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Inga lebt im Paradies und von außen betrachtet müsste sie rundum glücklich sein in ihrem Haus am Meer. Aber in ihrem Bauch fühlt es sich manchmal eher so an, als wäre dort hoher Seegang. Was ist das, was sie immer wieder unruhig werden lässt? Da ist nicht nur ein großes Fernweh, das sie auf alle Kontinente unseres Planeten zieht, sondern auch eine quälende Sehnsucht. Aber wonach sehnt sich Inga insgeheim? Um das herauszufinden, folgt sie dem Ruf ihrer Intuition und tritt erneut eine Reise an. Ihr Herz führt sie nach Indonesien und Afrika, wo sie vielen ihrer Lieblingstiere begegnet und in ihnen immer wieder einen Spiegel für sich selbst entdeckt. Nie hätte sie gedacht, dass unter all den Begegnungen mit den imposantesten Tieren der Welt ein Schmetterling derjenige sein würde, bei dem sie genau das finden sollte, wonach sie sich ihr Leben lang gesehnt hatte. Die hochsensible Autorin Inga Delonga erzählt in ihrem zweiten Ratgeberroman auf fantasievolle und emotionale Art und Weise, wie sie mit ihrem Trauma als alleingeborener Zwilling umgeht und damit ihren Frieden schließt.
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Seitenzahl: 252
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Widmung
Vorwort
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Nachwort
Danke
Kurzbiografien
In diesem Band widme ich eine ganz besondere Geschichte zwei ganz besonderen Menschen, die vor ein paar Jahren zwei große Verluste erlitten haben und diese Narben nun seitdem auf ihren Herzen mit sich herumtragen. Ihr traumatisches Erlebnis hat mich tief berührt und deswegen haben sie mich zu einer sehr intensiven, aber unglaublich wertvollen Geschichte in diesem Buch bewegt.
Erst viele Wochen später habe ich verstanden, wie sehr ich diese Geschichte auch für mich ganz persönlich geschrieben habe. In ihr umarmen sich zwei Charaktere, die beide zu gleichen Teilen in mir wohnen: zum einen dieser stolze, kraftvolle, aber auch verletzliche Löwe, der all seinen Schmerz, seine Hilflosigkeit und seine Traurigkeit aus sich herausbrüllt, und zum anderen die weise, liebevolle und einfühlsame Löwin, die es vermag, bedingungslos ihrem Gegenüber Trost zu spenden und Zuversicht zu vermitteln. Die da ist, wenn die für sie wichtigen Lebensgefährten Hilfe benötigen und die für andere stark sein kann.
Allein über diese Geschichte habe ich erkannt, dass ich mein Leben besser meistern kann, wenn ich diese beiden Charaktere eins werden lasse - ein sich stützendes und stärkendes Paar. Der eine Teil ist ohne den anderen Teil unvollständig und in ihrer Einheit können sie alles meistern.
Und ich wünsche mir so sehr, dass auch die zwei Menschen, für die ich diese bedeutende Geschichte ursprünglich geschrieben habe, den Teil in sich finden oder erkennen, der ihnen ihren inneren Frieden zurückgibt und der sie wieder vervollständigt.
Ihr habt es so unendlich verdient!
„Das Glück ist wie ein Schmetterling. Will man es einfangen, so entwischt es einem immer wieder. Doch wenn Du geduldig abwartest, lässt es sich vielleicht von selbst auf Deiner Hand nieder.“
(Nathaniel Hawthorne)
Genauso wie die Worte von Nathaniel Hawthorne es beschreiben war es für mich in meinem Leben. Ich bin ständig dem inneren Glück wie einem flatternden Schmetterling hinterhergejagt, ohne es wirklich länger festhalten zu können oder ohne es überhaupt zu erhaschen. Seit ich denken kann steckt in mir eine unendliche Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach Liebe, nach Nähe, nach Geborgenheit, nach Zuneigung, nach Aufmerksamkeit und nach Anerkennung. All das kennen viele von Euch bestimmt auch. Aber meine Sehnsucht konnte selten gestillt werden. Sie brannte weiter lichterloh in meinem Herzen und so war ich ständig auf der Suche nach der einen Sache oder dem einen Menschen, der mir inneren Frieden schenken konnte.
Oft bin ich daran verzweifelt, weil es mir nicht gelungen war, egal, was ich alles probiert und wo ich überall danach gesucht hatte. Ich habe auch viele Male an mir gezweifelt und mich verbittert gefragt, warum ich nie zufrieden sein kann mit all dem, was ich bereits habe. Mir ging es doch von außen betrachtet gut! Ich hatte alles, was man sich nur wünschen konnte. Warum fehlte da immer etwas? Und was war das, was mir fehlte?
