Lessing: Nathan der Weise (Novelaris Klassik) - Gotthold Ephraim Lessing - E-Book

Lessing: Nathan der Weise (Novelaris Klassik) E-Book

Gotthold Ephraim Lessing

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Beschreibung

Im Jerusalem der Kreuzzüge treffen die Vertreter von drei Weltreligionen Im Hause des Sultans aufeinander: Der reiche jüdische Kaufmann Nathan, ein christlicher Tempelritter und der Sultan selbst. Ihre Gespräche über Religion führen zu immer neuen überraschenden Wendungen und Einsichten. Die dramatische Zuspitzung der Diskussionen erreicht ihren Höhepunkt, als Sultan Saladin von Nathan Antwort auf die Frage nach der „wahren“ Religion verlangt. Nathan antwortet mit der berühmten Parabel von den drei Ringen, mit der er für gegenseitigen Respekt und religiöse Toleranz plädiert. Mit "Nathan der Weise" schuf Gotthold Ephraim Lessing 1779 ein Hauptwerk der Aufklärung. Das in Blankversen verfasstes Theaterstück verbindet philosophische Tiefe mit dramatischer Spannung – ein Meisterwerk, das die Kraft der Vernunft gegen Fanatismus und Hass setzt.

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Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise

Copyright © 2024 Novelaris Verlag

1. Auflage

ISBN: 978-3-68931-141-4

Inhaltsverzeichnis

Personen

ERSTER AUFZUG

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

ZWEITER AUFZUG

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

DRITTER AUFZUG

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

Neunter Auftritt

Zehnter Auftritt

VIERTER AUFZUG

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Achter Auftritt

FÜNFTER AUFZUG

Erster Auftritt

Zweiter Auftritt

Dritter Auftritt

Vierter Auftritt

Fünfter Auftritt

Sechster Auftritt

Siebenter Auftritt

Letzter Auftritt

Cover

Table of Contents

Text

Personen

Sultan Saladin

Sittah, dessen Schwester

Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem

Recha, dessen angenommene Tochter

Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden,

als Gesellschafterin der Recha

Ein junger Tempelherr

Ein Derwisch

Der Patriarch von Jerusalem

Ein Klosterbruder

Ein Emir

nebst verschiednen Mamelucken des Saladin

Die Szene ist in Jerusalem

ERSTER AUFZUG

Erster Auftritt

(Szene: Flur in Nathans Hause.)

Nathan von der Reise kommend. Daja ihm entgegen.

Daja.

Er ist es! Nathan! – Gott sei ewig Dank,

Daß Ihr doch endlich einmal wiederkommt.

Nathan.

Ja, Daja; Gott sei Dank! Doch warum endlich?

Hab ich denn eher wiederkommen wollen?

Und wiederkommen können? Babylon

Ist von Jerusalem, wie ich den Weg,

Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin

Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;

Und Schulden einkassieren, ist gewiß

Auch kein Geschäft, das merklich födert, das

So von der Hand sich schlagen läßt.

Daja. O Nathan,

Wie elend, elend hättet Ihr indes

Hier werden können! Euer Haus …

Nathan. Das brannte.

So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,

Daß ich nur alles schon vernommen habe!

Daja.

Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.

Nathan.

Dann, Daja, hätten wir ein neues uns

Gebaut; und ein bequemeres.

Daja. Schon wahr! –

Doch Recha wär’ bei einem Haare mit

Verbrannt.

Nathan. Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –

Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte

Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt

Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!

Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!

Heraus nur! – Töte mich: und martre mich

Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.

Daja. Wenn sie

Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?

Nathan.

Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!

O meine Recha!

Daja. Eure? Eure Recha?

Nathan.

Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte,

Dies Kind mein Kind zu nennen!

Daja. Nennt Ihr alles,

Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte

Das Eure?

Nathan. Nichts mit größerm! Alles, was

Ich sonst besitze, hat Natur und Glück

Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein

Dank ich der Tugend.

Daja. O wie teuer laßt

Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!

Wenn Güt’, in solcher Absicht ausgeübt,

Noch Güte heißen kann!

Nathan. In solcher Absicht?

In welcher?

Daja. Mein Gewissen …

Nathan. Daja, laß

Vor allen Dingen dir erzählen …

Daja. Mein

Gewissen, sag ich …

Nathan. Was in Babylon

Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.

So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe

Für Recha selbst kaum einen schönern mit.

Daja.

Was hilft’s? Denn mein Gewissen, muß ich Euch

Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.

Nathan.

Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,

Wie Ring und Kette dir gefallen werden,

Die in Damaskus ich dir ausgesucht:

Verlanget mich zu sehn.

Daja. So seid Ihr nun!

Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!

Nathan.

Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!

Daja.

Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht

Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?

Und doch …

Nathan. Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,

Das willst du sagen?

