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Durch die Aufwertung des Sehverstehens als fünfte Fertigkeit steht das Hör-Seh-Verstehen mehr denn je im Fokus des fremdsprachlichen Kompetenzerwerbs. Jüngste Lehrwerke zeugen von dieser Tendenz, indem sie audiovisuelle Medien in Form von Lernvideos in die Lektionen integrieren. Die Evaluationsstudie diskutiert das Innovationspotential solcher Videos am Beispiel des fremdsprachlichen Anfangsunterrichts (Französisch/Spanisch) und greift dabei auf traditionelle fremdsprachendidaktische Ansätze, Erkenntnisse der Lehrwerks- und Medienanalyse sowie mehrperspektivische Zugänge der schulischen Praxis zurück.
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Elenea Schäfer
Lehrwerksintegrierte Lernvideos als innovatives Unterrichtsmedium im fremdsprachlichen Anfangsunterricht (Französisch/Spanisch)
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2017 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0014-4
“The most important purpose of evaluation
is not to prove but to improve.”
Stufflebeam 1985, 1511
Mein herzlicher Dank gilt in erster Linie meiner Doktormutter, Frau Prof. Dr. Heide Schrader, Insitut für Romanische Sprachen und Literaturen der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, die meinen Weg in die Didaktik geprägt und mich mit wertvollen Ratschlägen von der ersten Idee bis zur Fertigstellung dieser Arbeit begleitet hat.
Mein weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Daniel Reimann, Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Universität Duisburg-Essen, für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens und sein entgegengebrachtes Engagement.
Des Weiteren möchte ich den Kollegen des Methodenzentrums der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt für die statistische Beratung danken sowie allen Lernvideoautoren, Schülern, Lehrern und Studierenden, ohne deren Bereitschaft der empirische Teil dieser Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Ein besonderer Dank gebührt darüber hinaus Basti, meiner Familie, Catanja sowie meinen Freunden und Korrekturlesern, die alle auf ihre Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben.
Lernvideos sind aus fachdidaktischer Sicht von besonders hoher Bedeutung für die schulpraktische Realisierung des fremdsprachlichen Hör-Seh-Verstehens. Dessen Schulung hat sich in den letzten Jahren als wichtiger Teilbereich des Sprachlernprozesses herauskristallisiert, zumal sich das Wissen und die Kultur unserer Gesellschaft zunehmend auf die visuelle Präsenz sowie diesbezügliche Speicher- und Distributionsverfahren konzentriert. Im Zuge dieser Entwicklung gewinnen Bilder gerade im schulischen Bereich an Bedeutung für die Vermittlung von Wissen und sind fernab ihrer ursprünglich illustrativen Funktion nunmehr fester „Bestandteil von Erkenntnisprozessen“ (Ballstaedt 2004, 6). Vor diesem Hintergrund widmet sich die vorliegende Arbeit der Analyse lehrwerksintegrierter Lernvideos im Anfangsunterricht der Fremdsprachen Französisch und Spanisch, weil sie ohne Zweifel eine Bereicherung und Weiterentwicklung gegenüber bisherigen Ansätzen zur Hör-Seh-Verstehensschulung darstellen und unlängst Einzug in den Schulalltag gehalten haben.
Bislang galt die fachdidaktische Aufmerksamkeit, abgesehen von statischen Bildern, insbesondere audiovisuellen Medien im Sinne von Spielfilmen, Videoclips und Kurzfilmen. Entsprechend hoch erweist sich die Anzahl an fremdsprachendidaktischen Artikeln und Themenheften, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu diesem Themenbereich publiziert wurden. Seit Inkrafttreten der Bildungsstandards und der Verkürzung der Schulzeit von G9 auf G8 hat sich der Bedarf an Unterrichtsmedien und -materialien erhöht, die sowohl der zeitlichen Ökonomie des Fremdsprachenunterrichts als auch der Outputorientierung der Lehrpläne genügen müssen.
Einhergehend mit den bildungspolitischen Reformen und der damit verbundenen Aufwertung des fremdsprachlichen Hör-Seh-Verstehens1 scheint es, als haben deutsche Schulbuchverlage das Medium Film neu für sich entdeckt: Jüngste Lehrwerksreihen der hier primär fokussierten Fremdsprachen Französisch und Spanisch2 zeugen von dieser Tendenz, indem sie audiovisuelle Medien in Form von Lernvideos in die Lektionen integrieren und zu einem festen Bestandteil des Medienverbundes etablieren. Sie werden im Folgenden als lehrwerksintegrierte Lernvideos bezeichnet.
Bei der Kategorie lehrwerksintegrierter Lernvideos handelt es sich um einen Teilbereich zeitgenössischer Lehrwerke, der bislang weder einer systematisch-theoretischen noch einer empirischen Analyse unterzogen wurde. Das Unterrichtsmedium stellt somit ein unmittelbares Forschungsdesiderat dar, zu dessen Erschließung diese Studie beitragen möchte.
Die vorliegende Arbeit widmet sich daher zunächst der Genese und Kategorisierung fremdsprachlicher Lernvideos des deutschen Schulbuchsektors und der Frage nach deren Innovationspotential gegenüber herkömmlichen Videoformaten. Daran anknüpfend und vor dem Hintergrund einer systematischen Förderung des fremdsprachlichen Hör-Seh-Verstehens ab dem ersten Lernjahr gilt es, Einblicke in konzeptionelle Qualitätsstandards lehrwerksintegrierter Lernvideos zu erhalten und diesbezügliche schulpraktische Erfahrungswerte von Schülern3, Lehrern4 und Lehramtsstudierenden4 zu beleuchten, sodass künftige Lehrwerksgenerationen von den gewonnenen Ergebnissen profitieren können.
Angesichts der Komplexität des Forschungsgegenstandes beschäftigt sich die vorliegende Arbeit sowohl mit der theoriegeleiteten als auch mit der empirisch gestützten Erforschung lehrwerksintegrierter Lernvideos (cf. Neuner 1999, 161sqq.; cf. Quetz 1999, 171). Die Untersuchung erfolgt mit dem übergeordneten Ziel der Evaluationsforschung und konzentriert sich auf den fremdsprachlichen Anfangsunterricht der Fächer Französisch und Spanisch. Im Vergleich zu anderen Forschungsansätzen nehmen Evaluationsstudien eine Sonderstellung ein, da sie diverse Forschungstypen beinhalten können. Sie eignen sich in besonderem Maße zur systematischen Analyse der Verwendbarkeit und Güte von Objekten und können problemlos auf Projekte, Programme und Materialien des schulischen Kontexts übertragen werden.
Die Auswahl dieser Forschungsstrategie erscheint als adäquat, da sich die Evaluationsforschung „nicht auf die Beschreibung und Analyse eines untersuchten Gegenstandes [beschränkt], sondern […] darüber hinaus auch dessen Bewertung mit dem Ziel, die schulische Praxis zu verbessern (ohne jedoch handelnd in sie einzugreifen)“, beinhaltet (Böhn-Kasper/Göbel/Gräsel 2011, 38). In diesem Sinne verfolgt die vorliegende Arbeit das Ziel einer „abschließenden“ Bewertung lehrwerksintegrierter Lernvideos und kann als summative Evaluationsstudie klassifiziert werden. Der Rückgriff auf mehrere empirische Methoden, darunter eine Expertenbefragung, eine Qualitätsanalyse und -bewertung sowie eine Fragebogenstudie, dient der gegenseitigen Überprüfung und Ergänzung der Forschungsergebnisse: Sie erlauben einen direkten Vergleich zwischen Theorie und Praxis und liefern Denkanstöße für die Optimierung lehrwerksintegrierter Lernvideos.
Die Arbeit gliedert sich (abgesehen von dem Literaturverzeichnis) in zehn Kapitel, die sich vier großen Themenblöcken zuordnen lassen. Diese umfassen zum einen theoretische Grundlagen zum Hör-Seh-Verstehen und zum Einsatz von Lernvideos (Kapitel 2–5) sowie eine hermeneutische Lehrwerkanalyse (Kapitel 6–8). Zum anderen werden empirische Erhebungen zur Perspektive von Schülern, Lehrern und Studierenden im Umgang mit lehrwerksintegrierten Lernvideos des Fremdsprachenunterrichts Französisch und Spanisch vorgestellt (Kapitel 9), sodass die daraus abzuleitenden Ergebnisse und Perspektiven diskutiert und als Anregung für nachfolgende Generationen von Lernvideos herangezogen werden können (Kapitel 10).