Ich konnte es nicht verstehen, bis ich angefangen habe, nicht mehr im Außen dem Glück nachzujagen, sondern in mir selbst danach zu forschen. Ich habe also meine Perspektive verändert, habe mich um 180 Grad gedreht und dahin geschaut, wo es so unbequem ist, hinzu schauen. Ich habe versucht, mich zu spüren, meine Sehnsucht zu spüren, meine Trauer, meine Wut, meine Hilflosigkeit, meine Schuldgefühle, meine Liebe, meine Energie, mein Innenleben. Ohne es verstehen zu wollen, ohne es analysieren zu müssen, ohne es kontrollieren oder wegdrücken zu können. Ich habe angefangen, mich kennenzulernen. Ich dachte vom Verstand her, dass ich mich schon zuvor sehr gut kannte. Ich hatte ja alles bis ins Detail durchanalysiert und alles versucht zu kontrollieren, was mir möglich war. Aber es ging nun darum, den Verstand beiseitezuschieben und einmal nur zu fühlen, was da in mir war, mich bewusst zu erleben und damit klarzukommen, wenn mich Gefühle wie eine Welle trafen, die ich nicht mochte.
Dabei habe ich etwas ganz Wichtiges gelernt: Gefühle, die mich überkommen, halten normalerweise nur maximal 120 Sekunden an und dann ebben sie automatisch wieder ab. Es sei denn, ich halte diese Gefühle fest und füttere sie mit meinen Gedanken oder meinem Handeln. Wenn ich das nicht tue, mich nicht gegen diese Gefühle wehre, sie einfach kommen und gehen lasse wie Gezeiten, dann sind sie innerhalb kürzester Zeit wieder verflogen und es kommt etwas Neues.
Und indem ich beschäftigt war, mich erst einmal richtig kennenzulernen, zu spüren, wie viel Unruhe und Sehnsucht in mir steckten, wie schwer es mir fiel, mein Nervensystem zu entspannen, geschah etwas ganz Unerwartetes. Denn genau in diesem Moment setzte sich der Schmetterling, dem ich zuvor mein ganzes Leben lang hinterhergejagt war, auf meine Schulter und blieb dort sitzen.
Trotzdem konnte ich ihn, obwohl ich ihn in dem Moment schon spürte, immer noch nicht sehen und mein Glück in voller Größe noch nicht begreifen. Es hat noch eine ganze Weile gebraucht, bis ich endlich in der Lage war, das Fenster zu meinem Herzen zu öffnen, damit dieser Schmetterling in mein Bewusstsein hineinflattern konnte. Das Öffnen dieses Fensters zu einem ganz neuen Bewusstsein hat mir so viel mehr eröffnet und geschenkt. Jetzt bin ich sogar in der Lage, meinen Schmetterling jederzeit und überall zu mir zu rufen und ihn zu spüren, wann immer ich es brauche. Den Schmetterling zu finden, mit dem mich ein ganz besonderes Band verbindet, war für mich eine sehr bewegende und manchmal auch überwältigende Lebensreise. Auf diese Reise möchte ich Euch nun mitnehmen und wünsche mir, dass sie Euch inspiriert, auch einmal ganz tief in Euer eigenes Bewusstsein einzutauchen. Für mich hat es sich mehr als gelohnt.
Nachdem ich so viele Stunden an meinem ersten Buch „FINNY“ geschrieben und mit Juliane an den Illustrationen gearbeitet habe, können es die Menschen da draußen endlich lesen und ich bin unendlich dankbar, dass ich diese Leidenschaft für mich entdeckt habe. Manchmal fühlt es sich immer noch wie ein Traum an, aus dem ich gar nicht erwachen möchte.
Für mich ist es wie ein großes Wunder, dass all diese Geschichten einfach so aus mir herausgesprudelt sind, wie ein Wasserfall, der sich in einen See ergießt und nicht aufzuhalten ist. Und immer dann, wenn mir jemand erzählt, wie er mein Buch oder besser gesagt meine Geschichte erlebt hat, dann weiß ich, dass dies genau der richtige Weg für mich ist.
Doch meine Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt. Das spüre ich immer wieder. Noch bevor die Fertigstellung meines ersten Buches in die heiße Phase ging, habe ich bereits wieder tief in mir dieses leichte Kribbeln und Flattern gespürt. Dieses Gefühl kommt immer zu Besuch, wenn ich eine positive Aufregung spüre, wenn Energie in mir wächst und einfach hinaus möchte, wenn ich mich auf etwas, das vor mir liegt, sehr freue.