Daja. Was ich sagen will,

Das wißt Ihr besser.

Nathan. Nun so schweig!

Daja. Ich schweige.

Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,

Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –

Nicht kann, – komm’ über Euch!

Nathan. Komm’ über mich! –

Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,

Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn,

Daß ich gekommen bin?

Daja. Das frag ich Euch!

Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.

Noch malet Feuer ihre Phantasie

Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,

Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger

Als Tier, bald mehr als Engel.

Nathan. Armes Kind!

Was sind wir Menschen!

Daja. Diesen Morgen lag

Sie lange mit verschloßnem Aug’, und war

Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!

Da kommen die Kamele meines Vaters!

Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem

Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,

Dem seines Armes Stütze sich entzog,

Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort’ hinaus!

Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –

Was Wunder! ihre ganze Seele war

Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –

Nathan. Bei ihm?

Bei welchem Ihm?

Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer

Sie rettete.

Nathan. Wer war das? wer? – Wo ist er?

Wer rettete mir meine Recha? wer?

Daja.

Ein junger Tempelherr, den, wenig Tage

Zuvor, man hier gefangen eingebracht,

Und Saladin begnadigt hatte.

Nathan. Wie?

Ein Tempelherr, dem Sultan Saladin

Das Leben ließ? Durch ein geringres Wunder

War Recha nicht zu retten? Gott!

Daja. Ohn’ ihn,

Der seinen unvermuteten Gewinst

Frisch wieder wagte, war es aus mit ihr.

Nathan.

Wo ist er, Daja, dieser edle Mann? –

Wo ist er? Führe mich zu seinen Füßen.

Ihr gabt ihm doch vors erste, was an Schätzen

Ich euch gelassen hatte? gabt ihm alles?

Verspracht ihm mehr? weit mehr?

Daja. Wie konnten wir?

Nathan.

Nicht? nicht?

Daja. Er kam, und niemand weiß woher.

Er ging, und niemand weiß wohin. – Ohn’ alle

Des Hauses Kundschaft, nur von seinem Ohr

Geleitet, drang, mit vorgespreiztem Mantel,

Er kühn durch Flamm’ und Rauch der Stimme nach,

Die uns um Hilfe rief. Schon hielten wir

Ihn für verloren, als aus Rauch und Flamme

Mit eins er vor uns stand, im starken Arm

Empor sie tragend. Kalt und ungerührt

Vom Jauchzen unsers Danks, setzt seine Beute

Er nieder, drängt sich unters Volk und ist

Verschwunden!

Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.

Daja.

Nachher die ersten Tage sahen wir

Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln,

Die dort des Auferstandnen Grab umschatten.

Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte,

Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch

Die fromme Kreatur zu sehen, die

Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank

Zu seinen Füßen ausgeweinet.

Nathan. Nun?

Daja.

Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub;

Und goß so bittern Spott auf mich besonders …

Nathan. Bis dadurch abgeschreckt …

Daja. Nichts weniger!

Ich trat ihn je den Tag von neuem an;

Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen.

Was litt ich nicht von ihm! Was hätt’ ich nicht

Noch gern ertragen! – Aber lange schon

Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen,

Die unsers Auferstandnen Grab umschatten;

Und niemand weiß, wo er geblieben ist.

Ihr staunt? Ihr sinnt?

Nathan. Ich überdenke mir,

Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl

Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht

Von dem zu finden, den man hochzuschätzen

Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen,

Und doch so angezogen werden; – Traun,

Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken,

Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll.

Oft siegt auch keines; und die Phantasie,

Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer,

Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald

Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! –

Das letztere, verkenn ich Recha nicht,

Ist Rechas Fall: sie schwärmt.

Daja. Allein so fromm,

So liebenswürdig!

Nathan. Ist doch auch geschwärmt!

Daja.

Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt,

Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr

Kein irdischer und keines irdischen;

Der Engel einer, deren Schutze sich

Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern

Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke,

In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer,

Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr

Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß?

Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn,

In dem sich Jud’ und Christ und Muselmann

Vereinigen; – so einen süßen Wahn!

Nathan.

Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh;

Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. –

Sodann such ich den wilden, launigen

Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt,

Hienieden unter uns zu wallen; noch

Beliebt, so ungesittet Ritterschaft

Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.

Daja.

Ihr unternehmet viel.

Nathan. Macht dann

Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: –

Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist

Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel –

So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen,

Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?

Daja.

Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm!

Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.

Zweiter Auftritt

Recha und die Vorigen.

Recha.

So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater?

Ich glaubt’, Ihr hättet Eure Stimme nur

Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge,

Für Wüsten, was für Ströme trennen uns

Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr,

Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen?

Die arme Recha, die indes verbrannte!

Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht!

Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!

Nathan.

Mein Kind! mein liebes Kind!

