Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Harper Owens hat ein Problem! Ein Jobangebot verspricht, ihr Leben zu verändern. Doch dafür müsste sie nach New York ziehen und ihre Freunde in Nelson zurücklassen. Eine Entscheidung, die sie vor eine schier unüberwindbare Hürde stellt. Ihr Freund Haruto schlägt ihr das japanische Neujahrsritual vor, mit dem seine Familie seit Generationen Antworten auf schwierige Fragen erbittet. Als Harper in der Silvesternacht das Ritual vollzieht, unterläuft ihr ein folgenschwerer Fehler. 1. Das Fahrstuhlritual 2. Die verfluchte Puppe 3. Wachul, der Alte 4. Der Werwolf 5. Das Bloody Mary Ritual 6. Corner Game 7. Brieselanger Lichter 8. Voodoo 9. Die verschwundene Stadt 10. Stranger 11. Das 11-Meilen-Ritual 12. Das Zwillingsspiel 13. Das japanische Neujahrsritual 14. Das Türenspiel 15. Spaltgeister 16. Chupacabra 17. Die drei Könige
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 112
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Legenden
Das japanische Neujahrsritual
Band 13
Nicht zur Nachahmung! Die Legenden basieren meist auf mündlichen Überlieferungen.
Es ist nicht ratsam, die darin enthaltenen Rituale nachzumachen. Es könnten Türen geöffnet werden, die lieber verschlossen bleiben sollten.
Das japanische Neujahrsritual
Dana Müller
Unter Freunden
Es war der 25. Dezember; der erste Weihnachtsfeiertag. Ein köstlicher Duft gebackener Ente und Rotkohl vermengte sich mit den Zimt- und Nelkenaromen des Glühweins. Dieses Jahr war Liam an der Reihe, für das leibliche Wohl der Freunde zu sorgen. Und das tat er mit Hingabe.
Der erste Weihnachtsfeiertag gehörte seit acht Jahren ausschließlich den vier Freunden Harper, Liam, Haruto und Momoko.
Haruto und Momoko waren Geschwister, was der Freundschaft aber keinen Abbruch tat. Schon früh waren sie auf sich allein gestellt gewesen, weil die Eltern tagein tagaus das Restaurant am Laufen hielten. Das war ihre Lebensgrundlage und alles andere stand an zweiter Stelle. Dieser Umstand aber hatte die beiden nur enger zusammengeschweißt.
Harper nahm genüsslich einen Schluck von dem leckeren Glühwein und biss in ein Mandelplätzchen. »Das ist der Wahnsinn«, sagte sie mit vollem Mund und zerrieb das zarte Gebäck mit der Zunge am Gaumen. »Ist da Anis drin?«
»Hey, gut rausgeschmeckt«, erwiderte Liam.
»Meine Granny hat zu Weihnachten immer Aniskekse gebacken. Ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt«, sagte sie und schob das restliche Plätzchen in den Mund.
»Ich fahre ja total auf die Vanillehörnchen ab«, meldete sich Momoko zu Wort. »Die sind der absolute Burner. Haruto, probier mal.« Sie hielt ihm ein Hörnchen vor die Nase.
Er lehnte sich mit fest aufeinandergepressten Lippen zurück und wich aus.
»Dann nicht«, sagte sie, kicherte und stopfte es sich selbst in den Mund, den sie nun kaum zu bekam. Mit den vollen Wangen sah sie aus, als wäre sie einem Anime entsprungen. Das zart violette Haar fiel nach vorne und sie bändigte es hinter den Ohren, um sich über den Tisch zu beugen und mit weit ausgestrecktem Arm ein weiteres Hörnchen zu sichern.
Liam schmunzelte und reichte ihr den Teller. »Stell den mal in deine Nähe, da steht er besser«, sagt er.
Haruto nahm einen großen Schluck vom Glühwein und widersprach mit gespieltem Entsetzen. »Nicht gut. Oder willst du mein Schwesterchen mästen?«
Sofort zog Liam den Teller mit den Vanillehörnchen zurück. Momoko beschwerte sich, aber er schüttelte den Kopf und warf einen raschen Blick zu Haruto rüber. »Ich will keinen Ärger mit deinem Bruder.«
Sie aber ließ sich nicht aufhalten, stand auf, lief um den Tisch herum und riss den Teller an sich. »Haruto vergisst manchmal, wer hier die Ältere ist.«
Obwohl nur ein Jahr zwischen ihnen lag, hatte Momoko immer schon darauf gepocht, das Sagen bei ihnen zu haben. Harper war gespannt darauf, welchen Höhenflug sie erst bekam, wenn sie im Februar 21 wurde.