Aber wie geht meine Reise weiter? Mit dieser stillen Frage in mir und einem warmen Becher Tee setze ich mich auf die Stufen unserer Veranda, genieße wie so oft den Blick aufs Meer, die zarten Sonnenstrahlen und den Sand unter meinen nackten Füßen. Wieder stelle ich mit all meinen Sinnen fest, wie sehr ich diesen Ort liebe und wie wunderschön es hier ist. Das Meer ist einfach eine große Kraftquelle für mich und allein der Blick darauf oder auch nur die Geräusche dieses gewaltigen Elements reichen aus, um mir eine tiefe Ruhe und ein Gefühl von Freiheit zu schenken.
Und wieder einmal lasse ich mich treiben mit meinen Gedanken, lasse die Schönheit dieses Fleckchens Erde auf mich wirken und tanke auf in der Ruhe und Stille, die mich hier umgibt. Von einem Moment auf den nächsten spüre ich, dass ich nicht mehr allein bin an meinem Lieblingsplatz vor unserem Haus. Ich spüre wieder einmal ihre beruhigende Anwesenheit, ohne dass ich vorher zu ihr herabgeblickt habe. Meine Neugier siegt wie immer und ich schaue hinab in den Sand neben meinen Füßen und dort liegt sie tatsächlich, die Meeresschildkröte Kala. Sie hat es sich offensichtlich im Sand gemütlich gemacht und leistet mir still Gesellschaft.
Auch das kenne ich und liebe ich an ihr. Ich streichle sanft über ihren geriffelten Panzer und mit der Berührung macht sich noch mehr Ruhe und Vertrauen in mir breit. Wie schafft sie das nur immer wieder? Dennoch spürt sie, so feinfühlig und weise wie sie ist, dass mir einige Fragen im Kopf herumtanzen und mich immer wieder unruhig werden lassen. Deswegen sagt sie, ohne dass ich irgendetwas laut aussprechen müsste: „Du bist frei und grenzenlos. Du kannst es nur selbst noch nicht sehen und begreifen. Aber wenn Du anfängst, Deinem Herzen zu folgen und dahin reist, wohin Dein Herz und nicht Dein Verstand Dich schickt, dann wirst Du auf dieser Reise erleben, wie sich langsam die Grenzen Deiner jetzigen Realität verschieben und sich damit Türen öffnen und Du viel mehr Weite gewinnst.“
Eine Zeit lang lasse ich diesen Gedanken in mir umherschwirren. Einerseits merke ich sofort, dass mein Herz einen großen Freudensprung macht bei dem Gedanken an eine Reise. Ich reise für mein Leben gern, egal ob ans Meer, in die Berge, in fremde Kulturen oder in große Metropolen am anderen Ende der Welt. Doch andererseits tauchen im gleichen Augenblick bei dem Gedanken zu verreisen auch die mir wohlbekannten Zweifel und Ängste auf. Kann oder besser will ich meine neuen Freunde hier an diesem magischen Ort schon wieder verlassen? Hier fühle ich mich doch endlich wohl und sicher und geborgen.
Was ist mit all den Gefahren, die mich in den Ländern von meiner persönlichen „Bucket List“ erwarten – gefährliche Tiere, Krankheiten, kulturelle Unterschiede, Armut und Kriminalität? Und holterdiepolter schafft es mein Verstand, die Träume meines Herzens zu unterdrücken oder sogar zu zerschlagen, zumindest mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Kala hebt ganz langsam ihren Kopf, schaut mich mit ihren wachen und so friedvollen Augen an und hilft mir, meinen inneren Kampf gegen den zweifelnden Verstand zu gewinnen. Ihr Blick reicht zunächst schon aus, mich wieder auf meine Herzfrequenz einzustimmen und mit dem Aufzug aus meinem Kopf ein paar Etagen nach unten zu fahren. Dann sagt sie ganz ruhig und bestimmt: „Du bist bereit dazu. Du hast nun die Stärke und den Mut, die Du brauchst, um Dir Deine Träume zu erfüllen. In den letzten Monaten ist so viel Kraft in Dir gewachsen. Erinnere Dich an all die Erlebnisse, die das winzige Pflänzchen in Dir zum Wachsen gebracht haben und wie daraus ein kräftiger, lebendiger Baum geworden ist! Dieser Baum lässt Dich immer verwurzelt und geerdet bleiben, aber lädt Dich auch ein, hoch hinaus in den Himmel zu klettern und Dir dort den frischen Duft von Freiheit und Grenzenlosigkeit um die Nase wehen zu lassen. Vertraue weiterhin Deinem Herzen! Das hast Du in den letzten Wochen schon sehr gut gemacht. Dein Herz wird Dich auf Deiner Reise genau an die Orte führen, die den Baum in Dir blühen und saftige Früchte tragen lassen. Und schlussendlich gelingt es Dir vielleicht, Dich aus Deinem sicheren Kokon zu befreien, Deine Flügel auszubreiten und wie ein zarter Schmetterling gen Himmel zu fliegen. Das hast Du Dir doch immer gewünscht, nicht wahr? Ganz leicht und tänzelnd und dabei all die Schwere endlich wie einen alten Mantel abzuwerfen und loszufliegen.“
Die Worte von Kala kommen so ruhig und vertrauensvoll aus ihrem Mund, dass ich gar nicht anders kann, als ihnen zu glauben. Ich hinterfrage sie nicht. Ich versuche sie tief in meinem Herzen abzuspeichern, damit ich mich auf meiner Reise immer wieder daran erinnern kann, wenn es nötig ist. Die Worte wandern also in mein Herz und machen es sich dort gemütlich – so als wären sie dort schon immer zuhause gewesen und endlich von einer langen Reise zurückgekehrt.
