmen mag. Die Sicht war trüb, meine Zukunft in Nebel gehüllt. Ich wusste nicht, wohin das Leben mich führen würde, aber ich spürte, dass ich lernen musste, mich der Strömung anzuvertrauen.
Jeder Mensch hat eine Familie. Ein banaler Satz? Nicht für mich. Nicht, wenn man den Namen Kohl trägt und der eigene Vater einmal für 16 Jahre der mächtigste Mann im Lande war. Mein Vater hat das Kunststück fertiggebracht, für mich ein ferner, kaum greifbarer Vater gewesen zu sein, und mir gleichwohl kräftig seinen Stempel aufzudrücken. Roland Koch hat einmal sinngemäß bemerkt, dass Politik zweimal stattfindet: erstens tagsüber, wenn regiert wird, und zweitens abends und am Wochenende, wenn die Partei zu ihrem Recht kommen will. Im Maschinenraum der Politik ist es immer heiß und hektisch, es heißt immer »Volle Kraft voraus!«, wenn man an der Spitze bleiben will. Deshalb hat ein Spitzenpolitiker sehr wenig Ruhe, er muss fortwährend der Gestalter, die Integrationsfigur für seine Partei sein, er treibt den Ball. Ein Spitzenpolitiker, der dieses spezielle Momentum verliert, ist zum Scheitern verurteilt.
Mein Vater hatte dieses Momentum in hohem Maße. Nicht nur für ein paar Jahre, sondern während seiner gesamten mehr als vierzigjährigen aktiven politischen Laufbahn. Es ist unvermeidbar, dass ein solcher Lebensstil auch das Familienleben eines Politikers prägt. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die öffentliche Tätigkeit meines Vaters bis in die letzten Bereiche des Privatlebens der Familie Kohl spürbar war.
Peter, mein Bruder, und ich sahen Vater oft wochenlang nur für wenige Stunden. Und wenn er da war, gab es unzählige Ablenkungen und »dringende Dinge«, die uns in die Warteschleife seiner Aufmerksamkeit schickten. Dauernd klingelte das Telefon, immer wieder fanden Termine mit Politikern, Journalisten und Diplomaten bei uns zu Hause statt, permanent drang die Politik in die letzten Ritzen unseres täglichen Lebens ein.
Während des jährlichen Familienurlaubs in St. Gilgen am Wolfgangsee habe ich spaßeshalber einmal Buch über Vaters Termine geführt. Ich kam auf mehr als 35 fest eingeplante Termine, die jeweils mehr als eine Stunde dauerten, binnen vier Wochen. Es besuchten ihn dort Regierungschefs, EU-Verantwortliche, deutsche Parteipolitiker, österreichische Landeshauptleute und, sehr regelmäßig, auch der Ortsbürgermeister. Schließlich gab es auch rund um den See wichtige Dinge. Mit dem Bonner Büro Telefonkontakt herzustellen und zu halten, war ein tägliches Ritual, das sich üblicherweise über mehrere Stunden erstreckte. Hinzu kamen diverse Hintergrundgespräche mit Journalisten sowie die obligaten Sommerinterviews mit den angehängten Fototerminen, bei denen auch wir Kinder benötigt wurden. Das war der St. Gilgener Normalbetrieb, von Krisensituationen nicht zu sprechen. Für Helmut Kohl ein ganz normaler Familienurlaub.
Der »Sohn vom Kohl« – wie oft habe ich diese Bezeichnung gehört? Und wie oft habe ich sie wohl nicht gehört, wenn sie hinter meinem Rücken gebraucht wurde? Im Lauf der Jahre habe ich all ihre Bedeutungsnuancen im Geiste durchdekliniert, immer wieder. Dass es nicht selten offene Feindseligkeit ausdrückte, begriff ich schon als Kind. Um zu verstehen, dass Neid und Verachtung sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern im Gefühl ein und desselben Menschen in trauter Nachbarschaft existieren können, brauchte ich etwas länger. Tuschelnde Neugier wirkte stets verunsichernd auf mich. Ja, ich erfuhr auch durchaus aufrichtig gemeinte Mitleidsbekundungen. Allerdings fragte ich mich immer wieder, warum nur wenige dieser Wohlmeinenden begriffen, dass mir ihre Art, Verständnis zu zeigen, eher peinlich war.