Recha. Ihr mußtet über

Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer

Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich

Um Euch gezittert, eh’ das Feuer mir

So nahe kam! Denn seit das Feuer mir

So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben

Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid

Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht

Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott,

Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen

Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel

Die ungetreuen Ström’ hinüber. Er,

Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar

Auf seinem weißen Fittiche, mich durch

Das Feuer trüge –

Nathan. (Weißem Fittiche!

Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel

Des Tempelherrn.)

Recha. Er sichtbar, sichtbar mich

Durchs Feuer trüg’, von seinem Fittiche

Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel

Von Angesicht zu Angesicht gesehn;

Und meinen Engel.

Nathan. Recha wär’ es wert;

Und würd’ an ihm nichts Schönres sehn, als er

An ihr.

Recha(lächelnd).

Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem?

Dem Engel, oder Euch?

Nathan. Doch hätt’ auch nur

Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich

Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte

Für dich ein Engel sein. Er müßt’ und würde.

Recha.

Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher;

Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr,

Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind,

Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben,

Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt?

Ich lieb ihn ja.

Nathan. Und er liebt dich; und tut

Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder;

Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit

Für euch getan.

Recha. Das hör ich gern.

Nathan. Wie? weil

Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge,

Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr

Gerettet hätte: sollt’ es darum weniger

Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist,

Daß uns die wahren, echten Wunder so

Alltäglich werden können, werden sollen.

Ohn’ dieses allgemeine Wunder, hätte

Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je

Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte,

Die gaffend nur das Ungewöhnlichste,

Das Neuste nur verfolgen.

Daja(zu Nathan). Wollt Ihr denn

Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn

Durch solcherlei Subtilitäten ganz

Zersprengen?

Nathan. Laß mich! – Meiner Recha wär’

Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch

Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder

Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder!

Denn wer hat schon gehört, daß Saladin

Je eines Tempelherrn verschont? daß je

Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden

Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit

Mehr als den ledern Gurt geboten, der

Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?

Recha.

Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben

War das kein Tempelherr; er schien es nur. –

Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders

Als zum gewissen Tode nach Jerusalem;

Geht keiner in Jerusalem so frei

Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig

Denn einer retten können?

Nathan. Sieh! wie sinnreich.

Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja

Von dir, daß er gefangen hergeschickt

Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.

Daja.

Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt

Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn

Begnadigt, weil er seiner Brüder einem,

Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe.

Doch da es viele zwanzig Jahre her,

Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß,

Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: –

So klingt das ja so gar – so gar unglaublich,

Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.

Nathan.

Ei, Daja! Warum wäre denn das so

Unglaublich? Doch wohl nicht – wie’s wohl geschieht –

Um lieber etwas noch Unglaublichers

Zu glauben? – Warum hätte Saladin,

Der sein Geschwister insgesamt so liebt,

In jüngern Jahren einen Bruder nicht

Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen

Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist

Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt

Das Nämliche nicht mehr das Nämliche?

Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche?

Ei freilich, weise Daja, wär’s für dich

Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur

Bedürf … verdienen, will ich sagen, Glauben.

Daja.

Ihr spottet.

Nathan. Weil du meiner spottest. – Doch

Auch so noch, Recha, bleibet deine Rettung

Ein Wunder, dem nur möglich, der die strengsten

Entschlüsse, die unbändigsten Entwürfe

Der Könige, sein Spiel – wenn nicht sein Spott –

Gern an den schwächsten Fäden lenkt.

Recha. Mein Vater!

Mein Vater, wenn ich irr, Ihr wißt, ich irre

Nicht gern.

Nathan. Vielmehr, du läßt dich gern belehren.

Sieh! eine Stirn, so oder so gewölbt;

Der Rücken einer Nase, so vielmehr

Als so geführet; Augenbraunen, die

Auf einem scharfen oder stumpfen Knochen

So oder so sich schlängeln; eine Linie,

Ein Bug, ein Winkel, eine Falt’, ein Mal,

Ein Nichts, auf eines wilden Europäers

Gesicht: – und du entkommst dem Feu’r, in Asien!

Das wär’ kein Wunder, wundersücht’ges Volk?

Warum bemüht ihr denn noch einen Engel?

Daja.

Was schadet’s – Nathan, wenn ich sprechen darf –

Bei alledem, von einem Engel lieber

Als einem Menschen sich gerettet denken?

Fühlt man der ersten unbegreiflichen

Ursache seiner Rettung nicht sich so

Viel näher?

Nathan. Stolz! und nichts als Stolz! Der Topf

Von Eisen will mit einer silbern Zange

Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst

Ein Topf von Silber sich zu dünken. – Pah! –

Und was es schadet, fragst du? was es schadet?

