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Der Lektüreschlüssel erschließt Hermann Hesses "Unterm Rad". Um eine Interpretation als Zentrum gruppieren sich 10 wichtige Verständniszugänge: * Erstinformation zum Werk * Inhaltsangabe * Personen (Konstellationen) * Werk-Aufbau (Strukturskizze) * Wortkommentar * Interpretation * Autor und Zeit * Rezeption * "Checkliste" zur Verständniskontrolle * Lektüretipps mit Filmempfehlungen
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Seitenzahl: 102
LEKTÜRESCHLÜSSELFÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER
Hermann Hesse
Von Georg Patzer
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Hermann Hesse: Unterm Rad. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2000. (stb. 3368.)
2004, 2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenGesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenMade in Germany 2018RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960217-2ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015340-6
www.reclam.de
1. Erstinformation zum Werk
2. Inhalt
3. Personen
4. Die Struktur des Werks
5. Wort- und Sacherläuterungen
6. Interpretation
7. Autor und Zeit
8. Checkliste
9. Lektüretipps
Anmerkungen
Hermann Hesse ist weltweit der meistgelesene deutschsprachige Autor des 20. Jahrhunderts. Vor allem in den USA werden seine Romane Der Steppenwolf, Siddhartha und Das Glasperlenspiel, geschätzt wegen ihres psychoanalytischen, psychedelischen, ostasiatischen oder humanistischen Hintergrunds, immer wieder neu aufgelegt.
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw im nördlichen Schwarzwald geboren, begann bereits früh zu schreiben und hatte schon mit seinem ersten Roman Peter Camenzind (1904) so viel Erfolg, dass er als freier Schriftsteller leben konnte. Unterm Rad ist sein zweiter Roman. Von seinen Bucheinnahmen konnte sich Hesse 1907 ein Haus am Bodensee bauen, 1912 zog er in die Schweiz und siedelte 1919 nach Montagnola im Tessin um, wo er bis zu seinem Tod 1962 lebte. 1946 bekam er, auch wegen seiner moralisch untadeligen Haltung während des Zweiten Weltkriegs, den Nobelpreis für Literatur und den Goethepreis der Stadt Frankfurt.
Die meisten seiner Werke beschreiben Einzelgänger, die gegen alle Widerstände und Zwänge der Gesellschaft ihren eigenen Weg suchen. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die Selbstverwirklichung und Ich-Suche, gegen die Widerstände aus Umwelt, Erziehung, Elternhaus und Konventionen, ist stets Hesses Hauptanliegen gewesen.
Wie fast alle seine Werke ist auch Unterm Rad autobiografisch geprägt. Von Anfang Oktober 1903 bis Anfang August 1904 lebte Hesse in seiner Geburtsstadt Calw, wo seine Erzählung in nur zwei Monaten entstand. Am 28. Dezember 1903 schickte er das Manuskript an seinen Verlag S. Fischer, vom 5. April bis 17. Mai 1904 erschien die Geschichte in 35 Lieferungen als Vorabdruck in der Neuen Zürcher Zeitung. Als Buch kam Unterm Rad im Oktober heraus, im Untertitel »Roman« genannt, als Erscheinungsdatum ist in der Erstausgabe das Jahr 1906 angegeben. Erst ab 1927, mit der Aufnahme in die Gesammelten Werke, wird Unterm Rad als Erzählung bezeichnet.
Hesse verarbeitet in Unterm Rad vor allem eigene Erfahrungen mit der Schule und dem Elternhaus, aber auch das Leiden, das er bei seinem jüngeren Bruder Hans miterlebte. Ebenso wie Hans Giebenrath in Unterm Rad machte Hesse das »Landexamen«, auf das er sich in der schwäbischen Kleinstadt Göppingen vorbereitete. Ab Herbst 1891 war er im Klosterseminar Maulbronn, einer Eliteschule, die in ihrer Auswahl allein intellektuelle Fähigkeiten berücksichtigte. Nach einem guten Anfang verweigerte sich Hesse, lief weg, wurde von der Polizei eingefangen und streng bestraft. Seine Leistungen ließen immer mehr nach. Im Mai 1892 ließ sein Vater ihn die Schule abbrechen. Er kam zu einem Theologen, der ihn gesundbeten wollte, dann wurde Hesse in eine Nervenheilanstalt gesteckt. Aber man erkannte doch, dass er nur eine normale Krise durchmachte.
Anschließend besuchte Hesse für ein Jahr ein Gymnasium, versuchte sich drei Tage als Buchhändlerlehrling im schwäbischen Esslingen, bis er schließlich 1894 in der mechanischen Werkstatt der Turmuhrenfabrik Heinrich Perrot in seiner Heimatstadt Calw eine Lehre begann. Eineinhalb Jahre, bis Mitte September 1895, arbeitete er dort. Im Oktober 1895 begann Hesse eine Buchhändlerlehre in Tübingen, in der noch heute bestehenden Buchhandlung Heckenhauer. Vier Jahre blieb er, 1899 kehrte er stolz nach Calw zurück, mit einem anerkannten Beruf und einem guten Abgangszeugnis, zudem hatte er bereits zwei Bücher publiziert (vgl. Kap. 7). Etwas später ging er in eine Baseler Buchhandlung und veröffentlichte 1900 die Prosa- und Lyriksammlung Hinterlassene Schriften und Gedichte von Hermann Lauscher. Durch dieses Buch wurde der Verleger Samuel Fischer auf ihn aufmerksam: Sein nächstes Buch, Peter Camenzind, bei S. Fischer erschienen, machte Hesse berühmt.