All das hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich wollte immer nur mein eigenes Leben führen, und vermochte es doch oft nicht. Es schien, als ob das Schicksal selbst mir den Kampf angesagt hätte, indem es mich in den Schatten eines großen Mannes, der mein Vater ist, gestellt hatte. Ich habe reagiert wie einer, der sich angegriffen und bis ins Mark getroffen fühlt. Lange gab es für mich nur zwei Möglichkeiten, um dieser schier unüberwindlichen Herausforderung zu begegnen: Kampf oder Flucht.
Erst mit der Zeit entdeckte ich einen dritten Weg. Heute kann ich sehr gut damit leben, den Namen Kohl zu tragen – und gleichzeitig ich selbst zu sein. Vielleicht hätte ein anderer an meiner Stelle es früher geschafft. Ich brauchte dazu Hilfe: Schicksalsschläge, die mich erst aus der Bahn warfen und dann auf neuen Kurs brachten, sowie persönliche Erfolge, die ich mir vorher nicht zugetraut hätte und die mir zeigten, dass auch ein Mensch wie ich wertvolle Talente hat. Auch hat es mir geholfen, als mein Vater sich schließlich aus dem politischen Geschäft zurückzog, einfach weil seither auch in mein Dasein mehr Ruhe eingezogen ist, selbst wenn ein öffentliches Interesse an unserer Familie nach wie vor spürbar bleibt. Offenbar brauche ich ein Mindestmaß an Ruhe und Frieden, um zu mir selbst zu finden, um mich zu er-finden.
Das Entscheidende aber war, dass ich etwas entdeckte, das mein Leben von Grund auf heilte und erneuerte. Es war das kostbarste Fundstück auf einem langen und gewundenen Weg und führte mich schließlich zu mir selbst: Versöhnung. Ich weiß, es klingt ausgesprochen gefühlsbetont, vielleicht sogar ein wenig kitschig in manchen Ohren, aber für mich steckt darin die Chance, mit dem Unabänderlichen seinen Frieden zu machen und den eigenen Weg zu gehen.
Versöhnung ist nicht nur die Kraft, die Menschen zueinander führt, sondern auch die Kraft, die einen Menschen zu sich selbst bringt.
Lange war Versöhnung für mich etwas, das vornehmlich in die Politik gehörte. Etwas, das mein eigener Vater mit anderen Größen wie Gorbatschow und Mitterrand praktizierte. Ganz weit oben, ganz weit weg. Ich durfte meinen Vater begleiten, als er über den Gräbern von Verdun Mitterrands Hand ergriff. Eine große Geste der Versöhnung zwischen Völkern. Aber Versöhnung als Mittel zur Gestaltung meines eigenen Lebens? Nein, darauf wäre ich nicht gekommen.
Lange ging ich einen anderen Weg. Ich haderte mit meiner Situation, kämpfte gegen Windmühlenflügel und wehrte mich mit dem Mut der Verzweiflung gegen mein – ungeliebtes – Schicksal. Ich wurde ernst und ernster. Ich verlernte, mich von Herzen zu freuen. Mit der Zeit versteinerte ich innerlich. Der Verlust an Lebensfreude war vielleicht der größte Schaden, den ich mir selbst zufügte. Dabei begriff ich vor allem eines nicht: Ich wurde nicht zum Opfer gemacht, sondern ich nahm die Opferrolle an.
Endlich begriff ich, dass jede wirkliche Wandlung immer im eigenen Innern beginnen muss. Das war der Moment, in dem ich den Wert der Versöhnung für mein Leben erkannte. Dass sie nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich von Bedeutung ist, wenn Menschen miteinander im Streit liegen, sondern mindestens ebenso sehr im Innerpsychischen, nämlich für den einzelnen Menschen, der mit sich selbst im Streit liegt. Versöhnung hilft, heilt und wandelt von innen her. Indem ich dieses Buch schreibe, halte ich mir selbst den Spiegel vor. Indem ich meine Geschichte erzähle, schaue ich mir mein bisheriges Leben genau an. Und es wird mir selbst klarer, welche Kraft es bewirkte, dass ich endlich leben kann, ohne gelebt zu werden.