Sobald ich den Gedanken an eine große Reise zulasse, gewinnt langsam wieder die positive und sprudelnde Aufregung in mir die Oberhand und Vorfreude macht sich in mir breit. Seit meiner Jugend steckt der Wunsch nach einer besonderen Reise tief in mir und nun soll es endlich so weit sein. Wenn ich daran denke, fühle ich mich fast wie frisch verliebt und ich spüre, dass diese Reise mein Leben noch einmal tief bewegen und verändern könnte. Da mein Herz mich gerade intuitiv an diesen großen Wunsch erinnert hat, steht schnell fest, wo es hingehen soll. Ich werde mir mit dieser Reise einen meiner größten Lebensträume erfüllen. Ich kann es kaum glauben, bin aber dank meiner Freundin Kala fest entschlossen.
Zuallererst fliege ich nach Indonesien, um dort meinen absoluten Lieblingstieren in ihrem natürlichen Umfeld zu begegnen. Zum Greifen nah ist nun die Verwirklichung meines größten Traumes und doch noch so fern. Ich fühle mich wie eine 4-Jährige, die am Heiligabend gespannt durchs Schlüsselloch blickt in der Hoffnung, nur einen Wimpernschlag lang das Christkind zu Gesicht zu bekommen und voller Ungeduld endlich ihre langersehnten Geschenke in Empfang zu nehmen. Nun heißt es für mich, meine große Reise zu planen und ich bin voller Tatendrang und Energie.
Zurück aus meiner Tagträumerei schaue ich noch einmal hinunter zu Kala und da werde ich doch für einen kurzen Moment wehmütig. Ich werde alle meine neugewonnen Freunde hier unglaublich vermissen. Wie schaffe ich es nur ohne sie? Kaum spukt dieser Gedanke durch mein Hirn, klingt schon Kalas samtige Stimme hindurch in meine Gedankenwelt: „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen. Wir sind in Gedanken immer bei Dir und dieses Gefühl wird Dich auf Deiner ganzen Reise begleiten. Du wirst sehen. So schnell wirst Du uns nicht wieder los. Und Du kannst jederzeit zu uns und nach Hause zurückkehren. Wir warten alle hier auf Dich und sind schon sehr gespannt darauf, was Du uns dann zu erzählen haben wirst. Genieße Deine Reise zu Deinen allergrößten Träumen und damit auch zu Dir selbst! Du hast es Dir so verdient. Ich wünsche Dir ganz viel Glück auf diesem Weg.“
Kaum drei Wochen später und zirka dreizehn Flugstunden entfernt wache ich nach meiner ersten noch etwas unruhigen Nacht gerädert auf und scanne neugierig, wie ich bin, meine Umgebung. Ich genieße die fremden Eindrücke, die ungewohnten Geräusche der Tierwelt vor Ort, die anderen Gerüche und die inspirierenden Einrichtungsgegenstände. Die Energie dieses Fleckchens Erde, das ich noch nicht kenne, jedoch unbedingt entdecken und erleben möchte, fließt in mich hinein und entfacht eine freudige Aufregung sowie Abenteuerlust in mir.
Ich kann nicht sagen, wie früh es ist, aber die Sonne streckt bereits ihre Arme so weit aus, dass sie sogar in meinem Zimmer auf der strahlend weißen Decke meines Bettes ihre tanzenden Muster zeichnet. Ich lasse mir Zeit und beobachte einfach nur dieses Lichtspiel auf meiner Bettdecke ohne den inneren Druck, etwas tun oder leisten zu müssen. Einfach im Bett liegen und faul sein. Das fühlt sich herrlich an. Viel zu selten gönne ich mir mittlerweile solche Momente. Oft haben wir den Anspruch, dass sogar unsere Freizeit optimal und möglichst effizient ausgenutzt sein sollte und so fülle ich meine freie Zeit häufig mit zu viel Programm wie Sport, Yoga, Verabredungen, Meditation, Podcast hören, Filme schauen oder Lesen. Und schon entsteht selbst in der Freizeit ein Stress, der uns davon abhält, vollständig zu entspannen. Damit ist natürlich Unzufriedenheit vorprogrammiert und das ewige Hamsterrad in Gang gebracht.
