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ADHS-Kinder leiden sehr häufig unter Lern- und Leistungsschwierigkeiten, die ihren Lebensweg stark beeinträchtigen. Schlechte Noten, Klassenwiederholungen, Schulwechsel und -abbrüche führen zu zusätzlichen psychischen Problemen. Da die gängigen schulischen Lernverfahren für ADHS-Kinder oft nicht passen, teilweise Lernprobleme sogar mit verursachen, gilt es, effektive Lernmethoden speziell für diese Kinder zu entwickeln. Ziel dieses Buch ist es, ADHS-Kindern und ihren Eltern einen wirksamen Weg aufzuzeigen, wie der Teufelskreis Lernstörungen erfolgreich verlassen werden kann. Nach dem Motto "weniger ist mehr" werden konkrete und leicht umsetzbare Lernstrategien für die Grundfertigkeiten Rechnen, Lesen und Rechtschreiben, für die Lernfächer sowie für das Fach Englisch dargestellt. In der 12. Auflage wurden im praktischen Teil erneut die Methoden besonders in den Bereichen Rechnen, Rechtschreibung und dem Üben von Aufsätzen erweitert und insgesamt wiederum der aktuelle Stand der Forschung eingearbeitet.
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Seitenzahl: 386
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Dr. Armin Born ist Diplom-Psychologe, Diplom-Pädagoge und Psychologischer Psychotherapeut. Nach dem Studium des Lehramts an Grund- und Hauptschulen, der Pädagogik und der Psychologie bildete er zunächst als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg zehn Jahre lang vor allem angehende Lehrer und Lehrerinnen aus. Seit Anfang der 90er Jahre arbeitete er dann als Psychologischer Psychotherapeut in kinder- und jugendpsychiatrischen Praxen und 20 Jahre lang zusätzlich parallel als Ehe-, Familien- und Lebensberater an einer Beratungsstelle in Würzburg. Seit 2006 besteht daneben auch eine Therapietätigkeit in freier Praxis. Sein therapeutischer Hauptschwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern mit Lernproblemen und zusätzlichen psychischen Problemen und die Arbeit mit ADHS-Kindern und deren Familien.
Seit 2000 erweiterte sich sein Arbeitsfeld um Vorträge und Fortbildungen im deutschsprachigen Raum zu den Themengebieten »Lern- und Verhaltensprobleme bei ADHS«, »Neuropsychologie des Lernens«, »Frühförderung«, »Effektiver Umgang mit Rechenschwäche und -störung« und »Lerntherapie«.
Claudia Oehler ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin. Nach dem Studium der Psychologie war sie zunächst fünf Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Philipps-Universität Marburg unter Leitung von Prof. Dr. Dr. H. Remschmidt tätig. Von 1991 bis 2003 arbeitete sie dann als Verhaltenstherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in einer großen Kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis mit dem Schwerpunkt der Betreuung von ADHS-Kindern und deren Familien. Seit 2003 ist sie als Verhaltenstherapeutin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in freier Praxis tätig. Seit 2000 zahlreiche Fachvorträge, Veröffentlichungen und Fortbildungsveranstaltungen insbesondere zum Thema Lernen und ADHS.
Weitere Publikationen des Autorenteams:
Born A., Oehler C. (2017): Lernen mit Grundschulkindern (2., überarbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.
Born A., Oehler C. (2020): Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern. Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten (6., erweiterte und überarbeitete Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.
Born A., Oehler C. (2021): Gemeinsam wachsen – der Elternratgeber ADHS. Verhaltensprobleme in Familie und Schule erfolgreich meistern (2., erweiterte und überarbeitete Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.
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Die Abbildungen beruhen (zum großen Teil) auf Vorlagen der Grafiker Anita Krämer-Gerhard und Bernhard Ziegler.
Die erste bis zehnte Auflage dieses Buchs erschien unter dem Titel Lernen mit ADS-Kindern. Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten.
12., erweiterte und überarbeitete Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-042753-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-042754-9
epub: ISBN 978-3-17-042755-6
Wir freuen uns, Ihnen hiermit die zwölfte Auflage unseres Buches »Lernen mit ADHS-Kindern« vorlegen zu können. Seit Erscheinen der ersten Auflage im Jahre 2002 haben wir in vielen Vorträgen und Fortbildungen zahlreiche positive Rückmeldungen erhalten. Eltern, die sich angesichts der komplexen schulischen Anforderungen verunsichert fühlen, sind dankbar, einfache und hilfreiche Konzepte und Methoden für die zentralen Lernaufgaben an die Hand zu bekommen, um ihre ADHS-Kinder in ihrem Lernprozess effektiv unterstützen zu können.
Mit unserem Buch verfolgen wir den Ansatz, dass schulische Lernmethoden den Kindern angepasst werden sollen und nicht die Kinder den Methoden.
Unsere Methoden sind weiterhin nicht einfach »so« entwickelt worden, sondern sind zum einen in der Praxis in vielfacher Weise erprobt. Gleichzeitig sind sie zum anderen aber auch wissenschaftlich auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes der Lernpsychologie und der Gehirnforschung begründbar und nachvollziehbar. Dass unser Schulsystem dagegen mit der wissenschaftlichen Absicherung der jeweiligen lernmethodischen Vorgehensweise Schwierigkeiten hat, zeigt die kritische Einschätzung des Schulpädagogen Wellenreuther: »Schulisches Lernen gleicht einem schlechtgemixten Cocktail aus Tradition und zum Zeitgeist passender Innovation. Die Berücksichtigung von Forschungsergebnissen spielt dabei eine untergeordnete Rolle« (Wellenreuther 2009, S. 52).
ADHS-Kinder stellen aufgrund ihrer großen Zahl und ihrer zumeist ausgeprägten Symptomatik einen besonderen Prüfstein für unser Schulsystem dar. Diese Tatsache lässt sich positiv im Sinne einer Herausforderung für unsere Schulen verstehen und aufgreifen. Kennzeichen eines guten Schulsystems und einer erfolgreichen Unterrichtspraxis sollte es sein, sich der grundsätzlichen Lerngesetzmäßigkeiten bewusst zu sein und zu versuchen, den besonderen Voraussetzungen der einzelnen Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit gerecht zu werden. Insofern können die Verantwortlichen unseres deutschen Schulsystems und mit ihnen vor allem die Didaktiker, die die Lernpläne maßgeblich mitgestalten, von unseren ADHS-Kindern lernen.
In unserer konkreten Praxis begegnen wir erfreulicherweise immer mehr engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die neue Antworten auf die Frage nach erfolgreichen Lernwegen suchen und denen effektive, für das einzelne Kind passende Methoden genauso am Herzen liegen wie uns. Gemeinsam versuchen wir, von der spezifischen Problemkonstellation der ADHS-Kinder ausgehend, gleichermaßen zielführende wie praktikable Lösungen zu finden, die auch den jeweiligen Einzelfällen gerecht werden.
In unseren Fortbildungskursen werden immer wieder die besonderen Schwierigkeiten der Lehrer und Lehrerinnen deutlich: Sie erleben sich zwischen den Anforderungen ihrer Lehrpläne und den immer schnelleren Themen- und Methodenwechseln einerseits und der Erkenntnis der fehlenden bzw. mangelnden Automatisierungen des Wissens ihrer Schüler in den Grundfertigkeiten andererseits zunehmend zerrissen. Insbesondere in der Arbeit mit schwächeren Schülern fühlen sie sich häufig allein gelassen und wünschen sich mehr Unterstützung, da z. B. das Thema ADHS in ihrer Aus- und Fortbildung immer noch zu wenig thematisiert wird.
In den Lehrerfortbildungen, die wir in den letzten Jahren durchführten, thematisierten wir verstärkt den Zusammenhang von Lern- und Leistungsproblemen auf der einen und Verhaltensproblemen auf der anderen Seite. Nachvollziehbar und einleuchtend für Lehrer und Lehrerinnen war, dass bei Kindern mit Lern- und Leistungsproblemen häufig auch Verhaltensprobleme als Kompensationsversuch für die erlebten Misserfolge entstehen. Neu für sie war jedoch der Aspekt, dass man im schulischen Bereich durch passende Lernmethoden Leistungsprobleme verhindern und damit gleichzeitig auch erreichen kann, dass Verhaltensprobleme gar nicht erst in diesem Ausmaße bei Kindern mit ADHS entstehen.