Um sich dem Forschungsgegenstand auf theoretischer Ebene anzunähern, soll in Kapitel 2 des ersten Themenblocks zunächst die historische Entstehung fremdsprachlicher Lernvideos im deutschen Schulbuchsektor nachgezeichnet werden, wobei vom fremdsprachendidaktischen Einsatz statischer Bilder ausgegangen wird. Dieser reicht zurück bis in das Jahr 1658, als Comenius das erste speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelte Bilderkompendium Orbis Sensualium Pictus veröffentlichte (cf. Reinfried 1992, 33). Comenius’ Erfolg fand viele Nachahmer, sodass sich der Einsatz von Bildern im Unterricht schrittweise fortentwickelte. Diese Entwicklung kann in verschiedene Phasen unterteilt werden, die den Bildeinsatz im Fremdsprachenunterricht maßgeblich prägten. Letztere sollen unter Berücksichtigung des technischen Fortschritts vom statischen Bild zur Videokassette, DVD und Online-Ressource näher betrachtet werden.
Die Rezeption und Verarbeitung audiovisueller Daten unterliegt einer Vielzahl komplexer mentaler Prozesse. Folglich bedarf der schulische Einsatz von Lernvideos einer entsprechenden Didaktisierung anhand kognitiver und lernpsychologischer Erkenntnisse. Die daraus abzuleitenden Konsequenzen bilden die Grundlage für die fremdsprachliche Schulung des Hör-Seh-Verstehens und sollen in Kapitel 3 erläutert werden.
Daran anknüpfend behandelt Kapitel 4 die curriculare Stellung eines integrierten Hör-Seh-Verstehens. In diesem Kontext werden die Rahmenrichtlinien des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR), die nationalen Bildungsstandards sowie die Kerncurricula und Lehrpläne des Landes Hessen vorgestellt und im Hinblick auf die Kompetenz des Hör-Seh-Verstehens als Teilfertigkeit des Sprachlernprozesses diskutiert, sodass diesbezügliche Forderungen und Implikationen für die Gestaltung von Lehrwerken deutlich werden.
Kapitel 5 widmet sich daraufhin dem fremdsprachlichen Kompetenzerwerb durch Lernvideos und unterstreicht deren Potential hinsichtlich der Schulung von Diskursfähigkeit, Medienkompetenz und Differenzierungsmöglichkeiten. Im Sinne eines integrierten Hör-Seh-Verstehens und entsprechend den Spezifika von Lernvideos werden methodisch-didaktische Möglichkeiten zur Förderung und Bündelung verschiedener Kompetenzbereiche erläutert. Diese umfassen funktional-kommunikative Kompetenzen, transkulturelle Kompetenzen, Sprachlernkompetenzen, Sprachbewusstheit und Medienkompetenz sowie Ansätze zu Gunsten eines differenzierten Kompetenzerwerbs.
Vor diesem theoretischen Hintergrund ermöglicht Kapitel 6 als Teil des zweiten Themenblocks eine Übersicht über das Angebot aktueller Lernvideos außer- und innerhalb des deutschen Schulbuchsektors, wobei sich die weiteren Ausführungen dieser Arbeit hauptsächlich auf die Lernvideos der großen deutschen Schulbuchverlage beziehen. Um die Kategorie lehrwerksintegrierter Lernvideos als Zeichen einer neuen Lehrwerksgeneration hervorzuheben und von herkömmlichen Videoformaten abzugrenzen, erfolgt eine differenzierende Kategorisierung in lehrwerksunabhängige, lehrwerksbegleitende und lehrwerksintegrierte Lernvideos. Neben den medienimmanenten Potentialen und Herausforderungen wird insbesondere auf die Merkmale und Charakteristika lehrwerksintegrierter Lernvideos eingegangen. Diese betreffen konzeptionelle Besonderheiten in Bezug auf die darin enthaltenen Filmkategorien (didaktisch/authentisch), sowie auf ihre Länge, Inhalte, Einsatzmöglichkeiten, Begleitmaterialien, Verfügbarkeit und technische Voraussetzungen. Um die Komplexität des Forschungsgegenstandes möglichst vielfältig zu erfassen, wird die empirische Annäherung mit einer Expertenbefragung eingeleitet, in der einige Autoren führender deutscher Schulbuchverlage Einblicke in die Konzeption, Produktion und Qualitätsansprüche lehrwerksintegrierter Lernvideos ermöglichen.
In diesem Zusammenhang beleuchtet Kapitel 7 die besonderen Anforderungen, Potentiale und Lernvoraussetzungen des fremdsprachlichen Anfangsunterrichts. Diese bilden die Grundlage für die Erarbeitung und Beschreibung von zehn Qualitätskriterien, denen lehrwerksintegrierte Lernvideos im Anfangsunterricht idealerweise genügen sollten. Unter Berücksichtigung ihrer qualitativen Güte folgt eine Fokussierung auf Analysemethoden zur empirischen Überprüfung von sechs der zehn Qualitätskriterien. Sie bilden den Maßstab für die Analyse der lehrwerksintegrierten Lernvideos.
Damit die vorgestellten Analysemethoden nicht der Theorie verhaftet bleiben, werden in Kapitel 8 jeweils zwei Lehrwerksreihen des Französischen (À plus! Nouvelle Edition, Découvertes série jaune) und des Spanischen (Encuentros 3000, ¡Adelante!) in Bezug auf die Qualität ihrer Lernvideos überprüft und bewertet. Die empirische Analyse und Bewertung erfolgt kategoriengeleitet anhand von Kategorie I: Angebot an Lernvideos und Spielzeit, Kategorie II: Themen, Schauplätze und Figuren sowie Kategorie III: Zusatzmaterialien und Benutzerfreundlichkeit und beschränkt sich aufgrund des eingangs geschilderten Forschungsinteresses auf die ersten beiden Lernjahre. Dieses Vorgehen ermöglicht sowohl eine Gegenüberstellung auf der Ebene der Einzelsprachen als auch sprachübergreifend in Bezug auf die jeweiligen Schulbuchverlage.
Zusätzlich dazu berücksichtigt Kapitel 9 im Rahmen des dritten Themenblocks die Perspektive von 337 Schülern, 26 Lehrern und 72 Lehramtsstudierenden der Fächer Französisch und Spanisch. Diese schildern, inwiefern die lehrwerksintegrierten Lernvideos in der Schulpraxis zum Einsatz kommen, welche Lernchancen sie bieten und unterziehen sie einer abschließenden Bewertung. Die im Zuge der Fragebogenstudie generierten Mehrfachdaten werden der Komplexität des Forschungsgegenstandes gerecht, weil sie über theoriefundierte konzeptionelle Bedingungen lehrwerksintegrierter Lernvideos hinausgehen und einen Einblick in schulpraktische Erfahrungswerte gewähren. Die erhobenen Daten werden anhand einer Perspektiventriangulation zusammengeführt und theoretisch eingebettet, sodass im vierten Themenblock unter Berücksichtigung der vorangegangenen Erkenntnisse dieser Arbeit Empfehlungen für künftige Konzeptionen lehrwerksintegrierter Lernvideos abgeleitet und diskutiert werden können.
Wie anhand von Abbildung 1 ersichtlich wird, handelt es sich bei der Erschließung des Themenkomplexes um einen hybrid angelegten Forschungsansatz, der dazu beitragen soll, möglichst umfassende Rückschlüsse auf die Konzeption aktueller lehrwerksintegrierter Lernvideos zu ziehen. Langfristiges Ziel ist die Verbesserung künftiger Produktionen im Hinblick auf die systematische Förderung des fremdsprachlichen Hör-Seh-Verstehens ab dem ersten Lernjahr.