Das italienische „Dolce far niente“ wird uns in Mitteleuropa meist nicht in die Wiege gelegt und so erlaube auch ich mir viel zu selten, einfach gar nichts zu tun. Nichts erreichen zu müssen, keinem Sinn oder Ziel nachzulaufen und die freie Zeit wirklich, wie es der Name sagt, frei zu lassen. Nur so komme ich ganz in ihren Genuss. Dabei stelle ich jedes Mal wieder fest, dass die unausgefüllte Zeit der Muße und des Nichtstuns die schönste und wertvollste Zeit sein kann.
Erst dann habe ich die Ruhe, alles um mich herum bewusst mit meinen kindlichen Forscheraugen zu erkunden. Ich erkenne in solchen Momenten, wie einzigartig und besonders die Dinge, auch die ganz kleinen, sind. Dankbarkeit steigt nun wie eine große Welle in mir hoch, denn mir wird noch einmal aufs Neue klar, in was für einer luxuriösen Lage ich mich befinde. Und damit meine ich nicht den materiellen Luxus, sondern die Tatsache, dass ich gerade das Privileg genieße, mir meine größten Lebensträume erfüllen zu können. Manchmal habe ich das Gefühl, ich müsste mich kneifen oder wachrütteln, um aus meinem eigenen Traum zu erwachen, so unwirklich erscheint mir gerade, was ich erleben darf.
Ich spüre einen warmen Windhauch, der durchs offene Fenster hineingepustet wird, und mit ihm flattert doch tatsächlich ein großer Schmetterling herein. Auch das ist mir in meinem Leben noch nicht passiert. Bisher sind Schmetterlinge eher kurz an mir vorbeigehuscht und nie wurde meine Sehnsucht, sie ganz in Ruhe aus der Nähe zu betrachten, für einen längeren Zeitraum wahr. Obwohl ich im Grunde keine Liebhaberin von Insekten bin, sind Schmetterlinge für mich schon immer faszinierende Wesen gewesen. Dennoch sind sie nicht richtig greifbar und schon gar nicht kontrollierbar für uns Menschen.
Im ersten Moment, als der Schmetterling nun in meinem Schlafzimmer umhertänzelt, erkenne ich nur die Blau- und Grautöne auf der Außenseite der Flügel. Der Schmetterling ist coloriert aus der Palette meiner Lieblingsfarben. Jedoch mit jeder seiner Bewegungen erhasche ich den einen oder anderen Blick auf ein sagenhaftes Schillern auf der zunächst versteckten Innenseite seines Flügelkleides. Die Flügel vollführen rasant schnelle Schläge und halten dann wieder inne. Ein Wechselspiel zwischen großer Dynamik und gezielt eingesetzten Ruhephasen.
Somit komme ich gefühlt nur für den Bruchteil einer Sekunde in den Genuss, diese schimmernde Seite der Flügel zu erspähen. Ich kann nicht anders als diesem quirligen, lebensfrohen Wesen mit meinem Blick zu folgen. Noch nie zuvor habe ich einen so schönen und großen Schmetterling gesehen, geschweige denn in meinem eigenen Schlafzimmer angetroffen. Leider entschwindet dieser wunderschöne Falter gerade wieder aus meinem Blickfeld und ich befürchte schon, dass er das Weite draußen vor meinem Fenster gesucht hat, um seine Reise fortzusetzen.
Doch plötzlich und unerwartet landet etwas direkt auf meiner Nasenspitze und ich erschrecke mich, denn es kitzelt kräftig. Zudem ist so nah vor meinen Augen schwer zu erkennen, wer mein Gesicht für sich als Landeplatz auserkoren hat. Aber relativ schnell ahne ich, als ich einen großen graublauen Farbtupfer wahrnehme, dass es sich um den gigantischen Schmetterling handeln muss.
Und nun schaut mir dieses zarte Wesen mit seinen feinen Zügen und Gliedmaßen sowie seinen riesigen Flügeln direkt in die Augen. Wie geht denn das? Ich habe noch nie zuvor realisiert, dass Schmetterlinge auch Augen haben. Und ich bin mir ganz sicher, noch niemals einen Schmetterling mit Augen irgendwo gesehen zu haben. Jetzt erkenne ich sogar, dass dieses kleine faszinierende Wesen plötzlich nicht nur Augen besitzt, sondern auch einen richtigen Kopf mit einem menschlichen Gesicht und einem winzigen menschlichen Körper. Wie kann das sein? Eben ist dieser Schmetterling doch noch im Zimmer umhergeflogen und hat, mal abge sehen von seiner beindruckenden Anmutung, ganz normal ausgesehen, wie ein Insekt und nicht wie ein winzig kleiner Mensch mit Flügeln!