Gleichzeitig hilft das Wissen über effektive Lernmethoden, die auf die Voraussetzungen dieser Kinder abgestimmt sind, die Elternarbeit zu verbessern bzw. überhaupt erst eine Kooperation mit dem Elternhaus zu erreichen.
Betroffenen Kindern und deren Eltern, aber auch Lehrerinnen und Lehrern sowie Kollegen, die mit ADHS-Kindern und ihren Familien arbeiten, versuchen wir immer wieder folgende neuropsychologische Sichtweise zu vermitteln: Nur die konkreten Denkvorgänge bzw. die entsprechenden neuronalen Verknüpfungen, die im Gehirn aktiviert werden, werden auch abgespeichert. Eine sichere Abspeicherung erfolgt nur durch ausreichendes Wiederholen. Deswegen gilt es, im Lernprozess immer wieder darauf zu achten, was genau im Gehirn aktiviert wird. Der Schulalltag, angeleitet vom jeweiligen Lehrplan, ist gekennzeichnet durch einen schnellen Wechsel der Lernangebote, einer kurzen Darbietungszeit und unterschiedlichen Lernwegen. Für ADHS-Kinder finden die notwendigen Wiederholungen oft nicht im ausreichenden Maße statt. Es wird im Gehirn der Kinder eher Verwirrung gestiftet, die einem sicheren Beherrschen entgegensteht.
Beim »Wie des Lernens« müssen wir uns immer wieder Rechenschaft darüber ablegen,
• was konkret im Gehirn des Kindes aktiviert wird,
• ob der Lernstoff möglichst einfach mit wenigen Informationseinheiten »gehirngerecht« dargeboten wird,
• und wie das unerlässliche Wiederholen durchgeführt wird.
Auf diesen Vorüberlegungen aufbauend ist es möglich und auch notwendig, eine spezifische Feinabstimmung der Lernmethoden für das jeweilige Kind vorzunehmen.
Wir möchten immer wieder betonen, wie wichtig ein sicheres Beherrschen der Grundfertigkeiten für die Kinder ist, um von Beginn der Schulzeit an Frustrationen zu vermeiden. Wenn diese anwachsen, kommt es zur Vermeidung der Auseinandersetzung mit den notwendigen Lernanforderungen und -inhalten. Letztendlich bewirken die auf diese Weise immer mehr zunehmenden Defizite eine deutliche Beeinträchtigung der Schullaufbahn.
Für unsere ADHS-Kinder ist erfreulich, dass es immer häufiger gelingt, Vereinbarungen zwischen Eltern und Lehrerinnen und Lehrern dahingehend zu treffen, dass Hausaufgaben sinnvoller werden können: So lassen sich beispielsweise Lehrerinnen und Lehrer vermehrt darauf ein, dass ADHS-Kinder nur noch einen Teil der schriftlichen Hausaufgabe erledigen, sofern sie während der restlichen Zeit gemeinsam mit ihren Eltern mit effektiven nichtschriftlichen Lernmethoden arbeiten. Sie wissen ja: »Nicht im Heft soll es stehen, sondern im Kopf des Kindes«.
Zwischenzeitlich beobachten wir eine zunehmende Kooperation insbesondere mit Lehrern in Einzelkontakten, Arbeitsgemeinschaften, Fortbildungen und »Lernwerkstätten«. Diese Form der Teamarbeit zwischen Pädagogen, Psychologen und Lehrkräften bereitet den Boden für fruchtbare wechselseitige Lernprozesse. Trotz zunehmender Belastungen im Lehrerberuf, Unzufriedenheiten mit der Ausbildungssituation und Vorgaben durch Lehrpläne erleben wir hier Bereitschaft und Engagement auch für unsere ADHS-Kinder. Viele Lehrerinnen und Lehrer beobachten aufmerksam die Erkenntnisse der aktuellen Gehirnforschung und bemühen sich, diese im Rahmen ihres Unterrichts angemessen zu berücksichtigen. Teilweise arbeiten sie dann auch mit unseren Lernmethoden. Lehrkräfte, die ihren Unterricht auf unsere Methoden umstellen, kommen dabei zumeist zu dem Schluss: Was für ADHS-Kinder taugt, taugt erst recht auch für die anderen Kinder. So werden zum Beispiel Erfolgserlebnisse für den Bereich der Rechtschreibung mit den Grundmethoden Abfotografieren und Wortbaustelle in der 2. Klasse sowie mit den Einmaleinskärtchen am Ende der 2. Klasse berichtet.
Eltern, die unser Buch durcharbeiten, werden sich rasch bewusst, dass wir von ihnen sehr viel verlangen. Neben der Notwendigkeit, sich die von uns vorgestellten Techniken anzueignen, benötigen sie vor allem eine hohe Einsatzbereitschaft und Konsequenz, selbige im Lernalltag mit ihren Kindern regelmäßig anzuwenden. Auch hier haben wir viele Rückmeldungen erfahren. So berichten Eltern, dass sie nach einer schwierigen Übergangszeit die neue Strukturierung des Alltags letztlich als überaus hilfreich erleben. Manche Mütter und Väter erkannten sich auch in ihren Kindern wieder. Zum Teil wurden Feststellungen getroffen wie: »Ich lerne jetzt selbst wirklich Disziplin – was sich für uns alle sehr positiv auswirkt.«
In der erweiterten und aktualisierten 12. Neuauflage haben wir wiederum sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt eingearbeitet als auch die Weiterentwicklungen aus unserer Praxis dargelegt.
Mit der vorliegenden Neuauflage verbinden wir weiterhin den Wunsch, Eltern, Lehrern und Therapeuten ein guter Wegbegleiter für das alltägliche Lernen mit ADHS-Kindern zu sein. Wie zuvor hoffen wir auf eine konstruktive Auseinandersetzung in der aktuellen Diskussion um Lernen und Bildung zum Wohle unserer ADHS-Kinder, aber auch aller anderen Kinder.
München und Würzburg, im Juli 2022
Armin Born und Claudia Oehler
Es gibt zurzeit kaum eine andere psychische Störung, die mehr als die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in der öffentlichen Diskussion steht. Alleine in den letzten fünf Jahren wurden über 50 Bücher zu diesem Syndrom sowie unzählige Presse- und Medienbeiträge veröffentlicht. Das große Interesse an dieser Problematik hängt mit dem Umstand zusammen, dass ADHS momentan das häufigste kinderpsychiatrische Krankheitsbild mit weit reichenden Konsequenzen für den weiteren Lebensweg der betroffenen Kinder und deren Familien ist. Die Erkrankung zählt zu den häufigsten Anlässen, weshalb Kinder und Jugendliche in kinder- und jugendpsychiatrischen sowie kinderärztlichen Praxen, Erziehungsberatungsstellen und schulpsychologischen Sprechstunden vorgestellt werden. In vielen Fällen ist es darüber hinaus gut belegt, dass das Störungsbild bis ins Erwachsenenalter weiterbesteht.
Um ADHS bei Kindern und Jugendlichen wirkungsvoll zu begegnen, ist es notwendig, dass verschiedene Berufsgruppen wie die der Ärzte, Pädagogen, Psychologen, Lehrer etc. zusammenarbeiten. Eine gelungene Kooperation setzt voraus, unterschiedliche Blickwinkel in Diagnostik und Behandlung miteinander in Einklang zu bringen.