»Hast du ein Glück, dass du keine große Schwester hast«, warf er Liam mit einem verschmitzten Lächeln entgegen und lehnte sich nach vorne. »Harper, hast du es dir überlegt?«
»Was?« Inbrünstig hoffte sie, dass er nicht das Jobangebot in New York ansprechen würde, denn sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wie sie sich entscheiden sollte. Außerdem war er als einziger ihrer Freunde eingeweiht. Im Nachhinein erkannte sie diesen Fehler, denn Haruto war dem Alkohol nicht abgeneigt, was seine Zunge in manchen Situationen mehr lockerte, als allen lieb war.
»New York!«
»Was ist in New York?«, fragte Momoko.
»Nichts. Ist eine schöne Stadt«, antwortete Harper kleinlaut und warf Haruto einen vernichtenden Blick zu. Manchmal ärgerte sie sich wirklich über seine freche Art und war nahe dran, sich mit ihren 25 Jahren vor ihn zu stellen und ihm ihr Alter unter die Nase zu reiben.
Er reichte Liam seine leere Glühweintasse, der sie ohne Umschweife nachfüllte. »Ich finde, du solltest es ihnen sagen. Oder willst du Mitte Januar eine Karte aus dieser stinkenden, völlig überfüllten Stadt schicken?«
»Verreist du?«, fragte Liam.
»Nein«, war alles, was ihr dazu einfiel.
Haruto war in dieser Hinsicht gesprächiger. »Unsere Harper hat ein Jobangebot bekommen. Sie soll Mitte Januar die Buchhaltung für einen großen Konzern in New York übernehmen.«
Unter dem Tisch machte sich Harpers Fuß selbstständig. Sie trat nach Haruto, erwischte statt seiner Momoko, die sich just in dem Moment an einem Hörnchen verschluckte.
»Tut mir leid«, sagte sie, während Haruto seiner Schwester beherzt auf den Rücken klopfte.
Als sich Momoko wieder unter Kontrolle hatte, sah sie Harper mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an. »Das ist nicht wahr, oder? Gefällt es dir denn nicht mehr hier? Was ist mit der Bibliothek? Ich dachte, du arbeitest gerne da.«
Ein Seufzen machte sich selbstständig. Ja, sie arbeitete gerne in der Bibliothek. Es war eine angenehme Tätigkeit, die ihr genügend Freiraum bot. Doch es war auch ein Hungerjob. Schon lange träumte sie von den eigenen vier Wänden, einem kleinen Häuschen mit akkuratem Vorgarten und einem Hund. Das alles war mit dem Hungerlohn nicht umzusetzen. Sie konnte sich gerade so über Wasser halten, zahlte Miete für eine Bruchbude, in der die Feuchtigkeit wohnte und jeden kanadischen Winter blass aussehen ließ. In ihrem Zuhause war es bereits in den Herbstmonaten unangenehm kalt und klamm. Sie brauchte eine Veränderung.
Auf der anderen Seite waren ihre Freunde, die einen wunderbaren Ausgleich boten. Aber seit einiger Zeit erschien ihr das nicht mehr genug. Sie liebte Momoko, Haruto und Liam, mit dem sie letzten Sommer im Bett gelandet war. Sie wusste auch, dass sie ihr fehlen würden.
»Ich habe mich noch nicht entschieden.«
»Warum nicht?«, hakte Haruto nach und leerte die Tasse. »Die Erfolgsaussichten sind mit denen in deinem jetzigen Job nicht zu vergleichen.«
»Haruto, das ist nicht so leicht. Hier bin ich zu Hause. Hier habe ich euch. Ich weiß auch nicht«, gab sie verzweifelt zu. »Keine Ahnung, was ich mir von der Bewerbung versprochen habe. Eigentlich dachte ich, dass von denen nie eine Antwort oder im besten Fall eine Absage kommt. Vielleicht wollte ich nur mal sehen, ob ich eine Chance hätte, woanders unterzukommen. Und dann erreichte mich die Zusage und hat alles durcheinandergebracht. Ich glaube, ich werde absagen.«
»Klingt, als hättest du Angst«, warf Momoko ein.