Ich bin zum einen völlig perplex und zum anderen habe ich Angst, den Schmetterling durch die kleinste Bewegung wieder zu verscheuchen, deswegen traue ich mich kaum zu atmen. Doch dieses kleine Wesen schaut mich ganz belustigt an und scheint so gar nicht ängstlich zu sein. Ganz im Gegenteil, denn dieses lustig dreinblickende Schmetterlingsmädchen hat etwas Verschmitztes, Freches ins Gesicht geschrieben und gleichzeitig wirkt ihr sonniges Grinsen sehr vertrauenswürdig und einladend. Ich mag sie vom ersten Moment an und wenn ich in ihr sommersprossiges Gesichtchen schaue, kommt es mir vor, als würden wir uns schon immer kennen und als würde uns ein ganz enges Band verbinden. Erklären kann ich mir das nicht. Es ist nur ein Bauchgefühl, das sich breitmacht.
Im nächsten Moment wirbelt sie einmal um ihre eigene Achse und landet auf der Bettdecke direkt auf meinem Bauch. Außerdem öffnet sie mit einem breiten Grinsen ihren kleinen Mund und sagt mit kecker Stimme: „Ich bin so froh, dass ich Dich endlich gefunden habe. Ich möchte mich erst einmal bei Dir vorstellen. Ich bin Letty. Deine persönliche Reisebegleitung.“ Ein Schmunzeln umrahmt ihre Worte, die sie mit ihrer lebensfrohen Art an mich sendet. Und sie schiebt schnell noch hinterher: „Deine Delfinfreundin Finny hat mich geschickt, damit Du Dich auf Deiner Reise nicht so allein fühlst. Ich stehe Dir stets zu Diensten und Du brauchst mich nur zu rufen, dann komme ich schnell herbeigeeilt.“ An ihrem Tonfall kann ich eine leichte Ironie hinter ihrem letzten Zusatz erahnen.
Anscheinend starre ich sie immer noch sprachlos an, denn sie fährt direkt fort mit ihrer lustigen Tirade: „Du sollst Dich hier ja wie zuhause fühlen. Und damit Du nicht zu traurig wirst, all Deine neuen tierischen Freunde zurückgelassen zu haben, stehe ich Dir jetzt zu Seite und werde mir die größte Mühe geben, diese Reise zu etwas ganz Besonderem zu machen!“
Schon jetzt ist die Reise mit dieser seltsamen Begegnung zu etwas Besonderem geworden und dabei bin ich doch gerade erst angekommen und habe noch nicht einmal meine absoluten Lieblingstiere gesehen. Aber an meinem hüpfenden Herzschlag spüre ich, dass ich mich noch auf die eine oder andere Überraschung freuen darf. Im gleichen Moment winkt Letty mir zum Abschied mit ihrer winzigen Hand zu und fliegt mit ein paar anmutigen Flügelschlägen aus dem offenen Fenster davon. Eine Weile frage ich mich, ob ich das alles nur geträumt habe, aber nach all den wundersamen Erlebnissen der letzten Monate wundere ich mich langsam nicht mehr über solch kuriose Bekanntschaften. Jedenfalls hat es das sonnige Schmetterlingsmädchen geschafft, auch auf mein Gesicht ein Grinsen zu zaubern und nun freue ich mich noch mehr, in den ersten Tag meiner Reise zu starten.
Am nächsten Morgen hüpfe ich ungewohnt energiegeladen aus dem Bett und tanze ins Bad, um mich für den bevorstehenden Ausflug fertig zu machen. Als ich voller Vorfreude vor die Tür meiner Unterkunft trete und auf meinen Guide zugehe, der mich heute begleiten wird, summe ich unbewusst eine mir unbekannte Melodie. Bevor ich in den Jeep einsteige, kündigt der Guide mir schon an: „Heute ist ein fantastischer Tag, um die Elefanten zu sehen!“
Ich bin schon ganz aufgeregt. Eigentlich bin ich ja hier, um mir einen anderen Traum zu erfüllen. Es ist seit meiner Jugend einer meiner allergrößten Träume, einmal Orang-Utans in ihrer natürlichen Umgebung und nicht im Zoo zu begegnen. Damals habe ich viel über die bekanntesten Affenforscherinnen der großen Menschenaffen gelesen und mir diesen Beruf wahnsinnig faszinierend vorgestellt, bis mir dann klar wurde, dass es dort im Dschungel natürlich nicht nur meine allerliebsten Tiere geben wird, die ich von morgens bis abends erforschen könnte, sondern auch lauter Insekten und Getier, vor dem ich mich leider sehr fürchte. Hinzu kommen die Gefahren durch Wilderer und die Abgeschiedenheit, was das Leben dort für eine Familie mit Kindern fast unmöglich macht. Somit war mein Traum, Affenforscherin zu werden, erst einmal gestorben. Aber meine Leidenschaft für diese unglaublich klugen, uns Menschen ähnlichen Geschöpfe ist bis heute sehr lebendig und ich spüre kribbelnde Vorfreude und aufschäumende Aufregung in mir, wenn ich daran denke, dass mein großer Lebenstraum bald in Erfüllung gehen könnte.