Besonders die pharmakologische Behandlung der betroffenen Kinder und Jugendlichen wird in der Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der medizinischen und psychologischen Fachwelt äußerst kontrovers und auch emotional diskutiert. Ausgelöst wurde dies u. a. durch rapide gestiegene Verordnungszahlen in Deutschland. In die Kritik geraten sind hier eine zum Teil unzureichende Diagnostik sowie die nicht ausreichende Überprüfung der Medikamenteneffekte und eine fehlende individuelle Dosiseinstellung und -anpassung. Auch mangelt es häufig an der Einbindung der medikamentösen Behandlung in ein multimodales Behandlungskonzept, wie es die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie fordern.
Wenn Eltern betroffener Kinder die Praxis des Kinder- und Jugendpsychiaters aufsuchen, sind es in der Regel zwei Hauptproblembereiche, die ihnen und den Kindern das Leben schwer machen. Zum einen sind es Verhaltensprobleme, die oft bereits im Kindergarten durch eine ausgeprägte motorische Unruhe, Dominanzstreben, eine geringe Frustrationstoleranz, der Unfähigkeit richtig zu spielen und vielen Auseinandersetzungen deutlich werden. Diese Verhaltensprobleme setzen sich dann in der Schule zumeist durch die Unruhe und den Ärger fort, den die Kinder in das Klassenzimmer tragen. Mit Gleichaltrigen und den Geschwistern gibt es viele Schwierigkeiten. Eltern sind oft verzweifelt, Mütter fühlen sich zum Teil völlig überfordert.
Zum anderen sind es Lern- und Leistungsprobleme, die Eltern und Kinder verzweifeln lassen. Trotz normaler Intelligenz mehren sich bereits zu Beginn der Grundschulzeit Misserfolge und Frustrationen – Leistungsdefizite in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen entstehen. Es ist die besondere Ausgangslage der Kinder wie die begrenzte Kapazität ihres Kurzzeitgedächtnisses, ihre kurze Aufmerksamkeitsspanne, ihre geringe Motivation für »langweilige Lerninhalte«, ihre niedrige Frustrationstoleranz, ihre hohe Impulsivität sowie ihre graphomotorischen Probleme, die schulische Misserfolge, Vermeidungsverhalten und in deren Folge große Lerndefizite entstehen lassen.
Die Kernsymptomatik des ADHS führt sehr häufig zu Lern- und Leistungsproblemen im schulischen Bereich. Unserer Erfahrung nach können diese Schwierigkeiten ihrerseits die Grundsymptomatik wiederum verstärken. Das Kind wird im Unterricht oder bei den Hausaufgaben noch unkonzentrierter und unruhiger, das soziale Verhalten aufgrund der erlebten Misserfolge noch auffälliger. Werden wir als Kinder- und Jugendpsychiater mit diesen Problemen konfrontiert, suchen wir nach geeigneten Ansatzpunkten zur Verbesserung der Symptomatik. Unser primäres Handwerkszeug ist jedoch kein pädagogisches, sondern ein ärztliches. Bei massiven Beeinträchtigungen gilt es, medikamentös zu behandeln. Ist eine Verschlechterung jedoch durch Lern- und Leistungsprobleme mit verursacht, ist die alleinige Erhöhung der Medikamentendosis kritisch zu beurteilen. Hier ist eine Behandlung im Rahmen eines multimodalen Gesamtkonzeptes gefordert.
Begründet wird diese Forderung nicht zuletzt durch die Ergebnisse der MTA-Studie. Es handelt sich hier um die größte Behandlungsstudie zu diesem Krankheitsbild, bei der in den USA unterschiedliche Behandlungsmethoden hinsichtlich ihrer Effektivität miteinander verglichen wurden. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die signifikant effektivste Behandlungsmethode die Kombination von genau kontrollierter medikamentöser und verhaltenstherapeutischer Behandlung ist.
Bemerkenswert ist, dass im Vergleich zu einer rein pharmakologischen Behandlung bei der Kombinationstherapie im Durchschnitt eine geringere Dosierung erforderlich war, um hinsichtlich einer Symptomverbesserung die »optimale Wirkung« zu erreichen. Während bei der medikamentösen Behandlung durchschnittlich 38,1 mg Methylphenidat eingesetzt werden musste, erniedrigte sich die Tagesdosis bei der Kombinationstherapie auf 31,1 mg.
An dieser Stelle ist auf ein sehr effektives Modell hinzuweisen, in dessen Rahmen wir als Kinder- und Jugendpsychiater in der ambulanten Praxis tätig sein können. Es handelt sich um die Sozialpsychiatrie-Verordnung. Die Sozialpsychiatrie-Verordnung (gültig seit dem 1. Juli 1994) dient der Förderung und Vernetzung der ambulanten kinder- und jugendpsychiatrischen Tätigkeit und insbesondere der interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen (Diplom-Psychologen, Diplom-Pädagogen, Heilpädagogen, Sozialpädagogen etc.) unter Leitung des niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiaters. Die Kooperation mit den verschiedenen Professionen – so auch mit den Lehrern unserer ADHS-Kinder – setzt voraus, dass wir als Kinder- und Jugendpsychiater Wissen darüber erwerben, welche Maßnahmen auf welchem Gebiet für die betroffenen Kinder und Jugendlichen grundsätzlich von Nutzen sind. Eine effiziente Kooperation mit Schule und Eltern ist beispielsweise ohne ein entsprechendes Hintergrundwissen über Lernprozesse und effiziente Lernwege schwer möglich.
Durch die langjährige enge Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer Berufsgruppen haben wir als Kinder- und Jugendpsychiater(in) im Laufe der Jahre gelernt, unseren Blickwinkel zu erweitern und ADHS-Kinder und ihre Familien ganzheitlich zu betrachten. Dieser Prozess ist nicht ohne Auswirkung auf unsere Behandlungskonzeption der Lern- und Leistungsprobleme von Kindern und Jugendlichen mit ADHS geblieben: Diese sollte sich stets durch eine multimodale Vorgehensweise kennzeichnen.
Hier haben wir von den Autoren des vorliegenden Buches viel lernen und erfahren dürfen. Wir haben Verständnis darüber erworben, wie Lernprozesse im Allgemeinen und im Besonderen bei ADHS-Kindern ablaufen. Uns wurde in genauer Weise bewusst, mit welchen Schwierigkeiten an welchen besonderen Stellen ADHS-Kinder beim Lernen zu kämpfen haben. Vor allem waren es die konkreten Vorgehensweisen und ausgezeichneten Lerntipps und Materialien der Autoren, von deren großen Nutzen wir uns in der praktischen Arbeit immer wieder neu überzeugen konnten. Sie haben unseren »ärztlichen Handwerkskoffer« durch pädagogische und psychologische Gedanken und Strategien enorm erweitert und unsere tägliche Praxisarbeit damit entscheidend bereichert.
Das ADHS ist mit erheblichen individuellen Belastungen der Kinder und ihrer Eltern verbunden. Das ADHS ist jedoch darüber hinaus ebenso mit großen gesamtgesellschaftlichen Gesundheitskosten verknüpft. Es ist deshalb konsequent und erfreulich, dass die Autoren im Folgenden immer wieder auf die Ressourcen und Möglichkeiten der Eltern hinweisen, gemeinsam mit ihren betroffenen Kindern deren Lern- und Leistungsprobleme zu bewältigen.
Eltern, die ihre Kinder unterstützen möchten, werden in diesem Buch viele Wege finden, die sie für und mit ihren Kindern gewinnbringend einsetzen können. Gemeinsame Erfolge sind auf diese Weise vorprogrammiert.
Wir wünschen dem vorliegenden Buch, das unseres Erachtens eine wichtige Lücke der zahlreichen, vorrangig auf den Umgang mit Verhaltensproblemen ausgerichteten Elternratgebern schließt, guten Erfolg.
Petra Kreienkamp
Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Dr. med. Klaus-Ulrich Oehler
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie,
Neurologie und Psychiatrie
Dieses Buch beschäftigt sich mit ADHS-Kindern und ihren Lern- und Leistungsproblemen. Aus unserer langjährigen praktischen Tätigkeit mit diesen Kindern und ihren Eltern möchten wir möglichst einfache und effektive Wege aufzeigen, um aus dem oft bestehenden Teufelskreis Lernstörungen auszusteigen. Aufgrund ihrer besonderen Voraussetzungen leidet ein Großteil der ADHS-Kinder unter Lernproblemen. Gängige Lernmethoden in unseren Schulen passen oft nicht zu den Besonderheiten der ADHS-Kinder, so dass schnell schulische Defizite und psychische Folgeprobleme entstehen.