Abb. 1: Forschungsansatz zur Erschließung des Themenkomplexes lehrwerksintegrierter Lernvideos im fremdsprachlichen Französisch- und Spanischunterricht
Der Einsatz von Bildmaterial im Fremdsprachenunterricht hat eine lange Tradition, die bis in das 17. Jahrhundert reicht. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die zur Verfügung stehenden Medien nicht nur vervielfältigt, sondern auch gewandelt. Aus diesem Grund verbindet jede Generation von Schülern ein bestimmtes Spektrum an Medien und Materialien mit dem fremdsprachlichen Unterricht. Hierzu zählen zum einen statische Bilder wie etwa Wandbilder, klassische Tafelbilder, Landkarten, Lehrbuchabbildungen, flash cards, Dias und Folien. Zum anderen handelt es sich um audiovisuelle Datenträger mit bewegten Bildern wie Fernsehen, Video, DVD und online verfügbare Videopods/-blogs.
Vor diesem Hintergrund hat das vorliegende Kapitel zum Ziel, einen kurzen Abriss über den fremdsprachengeschichtlichen Einsatz visueller Medien zu geben, sodass der Übergang von statischen zu audiovisuellen Bildern deutlich wird. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung erster lehrwerksbegleitender Videokassetten zu Gunsten online verfügbarer Lernvideos, die in den Aufbau des Lehrwerks integriert sind.
Bereits Johann Amos Comenius (1592–1670) war sich der verständniserleichternden Wirkung von Bildern bewusst, als er 1658 das erste speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelte Bilderkompendium Orbis Sensualium Pictus veröffentlichte. Es beinhaltete 150 Holzschnitte, deren Bildteile mittels einer Nummerierung tabellenartig auf die fremdsprachlichen Ausdrücke verwiesen. Zwar waren die Bilder klein und mitunter undeutlich, dennoch vermochten sie den fremdsprachlichen Unterricht im Sinne Comenius’ anschaulicher zu gestalten und Sprechübungen zu fördern (cf. Reinfried 1992, 33sq.).
Diese Idee der visuellen Unterstützung fremdsprachlicher Begriffe geht vermutlich zurück ins 15. Jahrhundert und wurde zunächst in Form von Federzeichnungen zur Gestaltung lateinisch-englischer Wörterverzeichnisse genutzt. Die bekanntesten Befürworter waren die Humanisten Desiderius Erasmus und John Palsgrave. Hintergrund des Bildeinsatzes war der, dass sich Sprachlehrmeister jener Zeit bemühen mussten, den in der Regel privat stattfindenden Sprachunterricht mit Hilfe von Bildern interessanter und motivierender zu gestalten (cf. ibid. 25sq.).
Für Comenius lag die Funktion der Bilder ausschließlich in ihrer Anschaulichkeit, wodurch der Bezug zwischen Wort und Bild hergestellt werden sollte. Dieses Konzept divergiert gegenüber anderen didaktischen Strömungen dahingehend, dass sich beispielsweise Vertreter der direkten Sprachlehrmethode für eine Verwendung von Bildern als „bloße Hilfsmittel zur Bedeutungserklärung fremdsprachlicher Ausdrücke oder auch Sprechimpulse“ aussprachen (ibid. 43). Trotz didaktischer Kontroverse hatte Comenius’ Bilderkompendium großen Erfolg und fand im 18. Jahrhundert eine Vielzahl an Nachahmern, wie etwa den Orbes Picti von Seidel und Geissler, den Neuen Orbis Pictus von Eberhard oder das Elementarbuch nach Lederer (cf. ibid. 53).
Im Zuge der Versinnlichungsmethode setzten sich die Dessauer Philanthropen unter der Führung von Johann Bernhard Basedow (1724–1790) seit der Gründung der Dessauer Privatschule1 im Jahre 1774 für die fremdsprachenunterrichtliche Nutzung von Realien ein. Folglich kennzeichnete sich das von Basedow entwickelte Lehrbuch Elementarwerk durch eine Vielzahl an Kupferstichen. Diese waren nicht nur als Semantisierungshilfe gedacht, sondern sollten gleichermaßen das Einsprachigkeitsprinzip des Fremdsprachenunterrichts fördern (cf. Schrader 2007, 10).
Zusätzlich dazu wurden seit dem Jahr 1830 in Deutschland nachweislich Wandbilder im schulischen Fremdsprachenunterricht eingesetzt (cf. Hecke/ Suhrkamp 2010, 20). Ihre Blütezeit lag zwischen dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: Sie gehörten zur Grundausstattung an öffentlichen Schulen und konnten dank des technischen Fortschritts bald mühelos vervielfältigt werden. Schätzungen zufolge lag die Gesamtzahl an Schulwandbildern allein im deutschsprachigen Raum bei über 20.000 Exemplaren (cf. Müller 1988, 21sqq.). Die Wandbilder stellten für gewöhnlich alltägliche Lebenssituationen dar und dienten als Semantisierungshilfe bei der Einführung neuer Wörter. Ziel war es, neben dem muttersprachlichen Unterricht insbesondere fremdsprachliche Sprechübungen zu unterstützen (cf. Reinfried 1992, 103sqq.). Diese Tendenz ästhetischer Aufbereitung des Lernmaterials fand bis weit über die 1860er Jahre der Reformpädagogik hinaus Zuspruch. Erst gegen 1940 nahm das didaktische Interesse an Bildmaterialien deutlich ab. Diese Entwicklung war durch das aufstrebende Konzept der audiolingualen Methode bedingt, das unter dem Einfluss des Behaviorismus’ und Strukturalismus’ insbesondere auf die orale und auditive Imitation und Einübung von Sprechmustern abzielte (cf. Hecke/Surkamp 2010, 20sq.). Hierbei kamen u.a. auch Bilder in Form von Strukturzeichnungen zum Einsatz, wobei damit verbundende Praktiken bislang nicht untersucht wurden. Obgleich bildgestütztes Lernen zur damaligen Zeit „weniger stark im Mittelpunkt“ stand, darf man „den Strukturbildern […] eine organisierende und konkretisierende Funktion attestieren, die sich in einer grammatisierenden Funktion zusammenfassen lässt“ (Hecke 2016, 38). Schulbuchverlage folgten dem Trend der audiolingualen Methode, indem sie wie etwa der Klett-Verlag in Ergänzung zu dem Französischlehrwerk Etudes Françaises1962 die erste für den Fremdsprachenunterricht konzipierte Schallplatte mit dem Titel Das tönende Klettbuch publizierten (cf. Klett 1981, 162).
Erst im Zuge der audiovisuell global-strukturellen Methode fand eine Wiederaufwertung visueller Realien statt, die Bilder fortan zu einem festen Bestandteil des Unterrichts machte. Als Weiterentwicklung der audiolingualen Methode stand vor allem „die Synchronisierung und absolute Gleichsetzung von Bild und Ton“ im Mittelpunkt des Sprachlernprozesses (Pelz 1976, 43). Fremdsprachliche (Re-)Produktion im Unterricht basierte daher in der Regel auf der Projektion von Dias und dem Abspielen von Tonbandaufnahmen, wobei die besagten Materialien inhaltlich oftmals stark vereinfacht waren (cf. Schrader 2007, 11). Im Gegensatz zu audiolingualen Verfahren, die „das Bild nur als Hintergrund, sozusagen als atmosphärischer Nährboden sprachlicher Vorgänge angesehen wissen wollen, haben audiovisuelle Unterrichtsmethoden den Ehrgeiz, eine durchgehende Verbildlichung als bindende Begleitung sprachlicher Aussagen erstellen zu wollen“ (Von Faber 1975, 8). Im Bestreben, den einseitig formalen Aspekt der audio-lingualen Methode aufzubrechen und an Inhalte zu binden (cf. ibid. 9), lag die Funktion von Bildern hauptsächlich in der Veranschaulichung und logischen Verknüpfung sprachlicher und situativer Prozesse (cf. Montani 1975, 40):
Visuelle Impulse werden als eindeutig verbalisierbar erachtet und dementsprechend bestimmte Zeichnungen mit […] [fremdsprachlichen] Sätzen korreliert. Das Bild gilt […] als Impuls, der bei den Betrachtern sprachliche Reaktionen auslösen soll (Fäcke 2011, 40sq.).
In diesem Sinne vermochten es neben herkömmlichen Bildern ebenso Filme und Dias, den kontextgebundenen Sprachlernprozess durch ihren sinnstiftenden Charakter zu unterstützen. Zu den bekanntesten audiovisuellen Schulbüchern zählt u.a. der um 1970 vom Didier-Verlag veröffentlichte Französischkurs Voix et Images de France (cf. Tagliante 2006, 51).