Mein Geburtsjahr ist 1963. Meine Eltern lebten damals noch in einem schlichten Einfamilienhaus in Ludwigshafen-Gartenstadt, erst im Herbst 1971 zogen wir nach Oggersheim um. In der Gartenstadt war alles beschaulich und überschaubar. Meine kleine Welt umfasste das Haus, den dazugehörigen Garten, das unbebaute Nachbargrundstück sowie, wenn von Mutter einmal ausdrücklich erlaubt, ein Stückchen der anliegenden, ausgesprochen ruhigen Straße. Hannelore Kohl war eine in jeder Beziehung fürsorgliche Mutter, die ihre beiden Buben stets im Auge behielt. Mein Bruder Peter wurde 1965 geboren.
Wir wuchsen auf in einer Art kindlicher Enklave in der Welt der Eltern, einer Welt, die zur selben Zeit immer größer wurde. 1963 war mein Vater Fraktionsvorsitzender der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag geworden, im Jahr 1966 wurde er ihr Landesvorsitzender. Mit seiner Karriere ging es Stück für Stück bergauf.
In einer kleinen Wohnung unterm Dach lebte unsere Großmutter mütterlicherseits. Sie war mit unserer Mutter in den Wirren des Krieges unter abenteuerlichen Umständen nach Ludwigshafen gekommen. Es war eine Herzenssache für meine Mutter, sie unter unserem Dach den Lebensabend verbringen zu lassen, da sie als Witwe sonst allein gewesen wäre. Zu meinen engsten Bezugs»personen« gehörte auch Igo, unser deutscher Langhaarschäferhund, ein imposantes Tier mit einer unverbrüchlichen Liebe zu uns Kindern. Was ich erst allmählich begriff, war die eigentliche Funktion des wohl wichtigsten Spielkameraden meiner frühen Kindheit: Igo war ein ausgebildeter Polizeihund und die allererste Sicherheitsmaßnahme, die für uns ergriffen wurde.
Es war dies also eine nicht nur räumlich sehr überschaubare Welt, sondern auch personell. Es waren kaum ein Dutzend Menschen, die sie bevölkerten. Spielkameraden fand ich in der Nachbarschaft. Besucher gab es sicher viele, doch ich kann mich kaum daran erinnern. Die allerwichtigste Person im Familienkosmos stellte Mutter dar. Sie war die unumstrittene Herrscherin über mein junges Leben. Ihr Wort war Gesetz. Danach kam mein Bruder. Wir spielten gern und viel miteinander. Auch wenn wir uns dabei immer wieder stritten, so waren wir letztlich doch ein Herz und eine Seele, ein Verhältnis, das wir uns bis auf den heutigen Tag erhalten haben.
Einen Gast gab es jedoch in unserem Hause. Es schien mir zumindest so. Ich meine meinen Vater. Er hatte so viel zu tun, dass er kaum bei uns zu Hause sein konnte. Und wenn, vergrub er sich nach den Mahlzeiten meist in seinem kleinen Arbeitszimmer. Es war selten, dass er sich mit uns beschäftigte. Doch das störte mich eigentlich gar nicht. Ich kannte es nicht anders, und es erschien mir völlig normal, dass ein Vater draußen, in der großen weiten Welt, dafür zu sorgen hatte, dass seine Familie zu Hause ruhig und in Frieden leben konnte. Schließlich sah auch mein bester Freund, der Junge von gegenüber, seinen Vater fast nie. Der war Fernfahrer und kam genauso selten nach Hause wie der meine.
Da war allerdings ein Unterschied, und zwar ein gewaltiger: Sein Vater fuhr immer im Lkw vor, was mir sehr imponierte. Der war nicht nur riesig groß, sondern er hatte auch einen sehr lauten Motor. Wenn sein Vater vorfuhr, brachte er das majestätische Vehikel immer mit einem durchdringenden Zischen der Bremsen zum Halten. Als Zeichen, dass er jetzt da war, ließ er die tiefe, sonore Hupe ertönen. Mein Vater dagegen kam immer irgendwie auf leisen Sohlen nach Hause, den Kopf voller Gedanken. Damit konnte ich wenig anfangen, und ich fand zudem, dass das schwarze Auto, das er benutzte, längst nicht so imposant war wie der bunt bemalte Laster des Nachbarn. Wie gut, dass sein Vater uns Jungen gelegentlich ins Fahrerhaus seines formidablen Gefährts steigen und sogar hupen ließ! Mein Freund platzte fast vor Stolz auf seinen Vater, und ich war froh, auch ein wenig von dessen Glanz und Größe profitieren zu dürfen.