Dies gilt insbesondere für das Erlernen der Grundfertigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen. In den Basisfertigkeiten entstehen oft sehr frühzeitig, manchmal bereits in der ersten Grundschulklasse Lücken. Nachfolgender Lernstoff kann nicht mehr beherrscht werden, da das »Fundament« wackelig ist. Dies ist dann häufig der Beginn von Teufelskreisen, in deren Folge Kinder ihre Defizite wahrnehmen und ihre Motivation und ihr Selbstwertgefühl zu sinken beginnen. In der wissenschaftlichen Literatur wird das gemeinsame Auftreten von Lese-/Rechtschreibschwächen und -störungen oder von Rechenschwächen und -störungen mit einer Aufmerksamkeitsproblematik häufig beschrieben. Auch wissen wir, dass durch die Leistungsprobleme und die erlebten ständigen Misserfolge emotionale Störungen und frühe Verhaltensauffälligkeiten entstehen, die wiederum den weiteren Lebensweg maßgeblich, und zwar in ungünstiger Weise, mit beeinflussen können.
Mit diesem Buch möchten wir dazu beitragen, Eltern, Lehrern sowie anderen Personen, die täglich mit ADHS-Kindern zu tun haben, Hilfen für einen frühzeitigen »Ausstieg« aus dem Teufelskreis Lernstörungen anzubieten.
In den beiden international gebräuchlichen Klassifikationssystemen, dem ICD-11 (dem Klassifikationssystem für Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dessen aktuelle 11. Version seit dem 1.1.2022 gilt) und dem DSM-5 (dem amerikanischen Diagnostischen und Statistischen Manual), werden übereinstimmend die drei Symptombereiche Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität genannt und in fast gleicher Weise operationalisiert.
• Unaufmerksamkeitbezieht sich auf erhebliche Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben aufrechtzuerhalten, die kein hohes Maß an Stimulation oder häufige Belohnungen, jedoch Ablenkbarkeit und Probleme mit der Organisation bieten.
• Hyperaktivität bezieht sich auf übermäßige motorische Aktivitäten und die Schwierigkeit, still zu bleiben. Dies zeigt sich am deutlichsten in strukturierten Situationen, die eine Verhaltensselbstkontrolle erfordern.
• Impulsivität ist eine Tendenz, auf unmittelbare Reize zu reagieren, ohne über die Risiken und Konsequenzen nachzudenken oder sie zu berücksichtigen.
Das jeweilige Ausmaß der Ausprägungen in diesen drei Symptombereichen übersteigt das Ausmaß der normalen Variation und wirkt sich direkt negativ auf das schulische, berufliche oder soziale Funktionsniveau aus.
Unter dem Oberbegriff ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) werden drei »Präsentationsformen« (Phänotypen) (ICD-11) bzw. »Erscheinungsformen« (DSM-5) zusammengefasst. Die Symptombereiche, die bei dem jeweiligen Kind überwiegen, bestimmt den jeweiligen Typus des Störungsbildes.
Der vorwiegend unaufmerksame Typus ohne ausgeprägte Hyperaktivität und Impulsivität wird im DSM-5 als » vorwiegend unaufmerksame Erscheinungsform« definiert (Banaschewski, Döpfner 2014, S. 288). Im ICD-11 wird diese Unterform als »Attention deficit hyperactivity disorder, predominantly inattentive presentation (6A05.0)« bezeichnet. Kinder mit diesem Typus fallen weniger durch impulsives, ungesteuertes Verhalten und den damit verbundenen Sekundärproblemen auf, sondern mehr durch Aufmerksamkeitsprobleme und die dadurch bedingten Lern- und Leistungsprobleme. Unaufmerksame Kinder machen häufig Flüchtigkeitsfehler, können ihre Aufmerksamkeit nicht lange aufrechterhalten, scheinen oft nicht zuzuhören, haben Schwierigkeiten, ihre Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren, vermeiden dann auch oft geistige Anstrengungen, verlieren häufiger etwas, lassen sich leicht ablenken und sind bei Alltagstätigkeiten vergesslicher als andere Kinder. Dies führt oft zu stundenlangem Sitzen über den Hausaufgaben. Die so entstehenden Lern- und Leistungsprobleme führen zudem häufig zu weiteren Problemen im emotionalen Bereich, zu vermehrten Ängsten und Stimmungsschwankungen sowie Schuldgefühlen.
Als zweiten Typus führt das DSM-5 die » vorwiegend hyperaktiv-impulsive Erscheinungsform« bzw. das ICD-11 die »Attention deficit hyperactivity disorder, predominantly hyperactive-impulsive presentation (6A05.1)« an, bei der zwar auch Aufmerksamkeitsprobleme (s. o.) vorliegen, aber die hyperaktive und impulsive Symptomatik im Vordergrund stehen. Auffällig sind mangelhaft regulierte und wenig reflektierte Aktivitäten, durch geringfügigen Anlass auslösbare, überschießende Gefühlsreaktionen und eine geringe Frustrationstoleranz. Diese Kinder »sind oft achtlos und impulsiv, neigen zu Unfällen und werden oft bestraft, weil sie eher aus Unachtsamkeit als vorsätzlich Regeln verletzen. Ihre Beziehung zu Erwachsenen ist oft von einer Distanzstörung und einem Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung geprägt. Bei anderen Kindern sind sie unbeliebt und können isoliert sein« (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2018, S. 217).
Wenn sowohl Symptome von Unaufmerksamkeit als auch von Impulsivität/Hyperaktivität vorliegen, bezeichnet das DSM-5 dies als » kombinierte Erscheinungsform« bzw. das ICD 11 als »Attention deficit hyperactivity disorder, combined presentation (6A05.2)«.
Um diesen drei Erscheinungsformen gleichermaßen gerecht zu werden, benutzen wir in diesem Buch die Abkürzung ADHS.
Die Feststellung eines ADHS sollte in sehr verantwortungsvoller Weise vorgenommen werden. Deswegen sollte die Diagnostik des Störungsbildes ADHS auf umfassende Weise erfolgen und nur von Kinder- und Jugendpsychiatern in Zusammenarbeit mit Psychologen oder besonders ausgebildeten Kinderärzten durchgeführt werden.
Zu einer aussagekräftigen Diagnostik gehört eine neurologische Untersuchung (einschließlich EEG), die Überprüfung der Fein- und Grobmotorik, die Erhebung der Anamnese und der störungsspezifischen Entwicklung des Kindes, eine umfassende Leistungsdiagnostik mit Überprüfung der intellektuellen Möglichkeiten sowie der Feststellung von eventuellen Teilleistungsstörungen. Eine testpsychologische Erfassung der emotionalen Situation des Kindes sowie ausreichende Kenntnis über die familiäre Situation, Erziehungskompetenzen der Eltern und Erhebung des schulischen Werdeganges der Kinder sind ebenso unabdingbar.
Mit diesem Buch möchten wir neben den Eltern besonders auch die Lehrer ansprechen.
Lehrer sind mit immer mehr »Problemkindern« in ihrem Schulalltag konfrontiert. Das Studium bereitete sie jedoch in Bezug auf die Problematik von ADHS-Kindern nicht einmal auf den pädagogischen Umgang mit deren vielfältigen Verhaltensproblemen vor. Ihre spezifischen Lernprobleme waren erst recht nicht Gegenstand der Lehrerausbildung. Somit bekommen Lehrer in ihrer Berufswirklichkeit viel aufgebürdet. Sie erleben sich oft »eingeklemmt« zwischen Lehrplänen und Lehrplanänderungen, der Begutachtung durch ihre Schulräte, der Konfrontation und Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Standpunkten der Eltern ihrer Schulkinder sowie der Erfüllung ihrer tagtäglichen Arbeit.