Was die bis dahin genutzten Schulwandbilder, Dias und Schreibtafeln betrifft, so wurden diese gegen Ende der 1960er Jahre allmählich durch die Verbreitung des Overheadprojektors verdrängt (cf. Reinfried 2007, 417). Abgesehen von Projektoren, Tafelbildern und Lehrwerksabbildungen hielt in Übereinstimmung mit der kommunikativen Wende von 1970 schließlich auch der Videorekorder Einzug in das fremdsprachliche Klassenzimmer (cf. Leupold 2007a, 188sq; cf. Hallenberger 1996, 9). Neben einer vereinfachten Handhabung von Bildmaterialien versprach man sich deren inhaltliche Nutzung zu Sprech- und Schreibanlässen gemäß den Prinzipien eines kommunikativen Sprachunterrichts. Im Zuge der kommunikativen Wende wurde das Lernen mit Bildern schließlich zur Selbstverständlichkeit. Der neue Stellenwert visueller Medien machte sich in den 1980er Jahren insofern bemerkbar, als eine nie dagewesene Vielfalt an Bildmaterialien das Lehrbuch eroberte. „In den ersten drei bis sechs Lernjahren, während der sogenannten Lehrwerkphase, entfallen seit den 1980ern zwischen einem Drittel und der Hälfte der Fläche in den Lehrbüchern auf farbige Abbildungen“ (Hallet 2008, 198). Grund dafür ist zum einen, dass Bilder Themen, Rollen und Intentionen vorgeben. Gleichzeitig ebnen sie aber auch das Textverständnis, indem sie Übungen steuern und strukturelle Zusammenhänge erklären. Bilder werden dem Unterrichtsziel einer funktional-situativen Kommunikation insofern gerecht, als durch ihren Einsatz Sprache als Mittel zur Verständigung im Alltag und als Teil des sozialen Handels vermittelt werden kann (cf. Schrader 2007, 17sq.). Mit dem Ziel der Motivationsförderung erstreckte sich das Angebot von Fotoromanen, großformatigen Illustrationen und Comics bis hin zu alltagsnahen visuellen Reizen in Form von Schildern, Plakaten und Graffiti. Der Einsatz authentischer Bilder stieß schon damals auf große Resonanz im Französischunterricht (cf. ibid. 11).
Auf das kommunikative Konzept fremdsprachlichen Unterrichtens folgte der interkulturelle Ansatz. Im Hinblick auf eine Sensibilisierung und Vermittlung kultureller Inhalte wurden „Bilder vor allem zur Initiierung von Sprachlernprozessen und zur Verschaffung von Einsichten in andere Kulturen“ genutzt (Hecke/Surkamp 2010, 21). Seither sind visuelle Medien als Träger und Mittler landeskundlicher Informationen aus dem fremdsprachlichen Unterricht nicht mehr wegzudenken. Ähnlich wie beim kommunikativen Ansatz lag der Akzent jedoch weiterhin auf Bildinhalten und nicht etwa auf deren Formen und Eigenschaften. Die bis heute präsente Bildervielfalt erklärt sich durch die Ansicht vieler Fremdsprachendidaktiker der 1980er Jahre, wonach jedes Medium nur eine begrenzte Anzahl an Funktionen erfüllen könne (cf. Reinfried 1992, 27).
In Abhängigkeit von Bildeigenschaften und -inhalt, den jeweiligen Lernzielen, der angewandten Methodik und Lernerausgangslage lassen sich visuellen Medien im Hinblick auf den fremdsprachlichen Lernprozess prinzipiell folgende Grundfunktionen zuschreiben (cf. Reinfried 2007, 418sq.):
Semantisierungshilfe
Stimulus zur Kommunikation
Gedächtnisstütze
Vermittlung landeskundlich-interkultureller Inhalte
Grammatikhilfe.
An dieser Stelle sei jedoch angemerkt, dass visuelle Materialien natürlich auch ihrer Anschaulichkeit und Motivationsförderung wegen eingesetzt wurden und werden. Im modernen Fremdsprachenunterricht des 21. Jahrhunderts sind sie darüber hinaus ein wesentlicher Ausgangspunkt für Analysen, Transfer- und Kreativaufgaben.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Videorekorder erstmals gegen 1970 im Fremdsprachenunterricht Anwendung fanden.
Videos sind analoge oder digitale Aufnahmen […] und stellen eine Form von audio-visuellen Medien dar. Es sind Bewegtbilder mit oder ohne Ton bzw. Text, wobei Texte gesprochen oder geschrieben (z.B. als Untertitel, Beschriftungen) eingesetzt werden können (Porsch/Grotjahn/Tesch 2010, 147).
In Abgrenzung zu herkömmlichen Videos unterscheiden sich Videoproduktionen für den Fremdsprachenunterricht dadurch, dass sie Film(e)/-sequenzen beinhalten, die für Lerner konzipiert wurden bzw. sich an diese richten und in ihrem Lernprozess begleiten. Sie werden im Folgenden als Lernvideos bezeichnet. Fremdsprachliche Lernvideos zielen darauf ab, die Kenntnisse und Kompetenzen des Rezipienten zu initiieren und zu wiederholen oder aber zu intensivieren und auszubauen (cf. Abb. 2).
Abb. 2: Terminologische Differenzierung zwischen herkömmlichen Videoformaten und Lernvideos
Was die ersten für den Fremdsprachenunterricht konzipierten Lernvideos betrifft, so zeigt das Beispiel des Klett-Verlags, dass bereits 1981 erste Lernvideos für das Fach Englisch erschienen sind. Dabei handelte es sich um die fünf Titel: (1) Crossing the Channel, (2) Breakfast at the Clarkes, (3) Looking for a Place to Stay, (4) Shopping in the High Street sowie (5) Camping and Cooking.
Im Jahr 1986 folgten unter dem Titel Visite en France in zwei Teilen die ersten Videokassetten für das Fach Französisch. Kurze Zeit später, in den Jahren 1988 und 1989, erschienen auch für das Spanische die ersten Videokassetten im Rahmen eines zweiteiligen Selbstlernkurses mit dem Titel Spanisch zu Hause, bestehend aus Video, Hörkassette und Begleitheft. Während der Klett-Verlag mit diesen Publikationen eine Vorreiterrolle einnahm, brachte der Cornelsen-Verlag seinerseits die erste Videokassette Vidéo France: Panoramiques (1995) erst zehn Jahre danach auf den Markt.
Ähnliches gilt für den Fremdsprachenunterricht Englisch. Im Jahre 1991 – und damit vergleichsweise spät – stellte der Cornelsen-Verlag unter dem Titel Youth Wave FM die erste Videokassette für die Sekundarstufe I/II zur Verfügung. Auch im Fach Spanisch wurden Videosequenzen mit Ausnahme der Literaturverfilmung Don Quijote de la Mancha (2004) nicht vor dem Aufkommen der DVD als Speichermedium angeboten. Die erste DVD wurde erst im Jahr 2006 unter dem Titel Punto de Vista DVD im Rahmen des gleichnamigen Lehrwerkkompendiums veröffentlicht.
Noch bevor Schulbuchverlage die Nachfrage nach filmgestütztem Unterricht zu stillen vermochten, war es seit den 1970er Jahren üblich, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Dritten Fernsehprogramme pädagogisch aufbereitete Sendungen anboten, die unter der Bezeichnung Schulfernsehen für unterrichtliche Zwecke genutzt werden konnten. Die Anfänge machte der Bayerische Rundfunk (BR) im Jahr 1964, dicht gefolgt vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) im Jahr 1969. Bis 1972 zogen alle weiteren Sender mit der Ausstrahlung von Schulfernsehen nach. Das fächerübergreifende Angebot beinhaltete zunächst Einzelsendungen und später auch bestimmte Themenreihen (cf. Schludermann 1981, 51). Zu diesem Zeitpunkt war der Film als Unterrichtstechnologie jedoch nur selten methodisch-didaktisch fundiert: „Audiovisuelle Medien [hatten] lediglich [eine] additive Enrichmentfunktion zu erfüllen, eine organische Integration in den Unterricht war nicht gegeben“ (ibid.15).