Ein gewisses Problem stellte es für mich dar, dass ich eigentlich gar nicht wusste, was mein Vater so tat, wenn er nicht zu Hause war. Der Vater meines Freundes übte eine Tätigkeit aus, die ich verstehen konnte. Er war Fernfahrer, brachte Güter von einer Stadt zur anderen, ein wichtiger Mann mit einer klaren Aufgabe also, sogar aus der Sicht eines vier- oder fünfjährigen Jungen. Doch was machte mein eigener Vater eigentlich? Zwar erlebte ich es immer wieder, dass Erwachsene über ihn sprachen, sogar wenn er nicht zu Hause war. Aus dem, was sie sagten, gewann ich den Eindruck, dass es wichtige Dinge sein mussten, die er tat. Man zeigte mir sein Bild in der Zeitung. Aber da ich nicht wirklich verstand, worum es dabei ging, zweifelte ich daran, dass es genauso wichtig sein konnte wie einen großen Laster zu fahren und viele Dinge in andere Städte zu bringen, welche die Menschen dort brauchten.
Dennoch hatte ich, wie schon gesagt, überhaupt nicht das Gefühl, es könnte irgendwann zum Problem für mich werden, was mein Vater beruflich machte. Auch mein anderer Freund aus dem Haus hinter unserem Garten hatte einen Vater, der meistens abwesend war. Er wusste ebenfalls nicht so recht, was dieser beruflich tat, eigentlich nur, dass er für ein großes Ludwigshafener Unternehmen in Mittelamerika weilte. So schien uns allen eines völlig klar und absolut normal zu sein: Väter sind meistens weg, sie machen irgendwas, das die Familie ernährt, und die Mütter bestimmen mit ihren Geboten und Verboten, aber auch mit ihrer Liebe und ihrer Fürsorge unser kindliches Leben. Mit einem Wort: Unsere Kinderwelt war wohlbehütet, sie hatte ihre feste, allseits akzeptierte Ordnung und bot alle Möglichkeiten, die wir zur Entfaltung unseres Spiel- und Bewegungsdranges brauchten. Begrenzt auf eine Fläche von etwa 150 mal 50 Meter, war sie wie ein kleiner Stern für sich. Sie war wunderschön, sie war geschützt und sicher. Alles in dieser Welt war berechenbar und von einer intensiven Heimeligkeit. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung davon, was mich jenseits ihrer engen Grenzen erwartete.
Im Sommer 1969 wurde ich in die erste Klasse der Grundschule in Ludwigshafen-Gartenstadt eingeschult. Wenige Monate zuvor war Helmut Kohl zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz gewählt worden. Zwei Ereignisse, die in keinerlei Zusammenhang miteinander standen, außer für mich selbst. Es fühlte sich an, als wenn eine Tür ruckartig aufgerissen würde und ein kalter, ein sehr kalter Wind mir urplötzlich um die Ohren pfiff.
Ich erinnere mich, dass es an meinem ersten Schultag morgens heftig regnete. Meine große Schultüte war schon etwas aufgeweicht, als Mutter und ich das Schulgebäude betraten; mein Vater hatte keine Zeit an diesem Morgen. Es folgte, was jeder kennt: Begrüßung der »ABC-Schützen«, wie es damals nach alter Väter Sitte noch hieß, durch den Rektor, dann die Verabschiedung der Eltern und schließlich die Übergabe von uns Kindern an die Lehrerin. Bald klingelte es zur ersten Pause. Nun sollte ich etwas kennenlernen, was nur mir und meinem Bruder beschieden ist: ein Leben als »Sohn vom Kohl«.
Der Schulhof war voller Kinder. Ich kannte keinen Einzigen, während sich alle anderen zu kennen schienen. Es gab sehr wohl Gleichaltrige aus unserer Straße in meiner Klasse, doch sie kamen aus den »Blocks«, wie es bei uns zu Hause hieß. Diese standen nur ein paar hundert Meter weit weg, doch es war eine mir unbekannte Zone, die eine dunkle Faszination auf mich ausübte. Nie hätte ich mich entgegen dem strengen Verbot unserer Mutter dorthin gewagt. Eine Folgsamkeit mit gewissen Konsequenzen, denn meine beiden Freunde waren als Jüngere nicht mit mir eingeschult worden, und mein jüngerer Bruder sollte erst in zwei Jahren folgen. Ich war allein. Die Kinder aus den »Blocks« dagegen traten als geschlossene Gruppe auf, und es sollte mir sogleich klar werden, was das für mich bedeutete.