Mit diesem Buch möchten wir alle Personengruppen, die mit ADHS-Kindern umgehen, auf die Problematik Lernstörungen aufmerksam machen und erste Lösungsschritte aufzeigen, sowie zu deren Weiterentwicklung anregen.
Lehrern, Therapeuten und Pädagogen möchten wir den Blick für die Gefahrenstellen beim Lernen mit ADHS-Kindern schärfen. Die von uns dargestellten und erprobten Lerntipps sind als Beispiele zu verstehen, wie die notwendigen Grundprinzipien beim Lernen mit ADHS-Kindern umgesetzt werden können.
Die von uns entwickelten Lernmethoden beinhalten alle gerade in der Anfangszeit interaktive Momente, d. h. sie werden gemeinsam von Eltern und Kindern durchgeführt. ADHS-Kinder können schlecht selbständig lernen – dies ist eine Erfahrung, die insbesondere die Mütter bestätigen können. Lässt man ADHS-Kinder mit der Lern- oder Hausaufgabensituation alleine, passiert in der Regel relativ wenig. Um erfolgreich zu sein, müssen Lerntipps diese mangelnde Steuerungs- und Strukturierungsfähigkeit von ADHS-Kindern berücksichtigen und natürlich auch mithelfen, motivatonale Anreize durch die Interaktion zwischen Eltern und Kindern zu schaffen.
Wir verstehen unsere Lernhilfen für ADHS-Kinder als einen ersten Schritt. Ziel bleibt die Weiterentwicklung angemessener Lernmethoden (unter der Prämisse »weniger ist mehr«). Selbstverständlich sollten bei der Auswahl der Methoden immer das einzelne Kind und dessen Notwendigkeiten betrachtet werden.
Wir möchten zur Weiterentwicklung von Lernmethoden innerhalb des von uns aufgezeigten Rahmens anregen, aber auch stets kritisch hinterfragen, ob bei den jeweiligen Lernmethoden, die ja Mittel zum Zweck, d. h. zum Behalten und Beherrschen von neuem Lernstoff, sein sollen, dieser auch tatsächlich behalten wird. Analysieren wir gängige schulische und auch bei anderen Kindern bewährte Lernmethoden, so müssen wir gerade bei ADHS-Kindern immer wieder fragen, ob dieses Ziel erreicht wird.
Die Grundschule nimmt aus unserer Sicht eine herausragende Bedeutung für die Vermittlung eines »festen Fundamentes« in den Grundlagenfächern ein. Unserer Beobachtung nach sind die Erfahrungen der Kinder im Umgang mit den Grundfertigkeiten in Mathematik und Deutsch prägend für ihr Selbstkonzept im Leistungsbereich und ihre Lernmotivation und damit auch prägend im Hinblick auf den Erwerb von Fähigkeiten, die letztendlich die Bewältigung von komplexeren Aufgabenstellungen im weiteren schulischen und beruflichen Werdegang ermöglichen.
Mit diesem Buch möchten wir die Notwendigkeit der Kooperation aller mit ADHS-Kindern Betrauten unterstreichen. Besonders wichtig erscheint es uns, dass diese Kooperation schon im Grund- bzw. Primärschulbereich beginnt, da in dieser Phase meist die Weichen für die weitere schulische Laufbahn gestellt werden.
Unser Praxisalltag zeigt uns, dass es ohne die Zusammenarbeit zwischen Eltern, Lehrern und Therapeuten nicht geht:
• Unsere ADHS-Kinder möchten in der Schule besser werden,
• Lehrer und Lehrerinnen möchten in ihrer Arbeit erfolgreich sein und
• Eltern machen sich Gedanken über die Entwicklung ihrer Kinder und sind oftmals bereit, viel zu investieren und sich zu engagieren.
Uns geht es darum, gerade in Zeiten zunehmend begrenzter Gelder im Gesundheits-, aber auch im Bildungssystem, im Alltag die Ressourcen aller Beteiligten besser zu nutzen: Dies betrifft die Zeit, Energie und Motivation des betroffenen Kindes, die Bereitschaft der Eltern und das Bemühen der Lehrkräfte.
ADHS-Kinder stellen eine große Herausforderung an die pädagogische Kompetenz der Lehrkräfte dar. Die besonderen Lernvoraussetzungen der ADHS-Kinder könnten Anlass zur Reflexion über Lernmethoden sein. Diese Reflexion wiederum schärft die pädagogische Kompetenz. Wenn es gelingt, ADHS-Kinder zu Erfolgen zu führen, dann sicherlich erst recht nicht betroffene Kinder. Dies dürfte sowohl für einen angemessenen Umgang mit Auffälligkeiten und Defiziten im Verhaltensbereich als auch im Lernbereich gelten.
Mit dem Leitbegriff »Kompetenzorientierung« wird von kultuspolitischer Seite ein »neues« Verständnis von Bildung propagiert. Dabei wird Bildung als das Vermögen verstanden, Lernen selbst steuern und Probleme selbst lösen zu können, anstatt vorgegebene Lösungen zu wiederholen. Hierbei sollte jedoch bedacht werden, dass Kinder, bevor sie forschend und kreativ lernen und Probleme lösen können, zunächst einmal ihr Handwerkszeug, die Grundfertigkeiten, beherrschen müssen. Das Fundament im Sinne verlässlicher Basiskenntnisse und Kompetenzen in den Bereichen Deutsch, Mathematik und der Naturwissenschaften muss zuvor in solider Weise gefestigt worden sein. Darauf wird leider in unserem Schulsystem – besonders auch bei Kindern mit Schwächen – sehr häufig zu wenig geachtet.
Die Auswirkungen der Lernschwächen bzw. -störungen sind für den weiteren Lebensweg mindestens genauso ernst zu nehmen wie die Auswirkungen von Verhaltensstörungen. Eltern, Lehrer, Psychologen und Ärzte benötigen deswegen ein fundiertes Hintergrundwissen zum Thema Lernen, wenn sie ADHS-Kindern helfen möchten. Hierbei sind lernpsychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse vorrangig zu berücksichtigen.
Mit diesem Buch möchten wir den genannten Personengruppen eine Richtung, einen Rahmen vorgeben, auf welche Weise Lernen mit dem ADHS-Kind gestaltet werden kann. Ihrer eigenen Kreativität sind jedoch, wenn sie vor dem Hintergrund dieser Vorgaben reflektiert wird, keine Grenzen gesetzt. Mit den von uns aufgezeichneten Wegen haben wir viele gute Erfahrungen mit betroffenen Kindern und deren Eltern gemacht. Selbstverständlich ist immer im Einzelfall auszuprobieren, ob bestimmte Maßnahmen für das einzelne Kind passen und taugen. Führen sie zu Erfolgen, lohnt es sich, den gleichen Weg in konsequenter Weise weiter fortzuführen. Taugen sie nicht, gilt es Neues auszuprobieren und nicht nach dem Motto »mehr desselben« zu verfahren – d. h., was nicht funktioniert, sollte auch beiseitegelegt werden.
Ist schulisches Lernen erfolgreich, ist das toll! Dann nämlich taugt es. Sind jedoch Leistungsschwächen im bzw. durch schulisches Lernen entstanden, sollte man möglichst schnell die Lernmethoden und Vorgehensweisen überdenken, die zu den entsprechenden Defiziten geführt haben. Dies sollte stets vor dem Hintergrund des Wissens über die ADHS-Symptomatik, d. h. der besonderen Voraussetzungen dieser Kinder, geschehen. Dann gilt es neue Wege und Verfahren auszuprobieren, jedoch nicht wahllos. Neue Lernmethoden sollten stets auf der Grundlage der speziellen Möglichkeiten aber auch Grenzen der ADHS-Kinder sowie den grundsätzlichen Voraussetzungen beim Einprägeprozess ausgewählt werden.