Was hilft es? dürft’ ich nur hinwieder fragen. –

Denn dein »Sich Gott um so viel näher fühlen«

Ist Unsinn oder Gotteslästerung. –

Allein es schadet; ja, es schadet allerdings. –

Kommt! hört mir zu. – Nicht wahr? dem Wesen, das

Dich rettete, – es sei ein Engel oder

Ein Mensch, – dem möchtet ihr, und du besonders,

Gern wieder viele große Dienste tun? –

Nicht wahr? – Nun, einem Engel, was für Dienste,

Für große Dienste könnt ihr dem wohl tun?

Ihr könnt ihm danken; zu ihm seufzen, beten;

Könnt in Entzückung über ihn zerschmelzen;

Könnt an dem Tage seiner Feier fasten,

Almosen spenden. – Alles nichts. – Denn mich

Deucht immer, daß ihr selbst und euer Nächster

Hierbei weit mehr gewinnt, als er. Er wird

Nicht fett durch euer Fasten; wird nicht reich

Durch eure Spenden; wird nicht herrlicher

Durch eu’r Entzücken; wird nicht mächtiger

Durch eu’r Vertraun. Nicht wahr? Allein ein Mensch!

Daja.

Ei freilich hätt’ ein Mensch, etwas für ihn

Zu tun, uns mehr Gelegenheit verschafft.

Und Gott weiß, wie bereit wir dazu waren!

Allein er wollte ja, bedurfte ja

So völlig nichts; war in sich, mit sich so

Vergnügsam, als nur Engel sind, nur Engel

Sein können.

Recha. Endlich, als er gar verschwand …

Nathan.

Verschwand? – Wie denn verschwand? – Sich untern Palmen

Nicht ferner sehen ließ? – Wie? oder habt

Ihr wirklich schon ihn weiter aufgesucht?

Daja.

Das nun wohl nicht.

Nathan. Nicht, Daja? nicht? – Da sieh

Nun was es schad’t! – Grausame Schwärmerinnen!

Wenn dieser Engel nun – nun krank geworden! …

Recha.

Krank!

Daja. Krank! Er wird doch nicht!

Recha. Welch kalter Schauer

Befällt mich! – Daja! – Meine Stirne, sonst

So warm, fühl! ist auf einmal Eis.

Nathan. Er ist

Ein Franke, dieses Klimas ungewohnt;

Ist jung; der harten Arbeit seines Standes,

Des Hungerns, Wachens ungewohnt.

Recha. Krank! krank!

Daja.

Das wäre möglich, meint ja Nathan nur.

Nathan.

Nun liegt er da! hat weder Freund, noch Geld

Sich Freunde zu besolden.

Recha. Ah, mein Vater!

Nathan.

Liegt ohne Wartung, ohne Rat und Zusprach’,

Ein Raub der Schmerzen und des Todes da!

Recha.

Wo? wo?

Nathan. Er, der für eine, die er nie

Gekannt, gesehn – genug, es war ein Mensch

Ins Feu’r sich stürzte …

Daja. Nathan, schonet ihrer!

Nathan.

Der, was er rettete, nicht näher kennen,

Nicht weiter sehen mocht’, – um ihm den Dank

Zu sparen …

Daja. Schonet ihrer, Nathan!

Nathan. Weiter

Auch nicht zu sehn verlangt’, – es wäre denn,

Daß er zum zweitenmal es retten sollte –

Denn g’nug, es ist ein Mensch …

Daja. Hört auf, und seht!

Nathan.

Der, der hat sterbend sich zu laben, nichts

Als das Bewußtsein dieser Tat!

Daja. Hört auf!

Ihr tötet sie!

Nathan. Und du hast ihn getötet! –

Hättst so ihn töten können. – Recha! Recha!

Es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche.

Er lebt! – komm zu dir! – ist auch wohl nicht krank:

Nicht einmal krank!

Recha. Gewiß? – nicht tot? nicht krank?

Nathan.

Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier

Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber,

Wieviel andächtig schwärmen leichter, als

Gut handeln ist? wie gern der schlaffste Mensch

Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt –

Um nur gut handeln nicht zu dürfen?

Recha. Ah,

Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha doch

Nie wiederum allein! – Nicht wahr, er kann

Auch wohl verreist nur sein? –

Nathan. Geht! – Allerdings. –

Ich seh, dort mustert mit neugier’gem Blick

Ein Muselmann mir die beladenen

Kamele. Kennt Ihr ihn?

Daja. Ha! Euer Derwisch.

Nathan.

Wer?

Daja. Euer Derwisch; Euer Schachgesell!

Nathan.

Al-Hafi? das Al-Hafi?

Daja. Itzt des Sultans

Schatzmeister.

Nathan. Wie? Al-Hafi? Träumst du wieder?

Er ist’s! – wahrhaftig, ist’s! – kömmt auf uns zu.

Hinein mit Euch, geschwind! – Was werd ich hören!