Schon in der ersten Pause ging es los. Als Erstes spürte ich die neugierigen, herausfordernden Blicke auf mir liegen. Ein seltsames Gefühl, das sich im Lauf der Jahre zu einem festen Bestandteil meiner Empfindungswelt entwickeln sollte. Jeder verspürt hin und wieder den Drang, sich umzusehen, weil er sich beobachtet fühlt. Anschließend geht er wieder zur Tagesordnung über. Für mich aber wurde dieses unangenehme Gefühl ab jetzt zum ständigen Begleiter. Später nannte ich das den »Zooeffekt«: mit distanzierter Neugier wie ein exotisches Tier beäugt und aus der Position gefühlter Überlegenheit heraus mit launig-ätzenden bis beleidigenden Kommentaren bedacht zu werden.
Mein erster Schultag geriet zu etwas, das man wohl ein Schlüsselerlebnis nennt. Die abfälligen Bemerkungen Sechsjähriger über einen Politiker sind naturgemäß nur ein Abklatsch der Reden ihrer Eltern. Doch das war eine Tatsache, die nicht innerhalb meines eigenen kindlichen Bewusstseinshorizontes verankert war. Ich war zutiefst verletzt, weil wildfremde Menschen, Kinder wie ich selbst noch, mich und meine Familie schmähten. Ich war total verwirrt, weil ich nicht verstand, warum. Angegriffen zu werden für etwas, das vollständig außerhalb meines eigenen Verantwortungsbereichs lag – das widersprach in allen Punkten meinem Gerechtigkeitsgefühl. Zum ersten Mal stieg in mir etwas auf, das man wohl »heiligen Zorn« nennt, eine Regung, die man selbst als uneingeschränkt gerechtfertigt empfindet, die einen aber letzten Endes nur innerlich lähmt und zu maximaler äußerer Aggression treiben kann. Dieser »heilige Zorn« wurde mit den Jahren zunehmend zum Gestalter meines Lebens. Dies zu erkennen war allerdings ein weit fortgeschrittener Teil der Lektion. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis ich es verstand, und noch länger, bis ich die Energie des Zorns in Gelassenheit umwandeln konnte.
Damals, in jener Situation auf dem Schulhof, verstand ich nur eines: dass ich die Ehre meines Vaters und unserer Familie verteidigen, dass ich mich selbst meiner Haut erwehren musste. Es kam zum Gerangel. Sie hänselten mich weiter und trieben ihre Späße mit mir. Ich begann geplant zu handeln, denn eines war klar: Gegen die ganze Gruppe hatte ich keine Chance. Also konzentrierte ich mich auf einen, der aus dem Hintergrund die anderen antrieb, ohne sich selbst körperlich einzumischen. Ich befreite mich und ging auf ihn los. Er war clever und reaktionsschnell und schlug einen Haken. Damit ließ er mich ins Leere laufen. Ich rutschte auf dem regennassen Schulhof aus und stürzte. Um mein Elend vollzumachen, fiel ich der Länge nach in eine große, tiefe und dreckige Pfütze. Allüberall höhnisches Gelächter. So endete die erste Pause mit mir als begossenem Pudel, zum Gespött meiner Klassenkameraden.
Der Lektion nächster Teil. Ein triefendes Häufchen Elend, saß ich nun in der Klasse. Meine Gegner trugen Unschuldsmienen zur Schau. Die Lehrerin hatte sich schnell ein Urteil gebildet. Hier galt es ein Exempel zu statuieren, und dass es gleich am ersten Schultag geschehen musste, schien ihr nur recht. Wegen Raufens und schlechten Betragens setzte es die ersten Hiebe für mich. Mit der Stahlkante eines langen Lineals, gezielt auf die Fingerkuppen. Eine Maßnahme, die, wie auch meine Mitschüler bald erfahren würden, zum pädagogischen Standardrepertoire unserer Lehrerin zählte. Schlimmer noch als die körperliche Pein aber erschien mir die seelische. Irgendein Teil von mir erahnte sofort, dass hier etwas geschehen war, was länger anhalten und weit tiefer reichen würde als schmerzende Fingerkuppen.