Es sollte dabei nicht unbedingt den Vorgaben der Didaktik gefolgt werden. Häufig gründet sich die Didaktik ausschließlich auf fachtheoretische Inhalte und Strukturen und leitet daraus Postulate ab. Diese werden, wie es in der Schule oft die Regel ist, nicht vor ihrem Einsatz oder ihrer Umsetzung erprobt bzw. einer empirischen Überprüfung bei der Umsetzung unterzogen. Besonders ungünstig wirkt sich dabei aus, dass meist unberücksichtigt bleibt, wie das Gehirn des Schülers arbeitet.
Möglicherweise haben sie als Eltern, als Lehrer, als Psychologen oder Kinder- und Jugendpsychiater unterschiedliche Interessen, wenn sie dieses Buch lesen. Aus diesem Grunde haben wir uns bemüht, die mehr praxisorientierten Teile, d. h. die konkreten Lerntipps, die besonders für die Eltern interessant sind, am Seitenrand blau zu unterlegen. Ausführliche und zum Teil anspruchsvolle Erklärungsmodelle zu den einzelnen Fertigkeiten im Bereich Lesen, Schreiben, Rechnen sowie Überblicksdarstellungen zum aktuellen Wissensstand der entsprechenden Themen dürften besonders für Lehrer, Psychologen, Ärzte und Heilpädagogen interessant sein. Diese Teile haben wir weiß belassen.
Teil 1 liefert Ihnen theoretische und praktische Grundlagen zu den besonderen Voraussetzungen der ADHS-Kinder im Hinblick auf schulisches Lernen sowie Basiswissen zum Thema Informationsaufnahme, Vergessen und Behalten.
In Teil 2 finden Sie allgemeinere günstige Lerntipps für ADHS-Kinder, methodische Grundprinzipien, mögliche Hilfestellungen durch die Eltern, sowie Hinweise zur Lernsituation von ADHS-Kindern im Rahmen eines reformpädagogisch orientierten Unterrichts.
Teil 3 geht auf die Grundlagenfächer Rechnen, Lesen, Rechtschreibung, Aufsatzschreiben, die Lernfächer sowie das Fach Englisch ein. Zu jedem Fach liefern wir Ihnen hier aktuelles grundlegendes Hintergrundwissen sowie störungsspezifische Erklärungsmodelle, die dem neuesten Forschungsstand entsprechen. An die jeweils theoretischen Vorspanne schließen sich konkrete Lernhilfen für das jeweilige Fach an, die wir mithilfe von Abbildungen möglichst anschaulich dargestellt haben. Sie müssen also nicht das ganze Buch von vorne bis hinten studieren, sondern können bei Bedarf direkt zu den einzelnen für Sie relevanten Fächern übergehen und sich hier gezielte Anregungen heraussuchen. Zusätzlich haben wir in unserem Inhaltsverzeichnis die praxisbezogenen Abschnitte mit den allgemeinen Tipps zum Lernen und den konkreten Übungsmöglichkeiten blau unterlegt.
An dieser Stelle möchten wir den ADHS-Kindern und ihren Eltern danken, die wir nun seit circa 30 Jahren in Einzelgesprächen und in Trainingsgruppen betreuen. Von »unseren« ADHS-Kindern, aber auch von unseren eigenen Kindern Anja und Tommy sowie Johanna und Philipp, durften wir viel lernen.
Aufgrund der Möglichkeit, sie intensiv begleiten, beobachten, mit ihnen Neues ausprobieren zu können und sich über Erfolge und kleine Fortschritte gemeinsam freuen zu dürfen, ist ein fruchtbarer hoffnungsvoller Weg entstanden, der die Chancen erhöht, das Leben gut meistern zu können.
Unser Dank gilt ebenso den Lehrerinnen und Lehrern, mit denen eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelang.
Vorwort zur 12. Auflage
Geleitwort
Wie wird eine erfolgversprechende Behandlung des ADHS in der Praxis aussehen?
Einleitung
Ihr Wegweiser für dieses Buch
Teil I: Grundlagenwissen
Kapitel 1: Leistungs- und Lernprobleme bei ADHS-Kindern – Typische Beispiele
Kapitel 2: Besondere Leistungsprobleme bei ADHS-Kindern
1. Welche Besonderheiten sehen Sie als Eltern in der Lern- und Hausaufgabensituation Ihrer Kinder?
2. Was sieht die Lehrerin bzw. der Lehrer bei Ihrem Kind im Unterricht?
3. Was sehen Psychologen in Testverfahren in der Praxis?
4. Wie passt die Schulwirklichkeit zu der besonderen Ausgangssituation von ADHS-Kindern?
5. Zur aktuellen Forschungslage
Kapitel 3: Wie funktionieren Abspeicherprozesse?
1. Die Informationsaufnahme
2. Das Behalten
3. Vergessen ist leicht – Behalten ist schwer
4. Mit allen Sinnen lernen
Kapitel 4: Lernen aus der Sicht der aktuellen Gehirnforschung
1. Wie haben wir uns die so genannte neuronale Ebene in unserem Gehirn vorzustellen?
2. Wie ist unser Gedächtnis organisiert?
3. Wie sieht der Grundvorgang im Gehirn aus, der zum dauerhaften Behalten führt?
4. Wie funktioniert die Informationsweiterleitung auf neuronaler Ebene?
5. Wie wird aus dieser »flüchtigen« Signalweitergabe ein dauerhaftes Erinnern?
6. Was geschieht, wenn uns bestimmte Fertigkeiten, wie z. B. das Fahrradfahren, immer schneller und besser gelingen oder uns bestimmte Aufgabenlösungen sofort einfallen?
7. Wie sind die Ergebnisse der modernen Gehirnforschung zu bewerten, was bedeuten sie für unseren Lernprozess?
Kapitel 5: Lernprobleme von ADHS-Kindern – erläutert anhand des Einprägemodells
1. Auf die »Einstellung« kommt es an!
2. Die Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung von ADHS-Kindern
3. Zu viele Informationen im Arbeitsgedächtnis
4. Zu kurze Verweildauer im Arbeitsgedächtnis
5. Einmal gekonnt – reicht das aus?
6. Informationen müssen richtig eingeordnet und abgespeichert werden
Kapitel 6: Der Einfluss der Umwelt auf Lernschwächen – wie der »Teufelskreis« Lernstörungen entsteht