Im Vergleich zu später folgenden Konzepten von Schulfernsehen als Kontext- oder Direct-teaching-Programm kam dem Unterrichtenden ein dementsprechend großer didaktischer Freiraum zu, denn Sendungen des Schulfernsehens galten im Rahmen der Enrichment-Konzeption als unverbindliche Angebote, die der Lehrer nach eigenem Ermessen und ohne Vorgaben in seinen Unterricht integrieren konnte (cf. Protzner/Protzner 1977, 140sq.). Dennoch nahmen gerade aufgrund der großen Entscheidungsfreiheit hinsichtlich methodisch-didaktischer Vorgehensweisen und deren Unverbindlichkeitscharakter viele Lehrer zunächst eine eher skeptische Haltung gegenüber Fernsehsendungen ein und zweifelten an ihrer Effizienz (cf. Schludermann 1981, 91sq.).
Eine systematische Methodik entwickelte sich erst in den 1980er Jahren. Während der kommunikativen Wende „galten Filme als Träger von Informationen, die durch die zusätzlichen Fragen des Lehrers erschlossen wurden. Aufgabe des Lerners war es [ausschließlich], auf das Gesehene zu reagieren und die Inhalte zu reproduzieren“ (Sass 2007, 9).
Was Sendungen für die Fremdsprache Französisch angeht, so gab es neben den seit 1967 im BR ausgestrahlten Lehrsendungen des Telekollegs (e.g. Bon courage (1–3) (seit 1991), C’est ça, la vie (seit 1996))1 weitere (Sprach-)Sendungen für erwachsene Zuschauer. Hierzu zählt etwa die 39-teilige Serie Les gammas, die die Ankunft dreier humanoider Außerirdischer auf der Erde thematisierte und erstmals 1974 vom BR und weiteren Sendern ausgestrahlt wurde. Zum anderen produzierten der heutige SWR (Südwestrundfunk)2 und der WDR speziell für das Schulfernsehen die Reihen Autun en fête, (seit 1980), Un ordinateur pas ordinaire (seit 1984), La bande des quatre (seit 1985), Les Arnaud de Versailles (seit 1986) und Les trois de Lyon (seit 1988).
Rückblickend lässt sich sagen, dass bis in die 1970er Jahre videogestützter Fremdsprachenunterricht vor allem im Rahmen authentischer TV-Sendungen die Regel war, wohingegen in den 1990er Jahren eine Umorientierung zu Gunsten eigener, didaktisierter Videoproduktionen stattfand (cf. Bufe 1993, 4). Zeitgleich etablierte sich der „kommunikativ-situative, handlungsorientierte Ansatz, der aktive Lerner rückte in den Mittelpunkt des Lerngeschehens“ (Sass 2007, 9). Unter Berücksichtigung der Kognitionsforschung wurde Filmverstehen nunmehr als individueller Prozess der Informationsverarbeitung verstanden. Infolge dieser Erkenntnis findet die Filmarbeit bis heute mit Hilfe unterstützender Aufgaben vor, während und nach der Rezeption statt. Auf diese Weise sind die Lernenden „kognitiv gefordert und reproduzieren Inhalte, indem sie mündlich oder auch schriftlich das Verstandene oder ihre Interpretationen wiedergeben“ (ibid.). Ihnen kommt somit eine autonome und interaktive Lernerrolle zu.
Statt den interkulturellen und den handlungsorientierten Ansatz als zeitgeschichtliche Einzelphänomene zu beschreiben, werden diese und weitere seit der Jahrtausendwende auftauchende fremdsprachendidaktische Konzepte in der vorliegenden Arbeit unter dem Begriff des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts zusammengefasst. Der Begriff des neokommunikativen Fremdsprachenunterrichts geht zurück auf die Vorarbeiten von Königs (1991) und Reinfried (2001) und impliziert die Erweiterung des kommunikativen Ansatzes um Lerner- und Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit sowie Interkulturelles Lernen und Mehrsprachigkeitsdidaktik. In Anlehnung an Reimann (2014a, 90) kann daher von einer „Fortschreibung des kommunikativen Paradigmas unter geänderten Vorzeichen“ gesprochen werden. In Anbetracht aktueller Tendenzen ergänzt er die von Königs und Reinfried aufgestellten Leitlinien um die Schwerpunkte „Differenzierung, Inklusion, Transkulturalität, fächerübergreifendes Lernen, Aufgaben- und Standardorientierung, Multimedialität, Neubewertung der Kognitivierung sowie Metakognition“ (ibid.).
Im Zuge der neokommunikativen Phase sind weitere Videoproduktionen für den Fremdsprachenunterricht hervorzuheben. Hierzu zählt etwa die im Rahmen von Planet Schule ausgestrahlte Sitcom Extr@ aus dem Jahr 2004. Auf der Grundlage von 13 voneinander unabhängigen Einheiten alltäglicher Lebenssituationen erzählt Extr@ die Geschichte des Amerikaners Sam (bzw. des Argentiniers Hector), der in der Gemeinschaft dreier junger Erwachsener versucht, seine (kulturelle) Umgebung zu erfassen und sich selbst – trotz Sprachschwierigkeiten – verständlich zu machen. Die Sitcom ist für die Sprachen Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch erhältlich. Die von SWR und WDR bereitgestellten Produktionen des englischen Senders Channel 4 zielen mit Witz, Situationskomik und identitätsstiftenden Charakteren darauf ab, „die Sprache einfach und für alle Lern-Niveaus zugänglich zu machen. Sie decken den wichtigsten Wortschatz und die wichtigsten Strukturen der Zielsprache ab“ (SWR/WDR2011). Um den Einsatz der Serie zu erleichtern, stehen auf der zugehörigen Homepage Planet Schule kostenlose Unterrichtsmaterialien und Erfahrungsberichte zur Verfügung.
In diesem Kontext ist ebenso die deutsch-französische Sendereihe Karambolage zu erwähnen, die seit 2004 jeden Sonntag um 20 Uhr auf dem binationalen Kulturkanal Arte ausgestrahlt wird. Unterteilt in verschiedene Rubriken, thematisiert die Sendung im Rahmen eines zwölfminütigen Programms kulturelle Besonderheiten des deutschen und französischen Alltags. Die präsentierten Szenen können als DVD erworben werden und in vielerlei Hinsicht für den schulischen Erwerb interkultureller und fremdsprachlicher Kompetenzen herangezogen werden. Dabei bietet insbesondere die spielerisch-visuelle Darstellung Schülern die Möglichkeit, alltagsbezogene Themen durch entdeckendes Lernen zu erschließen (cf. Küster 2010, 43sqq.; cf. Satzinger 2016, 248sqq.).
Was die Sendegebiete betrifft, so ist im Gegensatz zu früher das TV-Programm ausländischer Fernsehanstalten nicht mehr nur denjenigen zugänglich, die unmittelbar in der Nähe des Zielsprachenlands leben. Stattdessen macht es die neue Medientechnik seit geraumer Zeit möglich, Fernsehsendungen nicht nur aus Frankreich und Spanien, sondern aus aller Welt (einschließlich Frankophonie und Hispanophonie) zu empfangen.
Zusätzlich zu den Videoangeboten des (Schul-)fernsehens gibt es mittlerweile eine Vielzahl technischer Innovationen, die den Unterricht unter dem Begriff der neuen Medien maßgeblich prägen. Folglich sind im Fremdsprachenunterricht des 21. Jahrhunderts Kassette und Video fast gänzlich durch CD und DVD ersetzt worden.
Denkt man an die alten VHS-Kassetten zurück, so hatten diese aufgrund des enthaltenen Magnetbands nicht nur einen hohen Verschleiß, sondern waren darüber hinaus sehr teuer in der Anschaffung (e.g. Itinéraires: langue et civilisation françaises par la vidéo, 1992, Hachette, 60 Min., DM198, cf. Langenscheidt 1993) und in ihrer Bildqualität begrenzt. Ganz zu schweigen von dem zeitaufwendigen Vor- und Zurückspulen und den Schwierigkeiten beim Filmerwerb.