Nicht nur sein eigenes Leid, sondern auch das seines jüngeren Bruders Hans hat Hesse zu Unterm Rad angeregt. Über ihre Schulzeit schrieb er am 25. November 1904 in einem Brief: »Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme und die mich gelegentlich aufregt. An mir hat die Schule viel kaputtgemacht, und ich kenne wenig bedeutendere Persönlichkeiten, denen es nicht ähnlich ging. Gelernt habe ich dort nur Latein und Lügen, denn ungelogen kam man in Calw und im Gymnasium nicht durch, wie unser Hans beweist, den sie ja in Calw, weil er ehrlich war, fast umbrachten. Der ist auch, seit sie ihm in der Schule das Rückgrat gebrochen haben, immer unterm Rad geblieben.« In seinen Erinnerungen an Hans schrieb er später: »Es sind mehrere schlechte Lehrer dagewesen, und einer von ihnen, ein richtiger kleiner Teufel, hat ihn bis zur Verzweiflung gequält.«1
Hesse machte die Schule mitverantwortlich für den Selbstmord seines Bruders 1935, den »die fromme Pädagogik«2 gebrochen habe. Denn Hans, der nach der Schulzeit ein Handwerk lernte, litt zeitlebens unter mangelndem Selbstvertrauen. Das hatte Hermann Hesse schon dreißig Jahre zuvor sehr genau erkannt und in seinem Roman Unterm Rad angeprangert.
Unterm Rad erzählt von dem jungen, begabten Hans Giebenrath, Sohn eines nicht sehr wohlhabenden Händlers in einer kleinen Stadt im Schwarzwald. Er bekommt die Chance, das »Landexamen« in der Landeshauptstadt Stuttgart zu machen und, nach dem Bestehen, mit einem Stipendium ein theologisches Seminar und später das Tübinger Stift zu absolvieren. Damit ist für ihn der soziale Aufstieg gesichert. Von seinem Vater und den Lehrern wird er gefördert, aber auch gefordert, auch er selbst ist sehr ehrgeizig. Nur der pietistische, fromme Schuhmacher Flaig macht sich Sorgen um ihn.
In Stuttgart unterliegt Hans Giebenrath mehrere Tage dem Druck des Landexamens, aber er besteht das Examen als Zweiter. In den sieben Wochen Ferien, in denen er sich eigentlich ausruhen will, beginnt er Griechisch, Hebräisch und Mathematik zu pauken, als Vorbereitung auf das Seminar. Hans kommt in ein Internat im Kloster Maulbronn, wo er mit vierzig anderen Jungen lernt, auch hier will er zunächst Bester sein. Er freundet sich mit Hermann Heilner an, einem eigenwilligen Jungen, der als Schwärmer und Dichter keinen guten Ruf hat und später von der Schule verwiesen wird. Hans’ Leistungen werden immer schwächer, er leidet, hat Kopfschmerzen und Visionen und sogar einen Nervenzusammenbruch. Er muss die Schule verlassen.
Sein Vater beschließt, ihn eine Lehre bei einem Mechaniker im Ort machen zu lassen. Bei einem Fest in der Heimatstadt verliebt sich Hans in Emma, die Nichte des Schuhmachers, aber sie spielt nur mit ihm und verlässt einen Tag später die Stadt, ohne sich von ihm zu verabschieden. Nach einem Wirtshausbesuch mit Mechanikergesellen kehrt Hans nicht mehr zurück, am nächsten Tag findet man seine Leiche im Fluss.
Hans Giebenrath ist der begabte Sohn des Händlers Joseph Giebenrath in einer kleinen Stadt im nördlichen Schwarzwald, seine Mutter lebt nicht mehr. Der Vater ist ein durchschnittlicher Mensch, der ohne große geistige Fähigkeiten und ohne ausgeprägtes Gefühlsleben ein normales Leben führt. Hans dagegen ist auffallend begabt, Lehrer, Rektor, der Stadtpfarrer und die Nachbarn bemerken das. Wegen seiner guten schulischen Leistungen ist Hans als Einziger aus dem Städtchen ausgewählt worden, das Landexamen zu machen. Wenn er besteht, kann er mit einem Stipendium ein theologisches Seminar und im Anschluss das Tübinger Stift besuchen. Den Besuch eines Gymnasiums könnte sich der nicht sehr wohlhabende Vater für seinen Sohn nicht leisten. Nach der Schule muss Hans also weiter lernen: »An die Schulstunden, die täglich bis vier Uhr dauerten, schloß sich die griechische Extralektion beim Rektor an, um sechs war dann der Herr Stadtpfarrer so freundlich, eine Repetitionsstunde in Latein und Religion zu geben, und zweimal in der Woche fand nach dem Abendessen noch eine einstündige Unterweisung beim Mathematiklehrer statt« (9 f.). Als Entspannung wird Hans jeden Morgen in den Konfirmandenunterricht geschickt, wo er Fragen und Antworten aus dem Katechismus memorieren muss. Bis spät in die Nacht muss er lernen und seine Hausaufgaben machen, selbst auf seinen Spaziergängen soll er ein Buch mitnehmen. Aber Hans lernt gern: Er ist selbst anspruchsvoll und möchte an der Spitze stehen. Seine große Erschöpfung wird vom Rektor als Vergeistigung angesehen und freudig begrüßt.