1. Fallbeispiel Lene
2. Fallbeispiel Paul
3. Das Teufelskreismodell
Kapitel 7: Grundüberlegungen bei der Entwicklung unserer Lernmethoden
Teil II: Allgemeine Tipps zum Lernen mit ADHS-Kindern
Kapitel 11: Reformpädagogisch orientierte Unterrichtskonzepte und ADHS-Kinder
1. Leitvorstellungen
2. Unterrichtskonzepte
3. Reformpädagogisch orientierte »alternative Schulformen«
4. Reformpädagogisch orientierte Lernmethoden bei Lernschwächen
5. Reformpädagogisches Gedankengut und das neue schulpädagogische Leitkonzept der »Kompetenzorientierung«
Teil III: Konkrete Lernstrategien für einzelne Schulfächer
Kapitel 12: Rechnen
1. Einleitung: Rechenstörung (Dyskalkulie) aus kinder- und jugendpsychiatrischer und pädagogischer Sicht
2. Wie lernen Kinder das Rechnen? – Phasen beim Erlernen der Grundfertigkeit Rechnen
3. Grundsätzliche Herangehensweise bei einer Rechenschwäche oder -störung
4. Wo liegen die größten Gefahrenstellen beim Erlernen der Rechenfertigkeiten? – Häufige Fehlstrategien von ADHS-Kindern
5. Vorüberlegungen für eine angemessene Vorgehensweise
12. Abschließende Gedanken
Kapitel 13: Lesen
1. Zur Lese-/Rechtschreibstörung aus psychologischer und kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht
2. Modelle des Leseprozesses – Was passiert eigentlich, wenn man liest?
3. Ziel im Leselernprozess
4. Erschwernisse im Leselernprozess – zur aktuellen Forschungslage
5. Zur Analyse des Erstleseunterrichts
6. Der Teufelskreis Leseschwäche bei ADHS-Kindern
Kapitel 14: Rechtschreibung
1. Zur Rechtschreibstörung aus psychologischer und kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht
2. Modelle des Rechtschreibprozesses
3. Ziele im Rechtschreiblernprozess
4. Erschwernisse im Rechtschreiblernprozess – zur aktuellen Forschungslage
5. Zur Analyse des Rechtschreibunterrichts
6. Fördermaßnahmen in der Diskussion – Zum Training von »Vorläuferfertigkeiten«
7. Eine kritische Reflexion der Hauptförderwege in der Rechtschreibung
8. Der Teufelskreis bei ADHS-Kindern im Bereich der Rechtschreibung
9. Gibt es hilfreiche Lernmethoden, die zu ADHS-Kindern passen?
11. Zusammenfassender Überblick
Kapitel 16: Die Lernfächer
1. Welche Hauptprobleme gibt es bei Lernfächern?
2. Ihr Kind kann nicht alles lernen
3. Wie sieht das ADHS-Lernverhalten in den Lernfächern aus?
Kapitel 17: Lernen im Fach Englisch
1. Grundlegende Vorüberlegungen
Schlusswort
Zwiegespräch Lernprobleme
Vier Grundregeln für ein dauerhaftes erfolgreiches Lernen
Literatur
Etwa 5 % aller Kinder in Deutschland sind von ADHS betroffen (vgl. AWMF 2017, S. 12). Dies sind ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Neben den bekannten Verhaltensproblemen führt die Kernsymptomatik des ADHS – nämlich die Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung, die erhöhte Impulsivität sowie die Hyperaktivitätsstörung – bei den Kindern auch zu erheblichen Lern- und Leistungsproblemen.
Genauso wie die Verhaltensprobleme, sind es ebenso die Lern- und Leistungsprobleme, die den weiteren Lebensweg des Kindes in entscheidender Weise mitbestimmen. ADHS-Kinder zeigen niedrigere Bildungsabschlüsse als nicht betroffene Gleichaltrige, brechen häufiger Lehrstellen ab und weisen Teilleistungsstörungen auf. Auch Leistungsprobleme führen zu psychischen Problemen im Kindes- und Jugendalter, die sich dann bis ins Erwachsenenalter fortsetzen und dort verfestigen können. Die Entwicklung kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
ADHS führt häufig zu Leistungsproblemen
• Leistungsprobleme führen mittel- bzw. langfristig häufig zu psychischen Problemen bzw. Verhaltensauffälligkeiten
• ADHS, Leistungsprobleme und psychische Probleme führen oft zu einer ausgeprägten Beeinträchtigung des Lebens- und Berufsweges
• Beeinträchtigungen des Lebens- und Berufsweges führen häufig zu psychischen Problemen
Max besucht die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule. In seinem Zeugnis ist folgendes zu lesen: »Max ist ein sehr aufgeweckter Schüler, der jedoch noch immer nicht in der Lage ist, dem Unterrichtsgeschehen gleichbleibend aufmerksam zu folgen. So meldete er sich nur selten, beschäftigte sich dafür aber ständig mit anderen Dingen, spielte, trieb Unfug und störte die Mitschüler in ihrer Konzentration. Wenn er einmal mitdachte, rief er seine Ergebnisse einfach in die Klasse […] Max beherrscht den Zehnerübergang noch nicht. Er bleibt auf Anschauungsmaterial angewiesen. Hier müsste mehr häusliche Übung erfolgen. Insgesamt müsste sich Max deutlich besser an die Regeln im Schulalltag, insbesondere auch auf dem Pausenhof und beim Sport, halten […] Max hat das Klassenziel gerade noch erreicht.«
Benjamin besucht die 2. Klasse der Grundschule. Benjamin ist verträumt, schaut in der Schule ständig in der Gegend herum, ist in seinem Arbeitstempo langsamer als die anderen Kinder und hat zudem noch eine sehr schlechte Schrift. Benjamins Lehrerin hat Zweifel, ob er das Klassenziel erreichen wird. Da Benjamin vermutlich »einfach unbegabt ist«, wird demnächst eine Testung zu Vorbereitung eines Schulwechsels in die Diagnose-Förderklasse bzw. Schule zur individuellen Lernförderung durchgeführt.
Florian besucht die 2. Klasse der Grundschule. Das Schuljahr ist fast zu Ende. Florian hat in der Schule jede Menge Probleme, Florians Mutter wird häufig zur Lehrerin zitiert, da Florian im Unterricht stört, spielt, oft in Auseinandersetzungen verwickelt ist und insgesamt sehr unruhig und impulsiv ist. Ein besonderes Problem ist das Lesen. Florian vermeidet sämtliche Leseanforderungen zuhause, während seine Klassenkameraden bereits Bücher verschlingen. Seine Mutter möchte gerne mit ihm Lesen üben, dies ist jedoch für alle Beteiligten eine Qual und mit viel Protest und Tränen verbunden. So findet das Üben nur gelegentlich statt. Seine Mutter berichtet, dass Florian sich von Anfang an beim Lesenlernen sehr schwergetan habe. So sei ihr aufgefallen, dass er manchmal Wörter gelesen habe, die überhaupt nicht im Text gestanden hätten. Endungen oder Silben habe er häufig weggelassen. Jetzt sei sein Lesen sehr holprig, viele Wörter müsste er sich noch Buchstabe für Buchstabe erlesen, die Betonung sei sehr schlecht. Nun bekommt Florian auch Schwierigkeiten mit den ersten kleinen Textaufgaben, da er zu langsam liest. An freiwilliges Lesen ist überhaupt nicht zu denken. Florians Lehrerin beruhigt in diesem Punkt die Mutter: »Das wird schon, der Knoten wird schon noch platzen…«.
Katrin besucht die 3. Klasse der Grundschule. Sie ist ruhig, eher schüchtern, häufig verträumt. Katrin hat Schwierigkeiten im Rechnen. Trotz dieses Umstandes ist sie immer noch fleißig und übt mit ihrer Mutter und mit der Unterstützung der Lehrerin viel. Im Bereich der Subtraktion und Addition im Hunderterraum unterlaufen Katrin viele Fehler. Das Prinzip des Zerlegens hat Katrin offenbar nicht begriffen. Auch die Einmaleinsaufgaben beherrscht Katrin nur unzureichend, ihre Strategie des inneren Hochzählens dauert zu lange. Katrin ist im Kopfrechnen sehr schlecht, was sie sehr frustriert. Die ersten kleinen Textaufgaben hasst Katrin. Sie überfliegt die Aufgabenstellung, greift sich einzelne Zahlen heraus, verknüpft diese nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Geschriebene Zahlwörter werden überlesen. Ein systematisches Vorgehen findet nicht statt. Es fällt ihr schwer, überhaupt eine Fragestellung zur Textaufgabe zu formulieren. Katrins Lehrerin rät der Mutter: »Katrin braucht noch mehr Anschauungsmaterial. Vielleicht wäre es günstig, einen langen Zahlenstrahl in Katrins Zimmer aufzuhängen, damit Katrin den Zahlenraum bis Hundert erst einmal richtig begreifen lernt.« Katrin ist sehr traurig über ihr ständiges Versagen und entwickelt zunehmend Angst vor jeder Form von Mathematikaufgaben.