Im Gegensatz dazu haben die neuen Speichermedien, abgesehen von geringen Anschaffungskosten, den Vorteil, dass sie neben einer hohen Speicherkapazität auch über einen besseren Klang verfügen und nicht zuletzt dank des Internets einfach und schnell zu erwerben sind. Zudem ermöglicht die direkte Titelauswahl eine einfache Handhabung für die schulische Praxis:
Szenen des Films können in Sekunden gefunden werden, da die DVD in Kapitel unterteilt ist und sogenannte Lesezeichen zulässt, mit denen man den Film in individuelle Szenen einteilen kann. DVDs stellen neben einer enormen Bildqualität auch die direkte Auswahl von Sequenzen, Standbildern, Vergrößerungen – manchmal auch Perspektivenwechsel – zur Verfügung […] und bieten Untertitel in verschiedenen Sprachen sowie zusätzliches Bildmaterial an (Grünewald/Küster 2009, 167).
Angesichts dieser Vorzüge ist es kaum verwunderlich, dass die DVD als Speichermedium aus dem modernen Fremdsprachenunterricht nicht mehr wegzudenken ist. Wie die vorausgehenden Ausführungen gezeigt haben, ist der technische Stand von heute auf eine langjährige mediengeschichtliche und fachdidaktische Entwicklung zurückzuführen, die den Einsatz statischer wie auch bewegter Bilder in Form fremdsprachlicher Lernvideos überhaupt ermöglicht haben.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse und unterrichtsrelevanter Publikationen kann Abbildung 3 entnommen werden. Die x-Achse dient als zeitliche Orientierung von den Anfängen Comenius’ bis hin zu den ersten fremdsprachlichen Lernvideos um die Jahrhundertwende. Die darüber liegenden Pfeile markieren dagegen die fremdsprachendidaktische Auf- und Abwertung (audio-)visueller Medien im Fremdsprachenunterricht. Sie stehen im Zeichen der sogenannten fünf großen Methoden der Fremdsprachendidaktik (Grammatik-Übersetzungsmethode, Reformbewegung/Direkte Methode, Audiovisuell global-strukturelle Methode, Kommunikativer Ansatz, Neokommunikativer Ansatz).
Was die Form des Speichermediums betrifft, so zeichnet sich parallel zum Einsatz der DVD aktuell ein weiterer Trend ab, der in den kommenden Jahren sicherlich an Relevanz gewinnen wird. Er ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.
FSU = Fremdsprachenunterricht
Abb. 3: Die mediengeschichtliche Entwicklung vom statischen Bild zu den ersten fremdsprachlichen Lehrfilmen
Seit der letzten Jahrhundertwende hat sich technisch einiges verändert. Während der Anfang der 1990er Jahre noch voll und ganz der Kommerzialisierung des World Wide Web verschrieben war, verkörpert das Web 2.0 gegenwärtig ganz im Gegensatz zu den Anfangsjahren ein neues Internetverständnis, das seine Nutzer sowohl zur aktiven Interaktion, Kommunikation als auch zum Daten- und Informationsaustausch befähigt, ohne dabei fachspezifische Computerkenntnisse abzuverlangen. Folglich gelten neben „Wikis [und] Weblogs […] [mittlerweile ebenso] Bild- und Videoportale“ als klassische Beispiele der netzbasierten Mitgestaltung (Grünewald 2011, 5). Unabhängig davon, wo man sich gerade befindet, erlauben jene Internetportale den direkten Zugriff und das Abspielen (audio-)visueller Inhalte.1 Diese Dienste werden jedoch nicht nur von Privatpersonen genutzt. Auch Schulbuchverlage machen sich die Möglichkeiten des Internets zu Nutze, indem sie das Speichermedium DVD zu Gunsten einer Speicherung im Web ersetzen oder parallel anbieten.
Zwar sind die Inhalte der Lernvideos innerhalb des Schulbuchsektors bisher nur vereinzelt und keineswegs flächendeckend online verfügbar, das Angebot außerhalb des Schulbuchsektors zeigt jedoch, dass das Web zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein äußerst verlockendes und vielversprechendes Medium zur Speicherung audiovisueller Inhalte darstellt (cf. Kap. 6.1.2; cf. Kap. 6.3.4.3). Dies gilt sowohl für fremdsprachliche Lernvideos als auch für sogenannte Erklärfilme (auch: Tutorials), die Schülern in Ergänzung zum Unterricht grammatikalische Themen anschaulich erklären. Letztgenannte werden seit dem Jahr 2015 auch von Schulbuchverlagen bereit gestellt (e.g. Erklärfilme zu Déc série jaune)2. Grund hierfür ist nicht allein die Tatsache, dass die Inhalte jederzeit und von überall durch nur einen Mausklick oder aber das Scannen eines QR-Barcodes aufgerufen werden können.3 Womöglich könnten sogar Produktions- und Anschaffungskosten reduziert werden. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Frage nach dem Speichermedium in den kommenden Jahren entwickeln wird.
Das Medium Film hat in der Vergangenheit nur zögerlich Einzug in das fremdsprachliche Klassenzimmer gehalten. Gründe für dieses eher marginale Dasein liegen nicht zuletzt in den damit verbundenen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die es zu überwinden und zu meistern gilt. Die anfängliche Zurückhaltung geht oft mit der Befürchtung einher, dass viele Personen mit der Bilderflut der Massenmedien kognitiv überfordert sind und in der Masse der Informationen ertrinken. Dabei ist nicht die Menge an Informationen das Problem, „sondern der effektive Umgang damit“ (Ballsteadt 2004, 12).
Bei der Rezeption audiovisueller Daten im Klassenzimmer wird der Lernende sowohl mit visuellen als auch mit verbalen Informationen konfrontiert. Unabhängig davon, wie gut das zu Grunde liegende audiovisuelle Medium ist, so ist sein Einsatz erst dann effektiv, wenn „[…] sich der Lehrer über sein Ziel, d.h. über kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele […]“ bewusst ist (Spreitzer 1977, 117). Folglich fordert die audiovisuelle Rezeptionsdidaktik nicht nur Kenntnisse über medienimmanente Zusammenhänge (cf. Schludermann 1981, 117), sondern ebenso über die Rezeption und Verarbeitung audiovisueller Daten. Das Wissen des Lehrers über diesbezügliche mentale Prozesse stellt daher eine wichtige Grundlage für die systematische Erarbeitung von Übungsformen dar, um Schüler in ihrem Hör-Seh-Verstehen zu schulen. In diesem Sinne zielt das vorliegende Kapitel darauf ab, einen Einblick in lernpsychologische Aspekte zu ermöglichen und auf dieser Basis adäquate Übungsstrategien hinsichtlich audiovisueller Datenverarbeitung vorzustellen.
Bei der Ausstrahlung audiovisueller Dokumente findet eine Informationsübertragung mittels verschiedener Sinneskanäle statt: dem visuellen und dem akustischen. Anders als bei realen Kommunikationssituationen können Sender und Empfänger audiovisueller Inhalte einander in ihren Aussagen und ihrem Sprechtempo nicht beeinflussen. Ein Eingriff in die präsentierten Inhalte ist nicht möglich, weswegen die Informationsaufnahme einseitig durch den Rezipienten stattfindet. Da es sich um eine sogenannte Einwegkommunikation handelt, besteht die Aufgabe und Leistung des Hör-Sehenden zum Zeitpunkt der audiovisuellen Rezeption darin,
informative Signale, die ihm über mehrere Sinneskanäle zugeführt werden, und die zudem ganz unterschiedlichen semiotischen Systemen angehören, auf[zu]nehmen und zu sinnvollen Bewusstseinsinhalten [zu] verschmelzen (Scherer 1984, 20).
Man spricht hierbei allgemein auch von multimodaler Sprachverarbeitung, da der mentale Apparat aus verschiedenen sensorischen Modulen besteht: dem visuellen, auditiven, gustatorischen, taktilen und olfaktorischen Modul (cf. Ballstaedt 1988, 7). Die erfolgreiche Verarbeitung der wahrgenommenen Stimuli ist abhängig von dem Zusammenspiel verschiedener psychologischer, physiologischer und physikalischer Faktoren, die in gegenseitiger Wechselwirkung zueinander stehen und zu einer einheitlichen Wahrnehmung beitragen. Die zu Grunde liegenden Verarbeitungsprozesse sind allerdings derart komplex, dass insbesondere die Frage nach dem Integrationsmechanismus „auditiver und visueller sprachlicher Information […] bisher noch nicht ausreichend geklärt“ ist (Schmid 2007, 24).