Damit traf sie den Nagel auf den Kopf. Natürlich hatte sie Angst. Sie wusste nicht, was die Zukunft für sie bereithielt. Wenn sie bliebe, könnte sie dem Trott vielleicht nie entkommen. Ginge sie nach New York, könnte sie grandios scheitern und hätte nicht nur ihre Wohnung hier verloren, sondern auch die Menschen, die immer zu ihr hielten. Möglicherweise würde sie vom Regen in die Traufe geraten.
Eins aber wusste Harper: Sie befand sich auf einer Einbahnstraße, die von einem Highway gekreuzt wurde. Nur – auf so einem Highway konnte man sich viel zu schnell dem Verkehr anpassen und in eine Massenkarambolage geraten.
»Du solltest dir mal die Karten legen lassen«, sagte Momoko.
Haruto stand auf und ging in die Küche.
»Ich wüsste nicht, was das bringen soll«, warf Liam ein. »Wäre Harper hier glücklich, hätte sie sich nicht in New York beworben. Ich meine, wir leben hier in Kanada. Es hätte auch eine andere Stadt in der Nähe sein können. Wovor willst du flüchten?«
Wow, das saß. »Ich flüchte nicht«, antwortete sie, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es nichts anderes war, als Flucht vor dem Versagen.
Mit einer geöffneten Flasche Bier setzte sich Haruto wieder an den Tisch. »Liam, das ist gemein. Lass das. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Außerdem ist noch nichts entschieden. Wir können sie noch behalten.«
»Du hast genug«, warf Momoko ihm entgegen, aber Haruto überhörte sie einfach.
»Leute, ihr redet gerade so, als würde ich sterben. Selbst, wenn ich nach New York ginge, würde das doch nichts an unserer Freundschaft ändern«, sagte sie, um die Situation zu entspannen.
»Klar – würde nichts ändern«, stichelte Liam. »Es wäre wie immer, ich würde dich anrufen und bitten, mir bei meinem neuen Rezept zu helfen und fünf Minuten später stündest du dann in meiner Küche.«
»Jetzt hör aber mal auf«, nahm Haruto Harper in Schutz. »Meint ihr wirklich, dass das so eine einfache Entscheidung ist? Lasst Harper das in Ruhe überdenken. Was sind wir denn für Freunde, wenn wir sie wegen einer Bewerbung zerfleischen?«
Momoko nahm Harpers Hand in die ihre. »Ich sag doch. So eine Wahrsagerin ist super. Die kann dir die Sorgen nehmen. Sie legt dir die Karten und du entscheidest dann, was du tun willst.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube nicht daran, dass man die Zukunft vorhersagen kann. Entweder will sie weg oder nicht. So einfach ist das«, sagte Liam, stand auf und verschwand in der Küche. Eine bedrückende Stimmung blieb zurück.
»Was hat er denn?«, fragte Momoko. Ihr Blick ging zwischen Harper und der Küche hin und her.
Harper konnte ihre Gedanken förmlich riechen. Vorsichtshalber senkte sie den Blick, nur um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen, denn Momoko hatte die Gabe, darin zu lesen wie in einem offenen Buch.
»Nein! Habt ihr etwa? Seid ihr zusammen oder sowas?«
»Nein«, widersprach Harper aufs Äußerste. Das fehlte ihr noch. Es war schon schwer genug, sie alle als Freunde so heftig vor den Kopf zu stoßen. Der Gedanke daran, dass Liam andere Gefühle für sie hegen könnte, als nur freundschaftliche, erschütterte sie.
Sie waren sich letzten Sommer einig darüber gewesen, dass es nur bei einem einzigen Mal Sex bleiben sollte. Ganz ohne Verpflichtungen und ohne Reue.
Momoko neigte sich zu Harper rüber. »Geh zu einer Wahrsagerin, die wird dir auch sagen können, wie Liam zu dir steht.«
Davon wollte sie nichts wissen und reagierte nicht auf Momokos Vorschlag. Stattdessen beobachtete sie Haruto, der eine Serviette nahm, einen Kugelschreiber aus der seitlichen Hosentasche seiner Cargohose zog und hastig etwas darauf notierte. »Also wir kennen solche Probleme nicht. Wenn wir in der Familie derartige Fragen haben, dann wissen wir, wie wir damit umgehen, wir machen nämlich …«, sagte er und suchte Blickkontakt zu Harper.