Elefanten sind natürlich auch besonders beeindruckende und, wie ich noch lernen darf, sehr weise, intelligente und sogar einfühlsame Tiere. Jetzt freue ich mich erst einmal darauf, denn das Erleben dieser gigantischen Geschöpfe in ihrem echten Lebensraum ist für mich eine ganz große Sache, die ich unglaublich spannend finde und die mich so fasziniert, dass ich stundenlang damit zubringen könnte.
Schon am Vorabend hatte mein Guide mir angekündigt, dass wir morgens sehr früh aufbrechen sollten. So sitze ich hier um 5.30 Uhr im Jeep und genieße den ersten Sonnenaufgang auf meiner Tour durch die üppige Natur Indonesiens. Wenn ich daran denke, dass hier so viel Lebensraum der Tiere abgeholzt wird und verschwindet, krampft sich direkt mein Magen zusammen. Der Mensch zerstört leider viel zu viel unserer wertvollen Natur und denkt nicht an das Gleichgewicht unseres Ökosystems und an die Folgen, die es hat, wenn alles ins Wanken gerät.
Nach etwa zwanzig Minuten kommen wir bereits an eine Stelle tief im Urwald, von der aus wir zu Fuß weiterlaufen müssen, da die Pflanzen nun zu dicht für unser Gefährt sind. Ich bin heilfroh, dass der nette Guide mich begleitet und mich durch dieses intensiv grüne und satte Pflanzendickicht führt. Es ist so unendlich grün in allen Richtungen, in die ich meinen Blick wenden kann. Selbst wenn ich nach oben in den Himmel schauen möchte, breiten die riesigen Bäume ihr Blätterzelt schützend über mir aus. Überall ranken sich Schlingpflanzen empor und es duftet nach dieser frischen, energiespendenden Flora mit Millionen und Abermillionen grünen Blättern und großen exotischen Blüten, die sich mir in allen Farben entgegenstrecken.
Hier bekommt der Begriff „Waldbaden“ eine ganz neue Bedeutung, denn es fühlt sich tatsächlich so an, als würde mich die frische Energie dieser wilden Natur umhüllen und ich sauge sie in mich auf, als wäre ich kurz vor dem Austrocknen. So schön und fremd die Welt hier in diesem Paralleluniversum ist, so vertraut kommt sie mir auf der anderen Seite vor. Als wäre ich in einem früheren Leben einmal ein Affe gewesen, der sich hier täglich von Ast zu Ast und von Baum zu Baum schwingt und abends sein Schlafnest in einem der schwindelerregend hohen Bäume baut, um es sich dort oben in den Kronen des Waldes für die Nacht gemütlich zu machen. Es fühlt sich demnach an, als wäre ich schon oft hier gewesen, aber es lassen sich keine wirklichen Erinnerungen greifen. Eine seltsame, aber faszinierende Mischung an Gefühlen umgibt mich wie ein Schwarm Schmetterlinge und begleitet mich auf diesem Marsch durch eine der noch erhaltenen grünen Lungen unserer Erde.
Ein wenig später kommen wir zu einer großen Lichtung, die ebenso in unzähligen Grünabstufungen erstrahlt. Dennoch entdecke ich sie sofort, ohne dass der Guide mich darauf hinweisen muss. Sie stehen ganz am Rande der Lichtung auf der gegenüberliegenden Seite – ein Elefantenjunges und seine große und mächtige Mutter, die sich trotz ihrer gewaltigen Körpermasse so liebevoll und zärtlich um ihren Nachwuchs kümmert. Gerade reicht sie ihm ein paar der saftigsten Früchte, an die der noch junge Elefant mit seinem kürzeren Rüssel nicht herankommt, und streicht ihm dabei ganz sanft über die Wange. Sie wirken so friedlich und harmonisch, dass ich ihnen stundenlang zusehen könnte.