Der vorläufig letzte Teil meiner Lektion. Daheim angekommen, fiel meine Mutter ob meines zerzausten, schmutzigen Äußeren aus allen Wolken. Das hatte sie nicht erwartet! Es muss für sie ein wahrhafter Schock gewesen sein, dass ihr ältester Sohn schon an seinem ersten Schultag auffällig wurde. Sonst wäre sie mir gewiss nicht mit einer Härte begegnet, die mich bestürzte. Ich war es einfach nicht gewöhnt, dass sie kein Wort von dem hören wollte, was ich vorzubringen hätte. Auch war mir die ganze Sache hochpeinlich, ich wusste ja, dass ich alles andere als einen guten Eindruck hinterlassen hatte. Aber ich fühlte mich nicht als alleinig Schuldiger, und schließlich hatte ich nicht nur mich selbst verteidigen wollen, sondern auch die Ehre unserer gesamten Familie! So hatte ich das kindlich reine Gefühl, für uns alle mein Bestes gegeben zu haben, jedenfalls der Absicht nach.
Doch für meine Sicht der Dinge konnte ich damals nicht auf die Unterstützung meiner sonst so verständnisvollen Mutter rechnen. All meine Erklärungsversuche wurden nicht verstanden, im Gegenteil, sie schienen ihre Verärgerung nur noch zu steigern. Nun bekam ich erst recht ein schlechtes Gewissen, weil ich erkannte, dass ich den Menschen, den ich am meisten liebte, tief enttäuscht hatte. Und wieder klopfte ein ganz neues Gefühl an meine Tür: eine eigentümliche Mischung aus Trauer, Wut und Verwirrung. Ich war unglücklich. Nicht nur, weil mir selbst innere und äußere Schmerzen zugefügt worden waren. Sondern auch, weil ich offenkundig versagt und damit jemanden, der mir sehr nahe stand, unglücklich gemacht hatte. Ohne es auch nur ansatzweise verstehen zu können, hatte ich gleich an meinem ersten Schultag eine neue Wertordnung kennengelernt, die von nun an mein Leben bestimmen würde. Hier wurde mit ganz anderem Maß gemessen, als ich es bisher gewohnt war: Ich wurde nicht danach beurteilt, was ich war, sondern was man mir zuschrieb. Viele Jahre später erst wurde mir klar, dass die Dynamik dieses Tages meine persönliche Problematik wie mit einem Brennglas konzentrierte und einem ersten hitzigen Konflikt zutrieb.
An meinem ersten Schultag wurde eine Weiche für mein Leben gestellt. Der Weg, der für mich bestimmt war, hat mich an die Grenzen meiner psychischen Möglichkeiten getrieben. Aber um diese Grenzen letztlich zu überwinden, musste ich zur Selbstbestimmung finden. Dieser erste Schultag folgte einem unsichtbaren Drehbuch, er lieferte den Plot eines Stückes, zu dem sich der Vorhang auf unterschiedlichsten Bühnen hob. Meine eigene Rolle darin hat etwas Kurioses: Nebenrolle und Hauptrolle zugleich. Auch wenn ich ein ganz gewöhnliches Leben führe, mit einem ausgesprochen unspektakulären Alltag, bin ich doch für viele meiner Mitmenschen Normalmensch und Exot zugleich. Nicht das, was ich selbst tat, sondern das, was eine andere Person zu tun oder zu lassen beliebte, wurde nun für so gut wie jede meiner Begegnungen mit anderen Menschen ausschlaggebend. Das erschien mir zunächst rätselhaft, später grotesk und, in seiner schicksalhaften Unvermeidlichkeit, geradezu verhängnisvoll.
Damals, als sechsjähriges Kind, fühlte ich mich nur tief verletzt, aufs Äußerste herabgewürdigt, schwer getroffen. Die erste Ursache dafür lag vollständig außerhalb meines eigenen Aktionsradius, so viel verstand ich sofort. Sehr bald war mir klar, dass die Angriffe nicht mir, sondern einer Person galten, die mir mit am nächsten stand. Aber ich verstand nicht, warum manche Menschen ihre offenkundige Abneigung gegen ihn auf mich übertrugen. Mein Vater war für mich selbst nur mein Vater und kein Politiker, ging das nicht in den Kopf dieser Menschen hinein? Von Anfang an wehrte ich mich gegen diese absurde Übertragung, dagegen, in Mithaftung genommen zu werden. Ich begann mit dem Schicksal zu hadern, schon sehr früh im Leben. Ich fühlte mich als Opfer, auch dann noch, wenn ich selbst den ersten Stein hob.
ENDE DER LESEPROBE
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eISBN 978-3-641-06074-9V002
Erste Auflage 2011
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