»Oh nein. Nicht doch«, beschwerte sich Momoko. »Das gehört nicht hierher.«
»Wieso nicht? Harper ist unsere Freundin und gehört somit zur Familie. Ich finde, sie sollte es versuchen.«
»Haruto, du bist betrunken. Sei still!« Momoko packte sein Handgelenk.
»Lass ihn doch. Wir sind unter uns«, warf Harper ein.
»Es ist nur eine Legende. Ich glaube nicht, dass das irgendwas bringt«, widersprach Momoko.
Skeptisch blickte Harper zwischen den Geschwistern hin und her. »Jetzt macht ihr mich aber neugierig. Was für eine Legende?«
»In unserer Familie hebt man sich solche wichtigen Fragen bis Neujahr auf. Genauer gesagt: bis zum 31. Dezember.«
Momoko kniff ihrem Bruder in den Oberarm, sodass er diesen ruckartig wegzog und sich die Stelle rieb. »Vater wird dich verbannen, wenn du weiterredest«, sagte sie und warf ihm einen bohrenden Blick zu, dem er widerstand.
»Und wenn schon. Er lebt viel zu sehr in der Vergangenheit. Wir sind hier in Kanada und nicht mehr in Japan.«
»Haruto! Das ist respektlos!« Momokos Gesichtsfarbe wechselte in ein dunkles Rot. Doch Haruto trank einige Schlucke aus seiner Bierflasche und stellte sie lautstark auf dem Tisch ab. Er fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Momokos Nase herum. Dabei hätte er beinahe die Flasche umgestoßen. Doch Momoko reagierte blitzschnell und rettete das Bier.
Haruto allerdings schien davon nicht viel mitzubekommen und widmete sich wieder Harper. Mittlerweile lallte er ein wenig. Nicht auffallend, aber genügend, um Harper zu verdeutlichen, dass er betrunken war. »Also: Wenn der Jahreswechsel vonstattengeht, begeben sich unsere Vorfahren immer in den Wald, um eine Antwort auf ihre wichtigste Frage zu erhalten.«
»Ich bitte dich!« Momoko verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich kopfschüttelnd zurück. »Das ist sowas wie eine Creepypasta. Oder hast du die Kreatur schon mal gerufen?« Sie verstummte, als hätte sie ein Geheimnis ausgeplaudert.
Haruto warf ihr einen abfälligen Blick zu. »Natürlich nicht. Bis jetzt hat noch keine Frage so sehr auf meiner Seele gebrannt, dass ich die Antwort darauf unbedingt wissen musste.«
Mitten in seinen Ausführungen stand er auf und ging in die Küche. Harper war infiziert mit der Idee. Sie wollte Genaueres erfahren und bohrte bei Momoko nach. »Kreatur? Und die kennt alle Antworten?«
»Nein, kennt sie nicht. Und so eine Kreatur gibt es gar nicht!«, erwiderte sie schroff. »Ich schlage vor, dass du diese Sache ganz schnell wieder vergisst. Er ist betrunken und labert dummes Zeug.«
Davon war Harper nicht überzeugt. Wenn an dieser Sache, wie Momoko sie genannt hatte, nichts dran war, warum machte sie dann dicht? Harper musste unbedingt mehr erfahren. Sie hatte Harutos Geschichte mit einer Legende verglichen. Das genügte, um sich der Sache anzunehmen, denn Harper glaubte, dass in jeder Legende ein Funke Wahrheit steckte.
»Ich geh ins Bad«, sagte Momoko, stand auf und hielt inne. Dann drehte sie sich Harper zu und sagte leise, aber eindringlich: »Wenn der Idiot zurückkommt, glaube ihm kein Wort. Es ist ein Märchen, das man ungehorsamen Kindern erzählt, damit sie immer die Wahrheit sagen.«
Zwar nickte Harper, aber wissen wollte sie trotzdem mehr. Kaum war Momoko außer Sicht, kam auch schon ihr Bruder mit einer Whiskeyflasche an und setzte sich an den Tisch. Er trank daraus und stellte die Flasche auf den Boden neben seinen Stuhl.