Am Abend vor dem Examen bekommt er vom Rektor den Rat, nichts mehr zu lernen, sondern sich den letzten Abend auszuruhen, er bummelt durch den Ort, steht an der Brücke und erinnert sich sehnsüchtig daran, welche Freude ihm das Angeln machte: »Das hatte er nun auch fast verlernt und vergessen […]. Das war doch das Schönste in all den langen Schuljahren gewesen« (13). Er merkt noch einmal, wie zerstreut er in der letzten Zeit gewesen ist, als ihn überraschend der Schuhmachermeister Flaig anspricht. Der ist ein freundlicher Mann, ein frommer Pietist, bei dem er früher öfter gewesen ist, in letzter Zeit aber nicht mehr, weil er spürt, dass Flaig ihn, seit er wegen seiner Schulerfolge etwas hochmütig geworden ist, »zu demütigen suchte« (14). Flaig wünscht Hans viel Glück und sagt ihm, er solle sich nicht grämen, wenn er das Examen nicht bestehe, weil »Gott mit jeder Seele seine besondern Absichten habe und sie eigene Wege führe« (14). Er lässt ihn allein, als sie dem Stadtpfarrer begegnen, den Flaig für einen Ungläubigen hält. Für diesen ist es allerdings schlichtweg unmöglich, dass Hans durchfällt, und er ist ganz erschrocken über diese Idee, die aus Hans’ Angst geboren ist.
Hans geht nach Hause in den Garten. Dort steht ein kleines Häuschen, in dem er jahrelang Kaninchen gehalten hat. Man hat sie ihm weggenommen, damit er in Ruhe lernen konnte: »Er hatte keine Zeit mehr für Zerstreuungen gehabt« (15). Hier sieht er auch ein Wasserrad, das er mit seinem Schulfreund August zusammen gebastelt hat. Plötzlich wird er traurig und aggressiv und schlägt mit einem Handbeil die Latten des Hasenverschlags auseinander. Abends sitzt er noch länger wach in seinem Zimmer und erinnert sich an die Stunden, in denen er hier von einem höheren Leben geträumt hat.
Am nächsten Tag fährt er mit seinem Vater nach Stuttgart, die Honoratioren des Ortes verabschieden ihn am Bahnhof und wünschen ihm Erfolg. Die Großstadt schüchtert den Jungen ein, auch das Wohnen bei seiner Tante und die ungewohnte Umgebung, wohingegen sein Vater auflebt und Besuche macht. Während eines Spaziergangs, auf dem die Tante ihm eine Schokolade schenkt, die er nicht mag, merkt er plötzlich, dass er alles für das Examen Gelernte vergessen hat. Die Tante erzählt ihm, dass von 118 Kandidaten nur 36 bestehen können. Hans bekommt Angst und Kopfschmerzen und hat in der Nacht Albträume.
In seiner Heimatstadt wird am nächsten Morgen an ihn gedacht. Während Flaig für ihn betet, sagt der Stadtpfarrer, dass aus Hans noch etwas Besonderes werden wird; der Lehrer stellt vor der Klasse Hans’ besonderen Rang heraus und demütigt seine Schüler, die er Faulpelze nennt.
Als Hans in die erste Prüfung geht, ist er wieder ruhig, denn er findet sie sehr leicht, was er mittags auch seinem Vater sagt. Am Nachmittag machen sie Besuche bei Verwandten und treffen dort einen Prüfling aus Göppingen, der Hans warnt, die Prüfungen zu leicht zu nehmen. Hans setzt sich abermals hin und lernt noch etwas Griechisch, das am nächsten Tag geprüft wird. Während der nächsten Prüfung weigert er sich, einem Banknachbarn zu helfen, und ist sich sicher, dass er versagt hat. Während der mündlichen Prüfung fällt ihm am Schluss eine Verbform nicht ein, erst an der Tür, als er schon gehen will, ruft er sie noch in den Raum, ist sich aber sicher, dass er nicht bestanden hat. Den ganzen Tag treibt er sich in der Stadt herum und erinnert sich an den Garten zu Hause, die Berge und den Fluss.