Um etwaige Verarbeitungsmechanismen besser zu verstehen und die verschiedenen Areale modalitätsspezifischer Verarbeitung zu lokalisieren, lohnt sich ein Blick in den Aufbau des menschlichen Gehirns: Demnach werden visuelle Reize im Okzipitallappen des Cortex (d.h. im hintersten Teil des Großhirns) verarbeitet, wohingegen empfangene auditive Signale in den Temporallappen (d.h. in den laterobasalen Teil des Großhirns) und taktile Informationen in den Parietallappen (auch: Schläfenlappen, d.h. in den mittleren/oberen Teil des Großhirns) geleitet werden.1
Visuelle Daten werden verarbeitet, indem das Auge optische Reize in Form von einfallenden Lichtstrahlen aufnimmt. Diese werden bei Eintreten in das Auge mehrfach gebrochen und erzeugen bei einem emmetropen (normalsichtigen) Auge eine verkleinerte und umgekehrte Projektion des betrachteten Objekts auf der Netzhaut (Retina). Dort werden die optischen Informationen durch die Photosensoren (Stäbchen und Zapfen für Dämmerungs- bzw. Farbsehen) in Nervenimpulse umgewandelt und über den Sehnerven (Nervus opticus) zum Gehirn weitergeleitet (cf. Silbernagl/Despopoulos 2012, 366sq.)
Die Verarbeitung auditiver Daten erfolgt hingegen durch die Aufnahme von Schallwellen über die Ohrmuschel in den Gehörgang, wo diese über das Trommelfell und im Mittelohr über die drei Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel) an die im Innenohr gelegene Cochlea (Ohrschnecke) weitergeleitet werden. Dies führt zu einer Aktivierung der dortigen Hörsinneszellen und Entstehung von Nervenimpulsen, die über den Hörnerven (Nervus vestibulocochlearis) zum auditiven Cortex gelangen (cf. ibid. 387sqq.).
Die sensorischen Module treffen in einem übergeordneten zentralen amodalen System zusammen, das die wesentlichen verbalen und nonverbalen Informationen mit bereits vorhandenen Konzepten abgleicht und weiterverarbeitet bzw. neue Konzepte aktiviert und in Form nichtsprachlicher Schemata organisiert (cf. Ballstaedt 1988, 10). Dieses befindet sich vermutlich in dem Bereich zwischen dem visuellen, dem auditiven und dem taktilen Verarbeitungsmodul (cf. Abb. 4).
Abb. 4: Areale modalitätsspezifischer Verarbeitung im menschlichen Gehirn (Schünke/Schulte/Schumacher 2006, 378)
Neuroanatomischen Erkenntnissen zufolge geht man weiter davon aus, dass der Gyrus angularis „die Eingänge vom visuellen, akustischen und somatosensorischen Cortex [koordiniert] und […] die Wernicke-Region [beeinflusst]“ (Schünke/Schulte/Schumacher 2006, 381). Die Wernicke-Region ist für das Sprachverständnis zuständig und steht in direkter Verbindung zur Broca-Region, die für die Sprachproduktion verantwortlich ist. Beide Sprachzentren befinden sich normalerweise in der linken Hemisphäre des Gehirns und „sind durch den Fasciculus longitudinalis superior (=arcuatus) [sic] miteinander verbunden“ (ibid.) (cf. Abb. 5). Im Hinblick auf die Sprachverarbeitung geben aktuelle Studien zudem Hinweise darauf, dass sich die neuronale Aktivierung bei der Erst- (L1) und Zweitsprache (L2) teilweise voneinander unterscheidet. Dies gilt nach dem heutigen Kenntnisstand zwar nur für gewisse Teilfunktionen, könnte für die Schulung des fremdsprachlichen Hör-Seh-Verstehens aber dennoch von Bedeutung sein (cf. Mueller/Rüschemeyer/Friederici 2006, 182).
Abb. 5: Sprachregionen der normalerweise dominant linken Hemisphäre des menschlichen Gehirns (Schünke/Schulte/Schumacher 2006, 381)
Obgleich die neuronale Verarbeitung audiovisueller Stimuli – auch im Hinblick auf das fremdsprachliche Hör-Seh-Verstehen – weiterer Forschung bedarf, haben sich innerhalb der Fachdiskussion verschiedene Theorien der audiovisuellen Informationsverarbeitung herausgebildet, deren Modelle im Folgenden kurz skizziert werden. Eine ausführliche und detaillierte Gegenüberstellung kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Bei den Grundmodellen handelt es sich um ein dualistisches, ein monistisches sowie ein alternatives Modell der audiovisuellen Informationsverarbeitung. Allen Ansätzen ist gemein, dass sie von einem 3-Stufen-System ausgehen. Die erste Stufe beschreibt periphere Prozesse und Repräsentationen, bei der die Informationen modalitätsspezifisch aufgenommen und getrennt voneinander verarbeitet werden. Unterschiede bestehen zwischen den Modellen erst ab Stufe zwei, der Phase der repräsentationalen Informationsverarbeitung. Während Vertreter der dualistischen Theorie (e.g. Paivio) annehmen, dass eine Interaktion der Kanäle erst bei der referenziellen Informationsverarbeitung in Stufe drei stattfindet, gehen Vertreter des monistischen Modells von der Speicherung beider Sinnesmodalitäten in nur einem System aus (auch: amodales System).
Demgegenüber steht das sogenannte alternative Modell, bei dem (in Übereinstimmung mit der dualen Theorie nach Paivio) von einem „eigenständigen Repräsentationssystem für akustische und visuelle Prototypen“ (Gilmozzi 2002, 156) ausgegangen wird, bei dem Wort- und Bildstimuli im Zuge zentraler Prozesse (Stufe 2) zwar gemäß ihrer Modalität verarbeitet werden, jedoch durchaus miteinander in Verbindung treten können. Das Modell stellt somit einen Kompromiss zwischen der dualen und der monistischen Theorie dar (cf. Stachelscheid/Testrut 1997, 37). Es findet Unterstützung durch jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse (cf. Abb. 6).
(S)= Sprachliche Information, (B)= Bildliche Information
Abb. 6: Drei Grundmodelle audiovisueller Informationsverarbeitung modifiziert nach Stachelscheid/Testrut (1997, 37)
Unter Berücksichtigung der konzeptuellen Nähe zwischen eingegangenen und vorhandenen Informationen unterscheidet Ballstaedt ferner zwischen drei Arten audiovisueller Integration, deren Verarbeitung an das jeweils vorliegende Verhältnis zwischen Text und Bild anschließt und über die Komplexität der geforderten Denkleistungen bestimmt. Diese umfassen Integration durch (1) Redundanz, (2) Komplementarität und (3) Inferenz.
Während bei redundanten Text-Bild-Beziehungen eine Aktivierung über das gleiche Konzept erfolgt, setzt die Integration durch Komplementarität voraus, dass mittels Text und Bild zwar unterschiedliche Konzepte angeregt werden, diese jedoch zueinander in Verbindung stehen und sich zu einer Botschaft ergänzen. Bei der Integration durch Inferenz findet die Integration hingegen erst durch die Aktivierung unterschiedlicher Konzepte im amodalen System statt, aus denen dann Schlussfolgerungen gezogen werden können. Bei den genannten Integrationsarten ist zu berücksichtigen, dass sie mit jeweils unterschiedlichem Vorwissen und einem unterschiedlichen Maß an Verarbeitungsaufwand verbunden sind, zumal inferente Text-Bild-Beziehungen weitaus komplexer sind als bei vorliegender Redundanz oder Komplementarität (cf. Ballstaedt 1988, 10sqq.).
Prinzipiell bedeutet der Einsatz audiovisueller Medien eine erhöhte Informationsdichte und folglich eine komplexere Verarbeitung gegenüber der einkanaligen Informationsaufnahme. Um der Gefahr einer Überforderung entgegenzuwirken, greift das menschliche Gehirn auf verschiedene Strategien zur Selektion von Informationen zurück, dank derer wir trotz Informationsfülle handlungsfähig bleiben (cf. ibid. 21sq.). Diese werden nachstehend erläutert.
In Ergänzung zu den Überlegungen des vorangehenden Kapitels geht die kognitive Theorie des multimedialen Lernens nach Mayer (2001, 43) davon aus, dass die Rezeption und Verknüpfung audiovisueller Inhalte dreierlei Maximen unterliegen. Diese umfassen die Prinzipien der dualen Kodierung, die eines begrenzten Arbeitsspeichers und die der aktiven Informationsverarbeitung.