Julian besucht die 4. Grundschulklasse. Julian tut sich mit dem Schreiben sehr schwer. Seine Schrift ist krakelig. Während des Unterrichtes ist er sehr unruhig, spielt mit allem, was ihm in die Hände kommt und steht auch manchmal einfach auf. In der Rechtschreibung macht er viele Fehler. Julians Lehrerin rät: »Sprich das Wort beim Schreiben mit, schreibe das Wort so, wie du es hörst.« Sie kopiert viele Arbeitsvorlagen für Julians Mutter. Auf dem Arbeitsblatt »So kannst du für die Nachschrift üben« finden sich 25 verschiedene Methoden, unter anderem sollen die Wörter aufgebaut, Wortkästchen gezeichnet, in Geheimschrift geschrieben, die Lernwörter nach der Anzahl der Buchstaben geordnet werden… Julians Mutter versucht wenigstens, ihm die Nachschriften viermal in der Woche zu diktieren. Es ist immer ein Kampf. In diesen Nachschriften zeigt Julian schwankende Leistungen. Die gleichen Wörter werden einmal richtig und dann wieder falsch geschrieben. Bei unbekannten Diktaten hat Julian grundsätzlich eine Fünf oder eine Sechs. Julian verweigert sich immer mehr und ist kaum noch zum Üben zu bewegen. Die Mutter macht sich große Sorgen: »Hat Julian vielleicht eine Legasthenie?«
Philipp besucht die 4. Klasse der Grundschule. Philipp ist in seiner Klasse bereits in eine Außenseiterposition gerutscht, da er sich ständig mit jedem anlegt, zum Teil recht aggressiv reagiert und den Unterricht permanent stört. Geht es auf 13.00 Uhr zu, steigt die Anspannung bei seiner Mutter. Sie fürchtet den täglichen Hausaufgabenkrieg, der sie wieder erwarten wird. Philipp tut alles, um den Beginn der Hausaufgaben hinauszuzögern. Damit Philipp überhaupt arbeitet, muss seine Mutter täglich neben ihm sitzen. Die Hausaufgaben ziehen sich in der Regel über den ganzen Nachmittag hin. Versucht Philipps Mutter, ihn auf einen Fehler hinzuweisen, so flippt er sofort aus. Philipp redet ununterbrochen und versucht, seine Mutter in Gespräche und Diskussionen zu verwickeln. Kommt Philipps Vater gegen 17.00 Uhr nach Hause, ist seine Frau mit ihren Nerven völlig am Ende und die Hausaufgaben sind nur unvollständig erledigt. An zusätzliches Lernen ist so verständlicherweise nicht zu denken.
Tim besucht den 5. Jahrgang der Mittelschule. Seine Leistungen liegen oft an der Grenze zum unterdurchschnittlichen Bereich. Tim zeigt in den Sachfächern großes Interesse, doch es mangelt ihm an Lernwillen, Fleiß und Durchhaltevermögen. Nach Auskunft der Lehrerin möchte Tim zwar gute Ergebnisse erzielen, doch möglichst ohne persönliche Anstrengung. Stehe Tim vor Problemen und dies betreffe insbesondere den Fachunterricht, blockiere er sofort, arbeite nicht oder nur zögernd und beleidigt mit. Trotzt mehrmaligen Nachfragens und häufigen Ermahnens erfährt Tims Mutter immer nur zufällig über die Mutter eines Mitschülers, wann wieder einmal eine Klassenarbeit geschrieben wurde. Tim trägt grundsätzlich die mitgeteilten Testtermine nicht in sein Hausaufgabenheft ein und weiß diese nicht, so dass eine Vorbereitung für die Klassenarbeiten gar nicht stattfinden kann. Außerdem ist Tim der Meinung, dass zusätzlich zu den schriftlichen Hausaufgaben, die er in kürzester Zeit erledigt hat, nichts weiter für die Schule zu lernen sei. So verabredet er sich schnellstmöglich mit den Worten: »Wir haben nichts mehr auf, keiner lernt etwas zusätzlich, ich bin fertig.«
Peter besucht die 6. Klasse der Mittelschule. In einem Kurzgutachten über ihn ist zu lesen, dass Peter Fehlverhalten immer bei anderen suche, sich stets als Opfer erlebe und nie eine Schwäche, eine Schuld eingestehe. Er wirke uneinsichtig und unbelehrbar. Peter sei extrem schnell abgelenkt, könne unwichtige Einzelheiten schlecht aussortieren und es falle ihm schwer, sich auf eine einzelne Sache zu konzentrieren. Auch rufe er im Unterricht häufig dazwischen, äußere abwertende Kommentare zu den Antworten der Mitschüler, greife andere Mitschüler bisweilen verbal an und verhalte sich rücksichtslos, unkameradschaftlich und neige zu Affekten. Es falle ihm äußerst schwer, still zu sitzen, Beine, Hände und Mund seien dauernd in Bewegung. Schreibutensilien, Lineale, Papiere und andere Gegenstände würden als Spielzeug benutzt. Peter besteht darauf, dass sich seine Eltern möglichst wenig in schulische Angelegenheiten einmischen. Peters Mutter fragt ihn immer mal wieder, ob sie ihn in Geschichte, Erdkunde oder Biologie abfragen solle. »Kann ich schon!« ist Peters Standardantwort. Die Leistungen in den schriftlichen Abfragen, aber auch die mündlichen Noten in den Nebenfächern sind häufig unterdurchschnittlich. Leert Peters Mutter einmal seine Schultasche aus, findet sie ein Durcheinander von Arbeitsblättern, die Peter offensichtlich nicht abgeheftet hat. Auch im Englischen gibt es wie in der deutschen Rechtschreibung Probleme. Betrachtet man die schriftlichen Abfragen der Vokabeln, ist deutlich, dass Peter nach dem Gehör schreibt (z. B. »jelau« statt »yellow«). Das Vokabellernen stellt für Peter eine Riesenbelastung dar, da die Lehrerin in bestimmten Abständen immer wieder einmal 20–25 neue Vokabeln zu lernen aufgibt, dies allerdings erst für den übernächsten Tag. Peters schriftliche Leistungen im Fach Englisch liegen im mangelhaften Bereich. Es scheint sich zu bestätigen, dass Peter offensichtlich eine Teilleistungsschwäche in der Rechtschreibung hat, dies nicht nur im Deutschen, sondern auch in der Fremdsprache.
Lisa besucht die 7. Klasse der Realschule. Trotz ihrer ADHS-Problematik waren die Leistungen in der Grundschule dank intensiver Unterstützung ihrer Eltern gut. Seit Lisa in der Pubertät ist, geht überhaupt nichts mehr. Lisas Motivation ist gleich null, die Leistungen werden immer schlechter, Defizite vor allem in den Hauptfächern werden immer größer. Am Ende des Schuljahres wird Lisa vermutlich die Realschule verlassen müssen. Sie hat einfach »keinen Bock mehr auf Schule«.
Kinder mit ADHS haben deutlich häufiger Leistungsprobleme als Gleichaltrige ohne ADHS.
• nicht jedes Kind mit Leistungsproblemen ADHS hat, und
• nicht jedes Kind mit ADHS Leistungsprobleme hat.
Neben der Primärsymptomatik, d. h. der Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung, der Hyperaktivität sowie der Impulsivität, gibt es eine Vielzahl anderer Probleme, die bei Kindern mit ADHS zusätzlich auftreten können (vgl. AWMF 2017, S. 26). ADHS-Kinder haben eine größere Wahrscheinlichkeit, kognitive Schwierigkeiten und Entwicklungsverzögerungen aufzuweisen, Verhaltensprobleme zu zeigen, emotionale Probleme und auch »akademische« Schwierigkeiten zu besitzen. Ihr Fortkommen in unserem Schulsystem ist schwieriger als bei anderen Kindern. Auch medizinische Komplikationen finden sich gehäuft bei ADHS-Kindern.
Kinder mit ADHS erleben die Hausaufgabensituation als besonders unangenehm und anstrengend. Nach einem langen Schulvormittag müssen sie sich noch einmal konzentrieren. Dies ist aufgrund der gegenüber Gleichaltrigen geringeren Aufmerksamkeitsspanne sehr schwierig. Das Ausmaß an Ablenkbarkeit ist hoch, d. h. das Klingeln des Telefons, der Vogel, der auf dem Baum zwitschert oder das Playmobil-Männchen, das auf dem Schreibtisch liegt, sind willkommene Ablenkungen. Die Motivation ist bei den »langweiligen« Inhalten reduziert. Durch häufige Fehler steigt die Frustration.
Das Lesen