Doch der Guide macht mir ein Zeichen und wir gehen ganz vorsichtig Schritt für Schritt näher auf sie zu – wir schleichen uns an und bemühen uns, kein einziges Geräusch mit unseren Bewegungen zu erzeugen. Ich habe heute früh eine Einweisung durch den Guide bekommen und natürlich verstanden, dass es ganz wichtig ist, sich langsam und mit großem Respekt diesen wundervollen Tieren zu nähern, damit sie sich nicht gestört oder bedroht fühlen. Das fällt mir nicht schwer, denn automatisch erzeugen diese ruhigen, aber auch gewaltigen Tiere einen ganz natürlichen Respekt in mir. Zudem wünsche ich mir nichts mehr, als dass sie uns so nah wie möglich an sich heranlassen, um sie noch genauer beobachten zu können.
Auf unserem Schleichpfad schlägt mein Herz vor Aufregung laut in meiner Brust und ich habe große Angst, dass allein dieses Geräusch die beiden immer noch friedlichen Elefanten aufschrecken und in Alarmbereitschaft versetzen könnte. Aber die Elefanten lassen sich durch uns nicht stören. Sie scheinen meinen Guide sehr gut zu kennen und ihm zu vertrauen, deswegen stehe ich plötzlich direkt vor ihnen. Im gleichen Moment fällt auch all meine Angst von mir ab, denn der halbwüchsige Elefantenjunge streckt sofort neugierig seinen Rüssel nach mir aus und stiehlt mir meinen Hut.
Verblüfft schaue ich zu meinem Guide, aber als ich ein Schmunzeln auf seinem Gesicht erkennen kann, muss ich laut lachen und der Elefantenjunge scheint unmittelbar in mein Lachen mit einzustimmen. Zumindest sieht es für mich so aus, da sich sein Rüssel weit nach oben Richtung Himmel streckt und sich sein Mund darunter zu einem breiten Grinsen öffnet. Ausgelassen schwingt sein Rüssel nun auf und ab und der kleine Dickhäuter scheint eine große Freude damit zu haben, meinen Hut durch die Luft zu schleudern. Doch wie durch ein Wunder oder eben wie in einer Zirkusnummer einstudiert, landet der Hut, der eben noch über unseren Köpfen Saltos geschlagen hat, zurück auf meinem Kopf.
Damit ist der Bann endgültig zwischen uns gebrochen und ich habe keine Scheu, die Rüsselspitze, die mir der gerade noch so freche und übermütige Elefant behutsam entgegenstreckt, vorsichtig zu ertasten. Intuitiv streiche ich den Rüssel entlang bis zu seinen großen Ohren, die in beide Richtungen abstehen und freudig hin und her flattern.
Da ich so sehr auf das Spiel zwischen mir und diesem neugierigen Elefantenjungen fokussiert bin, merke ich zuerst gar nicht, dass sich auf einmal ein zweiter, viel kräftigerer Rüssel von oben auf mich zubewegt und meinen Körper gekonnt umschlingt. Wieder schaue ich fragend oder besser gesagt ein wenig hilfesuchend meinen Guide an. Er nickt mir aber beruhigend zu und so lasse ich mich, ohne zu wissen, was nun auf mich zukommt, von der gigantischen Elefantenkuh auf ihren Rücken heben. Seltsamerweise habe ich dort oben wieder jegliche Angst von mir abgeworfen und ein erhabenes, fast schon berauschendes Gefühl macht sich in mir breit. Das sind die Momente, die ein Leben – oder besser gesagt mein Leben – so lebendig und lebenswert machen. Immer dann, wenn Deine innersten Träume in Erfüllung gehen, schießt automatisch ein riesiger Schwall Adrenalin und eine Flut an Endorphinen in den Körper. Genauso gigantisch wie das Tier ist, auf dem ich throne, genauso gigantisch sind die Emotionen in mir.
Ich sitze nun direkt hinter ihren Ohren, die wie große Schutzschilder aussehen. Allein ihr Kopf ist so groß und voller Kraft, dass ich mich ganz instinktiv nach vorne sinken lasse. Dabei spüre ich mächtige, aber gleichzeitig auch sehr feinfühlige Energien dieser weisen Elefantendame, die ich mit der Umarmung schier in mich aufsaugen möchte.
Als sie sich jetzt mit mir auf ihrem Rücken in Bewegung setzt, empfinde ich das ruhige, gleichförmige Ruckeln, wenn sie stolz, aber gemächlich durch den Urwald marschiert, als sehr beruhigend. Gleichzeitig spüre ich bei jedem Schritt und Tritt der Elefantenmutter diese ungemeine Kraft und Stärke gepaart mit einer noch größeren Sanftmut. Getragen zu sein