Mayers Theorie basiert auf der Annahme, dass sprachliche und bildliche Informationen gemäß ihrer Sinnesmodalität automatisch getrennt voneinander aufgenommen werden, wobei Wörter im Gegensatz zu Bildern sowohl über die Augen als auch über die Ohren wahrgenommen werden können. Folglich können die Sinneskanäle durchaus interagieren. Dies ist etwa der Fall bei in Bildern oder Filmen auftauchenden Schriftzügen, deren Repräsentation zunächst anhand des visuellen und schließlich anhand des auditiven Kanals erfolgt. Gleiches gilt für erfahrene Lerner bei der mentalen akustischen Artikulation visueller Reize und vice versa.
In diesem Zusammenhang spielt die begrenzte Kapazität des menschlichen Arbeitsspeichers eine wichtige Rolle. Mit Verweis auf die cognitive load theory schreiben Wissenschaftler wie Baddeley, Chandler und Sweller unserem Gehirn ein limitiertes Maximum an Informationsverarbeitung pro Sinneskanal zu. Infolgedessen werden die eingegangenen Informationen einer Selektion unterzogen. Bei der Selektion handelt es sich um einen aktiven Prozess, bei dem relevante Informationen herausgefiltert werden. Der Abgleich und die Organisation bereits vorhandener bzw. gespeicherter Informationen mit neuen Reizen mündet in der Integration bildlicher und sprachlicher Konzepte. Ziel ist die mentale Repräsentation und Konstruktion kohärenter Sinneinheiten unter Rückgriff auf Informationen aus dem Langzeitgedächtnis. Sie gelten als Voraussetzung für erfolgreiches Lernen (cf. Mayer 2001, 46sqq.).
Die beschriebenen Vorgänge können dem von Mayer (2001, 44) entwickelten Modell zur kognitiven Theorie multimedialen Lernens, ebenfalls bekannt als S-O-I Modell (Selection – Organization – Integration), nachempfunden werden (cf. Abb. 7). Sie wiederholen sich viele Male während der Rezeption audiovisueller Medien.
Abb. 7: Theorie multimedialen Lernens nach Mayer (2001, 44)
Dass es sich bei der Wahrnehmung um einen komplexen und produktiven Prozess handelt, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass höhere Verarbeitungsprozesse in Form von Korrekturmechanismen vermutlich versuchen, Merkmale und Eigenschaften, die bei der visuellen Informationsübertragung verloren gingen oder verändert wurden, nachträglich wiederherzustellen. Dies hängt zum einem mit der eigenen physischen Raumposition und Schwerkraftwirkung zusammen, zum anderen mit der Informationsübertragung auf das Netzhautbild (cf. Kebeck 1994, 164).
Fest steht, dass gerade bei der Wahrnehmung uneindeutiger Reizvorlagen (wie etwa einer unleserlichen Handschrift) der unmittelbar gegebene Kontext eine entscheidende Rolle für die Interpretation spielt. Aber auch sonst haben unser Vorwissen bzw. unsere gewohnte Kontexterwartung und -erfahrung einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Hintergrund ist der, dass wahrgenommene Bildinformationen Hypothesen stimulieren, die mit unseren bisherigen Erfahrungen abgeglichen werden, sodass aus den visuellen Reizen schließlich plausible Schlüsse gezogen werden können.
Dies führt sogar so weit, dass fehlende oder fehlerhafte Elemente des Bildinhalts vom Gedächtnis durch Kontextwissen ergänzt, vernachlässigt oder übergangen werden. Die visuelle Datenverarbeitung unterliegt demzufolge neben der Korrektur auch der Selektion und kognitiven Prozessen der Interpretation (cf. ibid. 196sqq.). Besonders deutlich werden die genannten Korrekturmechanismen bei optischen Täuschungen. Betrachtet man die folgende Abbildung, ist unklar, wie viele Beine der dargestellte Elefant hat, obwohl der Rückgriff auf unser Weltwissen eine klare Anzahl an Beinen vorsieht (cf. Abb. 8).
Abb. 8: Optische Täuschung: Wie viele Beine hat der Elefant? (Mißfeldt 2012, http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/, 20.3.2013)
Ein erfolgreiches Dekodieren und Interpretieren visueller Reize setzt gleichermaßen voraus, dass bei informationsreduzierten Bildern ausreichend charakteristische Merkmale erkennbar sind, anhand derer auf das Ganze geschlossen werden kann. Im Gegensatz dazu werden bei visueller Reizüberflutung in der Regel nur die Elemente gespeichert, die dem Betrachter interessant und neuartig erscheinen. Aufmerksamkeitserregend sind daher vor allem ungewöhnliche Montagen aus Bildern und/oder Texten, die ihrem herkömmlichen Kontext entrissen wurden, aber dennoch einen Bezug zur eigenen Lebenswelt aufweisen (cf. Sass 2007, 6).
Das Erstellen ungewöhnlicher und irrealer Bildkompositionen ist insbesondere durch Computerprogramme möglich. Oftmals wirkt das Endprodukt so authentisch, dass unklar ist, ob wir unseren Augen trauen können oder ob ihnen ein Streich gespielt wird. Dies gilt für Standbilder, aber auch für animierte Videoproduktionen (cf. Abb. 9).
Abb. 9: Wolkenreiter (N.N.)
Etwaige Techniken der Bildverarbeitung und -manipulation werden insbesondere in der Werbung angewandt, um die Blicke der Zuschauer zu gewinnen. Dabei handelt es sich um ständig wechselnde Reize, wie etwa häufige Schnitte, spezielle Kameratechniken und dynamische Darstellungen seitens der Akteure, die unseren Orientierungsreflex maßgeblich steuern. Im Vergleich zu Texten und Bildern „zeichnet sich […] nur das Filmverstehen durch ein Maximum an Verstehensökonomie und gleichzeitiger Reizabwechslung aus“ (Weidenmann 1988, 94). Die Verarbeitung gemäß dem Prinzip des geringsten Aufwandes ergibt sich aus dem hohen Grad an Stimulation, dem unsere Wahrnehmung ausgesetzt ist.
Für unser Gehirn stellen die genannten Korrektur- und Selektionsmechanismen kaum eine Herausforderung dar, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: „das [konzeptgesteuerte] Zusammenspiel von Bildfragmentierung und Bildergänzung gehört für uns zur Routine visueller Alltagskommunikationen“ (Schrader 1998, 32).
Ähnliches gilt für den bei Film und Video parallel zum Sehverstehen stattfindenden Hörprozess. So erfolgt die Bedeutungskonstruktion des Gehörten ebenso durch datengesteuerte top-down und konzeptgesteuerte bottom-up Prozesse. Ihr Zusammenspiel charakterisiert sich zum einen durch den Rückgriff auf Vorwissen und den situativ gegebenen Kontext, zum anderen durch die Analyse und Semantisierung linear abfolgender sprachlicher Signale (cf. Grünewald/Küster 2009, 170).
Hinsichtlich der Aufmerksamkeit des Betrachters wird im Wesentlichen zwischen willkürlicher und unwillkürlicher Aufmerksamkeit unterschieden. Willkürliche Aufmerksamkeit meint das interessengesteuerte intentionale Hinwenden zu Sachverhalten, Themen und Gestaltung, die die Neugierde des Einzelnen wecken. Stoßen wir dagegen auf unerwartete Reize unserer Umwelt, deren Gestaltung durch grelle Farben oder ungewöhnliche Elemente unsere Beachtung findet, ohne dass der Inhalt von persönlichem Belang ist, spricht man von unwillkürlicher Aufmerksamkeit (cf. Sass 2007, 6).
Natürlich kann nicht alles, was wir wahrnehmen, auch aufgenommen, verarbeitet und gespeichert werden. Dementsprechend unterscheidet man in der Fremdsprachendidaktik zwischen dem von außen auf uns einwirkenden Input und dem, was davon verstanden wurde – dem Intake. Bezogen auf das Medium Film umfasst der Begriff des Inputs alle fremdsprachlichen Artikulationen und Beiträge – ungeachtet dessen, ob sie vom Lernenden verstanden wurden oder nicht. Die Bezeichnung Intake